Queste der Helden (Der Ring der Zauberei — Band 1) - Morgan Rice - kostenlos E-Book + Hörbuch

Queste der Helden (Der Ring der Zauberei — Band 1) E-Book und Hörbuch

Morgan Rice

3,9

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Beschreibung

Nach einigen Nr. 1-Bestsellern pr sentiert Morgan Rice das Deb t einer bezaubernden neuen Fantasy-Serie. QUESTE DER HELDEN ist die epische Geschichte vom Erwachsenwerden eines besonderen Jungen, einem 14-jährigen aus einem kleinen Dorf am Rande des Königreichs des Rings. Thorgrin, dass er anders ist als die anderen. Er träumt davon, ein großer Krieger zu werden, sich des Königs Mannen anzuschließen und den Ring vor den Horden der Kreaturen auf der anderen Seite des Canyon zu beschützen. Als er das Kriegeralter erreicht und sein Vater es ihm nicht erlaubt, der Legion des Königs beizutreten, akzeptiert er kein Nein: er reist auf eigene Faust los, fest entschlossen, sich seinen Weg nach K nigshof zu bahnen und ernstgenommen zu werden. Thorgrin entdeckt, dass er mysteriöse Kräfte besitzt, die er nicht versteht; dass er eine besondere Gabe hat, und ein besonderes Schicksal. Er verliebt sich aussichtslos in die Tochter des Königs, und während ihre verbotene Romanze erblüht, muss er erfahren, dass er mächtige Rivalen hat. Mit seinen fein ausgearbeiteten Welten und Charakteren ist QUESTE DER HELDEN eine epische Saga von Freundschaft und Liebe, von Rivalen und Verehrern, von Rittern und Drachen, von Intrigen und politischen Machenschaften, vom Erwachsenwerden, von gebrochenen Herzen, von Täuschung, Ehrgeiz und Verrat. Es ist eine Phantasiegeschichte, die uns in eine Welt entführt, die wir nie vergessen werden, und die Leser jeden Alters und Geschlechts begeistern wird.

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Zeit:11 Std. 31 min

Veröffentlichungsjahr: 2014

Sprecher:Mike Nelson

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QUESTE DER HELDEN

(Band 1 im Ring der Zauberei)

Über Morgan Rice

Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller-Serie THE VAMPIRE JOURNALS, eine achtteiligen Serie für Jugendliche, die bisher in sechs Sprachen übersetzt wurde und teilweise auch in Deutsch erhältlich ist.

Morgan schrieb auch den Nr. 1 Bestseller THE VAMPIRE LEGACY, eine Serie für Jugendliche, von der bisher zwei Bücher erschienen sind.

Morgan Rice schrieb auch die Nr. 1 Bestseller ARENA ONE und ARENA TWO, die ersten beiden Titel der post-apokalyptischen SURVIVAL Action-Thriller-Trilogie, die in der Zukunft angesiedelt ist.

Morgan schrieb auch die Nr. 1 Bestseller Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, die bisher aus zehn Bänden besteht und teilweise auch in Deutsch erschienen ist.

Alle Bücher von Morgan Rice werden demnächst in deutscher Sprache erhältlich sein.

Bitte besuchen Sie auch www.morganricebooks.com. Morgan freut sich auf Ihren Besuch.

Ausgewählte Kommentare zu Morgan Rice

„Packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht locker... diese Geschichte ist ein fantastisches Abenteuer, von Beginn an rasant und actionreich. Es ist kein langweiliger Moment darin zu finden.“

--Paranormal Romance Guild {über Turned- Verwandelt}

„Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice leistet gute Arbeit, eine interessante Wendung herauszuarbeiten...erfrischend und ungewöhnlich, mit allen klassischen Elementen, die in vielen Serien paranormaler Geschichten für Jugendliche zu finden sind. Einfach zu lesen, doch extrem rasant...empfehlenswert für alle, die gerne paranormale Soft-Romanzen lesen. Bedingt jugendfrei.“

--The Romance Reviews (über Turned - Verwandelt)

„Vollgepackt mit Action, Romantik, Abenteuer und Spannung. Lasst es euch nicht entgehen, und verliebt euch ganz von Neuem.“

--vampirebooksite.com (über Turned - Verwandelt)

„Eine tolle Geschichte, und vor allem die Art von Buch, die man nachts nicht weglegen kann. Das Ende war ein Cliffhanger, der so spektakulär war, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte, nur um herauszufinden, wie es weitergeht.“

--The Dallas Examiner {über Loved - Geliebt}

„Morgan Rice erweist sich erneut als äußerst talentierte Geschichtenerzählerin...Dies wird eine große Bandbreite an Lesern ansprechen, darunter die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Das Ende ist ein unerwarteter Cliffhanger, der schockieren wird.“

--The Romance Reviews (über Loved - Geliebt)

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Bücher von Morgan Rice

auf Deutsch erschienen

DER RING DER ZAUBEREIQUESTE DER HELDEN (Band 1)

schon bald auf Deutsch erhältlichA MARCH OF KINGS - MARSCH DER KÖNIGE (Band 2)

A FEAST OF DRAGONS - FESTMAHL DER DRACHEN (Band 3)

A CLASH OF HONOR - KAMPF DER EHRE (Band 4)

A VOW OF GLORY - SCHWUR DES RUHMS (Band 5)A CHARGE OF VALOR  - ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Band 4)A RITE OF SWORDS  - RITUS DER SCHWERTER (Band 7)

A GRANT OF ARMS - GEWÄHR DER WAFFEN (Band 8)A SKY OF SPELLS  - HIMMEL DER ZAUBER (Band 9)A SEA OF SHIELDS  - MEER DER SCHILDE (Band 10)

schon bald auf Deutsch erhältlich

THE SURVIVAL TRILOGYARENA ONE: SLAVERUNNERS (Band 1)ARENA TWO (Band 2)

auf Deutsch erschienen

THE VAMPIRE JOURNALS -

VERWANDELT (Band 1)

GELIEBT (Band 2)

schon bald auf Deutsch erhältlichBETRAYED (Band 3)

DESTINED (Band 4)

DESIRED (Band 5)BETROTHED (Band 6)

VOWED (Band 7)

FOUND (Band 8)

RESURRECTED (Band 9)CRAVED (Band 10)

Copyright © 2013 Morgan Rice

Alle Rechte vorbehalten. Mit den im U.S. Copyright Act von 1976 erlaubten Ausnahmen ist es nicht gestattet, jeglichen Teil dieser Publikation in jeglicher Form oder über jegliche Mittel ohne die vorherige Erlaubnis des Autors zu vervielfältigen, verteilen oder übertragen, oder in einer Datenbank oder einem Abrufsystem zu speichern.

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KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

"Das Haupt liegt übel, das eine Krone trägt." 

—William Shakespeare

KAPITEL EINS

Der Junge stand auf der höchsten Kuppe in den Tieflanden des Westlichen Königreichs des Rings, blickte nach Norden und betrachtete die erste der aufgehenden Sonnen. Soweit sein Auge reichte, erstreckten sich sanfte grüne Hügel wie Kamelhöcker, ein Auf und Ab von Tälern und Gipfeln. Das gebrannte Orange der Strahlen der ersten Sonne hing glitzernd im morgentlichen Nebel und verlieh dem Licht einen Zauber, der zur Stimmung des Jungen passte. Selten nur wachte er so früh auf oder wagte sich so weit von zu Hause fort, und niemals stieg er so hoch hinauf—er wusste, dass es den Zorn seines Vaters hervorrufen würde. Doch an diesem Tag kümmerte ihn das nicht. An diesem Tag missachtete er die Million an Regeln und Aufgaben, die ihn Zeit seiner vierzehn Jahre schon tyrannisierten. Denn dieser Tag war anders: es war der Tag, an dem sein Schickal angekommen war.

Der Junge—Thorgrin aus dem Westlichen Königreich der Südprovinz des Clan McLeod—und jenen, die er gern hatte, einfach als Thor bekannt—der Jüngste von vier Söhnen und am wenigsten vom Vater geliebt, war in Erwartung dieses Tages die ganze Nacht wach geblieben. Unruhig und schläfrig hatte er sich im Bett herumgeworfen, gewartet, und die erste Sonne beschworen, endlich aufzugehen. Denn ein Tag wie dieser kam nur einmal alle paar Jahre, und wenn er ihn verpasste, würde er für den Rest seiner Tage in diesem Dorf feststecken, dazu verdammt, die Schafherde seines Vaters zu hüten. Dieser Gedanke war ihm unerträglich.

Konskriptionstag. Es war der eine Tag, an dem die königliche Armee zur Anwerbung in die Provinzen ging und Freiwillige für die königliche Legion von Hand auswählte. Solange er schon lebte, hatte Thor von nichts anderem geträumt. Für ihn war nur eins im Leben von Bedeutung: den Silbernen anzugehören, dem königlichen Elitetrupp von Rittern, die mit dem feinsten Rüstzeug und den erlesensten Waffen in den gesamten Landen der zwei Königreiche ausgestattet waren. Und den Silbernen konnte man nicht angehören, ohne sich zuerst der Legion anzuschließen, der Kompanie von Knappen im Alter von vierzehn bis neunzehn Jahren. Und wenn man nicht gerade der Sohn eines Adeligen war, oder der eines ruhmreichen Kriegers, dann gab es keinen anderen Weg, sich der Legion anzuschließen.

Konskriptionstag war die einzige Ausnahme—ein rares Ereignis alle paar Jahre, wenn der Legion die Männer ausgingen und des Königs Mannen die Lande auf der Suche nach neuen Rekruten bereisten. Es war allseits bekannt, dass nur wenige aus dem einfachen Volk gewählt wurden—und dass noch weniger davon es bis in die Legion schafften.

Thor stand da, sein Blick auf den Horizont fixiert, auf der Suche nach dem kleinsten Anzeichen von Bewegung. Die Silbernen, wusste er, mussten über diese Straße kommen—es war die einzige Straße, die in sein Dorf führte—und er wollte der Erste sein, der sie erblickte.  Um ihn herum protestierte seine Schafherde; ein Chor an nervtötenden Grunzern erhob sich, die Tiere wollten ihn dazu drängen, sie wieder den Berg hinunter zu führen, wo das Gras saftiger war. Er versuchte, den Lärm und den Gestank nicht zu beachten. Er musste sich konzentrieren.

Was all dies für ihn erträglich gemacht hatte, all die Jahre des Schafehütens, in denen er der der Lakai seines Vaters und seiner älteren Brüder gewesen war, in denen ihm stets die wenigste Liebe und die meiste Arbeit zugeteilt wurde, war der Gedanke, dass er eines Tages diesen Ort verlassen würde. Eines Tages, wenn die Silbernen kamen, würde er alle verblüffen, die ihn unterschätzt hatten, und würde ausgewählt werden. Mit einer zügigen Bewegung würde er sich auf ihre Kutsche schwingen und all dem hier Lebewohl sagen.

Thors Vater hatte ihn natürlich nie ernsthaft als einen Kandidaten für die Legion betrachtet - im Grunde hatte er ihn nie als einen Kandidaten für irgendetwas betrachtet. Stattdessen schenkte sein Vater seine Liebe und Aufmerksamkeit Thors älteren drei Brüdern. Der Älteste war neunzehn und die anderen kamen in jeweils einem Jahr Abstand, womit Thor gute drei Jahre jünger als alle anderen war. Ob es nun daran lag, dass sie im Alter näher zusammen lagen, oder daran, dass sie einander alle ähnelten und Thor ihnen nicht im Geringsten ähnlich sah—die drei hielten fest zusammen und nahmen Thors Existenz nur am Rande wahr.

Schlimmer noch, sie waren größer und breiter und stärker als er, und Thor, der wusste, dass er selbst nicht klein war, fühlte sich neben ihnen dennoch winzig, und seine muskulösen Beine schienen schwächlich verglichen mit ihren Eichenfass-Stampfern.  Sein Vater machte keine Anstalten, irgendetwas davon rauszugleichen—tatsächlich schien es ihm sogar zu gefallen—und überließ Thor das Hüten der Schafe und Schärfen der Waffen, während es seinen Brüdern überlassen war, zu trainieren. Es wurde nie ausgesprochen, aber immer so verstanden, dass Thor sein Leben in der Reserve verbringen würde; gezwungen, seinen Brüdern dabei zuzusehen, wie sie Großes erreichen. Sein Schicksal, wenn es nach seinem Vater und seinen Brüdern ginge, wäre es, hier in diesem Dorf festzustecken und seiner Familie gerade die Hilfsarbeit zu bieten, die sie verlangte.

Schlimmer noch war, dass Thor spürte, wie seine Brüder ihn widersprüchlicherweise als Bedrohung empfanden, ihn sogar hassten. Thor konnte es in jedem ihrer Blicke sehen, in jeder Geste. Er verstand nicht, wie, aber er erregte etwas wie Angst oder Eifersucht in ihnen. Vielleicht lag es daran, dass er anders war als sie, nicht wie sie aussah oder mit den gleichen Manieren sprach wie sie; er kleidete sich nicht einmal wie sie, da sein Vater das Beste—die purpurnen und scharlachroten Roben, die vergoldeten Waffen—für seine Brüder zurückhielt, während für Thor die gröbsten Lumpen als Kleidung übrig blieben.

Dennoch machte Thor das Beste aus dem, was er hatte. Er fand Wege, seine Kleidung passend zu machen, band sein Hemd mit einem Tuch um seine Mitte und schnitt sich jetzt im Sommer die Ärmel ab, damit seine straffen Arme von der Luft umschmeichelt werden konnten. Zum Hemd passten Hosen aus grobem Leinen—sein einziges Paar—und Stiefel aus dem schlechtesten Leder, die er am Schienbein hochschnürte. Sie waren kaum mit dem Leder der Schuhe seiner Brüder zu vergleichen, aber er machte das Beste daraus. Er trug die typische Uniform eines Hirten.

Nur zeigte er ansonsten kaum die typisch Statur. Thor war groß und schlank; mit kräftigem Kiefer, einer edlen Kinn-Linie, hohen Wangenknochen und grauen Augen stand er da wie ein verlorener Krieger. Sein seidiges braunes Haar fiel in Wellen von seinem Kopf; es reichte ihm bis knapp unter die Ohren. Dahinter glitzerten seine Augen wie kleine Fische im Sonnenlicht.

Thors Brüder würden an diesem Morgen lange schlafen dürfen, eine herzhafte Mahlzeit vorgesetzt bekommen und mit den feinsten Waffen und dem Segen des Vaters zur Auswahl geschickt werden—während es ihm sogar verboten war, überhaupt teilzunehmen. Einmal hatte er versucht, das Thema seinem Vater gegenüber zur Sprache zu bringen. Es lief nicht gut. Sein Vater hatte die Unterhaltung kurz angebunden für beendet erklärt, und er hat es kein zweites Mal versucht. Es war einfach nicht gerecht.

Thor war entschlossen, das Schicksal zu verweigern, das sein Vater für ihn im Sinn hatte: beim ersten Anzeichen des königlichen Zuges würde er zum Haus zurückrennen, seinen Vater konfrontieren, und ob der es wollte oder nicht sich des Königs Mannen präsentieren. Er würde sich zur Auswahl stellen, genau wie die anderen. Sein Vater würde ihn nicht abhalten können. Beim Gedanken daran fühlte er einen Knoten in seinem Magen.

Die erste Sonne stieg höher, und als langsam die zweite Sonne in kühlem Grün aufging und einen helleren Schein auf den purpurnen Himmel warf, da konnte Thor sie sehen.

Er richtete sich auf; seine Haare sträubten sich, wie elektrisiert. Da am Horizont erschien die blasse Kontur einer Pferdekutsche, deren Räder Staub zum Himmel wirbelten. Sein Herz schlug schneller, als eine weitere sichtbar wurde; und dann noch eine. Sogar von der Ferne funkelten die goldenen Kutschen in den Sonnen wie Fische, die mit silbernem Rücken aus dem Wasser springen.

Als er zwölf von ihnen zählen konnte, hielt er es nicht länger aus. Mit pochendem Herzen in der Brust, zum ersten Mal in seinem Leben völlig auf seine Herde vergessend, drehte Thor sich um und stolperte den Hügel hinunter, fest entschlossen, sich von nichts aufhalten zu lassen, bis er sich präsentiert hatte.

*

Thor hielt kaum an, um Atem zu schöpfen, als er den Hügel hinab durch die Bäume raste. Er wurde von Zweigen zerkratzt, doch es kümmerte ihn nicht. Er kam zu einer Lichtung und konnte das Dorf sehen, wie es sich unter ihm erstreckte: ein schläfriges Städtchen am Land, vollgepackt mit einstöckigen Häuschen aus weißem Lehm mit strohgedeckten Dächern. Nicht mehr als einige Dutzend Familien waren darunter. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf, da die meisten von ihnen früh auf den Beinen waren und ihr Morgenmahl bereiteten. Es war ein idyllischer Ort, gerade weit genug—einen vollen Tagesritt—vom Königshof entfernt, um Durchreisende fernzuhalten. Nur eines unter vielen Bauerndörfern am Rande des Rings; eines von vielen Rädchen im Getriebe des Westlichen Königreichs.

Thor rannte das letzte Stück zum Dorfplatz, so schnell er konnte, und wirbelte die Erde hinter sich auf. Hühner und Hunde sprangen ihm aus dem Weg, und eine alte Frau, die vor ihrem Häuschen vor einem kochenden Wasserkessel saß, zischte ihn an.

"Langsam, Junge!" kreischte sie, als er vorbeiraste und eine Staubwolke in ihr Feuer wirbelte.

Aber Thor würde nicht langsamer werden—nicht für sie, nicht für irgendwen. Er bog in eine Seitenstraße ab, dann noch eine, und wand sich im Zick-Zack entlang des Weges, den er blind kannte, bis er zuhause angelangt war.

Es war eine kleine, unscheinbare Behausung, nicht anders als die anderen mit ihren weißen Lehmmauern und dem schrägen, strohgedeckten Dach. Wie die meisten hatte auch sie ein einziges Zimmer, das unterteilt war: sein Vater schlief auf der einen Seite, seinen drei Brüdern auf der anderen. Anders als die meisten hatte sie einen kleinen Hühnerstall hinten raus, und dies war das Exil, in das Thor zum Schlafen geschickt wurde. Anfangs hatte er sich mit seinen Brüdern ein Bett geteilt; doch mit der Zeit wurden sie größer und gemeiner und ausgrenzender, und ließen im demonstrativ immer weniger Platz. Zuerst war Thor noch verletzt, doch inzwischen genoss er sein eigenes Plätzchen und zog es vor, sich der Gegenwart der anderen fernzuhalten. Für ihn bestätigte es nur, dass sein Platz in dieser Familie im Exil war, wie er es immer schon gewusst hatte.

Thor lief auf seine Haustür zu und platzte hindurch, ohne anzuhalten.

"Vater!" rief er und schnappte nach Atem. "Die Silbernen! Sie kommen!"

Sein Vater und die drei Brüder saßen über den Frühstückstisch gebeugt, jetzt bereits in ihre feinsten Gewänder gekleidet. Bei seinen Worten sprang sie hoch und schossen an ihm vorbei, gegen seine Schulter stoßend auf ihrem eiligen Weg aus dem Haus und auf die Straße hinaus.

Thor folgte ihnen hinaus, und so standen sie alle da, Blick auf den Horizont gerichtet.

„Ich sehe niemanden“, antwortete Drake, der Älteste, in seiner tiefen Stimme. Mit den breitesten Schultern, das Haar kurz geschnitten wie seine Brüder, mit braunen Augen und dünnen, missbilligenden Lippen, blickte er mürrisch zu Thor hinunter, wie auch sonst immer.

„Ich auch nicht“, wiederholte Dross, nur ein Jahr jünger als Drake. Wie immer war er auf seiner Seite.

„Sie kommen!“, warf Thor zurück. „Ich schwörs!“

Sein Vater wandte sich zu ihm um und packte ihn kräftig an den Schultern.

„Und wie kannst du das wissen?“, forderte er.

„Ich habe sie gesehen.“

„Wie? Von wo?“

Thor zögerte; sein Vater hatte ihn ertappt. Natürlich wusste er, dass der einzige Ort, von dem aus Thor sie erblickt haben konnte, die Kuppe des Hügels war. Nun war Thor unsicher, was er sagen sollte.

„Ich... kletterte auf die Kuppe—“

„Mit der Herde? Du weißt, dass sie nicht so weit hinauf dürfen.“

„Aber heute war es doch etwas anderes. Ich musste einfach schauen.“

Sein Vater blickte ihn finster an.

„Lauf sofort hinein, hol die Schwerter deiner Brüder und poliere ihre Schwertscheiden, damit sie bestens aussehen, bevor des Königs Mannen hier sind.“

Sein Vater war mit ihm fertig und wandte sich wieder an die Brüder, die allesamt auf der Straße standen und Ausschau hielten.

„Meinst du, sie werden uns auswählen?“, fragte Durs, der Jüngste der drei, volle drei Jahre älter als Thor.

„Sie wären Narren, es nicht zu tun“, sagte sein Vater. „Dieses Jahr mangelte es ihnen an Mannen. Die Ausbeute war gering—ansonsten würden sie sich kaum hierher bemühen. Steht nur aufrecht, alle drei, Kinn hoch und Brust raus. Seht ihnen nicht direkt in die Augen, aber seht auch nicht weg. Seid stark und selbstbewusst. Zeigt keine Schwäche. Wenn ihr zur Legion des Königs gehören wollt, müsst ihr euch so verhalten, als wärt ihr bereits dabei.“

„Ja, Vater“, antworteten seine drei Jungs zugleich, und machten sich bereit.

Er wandte sich um und warf Thor einen stechenden Blick zu.

„Was tust du noch hier?“, fragte er. „Rein mit dir!“

Thor stand da, zerrissen. Er wollte seinem Vater gegenüber nicht ungehorsam sein, aber er musste mit ihm sprechen. Sein Herz raste, während er mit sich selbst rang. Er beschloss, es wäre am besten, zu gehorchen, die Schwerter zu bringen, und erst dann seinen Vater zu konfrontieren. Gleich mit Ungehorsam anzufangen, würde nicht hilfreich sein.

Thor rannte ins Haus, durch die Hintertüre hinaus, und weiter zum Waffenverschlag. Er fand die drei Schwerter seiner Brüder, jedes einzelne ein Objekt reinster Schönheit, gekrönt mit den feinsten Silbergriffen; wertvolle Geschenke, für die sich der Vater jahrelang abgerackert hatte. Er griff sich alle drei, wie immer überrascht von ihrem Gewicht, und lief mit ihnen zurück durchs Haus.

Er hastete zu seinen Brüdern, überreichte jedem von ihnen sein Schwert, und wandte sich dann an seinen Vater.

„Wie, ohne Polieren?“, sagte Drake.

Sein Vater drehte sich missbilligend zu ihm um, doch bevor er etwas sagen konnte, fing Thor zu sprechen an.

„Vater, bitte. Ich muss mit dir sprechen!“

„Ich sagte, polier—“

„Bitte, Vater!“

Sein Vater funkelte ihn an, mit sich selbst ringend. Er muss die Ernsthaftigkeit in Thors Gesicht erkannt haben, denn schließlich sagte er, „Nun?“

„Ich möchte mich melden. Mit den anderen. Zur Legion.“

Das Gelächter seiner Brüder erhob sich hinter ihm, und brennendes Rot fuhr ihm ins Gesicht.

Doch sein Vater lachte nicht; im Gegenteil, seine Mundwinkel verzogen sich noch weiter nach unten.

„Ist das so?“, fragte er.

Thor nickte energisch.

„Ich bin vierzehn. Ich bin berechtigt.“

„Vierzehn ist die Grenze“, warf ihm Drake abfällig über die Schulter zu. „Wenn Sie dich nehmen, wärst du der Jüngste. Meinst du wirklich, sie nehmen dich anstelle von jemandem wie mir, fünf Jahre über dir?“

„Du bist unverschämt“, sagte Durs. „Warst du schon immer.“

Thor drehte sich zu ihnen um. „Euch habe ich nicht gefragt“, sagte er.

Er wandte sich zurück an seinen Vater, der immer noch stirnrunzelnd dastand.

„Vater, bitte“, sagte er. „Gib mir eine Chance. Mehr möchte ich gar nicht. Ich weiß, ich bin jung, aber ich werde mich beweisen, mit der Zeit.“

Sein Vater schüttelte den Kopf.

„Du bist kein Soldat, Junge. Du bist nicht wie deine Brüder. Du bist ein Hirte. Dein Leben ist hier. Bei mir. Du wirst deine Pflichten erfüllen, und zwar gut. Man sollte nicht zu hoch träumen. Nimm dein Leben an, wie es ist, und lerne, es zu lieben.“

Thor fühlte, wie sein Herz brach, und sein Leben vor seinen Augen in sich zusammenbrach.

Nein, dachte er. Das kann nicht sein.

„Aber, Vater—“

„Schweig!“, schrie der, so schrill, dass es die Luft durchschnitt. „Es reicht mir mit dir. Hier kommen sie. Aus dem Weg mit dir, und benimm dich besser, solange sie hier sind.“

Sein Vater trat vor und schob Thor mit einer Hand zur Seite, als wäre er ein Stück von etwas, das er lieber nicht sehen wollte. Seine bullige Handfläche brannte sich auf Thors Brust.

Ein großes Gerummel kam auf, und das Dorfvolk strömte aus seinen Häusern, um die Straßen zu säumen. Eine größer werdende Staubwolke kündigte den Zug an, und Augenblicke später waren sie angekommen, ein Dutzend Pferdekutschen mit einem Lärm wie Donnergrollen.

Sie zogen in die Stadt ein wie eine plötzliche Armee, und hielten nahe an Thors Zuhause an. Da standen ihre Pferde nun, tänzelnd, schnaubend. Die Staubwolke brauchte zu lange, um sich zu setzen, und Thor versuchte aufgeregt, einen Blick auf ihre Rüstungen, ihr Waffenzeug zu erheischen. Nie zuvor war er den Silbernen so nahe gestanden, und sein Herz pochte.

Der Soldat auf dem vordersten Pferd stieg von seinem Hengst ab. Da stand er, ein richtiger, tatsächlicher Mann der Silbernen, bedeckt mit einer schimmernden Kettenrüstung, ein Langschwert an seinem Gürtel. Dem Aussehen nach war er in seinen Dreißigern, ein wahrer Mann, Bartstoppeln im Gesicht, Narben auf der Wange, und eine vom Kampf gekrümmte Nase. Er war der gewichtigste Mann, den Thor je gesehen hatte, zweimal so breit wie die anderen, mit einem Gehabe, das klar machte: ich habe das Kommando.

Der Soldat sprang auf die Lehmstraße hinunter, seine Sporen rasselten, als er sich den in Reih und Glied stehenden Jungen näherte.

Das ganze Dorf rauf und runter standen dutzende Jungen, stramm stehend, voller Hoffnung. Den Silbernen anzugehören bedeutete ein Leben in Ehre, in Kampf, in Ansehen, in Ruhm—zusammen mit Land, Titel und Reichtümern. Es bedeutete die beste Braut, das erlesenste Land, ein Leben voll Pracht. Es bedeutete Ehre für deine Familie, und ein Eintritt in die Legion war der erste Schritt dazu.

Thor betrachtete die großen goldenen Kutschen, und ihm war klar, dass sie nur eine gewisse Anzahl Rekruten fassen konnten. Das Königreich war groß, und sie mussten noch viele Städte besuchen. Er schluckte, als ihn die Erkenntnis traf, dass seine Chancen noch weitaus geringer waren als gedacht. Er würde alle diese anderen Jungen schlagen müssen—viele darunter beträchtliche Kämpfer—zusammen mit seinen eigenen drei Brüdern. Sein Herz sank.

Thor konnte kaum atmen, als der Soldat schweigend an der Reihe der hoffnungsvollen Anwärter entlangschritt und sie in Augenschein nahm. Er begann am entfernten Ende der Straße und umkreiste sie langsam. Natürlich kannte Thor all die anderen Jungen. Er wusste auch, dass manche von ihnen insgeheim gar nicht ausgewählt werden wollten, auch wenn ihre Familien sie gerne fortschicken würden. Sie hatten Angst; sie würden keine guten Soldaten abgeben.

Thor empfand brennende Demütigung. Er fand, er hätte es verdient, ausgewählt zu werden, genauso sehr wie alle anderen. Nur weil seine Brüder älter und größer und stärker waren, hieß das noch lange nicht, dass er kein Recht hatte, dazustehen und ausgewählt zu werden. Er fühlte brennenden Hass auf seinen Vater, und platze fast aus seiner Haut, als der Soldat sich näherte.

Der Soldat blieb, zum ersten Mal überhaupt, vor seinen Brüdern stehen. Er begutachtete sie von Kopf bis Fuß und schien beeindruckt. Er streckte die Hand aus, packte eine ihrer Schwertscheiden und zerrte an ihr, als würde er testen, wie fest sie war.

Er begann zu lächeln.

„Du hast dein Schwert bisher noch nie im Kampf benutzt, nicht wahr?“, fragte er Drake.

Thor sah Drake zum ersten Mal in seinem Leben nervös werden. Er schluckte.

„Nein, mein Herr. Aber ich habe es schon viele Male im Training benutzt, und ich hoffe—“

„Im Training!“

Der Soldat brüllte vor Lachen und drehte sich zu den anderen Soldaten um, die mit einstimmten. Allesamt lachten Sie Drake ins Gesicht.

Drake lief brennrot an. Dies war das erste Mal, dass Thor Drake bloßgestellt erlebte—üblicherweise war es Drake, der andere bloßstellte.

„Nun, so werde ich unseren Feinden gewiss sagen, dass sie dich fürchten sollten—du, der du dein Schwert im Training schwingst!“

Die Gruppe Soldaten lachte erneut.

Danach wandte sich der Soldat an seine anderen Brüder.

„Drei Jungen vom gleichen Schlag“, sagte er, und rieb die Stoppeln an seinem Kinn. „Das kann nützlich sein. Ihr seid alle von guter Größe. Doch unerprobt. Ihr werdet sehr viel Unterricht brauchen, wenn ihr die Ausbildung bestehen wollt.“

Er hielt inne.

„Ich denke, wir könnten Platz für euch finden.“

Er deutete mit dem Kopf zur hintersten Kutsche.

„Rein mit euch, und zwar hurtig. Bevor ich es mir anders überlege.“

Die drei Brüder von Thor rannten freudestrahlend zur Kutsche.  Thor merkte, wie auch sein Vater vor Freude strahlte.

Er selbst blickte ihnen völlig geknickt hinterher.

Der Soldat drehte sich um und ging zum nächsten Haus weiter. Thor hielt es nicht länger aus.

„Hauptmann!“, rief er laut aus.

Sein Vater starrte ihn erbost an, aber Thor kümmerte das nicht länger.

Der Soldat blieb stehen, mit dem Rücken zu Thor, und drehte sich langsam um.

Thor machte zwei Schritte nach vorne, mit klopfendem Herzen, und streckte so weit er konnte seine Brust hinaus.

„Mich habt Ihr noch nicht begutachtet, Hauptmann“, sagte er.

Der Soldat blickte überrascht an Thor hoch und runter, als wäre er ein Witz.

„Ach, habe ich das nicht?“, fragte er und brach in Gelächter aus.

Auch seine Männer lachten schallend. Aber Thor war es egal. Dies war sein Augenblick. Jetzt oder nie.

„Ich möchte der Legion beitreten!“, sagte Thor.

Der Soldat drehte sich um und schritt auf Thor zu.

„Willst du das also?“

Er blickte amüsiert drein.

„Und hast du überhaupt schon dein vierzehntes Jahr erreicht?“

„Das habe ich, Hauptmann. Vor zwei Wochen.“

„Vor zwei Wochen!“

Der Soldat kreischte vor Lachen, wie auch die Männer hinter ihnen.

„Wenn das so ist, wird dein Anblick unsere Feinde bestimmt in Angst und Schrecken versetzen.“

Thor fühlte, wie er vor Schmach brannte. Er musste etwas tun. Er konnte nicht zulassen, dass es so endete. Der Soldat war bereits dabei, sich abzuwenden und wegzugehen—doch Thor konnte das nicht zulassen.

Thor trat vor und rief: „Hauptmann! Ihr macht einen Fehler!“

Ein entsetztes Raunen zog sich durch die Menge, als der Soldat stockte und sich langsam umdrehte.

Diesmal war sein Blick verärgert.

„Dummer Junge“, sagte sein Vater und packte Thor an der Schulter, „geh zurück ins Haus!“

„Das werde ich nicht!“, schrie Thor und schüttelte die Hand seines Vaters ab.

Der Soldat trat auf Thor zu, und sein Vater wich zurück.

„Weißt du, welche Strafe darauf steht, einen Silbernen zu beleidigen?“, fuhr ihn der Soldat an.

Thors Herz raste, aber er wusste, dass er jetzt nicht nachlassen konnte.

„Bitte verzeiht ihm, Hauptmann“, sagte sein Vater. „Er ist ein junges Kind, und—“

„Mit Euch rede ich nicht“, sagte der Soldat. Mit einem vernichtenden Blick zwang er Thors Vater, sich abzuwenden.

Der Soldat wandte sich zurück an Thor.

„Antworte mir!“, sagte er.

Thor schluckte, und brachte kein Wort heraus. So hatte er sich das in Gedanken nicht vorgestellt.

„Einen Silbernen zu beleidigen bedeutet, den König selbst zu beleidigen“, sagte Thor kleinlaut, brav die Passage aufsagend, die er auswendig gelernt hatte.

„Ja“, sagte der Soldat. „Was bedeutet, dass ich dir 40 Peitschenhiebe versetzen könnte, wenn ich wollte.“

„Ich wollte Euch keinesfalls beleidigen, Hauptmann“, sagte Thor. „Ich wollte bloß ausgewählt werden. Ich bitte Euch. Ich träume schon mein ganzes Leben davon. Bitte. Lasst mich zur Legion.“

Der Soldat stand da, und langsam wurde sein Blick sanfter. Nach einer langen Weile schüttelte er den Kopf.

„Du bist jung, Bursche. Du hast ein stolzes Herz. Aber du bist noch nicht soweit. Melde dich wieder, wenn du aus den Windeln bist.“

Mit diesen Worten wandte er sich um und stürmte davon, mit kaum einem Blick auf all die anderen Jungen. Schnell bestieg er sein Pferd.

Thor stand geknickt da und musste zusehen, wie der Zug sich in Bewegung setzte; so schnell sie gekommen waren, waren sie fort.

Das letzte, was Thor sah, waren seine Brüder, wie sie hinten in der letzten Kutsche saßen und zu ihm hinausblickten, missbilligend, spottend. Vor seinen Augen wurden sie davongekarrt, weg von hier, in ein besseres Leben.

Innen drin wollte Thor nur sterben.

Als sich um ihn herum die Aufregung langsam legte, zogen sich die Dorfbewohner in ihre Häuser zurück.

„Ist dir klar, wie dumm du da warst, närrischer Junge?“, fuhr Thors Vater ihn an und packte ihn an den Schultern. „Ist dir klar, dass du die Chancen deiner Brüder hättest zunichte machen können?“

Thor stieß seines Vaters Hände grob von sich weg, und sein Vater holte aus und schlug ihm den Handrücken quer übers Gesicht.

Thor fühlte den stechenden Schmerz und starrte seinen Vater wütend an. Zum allerersten Mal wollte ein Teil von ihm zurückschlagen. Aber er beherrschte sich.

„Und jetzt geh und hol mir meine Schafe zurück. Sofort! Und wenn du wieder da bist, erwarte bloß keine Mahlzeit von mir. Du wirst deine Mahlzeit heute Abend auslassen und darüber nachdenken, was du getan hast.“

„Vielleicht komme ich erst gar nicht zurück!“, schrie Thor, als er sich umdrehte und davonstürmte, weg von zuhause, in die Hügel.

„Thor!“, schrie sein Vater, und einige Dorfbewohner blieben stehen und schauten.

Thor fing zu laufen an, dann zu rennen—er wollte so weit wie es nur irgendwie ging von diesem Ort weg. Ihm fiel kaum auf, dass er weinte, sein Gesicht von Tränen überflutet wurde, nun, da jeder Traum, den er je gehabt hatte, in Scherben lag.

KAPITEL ZWEI

Thor wanderte stundenlang in den Hügeln herum, brodelnd vor Wut, bis er schließlich einen Hügel fand, auf dem er sich, Hände über den Beinen verschränkt, hinsetzte und auf den Horizont hinaus blickte. Er sah zu, wie die Kutschen verschwanden, während die Staubwolken noch stundenlang in der Luft hängen blieben.

Ein weiteres Mal würden sie nicht hierher kommen. Er war also dazu bestimmt, hier in diesem Dorf zu bleiben und noch viele Jahre auf eine neue Chance zu warten—falls sie überhaupt je wiederkommen würden. Falls sein Vater es je erlauben würde. Jetzt war er mit seinem Vater alleine im Haus, und sein Vater würde seinen Unmut mit Gewissheit in vollem Umfang an ihm auslassen. Er würde weiterhin der Lakai seines Vaters bleiben, die Jahre würden vergehen, und er würde genauso enden wie er, hier festsitzen, ein unbedeutendes Leben mit niederer Arbeit verbringen—während seine Brüder Ruhm und Ehre erwarben. Er brannte innerlich vor Empörung über diese gesamte Angelegenheit: das war nicht das Leben, das für ihn bestimmt war. Das wusste er einfach.

Thor zermarterte sich das Hirn nach Ideen, was er tun könnte; irgendeinen Weg, die Dinge zu ändern. Aber da war nichts. Dies waren die Karten, die ihm das Leben zugespielt hatte.

Nach stundenlangem Dasitzen gab er sich schließlich geschlagen, stand auf und bahnte sich seinen Weg zurück über die vertrauten Hügel, höher und höher hinauf. Unweigerlich zog es ihn zu seiner Schafherde zurück auf die hohe Kuppe. Während er so wanderte, sank die erste Sonne im Himmel tiefer und die zweite erreichte ihren höchsten Punkt, einen grünlichen Schimmer über die Landschaft legend. Thor spazierte ohne Eile dahin. Gedankenverloren zog er seine Steinschleuder von der Hüfte, deren Ledergriff durch jahrelangen Gebrauch gut abgegriffen war. Er langte in den Beutel, den er an der Hüfte trug, und fühlte sich durch seine Sammlung von Steinen, einer glatter als der andere, von den feinsten Bachufern von Hand verlesen. Manchmal schoss er auf Vögel, manchmal auf Nagetiere. Es war eine Angewohnheit, die ihm über die Jahre in Fleisch und Blut übergegangen war. Zu Beginn hatte er noch an allem vorbeigeschossen. Dann traf er erstmals ein bewegtes Ziel; seitdem hatte er nie wieder ein Ziel verfehlt. Das Schießen mit der Steinschleuder war inzwischen zu einem Teil von ihm geworden—und es half ihm, etwas von seiner Wut abzubauen. Seine Brüder konnten vielleicht mit einem Schwerthieb einen Baumstamm durchschlagen—aber sie würden niemals einen Vogel im Flug mit einem Stein erwischen.

Gedankenlos legte Thor einen Stein in die Schleuder, zog mit all seiner Kraft und schoss, während er sich in Gedanken ausmalte, er würde ihn auf seinen Vater schleudern. Er traf den Ast eines weit entfernten Baumes und brach ihn sauber ab. Seit er einmal festgestellt hatte, dass seine Schüsse auf sich bewegende Tiere diese töten konnten, zielte er nicht mehr auf Lebewesen, erschrocken vor seiner eigenen Kraft und nicht gewillt, Leid zuzufügen; nun waren Äste seine Opfer. Außer natürlich, ein Fuchs hatte es auf seine Herde abgesehen; auf Dauer hatten sie gelernt, sich fernzuhalten. Thors Schafe waren demnach die sichersten im Dorf.

Thor dachte an seine Brüder, wo sie wohl gerade waren, und brodelte. Nach einem Tagesritt würden sie in Königshof angekommen sein. Er konnte es sich bildlich vorstellen. Er sah sie vor sich, wie sie unter großer Fanfare ankamen, von Leuten in ihren feinsten Kleidern begrüßt wurden. Von Kriegern; Silbernen. Sie würden eingeschrieben werden, einen Schlafplatz in der Legionskaserne zugewiesen bekommen, einen Trainingsplatz in den Feldern des Königs, die feinsten Waffen. Jeder von ihnen würde einem berühmten Ritter als Knappe zugewiesen werden. Eines Tages würden sie selbst Ritter sein, ihr eigenes Pferd erhalten, ihr eigenes Wappen, und selbst Knappen haben. Sie würden an allen Festivitäten teilnehmen und an der Tafel des Königs speisen. Es war ein Leben wie aus einem Traum. Und es war ihm durch die Finger geglitten.

Thor wurde richtig schlecht, und er zwang sich, nicht mehr an all das zu denken. Aber es gelang ihm nicht. Ein Teil von ihm, ganz tief vergraben, schrie ihm unentwegt zu. Er befahl ihm, nicht aufzugeben; bestand darauf, dass er ein höheres Schicksal hatte als das hier. Er wusste zwar nicht, was genau es sein sollte, aber er wusste: hier war es nicht. Er konnte spüren, dass er anders war. Vielleicht sogar etwas Besonderes. Dass niemand ihn verstand. Und dass sie alle ihn unterschätzten.

Thor erreichte die höchste Kuppe und konnte seine Herde sehen. Gut erzogen, wie sie waren, standen sie immer noch alle beieinander, zufrieden an jedem Grashalm kauend, den sie finden konnten. Er zählte sie durch, nach den roten Markierungen Ausschau haltend, die er auf ihren Rücken angebracht hatte. Als er fertig war, erstarrte er. Ein Schaf fehlte.

Er zählte noch einmal durch, und noch einmal. Er konnte es nicht glauben: eines war verschwunden.

Thor hatte noch nie ein Schaf verloren, und sein Vater würde ihn diesen Vorfall nie vergessen lassen. Schlimmer noch, er konnte den Gedanken daran nicht ausstehen, dass eines seiner Schafe alleine und verlassen der Wildnis ausgesetzt war. Er ertrug es nicht, unschuldige Wesen jeder Art leiden zu sehen.

Thor eilte auf den höchsten Punkt der Kuppe und suchte den Horizont ab, bis er es weitab, einige Hügel entfernt sehen konnte: das verlorene Schaf mit der roten Markierung am Rücken. Es war das Wilde in der Herde. Sein Herz sank, als er feststellte, dass das Schaf nicht nur davongelaufen, sondern ausgerechnet nach Westen gelaufen war, Richtung Schattwald.

Thor schluckte. Schattwald war verboten—nicht nur für Schafe, sondern für Menschen. Es lag außerhalb der Dorfgrenze, und solange er schon laufen konnte, wusste Thor, dass er dort nicht hin durfte. Daran hatte er sich auch gehalten. Legenden besagten, dass es den sicheren Tod bedeuten würde, dort hinzugehen, in die Wälder ohne markierte Pfade und voller wilder Tiere.

Thor blickte zum Himmel hinauf, der bereits dämmrig wurde, und rang mit sich selbst. Er konnte sein Schaf nicht im Stich lassen. Er glaubte, wenn er schnell wäre, könnte er es noch rechtzeitig zurückholen.

Nach einem letzten Blick zurück fuhr er herum und verfiel in einen schnellen Lauf Richtung Westen, nach Schattwald, über dem sich dichte Wolken zusammenzogen. Er hatte ein ungutes Gefühl, doch seine Beine trugen ihn scheinbar wie von selbst. Er spürte, dass es kein Zurück mehr gab, selbst wenn er gewollt hätte.

Es war, als würde er in einen Alptraum hineinlaufen.

*

Thor preschte ohne zu zögern die Hügelkette hinunter, unter das dichte Blätterdach von Schattwald hinein. Der Pfad endete, wo der Wald begann, und er betrat unmarkiertes Gebiet. Sommerblätter knirschten unter seinen Füßen.

Von dem Moment an, als er den Wald betrat, war er in Dunkelheit gehüllt; das Licht verschleiert von den Fichten, die hoch über ihn aufragten. Es war hier drin auch kälter, und als er über die Grenze trat, fühlte er ein Frösteln. Es kam nicht nur von der Dunkelheit oder der Kälte—es kam von etwas anderem. Etwas, das er nicht benennen konnte. Es war ein Gefühl, als würde er...beobachtet werden.

Thor blickte hinauf zu den uralten Ästen, knorrig, dicker als er selbst, die sich im Wind bewegten und ächzten. Er hatte kaum fünfzig Schritte in den Wald hinein getan, als er sonderbare Tierlaute hörte. Er drehte sich zurück und konnte kaum die Stelle erkennen, an der er hereingekommen war; er fühlte sich jetzt schon, als würde es keinen Weg hinaus geben. Er zögerte.

Schattwald lag immer schon am äußersten Rand des Dorfes, aber ebenso am äußersten Rand von Thors Bewusstsein, als etwas Tiefes, Geheimnisvolles. Kein Hirte, der je ein Schaf an den Wald verloren hatte, hatte es je gewagt, ihm nachzugehen. Auch nicht sein Vater. Die Geschichten über diesen Ort waren zu dunkel, zu beständig.

Aber irgendetwas war an diesem Tag anders; brachte Thor dazu, dass es ihn nicht mehr bekümmerte, dass er die Vorsicht in den Wind schoss. Ein Teil von ihm wollte Grenzen austesten, so weit von zuhause fortgehen wie möglich, und es zulassen, dass das Leben ihn hinführte, wo es wollte.

Er wagte sich weiter vor, dann hielt er an, unsicher, wohin er gehen musste. Er fand geknickte Zweige—Anzeichen dafür, dass sein Schaf hier vorbeigekommen sein musste—und er folgte dieser Richtung. Nach einer Weile wechselte er die Richtung erneut.

Bevor eine Stunde vergangen war, hatte er sich hoffnungslos verlaufen. Er versuchte, die Richtung zu finden, aus der er gekommen war—aber er war sich nicht mehr sicher. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, doch seiner Ansicht nach gab es nur einen Weg hier raus, und zwar vorwärts; und so zog er weiter.

In der Ferne erblickte Thor eine Säule aus Sonnenlicht und bahnte sich einen Weg darauf zu. Er fand sich vor einer kleinen Lichtung wieder und blieb an ihrem Rande wie angewurzelt stehen: Er konnte nicht glauben, was er da vor sich sah.

Da, mit dem Rücken zu Thor, in eine lange, blaue Robe aus Satin gehüllt, stand ein Mann. Nein—kein Mann, das konnte Thor von weitem spüren. Er war etwas anderes. Ein Druide vielleicht. Er stand groß und aufrecht da, den Kopf mit einer Kapuze bedeckt, völlig still, als würde ihn nichts in der Welt bekümmern.

Thor stand da und wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte von Druiden gehört, aber noch nie war er einem begegnet. Den Verzierungen an seiner Robe, den aufwändig gearbeiteten goldenen Bordüren zufolge, war dies kein einfacher Druide: dies waren königliche Abzeichen. Vom Hof des Königs selbst. Thor konnte es nicht begreifen. Was machte ein königlicher Druide hier?

Nach einer gefühlten Ewigkeit drehte sich der Druide langsam um und sah ihn an, und Thor erkannte das Gesicht sofort. Es verschlug ihm den Atem. Dies war eines der bekanntesten Gesichter im Königreich: der Leibdruide des Königs. Argon, seit Jahrhunderten schon Ratgeber der Könige des Westlichen Königreichs. Was er hier, weitab vom königlichen Hof, mitten in Schattwald suchte, war ein Rätsel. Thor fragte sich, ob er es sich nur einbildete.

„Deine Augen täuschen dich nicht“, sprach Argon, seinen festen Blick direkt auf Thor gerichtet.

Seine Stimme war tief, uralt, als ob die Bäume selbst sprechen würden. Seine großen, durchscheinenden Augen schienen Thor zu durchleuchten, ihn zu messen. Er fühlte eine immense Energie von ihm ausgehen—als würde er im Angesicht der Sonne stehen.

Thor fiel sofort auf ein Knie und beugte den Kopf.

„Mein Herr“, sagte er. „Es tut mir leid, Euch gestört zu haben.“

Ein Mangel an Respekt gegenüber einem königlichen Ratgeber würde zu Gefangenschaft oder Tod führen. Das war Thor von Geburt an eingeschärft worden.

„Steh auf, Kind“, sprach Argon. „Wenn ich wollte, dass du kniest, hätte ich es dir gesagt.“

Thor stand langsam auf und blickte ihn an. Argon trat einige Schritte näher. Er stand da und starrte ihn an, bis es Thor langsam unangenehm wurde.

„Du hast die Augen deiner Mutter“, sprach Argon.

Das traf Thor unvorbereitet. Er hatte seine Mutter nie kennengelernt und war außer seinem Vater nie jemandem begegnet, der sie gekannt hatte. Man hatte ihm gesagt, sie wäre bei seiner Geburt gestorben; etwas, wofür Thor sich stets schuldig gefühlt hatte. Er hatte immer den Verdacht gehabt, dass dies der Grund war, warum seine Familie ihn nicht leiden konnte.

„Ihr müsst mich mit jemandem verwechseln“, sagte Thor. „Ich habe keine Mutter.“

„Hast du nicht?“, fragte Argon lächelnd. „Du wurdest von einem Mann allein zur Welt gebracht?“

„Ich wollte sagen, Herr, dass meine Mutter bei der Geburt starb. Ich denke, Ihr verwechselt mich.“

„Du bist Thorgrin vom Clan der McLeod. Der Jüngste von vier Brüdern. Der eine, der nicht ausgewählt wurde.“

Thors Augen öffneten sich weit. Er wusste kaum, was er davon halten sollte. Dass jemand von Argons Stand wissen konnte, wer er war—das war mehr, als er begreifen konnte. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass ihn irgendjemand außerhalb des Dorfs kannte.

„Woher...wisst Ihr das?“

Argon lächelte zurück, antwortete aber nicht.

Thor war plötzlich von Neugier erfüllt.

„Woher...“, fügte Thor hinzu, nach Worten ringend, „...woher kennt Ihr meine Mutter? Kanntet Ihr sie? Wer war sie?“

Argon wandte sich ab und ging davon.

„Fragen für ein andermal“, sprach er.

Thor sah ihm verwirrt nach. Es war eine äußerst verwirrende und rätselhafte Begegnung, und alles ging so schnell. Er beschloss, dass er Argon nicht einfach gehen lassen konnte, und eilte ihm nach.

„Was macht Ihr hier?“, fragte Thor, ihm nacheilend. Argon bewegte sich mit seinem Stab, einem uralten Ding aus Elfenbein, trügerisch schnell. „Ihr habt doch bestimmt nicht auf mich gewartet, oder?“

„Auf wen sonst?“, frage Argon.

Thor musste sich beeilen, mit ihm mitzuhalten, und folgte ihm in den Wald hinein, die Lichtung hinter sich zurücklassend.

„Aber warum ich? Woher wusstet Ihr, dass ich hier sein würde? Was wünscht Ihr von mir?“

„So viele Fragen“, sprach Argon. „Du füllst die Luft. Du solltest lieber zuhören.“

Thor folgte ihm, während sie weiter durch den dichten Wald zogen, und tat sein Bestes, still zu bleiben.

„Du kommst auf der Suche nach einem verlorenen Schaf hierher“, stellte Argon fest. „Ein edles Vorhaben. Doch du verschwendest deine Zeit. Sie wird nicht überleben.“

Thors Augen öffneten sich weit.

„Woher wisst Ihr das?“

„Ich kenne Welten, die du niemals kennen wirst, Junge. Zumindest jetzt noch nicht.“

Thor wunderte sich, während er ihm hinterher wanderte.

„Doch du willst nicht zuhören. Das ist deine Natur. Dickköpfig. Wie deine Mutter. Du wirst deinem Schaf nachgehen, fest entschlossen, sie zu retten.“

Thor errötete darüber, wie Argon seine Gedanken las.

„Du bist ein temperamentvoller Junge“, fügte er hinzu. „Willensstark. Zu stolz. Positive Züge. Doch eines Tages könnten sie dein Untergang sein.“

Argon stieg langsam eine moosbedeckte Anhöhe hinauf, Thor hinterher.

„Du möchtest der Legion des Königs beitreten“, sprach Argon.

„Ja!“, antwortete Thor aufgeregt. „Gibt es irgendeinen Weg für mich? Könnt Ihr das ermöglichen?“

Argon lachte, ein tiefer, hohler Laut, der Thor einen Schauer über den Rücken jagte.

„Ich kann alles und nichts ermöglichen. Dein Schicksal ist bereits geschrieben. Doch liegt es an dir, es zu wählen.“

Thor verstand nicht.

Sie erreichten den Gipfel der Anhöhe, und als sie oben waren, blieb Argon stehen und sah ihn an. Thor stand nur wenige Fuß entfernt, und Argons Energie brannte durch ihn.

„Dein Schicksal ist von Bedeutung“, sprach er. „Gib es nicht auf“.

Thors Augen weiteten sich. Sein Schicksal? Von Bedeutung? Er fühlte, wie ihn eine Welle an Stolz ergriff.

„Ich verstehe nicht. Ihr sprecht in Rätseln. Ich bitte Euch, erzählt mir mehr.“

Plötzlich war Argon verschwunden.

Thor konnte es kaum glauben. Er blickte sich in alle Richtungen um, horchte, wunderte sich. Hatte er sich das alles nur eingebildet? War es eine Art Trugbild?

Thor drehte sich herum und untersuchte den Wald; von seinem Blickpunkt oben auf der Anhöhe aus konnte er weiter sehen als zuvor. Während er sich umsah, bemerkte er Bewegung in der Ferne. Er hörte ein Geräusch und war sich sicher, dass es sein Schaf war.

Er stolperte die moosbewachsene Anhöhe hinunter und eilte in Richtung des Geräuschs, zurück durch den Wald. Während er lief, konnte er seine Begegnung mit Argon nicht abschütteln. Er konnte kaum begreifen, dass sie stattgefunden hatte. Was machte der Druide des Königs ausgerechnet an diesem Ort? Er hatte auf ihn gewartet. Aber warum? Und was hatte er gemeint, sein Schicksal?

Je mehr Thor versuchte, es zu entwirren, umso weniger verstand er es. Argon hatte ihn einerseits gewarnt, nicht weiterzugehen, und ihn zugleich verleitet, es doch zu tun. Während er lief, spürte Thor eine wachsende Vorahnung, als ob etwas Bedeutungsschweres bevorstehen würde.

Er bog um einen Baum und blieb wie erstarrt stehen, als er den Anblick vor ihm sah. Seine schlimmsten Alpträume wurden in einem einzigen Augenblick bestätigt. Die Haare standen ihm zu Berge und ihm wurde klar, dass es ein schwerer Fehler gewesen war, so tief nach Schattwald vorzudringen.

Ihm gegenüber, gerade dreißig Schritte entfernt, stand ein Sybold. Schwerfällig, muskelbepackt, auf allen Vieren beinahe so groß wie ein Pferd, war dies das meistgefürchtete Tier in Schattwald, wenn nicht gar im gesamten Königreich. Thor hatte noch nie einen gesehen, aber die Legenden hatte er gehört. Er ähnelte einem Löwen, war jedoch größer, breiter, sein Fell ein tiefes Scharlachrot und seine Augen leuchtend gelb. Der Legende nach kam seine scharlachrote Farbe vom Blut unschuldiger Kinder.

Thor hatte in seinem Leben erst von wenigen Sichtungen dieses Ungeheuers gehört, und selbst die wurden nicht als besonders glaubwürdig angesehen. Das lag wohl daran, dass niemand je eine Begegnung tatsächlich überlebt hatte. Manche betrachteten den Sybold als den Gott der Wälder, und als ein Omen. Wofür er ein Omen sein sollte, davon hatte Thor keine Ahnung.

Er machte einen vorsichtigen Schritt zurück.

Der Sybold stand da, sein riesiges Maul halb geöffnet; von seinen Fangzähnen tropfte der Speichel, und er starrte Thor mit seinen gelben Augen an. In seinem Maul hing, schreiend und mit baumelndem Kopf, Thors verlorenes Schaf, sein Körper zur Hälfte von den Fangzähnen durchstoßen. Es war so gut wie tot. Der Sybald schien das Töten seiner Beute zu genießen, ließ sich Zeit; es schien, als würde es ihm Spaß machen, es zu quälen.

Thor konnte die Schreie nicht ertragen. Das Schaf zappelte hilflos herum, und er fühlte sich verantwortlich.

Thors erster Impuls war, sich umzudrehen und davonzulaufen; doch er wusste jetzt schon, dass es aussichtslos war. Dieses Ungeheuer konnte alles einholen. Davonlaufen würde es bloß ermutigen. Und er konnte sein Schaf nicht auf diese Weise sterben lassen.

Er stand da, vor Angst halb gelähmt, und wusste, er musste irgendetwas unternehmen.

Seine Reflexe setzten ein. Langsam griff er in seinen Beutel, holte einen Stein heraus und legte ihn in die Schleuder. Mit zitternder Hand zog er an, machte einen Schritt nach vorne und schoss.

Der Stein segelte durch die Luft und traf sein Ziel. Der Schuss saß perfekt. Er traf das Schaf ins Auge und fuhr ihm direkt durchs Gehirn.

Das Schaf erschlaffte. Tot. Thor hatte diesem Tier sein Leiden erspart.

Der Sybold blickte erzürnt um sich, wütend, dass Thor sein Spielzeug getötet hatte. Langsam öffnete er seine immensen Kiefer und ließ das Schaf herausfallen. Mit einem dumpfen Schlag landete es am Waldboden. Dann richtete er seine Augen auf Thor.

Er knurrte, ein tiefer, bösartiger Laut, der aus seinem Bauch heraus grollte.

Als er langsam auf ihn zupirschte, legte Thor mit rasendem Herzen den nächsten Stein in seine Schleuder, holte aus, und bereitete den nächsten Schuss vor.

Der Sybold stürmte auf ihn zu, schneller als alles, was Thor in seinem Leben je gesehen hatte. Thor trat vor und schoss den Stein, betete, dass er treffen würde, wohl wissend, dass er keine Zeit für einen weiteren Schuss hätte, bevor das Tier ihn erreichte.

Der Stein traf das Ungeheuer genau ins rechte Auge und schlug es aus seinem Kopf. Es war ein grandioser Schuss; ein geringeres Tier hätte er in die Knie gezwungen.

Doch dies war kein geringeres Tier. Das Ungeheuer war nicht aufzuhalten. Es kreischte über die Verletzung, wurde aber nicht einmal langsamer. Auch mit nur einem Auge, auch mit einem Stein in seinem Gehirn, stürmte es ungebremst und blindwütig auf Thor zu. Es gab nichts, was Thor tun konnte.

Einen Augenblick später hatte ihn das Ungeheuer erreicht. Es holte mit seiner riesigen Klaue aus und zog sie ihm über die Schulter.

Thor schrie auf und fiel hin. Es fühlte sich an, als würden drei Messer durch sein Fleisch schneiden. Sofort quoll heißes Blut daraus hervor.

Das Ungeheuer drückte ihn mit allen Vieren zu Boden. Sein Gewicht war enorm, als würde ein Elefant auf seiner Brust stehen. Thor konnte spüren, wie sein Brustkorb zerdrückt wurde.

Das Ungeheuer warf den Kopf zurück, riss sein Maul weit auf, entblößte dabei seine Fangzähne und senkte sie langsam zu Thors Hals hinunter.

Während es näherkam, streckte Thor die Arme hoch und packte es am Hals; es war, als würde er reinsten Muskel packen. Thor konnte seinen Griff kaum halten. Als die Hauer sich immer näher senkten, fingen seine Arme zu zittern an. Er fühlte den heißen Atem im ganzen Gesicht, fühlte, wie Speichel auf seinen Hals tropfte. Ein Grollen ertönte tief aus der Brust des Tieres und brannte sich in Thors Ohren. Er wusste, er würde sterben.

Thor schloss die Augen.

Bitte, oh Gott. Gib mir Kraft. Hilf mir, diese Kreatur zu bekämpfen. Bitte. Ich flehe dich an. Ich tue alles, was du verlangst. Ich werde hoch in deiner Schuld stehen.

Und dann passierte etwas. Thor fühlte eine enorme Hitze in seinem Körper aufsteigen, durch seine Adern schießen, wie ein Kraftfeld, das ihn durchfloss. Er öffnete seine Augen und sah etwas Verblüffendes: aus seinen Handflächen strahlte ein gelbes Licht, und als er sie zurück in den Hals des Ungeheuers drückte, war er unglaublicherweise stark genug, es in Schach zu halten.

Thor drückte fester, bis er das Untier tatsächlich von sich drückte. Seine Kraft wuchs immer weiter und er fühlte sich wie eine Kanonenkugel aus Energie. Einen Augenblick später flog das Untier durch die Luft—Thor hatte es gute zehn Fuß weit geworfen. Es landete auf dem Rücken.

Thor setzte sich auf; er verstand nicht, was gerade passiert war.

Das Ungeheuer kam wieder auf die Beine. Blind vor Wut griff es erneut an—doch diesmal fühlte Thor sich verändert. Die Energie durchfloss ihn; er fühlte sich mächtiger, als er je zuvor gewesen war.

Als das Ungeheuer auf ihn springen wollte, ging Thor in die Hocke, packte es am Bauch und warf es mit seinem eigenen Schwung weiter.

Das Ungeheuer flog ein Stück durch den Wald, krachte gegen einen Baum und brach am Boden zusammen.

Thor blickte sich staunend um. Hatte er gerade einen Sybold geworfen?

Das Ungeheuer blinzelte zweimal, dann richtete es seinen Blick auf Thor. Es griff erneut an.

Diesmal packte Thor das Ungeheuer im Sprung an der Kehle. Beide gingen zu Boden, das Ungeheuer kam auf Thor zu liegen. Doch Thor rollte weiter, bis er auf dem Tier saß. Er hatte es fest am Hals gepackt, würgte es mit beiden Hände, während das Untier immer wieder versuchte, den Kopf zu heben und ihn mit seinen Fangzähnen zu erwischen. Es verfehlte ihn knapp. Thor, von neuer Kraft erfüllt, grub seine Hände fester in den Sybold-Hals und ließ nicht locker. Er ließ die Energie frei durch sich hindurchfließen. Und schon bald fühlte er sich wundersamerweise stärker als das Ungeheuer.

Er war auf dem besten Weg, den Sybold zu erwürgen. Schließlich erschlaffte das Ungeheuer.