Vermisst - Eva Frieko - E-Book

Vermisst E-Book

Eva Frieko

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Beschreibung

Täglich verschwinden Menschen. Spurlos. Sind sie alle Opfer oder auch Täter? Marisa ist verzweifelt. Ihr Freund Michael meldet sich nicht mehr. Hatte er auch mit dem Verschwinden ihrer wertvollen Goldmünzen zu tun? Die Carausius Münzen hatten einst einem Freund ihres Großvaters im Jahr 1938 das Leben gerettet. Und jetzt? Die Katastrophe vom 11. September ist zugleich der Tag, an dem sich die Spur von Michael verliert. War er das zweitausendsiebenhundertfünfzigste Opfer, oder nutzte er die Situation für sich, um wegen seiner Spielschulden unterzutauchen?

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Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Täglich verschwinden Menschen. Spurlos. Sind sie alle Opfer oder auch Täter? Marisa ist verzweifelt. Ihr Freund Michael meldet sich nicht mehr. Hatte er auch mit dem Verschwinden ihrer wertvollen Goldmünzen zu tun? Dieser Schatz aus der Zeit Carausius Marc Aurel hatte einst einem Freund ihres Großvaters im Jahr 1938 das Leben gerettet. Und jetzt? Die Katastrophe vom 11. September 2001 ist zugleich der Tag, an dem sich die Spur von Michael verliert. War er das zweitausendsiebenhundertfünfzigste Opfer? Nützte er die Situation für sich aus, um wegen seiner Spielschulden unter zu tauchen? Wie kann sie ihn finden, ohne seinen letzten Aufenthaltsort zu kennen? Kann Carlo, der Sicherheitsagent aus New York, Licht in das Dunkel bringen?

Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck der Reproduktion auch auszugsweise ist ohne schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt und bleiben dem Autor vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 1

„Michael, beeile dich, ich muss doch auch noch ins Badezimmer.“

Der Angesprochene verließ genervt diesen so begehrten kleinen Raum. Die hellblauen Kacheln und der Spiegel zeigten ein mürrisches Männerbild. Auch die Frische des Rasierwassers konnte die vergangene Nacht nicht verleugnen. Natürlich wusste er, dass es seine Schuld war, weshalb seine Geliebte drängelte. Er war ein Morgenmuffel, der das Bett in so früher Stunde ungern verließ.

„Michael, beeile dich!“

Wie sehr er diese Worte hasste. Er dachte an die vergangene Nacht, er war spät nach Hause gekommen, denn er hatte wieder einmal seine Situation nicht im Griff. Sein Trieb übermannte ihn ständig: das Glücksspiel. Spielen. Das Wort Spielen sagt schon aus, welche Lust er dabei empfindet. Es beginnt meist harmlos, leise wie prickelnder Champagner, der Druck wird stärker, härter, er will heraus, doch er ist gefangen und sucht drängend den befreienden Ausgang fast bis zur Besinnungslosigkeit, um dann, mit einem Knall überschäumend fließend, den Trieb gewähren zu lassen. Wenn die Kugel rollt, oder das Pokerspiel beginnt.

Aber wenn er, dem Höhepunkt nahe, auf die eine bestimmte Zahl setzt, ist er überzeugt vom Gewinn und verliert doch wieder. Zurück bleibt der schale Geruch von kaltem Zigarettenrauch und abgestandenem Bier. Kein Champagnerbad, kein Luxusauto, nur der Vorsatz: diesmal war es das letzte Mal, er wird nicht mehr spielen.

Ein grausiger Kater ist ihm heute am Samstag geblieben. Aber dieser Tag wäre sehr bedeutsam für ihn. Sein Ziel: Die USA, für fünf Wochen Chicago. Management-Weiterbildung um die Arbeitsweise hier in sein Programm in Europa zu übernehmen. Alles drehte sich um den Hauptsitz des Konzerns und dass sie ihn schickten, war ihm recht.

So konnte er ein wenig Abstand von seiner Freundin gewinnen. Die klammerte sich ohnehin zu sehr an ihn, andererseits war es sehr bequem und günstig, bei ihr zu sein und auch dort zu wohnen.

Seinen Eltern, die in der engen Kasernenwohnung hausten, hatte er sofort nach dem Militärdienst den Rücken gekehrt. Die Mietwohnung in Graz war auf die Dauer zu kostspielig. Seine Freizeit verbrachte er in der Wettkneipe oder im Casino der Innenstadt. Er war überzeugt, die Zahl elf, oder der Herzkönig würden ihn eines Tages zum reichen Mann machen.

Er wusste, in Amerika gab es noch viel bessere Möglichkeiten zu spielen, also dachte er voll Zuversicht an diese Reise. Seine Dienstreise betrachtete er als Sprungbrett seiner Karriere. Zusätzlich hoffte er beim Glücksspiel Dollars zu gewinnen, um sein zukünftiges Leben luxuriöser zu gestalten.

Seine Freundin Marisa ahnte natürlich nichts von seinem Doppelleben, für sie spielte er den aufstrebenden, tüchtigen Angestellten mit großer Zukunft: bieder und langweilig.

Marisa verließ gestresst das Badezimmer.“ Hast du deine Koffer parat, wir haben heute keine Zeit für Kaffee, vielleicht im Flughafen-Café, wenn wir rechtzeitig da sind.“

Ok, wir können los! Auf ins Vergnügen. Du scherzt, das wird harte Arbeit für dich Michael! Ja leider, du wirst mir auch fehlen.

Nun krochen beide im Auto hinter einer „Schnecken-Schlange“ durch die Stadt Graz. Fahr bitte etwas schneller Marisa, gib Gas. Wir erreichen mein Flugzeug nach Wien nicht, wenn du so schleichst.

Michael nervte am Beifahrersitz. Doch wenn sie die erlaubten 50 km/h überschritt, wer zahlte dann die Verkehrsstrafe? Überholen ging gar nicht. Ihr Lebensgefährte würde für die nächsten fünf Wochen nach Chicago zum Mutterkonzern zur Einschulung geschickt. Wenn sie Pech hatte, würde ihr als Abschiedsgeschenk der Führerscheinentzug drohen. Nein, Marisa erhöhte ihre Geschwindigkeit nicht. Wäre er früher aus dem Bett gekrochen, würden sie jetzt keinen Stress haben.

Es war doch immer dasselbe, auch wenn der Plabutschtunnel für Graz eine große Entlastung war. Gerade heute, wenn sie zum Flughafen nach Graz-Thalerhof musste, war dieser wegen Renovierungsarbeiten gesperrt. Es war zum Ausrasten! Wäre ihr lieber Michael früher aufgestanden, könnten sie gemütlich noch vorher im Flughafen-Restaurant gemeinsam einen Kaffee trinken. Nein, obwohl er wusste, dass seine Dienstreise beginnt, wurde er erst im letzten Moment mit seiner Morgentoilette fertig. Marisa war wütend auf ihren Michael und hegte deshalb diese aggressiven Gedanken.

Sie beide waren seit fünf Jahren ein Liebespaar und seit einem Jahr wohnten sie zusammen. Sie verstanden sich sehr gut im Bett und hatten auch sonst viele gemeinsame Interessen. Nur die Unpünktlichkeit von Michael und seine morgendliche Trägheit trennten sie. Trotzdem liebte Marisa ihn sehr und insgeheim hoffte sie auf einen Heiratsantrag, wenn er von seiner Dienstreise zurückkommt. Diese Reise war sicher ein Karrieresprung für ihn. Noch war er Gruppenleiter der technischen Forschungs-Abteilung eines Zulieferwerkes für Autos in Graz. Er hatte im letzten Jahr verschiedene Schulungen besucht, sodass er eine Chance, zum Management zu wechseln, erhielt. Diese Weiterbildung war auch einer der Argumente, weshalb sie in eine gemeinsame Wohnung zogen. Michael konnte in Ruhe lernen, denn Marisa sorgte für Ordnung in der Wohnung, ob für eine oder zwei Personen, das war doch einerlei. Dies waren die Worte von Michael, aber Marisa fühlte sich manchmal schon eingeengt und benachteiligt, doch die Liebe zu ihm siegte. Sie dachte, sie würde sich an das gemeinsame Wohnen bald gewöhnen und später würden sie ohnedies eine größere Wohnung kaufen. Für dieses Zukunftsglück sparte sie eifrig.

Während die Ampel auf Rot geschaltet war, beugte sich Marisa zu ihrem Michael hin und küsste ihn zärtlich.“ Ach, mein lieber Schatz, bist du nervös wegen der Dienstreise, oder fällt es dir schwer, mich für fünf Wochen allein zu lassen?“

Sie neckte ihn und wollte damit seine Angespanntheit mildern. Er starrte aber nur stur auf die Ampel. Er riecht sexy nach Sandelholz, sieht gut aus mit seiner schwarzen Lederjacke und den Jeans, dachte Marisa. Das brombeerfarbige Hemd passt hervorragend zu seinem dunklen Teint. Auch die schwarzen Haare und die braunen Samtaugen, die er hinter einer Sonnenbrille versteckt hatte, ergänzen das Gesamtbild eines Vollblutmannes um die dreißig.

Ob er mir wohl treu bleibt? spinnt sie ihre Gedanken weiter.

Ein Hupkonzert weckte sie aus ihrer Abwesenheit. Sie hatte die Grünschaltung übersehen.

„Also wer von uns beiden ist nun mehr nervös, du oder ich? Konzentriere dich mehr auf den Straßenverkehr, anstatt mit mir zu knutschen, meine Liebe!“ Michael war doch sonst nicht so ruppig. Marisa fuhr nach diesen Worten beleidigt weiter und schaute nur mehr stur auf das vor ihr fahrende Fahrzeug oder die Ampel. Es war sehr knapp, aber sie erreichten den Flughafen doch noch rechtzeitig. Zum Abschied nehmen blieb außer: Bitte ruf mich an! nicht viel Zeit. Er hatte einen langen Flug vor sich. Zuerst nach Wien, dann Frankfurt und anschließend nach New York.

Die Gelegenheit, drei Tage die Stadt zu besichtigen, konnte er sich nicht entgehen lassen. Deshalb hatte er diese Route gebucht. Von dort musste er zur Schulung nach Chicago. Beginn der Ausbildung wird der 15. September sein. Bis dahin wollte er zuerst New York und dann Chicago besichtigen und seinen Körper der Zeitumstellung anpassen.

Selbstverständlich war er nervös, denn so perfekt waren seine Englischkenntnisse nicht und da war noch etwas. Er verschwieg Marisa, dass er ein Angebot der Konkurrenzfirma besaß. Er könnte auch in Toronto in Kanada seinen Weg machen. Während seiner Tätigkeit hatte er sich viel Erfahrung und Hintergrundwissen angeeignet und darauf war die Konkurrenz scharf. Aber Marisa würde nie ihren Heimatort verlassen. Sie war zu bodenständig und ihre Anstellung bei der Krankenkasse galt als krisensicher. Er ahnte auch, dass sie sich heimlich mit Heirats- und Kinderwunsch befasste. Aber er war noch nicht so weit. Die Gemeinschaftswohnung war für ihn sehr bequem gewesen, aber heiraten? Nein, dafür war noch genug Zeit, irgendwann.

Der sanfte Abschiedskuss und die lang ausholenden Schritte in Richtung Einchecken waren wie ein Schatten, aufgelöst ins Nichts. Zumindest empfand es Marisa so. Es schien ihr, als wäre er auf der Flucht. Wovor?

USA. Das konnte der Beginn einer steilen Karriere sein, dessen war er sich sicher. Endlich durfte er die Stadt New York hautnah erleben. Er hatte schon viel von dieser pulsierenden Traumstadt gehört und gelesen. Auch wenn es vorerst nur drei Tage Zwischenaufenthalt, also eine sehr kurze Zeit sein wird, so würde er diese bis auf das Letzte auskosten. Das Flugzeug zog eine Schleife über die Stadt Graz, bevor es den Kurs Richtung Wien fortsetzte.

Bitte schnallen Sie sich an, wir wünschen einen guten Flug, schnarrten in verschiedenen Sprachen ein Lautsprecher und Graz und Marisa waren vergessen.

Er dachte wieder an die vergangene Nacht, warum hatte er den Herzkönig nicht richtig ins Spiel gebracht? Er war doch so routiniert, weshalb hatte er verloren? Anfangs waren es doch stattliche Gewinne, die er eingefahren hatte. Ach was, dachte er, in den USA werde ich schon mein Glück finden.

Zur gleichen Zeit quälte Marisa sich durch den Stadtverkehr Richtung Norden. Es war typisch für die ersten Septemberwochen. Stau, genervte Autofahrer, überlastete Straßen. Die Urlauber waren zurückgekehrt, die Schulzeit hatte diese Woche begonnen. Während sie von Ampel zu Ampel kroch, konnte sie nicht anders, als ihre Gedanken bei ihrem Liebsten und dessen frostigem Benehmen zum Abschied nachzuhängen.

Er war ein begehrter Junggeselle, der sich für sie interessierte. Marisa konnte es anfangs gar nicht glauben, dass er sie, das unscheinbare Mädchen umwarb. Sie selber war zu selbstkritisch und betrachtete sich als ein mittelblondes Pummelchen mit Brille. Verwaltungs- Angestellte bei der örtlichen Bezirkskrankenkasse in Frohnleiten. Eine gut abgesicherte Dienststelle und sie fuhr die kurze Strecke mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeit.

Zu Hause kam der richtige Katzenjammer. Als erstes räumte sie das Badezimmer auf. Das Badetuch lag am Boden. Das Rasierwasser hatte er zu schließen vergessen und die Zahnpasta zierte mit einigen Klecksen den Spiegel. Seufzend machte sie Ordnung.

Trotzdem war ihr Herz voller Sehnsucht nach ihrem Schatz. Nach getaner Arbeit bereitete sie für sich eine Gemüse-Omelette zu. Diese Zutaten hatte sie immer im Haus. Tiefkühlgemüse, gut gewürzt, mit Zwiebel und Knoblauch und Kräutern vom Balkon war die Lieblingsspeise von Marisa. Michael bevorzugte Fleischgerichte, deshalb nutzte sie die Zeiten ohne ihn, um vegetarisch zu leben.

Anschließend schwang sie sich auf das Fahrrad und erfreute sich an der Stille und Schönheit des Mur-Radweges im Herbst. Die ersten Laubbäume erhielten schon ihr Herbstkleid, man konnte die gelben und roten Blätterspitzen sehen. Ein wenig milderte das Strampeln den Trennungsschmerz. Sie kam ganz schön ins Schwitzen. Ihr Weg führte sie heute Richtung Norden bis Mixnitz in die Nähe der Bärenschützklamm. Diesen Wanderweg würde sie ein anderes Mal in Angriff nehmen, mit dem Fahrrad ging es nicht, also zurück nach Hause.

Das Auto, das jetzt zu ihrer Verfügung stand, gehörte Michael, denn er arbeitete in Graz. Die Wohnung war Marisas stolzer Besitz, sehr ruhig im Grünen gelegen. Sie konnte von ihrem Balkon aus auf das wunderschöne Städtchen Frohnleiten blicken. Viele Blumen schmückten den Ort. Immer wieder genoss sie diese schöne friedliche Umgebung. Ach, wenn Michael gemeinsam mit ihr eine Familie gründen wollte, war doch hier und jetzt der perfekte Zeitpunkt. Träumereien einer Endzwanzigerin und dabei floss das Gießwasser für ihre Balkonkräuter über. Nun war die Bescherung perfekt. Es musste gewischt werden.

Der erste Arbeitstag am Montag verlief sehr ruhig ohne Stress und ohne Nachräumen hinter ihrem Geliebten. Trotzdem war sie traurig und vermisste ihn. Der Vormittag war schon fast vorbei, als sie zu ihrem Vorgesetzten gerufen wurde. Sie mochte ihn gut leiden, es herrschte ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen ihm und ihren Kollegen. Sein Äußeres verriet schon, dass er den leiblichen Genüssen nicht abgeneigt war. Besonders die selbst gebackenen Mehlspeisen, die sie oder ihre Kollegen öfter von zu Hause mitbrachten, veranlassten ihn zum Schwärmen.

„Was gibt es Meck?“ fragte Marisa ungeniert, während sie sich auf den freien Stuhl gegenüber setzte. Normalerweise musste sie ihn höflich mit seinem Titel ansprechen, aber weil sie alleine in seinem Büro waren, erlaubte sie sich den freundschaftlichen Gruß.

Amtsleiter Mag. Fridolin Mecker sah aus wie ein Eisbär. Seine kurz geschnittenen Haare und der weiße Bart machten das Bild durch seine üppige Gestalt komplett. Er lächelte freundlich und väterlich.

„Marisa, ich habe vom Personalbüro deine Akte mit dem Hinweis auf Beförderung erhalten. Wir sind sehr zufrieden mit deiner genauen und korrekten Arbeitsleistung. Das bedeutet für dich auch eine höhere Gehaltsstufe, gratuliere.“

Marisa freute sich sehr über diese Überraschung. Schade, dass sie es nicht gleich mit Michael feiern konnte. Das wollte sie aber in fünf Wochen nachholen.

„Lieben Dank für diese wunderbare Nachricht, morgen bringe ich einen leckeren Kuchen für uns mit und ein Gläschen Sekt dürfen wir uns schon nach Dienstschluss genehmigen, nicht wahr?“

Ganz beschwingt verließ sie das Chefbüro, um diese Nachricht ihren drei Kollegen mitzuteilen. Diese waren alle dienstälter und hatten längst eine höhere Besoldungsstufe erreicht. Sie hatte ja praktisch nur besoldungsmäßig gleichgezogen mit ihren Kollegen und nun fuhr sie beschwingt und wie auf Wolken am Nachmittag mit dem Fahrrad nach Hause.

Hoffentlich meldet sich Michael bald, dachte sie, sie wollte die Freude mit ihm teilen. Die nötigen Lebensmittel kaufte sie noch ein, und mit vollem Eifer backte sie den Kuchen für ihre Kollegen.

Der Kuchen war schon in der Backröhre, als das Telefon läutete: endlich Michael!

„Hallo Marisa-Schatz, ich bin in einem kleinen Hotel in der Nähe vom Broadway. Ich sage dir, ein Traum! Diese Stadt ist wunderbar aufregend. Übermorgen fliege ich weiter nach Chicago. Ich melde mich dann wieder, also bis bald!“

Sie kam gar nicht zu Wort und konnte ihm nicht von ihrer Beförderung erzählen, schade.

Naja, wenn er zurückkommt, passt es vielleicht sogar besser. Diese Option war doch wie geschaffen für eine gemeinsame Zukunft. Ach, wenn die Zeit der Trennung endlich vorbei wäre.

11. 9. 2001 15 Uhr 20 MEZ Frohnleiten

Dieser Tag war so normal für Marisa, fast wie jeder andere, allerdings ohne Michael. Vor vier Tagen hatte sie ihn zum Flughafen Graz gefahren. Nur ein kurzer Anruf und sonst keine Nachricht weiter. Naja, er wird wahrscheinlich müde sein oder vergessen haben, sein Handy zu laden. Er wird sich bei mir schon noch melden, tröstete sie sich. Ein Gläschen Sekt nach Büroschluss trank sie zur Feier des Tages, dann ging es ab nach Hause.

Die wichtigsten Einkäufe waren an diesem Tag erledigt. Sie wartete etwas ungeduldig auf die Grünphase. Also fuhr sie etwas später als sonst mit dem Auto heimwärts. Weil sie das Auto zur Verfügung hatte, war sie in Friesach beim Supermarkt einkaufen. Zur Abwechslung war es bequem, das Auto von Michael mit ihrem Fahrrad zu tauschen. Die Radio-Hintergrundmusik begleitete sie leise. Die schöne Landschaft tat ihr Übriges. Sie fuhr an grünen Hügeln und Wäldern entlang, gesäumt von ins Bild gesetzten Gehöften. Langsam kam sie über die Murbrücke durch die Windungen der Straße in die Nähe ihres Domizils. An diesem sonst so normalen Tag wurde die Schlagermusik jäh unterbrochen. Laut und aufgeregt drang die heisere Stimme eines Reporters aus den Boxen. Sie dachte: „Komisch, die bringen um diese Uhrzeit ein Hörspiel, das ist ungewöhnlich beim Steiermark-Regional Sender.“ Als sie aber aufmerksamer zuhörte, erkannte sie, dass das Szenario einer Katastrophe beschrieben wurde. Der Hörspielsprecher brachte die Handlung so spannend und packend, man mochte fast glauben, das passiert wirklich. Sie erinnerte sich vage an einen Bericht vor einigen Jahrzehnten. Da wurde ein Hörspiel von Orson Welles in den USA gesendet, das auch so realistisch gespielt wurde, dass die Zuhörer meinten, es wäre real. Sie weiß nicht mehr genau, um was es da gegangen ist. War es die Landung Außerirdischer, oder war es zu Zeiten des Kalten Krieges, dass ein Atom-Angriff verkündet wurde? Jedenfalls hatte sie einmal gelesen, dass deshalb die Menschen zu tausenden aus ihren Wohnungen planlos auf die Straßen geflüchtet seien und ein heilloses Chaos verursacht hatten. Daran dachte sie, als sie das hörte und auch, dass es ein besonders guter Schauspieler sei, der diese Rolle spielte. Nach längerem Zuhören erfasste sie, dass für diese Szenerie als Drehort New York gewählt worden war. Da wurde sie hellhörig. “New York! Das ist der Zwischen-Aufenthalt von Michael. Das wird doch hoffentlich nicht Realität sein.“ Sie fuhr die nächste Parkbucht an. Zum Glück hatte sie ein Handy mit und seine Telefonnummer darin gespeichert. Mit zittrigen Fingern wählte sie und hörte auch schon seine Stimme. Sie konnte nur fragen: „Wo bist du? In New York? Ich habe gerade im Radio gehört, ein Flugzeug wäre in einen Wolkenkratzer gestürzt.“ Er antwortete: „Ja, das könnte sein, irgendetwas muss passiert sein, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich bin ein paar Blocks entfernt davon, aber ich sehe, wo es brennt. Oh, mein Gott!“ Ein entsetzter Schrei von ihm und die Verbindungen waren unterbrochen.

Einerseits war sie dankbar, seine Stimme gehört zu haben. Das war wenigstens ein Lebenszeichen. Dass er sich nicht unmittelbar in dem brennenden Gebäude befunden hatte, war fürs erste beruhigend. Andererseits war die Unterbrechung mit seinem Aufschrei: “ Oh mein Gott!“ wieder beängstigend. So schnell es möglich war, fuhr sie nach Hause, um den Fernseher einzuschalten. Man konnte die Skyline von New York sehen. Die aufgeregte Berichterstattung des Reporters versetzte sie in Angst. Und dann- sie dachte es wäre eine Zeitlupenwiederholung- sah man, wie ein zweites Flugzeug direkt auf das Gebäude zusteuerte.

Nein, das muss ein Irrtum sein, der Pilot hat die Orientierung verloren! Sie hatte das Gefühl, das Flugzeug bohrt sich in ihren Bauch. Die schwarzen Schlingen der Eingeweide fallen mit glühenden Enden heraus. Ganz New York City versinkt in einer riesigen Giftwolke. Mit diesem Ereignis war auch der Direktkontakt zur Stadt gekappt. Die Fernsehsender konnten nur immer wieder die schrecklichen Bildwiederholungen bringen.

Actionfilme werden oft gezeigt und hoch gelobt. Sie konnte sich so etwas nie ansehen, für wen sollte das eine Entspannung sein, wenn Menschen in Angst und Schrecken versetzt werden. Auch dann nicht, wenn ein Terminator als rettender Engel urplötzlich die „Bösen“ vernichtet und als großer Held gefeiert wird.

Was konnte sie tun, außer beten? Sie versuchte, die österreichische Botschaft zu erreichen, um zu erfahren, ob das Inferno in N.Y. gestoppt werden konnte. Es gelang ihr nicht durchzukommen, ständig war das Besetztzeichen zu hören.

Auch die Tatsache, dass an diesem Tag insgesamt vier todbringende Flugzeuge zu verschiedenen Zielen nach Amerika geschickt wurden, änderte nichts daran, dass für sie persönlich der Anschlag in New York der Schlimmste war. Die kommenden Tage lebte sie in einem luftleeren Raum. Immer wieder versuchte sie zu erfahren, ob Telefonleitungen schon funktionierten, sodass sie irgendwie mit Michael Kontakt aufnehmen könnte. Aber es war nicht möglich. Sie konnte nur auf den ersehnten Anruf warten, auf ein Lebenszeichen ihres Geliebten. Eine völlige Leere der Gedanken und Hoffnungslosigkeit überfiel sie.

Ein Staubkorn in dieser riesigen Stadt ist dieser geliebte Mensch. Immer wieder war die dunkle Feuerwolke vor ihren Augen, eine Wolke, die alles verschlang.

Auch als sie endlich die österreichischen Botschaft erreichte, brachte es keine Erleichterung. „Wissen Sie, in welchem Stadt-teil sich Herr Michael Faber zur Zeit des Anschlages befand?“ „Nein, er sagte nur, er sei ein paar Blocks davon entfernt.“ Marisa fühlte sich hilflos und dumm. Ihr war klar, dass die Beamten sie für beschränkt hielten, als sie über diese erfahren wollte, ob Michael noch lebte. Wenn sie nicht einmal wusste, in welchem Gebäude er sich zu diesem Zeitpunkt befand!

Sie spürte nur ihr Zittern und wie sich ihr Körper verkrampfte aus Angst vor der schrecklichen Wahrheit. Sie konnte sich nicht bewegen und ihr Mund krächzte nur: „Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht stören…“

Die Uhr in ihrem Kopf raste, immer schneller und schneller wie ein Überschallflugzeug. Graue Nebelschleier tanzten durch den Morgen, deckten zu, was unsichtbar bleiben sollte. Das Netz wird immer enger, sie will einfach nicht glauben, dass der Mensch durch seine Dummheit diese Erde zerstören kann. Das größte Unglück der Welt ist der Größenwahn einzelner Menschen. Diese versuchen, nur weil sie es können, sich als Herren des Universums aufzuspielen. Sie überschreiten die Grenzen jeglicher Moral und maßen sich an, den Schlüssel und die Macht über Sein oder Nichtsein zu besitzen. Aber bald müssen auch sie abtreten von dieser Weltenbühne, denn die Nächsten warten schon. Diese verkünden wieder, dass sie alles nur zum Wohle der Menschheit tun. In Wirklichkeit geht es nur darum, bewundert zu werden und um die Geilheit der Macht. Diese Spirale dreht sich immer weiter.

Schlaflose Nächte zwischen Bangen und Hoffen hatte sie hinter sich und die hinterließen auch ihre Spuren. Tiefe Schatten zierten ihre Augen, da half kein Make-up. „Warum hat er sich bei seiner Ankunft in New York nur so kurz gemeldet? Nicht einmal den Namen des Hotels hat er ihr gesagt. So teuer sind die Telefonate auch wieder nicht, er hätte länger sprechen können. Vielleicht ist er auch gleich nach Chicago weiter gereist und hatte keine Zeit, sich zu melden. Diese Einschulung ist sicher nichts Leichtes und für private Telefonate blieb dabei keine Zeit.“ Zweifel und Hoffnung wechselten sich ab. So und ähnlich tröstete sich Marisa.

Weil sie mit Michael nicht verheiratet war und auch sonst keine Verwandtschaft nachweisen konnte, erhielt sie von der Dienststelle seines Arbeitgebers auch keine Auskunft. Drei Wochen waren seit ihrem Abschied vergangen und es war so, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Oder war er umgekommen?

Sie musste sich ablenken und rief ihre Freundin Roswitha an. „Hallo, hast du Lust mit mir ins Café zu gehen?“ „Selbstverständlich, für dich habe ich immer Zeit“, war die Antwort. Als Treffpunkt nannte sie ein Café am Hauptplatz von Frohnleiten. An diesem milden Herbstnachmittag hatten sehr viele Sonnenhungrige denselben Gedanken, aber Roswitha war früher gekommen und besetzte zwei Sitzplätze im Freien und verteidigte diese unnachgiebig. „Hallo Marisa, zuerst trinken wir Cappuccinos und essen eine Frohnleitner Torte. Du musst dringend zum Friseur und zur Inge unserer Haus-Kosmetikerin.“ „Danke, für die freundliche Begrüßung, und deinen Holzhacker-Charme.“ „Du weißt wie ich es meine, und man sieht es von weitem, dass du Sorgen und schlaflose Nächte hinter dir hast. Was bedrückt dich so sehr?“ Roswitha war Marisas Freundin seit ihrer Kindheit. Sie hatten zusammen die Schulbank gedrückt, ihren ersten Liebeskummer beweint und Freundschaftsringe ausgetauscht. Ihre Wege führten auch noch durch dick und dünn der pubertären Jahre. Roswitha war auf die Butterseite der Welt gefallen.