Veronica Mars - Zwei Vermisste sind zwei zu viel - Rob Thomas - E-Book

Veronica Mars - Zwei Vermisste sind zwei zu viel E-Book

Rob Thomas

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Beschreibung

Veronica Mars - bekannt aus Film und Fernsehen - ist zurück und ermittelt wieder! Für Fans und alle Thriller-Liebhaber! Nach ihrem Jura-Studium in New York ist Veronica Mars wieder zurück in ihrer Heimatstadt Neptune - dem Synonym für Sonne, Strand, Verbrechen und Korruption. Statt in schicken Büros reiche Klienten zu beraten, unterstützt sie ihren Vater, wie früher schon, bei seiner Arbeit als Privatdetektiv. Sie ist zurück im Spiel und bereit, sich erneut den dunklen Seiten der kalifornischen Kleinstadt zu widmen. Als eine junge Frau nach einer Spring-Break-Party als vermisst gemeldet wird, ist Veronica Mars gefragt. Doch bevor sie konkrete Hinweise finden kann, verschwindet ein weiteres Mädchen spurlos. Mit der für sie so typischen Unverfrorenheit und Cleverness nimmt sich Veronica Mars der Sache an, aber mit der Wendung, die die Ermittlungen schließlich nehmen, hat selbst sie nicht gerechnet. Die Veronica-Mars-Fernsehserie, produziert von Warner Bros Television und mit Kristen Bell in der Hauptrolle, begeisterte Zuschauer weltweit - nun ist die toughe Privatdetektivin endlich zurück! Und zwar in Form eines Kinofilms, der dank einer aufsehenerregenden Crowdfunding-Kampagne finanziert wurde. Als besonderes Geschenk an die Fans legt der Veronica-Mars-Schöpfer Rob Thomas außerdem einen Roman vor, der die Handlung des Kinofilms weiterspinnt. Er handelt von zwei verworrenen Entführungsfällen und richtet sich sowohl an die Fans der TV-Serie als auch an Thriller-Leser und Liebhaber starker, ungewöhnlicher weiblicher Protagonisten.

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Für alle Veronica-Mars-Kickstarter-Sponsoren.

PROLOG

Am späten Freitagnachmittag ging es los: Buslawinen walzten nach Neptune, Kalifornien, und vor Montag nahm das Ganze kein Ende. Staubig rollten sie an, die Windschutzscheiben verklebt mit toten Insekten und rissig vom Steinschlag. Sie ließen das Chaos auf der Interstate hinter sich und kamen neben der Strandpromenade zum Stehen, vibrierend vor aufgestautem Lärm, zitternd wie Hunde, die auf einen Befehl warten.

Ihre Routen bildeten ein Arteriennetz, verbanden die kleine Küstenstadt mit allen Universitätsstädten im Westen der Vereinigten Staaten. Mit L. A. und San Diego, der Bay Area und dem Inland Empire in Südkalifornien. Mit Phoenix, Tucson, Reno, Portland und Seattle, Boulder, Boise und sogar Provo. Strahlende, aufgeregte Gesichter spähten durch jedes Busfenster, die Nasen fest an das Glas gepresst.

Klappernd öffnete sich eine Falttür nach der anderen und Studenten strömten auf die Straßen hinaus. Sie schauten sich um, blickten auf den Strand, die Brandung, die erleuchteten Karussells entlang der Promenade und auf die riesigen Longdrinks. Einige von ihnen hatten erst am Abend zuvor ihre letzten Semesterarbeiten abgegeben, andere waren die ganze Nacht aufgeblieben und hatten für Prüfungen gelernt. Und jetzt erwachten sie plötzlich in einem Märchenland, das wie aus dem Nichts, einzig und allein zu ihrem Vergnügen, aufgetaucht war. Lachend und kreischend strömten sie in die Stadt. Betrunken stolperten sie durch die Straßen, darauf vertrauend, dass der Zauber, der sie hergebracht hatte, sie davor bewahren würde abzustürzen.

Und so war es auch. Für genau drei Nächte.

Am Mittwochmorgen wirkte die bei Nacht funkelnde Küstenstadt … alltäglich. Nicht einfach nur alltäglich. Dreckig. Pfützen von verschüttetem Bier sammelten sich in den Ritzen der Bürgersteige und der penetrante Gestank überfüllter Müllcontainer wehte aus den Gassen. Die transparenten Überreste gebrauchter Kondome vermüllten Hauseingänge und Büsche und die Straßen waren mit Glasscherben übersät.

Als die achtzehnjährige Bri Lafond in das Sea Nymph Motel stolperte, war es dort gespenstisch still. Fast alle Gäste waren Studenten, die ihre Frühjahrsferien hier verbrachten, um Party zu machen, und der Startschuss dafür fiel normalerweise nicht vor dem frühen Nachmittag. Bri war auf einem Rave am Rande der Stadt gewesen, und als sich die Feier um vier Uhr morgens langsam auflöste, hatte sie kein Taxi mehr bekommen. Sie war so high gewesen, dass ihr der Gedanke, zu Fuß zurück zum Hotel zu gehen, machbar erschien. Jetzt schleppte sie sich hundemüde über den sandigen Innenhof zu dem Zimmer, das sie eine Woche lang mit ihren drei besten Freundinnen aus Berkeley teilte. Es war das billigste Zimmer, das sie hatten bekommen können, mit Blick auf den Parkplatz und den Müllcontainer. Aber das war ihr gerade völlig egal. Sie kämpfte mit dem Türschloss und wollte sich nur noch auf eins der beiden Doppelbetten fallen lassen.

Die Fensterläden standen einen Spaltbreit offen und ließen einen Strahl fahlen Lichts herein. Immer noch in ihr Paillettenkleid von der Nacht zuvor gekleidet, lag Leah ausgestreckt auf dem Bett, den Kopf unter ein Kissen gesteckt. Ihre Beine waren verschrammt und mit Dreck beschmiert. Melanie lehnte mit dem Rücken am Kopfteil und nippte an einem Pappbecher von Starbucks. Sie trug Boardshorts und ein Bikinioberteil. Ihr langes blondes Haar war zerzaust und verschmiertes Make-up verkrustete ihre Augen. Als sie hörte, wie sich die Tür öffnete, blickte sie hoch.

»In einer halben Stunde habe ich Surfunterricht, echt jetzt, und ich bin immer noch betrunken«, stöhnte sie. Mühsam hielt sie den Blick auf Bri fixiert. »Wo warst du? Du siehst scheiße aus.«

»Besten Dank.« Bri beugte sich vor, um den Reißverschluss ihrer Stiefel zu öffnen. Ihre Füße pochten vor Schmerz. »Wo ist Hayley? Ist sie auch surfen?«

»Hab sie nicht gesehen.« Melanie schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand.

Bri erstarrte. Ein Stiefel war ausgezogen, der andere quälte immer noch ihre Zehen. Sie sah auf. »Seit wann?«

»Seit … seit der Party am Montag, glaube ich.« Melanie öffnete die Augen und zog die Stirn kraus. »Shit.«

Bri blinzelte und zog den anderen Stiefel vom Fuß. Dann ließ sie sich auf das Bett fallen und stieß Leah behutsam an. »Hey, Leah. Wach auf. Hast du Hayley gestern gesehen?«

Leah gab unter dem Kissen ein dumpfes Stöhnen von sich und rollte sich zusammen. Minutenlang stießen Bri und Melanie sie an und gurrten ihren Namen, bis Leah schließlich das Kissen wegzog und mit trübem Blick zu den beiden hochstarrte. »Hayley? Nicht seit … der Party am Montag.«

Ein kaltes, leeres Gefühl breitete sich in Bris Körper aus. Sie scrollte durch ihre Nachrichten. Nichts von Hayley seit Montagnachmittag.

Bin heute Abend auf eine Party in einer VILLA eingeladen. Wollt ihr mit?

Sie hatten drei Stunden damit verbracht, sich fertig zu machen. Hayley hatte ein für sie untypisch tief ausgeschnittenes, enges Kleid getragen, das ihre langen, gebräunten Beine zeigte. Sie hatte darauf bestanden, dass sie alle sich aufstylten. Sie war von einem Typen eingeladen worden, der ihr in der Cabo Cantina einen Mai Tai spendiert und gesagt hatte, sie solle ihre schärfsten Freundinnen mitbringen.

Sie waren gemeinsam hingegangen, die gewundene Privatstraße hinaufspaziert, wo zwei muskulöse Sicherheitsleute sie hereinwinkten. Das Haus war riesig und modern, eine kastenförmige, skulpturale Bauweise. Jeder Raum erstrahlte in Licht und Luxus. Melanie mischte sich sofort unters Partyvolk und ließ ihre Hüften im Takt der Musik kreisen. In der Küche entdeckte Leah einen Typen aus ihrem Biologiekurs und marschierte schnurstracks auf ihn zu. Hayley und Bri schoben sich durch das Haus bis zur Veranda, um sich erst einmal umzuschauen. Unter ihnen schimmerte ein riesiger aquamarinfarbener Pool und dahinter erstreckte sich der Strand schwarz im Mondlicht.

Hayleys Augen glänzten, reflektierten die bunten Lichter auf der Terrasse. Das ganze Wochenende über hatte sie zwischen Traurigkeit und wütendem Trotz geschwankt. In der einen Minute brach sie in Tränen aus, in der nächsten fauchte sie ihren Freundinnen ins Gesicht: »Chad kann mir nicht vorschreiben, was ich tun soll. Für wen hält er sich?« Sie und ihr Freund hatten sich zum hundertsten Mal getrennt, aber an jenem Abend wirkte Hayley unglaublich aufgedreht, als hätte sich die schwere Hülle des Liebeskummers von ihrem Körper gelöst und sie wie neu und befreit zurückgelassen. Hayley und Bri hatten sich in die Massen der tanzenden Körper gestürzt und für eine Weile vertrieb der trommelnde Bass sämtliche Gedanken aus Bris Kopf. Sie wusste nicht mehr, wie spät es war, wie viel sie getrunken hatte – und wo ihre Freundinnen steckten.

Bri erinnerte sich, beobachtet zu haben, wie Leah einige Lines Koks von einem antiken Beistelltisch zog und dabei ihr langes honigblondes Haar im Nacken festhielt. Bri erinnerte sich an Hände, die über ihre Hüften fuhren, an eine lallende männliche Stimme, die ihr sagte, dass sie echt heiß wäre, wenn sie sich die Haare wachsen lassen würde. Sie erinnerte sich an Hayley, die sich auf die Zehenspitzen stellte, um einem Jungen in einem perfekt sitzenden weißen Anzug mit langen, sinnlichen Wimpern, der so tat, als würde er schmollen, etwas ins Ohr zu flüstern.

Alles andere war verschwommen. Am nächsten Morgen war sie frierend in einem Liegestuhl neben dem Motelpool aufgewacht, die Handtasche unter ihrem Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wie sie dort hingekommen war.

»Habt ihr gesehen, ob Hayley die Party mit jemandem verlassen hat?« Bri sah ihre Freundinnen an. Beide schüttelten langsam den Kopf.

»Es geht ihr bestimmt gut«, meinte Melanie zögernd. »Vermutlich ist sie bei irgendeinem Typen, den sie auf der Party kennengelernt hat. Früher oder später taucht sie schon wieder auf.«

»Aber wir haben versprochen, uns mindestens ein Mal am Tag zu melden. Das haben wir versprochen.« Bris Stimme klang schriller als beabsichtigt. Sie hatten auf der Hinfahrt den Pakt geschlossen, dass sie aufeinander aufpassen wollten, egal, wo sie waren und wie gut sie sich gerade amüsierten. Das kalte, leere Gefühl in ihrem Magen griff weiter um sich. Sie öffnete das Nachrichtenfenster auf ihrem iPhone und schrieb:

Wo steckst du? Komm mit uns frühstücken. Melde dich SO SCHNELL WIE MÖGLICH!

Jetzt konnten sie nur noch warten. Melanie hatte vermutlich recht. Hayley hatte jegliches Zeitgefühl verloren, so wie sie alle. Sie war irgendwo unterwegs und hatte gerade die beste Zeit ihres Lebens. Aber trotzdem.

Als Leah und Melanie aufstanden, um frühstücken zu gehen, schüttelte Bri den Kopf und umklammerte ihr Handy. Sie blieb allein im Motelzimmer zurück, fröstelnd in der kühlen Luft, aber zu müde, um sich umzuziehen. Sie schrieb noch eine Nachricht an Hayley. Und noch eine.

Sei nicht so egoistisch und antworte gefälligst, Hayley.

Wir machen uns Sorgen. SCHREIB MIR.

Also gut – wenn du dich nicht innerhalb der nächsten zehn Minuten meldest, rufen wir die Polizei. Im Ernst.

Antworte bitte.

Bitte.

KAPITEL 1

»Und was ist hiermit?«

Veronica Mars saß auf einem harten Plastikstuhl in der Praxis der Neurologin. Ein Bein über das andere geschlagen, wippte ihr rechter Motorradstiefel auf und ab, während sie der Untersuchung ihres Vaters lauschte. Keith Mars saß an einem kleinen Tisch seiner Ärztin gegenüber, die mit bedächtigen, gewissenhaften Bewegungen eine Bildkarte nach der anderen umdrehte.

»Schubkarre«, antwortete er, ohne zu zögern.

Dr.Subramanian nickte weder noch schüttelte sie den Kopf. Mit unbewegter Miene legte sie die Karte links neben sich.

Im Sprechzimmer der Neurologin war es kühl und dämmrig. Statt der üblichen grellen Neonröhren an der Decke wie in den meisten Praxen wurde der Raum nur durch das angenehme Licht von Stehlampen beleuchtet. Hier drin schien es immer früher Abend zu sein.

Veronica tat so, als sei sie in eine vier Monate alte Ausgabe von Redbook vertieft. Ihr Blick huschte über einen Artikel mit der Überschrift Zwanzig Mitbringsel für unter zwanzig Dollar.

»Und das?«

»Krokodil.«

Veronica blickte zu ihrem Vater und dem Gehstock aus Titan, der an seinem Bein lehnte. Zwei Monate waren seit dem Autounfall vergangen, der ihn fast das Leben gekostet hatte. Keith war mit Deputy Jerry Sacks unterwegs gewesen. Sie hatten über die Korruption im Sheriff’s Department gesprochen, als ein Lkw mit voller Wucht in sie hineinkrachte – und dann zurücksetzte, um sie ein weiteres Mal zu rammen. Sacks starb am Unfallort und Keith kam nur mit dem Leben davon, weil Logan Echolls es schaffte, ihn aus dem Wagen zu ziehen, bevor dieser explodierte.

Die offizielle Geschichte – oder zumindest die, mit der Sheriff Dan Lamb Presse und Rundfunk abgefertigt hatte – sah so aus, dass Sacks von dem örtlichen Meth-Dealer Danny Sweet Bestechungsgelder angenommen hatte und der Lkw geschickt worden war, weil der Deputy zugelassen hatte, dass drei von Sweets Leuten wegen Drogenhandels hochgenommen wurden. Davon stimmte natürlich kein Wort, aber die lokalen Medien schienen nicht daran interessiert, sich die Sache genauer anzusehen.

Seit dieser Nacht versuchte Veronica, ihren Vater dazu zu bewegen, über den Unfall zu sprechen. Aber Keith rückte einfach nicht mit den Details heraus und sagte nur: »Mein Fall, nicht deiner.« Es war schon fast zu einem Spiel zwischen ihnen geworden. Jedes Mal, wenn sie ihn in ein Gespräch darüber verwickeln wollte und Vermutungen anstellte, wer am Steuer des Lkw gesessen haben könnte – Lamb? Ein anderer Deputy? Jemand ganz anderes? –, winkte er lässig ab. Alles, was er ihr erzählte, war, dass der Mörder hinter Sacks her gewesen sei und nicht hinter ihm und dass sie es dabei bewenden lassen solle.

»Kerze. Ring. Regenschirm«, sagte Keith laut.

Veronica musterte ihren Vater. Die violetten Blutergüsse auf seinem Körper waren verblasst. Aber die wirklich schweren Verletzungen – die gebrochenen Rippen, das angeknackste Becken, der Leberriss – mussten noch verheilen. Keith hatte einen Schädelbruch, eine Hirnblutung und eine leichte Hirnquetschung erlitten. Wochenlang waren seine Reaktionen verlangsamt gewesen. Während der ersten Tage, nachdem es gelungen war, ihn zu stabilisieren, hatte er Mühe gehabt, sich an Wörter zu erinnern. Manchmal hatte er ein paar Sekunden mit sich gerungen, ehe er etwas gesagt hatte. Mittlerweile aber beantwortete er die meisten von Dr.Subramanians Fragen schnell und sicher. Veronica merkte, wie er sich bei jeder Antwort etwas mehr aufrichtete, als würde er dadurch gesund werden, dass er die Bildkarten richtig erkannte.

»Sehr gut, MrMars.« Die Stimme der Ärztin mit dem Oxford-Akzent klang forsch, aber zufrieden. Sie schenkte ihm eins ihrer seltenen Lächeln und strich die Ecken der Bildkarten glatt.

Veronica legte die Zeitschrift weg. »Wie lautet nun das Urteil, Doc? Ist er so gut wie neu? Ist er bereit für eine Probefahrt?«

Dr.Subramanian warf ihr einen strengen Blick über den Rand ihrer Nickelbrille zu. Sie trug das grau melierte Haar zu einem Knoten hochgesteckt und einen Lippenstift, dessen Farbton vermutlich Kühle Sachlichkeit hieß. Veronica mochte sie.

»Als ›so gut wie neu‹ würde ich ihn nicht bezeichnen. Aber ich bin zufrieden mit den Fortschritten. Wie ist Ihre Reaktionszeit, MrMars?«

»Schneller als das Licht«, antwortete Keith und tat so, als würde er eine Waffe ziehen.

»Irgendwelche Stimmungsschwankungen, seltsamen Verhaltensweisen, Aussetzer?« Die Ärztin wandte sich Veronica zu.

»Nicht mehr als üblich.« Veronica lächelte ihren Vater an.

»Hm.« Dr.Subramanian blickte auf die Krankenakte in ihrer Hand. »Wie verläuft die Heilung ansonsten? Sie hatten doch Anfang der Woche einen Termin bei Ihrem Internisten?«

»Er sagte, ich wäre zwar noch nicht so weit, wieder Marathon zu laufen, aber ruhig am Schreibtisch sitzen und Büroklammern sortieren, das würde ich schaffen. Ich möchte so schnell wie möglich wieder arbeiten.« Keith zog sein Jackett glatt. Seit er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, legte er Wert darauf, jeden Tag ein frisch gebügeltes Hemd und eine Krawatte anzuziehen, ganz so, als ginge er ins Büro.

»Hm.« Die Ärztin öffnete einen braunen Briefumschlag und zog ein paar körnige Kernspinaufnahmen heraus, die sie vor einen Leuchtkasten klemmte. Dann schaltete sie das Licht ein und schnappte sich einen Laserpointer, der an einem Schlüsselbund hing. »Also, die neuen Gehirnscans sehen schon viel besser aus. Die Schwellung ist fast verschwunden, wie Sie hier erkennen können …«

Erleichterung vernebelte Veronicas Blick und das Röntgenbild verschwand hinter einem Schleier. Verstohlen trocknete sie sich die Augen. Erst jetzt, als ihr Vater sich ganz sicher erholte, wurde ihr bewusst, wie viel Angst ihr die Vorstellung gemacht hatte, ihn zu verlieren. Er war alles, was sie an Familie hatte. Jeden Morgen war sie mit einem Druck in der Magengrube erwacht, darauf wartend, dass alles endlich wieder normal werden würde.

Normal – das ist die Parole, oder nicht? Sie lächelte in sich hinein. Nichts in ihrem Leben war normal gewesen, seit sie nach neun langen, ruhigen und vor allem normalen Jahren wieder nach Neptune zurückgekehrt war.

Als Teenager hatte sie nur noch weggewollt aus dieser Stadt, die von den Reichen und Korrupten regiert wurde – den Narben ihrer Jugend entfliehen wollen. Und sie hatte es geschafft – zumindest für eine Weile. Zuerst war sie nach Stanford gegangen und dann an die Columbia Law. Das Leben, das sie sich aufgebaut hatte, sah gar nicht so schlecht aus: ein klitzekleines Apartment in Brooklyn in Spuckweite des Prospect Parks, ein Jobangebot der Kanzlei Truman-Mann, wo sie bei den härtesten Anwälten New Yorks lernen konnte. Und ein süßer, talentierter und ausgeglichener Freund namens Piz.

Aber all das hatte sie zurückgelassen. Nur ein Anruf war nötig gewesen, um sie nach Neptune zurückzuholen. Als Logan, ihre Highschool-Liebe, zu Unrecht des Mordes an seiner Exfreundin bezichtigt worden war, hatte Veronica ihr gesamtes Leben stehen und liegen gelassen und war nach Hause geeilt, um seine Unschuld zu beweisen. Sie hatte den wahren Mörder überführt – und einen Teil von sich wiedergefunden, den sie verloren hatte, jenen Teil, der wusste, dass sie keine Anwältin sein wollte, sondern Privatdetektivin.

Und sie hatte Logan wieder. Nun war er ihr … Was eigentlich? Ihr neuer-Querstrich-alter Freund? Lover? Skype-Buddy? Brieffreund mit Extras?

Als was auch immer man ihn bezeichnen wollte, seine E-Mails füllten jedenfalls ihr Postfach. Manchmal schickte er fünf am Tag, kurz und witzig. Dann wieder schickte er längere, ernstere. Sie antwortete stets in lockerem Ton. Das war schon immer ihr Modus Operandi gewesen: ein Witz, eine sarkastische Spitze, alles, um davon abzulenken, was sie wirklich fühlte. Eine Methode, um den andauernden Schmerz darüber, dass sie ihn vermisste, nicht zu unerträglich werden zu lassen und damit leben zu können. Und mal ehrlich, was hätte sie denn auch sagen können, das auch nur annähernd wiedergab, was sie empfand?

Die Augenblicke, die sie miteinander verbracht hatten, bevor sich Logan zum nächsten Marine-Einsatz einschiffte, waren die friedvollsten, an die sie sich erinnern konnte – trotz der Angst um ihren Dad. Zum ersten Mal seit Langem hatte sie innere Ruhe verspürt, als würde ihr nichts fehlen. Und dann, einfach so, war er wieder weg gewesen.

»… deshalb möchte ich, dass Sie noch zwei Wochen warten, um ganz sicher zu sein. Und dann können Sie von mir aus langsam wieder anfangen. Vorausgesetzt, Sie überanstrengen sich nicht.« Dr.Subramanians Stimme drang wieder zu Veronica durch. »Ms Mars, ich übertrage Ihnen die Verantwortung, dass Ihr Vater sich nicht übernimmt. Falls er sich zu viel zumutet, haben Sie meine Erlaubnis, ihn sofort nach Hause zu schicken.«

»Hast du gehört?« Veronica zeigte auf Keith. »Mars Investigations hat soeben einen neuen schlecht bezahlten Praktikanten bekommen. Kopieren, Kaffee kochen und die Post, mein Freund.«

Ihr Vater schlug die Hände zusammen. »Darauf habe ich mein Leben lang hingearbeitet.«

Veronica zwang sich zu lächeln. Trotz ihrer Witzeleien verspürte sie ein vages Unbehagen in der Brust. Natürlich war sie erleichtert, dass ihr Vater bald wieder arbeiten durfte – sie wusste, wie wichtig ihm sein Job war. Als sie noch zur Highschool gegangen war, hatte sie in seiner Detektei, Mars Investigations, gejobbt. Offiziell war sie seine Rezeptionistin gewesen. Inoffiziell hatte sie sämtliche Fälle übernommen, für die er keine Zeit hatte aufbringen können.

Aber jetzt fragte sie sich, wie es wohl sein würde, als Partner mit ihm zusammenzuarbeiten. Würden Sie den Raum in der Mitte mit Klebeband teilen? War es überhaupt möglich, einen zweiten Schreibtisch hineinzuquetschen? Sie stellte sich einen spielzeuggroßen pinkfarbenen Plastiktisch neben dem Schreibtisch ihres Vaters vor, mit einem Aufkleber an einer Ecke: Fisher Price – mein erstes Büromöbel. Sie sah sich mit an die Brust gezogenen Knien dasitzen und wie wild auf einem Spielzeugcomputer herumtippen, während ihr Vater liebevoll zusah.

Das war lächerlich, schließlich hatten sie früher schon zusammengearbeitet. Aber Keith war nicht allzu glücklich über ihre Entscheidung, eine lukrative Karriere in einer Anwaltskanzlei aufzugeben, um mit dem Kameraobjektiv fremdgehenden Ehemännern hinterherzuspionieren. Während der vergangenen Monate hatte er sich einreden können, sie wäre da, weil er noch nicht wieder gesund war. Aber Veronica merkte zunehmend, wie es ihn wurmte. Wenn sie ihm mitteilte, dass sie erst spät nach Hause kommen würde, weil sie jemanden observierte, oder wenn sie etwas Lustiges oder Seltsames erwähnte, das sie bei einem Fall erlebt hatte, wurde Keith ganz still und wandte sich rasch ab. Als hätte sie sich lächerlich gemacht und es wäre ihm peinlich.

Er konnte nicht verstehen, warum sie zurückgekommen war. An manchen Tagen verstand sie es ja selbst nicht. Neptune war immer noch dieselbe funkelnde und doch schmuddelige Küstenstadt – wie ein angelaufener Bronzeengel, der über einem Friedhof wachte. Aber in dem Augenblick, als sie anfing, Logans Fall zu bearbeiten, hatte sie ihr Verlangen verspürt, zu ermitteln. Der Wunsch, die Wahrheit in einem Lügengeflecht zu entdecken, war wie ein Sog.

Ein paar Minuten später traten sie gemeinsam hinaus in den milden Sonnenschein. Veronica musterte ihren Vater kurz aus den Augenwinkeln und bemerkte, wie er die Lippen zusammenpresste, als sie die drei Stufen zum Parkplatz hinuntergingen. Keith Mars war ein kleiner, untersetzter Mann, fast glatzköpfig, aber mit einem dunklen Haarkranz an den Seiten. Sein kantiger Kiefer lief schon mittags Gefahr, einen Anflug von Bartstoppeln zu zeigen. Er sieht aus wie ein Cop, dachte sie und musste lächeln. Es war acht Jahre her, dass er zum letzten Mal eine Uniform getragen hatte, aber für sie würde er immer aussehen wie ein Polizist.

»Wie fühlt es sich an, deiner Topform einen Schritt näher zu sein?«

Keith klopfte mit seinem Stock auf den Bürgersteig. »Ich komm voran, einen winzigen Hinkeschritt nach dem anderen.«

»Hey.« Sie versetzte ihm einen sanften Stoß. »Spiel deine Karten richtig aus und ich lasse dich sogar das Aquarium sauber machen.«

Logans schnittiges mitternachtsblaues BMW-Cabrio stand auf einem Parkplatz voller Mittelklassewagen. Er hatte darauf beharrt, Veronica den Wagen während seines Einsatzes zu leihen. »Ich werde die nächsten sechs Monate auf einer riesigen Blechbüchse im Persischen Golf festsitzen. Was nutzt mir das Cabrio dort?«

Sie hatte versucht zu protestieren – der Wagen kostete mehr, als sie in den nächsten Jahren vermutlich verdienen würde –, aber sich auf den Fahrersitz gleiten zu lassen, gab ihr jedes Mal einen Kick. Und das lag nicht nur daran, dass das Armaturenbrett aussah wie in einem Raumschiff und die Ledersitze so weich waren wie ein Kinderpopo. Ein schwacher Geruch, warm und waldig, hing im Fahrersitz – ein entfernter Hauch von Logans Aftershave. Und wenn sie die Finger um das Lenkrad legte, konnte sie beinahe seine Hände unter den ihren spüren.

Du wirst weich, Mars, sagte sie sich, während Keith sich anschnallte. Du kannst dir den Luxus nicht mehr erlauben, dich wie ein liebeskranker Teenager aufzuführen.

Und überhaupt, schon zweieinhalb Monate waren vorbei – nur noch einhundertzwölf Tage, bis Logan zurückkam.

KAPITEL 2

Nachdem Veronica ihren Vater zu Hause abgesetzt hatte und wieder zurück in Richtung Mars Investigations fuhr, war der Verkehr bereits der reinste Albtraum. Die Frühjahrsferien waren in ihrer ganzen ausgelassenen Pracht über Neptune hereingebrochen, und obwohl der größte Teil der Feierwütigen die Strände und Promenaden bevölkerte, hatte sich die Party auch landeinwärts ausgebreitet, kroch die Geschäftsviertel und historischen Straßen der Innenstadt hinauf. Die Betrunkenen und Desorientierten überschwemmten die Bars, Restaurants und Geschäfte in ganz Neptune, sogar an einem Montag um die Mittagszeit. Das ging jetzt schon seit über einer Woche so und würde vor Mitte April nicht enden – die Küstenstadt war von Hunderten von Colleges aus leicht mit dem Auto erreichbar und jedes hatte einen eigenen Spring-Break-Termin.

Veronica warf einen Blick in den Rückspiegel. So weit das Auge reichte, lag die Autoschlange bewegungslos in der Sonne. Auf den Bürgersteigen wimmelte es von Studenten, die Freunden etwas zuriefen und Glasflaschen hoben, um sich spontan zuzuprosten. Die Gesetze bezüglich des Trinkens von Alkohol in der Öffentlichkeit waren offenkundig außer Kraft gesetzt. Aber das war während der dreiwöchigen Feriensaison nicht anders zu erwarten – in Neptune regierte das Geld und niemand verstand das besser als Sheriff Dan Lamb. Die meiste Zeit des Jahres verbrachte er damit, »unerwünschte Personen« (übersetzt: jeden, der sich nahe der Armutsgrenze bewegte) von den Straßen zu vertreiben, um dann wegzuschauen, wenn achtzehnjährige Komasäufer scharenweise dort auftauchten.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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