Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - E-Book

Versklavt - Zurück zur Freiheit E-Book

Angela Finck

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Beschreibung

Die Welt ist nicht mehr die, die Ami kannte; nicht mehr die Welt, in der sie 29 Jahre ein unbeschwertes, glückliches Leben geführt hatte. Das Grün des Grases, das leuchtende Blau des Himmels, der Duft nach Sommer sind verschwunden und die Sonne versteckt sich hinter einer dichten Wolkendecke. Alles wirkt karg und grau. Die, noch stehenden, Bäume sind schwarz, kahl und tot. Die Luft ist verpestet vom Qualm und Staub dieser Zeit. Es ist kalt und regnerisch. Die Menschen, die überlebt haben sind Sklaven. Sklaven der Außerirdischen, die vor 3 Jahren aus dem Nichts auftauchten und mit ihren Raumschiffen sämtliche Machtzentren der Erde zerstörten. Ami und ihre Freunde sind Sklaven. In Gefangenschaft hören sie Gerüchte über einen 'freien Ort'. Genau dort wollen sie hin, um endlich wieder in Freihet leben zu können. Sie schaffen es zu fliehen und wir begleiten die Gruppe auf ihrem Weg zurück zur Freiheit.

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Seitenzahl: 607

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Angela Finck

Versklavt - Zurück zur Freiheit

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

1

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3

4

5

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7

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Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Hallo mein älteres Ich,

oh man, wenn du das hier liest, ist es 10 Jahre her, dass ich es geschrieben habe. Was in dieser Zeitspanne alles passiert, kann ich mir gar nicht vorstellen. Das ist noch so weit weg. Woher soll ich jetzt schon wissen, was bis dahin aus mir geworden ist?

Ich hoffe nur, dass ich an deiner Stelle sagen kann, die langen Ferien nach dem Abi genossen zu haben. Die letzten Wochen in wahrer Freiheit - bevor, mit meiner Ausbildung, der Ernst des Lebens losgeht.

Na wenigstens ist jetzt schon geklärt, dass ich nicht im Kostümchen auf der Arbeit erscheinen muss. Die finde ich so ätzend; da sieht man aus wie eine alte Frau.

Vielleicht bist du jetzt auch schon verheiratet und hast Kinder - wer weiß schon, wohin mich unser Weg führen wird. Wenn es nach mir ginge, würdest du, in deiner Zeit, die ganzen Discos unsicher machen. Ich bin nämlich eine Partymaus - nicht dafür gemacht das Heimchen am Herd zu sein.

Aber egal was du tust, falls du dich doch noch mal verlieben solltest, denk dran, dass es ein Typ ist, der weiß, wie man mit einer Lady umzugehen hat: nicht so wie Tim, dieser Idiot.

Wenn ich mir was für unser Leben wünschen könnte, dann wäre es ein modern eingerichtetes Penthouse in der Stadt und ein schickes Auto: ein rotes Cabrio. Und natürlich ein gutes finanzielles Auskommen. Ich habe schließlich keine Lust darauf jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen, wenn ich mir was kaufen will.

Aber das sind alles nur materielle Dinge. Was ich mir wirklich für uns wünsche ist, dass wir auf keinem Abschnitt in unserem Leben jemals unsere Freiheit verlieren. Dass wir immer glücklich uns sorglos durchs Leben laufen können - mit einem Lächeln auf den Lippen. Dass es uns frei steht, wohin wir gehen und dass es niemanden gibt, vor dem wir zu Kreuze kriechen müssen. Denn ich habe nicht vor mein Leben auf den Knien auszuhauchen – wenn ich sterbe dann stehend!!!

In der Hoffnung, dass es dir bis zum heutigen Tag gut ergangen ist, verbleibt in Erinnerung.

1

Ich saß auf einer Holzpalette vor unserer Baracke, einem spärlich zusammen gezimmerten Gebäude aus Wellblech und Holz. Ich starrte in die Pfütze unter mir und begutachtete mein Spiegelbild. Es war schwer vorstellbar, dass ich die Person sein sollte, die aus dem Wasser zu mir hoch starrte. Das eingefallene Gesicht mit tiefen Augenringen, dünn und ausgemergelt, wie ein mit Haut überzogenes Skelett. Meine dunkelbraunen Augen hatten jeden Glanz verloren, völlig leer und ausdruckslos. Selbst wenn ich mich zu einem Lächeln durchringen konnte, sah die Fratze im Wasser immer noch gruselig aus. Meine Haare, die mir einst lang, braun und glänzend über den Rücken fielen, waren nun stumpf, verdreckt und verklebt zu einem Knoten im Nacken gebunden. Im Laufe der Jahre war das Haar so nachgewachsen, dass sich nun auch dieser Haarknoten herausgehangen hatte. Das Haargummi war untrennbar mit dem Gewirr auf meinem Kopf verbunden. Ich sah einfach nur aus wie ein Zombie, mehr tot als lebendig.

Ich versuchte mir vor Augen zu führen, wie ich einst gewesen war. Meine Gedanken schweiften ab - ich blickte zurück in die Zeit, in der es mir noch um einiges besser ging.

Ich fand mich auf einer grünen Wiese wieder. Mein Mann, unsere Freunde und ich machten ein Picknick am See. Wir tranken Bier, aßen, auf offenem Feuer, gegrilltes Fleisch; wir unterhielten uns ausgelassen und lachten viel. Es war richtig warm. Der Himmel war hellblau. Der See glitzerte in der Sonne. Wir waren einfach nur sorglos und glücklich. Nichts hätte dieses Glück trüben können. Ich wollte in diesen Gedanken versunken bleiben, denn jetzt spürte ich noch einmal die Wärme der Sonne - ich musste sogar unwillkürlich lächeln.

Allein diese kleine, banale Erinnerung sorgte dafür, dass ich mich besser fühlte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als noch einmal die satten Farben eines Sommers zu sehen. Ich war dieses grau in grau dieser Zeit leid, es war wie ein kalter Herbst mit zu viel Regen. Hier und heute war keine Sonne mehr zu sehen. Blickte ich gen Himmel, war es ständig grau und bewölkt - blickte ich zu Boden, sah ich auch nur ein graues Aschefeld, dort wo einmal eine schöne Grünfläche gewesen war. Die Bäume waren schwarz, kahl und tot. Nie wieder würden sie von einem Blattwerk oder gar Blüten geziert werden. Der Anblick der Welt, die mich umgab, war einfach nur noch deprimierend.

Der beißende Geruch von verbranntem Fleisch und angesengten Haaren stieg in meine Nase und ließ mich ungewollt in die Gegenwart zurückkehren. Der Scheiterhaufen war gerade angezündet worden. Wieder einmal hatten die derzeitigen widrigen Umstände einige von uns dahin gerafft. Ihre Leichen wurden auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Jetzt würde mein Mann, Kai, bald zu mir nach Hause kommen. Er war, wie so häufig, dazu aufgerufen worden sich um die Toten zu kümmern. Vor etwa drei Monaten wurde ihm diese Aufgabe zusätzlich zugeteilt. Nun wartete ich ungeduldig auf seine Rückkehr.

Ich sah Kai schon von weitem; mit gesenktem Kopf kam er auf mich zu. Die Zeichen der Zeit hatten auch bei ihm Narben hinterlassen. Hauptsächlich Seelische. Auch er hatte abgenommen. Allerdings verarbeitete sein Körper die ehemaligen Fettzellen zu Muskeln, dass lag an den körperlichen Arbeiten, welche er hier zu verrichten hatte. Zusätzlich trainierte er regelmäßig, wodurch er ein noch breiteres Kreuz bekommen hatte. Nun hatte er die Statur eines jungen Gottes. Ach, wenn er sich nur rasieren könnte, dachte ich bei mir. Sein Gesicht hatte ich schon seit Jahren nicht mehr richtig gesehen, da nun ein Vollbart, das einst hübsche Gesicht zierte. Doch dies hatte nur wenig Bedeutung, angesichts der Tatsache, dass er seine geradezu ansteckende Fröhlichkeit verloren hatte. Damals hatte er immer einen Witz auf den Lippen; er war immer dazu in der Lage mich zum Lachen zu bringen, selbst wenn es mir mal nicht so gut ging. Heute sprach er eher selten. Selbst er, der allem eine positive Seite abgewinnen konnte, hatte die Hoffnung verloren.

Ich stand auf, ging ihm entgegen und schloss ihn zur Begrüßung in die Arme. Es fühlte sich immer noch gut an. Ein kurzer Moment der Zufriedenheit. Kai gab mir einen Kuss auf die Stirn und wir gingen gemeinsam, uns an den Händen haltend, in unsere Baracke.

Ich sah mich erneut in der Baracke um. In der Mitte war eine Feuerstelle, die gleichzeitig zum Kochen und zum Heizen genutzt wurde. Daran stand meine Schwester Anna, auch sie hatte ihre einstige Schönheit verloren. Ihr Körper ausgezehrt. Das Gesicht eingefallen, ihre Haare hingen stumpf, dreckig, und strähnig herunter. Damals, kurz vor dieser Zeit, hatte sie sich die Haare blondieren lassen. Jetzt war sie zweifarbig: oben einen kinnlangen Ansatz in ihrer dunklen Naturhaarfarbe, die Längen in einem, mittlerweile, hässlich dreckigem wasserstoffblond. Schon öfter hatte ich ihr angeboten, das blond mit einem Messer weg zu schneiden. Doch sie war immer der Meinung, dass ihr Naturhaar noch zu kurz wäre.

Neben der Feuerstelle stand ein Tisch mit sechs Stühlen, so klapprig, dass sie jeden Moment zusammenfallen konnten. Quer durch den Raum waren unter der Decke Seilzüge gespannt – an ihnen hingen alte Duschvorhänge. Sie waren von unseren Vorgängern angebracht worden. Hinter diesen improvisierten Wänden befanden sich unsere Schlafbereiche – dreckige, durchgelegene Matratzen und eine dünne Decke. Ich fragte mich erneut, wie es so weit kommen konnte. Wieder schweiften meine Gedanken ab, zurück zu dem Tag, an dem alles begann.

2

Ich sah unsere alte Wohnung mit dem bequemen Sofa, der modernen Anbauwand und den vielen Blumen. Ich sah die hochmoderne Küche, die ich einst besessen hatte und das große, bequeme französische Vollpolsterbett. All die schönen Dinge, die ich jetzt nicht mehr hatte. Ich sah mich, wie ich mich für Heinz‘ Grillparty zurechtmachte und wie Kai im Bad stand und sich rasierte. Das waren die letzten Minuten in unserer Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir nicht gedacht, dass wir unser Zuhause sobald nicht wieder sehen würden.

Es war ein wunderschöner Abend, als wir zur Grillparty unseres Vermieters Heinz, am anderen Ende der Stadt, gingen. Seit wir in Heinz‘ Sechs-Familien-Haus eingezogen waren, war es Tradition, dass er seine Mieter an jedem ersten Samstag im September zu sich nach Hause, zu einem Grillfest, einlud. Wir saßen auf seiner Terrasse in seinem Garten. Seine Blumen blühten in den schönsten Farben und sie dufteten sehr intensiv. Es war kein Wunder, das der Garten so gepflegt war. Seit Heinz in Rente war, hatte er seinen Garten in ein Urlaubsparadies verwandelt.

Fast alle Mieter waren da. Jonas, seines Zeichens Hubschrauberpilot bei der Bundeswehr. Er war das Abbild eines Klischees über Soldaten, groß, muskulöser Körper und die Haare kurz geschoren.

Silke und Ben, ein junges Pärchen. Sie wirkten nebeneinander vollkommen unterschiedlich. Sie war sehr offen und lebensfroh und ihr Gesicht strahlte, unter ihrem blonden Kurzhaarschnitt, eine fast ansteckende Fröhlichkeit aus. Ben hingegen war eher hager und in sich gekehrt. Die langen schwarzen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Immer, wenn ich sah, wie viel er verschlingen konnte, fragte ich mich: Wo steckt er sich das nur hin? Die beiden waren etwas jünger als wir und hatten in Heinz‘ Haus ihre erste gemeinsame Wohnung bezogen. Sie studierte Medizin und er war Systemadministrator.

Meine Schwester Anna war natürlich auch mit dabei. Sie war mit in unser Haus gezogen, nachdem sie ihren Ex-Freund verlassen hatte.

Und dann war da noch Mark. Über ihn wusste ich nicht wirklich viel, er war fast nie zu Hause, daher bekam man ich ihn nur selten zu Gesicht. Er war dürr und blass, irgendwie nie richtig anwesend. Er sprach sehr wenig, und wenn man sich mal mit ihm unterhalten konnte, wirkte er immer sehr nervös. Ich wunderte mich, dass er überhaupt an diesem jährlichen Treffen teilnahm.

Marlene und Ulli waren nicht da; sie waren wieder in Urlaub. Die Zwei sind echt zu beneiden.

Wir unterhielten uns ausgelassen, während Heinz das Fleisch auf den Grill legte. Er war bereits siebzig Jahre alt, doch noch so rüstig, dass man ihn für fünfzig halten konnte. Lediglich die Falten und das weiße Haar verrieten sein Alter.

Das scharf marinierte Fleisch roch unter der Hitze des Grills sehr appetitlich. Ich bekam richtig Hunger. Ich nahm mir etwas Baguette aus dem Brotkorb und bestrich es mit hausgemachter Kräuterbutter. Doch der Genuss, dieses kleinen Häppchens regte meinen Appetit noch mehr an. Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis die Steaks und Würstchen fertig waren. Mit verschiedenen Salaten als Beilage genossen wir dieses frisch gegrillte Fleisch. Wir machten uns einen wundervollen Abend mit gutem Wein, Bier und lustigen Anekdoten aus dem Sommer, welchen wir mit diesem Abend verabschiedeten.

Obwohl es langsam dunkel wurde, war es immer noch warm und der Himmel so klar, dass man bereits die ersten Sterne sehen konnte. Plötzlich zogen Wolken auf, es wurde kalt und windig. Zwischen den Wolken erkannte ich kleine, gelbe Lichter und wie aus dem nichts schien ein grell-grün leuchtender Lichtstrahl in Richtung Erde. „Was ist das?“, ich deutete auf dieses ungewöhnliche Himmelsschauspiel. Alle sahen auf um sich anzusehen, was meine Aufmerksamkeit ergattert hatte. Wir rührten uns nicht; starrten mit geöffnetem Mund gen Himmel. Erst hörten wir ein fürchterliches Grollen, die Feuerwehrsirenen ertöten; sie signalisierten Fliegeralarm. Heinz war der Erste, der aus der Starre erwachte. „Los kommt mit!“, rief er.

„Nein, ich will mir das ansehen", erwiderte Ben.

Der Wind wurde stärker, ein erneutes Grollen in der Ferne übertönte den Dauerton der Sirenen. Auch ich war immer noch fasziniert von den Lichtern, die ich am Himmel sah.

„Was auch immer das ist, es wäre nicht gut, wenn wir hier draußen bleiben", redete Heinz auf uns ein.

Die Lichter am Himmel zogen Kreise und kamen langsam aber stetig näher, der grüne Lichtstrahl weiterhin bedrohlich gen Erde gerichtet.

„Los jetzt kommt schon in meinen Bunker.“, Heinz wurde langsam ungeduldig. Anna zog Kai und mich am Arm. Silke tat das Gleiche bei Ben. „Lass mich, das ist fast so wie bei ‚Independence Day’.“, wehrte sich Ben immer noch.

„Ja, und alle, die auf dem Hochhaus standen, um die Außerirdischen Willkommen zu heißen, sind gestorben. Also jetzt sieh zu das du mit in den Bunker kommst!“, Silke wurde richtig laut. Daran erkannte ich, dass Silke in dieser Beziehung die Hosen anhatte. Nun setzte sich auch Ben in Bewegung und man konnte Heinz das, Endlich!, welches er dachte, regelrecht ansehen. Er führte uns in seinen Geräteschuppen und öffnete eine Falltür im Boden. „Geht da runter!“, wies er uns an. Wir stiegen die enge Holztreppe hinab, die in einem kleinen Vorraum mit einer riesigen Stahltür endete. Heinz öffnete diese: „Tretet ein.“ Ehe wir uns versahen, standen wir in einem voll eingerichteten Bunker. Wir mussten uns gerade im Hauptraum befinden, er war relativ groß, in einer Ecke stand eine Eckbankgruppe neben einer kleinen offenen Küche.

„Wow, was ist das hier?“, fragte Ben, jetzt für den Moment vollkommen begeistert von dem, was sich vor seinen Augen erschloss; nicht mehr darüber nachdenkend, was gerade über uns vor sich ging.

Ein gewöhnungsbedürftiges, ansaugendes Geräusch und die Verriegelung der Türschlösser, ließen mich zusammenzucken. Heinz hatte uns alle hier eingesperrt. „Heinz, ist das wirklich nötig?“, fragte ich.

„Vorerst ja. Wir wissen nicht, was dieses Ding da oben ist. Es könnte ein Luftangriff sein. Warum sonst sollten die den Fliegeralarm einschalten?“

„Ach, das waren diese komischen Sirenen", brachte sich Anna in das Gespräch ein.

„Das war mit Sicherheit kein Luftangriff, seit wann haben Bomber solche Lichter?“, wir alle wussten, worauf Ben anspielte, aber das schien uns unmöglich, es ging zumindest über das normale Denken hinaus. So etwas gab es nur im Film, nicht in der Realität. „Davon mal abgesehen war nichts von solch extremen politischen Unruhen in den Nachrichten gewesen", untermauerte Ben seine Vermutung weiter.

„Was auch immer das ist, ich könnte eine Zigarette vertragen", meinte Kai, während er in seiner Hosentasche wühlte.

„Die liegen oben auf dem Tisch", antwortete ich fast verzweifelt. Auch ich sehnte mich jetzt nach der Beruhigung, die diese Mischung aus der Tabakpflanze und diversen Süchtigmachern, zusammengepresst zu einem kleinen Stick, mit sich brachte.

„Da werdet ihr jetzt auch nicht mehr dran kommen, denn solange es da oben nicht sicher ist, geht niemand mehr hier raus", sagte Heinz mit einem sehr bestimmenden Tonfall, der mich für einen kurzen Moment ärgerte. Andererseits wollte er uns ja nur schützen.

„Wie lange werden wir hier bleiben müssen?“, fragte Anna.

„Wie gesagt, so lange wie nötig, im besten Fall können wir morgen wieder hier raus, oder auch erst in ein paar Wochen, aber macht euch keine Sorgen. Mal abgesehen von Zigaretten haben wir hier alles was wir brauchen. Strom, Wasser, gefilterte Frischluftzufuhr. Sogar eine Toilette. Oh, da fällt mir gerade etwas ein.“ Heinz ging an der Küche vorbei und öffnete eine Tür. Er ging hindurch, ließ die Tür hinter sich geöffnet, schaltete das Licht ein. So erkannte ich, dass es sich dabei um einen Vorratsraum handeln musste.

„Ich muss euch leider sagen, dass diese Vorräte für uns alle gerade mal für zwei Monate reichen, wenn wir sie gut einteilen", sagte Heinz, als er wieder in den größeren Gemeinschaftsraum zurückkam.

„Wir wollen doch hoffen, dass es nicht so lange dauert", meinte Silke.

„Wir werden sehen, aber jetzt setzt euch erst mal hin und lasst uns mal hören, was mein Weltempfänger so zu berichten hat. Er schaltete das Gerät ein, nachdem wir alle auf der Bank oder den Stühlen um den Tisch platz genommen hatten. Es war zunächst nur ein Rauschen zu hören; kurz darauf hörten wir eine Männerstimme: „Bitte bleiben sie ruhig und in ihren Häusern, Hilfe ist unterwegs. Bitte bleiben sie auf Empfang und warten sie auf weitere Anweisungen.“ Doch eine weitere Durchsage kam nicht mehr. Es war nichts mehr zu hören außer einem Grollen und fernen Explosionen, über uns auf der Erde. Es schien mir unwirklich, wie in einem Albtraum. Wir spekulierten weiter über die Geschehnisse über uns, doch alles Gerede brachte nichts. Wir konnten nur warten. Warten darauf, dass etwas passierte. Irgendetwas. Doch nichts. Die Ungewissheit, über das, was an der Oberfläche vor sich ging, machte mich fast verrückt. Ich hasste es, eine Situation nicht selbst unter Kontrolle zu haben und völlig der Willkür anderer ausgeliefert zu sein.

Auf der Uhr, die an der Bunkerwand hing, waren gerade einmal 10 Minuten vergangen, doch es fühlte sich wie Stunden an, bis etwas passierte. Ein ohrenbetäubender Knall, die Erde bebte. Ich glaubte, jeden Moment würde der Bunker über uns zusammenbrechen. Was immer das da oben war, es war ganz in der Nähe. Ich hatte Angst. Kai nahm mich und ich Anna in den Arm. Er flüsterte mir etwas ins Ohr. Worte, die nicht nur Anna und mich, sondern auch ihn selbst beruhigen sollten.

So plötzlich es begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Heinz holte eine Flasche Schnaps und Gläser. Heinz füllte die Gläser. „Hier. Damit wir uns von dem Schreck erholen können.“, er reichte jedem von uns ein Glas. Der Alkohol brannte unangenehm in meiner Kehle, dennoch war es genau das, was ich jetzt brauchte, um mich zu beruhigen. Immer noch zitternd nahm ich mein Handy und versuchte meine Eltern anzurufen. „Das wird nichts nützen", sagte Heinz, „Hier unten hast du keinen Empfang.“ Obwohl mein Handy Heinz’ Aussage bestätigte, wollte ich es nicht glauben. Trotzdem klickte ich mein Telefonbuch durch, bis ich die Nummer meiner Eltern gefunden hatte. Ich wollte doch nur wissen, ob es ihnen gut ging. Doch nichts, nicht mal ein Freizeichen. Ernüchterung, nicht nur bei mir, sondern bei allen Anwesenden. Wir schalteten die Handys aus. Sie hier unten an zu lassen wäre vergeudete Energie. Ich steckte meines wie gewohnt zurück in die Tasche. Sobald ich hier raus bin, versuch ich es sofort noch mal, nahm ich mir vor. Die anderen taten es mir gleich. Jeder von uns hatte irgendwo da draußen noch Freunde und Verwandte gehabt und jeder wollte wissen, was passiert war, ob sie auch irgendwo untergekommen waren und ob es ihnen gut ging. Jedem anwesenden Augenpaar konnte ich die Sorge ansehen.

Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden und Stunden zu Tagen. Die Zeit zog sich wie Gummi in unserem Betongefängnis. Die kahlen, weißen, massiven Wände beengten mich. Der Nikotinentzug machte mich aggressiv und die Isolation machte mich verrückt.

Es vergingen Tage, Wochen, ohne genau zu wissen, was dort oben passiert war und niemand wollte es sich so wirklich vorstellen. Das Einzige, was wir von draußen mitbekamen, war grollen ähnlich dem von Explosionen. Zeitweise bebte die Erde noch. Es war keinesfalls sicher auf der Erdoberfläche.

Oft saßen wir im Gemeinschaftsraum am Tisch und spekulierten wir darüber, was die gelben Lichter und der grüne Strahl am Himmel zu bedeuten hatten. Eindeutig hatten wir zu viele Science-Fiction-Filme gesehen, denn die einzige logische Schlussfolgerung, für dass, was wir gesehen hatten, war: Außerirdische. Außer Ben wollte aber niemand so recht daran glauben. Das wäre verrückt, das war der Stoff aus dem Filme und Bücher entstanden – keinesfalls real.

Wir versuchten uns die Zeit mit diversen Brett-, Karten- und Würfelspielen zu verkürzen, die Heinz in seinem Bunker deponiert hatte. Doch bei dem spärlichen Licht, das die Glühbirne, über dem Tisch im Gemeinschaftsraum, spendete, hatte das ganze Szenario eher etwas von einer Kneipenatmosphäre. Nur der Qualm einer oder mehrerer Zigaretten fehlte. Das Verlangen nach einer Zigarette war derzeit fast unerträglich und ich fragte mich, wann es endlich besser werden würde. Wie lange würde es noch dauern, bis der Nikotinentzug nicht mehr an Kai, Ben und mir nagte? Lediglich Mark hatte es noch schlimmer getroffen. Er zitterte vor Nervosität. Er war leichenblass, kalter Schweiß lag auf seiner Stirn und Wahnsinn funkelte in seinen Augen. Zusammengekauert saß er in einer Ecke und stammelte etwas vor sich hin. Auch für einen Nichtmediziner war zu erkennen, dass er einen anderen körperlichen Entzug zu ertragen hatte. Dagegen war leichte Aggression fast schon normal.

Als weiteren Zeitvertreib trainierte Jonas uns in verschiedenen Selbstverteidigungstechniken sowie den Umgang mit einer Waffe, allerdings ohne Munition. „Dieses kostbare Gut sollten wir nicht vergeuden", meinte Jonas, nachdem er Heinz gebeten hatte, eine Waffe aus dem Waffenschrank des Bunkers zu nehmen. Für die Männer stellte es kein Problem dar, denn Jonas hatte durch seinen Beruf, den Umgang mit Waffen gelernt. Kai hatte seine Treffsicherheit bereits mehrmals im Schützenverein bewiesen. Und auch Ben hatte beim Waffentraining im Grundwehrdienst sehr gut abgeschnitten. Neben der Tatsache, dass die Zeit auf diese Weise schneller verging, hatte dieses Training noch einen weiteren Vorteil: Aggressionsabbau. Zudem sollten wir vorbereitet sein uns zu schützen, wenn es an der Zeit war, den Bunker zu verlassen. Wir wussten schließlich nicht, was uns dort oben erwartete.

Nun war ungefähr ein Monat vergangen. Ab und an waren noch Explosionen zu hören. Der Nikotinentzug hatte sich so weit gelegt und im Training hatten wir super Fortschritte gemacht. Es war kaum zu glauben, dass ich es schaffte, meinen Mann niederzuringen. Er hatte es mir etwas leichter gemacht. Dennoch war es vorher unvorstellbar gewesen, dass ich mich, mit meinem zierlichen Figürchen, jemals gegen 110 kg Lebensgewicht durchsetzten könnte. Mittlerweile bereiteten mir die Angriffe und das Verteidigen keine Schmerzen mehr. Anfänglich hatte ich noch bei jedem ausgeteilten Schlag ein lautes „Aua“ von mir gegeben; jetzt war ich schon richtig abgehärtet.

Nachdem wir unsere Sucht überwunden hatten, hatten wir richtig Spaß oder zumindest machten wir das Beste aus unserer Situation. Nur Mark schien immer noch völlig fertig zu sein. Sein Zustand war unverändert, er saß immer noch zusammengekauert in seiner Ecke und stammelte etwas vor sich hin, das sich bei genauem Zuhören etwa anhörte wie: „Ich bin tot!“ Die letzten Tage hatte er sogar das Essen verweigert und eines Abends verlor er komplett die Nerven. Er schrie herum und rannte zum Ausgang des Bunkers. Er zerrte und stieß gegen die schwere Tür: „Ich will raus!“ Ben und Kai versuchten ihn aufzuhalten; ihn wieder zur Vernunft zu bringen, doch Mark schlug um sich. Er war völlig einem unerklärlichen Wahn verfallen. Kai presste Mark gegen die Betonwand und wies ihn an sich zu beruhigen. Doch es hatte keinen Sinn. Mark wehrte sich mit Händen und Füßen und auch seine Wortwahl ließ mehr als zu wünschen übrig. Ich ging zu den beiden. „Lass ihn gehen, es hat keinen Sinn mehr. Er sieht keinen Sinn mehr“, flüsterte ich Kai zu. Kurz darauf kam Heinz und öffnete widerwillig mit dem Schlüssel die Bunkertür um Mark raus zu lassen. Mark stieß Kai zur Seite und stürmte aus unserem unterirdischen Betongefängnis. Sofort schloss Heinz die Tür wieder. Erneut begann die Erde zu beben und wieder war ein lautes Grollen zu hören. Wir waren uns sicher: Wir hatten zugelassen, dass Mark in den Tod lief.

Jetzt war es zwei Wochen her, seit Mark den Bunker verlassen hatte. Wir waren nur noch zu siebent und Heinz’ wurden Vorräte knapp. Zu allem Überfluss hatte sich auch der Notstromgenerator durch die Dauerbelastung abgeschaltet. Kein Licht mehr, nur noch der Schein der Kerzen, deren Flammen sich mit unserem Sauerstoff nährten. Die Stimmung sank rapide. Jeder Einzelne von uns zog sich zurück nur um den anderen keine Dinge an den Kopf zu werfen, die man später bereuen würde. Mehr denn je kam mir der Bunker wie ein Gefängnis vor. Während ich so auf meinem Bett lag, dachte ich darüber nach, ob es noch einen Sinn hatte, länger hier zu bleiben. Hier unten würden wir früher oder später verhungern und was da oben auf uns wartete, wusste niemand von uns. Nur eines war gewiss: Seit etwa drei Tagen waren keine Explosionen mehr zu hören; die Erde hatte nicht mehr gebebt.

Ich sehnte mich danach wieder einmal frische Luft zu atmen, den Himmel zu sehen, das Zwitschern der Vögel zu hören. Ich wollte, wenn ich schon sterben musste, als freier Mensch sterben. Nicht als Gefangene in diesem Loch.

„Es wird Zeit, dass wir den Bunker verlassen, und sehen, was da oben auf uns wartet. Vielleicht findet über uns wieder das ganz normale Leben statt und wir kauern hier und warten darauf früher oder später den Hungertod zu erleiden", schlug ich bei unserem kalten Mittagessen, den anderen vor.

„Da oben erwartet uns auch nur der Tod, wir sind wahrscheinlich die einzigen Überlebenden", gab Ben gereizt zurück.

„Jetzt komm mal wieder runter", sagte ich ruhig, „Natürlich, das mit dem normalen Leben ist wahrscheinlich mehr als übertrieben von mir, muss ich zugeben. Aber wie viele Action und Endzeitfilme hast du schon gesehen? Du bist doch derjenige von uns der immer daran, glaubt, dass es ein Happy End gibt. Und in jedem von diesen Filmen, die ich gesehen habe, gab es immer mehr als eine Gruppe überlebende die sich gegen dieses Elend auflehnten, das sich über die Menschheit gelegt hatte.“

„Der Tod erwartet uns so oder so, ob hier unten oder oben. Aber auch ich bin dafür, dass wir uns aufmachen und vor unserem Tod wenigstens noch ansatzweise herauszufinden, was passiert ist“, meinte Jonas.

„Was wäre das Leben ohne ein wenig Abenteuer? Ich bin dabei“, sagte Kai zustimmend. Auch Anna stimmte zu. Lediglich Ben und Silke zögerten noch. Ben wirkte nachdenklich, vermutlich versuchte er sich jetzt gerade alle Filme in Erinnerung zu rufen. Er grinste: „Gut ich komm mit.“ Erst jetzt stimmte auch Silke zu.

Heinz stand auf und ging in Richtung Vorratsraum. „Ich bin zu alt für solche Abenteuer. Ich bleibe. Macht euch keine Sorgen, was aus mir wird, ich habe für mich schon einen Plan.“, er öffnete den Waffenschrank und brachte jedem von uns ein Gewehr und Munition.

„Bist du sicher, dass du hier bleiben möchtest?“, fragte Jonas.

„Ja, ich bin euch nur eine Last und ich habe schon so viel Leid in meinem Leben gesehen, da muss ich nicht noch mehr erleben", antwortete Heinz ruhig. Daraufhin gab er Jonas den Schlüssel zum Waffenschrank und zum Bunker. „Falls ihr Waffennachschub braucht.“

Wir verabschiedeten uns von Heinz, mit dem Versprechen wieder zu kommen, wenn wir uns über die Lage in der Stadt im Klaren waren. Heinz nickte und schloss jeden von uns noch einmal in die Arme.

Wir stiegen hinauf, in das, was einmal Heinz’ Garten gewesen war. Unsere Augen mussten sich erst wieder, nach der langen Zeit im relativ dunklen Bunker, an das Tageslicht gewöhnen. Es war kalt. Es musste jetzt Mitte Oktober sein. Doch von einem goldenen Oktober war nichts zu sehen. Als ich meinen Augen endlich wieder trauen konnte, musste ich feststellen, dass es hier draußen irgendwie dunkel und grau war. Das lag an dem riesigen Wolkenfeld, welches über uns ragte. Aber auch daran, dass der einst schöne, blühende Garten, völlig verdorrt war. Über alles hatte sich ein grauer Aschefilm gelegt. Auch Heinz’ Haus war nicht mehr strahlend weiß und einladend sondern grau und baufällig. Riesige Risse in der Fassade; die Fensterscheiben eingeschlagen; einige Dachpfannen lagen zerbrochen auf dem Boden. Die Gartenstühle waren quer im Garten verteilt. Dort wo das restliche Fleisch liegen geblieben war, welches wir vor einigen Wochen noch gemeinsam grillen wollten, war nur noch ein nach Fäulnis stinkender Madenhaufen. Der Tisch, auf dem wir unsere Zigaretten zurückgelassen hatten, war umgekippt und unsere Zigarettenschachteln waren nirgendwo mehr zu finden. Mark musste sie mitgenommen haben. Ich war so weit vom Nikotin entwöhnt, dass es mich nicht störte, nur Kai ärgerte sich ein wenig darüber. Mein zweiter, etwas dickerer Pullover, lag auf dem Terrassenboden unter dem Pavillon. Ich hatte ihn für den Fall das es abkühlte zur Grillparty mitgebracht. Der Pullover war staubig, daher schlug ich ihn ein paar Mal in den Wind, ehe ich in mir überzog. Jetzt war mir schon um einiges wärmer. Auch Silke und Anna fanden ihre Strickjacken, die sie mitgebracht hatten, in einem der Büsche. In der Zeit, die wir in völliger Isolation verbracht hatten musste es sehr stürmisch gewesen sein.

Langsam gingen wir durch das, vom Staub befallene, Haus. Es sah richtig herunter gekommen aus, nicht so als hätte hier noch vor knapp anderthalb Monaten noch jemand friedlich gelebt - eher als würde es schon seit Jahren leer stehen. Im Staub auf dem Boden sahen wir kleine Rattenspuren. Wir gingen in die Küche. Kai drehte den Wasserhahn auf, kein Wasser. Er betätigte die Lichtschalter, kein Licht, kein Strom.

Bei jedem Schritt knarrte und ächzte der Boden unter unseren Füßen. Ich hatte Sorge, dass er unter uns zusammenbrechen würde. Ehe wir zur Haustür hinaus gingen, nahmen sich auch Jonas, Ben und Kai je eine Jacke aus Heinz’ Garderobe. „Heinz mag es uns verzeihen", meinte Ben.

Als wir uns draußen umsahen, stockte mir erst einmal kurz der Atem. Die meisten Häuser, in der sonst schönen Wohnsiedlung, waren etwa in dem selbem Zustand wie das von Heinz. Einige waren bereits in sich zusammengebrochen. Ein paar Autos standen quer und verlassen auf der Straße. Der unbeschreiblich anekelnde Geruch von Verwesung stieg mir in die Nase. Wie viele Leichen mögen wohl unter den Trümmern vergraben liegen? Oder in den Häusern?

Wir gingen die Straße in Richtung Innenstadt entlang. Keine Menschenseele war zu sehen, lediglich ein paar Ratten kreuzten unseren Weg. „Die überleben aber auch alles", sagte Silke angewidert.

„Und was haben wir jetzt vor?“, wollte Ben wissen.

„Am besten wir gehen erst mal nach Hause und schauen uns, an was da passiert ist", antwortete Jonas. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. „Aber seid wachsam“, fügte er hinzu.

Wir gingen eine Weile, der Gestank von Verwesung war fast unerträglich. Ich musste mehrere Würgereize unterdrücken.

Wir bogen in eine andere Straße ein, auch hier war es nicht besser. Die Häuser waren ebenfalls rissig, mit eingeschlagenen Fenstern und grau vor Asche und Staub oder lagen in Trümmern am Boden. Die Stille war erdrückend, wir hörten nichts außer unseren eigenen Schritten. Das war nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Es gab weder frische Luft, noch blauen Himmel, nicht mal ein zwitschernder Vogel. Und dennoch fühlte ich mich freier als in dem Bunker. Ich fühlte mich sogar richtig frei. Auf eine kuriose Art und Weise fand ich es geradezu faszinierend, dass die Stadt uns allein gehörte. Und obwohl ich mich am liebsten übergeben hätte, füllte ich meine Lungen mit der Luft, die mich umgab. Dieses Gefühl von Freiheit wollte ich in mir einsaugen und am liebsten nie wieder raus lassen.

Die Männer hielten ihre Gewehre im Anschlag, immer zum Schuss bereit. Doch hier war nichts, was man hätte nieder schießen können. Gähnende Leere. Bis ich plötzlich ein Geräusch hinter uns hörte. Ich hatte nicht mal die Zeit darüber nachzudenken, was es gewesen sein konnte oder mich umzudrehen. Alles ging wahnsinnig schnell, denn, noch ehe der Laut verstummt war, sah ich im Augenwinkel einen hellgrünen Blitz. Millisekunden später fielen Kai, Ben und Jonas. Bevor ich den Schrecken darüber verspürte, sah auch ich nichts mehr.

3

Es wurde wieder heller um mich. Schemenhaft nahm ich die Umrisse einer Person wahr, die sich über mich beugte. Dumpf hörte ich ihre Stimme: „Bleib ruhig noch etwas liegen, Kind.“ Ich spürte, wie Wasser meinen Mund benetzte. „Hier trink das.“ Auch wenn das Wasser fahl und abgestanden schmeckte, tat es meiner trockenen Kehle gut. Mein Blick schärfte sich und ich erkannte, dass es eine Frau war, die mich versorgte. Sie war schon etwas älter. Der Großteil ihres Haupthaares war ergraut, Falten hatten sich tief in ihr Gesicht gegraben. Sie lächelte freundlich.

„Wo bin ich? Wo sind mein Mann und meine Freunde?“, flüsterte ich. Ich wollte mich aufsetzen, doch meine Muskeln waren noch zu schwach. Ich sackte wieder hinab auf den harten, holzigen Boden.

„Du solltest wirklich noch etwas liegen bleiben, Kind.“, ihre Stimme klang besorgt.

„Was ist passiert?“

„Die Mächtigen haben euch gefunden. Sie haben euch betäubt und hierher gebracht.“

„Und wo bin ich?“

„In einem Arbeitslager zum Anbau von Kartoffeln, Getreide und Mais.“

Na toll, von einem Gefängnis in ein Arbeitslager, dachte ich bei mir. „Wieso Arbeitslager?“

„Die Mächtigen haben hier ein Arbeitslager zum Ackerbau eingerichtet um ihre Sklaven weltweit, also uns, mit Nahrung zu versorgen.“

„Was sind denn bitte Mächtige? Wie sehen die aus und vor allem, was wollen die von uns?“

„Die Mächtigen sind die Außerirdischen, die uns vor knapp zwei Monaten angegriffen haben. Aber ich weiß nicht viel über sie. Und bitte nenne mich Greta.“

„Ich bin Ami", sagte ich und reichte ihr die rechte Hand. „Sag mir bitte, was du weißt.“

„Ich weiß eigentlich nur, dass sie hier auf der Erde eine große Menge ihres Energiespenders geortet haben und dass sie das nun hier abbauen wollen, beziehungsweise sie uns es abbauen lassen. Aber was ihr Energiespender ist, weiß ich nicht.“

Ist nicht wahr. Ich träume das nur. Jetzt konnte ich auf dem harten Boden nicht länger liegen bleiben. Ich wollte zu Kai. „Wo ist mein Mann?“

„Welcher von den Leuten, mit denen du gebracht wurdest, dein Mann ist, weiß ich nicht, aber sie sind alle hier, allerdings immer noch ohne Bewusstsein.“

Ich setzte mich auf, was jetzt schon viel besser ging und sah mich um, spürte dabei aber ein leichtes Schwindelgefühl im Kopf. So wie das hier aussah, waren wir in einer Scheune, die Wände aus Holz, mehrere kleine, schmutzige Fenster und ein großes geschlossenes Tor. Um mich herum lagen noch einige andere Leute, alle bewusstlos. Etwa drei Personen von mir entfernt konnte ich Kai ausmachen. Noch etwas weiter glaubte ich, meine Schwester zu erkennen.

Erst jetzt spürte ich, dass etwas fest um mein linkes Handgelenk gelegt war. Nun, da ich wusste, dass es da war, störte es mich ungemein. Ich betrachtete das metallene Band, und als ich meinen Arm umdrehte, sah ich auf meinem Aderverlauf etwas liegen, dass Ähnlichkeit einer Digitaluhr hatte. Eine Anzeige blinkte grün. Ich fummelte an dieser Uhr herum; ich wollte es loswerden. Nie hatte ich eine Uhr am Arm getragen, weil ich es als störend schon fast widerlich einengend empfunden hatte und jetzt das.

„Lass das mal lieber in ruhe, Kind.“

Meine Güte, sag doch nicht immer Kind zu mir, ich bin 29 Jahre alt, stehe mitten im Leben; habe - hatte - einen gut bezahlten Job in einer großen Firma; bin verheiratet. Also bitte hör’ auf mich Kind zu nennen, alte Frau – dachte ich genervt. „Was ist das?“, fragte ich dagegen nur knapp.

„Da ist ein Peilsender drin, der uns anzeigt, wie weit wir uns von dem Turm da draußen entfernen dürfen, wenn er rot blinkt und schnell piepst, solltest du wieder zurück zum Turm gehen, wenn dir dein Leben lieb ist.“

„Was passiert, wenn man es ignoriert?“

„Das hat noch niemand ausprobiert. Sie haben uns gesagt wir würden sterben.“ Sie machte eine kleine Pause und griff hinter sich. „Hier ist übrigens deine Handtasche. Keine Sorge ich hab nicht rein gesehen. Ich weiß ja das, die Handtasche heutzutage das Heiligtum einer jeden jungen Frau ist.“

Dennoch sah ich gleich rein. „Du hast vielleicht nicht rein gesehen aber diese Außeririschen mit Sicherheit.“ Eigentlich suchte ich nur nach meinem Handy, schließlich hatte ich ja versuchen wollen meine Eltern zu erreichen. Ich schaltete es ein, doch zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass ich immer noch keinen Empfang hatte. „Ach, das liebe Handy. Nun das wirst du wohl nicht mehr gebrauchen können.“ Eine ernüchternde Aussage, die mich dazu veranlasste das Handy wieder auszuschalten und in die Tasche zurückzustecken.

„Wieso ist es noch da, die müssten sich doch eigentlich für unsere Technik interessieren? Oder irre ich mich da?“

„Sie halten unsere Technik für zu primitiv, als das sie ihnen etwas anhaben könnte.“

Wir wurden von einem Stöhnen unterbrochen. Ich drehte mich um. Es war Kai, der gerade wach wurde. Greta sah meinen erleichterten Ausdruck in den Augen und gab mir eine Flasche Wasser. „Geh zu ihm", sagte sie liebevoll. Ich kletterte noch etwas unbeholfen über die anderen Bewusstlosen zu meinem Mann hinüber. Ich streichelte seine Stirn. „Bleib noch etwas liegen, Schatz“, flüsterte ich ihm zu. Ich hob lediglich seinen Kopf leicht an, um ihm das Wasser einzuflößen. „Was ist passiert?“, flüsterte Kai kraftlos. „Wir wurden von Außerirdischen gefangen genommen", antwortete ich mit ernster Stimme. Doch Kai grinste ungläubig: „Ja, sicher.“

Ich sah mich um, nun regten sich auch Anna und Silke. „Bleib noch etwas liegen, ich komme gleich wieder", sagte ich zu Kai und legte behutsam seinen Kopf zu Boden.

„Greta, wo sind die Wasserflaschen?“, rief ich zu ihr hinüber. Sie kümmerte sich gerade um jemand anderen, der erwachte.

„Die stehen da hinten rechts in der Ecke, Kind", antwortete sie und deutete auf den Punkt, den sie meinte. Ich ging dort hin, und nahm zwei Wasserflaschen aus dem beachtlich großen Vorrat. Ich ging zu Anna und Silke, die beide nebeneinander lagen, und brachte ihnen das Wasser. Auch sie wollten wissen, was passiert war. „Wir wurden gefangen genommen", antwortete ich, „Den Rest erkläre ich euch später.“

Anna und Silke waren schneller auf den Beinen, so konnten sie auch helfen, die weiteren Erwachenden zu versorgen. Die Dosis, mit der wir Frauen betäubt worden waren, war bestimmt schwächer, nur so konnte ich mir erklären, warum wir schneller wieder fit waren als unsere Männer.

Es war bereits einige Zeit vergangen, mittlerweile waren alle wieder wach. Jonas, Ben, Silke, Anna, Kai und ich saßen zusammen in einer Ecke und ich erzählte ihnen, was ich von Greta erfahren hatte. Am meisten waren wir von dem Sicherheitssystem schockiert, welches um unser linkes Handgelenk gebunden war. Lediglich Ben hatte ein leichtes Grinsen auf den Lippen. Für ihn war es wohl ein wahnsinniges Gefühl, einen seiner heiß geliebten Filme am eigenen Leibe zu erfahren.

Auch die anderen Gefangenen, die vorher noch in kleinen Gruppen zusammen gesessen hatten, gesellten sich nun zu uns. Ich erkannte niemanden aus meiner Vergangenheit wieder und auch ihre Namen sagten mir nichts. Keiner von ihnen hätte mir Hinweise über den Verbleib meiner Eltern nennen können. Unter ihnen war jede Altersgruppe vertreten, und als ich ihre Geschichten hörte, war mir klar, warum sie so viel ausgemergelter aussahen als wir. Sie hatten die letzten Wochen schon um ihr Überleben kämpfen müssen, während wir gut versorgt im Bunker gesessen hatten. Nun begann Greta, noch einmal für alle, zu erklären, was sie mir bereits gesagt hatte. Fassungslosigkeit machte sich in der ganzen Gruppe breit, einige protestierten. Greta wurde mit Fragen überhäuft, die sie bei weitem nicht alle beantworten konnte.

Das Stimmengewirr in der Scheune unterbrach, als sich das Tor öffnete. Das trübe Licht blendete mich, doch dann sah ich drei Männer im Eingang der Scheune stehen. Sie alle waren komplett in schwarzes Leder gekleidet. Springerstiefel, Lederhose, schwarzes Shirt und ein Ledermantel. Alle drei hatten glänzend polierte Glatzen. Sie sahen ganz und gar nicht wie Außerirdische aus, eher wie die Bösen in einem Actionfilm. Was mir noch auffiel, war, dass sie zumindest für meine Verhältnisse riesig waren. Der rechte und der linke Mann maßen ungefähr 2,20 Meter. Der in der Mitte war noch etwas größer, 2,50 Meter würde ich schätzen. Dem entnahm ich, dass er wohl der Boss dieser Gruppe war.

Ich sah, wie Greta sich zu Boden warf. Ein stechender Schmerz in meinem linken Arm trieb mir die Tränen in die Augen und ließ mich auf die Knie sinken. Allerdings ging es nicht nur mir so, die ganze Scheune war mit Schreien erfüllt und alle sackten zu Boden.

„So ist es besser", hörte ich eine tiefe rauchige Stimme sagen. Ich hörte Schritte. Ich spähte nach oben. Das sind also die Mächtigen. Die Außerirdischen gingen durch die Reihen und betrachteten jeden Einzelnen von uns. Sie blickten sich an, aber niemand von ihnen sagte etwas.

Der Schmerz war bereits etwas abgeebbt, doch erheben konnte ich mich nicht. Ich war wie gelähmt. Die Schritte wurden lauter und kamen nun vor mir zum Stehen. Ich spürte wie sich eine Hand grob unter mein Kinn legte, mein Gesicht nach oben zog und mich zwang dieses menschlich Aussehende etwas anzusehen. Ein hämisches Grinsen lag auf seinen falschen Lippen. In seinen Augen, den kalten Augen einer Schlange, funkelte etwas, das ich nicht zu deuten vermochte. Ich sah ihn eindringlich an und versuchte seinem Blick stand zu halten. Meine ganze Wut, meinen Hass und Unmut gegen diese Situation legte ich in meinen Blick, in der Hoffnung, dass er spürte, wie sehr ich ihn verabscheute. Seine Hand zitterte leicht unter meinem Kinn. „Hübsches kleines Ding, und so wilde Augen", sagte er und stieß meinen Kopf wieder hinunter, so dass ich ihn nicht mehr ansehen musste.

Sie gingen weiter durch die Reihen. „Greta, bring sie zu ihren Quartieren!“, sagte der Große in einem rauen Befehlston. Doch erst als sie außer Sichtweite waren, konnte ich mich wieder selbständig bewegen.

Greta führte uns nach draußen. Das Licht brannte in den Augen, die Sonne musste über der Wolkendecke scheinen, dennoch war es eisig kalt. Das Sonnenlicht über den dunklen Wolken ließ ihr Grau unnatürlich hell wirken. Draußen stand eine hohe Säule. Das musste der Sendeturm sein, von dem Greta gesprochen hatte. Neben der Säule stand etwas, das wohl ihr Raumschiff sein sollte. Ein ziemlich großes ovales Gebilde, metallisch silbern. Um die Säule herum standen Baracken, an denen wir zunächst vorbei, zu den Anbaufeldern, gingen. Die Meisten waren noch von Asche bedeckt andere bereits umgegraben. Die Menschen, auf diesen Feldern ackerten sich den Rücken krumm. Niemand von ihnen blickte auf und doch konnte ich erkennen, dass ihre Gesichter eben so schmutzig waren wie ihre Kleidung. Hinter den Feldern sah ich Bahngleise entlang laufen und dahinter lag ein Wald mit einigen Häusern. Ich kannte diese Gegend, wir waren auf den freien Feldern eines Vorortes unserer Stadt, hier hatte ich als Kind oft mit meinen Freundinnen gespielt. Weiter links von uns sah ich auch das große Wasser-Sammelbecken, welches bereits vor knapp zwanzig Jahren dort in den Boden eingelassen worden war. „Hier werdet ihr ab morgen arbeiten. Der Sendeturm wird zwei Signale von sich geben: eines zum Wecken, das Zweite, wenn ihr am Turm zu erscheinen habt. Dort bekommt ihr euer Tagewerk zugeteilt. Solltet ihr nicht erscheinen, wäre es besser, es läge daran, dass ihr die Nacht nicht überlebt habt. Denn sie werden euch bestrafen. Vorhin habt ihr bereits nur einen kleinen Vorgeschmack von den Schmerzen bekommen, die sie uns zufügen können", erklärte Greta.

„Kannst du mir sagen, wie weitläufig der Bereich ist, in dem wir uns aufhalten dürfen?“, wollte Jonas wissen.

„Probiert es aus. Diese Häuser, da drüben, erreichen wir, aber bis ins Dorf kommen wir nicht rein", antwortete Greta.

„Gibt es einen Namen, bei dem wir diese Wesen nennen können, wenn wir Fragen haben, oder Hilfe brauchen?“, fragte er weiter.

„Herr! Doch rate ich dir, nicht zu viele Fragen zu stellen. Das könnte dir übel bekommen.“

Wir gingen wieder zu den Baracken. Mehr oder weniger einsturzgefährdete Gebilde aus Holz und Wellblech. Greta öffnete eine Sperrholztür, auf der mit roter Farbe eine Sechs geschrieben stand. „Das ist euer Quartier", sagte Greta und zeigte mit dem Finger auf mich und meine Freunde. „Ihr habt Glück, die vorherigen Bewohner haben bereits einige Vorarbeit geleistet.“

„Wo sind diese Leute jetzt?“, wollte Kai wissen.

„Tot.“, ein leichter Ausdruck von Trauer legte sich auf Gretas Gesicht. Greta wies uns an, dieses Gebäude zu betreten. „Das ist jetzt euer Neues zuHause.“, ihre Stimme klang etwas sarkastisch. Sie wandte sich ab und schloss sie die Tür von außen. Aus dem Fenster konnte ich sehen, wie sie den anderen Gefangenen ihre Quartiere zeigte.

Jetzt saßen wir in der Baracke fest und ein zermürbendes Gefühl beschlich die ganze Gruppe. Wir setzten uns an den Tisch in der Mitte des Raumes, nachdem Jonas die Feuerstelle daneben angezündet hatte. Wir überlegten, was wir nun tun könnten, ob wir überhaupt etwas tun konnten oder ob wir uns einfach diesem Schicksal ergeben sollten. „Wir könnten wenigstens die Gegend auskundschaften, mal sehen wie weit wir gehen können. Wir sind schließlich nicht in der Baracke gefangen, sondern nur im so genannten sicheren Bereich", schlug Ben vor.

„Das werden wir auch machen, doch nicht gleich heute, lasst uns erst mal friedlich sein, vielleicht gewinnen wir so ihr Vertrauen, dann können wir langsam ausloten, wie weit wir gehen können, ohne ihre Nerven zu überstrapazieren", erklärte Jonas, dabei umspielte ein hinterhältiges Grinsen seine Lippen.

Der Weck –Ton der Säule war schrill und laut. Das Aufstehen viel uns schwer. Nicht, weil wir gerne noch etwas weiter geschlafen hätten, sondern weil uns der Rücken von den alten durchgelegenen Matratzen schmerzte. Ein Frühstück gab es nicht. Lediglich sechs große Plastikflaschen Wasser standen vor der Tür. Wir hielten uns an Jonas’ Plan und wollten nicht gleich am ersten Tag als Rebellen auftreten. Deshalb erschienen wir pünktlich zur Arbeit an der Säule. Dort bekamen wir unsere Aufgaben für den Tag zugeteilt. Wir Frauen mussten die bereits gepflügten Felder bewirtschaften. Und die Männer, die noch vorhandenen Aschefelder umgraben. Durch die körperliche Arbeit wurde mir etwas wärmer. Doch der Regen, der am Nachmittag auf uns niederprasselte, ließ mich wieder gefrieren. Ich sehnte mich nach der Wärme des Bunkers zurück, der mir plötzlich wie reiner Luxus vorkam.

Gegen Abend wurden einige Leute vom Feld gerufen; es sei ein Wagen gekommen, der Fisch brachte. Bevor wir in die Baracken gingen, durfte sich jeder eine Ration Essen und eine Flasche Wasser für den nächsten Tag abholen.

In der Baracke spießten wir den Fisch auf Holzstöcke und hielten diese in die Feuerstelle, damit er wenigstens über offenem Feuer gegrillt war und nicht roh. Doch das machte für mich keinen Unterschied, ich mochte keinen Fisch. Das erste Stück spie ich wieder aus. Ich wollte derlei Nahrungsaufnahme verweigern doch Kai zu liebe würgte ich etwas davon herunter.

Mit der Arbeit auf dem Feld zogen die Tage ins Land. Kein fließendes Wasser, womit man sich mal hätte waschen können, kein Strom, und auch keine Heizung, geschweige denn von Handys, Fernsehen oder Internet. Es war wie ein unerwünschter Zeitsprung in die Vergangenheit. Aufgrund dessen nannten wir diese Zeitepoche: zweites Mittelalter. Der wesentlichste Unterschied zwischen uns und den Menschen im ersten Mittelalter bestand darin, dass wir bereits die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts kannten. Was für uns noch, vor einigen Monaten, allzu selbstverständlich war, vermissten wir nun umso mehr. Damit hatte sich der Satz - ‚Man merkt immer erst, was man hatte, wenn man es verloren hat.’ - zu einer unwiderruflichen Wahrheit entwickelt.

Mit der Zeit lernten wir auch die anderen Sklaven dieses Lagers kennen. Einige von ihnen kannte ich noch aus meiner Kindheit, allerdings erst nachdem ich ihre Namen gehört hatte. Rein vom Aussehen hätte ich sie nicht wieder erkannt. Aber niemand konnte mir etwas über den Verbleib meiner Eltern sagen. Die älteren unter ihnen sagten lediglich: „Bist du nicht das Kind von Viktor und Katharina? Du bist aber groß geworden.“

Immer wenn sich uns der großeMächtige zeigte, hatten wir in die Knie zu gehen, sollten wir das nicht freiwillig machen, wurden wir unter Schmerzen dazu gezwungen. Dabei hatte ich ständig das Gefühl, der Große würde mich beobachten. Immer wieder spürte ich seinen Blick auf meinem Körper ruhen, denselben Blick, mit dem er mich bei unserem Ersten Zusammentreffen angesehen hatte. Den Blick einer Schlange, kurz davor sich auf ihre Beute zu stürzen. Was hatte das nur zu bedeuten?

Da wir beschlossen hatten nicht negativ aufzufallen, zwangen wir uns dazu rechtzeitig in die Knie zu gehen. Diese Unterwürfigkeit widerte mich an. Ich war ein freier Mensch gewesen, aber jetzt als Sklave fühlte ich mich gleichzeitig, wie ein Haustier. Immer wieder musste ich mich selbst zur Ordnung rufen; mir sagen, das Jammern nichts nützte: Entweder ich würde mich fügen oder dagegen kämpfen.

Nach einigen Wochen begannen wir nach dem Tagewerk unsere Grenzen auszuloten, gingen so weit wir konnten, bis der Sender an unserem Arm anschlug. Tatsächlich konnten wir einige Häuser erreichen. Wir nahmen uns aus dem Haushaltsvorrat, was wir gebrauchen konnten.

Unter anderem nahm ich das angebrochene Duschgel und stellte mich nackt in den kalten Regen, um mir wenigstens etwas von dem Dreck und Schweiß weg waschen zu können. Ich fror unter dieser kalten Dusche, doch Kai kam zu mir um mich etwas warm zu halten. Während er seine Arme um mich legte, spürte ich diese Geborgenheit, die nur ein liebender Partner geben konnte. Ein Kuss in tiefer liebe und die Leidenschaft ließ uns noch enger zusammenkommen. So nah, dass uns sehr warm wurde und wir unter dem modrigen Holz des Waldes einige kurze aber intensive Glücksmomente empfanden. Aber wirklich fallen lassen konnte ich mich nicht. Jedes Mal hatte ich das Gefüh,l beobachtet zu werden. Nicht von unseren Leuten, nein von ihnen, genauer gesagt von ihm.

Allerdings waren derlei Vorräte schnell verbraucht. In einem der Häuser fanden wir, eine menge Bücher und eine Messersammlung an denen wir uns bedienten. So konnten wir in unserer Freizeit auch etwas anderes tun, als stumm vor uns hinzuvegetieren. Ich las sämtliche Bücher, die ich finden konnte. Nie hatte ich so viel gelesen. Doch, während ich las, konnte ich in diese Traumwelt, von Piratengeschichten und leidenschaftlichen Liebesromanen, entfliehen. Selbst das herzzerreißende Drama oder der grausame Psychothriller war weniger furchtbar als unser Dasein in Gefangenschaft; in der Tristesse dieser Zeit. Als die Gewohnheit sich in unseren Muskeln und Gliedern einstellte und diese nicht mehr von der harten Arbeit schmerzten, nahmen wir unser Nahkampf-Training wieder auf. Eine weitere Abwechslung in unserem langweiligen Leben.

Ich konnte die diversen Mangelerscheinungen körperlich spüren, die ich durch die einseitige Ernährung hatte. Was gab es denn schon? Fisch, welchen ich nur durch den Hunger hinunter bekam, ein paar Kartoffeln, Mais und Regenwasser aus dem Sammelbecken. Ab und an mal eine frisch erlegte Ratte. Mein Körper wurde zunehmend schwächer, auch wenn der Tod eine Erlösung aus diesem Elend gewesen wäre, weigerte ich mich zu sterben. Irgendwo da draußen musste noch etwas anderes sein.

Mein Gefühl, mein sehnlichster Wunsch, bestätigte sich. Menschen starben, andere Menschen kamen und mit ihnen wurden Gerüchte laut, über einen Ort auf dieser Welt, an dem die Menschen noch frei waren. Dort wollte ich hin und ich war bereit alles dafür in kauf zunehmen.

„Der Fisch ist fertig", riss Anna mich aus meinen Gedanken und führte mich wieder, aus den drei Jahre alten Erinnerungen, zurück in die Gegenwart. Ich setzte mich zu den anderen an den Tisch und brachte das Notwendigste in den Magen.

„Es wird Zeit, dass wir unseren Ausbruch planen", sagte Jonas zwischen zwei bissen. Alle wurden hellhörig.

„Wie kommst du jetzt darauf?“, wollte Kai wissen.

„Heute hat mir einer der Lieferanten erzählt, dass der freie Ort im Dschungel Afrikas liegt", erzählte Jonas.

„Wie kommt er darauf?“, fragte Ben.

Jonas erzählte uns, dass dieser Lieferant zum Zeitpunkt des Vorfalls in Afrika auf Safari gewesen war. Zwar hatte er Lichter am Himmel gesehen, aber dort mitten im Dschungel und in der Steppe sei nichts passiert. Er selbst sei erst gefangen genommen worden, als ihn die Neugier nach Norden trieb. Er sagte, dass für sie die Wüste und der Dschungel uninteressant seien, da sich dort keine Machtzentren befinden, die ihnen auch nur im Geringsten gefährlich werden könnten.

„Dann sollten wir uns auf machen.“, sagte ich.

„Sind alle dafür, dass wir nach Afrika aufbrechen, die lange beschwerliche Reise auf uns nehmen, um endlich wieder frei zu sein?“, fragte Jonas hoffnungsvoll.

Wir alle hoben zeitgleich die Hände.

„Dann ist es beschlossen, wir verschwinden. Die Frage ist nur: wie?“

4

Wir hatten beschlossen, dass die Zeit zur Flucht gekommen war. Wir wussten nun in etwa, wohin wir gehen konnten. Dieses wissen, alleine dieser Beschluss erweckte in mir sämtliche Lebensgeister. Die Freiheit war nun in fast greifbare nähe gerückt, allerdings bedachte ich in meiner Euphorie nicht das größte Problem: diese Uhr an unserem Handgelenk.

„Um von hier verschwinden zu können, müssen wir dieses Ding an unserem Arm loswerden. Ich mein, ich hab zwar Ahnung von Technik, dennoch wäre es besser, wenn ich mir diese Uhr einmal von innen ansehen könnte", meinte Ben.

„Dann werde ich wohl beim Leichendienst, eine Leiche verschwinden lassen müssen", antwortete Kai leichthin, ohne dass er es wirklich ernst meinte.

„Das ist doch eine super Idee", ermunterte ich Kai. „Erzähl doch mal allen, was du da genau machen musst?“

„Ja, sag mal.“, Ben und Silke sprachen die Worte gleichzeitig.

„Nun ja, ich muss hier durch das Gebiet laufen und die Leichen einsammeln. Dabei helfen für gewöhnlich noch drei Leute aus den anderen Baracken. Bernd, Michael, Sascha und ich. Wobei wir alles getrennt abgehen, niemals gemeinsam, so schaffen wir es in kürzerer Zeit. Bevor wir die Toten auf den Schubkarren laden, nehmen wir ihren die Uhren ab. Bei den Toten geht das, weil kein Puls mehr da ist. Na ja, und dann legen wir die Leichen auf einen Haufen und sie werden verbrannt. Danach gibt einer von uns die Uhren bei den Mächtigen ab.“

„Werden die Leichen noch mal von ihnen gezählt?“, wollte Jonas wissen.

„Nein.“

„Dann ist es ja kein Problem jemanden verschwinden zu lassen.“, Jonas grinste.

„Wenn es nur die Leichen wären, dann nicht. Bei den Uhren mache ich mir Gedanken“, erwiderte Kai.

„Wieso?“, wollte Ben wissen.

„Sie haben eine Überwachungsstation. Damit überwachen sie ihren Sklavenbestand. Wenn nun einer von uns stirbt, also kein Puls mehr da ist, wechselt das jeweilige Licht auf der Überwachungsstation die Farbe von Grün nach Rot, dann werden wir losgeschickt, die Leichen zu suchen und ihnen die Uhren zu bringen.“

„Dann fällt ja sofort auf, wenn eine Uhr fehlt.“, ein Hauch von Verzweiflung tat sich in mir auf. Es ist hoffnungslos, wir kommen hier nie raus.

„Bei zwei oder drei Signalen auf jeden Fall, aber wenn mehr als 10 gleichzeitig sterben und dann am besten auch noch eine krumme Zahl, neunzehn oder so, haben wir eine Chance, obwohl es immer noch ein Risiko darstellt.“

„Wir sollten es auf jeden Fall ausprobieren, sobald die nächste größere Menge Menschen verstirbt", sagte Jonas.

„Kein Problem. Ich werde mich darum kümmern.“, als Kai das sagte, sah ich in seinen Augen wieder etwas Lebensfreude aufflackern. Endlich, nach all den Jahren, hatten wir wieder ein Ziel, das es zu verfolgen galt.

Am nächsten Morgen nahmen wir ganz normal unsere Arbeit auf und vermieden es unseren Fluchtplan außerhalb der Baracke zu erwähnen. Es regnete wieder einmal, und ich kniete am Wassersammelbecken, um das Regenwasser in die Flaschen abzufüllen. Ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde, und blickte mich um. Etwas weiter sah ich den großenMächtigen stehen; ich glaubte, seinen Blick fast körperlich zu spüren. Ich verbeugte mich kurz, um meine Unterwürfigkeit zu demonstrieren. Er lachte amüsiert. Seinen Blick auf mir zu spüren fand ich unangenehm. Die ganzen drei Jahre, seit unserer ersten Begegnung, fühlte ich mich von ihm beobachtet. Als hätte er nichts Besseres zu tun als mir Tag für Tag nach zu stellen. Ich fragte mich warum er das tat; was er von mir wollte. Was war denn jetzt noch an mir interessant? Bevor sie unsere Erde heimgesucht hatten, hatte ich mich selbst auch als hübsch empfunden. Aber jetzt, nach all den Strapazen und dem Hunger, war ich doch nichts mehr. Eine graue Maus unter vielen, nicht mehr halb so ansehnlich wie früher. Ich wunderte mich sogar darüber, dass Kai mich noch mit Liebe in den Augen ansah.

„Wenn mich jemand fragen würde, wo seine Schwäche liegt, würde ich sagen sie liegt bei dir", hörte ich eine Männerstimme hinter mir sagen. Erschreckt drehte ich mich um. Es war Dominik, er lebte in Baracke Nummer zwei.

„Ich weiß, was du meinst. Es nervt schon, ständig unter Beobachtung zu stehen.“

„Mich würde ernsthaft interessieren, was er denkt, wenn er dich so ansieht", meinte Dominik.

„Er wird wahrscheinlich darauf achten, dass wir unsere Arbeit richtig machen. Was denkst du denn?“, antwortete ich leicht genervt von dem speziellen Unterton, den er in seine Stimme gelegt hatte.

„Nun ja, er ist immerhin männlich. Seine Blicke folgen dir ständig. Er sucht quasi nach dir. Wäre er einer von uns, würde ich fast sagen, dass er sich vorstellt wie du und er zusammen …“

„Sieht das wirklich so aus?“, unterbrach ich Dominiks Ausführungen.

„Vermutlich stellt er sich gerade vor, wie er dich auch in einem anderen Sinne benutzt.“

„Hör auf, das will ich mir gar nicht vorstellen", gab ich verärgert zurück. „Bisher hat er mich immer nur aus der Ferne begafft, und das soll auch so bleiben.“

„Wenn du mich fragst, ich finde, du solltest dich für uns alle opfern, mal etwas freundlich zu ihm sein. Vielleicht ging es uns dann allen besser.“

„Erstens hat dich niemand gefragt und zweitens, glaubst du wirklich das dieses Wesen tatsächlich ein amouröses Interesse an einem Menschen haben kann?“, sagte ich kühl und begann schnell weiter Wasser in die Flaschen zu füllen, als ich sah, dass der Große sich direkt auf uns zu bewegte. Dominiks schelmisches Lachen verstummte.

„Was gibt es hier zu quatschen, hast du nichts zu tun, zurück an die Arbeit, aber sofort.“

Dominik verbeugte sich schnell und lief zurück zu den Feldern. Auch ich sah zu Boden, da ich bereits kniete, brauchte ich nur noch meinen Blick zu senken, um Demut zu beweisen.

„Du darfst wieder aufsehen", sagte er schroff.

Unsere Blicke trafen sich, doch anstatt ihn hasserfüllt anzusehen lag Dankbarkeit in meinem Blick. Dankbarkeit dafür, dass ausgerechnet er mich vor weiteren demütigenden Worten geschützt hatte. Ein schüchternes Lächeln huschte über meine Lippen. Unwillkürlich beugte er sich ein Stück zu mir herunter, nur wenige Zentimeter. Sein Blick war starr. Was bezweckte er damit, wenn er mir so in die Augen sah? Was würde er nun machen? Er war zu nah. Eine gespaltene Zunge kam zum Vorschein. Die Zunge einer Schlange, passend zu seinen Augen. Ein weiterer Beweis dafür, dass ich es hier nicht mit einem übergroßen Menschen zu tun hatte, der einfach nur böse war. Er will dich besitzen, mehr noch als alles andere auf dieser Erde – fuhr es mir, angesichts Dominiks Mutmaßungen, durch den Kopf. Ich machte mich bereit zu laufen, für den Fall das er sich noch mehr nähern würde. Doch er zog sich zurück.

„An die Arbeit, Wildkatze", sagte er ungewohnt ruhig. Als er ging, sah ich, wie er kurz seine Hand zu einer Faust ballte. Eine solche Reaktion kannte ich als Zeichen, der Selbstbeherrschung.

Der Regen wurde stärker, viel stärker und es zog ein unnatürlich wüster Wind auf. Er pfiff wild über die Felder. Es begann zu hageln, ich hob meine Flaschen auf und versuchte gegen den Wind anzukämpfen, um in meine Baracke zu gelangen. Selbstschutz trieb mich an; es war mir egal, dass die Mächtigen wollten, dass wir unsere Arbeit fortsetzten. Ich wollte irgendwo hin, wo ich vor dem geschützt war, das vom Himmel auf uns niederschlug. Doch ich hatte kaum eine Chance gegen den Wind. Nur mühsam kam ich voran. Die Hagelkörner, golfballgroß trafen mich schmerzhaft an Kopf und Rumpf. Sie würden gut sichtbare Spuren hinterlassen. Ich sah Kai, wie er zu den Baracken lief. So laut ich konnte, rief ich nach ihm. Doch ich hatte Zweifel, dass er mich durch das laute Pfeifen des Windes hören konnte. Aber ich hatte mich geirrt: Kai hatte mich gehört oder zumindest gesehen, denn er kam auf mich zu und zog mich mit sich in die Baracke. Wir waren die Ersten, die zuHause ankamen, ich stellte die Wasserflaschen auf den Boden. Kai zündete die Feuerstelle an. Laut knallten die Hagelkörner auf das Wellblechdach und der Wind ließ das Gebäude beben. Kurz nach uns kamen auch Anna und Silke. „Das sind keine Körner mehr, das sind Bälle.“, rief Anna mir zu. Durch den Krach, der von dem Dach ausging, konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Jonas und Ben kamen. Ben hatte etwas in der Hand. „Seht euch das an!“, rief er und zeigte uns ein Hagelkorn von der Größe eines Tennisballs. Jetzt konnten wir nichts tun als warten, bis dass sich das Unwetter gelegt hatte. Der Wind wurde noch stärker. Die Baracke vibrierte unter den kräftigen Windstößen. Ich hatte Zweifel daran, dass dieses Gebäude dem Sturm standhalten würde. Kai ging gerade zu unserem Schlaflager, er wollte sich ein wenig hinlegen, als uns ein extrem lauter Schlag zusammenzucken ließ. Dort wo Kai noch vor einer Sekunde gestanden hatte, war ein Hagelball