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In VERMÄHLT (Band #6 der Weg der Vampire) finden sich Caitlin und Caleb einmal mehr in der Vergangenheit wieder—diesmal im London von 1599. London im Jahr 1599 ist ein wilder Ort voller Paradoxien: während es einerseits eine extrem aufgeklärte, niveauvolle Zeit ist, die Schriftsteller wie Shakespeare hervorbrachte, ist es andererseits auch barbarisch und grausam, mit täglichen öffentlichen Exekutionen, Folter und den aufgespießten Köpfen von Gefangenen. Es ist auch die Zeit von Aberglauben und großer öffentlicher Gefahr, mit mangelnder Kanalisation und der Beulenpest, die sich von Ratten verbreitet durch die Straßen zieht. In dieser Umgebung landen Caitlin und Caleb auf der Suche nach ihrem Vater, nach dem dritten Schlüssel, nach dem mythischen Schild, das die Menschheit retten kann. Ihre Mission führt sie durch einen Wirbelwind von Londons erstaunlicher mittelalterlicher Architektur, durch die atemberaubensten Burgen in der britischen Landschaft. Sie führt sie zurück in das Herz Londons, wo ihnen glatt Shakespeare selbst begegnen könnte, der ihnen eines seiner Stücke live zeigt. Sie führt sie zu einem kleinen Mädchen, Scarlet, die vielleicht sogar ihre Tochter werden könnte. Und in der Zwischenzeit vertieft sich Caitlins Liebe zu Caleb, da sie endlich zusammen sind—und da Caleb nun vielleicht endlich den perfekten Zeitpunkt, und Ort, findet, um ihr einen Antrag zu machen. Auch Sam und Polly sind zurückgereist, und während sie sich auf ihrer eigenen Reise wiederfinden, vertieft sich ihre Beziehung, als sie trotz allem nicht anders können, als tiefer füreinander zu empfinden.
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Seitenzahl: 343
Veröffentlichungsjahr: 2014
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vermählt
(Band #6 Der Weg Der Vampire)
morgan rice
Ausgewählte Kommentare zu den VAMPIRE JOURNALS
„Rice leistet gute Arbeit, den Leser von Beginn an in die Geschichte hineinzuziehen, mit wunderbaren Beschreibungen, die über das reine Zeichnen des Hintergrundes hinausgehen....schön geschrieben und extrem schnell zu lesen.“
--Black Lagoon Reviews (über Turned—Gewandelt)
„Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice leistet gute Arbeit, eine interessante Wendung herauszuarbeiten...erfrischend und ungewöhnlich. Die Serie dreht sich um ein Mädchen...ein außergewöhnliches Mädchen!...Einfach zu lesen, doch extrem rasant... Bedingt jugendfrei.“
--The Romance Reviews (über Turned—Gewandelt)
„Packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht locker... diese Geschichte ist ein fantastisches Abenteuer, von Beginn an rasant und actionreich. Es ist kein langweiliger Moment zu finden.“
--Paranormal Romance Guild {über Turned- Gewandelt}
„Vollgepackt mit Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Lasst es euch nicht entgehen, und verliebt euch ganz von Neuem.“
--vampirebooksite.com (über Turned—Gewandelt)
„Eine tolle Geschichte, und vor allem die Art von Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende war ein Cliffhanger, der so spektakulär war, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte, nur um herauszufinden, wie es weitergeht.“
--The Dallas Examiner {über Loved—Vergöttert}
„Ein Buch, das TWILIGHT und VAMPIRE DIARIES Konkurrenz macht, und dazu führen wird, dass man bis zur letzten Seite nicht genug davon bekommt! Wer Abenteuer, Liebe und Vampire mag, liegt mit diesem Buch genau richtig!“
--vampirebooksite.com (über Turned—Gewandelt)
„Morgan Rice erweist sich erneut als äußerst talentiert im Geschichtenerzählen...Dies wird eine große Bandbreite an Lesern ansprechen, darunter die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Das Ende ist ein unerwarteter Cliffhanger, der Sie schockieren wird.“
--The Romance Reviews (über Loved—Vergöttert)
Über Morgan Rice
Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller Serie DER WEG DER VAMPIRE, eine elfteilige Serie für junge Leser. Ihrer Feder entstammt auch die Nr. 1 Bestseller Serie TRILOGIE DES ÜBERLEBENS, eine post-apokalyptischer Thriller-Serie aus derzeit zwei Büchern (man darf auf das Dritte gespannt sein) und die epische Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, das derzeit aus dreizehn Büchern besteht und die Bestsellerlisten anführt.
Morgans Bücher gibt es als Audio oder Print-Editionen die in vielen Sprachen erschienen sind: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Japanisch, Chinesisch, Schwedisch, Holländisch, Türkisch, Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch – mehr Sprachen werden folgen.
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Bücher von Morgan Rice
DER RING DER ZAUBEREIQUESTE DER HELDEN (Band #1)MARSCH DER KÖNIGE (Band #2)
LOS DER DRACHEN (Band #3)
RUF NACH EHRE (Band #4)
SCHWUR DES RUHMS (Band #5)
ANGRIFF DER TAPFERKEIT(Band #6)A RITE OF SWORDS – RITUS DER SCHWERTER (Band #7)A GRANT OF ARMS - GEWÄHR DER WAFFEN (Band #8)demnächst auf Deutsch erhältlich
A SKY OF SPELLS – HIMMEL DER ZAUBER (Band #9)
A SEA OF SHIELDS – MEER DER SCHILDE (Band #10)A REIGN OF STEEL – REGENTSCHAFT DES STAHLS (Band #11)A LAND OF FIRE – LAND DES FEUERS (BAND #12)
A RULE OF QUEENS – DIE HERRSCHAFT DER KÖNIGINNEN (BAND #13)
DIE TRILOGIE DES ÜBERLEBENSARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (BAND #1)demnächst auf Deutsch erhältlich
ARENA TWO -- ARENA ZWEI (Band #2)
DER WEG DER VAMPIRE
GEWANDELT (Band #1 Der Weg Der Vampire)
VERGÖTTERT (Band #2 Der Weg Der Vampire)
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BEGEHRT (Band #5 Der Weg Der Vampire)
BETROTHED -- VERMÄHLT (Band #6)demnächst auf Deutsch erhältlich
VOWED -- GELOBT (Band #7)
FOUND -- GEFUNDEN (Band #8)
RESURRECTED – ERWECKT (Band #9)CRAVED – ERSEHNT (Band #10)
FATED – BERUFEN (Band #11)
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Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebend, ist rein zufällig.
Cover-Model: Jennifer Onvie. Cover-Fotografie: Adam Luke Studios, New York.
INHALT
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREISSIG
KAPITEL EINUNDDREISSIG
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
KAPITEL DREIUNDDREISSIG
KAPITEL VIERUNDDREISSIG
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG
KAPITEL SECHSUNDDREISSIG
FAKT:
Zu Shakespeares Zeiten war in London die „Bärenhetze“ eine beliebte Unterhaltungsform. Ein Bär wurde an einen Pfahl gebunden, während ein Rudel wilder Hunde auf ihn gehetzt wurde. Es wurde gewettet, wer gewinnen würde. Das „Bärenhetze“-Stadion lag direkt neben dem Theater von Shakespeare. Viele aus dem derben Publikum der Bärenhetze gingen sich danach ein Shakespeare-Stück ansehen.
Zu Zeiten Shakespeares war das Publikum, das sich seine Stücke ansah, nicht elitär oder fein. Ganz im Gegenteil. Der Großteil der Leute, die seine Stücke besuchten, waren derbe Menschen, gewöhnliche Leute, die zur Unterhaltung kamen und nur einen Penny Eintritt bezahlen mussten. Um diesen Preis mussten sie während des gesamten Stücks am Boden stehen—und waren daher als „groundlings“, Parterrebesucher, bekannt.
Shakespeares London war zivilisiert—aber es war auch barbarisch. Es war nicht unüblich, Hinrichtungen und öffentliche Folter von Verbrechern auf der Straße zu sehen. Der Eingang seiner berühmtesten Brücke—der London Bridge—war oft mit Spießen geschmückt, auf dem die abgetrennten Köpfe von Verbrechern steckten.
„Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt
Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt.“
--William Shakespeare, Romeo und Julia
London, England
(September 1599)
Caleb erwachte unter Glockenläuten.
Er fuhr kerzengerade hoch und blickte sich keuchend um. Er hatte von Kyle geträumt, davon, ihm nachzujagen, von Caitlin, die ihm hilfesuchend eine Hand entgegenstreckte. Sie waren in einem Feld gewesen, das voller Fledermäuse war, vor einer blutroten Sonne, und es hatte sich alles so echt angefühlt.
Als er sich nun im Raum umblickte, versuchte er, dahinterzukommen, ob alles echt gewesen war, oder ob er wahrhaft wach und in die Vergangenheit gereist war. Nachdem er einige Sekunden lang seinem eigenen Atem gelauscht, die kühle Feuchtigkeit der Luft gespürt, in die Stille gehorcht hatte, auf seinen eigenen Herzschlag, wurde ihm klar, dass alles nur ein Traum gewesen war. Er war wirklich wach.
Caleb erkannte, dass er aufrecht in einem offenen Sarkophag saß. Er blickte sich in dem düsteren, höhlenartigen Raum um und sah, dass er voll mit Sarkophagen war. Da war eine niedrige, gewölbte Decken und schmale Fensterschlitze, durch die die winzigste Menge Sonnenlicht hereinkam. Es war gerade genug, um sehen zu können. Er kniff geblendet die Augen zusammen, fasste in seine Tasche und tropfte sich seine Augentropfen ein, froh darüber, dass sie noch da waren. Langsam verging der Schmerz und er entspannte sich.
Caleb sprang mit einem Satz auf die Füße, wirbelte im Raum herum und machte eine gründliche Bestandsaufnahme. Er war immer noch kampfbereit, wollte nicht angegriffen oder überfallen werden, bevor er Gelegenheit gehabt hatte, sich zu orientieren. Doch da war nichts, und niemand, im Zimmer. Nur Stille. Er bemerkte die uralten Steinfußböden, Mauern, den kleinen Altar mit Kreuz, und vermutete, dass er in der unteren Krypta einer Kirche war.
Caitlin.
Caleb wirbelte noch einmal im Raum herum, ihn nach einer Spur von ihr absuchend. Erfüllt mit einem inneren Drang eilte er zum Sarkophag neben ihm hinüber. Mit aller Kraft rückte er den Deckel zur Seite.
Sein Herz füllte sich mit der Hoffnung, sie zu finden. Doch niedergeschlagen stellt er fest, dass er leer war.
Caleb eilte durchs Zimmer, von einem Sarkophag zum nächsten, und rückte jeden Deckel zur Seite. Doch sie alle waren leer.
Caleb verspürte eine wachsende Verzweiflung, als er den letzten Deckel im Raum zur Seite schob, mit so viel Kraft, dass er zu Boden krachte und in tausend Stücke zersprang. Doch er hatte jetzt schon das mulmige Gefühl, dass er ihn, wie die anderen auch, leer vorfinden würde—und er behielt recht. Caitlin war nirgendwo in diesem Raum, erkannte er, und kalter Schweiß brach ihm aus. Wo konnte sie sein?
Der Gedanke daran, ohne sie in der Vergangenheit angekommen zu sein, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Sie bedeutete ihm mehr, als er sagen konnte, und ohne sie an seiner Seite schien ihm sein Leben, seine Mission, ohne Zweck zu sein.
Plötzlich erinnerte er sich an etwas und fasste in seine Tasche, um zu sehen, ob es noch da war. Zum Glück war es das. Der Ehering seiner Mutter. Er hielt ihn ins Licht und bewunderte den sechskarätigen Saphir, perfekt geschliffen, gefasst in einen Ring von Diamanten und Rubinen. Er hatte nie den richtigen Moment gefunden, ihr den Antrag zu machen. Diesmal war er fest dazu entschlossen.
Das hieß natürlich, wenn sie überhaupt hier angekommen war.
Caleb hörte ein Geräusch und wirbelte zum Eingang herum, Bewegung spürend. Er hoffte entgegen alle Hoffnung, dass es Caitlin war.
Doch zu seiner Überraschung blickte er hinunter, als die Person um die Ecke bog, um festzustellen, dass es überhaupt keine Person war. Es war Ruth. Caleb war überglücklich, sie hier zu sehen—zu sehen, dass sie die Zeitreise überstanden hatte.
Sie schritt auf Caleb zu, mit wedelndem Schwanz und leuchtenden Augen, die ihn wiedererkannten. Als sie näher kam, kniete Caleb nieder und sie rannte in seine Arme. Er liebte Ruth, und er war überrascht davon, wie groß sie geworden war: sie schien aufs Doppelte gewachsen zu sein, ein stattliches Tier. Es ermutigte ihn auch, sie hier zu sehen: vielleicht bedeutete das, dass auch Caitlin hier war.
Plötzlich fuhr Ruth herum und rannte aus dem Zimmer, hinter einer Ecke verschwindend. Caleb war von ihrem Verhalten verblüfft, und er eilte ihr nach, um zu sehen, wohin sie gelaufen war.
Er fand sich in einer weiteren Gewölbekammer wieder, auch diese von Sarkophagen übersät. Er konnte mit einem Blick sehen, dass sie alle bereits geöffnet waren, und leer.
Ruth rannte weiter, winselte und rannte auch aus diesem Raum. Caleb fragte sich, ob Ruth ihm etwas zeigen wollte. Er rannte schneller hinter ihr nach.
Nachdem sie durch einige weitere Räume geeilt war, hielt Ruth schließlich in einer kleinen Nische am Ende eines Korridors an, die von einer einzelnen Fackel schwach erleuchtet war. In ihr stand ein einsamer Marmorsarkophag, kunstvoll verziert.
Caleb ging langsam darauf zu, hielt den Atem an, hoffte, spürte, dass Caitlin darin sein würde.
Ruth setzte sich daneben hin und starrte zu Caleb hoch. Sie winselte inständig.
Caleb kniete nieder und versuchte, den steinernen Deckel davonzuschieben. Doch dieser war wesentlich schwerer als die anderen, und er ließ sich kaum bewegen.
Er kniete und schob fester, setzte all seine Kraft ein, und endlich rührte er sich. Er schob weiter, und Augenblicke später war der Deckel vollständig geöffnet.
Caleb überkam eine Welle der Erleichterung, als er Caitlin darin liegen sah, völlig reglos, ihre Hände feinsäuberlich über der Brust gefaltet. Doch seine Erleichterung wandelte sich in Besorgnis, als er sie betrachtete und feststellte, dass sie blasser war, als er sie je gesehen hatte. Da war überhaupt keine Farbe in ihren Wangen, und ihre Augen reagierten nicht einmal auf das Licht der Fackel. Er blickte genauer hin und stellte fest, dass sie scheinbar nicht atmete.
Er lehnte sich entsetzt zurück. Caitlin schien tot zu sein.
Ruth winselte lauter: nun verstand er.
Caleb beugte sich hinunter und legte ihr beide Hände fest auf die Schultern. Er schüttelte sie sanft.
„Caitlin?“, sagte er und hörte die Besorgnis in seiner Stimme. „CAITLN!?“, rief er lauter, während er sie kräftiger schüttelte.
Doch sie reagierte nicht, und ihm wurde kalt, als er sich vorstellte, wie sein Leben ohne sie sein würde. Er wusste, dass Zeitreisen seine Gefahren hatte und nicht alle Vampire jede Reise überlebten. Doch er hatte nie wirklich darüber nachgedacht, wie real die Möglichkeit war, beim Zurückreisen zu sterben. Hatte er einen Fehler gemacht, sie immer wieder zu ermutigen, die Suche, ihre Mission, fortzusetzen? Hätte er es einfach bleiben lassen sollen, sich mit ihr am letzten Ort niederlassen?
Was, wenn er nun alles verloren hatte?
Ruth sprang in den Sarkophag hinein, stellte sich mit allen vier Pfoten auf Caitlins Brust und begann, ihr über das Gesicht zu lecken. Minuten vergingen, und Ruth hörte nicht auf, zu lecken und dabei zu winseln.
Gerade als Caleb sich vorbeugte, um Ruth herunterzuheben, hielt er inne. Schockiert sah er, wie Caitlin langsam ein Auge öffnete.
Ruth jaulte verzückt, sprang von Caitlin herunter und rannte im Kreis um sie herum. Caleb lehnte sich genauso erfreut vor, als Caitlin endlich beide Augen öffnete und sich umblickte.
Er eilte zu ihr und packte eine ihrer eiskalten Hände, um sie zwischen seinen zu wärmen.
„Caitlin? Kannst du mich hören? Ich bin’s, Caleb.“
Langsam setzte sie sich auf, und er half ihr, streckte ihr die Arme entgegen und legte sanft eine Hand in ihren Nacken. Er war so glücklich, sie blinzeln zu sehen, die Augen zusammenkneifen. Er konnte sehen, wie desorientiert sie war, als wäre sie von einem tiefen, tiefen Schlaf erwacht.
„Caitlin?“, fragte er noch einmal sanft.
Sie starrte ihn ausdruckslos an, ihre braunen Augen genauso schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Doch etwas, das merkte er, stimmte nicht. Sie lächelte immer noch nicht, und als sie ihn anblinzelte, hatten ihre Augen einen fremden Ausdruck.
„Caitlin?“, fragte er wieder, diesmal besorgt.
Sie starrte ihn direkt an, ihre Augen weit offen, und er sah mit plötzlichem Entsetzen, dass sie ihn nicht wiedererkannte.
„Wer bist du?“, fragte sie.
Calebs Herz sank. War es möglich? Hatte die Reise ihre Erinnerungen gelöscht? Hatte sie ihn wirklich vergessen?
„Caitlin“, versuchte er es noch einmal, „ich bin es. Caleb.“
Er lächelte, hoffte, dass ihr das vielleicht half, sich zu erinnern.
Doch sie erwiderte sein Lächeln nicht. Sie starrte ihn einfach weiter ausdruckslos an und blinzelte ein paar Mal.
„Es tut mir leid“, sagte sie schließlich. „Aber ich habe keine Ahnung, wer du bist.“
Sam wurde vom Lärm kreischender Vögel geweckt. Er öffnete die Augen und sah hoch über sich mehrere riesige Geier kreisen. Es mussten ein Dutzend von ihnen sein, und sie kreisten tiefer und tiefer, scheinbar direkt über ihm, als würden sie ihn beobachten. Als würden sie warten.
Ihm wurde plötzlich klar, dass sie ihn für tot hielten und auf ihre Gelegenheit warteten, auf ihn herunterzutauchen und ihn zu fressen.
Sam sprang auf die Beine und die Vögel stoben plötzlich davon, als wären sie darüber erschrocken, dass ein Toter sich wieder erheben konnte.
Er blickte sich um und versuchte, sich zu orientieren. Er war auf einem Feld inmitten sanfter Hügel. So weit das Auge reichte waren noch mehr Hügel, von Gras und gelegentlichen Büschen bedeckt. Das Wetter war perfekt, nicht zu heiß und nicht zu kalt, und keine Wolke stand am Himmel. Es war sehr idyllisch, und kein Gebäude war zu sehen. Es schien, als wäre er mitten im Nirgendwo.
Sam versuchte, zu ergründen, wo er war, in welcher Zeit, und wie er hierhergekommen war. Er versuchte verzweifelt, sich zu erinnern. Was war passiert, bevor er in die Vergangenheit gereist war?
Langsam fiel es ihm ein. Er war in der Notre Dame gewesen, in Paris, im Jahr 1789. Er hatte Kyle, Kendra, Sergei und ihre Leute bekämpft; sie in Schach gehalten, damit Caitlin und Caleb entkommen konnten. Es war das Mindeste, was er tun konnte, und er schuldete ihr zumindest das, besonders, nachdem er sie mit seiner leichtsinnigen Romanze mit Kendra in Gefahr gebracht hatte.
Zahlenmäßig weit unterlegen hatte er seine Gestaltwandler-Kräfte eingesetzt und es geschafft, sie lange genug zu verwirren, um beträchtlichen Schaden anzurichten, viele von Kyles Männern niederzustrecken, die anderen außer Gefecht zu setzen und mit Polly zu entkommen.
Polly.
Sie war die ganze Zeit über an seiner Seite geblieben, hatte tapfer gekämpft, und die beiden, erinnerte er sich, waren zusammen ziemlich kampfstark gewesen. Sie waren durch die Decke der Notre Dame geflohen und hatten sich auf die Suche nach Caitlin und Caleb durch die Nacht begeben. Ja. Langsam fiel ihm alles wieder ein...
Sam hatte herausgefunden, dass seine Schwester in die Vergangenheit gereist war, und er wusste auf der Stelle, dass auch er zurückreisen musste, um seine Fehler wiedergutzumachen, Caitlin wiederzufinden, sie um Verzeihung zu bitten und sie zu beschützen. Er wusste, dass sie es nicht brauchte: sie war nun ein besserer Kämpfer als er, und sie hatte Caleb. Aber sie war immerhin seine Schwester, und der Impuls, sie zu beschützen, war etwas, das er nicht abschalten konnte.
Polly hatte darauf bestanden, mit ihm mitzureisen. Auch sie wollte Caitlin dringend wiedersehen und ihr eine Erklärung abliefern. Sam hatte nicht widersprochen, und sie waren gemeinsam gereist.
Sam blickte sich nun wieder um, starrte auf die Wiesen hinaus und fragte sich...
„Polly?“, rief er zögerlich.
Keine Antwort.
Er ging an den Rand eines Hügels vor, wo er hoffte, einen Blick über die Landschaft zu bekommen.
„Polly!?“, rief er noch einmal, diesmal lauter.
„Endlich!“, ertönte eine Stimme.
Als Sam aufsah, erschien Polly über dem Horizont, einen Hügel erklimmend. Sie hatte einen Arm voll Erdbeeren und aß gerade eine davon, mit vollem Mund sprechend. „Ich habe den ganzen Morgen auf dich gewartet! Meine Güte! Du schläfst wirklich gern, nicht wahr!?“
Sam war höchst erfreut, sie zu sehen. Sobald er sie erblickte, wurde ihm klar, wie einsam er sich gefühlt hatte, als er ankam, und wie glücklich er war, dass er Gesellschaft hatte. Trotz allem wurde ihm ebenso klar, wie gern er sie gewonnen hatte. Besonders nach seinem Fiasko mit Kendra schätzte er es, ein normales Mädchen um sich zu haben, schätzte Polly mehr, als sie wusste. Und als sie näherkam, und als die Sonne ihr hellbraunes Haar und ihre blauen Augen erleuchtete, ihre durchscheinende weiße Haut, war er wieder einmal von ihrer natürlichen Schönheit überrascht.
Er wollte gerade antworten, doch wie üblich ließ sie ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich bin keine drei Meter von dir entfernt aufgewacht“, fuhr sie fort, während sie näherkam, und aß eine weitere Erdbeere, „und ich habe dich geschüttelt und geschüttelt, doch du wolltest einfach nicht aufwachen! Also ging ich los und sammelte etwas zu essen. Ich kann es nicht erwarten, hier wegzukommen, aber ich dachte mir, ich sollte dich nicht den Vögeln überlassen, bevor ich abziehe. Wir müssen Caitlin finden. Wer weiß, wo sie ist? Sie könnte genau jetzt unsere Hilfe brauchen. Und du tust nichts als schlafen! Immerhin, wofür sind wir hergekommen, wenn wir uns nicht so bald wie möglich aufmachen und—“
„Ich bitte dich!“, rief Sam aus und brach in Gelächter aus. „Ich komme ja gar nicht zu Wort!“
Polly blieb stehen und starrte ihn an, mit verdutztem Gesicht, als hätte sie keine Ahnung, dass sie so viel redete.
„Na gut, dann“, sagte sie, „sprich!“
Sam starrte sie an, abgelenkt davon, wie blau ihre Augen im Morgenlicht aussahen; jetzt, da er endlich Gelegenheit hatte, zu sprechen, erstarrte er und vergaß, was er sagen wollte.
„Äh...“, setzte er an.
Polly warf ihre Hände in die Luft.
„Jungs!“, rief sie aus. „Sie wollen nie, dass du redest—aber sie selber haben nie etwas zu sagen! Nun, ich kann nicht länger hier rumwarten!“, sagte sie und eilte davon, durch die Wiese marschierend, die nächste Erdbeere verdrückend.
„Warte!“, rief Sam aus und eilte ihr nach. „Wohin gehst du?“
„Was wohl, Caitlin suchen natürlich!“
„Du weißt, wo sie ist?“, fragte er.
„Nein“, sagte sie. „Aber ich weiß, wo sie nicht ist—und zwar auf dieser Wiese! Wir müssen hier weg. Die nächste Stadt finden, oder Häuser, oder was auch immer, und herausfinden, in welcher Zeit wir sind. Wir müssen irgendwo anfangen! Und das ist nicht hier!“
„Was, glaubst du nicht, dass ich meine Schwester auch finden will!?“, rief Sam gereizt aus.
Endlich drehte sie sich zu ihm herum.
„Ich meine, willst du keine Gesellschaft?“, fragte Sam, dem währenddessen klar wurde, wie sehr er mit ihr gemeinsam nach Caitlin suchen wollte. „Willst du nicht gemeinsam suchen?“
Polly blickte ihn mit ihren großen blauen Augen an, als würde sie ihn abschätzen. Er fühlte sich, als würde er durchleuchtet, und er konnte sehen, dass sie unsicher wirkte. Er konnte nicht verstehen, warum.
„Ich weiß nicht“, sagte sie schließlich. „Ich meine, du hast dich da in Paris recht gut geschlagen—das muss ich zugeben. Aber...“
Sie stockte.
„Was ist los?“, fragte er schließlich.
Polly räusperte sich.
„Also, wenn du es unbedingt wissen musst, der letzte—äh—Junge—mit dem ich Zeit verbracht habe—Sergei—hat sich als Lügner und Betrüger herausgestellt, der mich ausgetrickst und benutzt hat. Ich war zu dämlich, um es zu bemerken. Aber auf so etwas werde ich nie wieder hereinfallen. Und ich bin noch nicht bereit, irgendjemandem der männlichen Art zu vertrauen—nicht einmal dir. Ich will gerade einfach keine Zeit mit weiteren Jungs verbringen. Nicht, dass du und ich—nicht, dass ich sagen will, dass wir—nicht, dass ich so von dir denke—wie etwas anderes als einen guten Freund—eine Bekanntschaft—“
Polly fing zu stottern an, und er konnte sehen, wie nervös sie geworden war, und musste innerlich grinsen.
„—aber es ist nun mal so, wie auch immer, ich hab die Nase voll von Jungs. Nichts für ungut.“
Sam lächelte breit. Er liebte ihre Offenherzigkeit und ihr Feuer.
„Keine Ursache“, antwortete er. „Um ehrlich zu sein“, fügte er hinzu, „habe ich auch die Nase voll von Mädels.“
Pollys Augen weiteten sich überrascht; das war eindeutig nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte.
„Aber es scheint mir, dass wir bessere Chancen haben, meine Schwester zu finden, wenn wir gemeinsam suchen. Ich meine—rein—“, Sam räusperte sich, „—rein professionell gesprochen.“
Nun war Polly mit Lächeln an der Reihe.
„Professionell gesprochen“, wiederholte sie.
Sam streckte förmlich die Hand aus.
„Ich verspreche, wir werden nur Freunde sein—nichts mehr als das“, sagte er. „Ich habe den Mädels für immer abgeschworen. Egal, was passiert.“
„Und ich habe den Jungs für immer abgeschworen. Egal, was passiert“, sagte Polly, seine immer noch in der Luft hängende Hand begutachtend, unsicher.
Sam ließ seine Hand geduldig wartend ausgestreckt.
„Nur Freunde?“, fragte sie. „Nichts mehr als das?“
„Nur Freunde“, sagte Sam.
Endlich streckte sie die Hand zum Handschlag aus.
Caitlin setzte sich im Sarkophag auf und starrte den Mann vor sich an. Sie wusste, er kam ihr irgendwoher bekannt vor, doch sie konnte nicht zuordnen, woher. Sie starrte seine großen, braunen, besorgten Augen an, sein perfekt geformtes Gesicht, seine Wangenknochen, seine glatte Haut, sein dichtes, gewelltes Haar. Er war äußerst gutaussehend, und sie konnte spüren, wie viel sie ihm bedeutete. Sie spürte tief im Inneren, dass er ein wichtiger Mensch für sie war, doch beim besten Willen konnte sie sich nicht daran erinnern, wer er war.
Caitlin spürte etwas Nasses in ihrer Hand, und als sie hinunterblickte, sah sie einen Wolf da sitzen und sie ablecken. Sie war davon überrascht, wie fürsorglich er ihr gegenüber war, als kannten sie sich schon ewig. Er hatte wunderschönes weißes Fell, mit einem einzelnen grauen Streifen, der ihm mitten über den Kopf und Rücken lief. Caitlin hatte das Gefühl, dass sie dieses Tier auch kannte, und dass sie irgendwann in ihrem Leben eine starke Verbindung zu ihm gehabt hatte.
Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich nicht erinnern, welche.
Sie blickte sich im Raum um, versuchte, ihre Umgebung in sich aufzunehmen, hoffte, es würde ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen. Langsam wurde der Raum deutlicher sichtbar. Es war düster, nur von einer Fackel beleuchtet, und in der Ferne sah sie angrenzende Räume, die mit Sarkophagen gefüllt waren. Der Raum hatte eine niedrige Gewölbedecke, und der Stein sah uralt aus. Es wirkte wie eine Gruft. Sie fragte sich, wie sie hierher gekommen war—und wer diese Leute waren. Sie hatte das Gefühl, aus einem Traum erwacht zu sein, der nie enden wollte.
Caitlin schloss einen Moment lang die Augen, atmete tief durch, und dabei blitzte plötzlich eine Reihe von willkürlichen Bildern durch ihren Kopf. Sie sah sich selbst im römischen Kolosseum stehen, mehrere Soldaten auf seinem heißen, staubigen Boden bekämpfen; sie sah sich über eine Insel im Hudson River fliegen, auf eine weitläufige Burg hinunterblickend; sie sah sich in Venedig, auf einer Gondel, mit einem Jungen, den sie nicht wiedererkannte, der aber ebenfalls wunderschön war; sie sah sich in Paris, an einem Fluss entlangwandern mit einem Mann, den sie als den Mann wiedererkannte, der ihr gegenüberstand. Sie versuchte, sich auf dieses Bild zu konzentrieren, es festzuhalten. Vielleicht würde es ihr helfen, sich zu erinnern.
Sie sah sie beide noch einmal, diesmal in seiner Burg am französischen Land. Sie sah, wie sie gemeinsam auf Pferden am Strand ritten, dann sah sie einen Falken hoch über ihnen kreisen und einen Brief abwerfen.
Sie versuchte, sein Gesicht besser zu sehen, sich an seinen Namen zu erinnern. Es schien ihr langsam wieder einzufallen, sie war so nahe dran. Doch ihr Verstand blitzte zu etwas anderem weiter, und es war so schwer, irgendetwas festzuhalten. Ein Leben nach dem anderen blitzte vor ihr auf, als endlose Reihe Schnappschüsse. Es war, als würden ihre Erinnerungen sich neu auffüllen.
„Caleb“, ertönte eine Stimme.
Caitlin öffnete ihre Augen. Er hatte sich auf sie zugelehnt, streckte eine Hand aus und hielt ihre Schulter.
„Mein Name ist Caleb. Vom weißen Clan. Erinnerst du dich nicht?“
Caitlins Augen schlossen sich wieder, während ihr Verstand von seinen Worten, seiner Stimme angeregt wurde. Caleb. Bei dem Namen klingelte etwas in ihrem Kopf. Es fühlte sich an, als wäre der Name ihr wichtig.
Der weiße Clan. Auch dabei klingelte es. Sie sah sich plötzlich in einer Stadt, die sie als New York City erkannte, in einem Kloster am Nordende der Insel. Sie sah sich auf einer großen Terrasse stehen und hinausblicken. Sie sah sich mit einer Frau namens Sera streiten.
„Caitlin“, kam die Stimme wieder, fester. „Erinnerst du dich nicht?“
Caitlin. Ja. So hieß sie. Da war sie sich nun sicher.
Und Caleb. Ja. Er war ihr wichtig. Er war ihr...Freund? Es fühlte sich an, als wäre er mehr als das. Verlobter? Ehemann?
Sie öffnete die Augen und starrte ihn an, und langsam stürmte alles wieder auf sie ein. Hoffnung erfüllte sie, als sie langsam, Stück für Stück, wieder anfing, sich an alles zu erinnern.
„Caleb“, sagte sie sanft.
Seine Augen füllten sich mit Hoffnung und wurden feucht. Der Wolf winselte neben ihr und leckte ihr über die Wange, als wolle er sie ermutigen. Sie blickte zu ihm hinüber, und plötzlich fiel ihr sein Name wieder ein.
„Rose“, sagte sie, dann erkannte sie, dass das nicht passte. „Nein. Ruth. Du heißt Ruth.“
Ruth kam näher und leckte ihr übers Gesicht. Caitlin musste lächeln und streichelte ihr über den Kopf. Ein erleichtertes Grinsen zog sich über Calebs Gesicht.
„Ja. Ruth. Und ich bin Caleb. Und du bist Caitlin. Erinnerst du dich jetzt?“
Sie nickte. „Es fällt mir wieder ein“, sagte sie. „Du bist mein...Ehemann?“
Sie sah zu, wie sein Gesicht plötzlich rot anlief, als wäre er verlegen, oder beschämt. Und in dem Moment fiel es ihr plötzlich ein. Nein. Sie waren nicht verheiratet.
„Wir sind nicht verheiratet“, sagte er bedauernd, „aber wir sind zusammen.“
Nun wurde auch sie verlegen, während sie sich langsam an alles erinnerte, ihr alles wieder einfiel.
Plötzlich fielen ihr die Schlüssel ein. Die Schlüssel ihres Vaters. Sie fasste in ihre Tasche und stellte beruhigt fest, dass sie noch da waren. Sie fasste in eine andere Tasche und spürte, dass auch ihr Tagebuch noch da war. Sie war erleichtert.
Caleb streckte eine Hand aus.
Sie ergriff sie und ließ sich von ihm hochziehen und aus dem Sarkophag heraus helfen.
Es fühlte sich gut an, aufrecht zu stehen, ihre schmerzenden Muskeln zu strecken.
Caleb streckte die Hand aus und wischte ihr das Haar aus dem Gesicht. Seine sanften Finger fühlten sich so gut an, als sie ihr über die Schläfe strichen.
„Ich bin so froh, dass du am Leben bist“, sagte er.
Er umarmte sie und drückte sie fest. Sie drückte zurück, und dabei schossen noch mehr Erinnerungen auf sie ein. Ja, das war der Mann, den sie liebte. Der Mann, den sie eines Tages zu heiraten hoffte. Sie konnte seine Liebe durch sie fließen spüren, und sie erinnerte sich daran, dass sie gemeinsam in die Vergangenheit gereist waren. Sie waren zuletzt in Frankreich gewesen, in Paris, und sie hatten den zweiten Schlüssel gefunden und waren beide zurückgeschickt worden. Sie hatte gebetet, dass sie diesmal gemeinsam zurückkommen würden. Und während sie ihn fester drückte, wurde ihr klar, dass ihre Gebete Wirklichkeit geworden waren.
„Ich sehe, ihr habt einander gefunden“, ertönte eine Stimme.
Caitlin und Caleb, mitten in ihrer Umarmung, wirbelten erschrocken zu der Stimme herum. Caitlin war schockiert, dass irgendjemand sich so schnell an sie heranschleichen konnte, besonders bei ihren scharfen Vampir-Sinnen.
Doch als sie der Frau entgegenstarrte, die vor ihnen stand, erkannte sie, warum: diese Frau war selbst ein Vampir. Ganz in Weiß gekleidet, mit einer Kapuze auf dem Kopf, hob die Frau ihr Kinn und starrte mit stechend blauen Augen zurück. Caitlin konnte ein Gefühl von Frieden und Harmonie von ihr ausgehen fühlen, und sie ließ ihre Abwehr sinken. Sie spürte, wie auch Caleb sich entspannte.
Die Frau fing breit zu lächeln an.
„Wir warten hier schon seit geraumer Zeit auf euch“, sagte sie mit sanfter Stimme.
„Wo sind wir?“, fragte Caitlin. „Welches Jahr ist es?“
Die Frau lächelte nur zurück.
„Kommt hier entlang“, sagte sie und drehte ihnen den Rücken zu, während sie durch den niedrigen Torbogen hinausging.
Caitlin und Caleb tauschten einen Blick aus, dann folgten sie ihr zur Tür hinaus, mit Ruth an ihrer Seite.
Sie schritten einen gewundenen Steinkorridor entlang, der zu einer engen Treppe führte, die nur von einer Fackel beleuchtet war. Sie waren dicht hinter der Frau, die einfach weiterging, als würde sie sich darauf verlassen, dass sie ihr folgten.
Caitlin verspürte den Drang, mehr Fragen zu stellen, sie aufzufordern, ihnen zu sagen, wo sie waren; doch als sie oben an der Treppe ankamen, eröffnete sich vor ihnen plötzlich ein prächtiger Anblick, der ihr den Atem raubte, und sie erkannte, dass sie in einer enormen Kirche waren. Zumindest dieser Teil der Frage war beantwortet.
Einmal mehr bereute Caitlin, in ihrem Geschichte- und Architekturunterricht nicht besser aufgepasst zu haben; bereute, nicht auf den ersten Blick genau zu wissen, welche Kirche dies war. Sie erinnerte sich an all die prachtvollen Kirchen, die sie schon besucht hatte—die Notre Dame in Paris, den Duomo in Florenz—und dachte bei sich, dass diese hier ihnen irgendwie ähnlich war.
Das Hauptschiff der Kirche erstreckte sich über hundert Meter, hatte einen Fußboden aus Marmorfliesen und Mauern, die mit dutzenden aus Stein gemeißelten Statuen geschmückt waren. Sie hatte eine hoch aufragende, gewölbte Decke, die sich über hundert Meter hoch erhob. Hoch oben waren reihenweise gewölbte Bleiglasfenster, die die Kirche mit einem sanften, vielfarbigen Licht durchströmten. Am anderen Ende war ein riesiges, kreisrundes Stück Bleiglas, das Licht auf einen enormen vergoldeten Altar warf. Davor ausgebreitet standen hunderte kleiner Holzstühle für die Gläubigen.
Doch im Moment war die Kirche leer. Es schien, als hätten sie das gesamte Gebäude für sich.
Sie schritten hinter der Vampirin her durch den Raum, und ihre Schritte hallten durch den riesigen, leeren Saal.
„Welche Kirche ist dies?“, fragte Caitlin schließlich.
„Westminster Abbey“, kam die Stimme der Frau, während sie weiterging. „Der Krönungssitz von Königen und Königinnen, schon seit tausenden Jahren.“
Westminster Abbey, dachte Caitlin. Sie wusste, dass das in England war. London, genauergesagt.
London.
Der Gedanke daran, hier zu sein, traf sie wie ein Sack Ziegel. Es war überwältigend, Ehrfurcht gebietend. Sie war noch nie zuvor hier gewesen und wollte schon immer einmal hierher. Sie hatte Freunde gehabt, die es besucht hatten, und hatte Bilder davon im Internet gesehen. Es erschien ihr logisch, dass sie hier waren, wenn man die lange mittelalterliche Geschichte dieser Stadt bedachte. Diese Kirche alleine war tausende Jahre alt—und sie wusste, dass es in dieser Stadt noch mehr davon gab. Doch sie wusste noch immer nicht das Jahr.
„Und welches Jahr ist es?“, fragte Caitlin nervös.
Doch ihre Begleiterin ging so schnell, dass sie die riesige Kapelle bereits durchquert hatte und sich durch einen weiteren Türbogen duckte, und Caitlin und Caleb so dazu zwang, sich zu beeilen.
Als sie hindurch schritten, fand sich Caitlin zu ihrer Überraschung in einem Kloster wieder. Da war ein langer Steinkorridor mit steinernen Mauern und Statuen auf einer Seite, und offenen Steinbögen auf der anderen. Diese Bögen standen im Freien, und durch sie hindurch konnte sie einen kleinen, friedlichen Innenhof sehen. Es erinnerte sie an so viele andere Kloster, in denen sie gewesen war; langsam erkannte sie das Muster ihrer Schlichtheit, ihrer Leere, die gewölbten Mauern, die Säulen, die gepflegten Innenhöfe. Sie alle fühlten sich wie eine Zufluchtsstätte vor der Welt an, wie ein Ort für Gebete und stille Andacht.
Die Vampirin blieb endlich stehen und wandte sich an sie. Sie starrte Caitlin mit ihren großen, mitfühlenden Augen an und sah aus wie aus einer anderen Welt.
„Wir sind an der Jahrhundertwende“, sagte sie.
Caitlin dachte einen Moment lang nach. „Welches Jahrhundert?“, fragte sie.
„Das sechzehnte natürlich. Es ist 1599.“
1599, dachte Caitlin. Der Gedanke daran war überwältigend. Wieder einmal wünschte sie sich, dass sie ihr Geschichtsbuch aufmerksamer gelesen hätte. Zuvor war sie von 1791 nach 1789 gesprungen. Doch nun war sie im Jahr 1599. Ein Sprung von fast 200 Jahren.
Sie erinnerte sich daran, wie viele Dinge schon 1789 primitiv erschienen waren—die fehlenden Wasserleitungen, die gelegentlichen unbefestigten Straßen, die kaum gewaschenen Leute. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie viel primitiver die Dinge noch 200 Jahre früher sein würden. Bestimmt würde diese Zeit noch viel weniger wiedererkennbar sein als alle zuvor. Selbst London würde wahrscheinlich kaum wiederzuerkennen sein. Bei dem Gedanken fühlte sie sich isoliert, alleine, in einer fernen Welt. Wenn Caleb nicht hier an ihrer Seite wäre, würde sie sich völlig einsam fühlen.
Doch zugleich war da diese Architektur, diese Kirche, dieses Kloster—sie alle fühlten sich so vertraut an, so wiedererkennbar. Immerhin schritt sie durch genau die gleiche Westminster Abbey, die auch im 21. Jahrhundert existierte. Nicht nur das, dieses Gebäude war selbst jetzt schon uralt, existierte bereits seit Jahrhunderten. Immerhin spendete ihr das einen Hauch Trost.
Doch warum war sie in diese Zeit geschickt worden? Und an diesen Ort? Offensichtlich hatte er eine große Bedeutung für ihre Mission.
London. Im Jahr 1599.
War dies die Zeit, in der Shakespeare lebte?, fragte sie sich, ihr Herz plötzlich schneller klopfend, als sie sich vorstellte, dass sie—wenn auch nur den Funken—einer Chance hatte, ihn leibhaftig zu Gesicht zu bekommen.
Sie schritten schweigend einen Korridor nach dem anderen entlang.
„London im Jahr 1599 ist nicht so primitiv, wie ihr denkt“, sagte ihre Begleiterin und warf ihr ein Lächeln zu.
Caitlin war es peinlich, dass ihre Gedanken gelesen worden waren. Wie immer wusste sie, dass sie sie sorgsamer hätte verbergen sollen. Sie hoffte, dass sie diese Vampirin nicht beleidigt hatte.
„Ich habe es nicht als Beleidigung aufgefasst“, antwortete sie, wieder ihre Gedanken lesend. „Unsere Zeit ist primitiv in vieler technologischer Hinsicht, die du gewohnt bist. Aber wir sind, auf andere Art, weiter fortgeschritten als selbst in deiner modernen Zeit. Wir sind äußerst wissend und gelehrt, und Bücher regieren den Alltag. Ein Volk von primitiven Mitteln, vielleicht, doch mit einem scharfen Intellekt.
Wichtiger noch, dies ist eine entscheidende Zeit für die Art der Vampire. Wir stehen hier an einem Scheideweg. Du bist aus gutem Grund zur Jahrhundertwende hier angekommen.“
„Warum?“, fragte Caleb.
Die Frau lächelte sie an, bevor sie durch eine weitere Tür ging.
„Die Antwort darauf ist eine, die ihr selbst herausfinden müsst.“
Sie betraten einen weiteren prächtigen Raum mit hoch aufragenden Decken, Bleiglas, Marmorböden, geschmückt mit enormen Kerzen und gemeißelten Statuen von Königen und Heiligen. Doch dieser Raum war anders als die anderen. Sarkophage und Bildnisse waren sorgsam darin angeordnet, und in der Mitte stand ein riesiges Grabmal, dutzende Meter hoch und von Gold überzogen.
Ihre Begleiterin ging geradewegs darauf zu, und sie folgten. Sie hielt davor an und wandte sich an sie.
Caitlin blickte an dem prunkvollen Grabmal hoch: es war groß, imposant. Es war selbst ein prachtvolles Kunstwerk, vergoldet, mit feinen Schnitzereien verziert. Sie spürte auch eine Energie von ihm ausgehen, als wäre es von einiger Bedeutung.
„Das Grabmal des heiligen Eduard des Bekenners“, sagte die Vampirin. „Es ist ein heiliger Ort, ein Wallfahrtsort für unsere Art seit hunderten von Jahren. Man sagt, dass jemand, der an seiner Seite betet, wundersame Heilung für die Kranken empfangen wird. Seht den Stein zu euren Füßen: er ist ganz abgenutzt von all den Leuten, die hier im Laufe der Zeit gekniet haben.“
Caitlin blickte hinunter und sah, dass das Marmorpodest tatsächlich leichte Einbuchtungen um seinen Rand hatte. Sie staunte darüber, wie viele Leute hier über die Jahrhunderte hinweg gekniet haben mussten.
„Doch in deinem Fall“, fuhr sie fort, „hält es noch tiefere Bedeutung.“
Sie blickte Caitlin direkt an.
„Dein Schlüssel“, sagte sie zu Caitlin.
Caitlin war verblüfft. Welchen Schlüssel meinte sie? Sie fasste in ihre Taschen und spürte dort wieder die beiden Schlüssel, die sie bisher gefunden hatte. Sie war nicht sicher, welchen davon die Frau wollte.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Deinen anderen Schlüssel.“
Caitlin dachte verwirrt nach. Gab es da noch einen Schlüssel, den sie vergessen hatte?
Dann, als sie zu ihrem Halsansatz blickte, wurde es ihr klar. Ihre Halskette.
Caitlin fasste danach und war erstaunt, dass sie immer noch da war. Vorsichtig nahm sie sie ab und hielt ihr das zarte, antiquierte Silberkreuz auf ihrer Handfläche hin.
Die Vampirin schüttelte den Kopf.
„Nur du kannst ihn benutzen.“
Sie nahm sanft Caitlins Handgelenk und führte es zu einem winzigen Schlüsselloch am Fuß des Sockels.
Caitlin staunte. Das Schlüsselloch wäre ihr ansonsten nicht einmal aufgefallen. Sie steckte den Schlüssel hinein, drehte ihn herum, und ein leises Klicken ertönte.
Sie blickte hoch und sah, dass sich ein winziges Fach an der Seite des Grabes geöffnet hatte. Sie blickte zu der Vampirin, die ihr feierlich zunickte.
Caitlin streckte die Hand aus und zog langsam ein langes, schmales Fach heraus. Darin, stellte sie erschrocken fest, lag ein langes, goldenes Zepter, sein Kopf mit Rubinen und Smaragden verziert.
Sie holte es heraus und staunte, wie schwer es sich anfühlte, wie glatt das Gold in ihrer Hand war. Es musste einen Meter lang sein, und aus massivem Gold gefertigt.
„Das Heilige Zepter“, sagte die Nonne. „Es gehörte einst deinem Vater.“
Caitlin blickte es mit neuer Ehrfurcht und Respekt an. Sie fühlte sich wie elektrisiert davon, es zu halten, und sie fühlte sich ihrem Vater näher als je zuvor.
„Wird es mich zu meinem Vater führen?“, fragte sie.
Ihre Begleiterin drehte sich einfach um und ging aus der Kammer. „Hier entlang“, sagte sie.
Caitlin und Caleb folgten ihr durch eine weitere Türe, und mehrere weitere Korridore entlang, über den mittelalterlichen Innenhof eines weiteren Klosters. Während sie gingen, erblickte Caitlin überrascht mehrere weitere Vampire, in weiße Roben mit Kapuzen gehüllt, durch die Hallen wandeln. Die meisten von ihnen blickten zu Boden, wie im Gebet versunken. Manche schwenkten Weihrauchfässer. Ein paar nickten ihnen im Vorbeigehen zu und setzten schweigend ihren Weg fort.
Caitlin fragte sich, wie viele Vampire hier lebten, und ob sie zum Clan ihres Vaters gehörten. Ihr war nie klar gewesen, dass Westminster Abbey auch ein Kloster war, zusätzlich zur Kirche. Oder dass es ein Zufluchtsort für ihre Art war.
