Versuchung und Vermächtnis, Teil 1 - Cecilia Ventes - E-Book

Versuchung und Vermächtnis, Teil 1 E-Book

Cecilia Ventes

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Beschreibung

Versuchung und Vermächtnis Teil 1 Schatten der Vergangenheit Hochbergen – ein sicheres und friedliches Fleckchen Erde, regiert vom gutmütigen König Zito IV., bis eine junge, reisende Novizin namens Madeleine auftaucht. Usgalman, der Herrscher der Unterwelt, der bisher mit seinen Gespielinnen, den neun Hexen der Untugenden, dort ungestört sein Unwesen treiben konnte, fühlt sich durch sie und ihre Predigten gestört. Auch die Ereignisse am Hof scheinen sich plötzlich zu überschlagen. Selbst dem ehrenvollen Vertrauten des Königs, Ritter Gernod von Demian, beschleicht ein Unwohlsein, als er auf die junge Frau trifft. Das Höllengeschöpf muss mit ansehen, wie seine neun Untugenden mit ihren Verführungskünsten an Madeleine scheitern, und wird daraufhin selbst tätig. Was geschieht, wenn böses Blut auf ein reines Herz trifft? Was, wenn bisher Verborgenes plötzlich ans Licht gezerrt wird? Hochbergen wird gnadenlos von seiner Vergangenheit eingeholt und Usgalman will sich dies zu Nutze machen, aber wieso sehen seine Hexen ihn plötzlich selbst verführt? Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Ein Spiel zwischen den Welten, getrieben von Liebe, Hass und Lüge, beginnt. Die Vergangenheit wird Gegenwart.

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Schatten der Vergangenheit

Erster Teil der Trilogie von Versuchung und Vermächtnis

Cecilia Ventes

Inhalt

Impressum

Prolog

Hochbergen

1.Das Königreich

2.Die dunklen Mächte

3.Madeleine

4.Das Versagen der Hexen

5.Das Gasthaus

6.Im Palast

7.Nächtliche Begegnung

8.Im Kerker

9.Sehnsucht in der Hölle

10.Der nächste Tag im Gasthaus

11.Auf dem Marktplatz

12.Zusammenkunft des Hexenrates

13.Zu Gast beim König

14.Lehrstunde für Rupert

15.Abendmahl im Schloss

16.Auf der Fahrt zum Gasthaus

17.Gernods Geständnis

18.Die ungehorsamen Hexen

19.Gernods Vermutung

20.Usgalmans Rückkehr

21.Ein neuer Tag im Königreich

22.Das Unglück im Schloss

23.Gernod und Madeleine im Gasthaus

Bereits erschienen: Teil 2 – Im Bann der Zweifel

Erscheint demnächst: Teil 3 – Duell der Begierden

© 2017 DINIER verlag, Am Richtsberg 22, 35039 Marburg

[email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne ausdrückliche Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung. Alle Rechte vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2017

Umschlaggestaltung: Michael Barth

Lektorat: Rebekka Schütz

ISBN: 978-3-947032-01-3

Erster Teil der Trilogie von Versuchung und Vermächtnis

Schatten der Vergangenheit

Auch erhältlich als:

Print-Ausgabe, ISBN: 978-3-947032-00-6

Hörbuch-Download, ISBN: 978-3-947032-02-0

www.cecilia-ventes.de

facebook.com/ceciliaventesschriftstellerin

Dieses Buch ist ein Roman. Die Charaktere und die Handlung sind von mir frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und keineswegs von mir beabsichtigt.

Cecilia Ventes

Prolog

Raum und Zeit sind unendlich. Und was einmal geschehen ist, davon künden die Legenden. Das Gewesene jedoch ist uns näher und vertrauter, als wir es je für möglich gehalten hätten, denn wir tragen es als Samenkorn in unseren Herzen und geben die Saat von Generation zu Generation weiter. Im unendlichen Kreislauf des Lebens kehren Begebenheiten und Personen zurück. Tiefer und tiefer greifen die Wurzeln des Samenkornes in unsere Seelen. Die Geschichten beginnen aufs Neue. Vergangenheit und Gegenwart entgleiten dem Lauf der Zeit.

Hochbergen

Hochbergen – zwar nur ein kleiner Fleck auf der Landkarte des Weltgeschehens, aber keineswegs unbedeutend in seinem Wirken. Stand man auf einem der sanften Hügel, die das Land durchzogen, versank der Blick in der Weite des Horizontes. Der Duft von feuchter, fruchtbarer Erde durchströmte die Nase und ein leichter Wind streichelte die Seele. Dort, wo der Horizont endete, verschmolzen erhabene Felsmonumente mit dem Himmel und schützende Bergrücken lagen wie Drachen um das Land.

In den Gipfeln der Berge sammelte sich klares Quellwasser in winzigen, unförmigen Pfützen, die sich als unzählige kleine Rinnsale ihren Weg in das Tal bahnten, um dann in einen der drei großen Seen von Hochbergen einzutauchen und zu verschwinden. Von dort aus strömte das Wasser in das Landesinnere und schenkte mehreren lebhaften Bächen das Leben, die das gesamte Königreich mit Fruchtbarkeit durchzogen. Gevatter Tar, wie man den einzigen großen Fluss liebevoll in Hochbergen nannte, nahm diese in sich auf und führte sie auf seiner Reise durch das Königreich mit sich.

Der Tar begegnete jedem, der sich durch Hochbergen bewegte. Sein breites, ausladendes Flussbett hatte es sich in den Tälern bequem gemacht. So floss er ohne Eile seines Weges und trug eine Vielzahl von Geschichten aus dem Land umher. Wenn sich das Ohr ganz den Lauten des fließenden Wassers hingab, so sagte man, konnte man hören, wovon er erzählte.

Die Sonne kündigte der Nacht in einem herrlichen Farbenspiel auf Wiesen und Wäldern an, dass es nun Zeit war für sie zu kommen oder auch zu gehen. Die Kraft der Dunkelheit, die sich abends über das Land zog, brachte die Sterne und manchmal auch den Mond zum Strahlen. Dann wurden die Schatten der Bergwelt lebendig. Viele Geschichten erzählte man sich: Von den lebenden Steinen der Gebirge, die von Elfen und Gnomen bewohnt waren, den flüsternden Bäumen der Wälder, die sich miteinander unterhielten, und den singenden Kräften der Winde, die den teuflischen Gestalten erzählten, was in Hochbergen vor sich ging. Einige Bewohner des Königreiches fürchteten sich deshalb sehr vor der Finsternis und deren unsichtbaren Lebendigkeit. Andere wiederum liebten diese Stille der Nacht, die das hervorbrachte, was das Treiben des Tages überdeckte.

1

Das Königreich

Das Königreich von Hochbergen war ein sicheres und friedliches Fleckchen Erde – und das zahlreicher Schauergeschichten und böswilliger Verleumdungen zum Trotz. Der letzte grausame Krieg, der in diesem Landstrich um Recht und Freiheit gewütet hatte, lag viele Jahre zurück. Nun herrschte Friede, denn politisches Geschick und Gradlinigkeit bewahrten das Reich davor, die Fehler der anderen Königreiche zu wiederholen – nämlich der Aristokratie zu viel Spielraum für dumme Herrschaftsstreitigkeiten und selbstgefälliges Gehabe einzuräumen. Es gab Regeln und Gesetze, die für jeden Bewohner gleichermaßen Gültigkeit hatten. Die Welt war klar geregelt und wo Gesetze nicht greifen konnten, da brachte der gesunde Menschenverstand die Dinge wieder ins Lot.

Es regierte ein König namens Zito IV. Ein kräftiger, liebenswürdiger Mann mit einem rundlichen Gesicht und freundlich verschmitzten Augen. In seinen schulterlangen, krausen und unbändigen Haaren spiegelte sich sein manchmal etwas wirres und künstlerisches Wesen wider, das in seinem klugen und vorausschauenden Handeln als König nicht zum Vorschein kommen durfte. Und so passierte es hier und da, dass seine wilden Haare die korrekte Platzierung der königlichen Krone nicht zuließen, sondern eine unangemessene Schräge hervorriefen.

Dies trug bei offiziellen Anlässen immer wieder zur heimlichen Belustigung seiner Gäste und Getreuen bei – gab aber auch Anlass für die weniger freundschaftlich Gesonnenen im Staate, dies als Führungsschwäche eines unfähigen Trottels auszulegen. Der Hoffrisör und Barbier, Renée Claude, schämte sich für seinen Herrscher wegen der unbändigen Haarpracht. Doch der gut gemeinte Rat »Euer Majestät, was haltet Ihr von einem neuen Haarschnitt? Ein wenig kürzer, aber elegant bis zum Nacken, oder länger und zu einem Zopf gebunden? Manch einer trägt auch Perücke, wenn das Haar zu widerspenstig ist« wurde immer mit dem gleichen Wort zurückgewiesen: »Nein!«

Überhaupt waren Geschwätz und Tratsch dem König ein Gräuel und so stand er über diesen Dingen und zog es vor, sie zu überhören. Er war ein sehr besonnener und kluger Mann, der sich seine Entscheidungen, egal um was und um wen es ging, nie leicht machte. Wenn er dann in sich ging und nachdachte, pflegte er liebevoll an seinem Bart zu zupfen. Auch dieser Umstand führte bei Renée Claude regelmäßig zu dem Ausruf:

»Euer Majestät, Ihr bringt mich um! Wie soll ich Euren Bart liebevoll und kunstvoll herrichten, wenn Ihr jedes Mal einen verfilzten Eichhörnchenschwanz daraus macht?«

Obgleich die meisten Menschen des Volkes in Treue und Ergebenheit zu ihrem Herrscher standen, gab es jedoch auch solche, die über ihn schlimme Schimpfreden hielten. Denn selbstverständlich dachte so mancher, er wüsste besser, was im Regierungsgeschäft zu tun oder zu lassen war als der König selbst. Und schließlich ging es den Bewohnern so richtig gut ja auch nicht. Alles könnte noch viel, viel besser sein.

König Zito IV. wusste, dass ein Volk nie zufrieden war. Warum sollte es ausgerechnet sein eigenes sein? Ein wenig Unzufriedenheit gehörte einfach zum Leben, denn die konnte man sich bei so viel Wohlergehen auch gut leisten. Denn eigentlich wussten die Bürger von Hochbergen sehr wohl, was sie an ihrem König hatten, und dankten Gott für diesen edlen, strengen, aber auch humorvollen Monarchen. Tief in seinem Herzen aber trug der König ein dunkles Geheimnis. Eine Last, die ihn erdrückte und sich immer mehr Raum in seinem Handeln verschaffte, wenn es um seine beiden Söhne Rupert und Ortwin ging.

Rupert war der Erstgeborene. Er hatte sich seit seiner Jugend zu einem großen, stattlichen und attraktiven Mann entwickelt. Doch seine Erscheinung löste Bedrückung unter seinen Mitmenschen aus. Zwar hatte er die edlen und feinen Gesichtszüge seiner Mutter geerbt, doch gerade diese unterstrichen die herablassende Arroganz in seiner Wesensart. Seine dunklen, fast schwarzen langen Haare und die stechenden blauen Augen bildeten einen harten Kontrast zu seiner sehr hellen Haut. Und so wirkte er auf der einen Seite sehr aristokratisch, aber auch beängstigend unberechenbar. Rupert machte alles, was er tat, einhundertprozentig. Er konnte sich in seiner stets feinen Kleidung flink wie ein Wiesel und stolz wie ein Hengst bewegen. Im Kampf führte er sein Schwert kontrolliert und zielsicher. Das machte seinen Vater zum einen sehr stolz, ließ aber auch andererseits ein beklemmendes Gefühl in seinem väterlichen Herzen aufkommen. Denn das unheimliche Funkeln in Ruperts Augen, wenn er eine Waffe schwang oder den Bogen spannte, war kalt und voller Hass.

Ortwin hingegen war seit seiner Geburt der Sonnenschein der Königsfamilie Buchenbrück gewesen. Zwar schien er manchmal etwas unbeholfen, doch seine Ehrlichkeit und unverstellte Fröhlichkeit hatten immer gute Laune am Hof verbreitet. Der Zweitgeborene war von kleinerer Statur als Rupert und würde wohl im Alter zur gleichen Dicklichkeit neigen wie sein Vater. Die lockigen hellbrauen Haare und seine großen Augen ließen erahnen, wie der König in jungen Jahren ausgesehen haben musste.

Die beiden hatten viel vom äußeren Erscheinungsbild ihrer Eltern geerbt, doch charakterlich wollten beide so gar nicht nach dem Vater oder nach ihrer verstorbenen Mutter schlagen. Sie hatten sich zu boshaften, streitsüchtigen Raufbolden entwickelt, die immer wieder Unruhe im Königreich verbreiteten.

Noch versuchte König Zito, dieses missratene Verhalten als Benehmen halbwüchsiger, heranwachsender junger Männer zu entschuldigen. Aber er ahnte, dass dies so nicht weitergehen konnte. Denn das aufwühlende Alter, in dem der Junge zum Mann wird, hatten beide schon lange überschritten. Diese Angelegenheit ließ Gram in dem König aufkommen – eine zukunftsweisende Ahnung, die er aus tiefster Seele nicht akzeptieren wollte und die ihn in seiner Entscheidungskraft lähmte.

2

Die dunklen Mächte

»Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«, hallte eine tiefe, fesselnde und betörende Stimme durch den halbdunklen Raum.

Noch war, außer den Schatten von neun knienden Frauen in langen Gewändern, nichts zu sehen. Fahles Kerzenlicht erhellte spärlich den hohen, höhlenartigen Saal. Ein Grollen und Dröhnen von aufeinander schabendem schwerem Stein brach plötzlich los. In diesem Moment senkten die neun Frauen ehrfürchtig ihren Blick zu Boden.

Der Ort erhellte sich, Fackeln entzündeten sich wie von Geisterhand und die Flammen der Kerzen in den Eisenständern schlugen höher. Der Raum glich einer Tropfsteinhöhle. Ein eigentümlicher roter Schein drang aus den Wänden. Von der Decke hingen urwüchsige Steinkegel und aus dem Boden stachen meterhohe Riesen dieser seltsamen Ornamente empor. Die säulenartigen Gebilde glitzerten und schimmerten dezent im dämmerigen Licht.

Der Thron stand auf einer Empore aus glühender Lava. Gesichter bildeten sich aus der fließenden, pulsierenden Masse und schrien lautlos auf, bevor sie wieder in der heißen Materie versanken. Es waren die Antlitze der verlorenen Seelen, die nicht mehr auf der irdischen Seite des Lebens weilten und hier für immer gefangen waren. Versteinerte Gebeine gaben dem Thron sicheren Halt, die gekonnt an- und ineinander verkeilt waren, sowie erkaltete schwarze Lava.

Das Grollen wurde unerträglich laut, als sich die felsige Wand hinter dem Herrschersitz auftat. Feuer und heißer Rauch schlugen aus der Pforte hervor. Die Silhouette einer mächtigen und geheimnisvollen Gestalt löste sich erhaben und würdevoll aus den züngelnden Flammen. Ein Wesen mit glühenden roten Augen starrte mit einem durchdringenden Blick zu den Wartenden. Pathetisch stieß es sein Zepter auf den Boden.

Keine der Frauen wagte es, den Kopf zu heben oder etwas zu sagen. Sie spürten das durchbohrende, wütende Augenspiel ihres Gebieters, der aufgebracht schnaubte. Zwei Frauen flüsterten sich etwas zu und hoben dabei leicht ihren Kopf, um zu sehen, was vor sich ging. Schweigend stand er da: Ihr Herr und Meister, Herrscher über alles Böse und jede Untugend.

Wie ein Gott stand die Kreatur der Finsternis auf der Empore. Sein muskulöser, wohlgeformter Körper demonstrierte Kraft und Energie. Seine sichtbare Gestalt überragte die Größe eines Durchschnittmannes um zwei bis drei Köpfe. Seine Aura jedoch reichte ins Unermessliche und niemand konnte sich ihr entziehen. So fühlten auch die Anwesenden eine Spannung, eine Kraft, eine Magie im Raum, die dieses Mal nichts Gutes verheißen sollte.

Die Gespielinnen verfolgten heimlich von ihren Plätzen aus den Schatten dieses Wesens und waren gefangen von den männlichen Reizen seines Leibes. Der muskulöse Oberkörper ihres Meisters war nur von einem schwarzen Umhang bedeckt, auf den seine langen schwarzen Haare fielen. Sein markantes, männliches Gesicht war geprägt von Zorn, Groll und Ungehaltenheit. Eine Narbe auf der linken Wange verschönerte es zu einem besonderen Kunstwerk. Erschreckend und animalisch wirkte es auf Menschen, aber seine Gespielinnen fanden es faszinierend und fesselnd. Die mächtigen Hörner auf seinem Kopf ließen seine Gestalt bedeutend und gefährlich wirken. Anmutig stieg er von seinem Thron, während er seinen langen Schwanz elegant und eindrucksvoll umhertanzen ließ. Die Schritte seiner Stiefel hallten wie Donnerschläge im Gewölbe. Das anliegende schwarze Beinkleid ließ die kraftvollen Muskeln und Sehnen erahnen, die sich darunter verbargen. Seinen dämonischen Augen entging nichts.

»Ich höre, meine Damen. Oder hat es euch allen die Sprache verschlagen? Wie soll ich denn dieses Verhalten deuten?«

Die tiefe Stimme dieses Wesens erhob sich gegen Ende der Frage zu einem lauten Gebrüll. Seine Schwanzspitze schlug es dabei so fest auf den Boden, dass sich einige Felsbrocken aus der Decke lösten und mit einem lauten, ohrenbetäubenden Donner zu Boden fielen.

Erschrocken blickten die Frauen auf. Mit seinen glühenden feurigen Augen musterte er die erstarrten Gesichter der Hexen. Eine erschütternde Stille war alles, was er vernahm. In diesem Moment machte sich ein gelangweiltes, abfälliges Grinsen auf seinem Gesicht breit. Er setzte sich lässig auf die Stufen seines Thrones und betrachtete die prunkvollen Ringe an seinen Fingern, während er dabei verspielt mit einem seiner langen, schwarzen und harten Nägeln an der Treppe herumkratzte. Auf seine Gespielinnen schauend, lehnte er sich selbstgefällig zurück. Fast liebevoll, aber mit einem ironischen Unterton, hauchte er in die Runde:

»Ich warte …«

Die neun knienden Damen waren seine Hexen der Untugenden. Er sah zu Arfalla, der Hexe des Zorns, die auch gleichzeitig die Oberhexe dieses Verbundes der auserwählten Zauberinnen war. Sie erhob sich langsam und erwiderte stolz seinen Blick. Auch ihre Augen verrieten ein zorniges Gemüt. Ihr Mund spiegelte Anspannung wider und so wurde die Schönheit ihrer vollen Lippen durch das Zusammenpressen überdeckt.

Arfalla war eine unscheinbare Gestalt. Ihr einfach geschneidertes braunes Gewand ließ nicht auf ihr hohes Ansehen in diesem auserwählten Kreis schließen. Zwei Haarbänder bändigten ihre langen, kräftigen schwarzen Haare. Die nach vorne über die Schulter fallenden Haarstränge waren mit jeweils einem Band zusammengebunden. Die anderen Hexen munkelten, dass es ihre symbolischen Hörner seien. Ihr Wesenszug war geprägt von Wut gegen jeden und alles. Ihr hatte der Herrscher der Finsternis die Führung der restlichen Todsünden, wie er seine Gespielinnen nannte, übergeben. Er schätzte ihren Weitblick und die zwanghafte Angewohnheit, alles kontrollieren zu wollen. So konnte er sich sicher sein, dass ihr und somit auch ihm, nichts, das innerhalb und außerhalb dieses unterirdischen Palastes passierte, entging. Vor allen Dingen aber liebte er ihre Wut- und Zornausbrüche. Was anderen das Blut in den Adern erstarren ließ, bereitete ihm Entzücken und Befriedigung.

Arfalla war ansonsten bescheiden und auch die Wahl ihres Schmuckes war, im Gegensatz zu den restlichen Todsünden, sehr zurückhaltend. Sie liebte die Farbe Rot und so war der Rubin der Schmuckstein ihrer Wahl. Sie trug eine eng anliegende Halskette aus kleinen Rubinen und einen goldenen Ring mit einem roten Stein in der Größe eines Talers. Ihr kettenartiger Paillettengürtel, der locker um ihre schmale Hüfte fiel, rasselte, als sie einen Schritt nach vorne ging.

»Vergebt uns Meister. Wir haben die Situation unterschätzt und waren nicht mit ganzer Hingabe bei unserer Arbeit. Wir sehen in dieser unscheinbaren Person keine Gefahr. Es ist nur ein einfaches Mädchen, das den Menschen ein wenig Hoffnung schenkt und ihre müden Gedanken vertreibt. Die Erdenbürger mögen so etwas. Sie sehnen sich nach den Lügen, die ihre Traumwelt ihnen vorgaukelt. So wie Liebe, Glaube, Edelmut und die anderen ehrenvollen Dinge.«

Arfalla zuckte mit den Schultern und fügte mit einem Lächeln noch hinzu:

»Mehr ist es nicht. Das geht wieder vorbei. Sie wird weiterziehen und die Menschen sind dann wieder allein. Der Alltag wird sie das dumme Gerede vergessen lassen und dann wird es sein, wie es vorher war.«

Arfallas Stimme hallte selbstsicher durch den Raum. Eine zarte, tiefe Stimme, der aber bei Bedarf sehr schnell ein rauer und ungeschliffener Ton beigesetzt werden konnte. Die Führerin des Hexenbundes hatte also gesprochen. Die Gestalt mit den Hörnern blieb ruhig, schien aber noch nicht ganz zufrieden mit den Ausführungen zu sein. Gespannt tauschten die restlichen Gespielinnen Blicke untereinander aus. Die Hexe des Zorns spürte dies und fügte etwas selbstkritisch hinzu:

»Gut, es ist nicht ganz so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt hatten. Sie hat mehr Mut und Durchhaltevermögen, als wir dachten. Aber das ist ja nicht gleich der Untergang des Höllenreiches. So etwas haben wir Tag für Tag. Ein paar Widerspenstige, ein paar Willensstarke, ein paar Gläubige. Aber früher oder später versündigen sie sich alle. Und auch sie wird eines Tages merken, dass das Leben eine Herausforderung ist, und ...«

Sie verstummte schlagartig, als sie in die bedrohlich blickenden Augen ihres Meisters sah. Er schien ihren Erklärungen nicht ganz beizupflichten. Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite, erhob sich und schritt auf Arfalla zu. Dann rief er:

»Ich bin umgeben von den neun Todsünden, den miesesten Charakteren zwischen Himmel und Hölle. Und ich muss mir anhören, dass dieses Seelchen von Mensch nur eine Art ›Durchreisende‹ sein soll? Weder eure billigsten noch eure galantesten Tricks haben gewirkt. Sie hat euch allen widerstanden – jeder Versuchung, jeder Verlockung, jedem Sinnesreiz.«

Als er bei Arfalla angekommen war, schrie er in ihr Ohr:

»Richtig?!«

Sie zuckte kurz zusammen und blickte dann empört und schweigend in die entgegengesetzte Richtung.

»Hat er eben billige Tricks gesagt?«, tuschelte Bursalda, die Hexe der Habsucht, zu ihrer Nachbarin.

Die räusperte sich nur und versuchte mit einem »Pscht!« die Erregung der anderen Hexe abzuschwächen, bevor Schlimmeres geschehen würde.

Das Höllengeschöpf namens Usgalman konnte seine Entrüstung nicht verhehlen und brüllte:

»Wieso erzählt ihr mir nicht einfach die Wahrheit? Auch wenn dies eine sehr tugendhafte Eigenschaft wäre. Wieso habt ihr nicht den Mut, mir mitzuteilen, dass ihr versagt habt, weil ihr unfähig seid? Auf ganzer Ebene versagt, weil ihr nicht bei der Sache wart! Versagt, gegen ein ... Mädchen! Ein lächerliches, junges, naives Mädchen!«

Der Ekel vor dem Versagen seiner Gespielinnen stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Erstens wäre Mut eine weitere Tugend und zweitens sind wir es vielleicht falsch angegangen. Uns fehlt der Zugang zu dieser Denkweise«, rief eine vorsichtige, zarte Stimme aus der Menge.

Wie ein Blitz sprang Usgalman zwischen die Frauen, packte die Hexe des Zweifels am Arm und riss sie am Stehkragen ihres schlichten, fein gewebten hellblauen Gewandes hoch. Seine Augen fingen an zu glühen. Sie spürte seinen warmen Atem in ihrem Gesicht, als er sie nah an sich heranzog. Bestimmend sprach er:

»Was hier, an diesem Ort, eine Tugend ist, bestimme immer noch ich. Falsch angegangen? Euch fehlt der Zugang zu ihrer Denkweise?!«

Heroika, wie die Hexe des Zweifels und der Angst ironischerweise genannt wurde, fühlte sich in dieser Lage sehr unwohl.

»Ich dachte eher an Eure Denkweise, nicht ihre. Wir können vielleicht Eurer Denkweise ... nicht so richtig ... folgen. Ihr versteht, was ich meine, Meister?«

Das erklärende Stammeln von Heroika verstummte. Mit ihren kindlichen Gesichtszügen und den traurig wirkenden Augen sah sie vorsichtig auf. Ihr roter, lockiger, aufgetürmter und mit Kämmen zusammengehaltener Haarschopf sah aus, als wenn er jeden Moment zusammenstürzen wollte. Einzelne Haarzotteln ragten aus dem Haarknäuel und hingen über Nacken und Ohren.

Usgalman blies erbost die roten Haarzipfel weg, die sich ihm bei der unvorhergesehenen Attacke frech entgegengestellt hatten. Fester und fester wurde sein Griff, als er versuchte, seinen Zorn zu unterdrücken. Seine langen Finger krallte er tief in die hellrosa Haut ihres Armes. Heroika wimmerte leise:

»Ich, ich, ich meinte das nicht so, vergebt mir. Ich werde einfach noch einmal über meine Worte nachdenken. Sie waren ohnehin nicht von besonderer Intelligenz geprägt ... Mein Fehler, es war mein Fehler!«

Ihr Meister sah in die Runde der fassungslosen Gesichter, dabei drehte er sich langsam zu Arfalla. Heroika baumelte immer noch hilflos und ohne Boden unter den Füßen in der Gewalt des Höllengeschöpfes.

»Ihr seid zu nichts mehr zu gebrauchen. Keine von euch. Ihr wisst, dass es keinen Sinn macht, mich anzulügen. Ihr wisst das!!! Und trotzdem habt ihr die Unverschämtheit, mir euer billiges Geschwätz aufzutischen?«

Heroika wurde blass, ihre Knie wurden weich und sie schien vor Ehrfurcht und Angst das Bewusstsein zu verlieren. Dessen ungeachtet versuchte sie, ganz entgegen ihrem Naturell, nach außen Mut und Entschlossenheit zu demonstrieren.

»Vielleicht haben wir uns ... eben ... nur falsch ... verstanden? Nie hatten wir die Absicht, Euch anzulügen. Wie kämen wir dazu? Eure Augen sind überall.«

Gegen Ende des Satzes wurde ihre Stimme doch etwas leiser und sie schien das Bewusstsein zu verlieren.

Ein Murmeln huschte zu den Ohren von Arfalla und Usgalman. Beide drehten ihre Köpfe zu Giselda, der Hexe der Falschheit. Bemüht, ihre Gedanken nicht in Sprache laut werden zu lassen, hatte sie vergessen, dass Gedanken weder vor ihrem Meister noch vor Arfalla verheimlicht werden konnten. Und so drangen ihre Gedanken ungehindert zu beider Ohren.

»Diese dumme Pute macht alles nur noch schlimmer. Sie sollte einfach ihren Mund halten.«

Der pure Groll rauschte durch die Venen des Fürsten der Unterwelt. Er ließ Heroika einfach auf den Boden plumpsen. Seine Aufmerksamkeit galt bereits voll und ganz der erhabenen Giselda.

Sie war eine stolze Schönheit mit schlanker Figur, die sie immer wieder durch ihre raffinierten Kleider gekonnt umschmeichelte. Sie trug ein goldenes Gewand mit einem schwarzen Umhang. Ihr knappes Oberteil wurde von goldenen Bändern gehalten, die über ihren Schultern bis zum Rücken zusammenliefen. Ein schmaler Stoffsteg verband den oberen Teil des Kleides fließend mit dem auf ihren Hüften liegenden Rock. Usgalman ließ seine Augen über die wohlgeformten Kurven schweifen, während er entschlossen in ihre langen pechschwarzen Haare griff und ihren Kopf nach hinten zog. Giselda blickte ihn unnachgiebig und ohne Kommentar an. Er streichelte über ihren kirschroten Mund. Ihre schmalen Augenbrauen waren leicht hochgezogen, sodass ihr Blick einen Hauch von Missachtung ihm gegenüber ausstrahlte. Ihre langen dichten Wimpern rundeten ihre erotische Erscheinung ab und betonten etwas Unergründbares in ihren tiefblauen Augen.

Das Geschöpf ließ von ihr ab und ging erbost einige Schritte zurück, um sich zu sammeln und sich ihr dann wieder zuzuwenden. Mit ernster Miene stand er vor ihr. Die Fackeln und Kerzen warfen seinen Schatten über sie.

»Komm näher«, befahl er.

Giselda ging einen Schritt vor.

»Noch näher.«

Abermals ertönte seine Stimme ungeduldig. Wieder machte sie einen Schritt. Dabei hob sie ihren Kopf, um dem stattlichen Wesen in die Augen sehen zu können. Ganz nah standen sich beide gegenüber. Sie spürte, wie sich der Brustkorb ihres Meisters beim Atmen in Rage auf und ab bewegte.

»Die Situation ist so, wie sie nun einmal ist. Wir können unsere Fehler nicht rückgängig machen. Gebt uns einen neuen Versuch und wir werden unsere Arbeit besser erledigen. Wir sind hier, um Euch zu dienen, Meister. Nicht, um mit Euch unser Tun zu hinterfragen oder Euch gar zu verärgern«, bekundete sie und unterstrich ihre Worte mit einem untertänigen Nicken.

Diese Worte gefielen ihm, auch wenn sie gelogen waren. Er mochte Giselda. Sowohl als Gespielin als auch als Todsünde. Ihre Art, Dinge so zu beschreiben, wie sie waren, beeindruckte ihn. Ihre Gabe, das zu formulieren, was man hören wollte, war nicht nur für ihn gefährlich, sondern besonders für die Ohren der Menschen. Denn der süßliche und manchmal verführerische Beigeschmack ihrer Verlogenheit und Falschheit konnten ihre Absichten gekonnt verschleiern.

Es war gleichgültig, was sie tat oder sagte, sie verlor nie die Fassung, sondern handelte immer zu ihrem Vorteil. Außer Usgalman schätzte hier niemand diesen Wesenszug. Man wusste nie, woran man bei ihr war. So zeigte sich ein zufriedenes Lächeln auf der Visage des Höllengeschöpfes, als er sanft über die Wange von Giselda streichelte. Arfalla langweilte dieses Getue. Ungeduld stieg in ihr auf, als sie auf die Empore trat und sich neben den Thron stellte.

»So, es reicht jetzt! Genug der Machtdemonstration und des Geturtels! Könnten wir bitte unsere Energien auf das konzentrieren, was unser Problem war?«, unterbrach sie unbeeindruckt.

»Wenn wir das Thema ›junge Novizin‹ weiter angehen wollen, dann bitte jetzt. Sagt uns einfach, was wir tun sollen, und wir tun es, Meister!«

Schlagartig drehte er sich um, zog empört seine linke Augenbraue hoch und schritt langsam auf Arfalla zu. Die sah ihn kurz an und redete erzürnt weiter:

»Ich halte das dumme Ding für ein einfaches Mädchen. Auch wenn ich zugeben muss, dass unsere bisherigen Mittel, sie vom rechten Weg abzubringen und sich zu versündigen, vielleicht versagt haben. Na und? Deswegen, mein Gebieter, bedarf es hier keiner außergewöhnlichen Mittel. Vielleicht denkt sie anders als andere und wir müssen unsere Strategie ändern. Aber, sie ist nur ein Mädchen aus einem Kloster. Verlassen, auf der Suche nach, was weiß ich … Sie ist liebenswert und hat einen kindlichen Charme, der zu verzaubern weiß. Bedarf es deshalb dieses theatralischen Auftrittes Eurerseits, um uns einzuschüchtern? Ich bitte Euch. Uns gibt es schon hunderte von Jahren. Sie noch nicht einmal zwei Jahrzehnte. Da werden wir es doch wohl noch schaffen, sie zu verführen.«

Auch die Augen von Arfalla konnten sehr durchdringend schauen. Ihren Zorn konnte man sehr leicht aus ihrem Gesicht herauslesen und in ihrer verrauchten, immer lauter werdenden Stimme hören. Wenn sie wütend war, unterstrich sie ihre Worte mit eindrucksvollen Gesten. Manchmal hob sie ihre Hände, als wollte sie ihrem Gegenüber die Augen auskratzen. Die erste Hexe der Todsünden und das Teufelsgeschöpf standen sich nun gegenüber – respektvoll, aber streitlustig und erfüllt von unbändiger Gereiztheit. Die Anwesenden konnten die Luft förmlich knistern hören. Sollte Usgalman sich eine solche Unverfrorenheit bieten lassen, einfach unterbrochen und übergangen zu werden?

Plötzlich erhob sich eine kleine, pummelige Hexe namens Hurlebaus. Sie hatte ein sehr liebes Gesicht und ihr verschmitztes Lächeln passte irgendwie gar nicht zu den anderen rauen, falschen, verführerischen oder derben Gesichtern der Gespielinnen. Als sie sich aus der Mitte der knienden Frauen drängelte und nach vorne trat, funkelte ihre außergewöhnliche Kleidung. Mit ihrem spitz zulaufenden Hut blieb sie am Kinn von Giselda, der Hexe der Falschheit, hängen. Es entlockte Hurlebaus ein leichtes Kichern, während sie sich ihren Hut wieder richtig auf den Kopf zog und »Tschuldigung« nuschelte.

Giselda verdrehte genervt die Augen. Die kleine Hexe kämpfte sich in ihrem Gewand, das etwas zu groß war, ihren Weg mühsam weiter zu den beiden aufgebrachten Gestalten auf der Empore. Da stand sie nun: Hurlebaus, die kleine, rundlich geformte Hexe. Ihre Kleidung war altmodisch und bunt. Häufig sah man sie in ihrer Lieblingsfarbe Lila. Dies hatte ihr den Spitznamen Amethyst eingebracht. Sie liebte den Blick zu den Sternen, den sie in dieser unterirdischen Herberge viel zu selten genießen konnte, und so zauberte sie sich die goldfarbenen Sterne auf ihre Gewänder. Die Farben und Musterkombinationen erinnerten oft an Morgengewänder und ihr kleiner Zauberstab durfte nie fehlen. »Altmodisch« – fanden die anderen diesen Spleen und ihren Aufzug peinlich. Wer benutzte denn noch Zauberstäbe, außer für eine Darstellung auf dem Jahrmarkt?

Aber Hurlebaus war eben anders und passte auch charakterlich so gar nicht zu den anderen. Denn sie war weder zornig, falsch noch hochmütig, auf keinen Fall neidisch, keineswegs habsüchtig und maßlos. Sie war auch nicht geprägt von Zweifeln, wie Heroika, oder gar wollüstig, wie Diadora. Sie war einfach nur träge. Und diese unbarmherzige Trägheit erlaubte es ihr, sich zu den neun Todsünden gesellen zu dürfen. Na ja, vielleicht sollte man sagen »müssen«. Keine Hexe im Land war so träge wie sie, jedoch auch keine so friedfertig. Sie hasste Streit und Spannungen und fand, dass doch alles viel einfacher im Leben war, als es auf den ersten Blick schien. Für sie hieß die friedliche Lösung zur Herrschaft über die Welt: Trägheit. Aber so hatte jeder seine ganz eigene Theorie zu diesem Thema.

Bevor die Beteiligten sich noch weiter in diese unsägliche Situation hineinsteigerten, versuchte sie ihren Meister und ihre Führerin auseinanderzuschieben, um einen Sicherheitsabstand zwischen beiden zu schaffen. Doch die beiden wollten so gar nicht von der Stelle weichen. Mit aller Kraftanstrengung schob sie sich zwischen die Gestalten, was zu einer noch größeren Beklommenheit der drei führte, als geplant. Während sie sich mit aller Kraft gegen ihren Meister stemmte, um diesen zum Rückzug zu bewegen, äußerte sie höflich, aber sehr außer Atem, die Frage:

»Dürfte ich wohl auch etwas sagen?«

Der Fürst der Dunkelheit zog die kleine Hexe am Kragen zur Seite und beugte sich zu ihr.

»Nein! Übrigens, nicht nur wir, auch du, liebe Hurlebaus, wirst dir etwas einfallen lassen müssen, um diese verfluchte Seele vom rechten Pfad der Tugend abzubringen.«

Ihren mühevollen und kräftezehrenden Einsatz sah Hurlebaus als beendet und abgeschlossen an. Sie setzte sich erschöpft an den Rand der Empore und winkte ab. Usgalman wandte sich bedächtig den restlichen Hexen zu, schaute sie alle fordernd an und erhob seine tiefe Stimme.

»Ihr alle werdet euer Bestes geben. Diese junge Frau muss sich versündigen, sonst wird sie uns gefährlich. Sie fesselt die Menschen mit einem Bann aus Glauben, Demut, Fleiß, Disziplin, Ehrlichkeit, Keuschheit und all diesen ekelhaften anderen Tugenden. Sie erweckt die Sehnsucht nach Frieden in den Menschen. Und ihr wisst, was das bedeutet. Also, schert euch hinfort und wagt es nicht, mir unter die Augen zu treten, bevor ihr nicht etwas Schreckliches vollbracht habt. Aber bedenkt, ihr könnt nur dann einen Weg zu ihrer Seele finden, wenn sie sich versündigt oder wenigstens das Gefühl einer Todsünde in ihr hochkriecht. Solange euch das nicht gelingt, wird auch keiner eurer Zauber wirken, dieses Weib zu bekehren.«

Seine inbrünstige Stimme ließ den Hexen das Blut in den Adern erstarren. Dann richtete er seine Worte an Arfalla.

»Ihr müsst eure Kräfte und Fähigkeiten gemeinschaftlich einsetzen. Füge die Kräfte zusammen, Arfalla. Ich verlasse mich auf dich. Geht nun und kehrt erst wieder zurück, wenn euer Werk vollendet ist.«

Die Gespielinnen erhoben sich und verließen wortlos den Raum. Alle wussten, dass sie nun nicht versagen durften, denn die Wut ihres Meisters würde unerträglich sein. Keine von ihnen wollte sich dieser Schmach aussetzen, die schlechteste Hexe in ihrem Fach zu sein. Aber genauso schlimm wäre auch seine Enttäuschung über ihre Unfähigkeit. Der Elite der Unterwelt durfte so etwas nicht passieren. Beim Hinausgehen überfielen die Hexen plötzlich Gefühle der Besorgnis. Waren sie ihren Aufgaben wirklich gewachsen?

Arfalla schimpfte in sich hinein:

»Füge die Kräfte zusammen, ich verlass mich auf dich ... Bla, bla, bla!«