Versuchung und Vermächtnis, Teil 3 - Cecilia Ventes - E-Book

Versuchung und Vermächtnis, Teil 3 E-Book

Cecilia Ventes

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Beschreibung

Es geht ums Ganze, als der abtrünnige Rupert seinen Vater, König Zito, zum Duell um die Krone auffordert. Es kommt zu einem Gefecht, das nicht nur den bereits begonnen Krieg beenden soll, sondern auch alle Beteiligten zwingt, sich endlich darüber klar zu werden, was ihr Herz begehrt. Der Kampf fordert, und zwar in jeglicher Hinsicht, Opfer. Gut und Böse waren sich selten so nah und so ähnlich. Das Höllengeschöpf Usgalman trifft in dieser heiklen Situation eine folgenschwere Entscheidung und begibt sich selbst in eine von ihm unterschätzte Gefahr. Seine Gespielinnen sind davon verwirrt, das Höllenreich ist erzürnt, aber Hochbergen erst einmal vor dem Schlimmsten bewahrt. Gerade als die erneut aufgerissenen Wunden in den Seelen anfangen zu heilen, schlägt das Höllenreich auf süffisante Weise wieder zu. Haben Zweifel und Enttäuschung doch gesiegt? Oder zeigen Liebe und Vertrauen den Weg zur Wahrheit und Stärke? Um dies herauszufinden, müssen Madeleine und Ritter Gernod letztendlich in die Hölle gehen.

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Duell der Begierden

Dritter Teil der Trilogie von Versuchung und Vermächtnis

Cecilia Ventes

Inhalt

1.Rupert lässt eine Botschaft überbringen

2.Zweifel und Entschlossenheit

3.Das Duell

4.Die Entscheidung

5.Das Wiedersehen

6.Usgalman vor Gericht

7.Die letzte Chance

8.Das Ende der Kämpfe

9.Ortwin wird vermisst

10.Gieselbund und Ekkehardt

11.Gefährliche Freundschaft

12.Hurlebaus’ Eingebung

13.Sebastian nimmt Abschied

14.Der Schatz des Tar

15.Die Hölle auf Erden

16.Auf dem Weg zum Gasthaus

17.Ein neuer Herrscher

18.Die Suche

19.Die Offenbarung

20.Der Weg in die Freiheit

21.Die Nacht im Gasthaus

22.Unerwartete Hilfe

23.Die Zusammenkunft

24.Das Leben geht weiter

25.Eine andere Geschichte beginnt

Bereits erschienen: Teil 1 – Schatten Der Vergangenheit

Bereits erschienen: Teil 2 – Im Bann der Zweifel

Weitere Infos

© 2017 DINIER Verlag, Am Richtsberg 22, 35039 Marburg

[email protected]

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne ausdrückliche Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung. Alle Rechte vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2017

Umschlaggestaltung: Michael Barth

Lektorat: Rebekka Schütz

ISBN: 978-3-947032-07-5

Dritter Teil der Trilogie von Versuchung und Vermächtnis

Duell der Begierden

Auch erhältlich als:

Print-Ausgabe, ISBN: 978-3-947032-06-8

Hörbuch-Download, ISBN: 978-3-947032-08-2

Dieses Buch ist ein Roman. Die Charaktere und die Handlung sind von mir frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und keineswegs von mir beabsichtigt.

Cecilia Ventes

1

Rupert lässt eine Botschaft überbringen

Die Zeit schien stillzustehen. Den Wartenden kroch die Feuchte der Nacht unter ihre Kleidung und ließ sie erschauern. Der Mond trat hinter den Wolken hervor und erhellte die düstere Atmosphäre. Drei Reiter näherten sich vom Waldrand aus dem Schloss. In ihren Händen hielten sie weiße Flaggen, woraufhin ihr Eintreffen von den königlichen Soldaten mit »Nehmt die Waffen runter! Sie tragen weiße Flaggen mit sich! Lasst sie durch!« kommentiert wurde.

Ritter Blaubart, Gernod von Demian sowie König Zito beobachteten die Herankommenden skeptisch. Drei heruntergekommene Gestalten mit derben Gesichtern standen nun vor ihnen. Einer davon war Hegron, der flinke Zwerg. Die zwei anderen Männer waren von bulliger Statur und machten einen nicht ganz so gerissenen Eindruck wie der drahtige, kleine Mann mit den kurzen roten Haaren. Hegron ergriff zuerst das Wort.

»Ich grüße Euch, mein König, und Euch, edle Herren. Unser Anführer will Euch ein Angebot unterbreiten, ein sehr wohlwollendes, wie ich meine, denn …«

»Ob etwas wohlwollend für uns ist, entscheiden wir selbst«, unterbrach Ritter von Demian den Redner.

Der rothaarige Mann nickte untergeben, aber sprach findig weiter:

»Unser Anführer fordert Euch zum Duell, mein König. Er ist bereit, auf weitere Kämpfe und Angriffe zu verzichten, wenn Ihr gegen ihn antreten werdet oder einer Eurer Männer dies für Euch übernimmt. Derjenige, der aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, soll neuer König und Herrscher sein. Der Verlierer wird ohne Gnade getötet. Euer Sohn Rupert erwartet Eure baldige Antwort, andernfalls werden die Angriffe weitergehen, und zwar so lange, bis Ihr Euch ergebt oder das Königreich von uns eingenommen worden ist.«

Hegron blickte auf die vielen Lichter, die aus dem Wald schimmerten, und fügte hinzu:

»Ich würde mir an Eurer Stelle nicht allzu viel Zeit lassen mit der Entscheidung, denn Eure Chancen stehen, mit Verlaub gesagt, recht schlecht. Eure Armee ist angeschlagen, Euer Volk schwach und verängstigt und die Dunkelheit ist nicht Euer Freund. Wollt Ihr wirklich weiterhin unschuldige Leben aufs Spiel setzen? Lasst drei brennende Pfeile in die Luft schießen, wenn Ihr für den Zweikampf bereit seid. Sehen wir nur einen Pfeil am Himmel, gehen wir davon aus, dass Ihr das Angebot ausschlagt.«

Der schmächtige Mann zog die Augenbraue mit einem entschuldigenden Schulterzucken hoch, ganz so, als ob er keinerlei Schuld am Kriegszustand des Reiches tragen würde und lediglich der Überbringer der Botschaft sei. König Zito beobachtete die Männer genau. Abscheu spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Aber wohlerzogen, und sich der Lage bewusst, antwortete er höflich:

»Ich denke nicht, dass es einer langen Gedenkpause bedarf. Gleichwohl frage ich mich, woher ich wissen soll, ob mein Sohn Wort halten wird, falls ich gewinne?«

Hegron meinte lächelnd:

»Oh, Euer Sohn ist von edler Abstammung. Würdet Ihr ihm etwa Wortbruch zutrauen?«

Der schwarze Ritter ballte seine Faust, vermied es jedoch, sich zu etwas Unklugem hinreißen zu lassen.

»Kann ich Rupert also die frohe Botschaft überbringen, dass er sich dem Schloss ungehindert nähern kann?«, vergewisserte sich Hegron mit einem überheblichen Grinsen.

»Nein! Nein, das kann er nicht«, warf Gernod barsch ein.

»Ich will eine Sicherheit. Eine Sicherheit, dass er gezwungen wird, sein Wort zu halten, falls er verliert. Man kann ihm nicht trauen. Sag ihm, dass wir uns beraten und ihm Nachricht zukommen lassen, und zwar dann, wenn er uns einen glaubwürdigen Gegenwert für sein Versprechen gibt – und nur dann. Richte ihm aus, dass er mit dem Rücken zur Wand steht und dass wir darum wissen. Ein Vorschlag wie dieser würde niemals von Rupert kommen, wenn es keine Notwendigkeit dazu geben würde.«

Hegron gefiel die Antwort nicht, und so schaute er den König ungläubig an. Dieser nickte zustimmend. Ruperts Männer entfernten sich wieder, während König Zito, der schwarze Ritter und Ritter Blaubart schweigend auf ihren Pferden saßen.

»Ich werde gegen Rupert antreten«, tat der König kund.

Der schwarze Ritter lachte verständnislos und verärgert auf.

»Wie stellt Ihr Euch das vor? Wollt Ihr Euren eigenen Sohn töten? Dazu seid Ihr doch überhaupt nicht in der Lage. Viel zu sehr würde Euer Kampfgeist unter väterlichem Mitgefühl leiden. Was, wenn Euer Sohn gewinnt? Meint Ihr allen Ernstes, er würde Euch vor dem Tode verschonen? Ihr seid der König, Ihr dürft dieses Risiko nicht eingehen. Ohne Euch gäbe es keine Hoffnung für das Volk. Solange Ihr aber lebt, wäre es selbst im Falle einer Niederlage bereit, eine Revolution gegen Rupert zu entfachen.«

Zito sah seinen Freund an und fragte vorwurfsvoll:

»Und wer soll dann an meiner Stelle kämpfen?«

Ritter Blaubart fürchtete die Antwort und zuckte zusammen, als Gernod laut und deutlich »Ich!« erwiderte.

»Denkt an die Prophezeiung, mein Freund. Noch ist der Mond klar und deutlich zu sehen, aber wenn er sich verdunkeln sollte …«, gab der kräftige Ritter mit dem zerzausten Bart sofort zu bedenken, vermied es jedoch, die Folgen der Prophezeiung auszusprechen.

Der König bewunderte die Entscheidung seines ersten Ritters, dennoch konnte er diese nicht hinnehmen und sprach in die Runde:

»Deshalb gehe ich.«

Ritter Blaubart kannte Gernod allerdings gut genug, um zu wissen, dass dieser sehr dickköpfig sein konnte und, wenn überhaupt, nur mit den besten Argumenten von etwas abzubringen war. Daher wollte er nichts unversucht lassen und richtete freundschaftlich seine Worte an ihn.

»Wir haben gute, tapfere und starke Männer. Lasst uns denjenigen auswählen, von dem wir glauben, dass er dieser Aufgabe gewachsen ist. Jeder andere ist besser und unvoreingenommener als Ihr Gernod oder der König. Ihr seid ebenfalls zu sehr mit Rupert verbunden und hegt tiefe Gefühle in Eurem Herzen; vielleicht auch die Hoffnung, dass aus ihm noch ein guter Mensch werden kann. Ganz abgesehen davon – Ihr würdet es nicht über Euer Herz bringen, den Sohn Eures Königs zu töten. Glaubt mir, ich kenne Euch.«

Er wandte sich von Gernod ab, sah den König an und bat:

»Lasst mich antreten. Es wäre mir eine große Ehre, Eure Majestät.«

Ungeduldig äußerte der schwarze Ritter:

»Es ist egal, wen wir senden. Rupert wird nicht mit offenen Karten spielen, deshalb dürfen wir es auch nicht tun. Er wird uns keine Sicherheit bieten können und wollen. Ich bin überzeugt, dass seine Männer bereits einen weiteren Angriff planen. Wenn wir das Duell ausfechten und es nur im Geringsten nach einer Niederlage für Rupert aussieht, wird sich ein weiterer Trupp hinterrücks heranschleichen und zuschlagen. Egal, was passiert, wir müssen immer in Bereitschaft sein. Außerdem bin ich immer noch der Meinung, dass Ruperts Truppen schwächer sind, als es aussieht. Niemals würde er solch einen Vorschlag unterbreiten, wenn er das Dorf sicher mit seinen Männern einnehmen könnte.«

Der König hatte dem schwarzen Ritter nur halb zugehört. Seine Aufmerksamkeit galt den dunklen Wolken, die sich immer wieder dem Mond näherten. Auch Gernod blickte nun zum Firmament. Beharrlich ignorierte er die Zeichen der Vorhersehung.

»Ich brauche eine Entscheidung«, sagte er zum König.

»Lasst die Soldaten in Stellung gehen, schießt drei brennende Pfeile in die Luft und eilt zu Euren Truppen an den Seitenflügel des Schlosses. Sollte es zu einem erneuten Kampf kommen, wünsche ich, dass Ihr die Truppen persönlich anführt. Ich warte hier auf meinen Sohn. Ich bin der König und ich werde mich dieser Herausforderung stellen. Mein Sohn Rupert ist schon lange gestorben. Der Mann, gegen den wir kämpfen, ist mir unbekannt. Schützen muss ich lediglich mein Volk.«

Entschlossen und endgültig klangen diese Anweisungen, sodass niemand widersprach. Beide Ritter nahmen dies mit einem Kopfschütteln hin. Wie gewünscht, befolgte man die Befehle des Königs und wartete nun auf Rupert. Ritter Blaubart und Gernod hatten sich widerwillig zu ihren Truppen begeben. Es dauerte nicht lange, da sah man von weitem eine kleine Gruppe näher kommen. Es war Rupert – mit fünf seiner bewaffneten Gefolgsleute. Hasserfüllt und zugleich verängstigt waren die Blicke der Bewohner und Soldaten des Königreiches, an denen sie vorbeiritten, um zum König zu gelangen.

2

Zweifel und Entschlossenheit

Gernod war von seinem Ross gestiegen, um für einen Moment die Einsamkeit zu suchen. Mit gesenktem Haupt lehnte er an einem Baum abseits seiner Männer und betete leise. Ein Knacken ließ ihn hochschrecken, woraufhin er sich umdrehte. Arfalla stand vor ihm und musterte den Mann mit der Augenklappe. Ihr entging nicht, dass Tränen über seine Wange liefen. Beschämt wandte Gernod sich von der Hexe ab und wischte mit dem Handrücken sein Gesicht trocken. Dabei murmelte er:

»Seid Ihr nun zufrieden? War das der Grund, weshalb Ihr mir den raschen Weg zum Schloss gewiesen habt?«

Die Hexe des Zorns setzte sich auf den Boden und bemerkte leise:

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Ritter. Es war Euer Wunsch, so schnell wie möglich zurückzukehren, und dabei habe ich Euch geholfen.«

»Das meine ich nicht!«

Arfalla atmete tief durch.

»Ihr wollt wissen, ob Ortwins Vorhersehung stimmt? Jeder Kampf birgt Gefahren in sich. Wenn Euch jemand im Vorhinein gesagt hätte, dass es Euer Schicksal ist, in diesem Kampf umzukommen, hättet Ihr dann Euren König im Stich gelassen?«

Gernod schüttelte stumm den Kopf.

»Was also ist jetzt anders? Niemand kann seinem Schicksal entrinnen, jeder kann nur versuchen, das Beste für sich daraus zu machen. Und niemand kann mit Gewissheit sagen, welche Entscheidungen ein Mensch an den unterschiedlichen Kreuzungen seines Lebensweges treffen wird. Ihr aber habt Euch entschieden, dem König zu helfen. Ich habe Euch nur geholfen, diesen Weg zu gehen. Ihr hattet die Wahl. Es liegt nun an Euch, wie Ihr das Schicksal dieses Weges meistert. Die Chancen stehen, für Euch jedenfalls, schlecht, aber Ihr hättet ja auch einfach in den Bergen bleiben können. Ich habe Euch geführt – verführt habt Ihr Euch selbst.«

Ritter von Demian fühlte sich von diesem Gefasel gestört.

»Was wollt Ihr eigentlich von mir? Warum seid Ihr wieder da?«, bemerkte er harsch.

Die Hexe erhob sich und näherte sich ihm mit den Worten:

»Wir beide wollen jemanden beschützen. So wie es aussieht, ist jeder von uns allein dafür zu schwach, diese Aufgabe zu erfüllen.«

»Wen sollten wir beide beschützen wollen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in irgendeiner Weise das gleiche Ansinnen haben könnten.«

Arfallas Augen funkelten gereizt. Sie zog ihn an sich heran und fauchte:

»Ihr wisst überhaupt nicht, mit wem Ihr Euch angelegt habt.«

»Doch, das weiß ich. Ich weiß, wer Ihr seid, und ich weiß, wer dieser verdammte Sebastian von Geradville ist. Ihr seid alle Teu…«

»Vorsicht! Niemand hat Euch gebeten, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen, aber Ihr konntet ja nicht anders. Euer Herz verrät Eure wahren Gefühle. Nicht die Furcht um den König hat Euch zur Rückkehr bewegt, sondern die junge Frau. Nicht nur ich weiß das. Ihr habt eine besondere Verbindung zu ihr. Mit dem Erscheinen ihrer Person sind sowohl alte, schmerzliche Erinnerungen als auch Hoffnungen verbunden …«

Gernod schubste die Hexe von sich weg und schrie:

»Schweigt!«

Aufgeregt ging er ein paar Schritte hin und her. Plötzlich spürte er Arfallas Atem an seiner Schläfe und ihre Worte drangen tief in sein Gewissen ein.

»Ihr könnt nicht weglaufen. Ihr seid nicht nur gut. In diesem Fall ist Euer Handeln von dem eigensinnigen Wunsch bestimmt, Madeleine als, wie Ihr findet, rechtmäßige Erbin der Krone auf dem Thron zu sehen.«

Sie pausierte und fuhr dann fort:

»Ein wahnsinniger Ortwin und ein entarteter erstgeborener Königssohn kommen doch da gerade gelegen. Mit viel Glück wird Euer König das Duell gewinnen und Rupert töten – oder sein barmherziges Wesen wird abermals einen großen Fehler begehen und den Bösewicht lediglich in den Kerker werfen lassen. Der Weg zum Thron wäre für Madeleine erst einmal frei, doch wer weiß schon, was dann noch kommt. Tötet der König seinen Sohn, würde er am Tod seines ältesten Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit zugrunde gehen. Sollte aber Rupert gewinnen, werdet Ihr gewiss nicht tatenlos zusehen, wie dieses Königreich in die Hände eines Despoten fallen würde. Das könntet Ihr gar nicht ertragen, habe ich recht? Deshalb wollt Ihr jetzt schon eingreifen und den Erstgeborenen niederstrecken, um die Menschen und Madeleine vor Schlimmerem zu bewahren. Ob der König Euch dies je verzeihen würde?«

Die aufgezeigte Ausweglosigkeit senkte sich wie eine zusätzliche Bürde auf den Schultern des schwarzen Ritters nieder.

»Oder glaubt Ihr an Wunder? Oh, ich vergaß. Ihr habt ja Gottvertrauen«, fügte sie zynisch hinzu.

»Ihr seid genauso falsch und grausam wie Rupert und dieser mysteriöse Fremde, der hier aufgetaucht war. Niemand von Euch meint es wirklich gut mit den Menschen. Ihr legt überall Eure Finger in die Wunden und reißt alte Narben auf, nur um uns zu schwächen und für Eure Verlockungen empfänglich zu machen. Ihr führt nichts Gutes im Schilde. Was wäre der Preis, den wir zahlen müssten, damit Ihr Madeleine und den König mit Euren Bösartigkeiten verschont? Gibt es nichts, was Euch erfreuen würde? Keinen persönlichen Vorteil, den Ihr erlangen könntet, wenn Ihr mir helft? Ihr krümmt doch keinen Finger, ohne etwas davon zu haben. So sagt, was ist Euer Beweggrund, mich sterben zu lassen? Ist dies der Wunsch des Höllenreiches oder nur Eurer?«, forderte er, fast flehend, sie zu einer Antwort auf.

Arfalla lachte.

»Weshalb sollte ich Euch das erzählen? Ihr scheint an einem Geschäft ja nicht interessiert zu sein. Oder vielleicht doch? Und was meine persönlichen Absichten anbelangt, haben die Euch überhaupt nicht zu kümmern.«

Ritter von Demian stieg wieder auf sein Pferd und versuchte, seine Aufregung in den Griff zu bekommen.

»Je eher Rupert niedergestreckt wird, desto weniger Schaden wird er anrichten. Der König sollte die Bürde, seinen eigenen Sohn ermordet zu haben, nicht tragen müssen. Der Einzige, der wirklich gegen diesen Feind antreten kann, seid Ihr, und das wisst Ihr auch. Rupert will gegen Euch kämpfen und er wird nicht ruhen, bis dieser Kampf stattfindet«, ertönte die Frauenstimme wieder.

»Der Preis?«, wiederholte Gernod seine Frage erneut.

»Was wäre der Preis, wenn ich Eure persönlichen Absichten unterstütze und Ihr dafür meine?«

Die Oberhexe zierte sich.

»Dies ist eine Sache der Abwägung – wie viel Tod, Leid und Trauer Ihr wem zumuten wollt. Das eine bedingt das andere. Je schneller gehandelt wird, desto kürzer sind die Phasen des Krieges, der Trauer und des Leides. Versteht Ihr, was ich meine? Ihr solltet Euren König jetzt nicht im Stich lassen.«

»Was habt Ihr davon? Sagt mir jetzt, was Ihr davon habt, wenn ich anstelle des Königs kämpfen werde. Was nützt Euch mein Tod?«

Die Oberhexe sah ihn voller Mitleid an.

»Warum stellt Ihr immer mir diese Frage? Was ich möchte, ist vielleicht etwas völlig anderes, als das, was …«

»Wer möchte? Was wollt Ihr wirklich von mir? Wen wollt Ihr beschützen?«, hakte Gernod erbost nach.

Arfalla atmete tief durch, um sich nicht zu etwas hinreißen zu lassen, denn ihr Zorn hatte sie in einem falschen Moment ereilt. Schnell erlangte sie die Fassung wieder und lenkte vom Thema ab.

»Was sagt denn Euer Gott dazu? Ich sehe nicht, dass er irgendetwas unternimmt, um Euch zu schützen. Was hat er also davon, wenn er Euch in den Tod schickt? Ich kenne die Gründe des Höllenreiches, aber die Wege des Herrn … sind manchmal unergründbar. Fragt ihn!«

Tief in seinem Inneren rebellierte er gegen diese Prophezeiung. Er wusste, dass es nur eine Lösung gab, die Hochbergen eine friedliche Zukunft versprach, und das war das Niederstrecken von Rupert.

»Vielleicht sind die Wege meines Herrn unergründbar – für Euch. Gott ist an meiner Seite und wird dort auch zukünftig stehen – da bin ich mir sicher. Mag sein, dass es Euer Wunsch ist, dass die Prophezeiung eintritt, aber ich glaube daran erst, wenn es so weit ist. Ich werde Rupert besiegen, und zwar mit Gottes Hilfe.«

Gernod hielt Ausschau nach der Frau, doch die Hexe schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er war also wieder allein. Sein Zorn verflog und die Gedanken kreisten erneut umher. Er begann zu beten und flehte seinen Gott an, ihm den richtigen Weg zu weisen. Einsam fühlte er sich, fern von allen, die er liebte, und verloren in seinen Entscheidungsmöglichkeiten.

Arfalla beobachtete ihn heimlich und flüsterte:

»Ich bin Euch vielleicht mehr Freund, als Ihr es zu glauben vermögt.«

3

Das Duell

Als die sechs Männer dem König gegenüberstanden, herrschte eisige Kälte zwischen Vater und Sohn.

»Ich will nicht lange mit Euch reden, Vater. Lasst es uns hinter uns bringen. Ich denke, mein Gesandter hat Euch das Nötigste mitgeteilt. Das Duell wird direkt hier auf dem Marktplatz stattfinden. Als Waffen setzen wir Schwerter ein, nichts anderes. Gnade wird nicht gewährt und der Überlebende des Kampfes wird König sein.«

Zito nickte. Sein Sohn fügte hinzu:

»Wie von Eurem schwarzen Ritter gewünscht, gebe ich Euch als Sicherheit und Pfand dreißig meiner Männer.«

Ritter von Demian galoppierte plötzlich aus dem Dunkel hervor und stellte sich neben seinen König. Sein Gesicht war hasserfüllt und voll von Verachtung gegenüber Rupert. Dieser hingegen lächelte höflich.

»Gernod von Demian, ich freue mich, Euch zu sehen. Schade, dass es solch heikle Umstände sind, die uns zusammentreffen lassen«, begrüßte er den ersten Ritter des Staates.

»Du Brut des Teufels hast unschuldige Männer, Frauen und Kinder in den Tod gerissen, das Land in Schutt und Asche gelegt …«

»Gernod, schweigt!«, befahl Zito.

»Ich will Ortwin und diese junge Frau zu meiner Sicherheit als Pfand«, forderte Rupert emotionslos.

»Niemals, niemals!«, erzürnte sich Gernod.

Der Königssohn blickte seinen Vater an.

»Dreißig meiner Männer für Euch zur Sicherheit. Ortwin und das Mädchen zu meiner Sicherheit. Zwei gegen dreißig. Dies ist ein ehrenhaftes Angebot. Ihr habt doch selbst eine Sicherheit gewünscht, Ritter. Wenn ich das Leben meiner Männer in Eure Hände gebe, erwarte ich natürlich ebenfalls eine Absicherung, damit auch alles mit rechten Dingen zugehen wird«, wiederholte er die Forderung.

Der schwarze Ritter sah beinahe flehend zu seinem König und gab zu bedenken:

»Eure Majestät, tut das nicht! Die dreißig Männer bedeuten ihm doch nichts. Er würde sie ohne Weiteres opfern – wie alles andere auch, um an die Krone zu gelangen. Keine Menschenseele bedeutet ihm etwas – keine! Wenn Ihr ihm Madeleine und Euren Sohn aushändigt, habt Ihr verloren.«

Zito hob besänftigend seine Hand. Rupert sah derweil genervt in die Luft und schimpfte:

»Gibt es eigentlich einen Tag in Eurem Leben, an dem Ihr nichts gegen das, was ich tue, einzuwenden oder zu bedenken habt, Ritter von Demian? Ihr nehmt Euch Rechte heraus, die Ihr anderen nicht zugesteht. Dreißig Männer überlasse ich Euch. Das schwächt nicht nur meine Kampfeskraft, sondern auch meine Autorität und mein Ansehen unter meinen Männern. Immerhin setze ich deren Leben aufs Spiel. Könnt Ihr das nachvollziehen? Der Wunsch nach einer Sicherheit war Eure Idee, nicht meine. Ein Menschenpfand für mich scheint mir in diesem Fall durchaus angebracht, denn was ist wertvoller als ein Menschenleben, oder?«

»Wir treffen uns auf dem Marktplatz, wenn dort dreißig unbewaffnete Männer mit gesenktem Haupt niederknien. Dein Bruder und die junge Frau werden ebenfalls dorthin geführt und in die Obhut von zweien deiner Männer gegeben. Sollte ich verlieren, wirst du der König über dieses Reich sein und gibst die beiden in Gernods Führsorge zurück«, bestätigte der König.

Ritter von Demian war sichtlich verzweifelt.

»Weshalb die junge Frau? Du kennst sie doch gar nicht. Wieso kein anderer?«

Der Königssohn lachte auf.

»Ich kenne mehr von ihr, als mir lieb ist. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr dieser jungen Frau sehr zugetan seid, genau wie mein Vater, und deshalb gibt es kein wertvolleres Pfand für mich. Außerdem habe ich mit diesem Weib noch eine Rechnung offen. Was wäre da naheliegender, als einen ihrer Gönner direkt vor ihren Augen niederzustrecken?«

Rupert wollte gerade davonreiten, da rief Ritter von Demian:

»Ich werde gegen dich kämpfen!«

»Nein!«, schrie der König.

»Ich werde nicht mit Euch streiten, Majestät. Ihr habt keine Chance gegen Euren Sohn. Niemals könntet Ihr ihn töten oder ernsthaft verletzen. Ich spüre die Hoffnung, die immer noch in Euch keimt, dass Rupert zur Vernunft kommt und Herz zeigt. Das wird jedoch nicht geschehen. Ihr riskiert zu viel, nämlich Euer Leben und die Zukunft von Hochbergen. Sollte es dazu kommen, dass Ihr Eure Hände mit dem Blut Eures Sohnes befleckt oder ihn gar bei der Verteidigung unbeabsichtigt tötet, würdet Ihr dies niemals verkraften. Daher – lasst mich diese Bürde tragen. Bitte, Majestät. Ich bitte Euch nicht als Ritter, sondern als Euer Freund«, verlangte der schwarze Ritter inständig.

Der König war sehr angetan von der Bitte und der Besorgnis seines Vertrauten, trotzdem sprach er zu seinem Sohn:

»Wir treffen uns in wenigen Minuten wieder. Du kannst sicher sein, dass ich dir dann entgegentreten werde. Lass uns bitte noch etwas Zeit, um uns zu besprechen.«

Rupert nickte und züngelte:

»Mir ist gleich, wer mein Gegner sein wird. Aber ich muss zugeben, ein besonderes Vergnügen wäre es mir, mich mit dem so ehrenvollen und erfahrenen schwarzen Ritter messen zu dürfen.«

Gefolgt von seinen Männern entfernte er sich.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In Scharen strömten die Menschen zum Marktplatz vor dem Schloss. Diejenigen, die sich dieses Schauspiel nicht ansehen wollten, beteten und bangten still in ihren Häusern. Ruperts Truppen standen immer noch in Position vor dem Dorf, während die Soldaten des Königs ebenfalls in ihren Formationen verharrten. Auf dem Marktplatz hatte man bereits alles vorbereitet und den Duellbereich sowie auch die Mauern der umliegenden Bauwerke mit Fackeln beleuchtet. Die Menschen wurden andächtig und still. Die Furcht um ihren König und um ihr eigenes Schicksal, war ihnen deutlich anzusehen.

Rupert hatte sich derweil mit dreißig unbewaffneten Kämpfern eingefunden. Bereitwillig stiegen diese von ihren Pferden und knieten sich in drei Reihen an den Rand des Marktplatzes. Die Soldaten des Königs kreisten sie ein und richteten Bögen und Schwerter auf die Männer. Madeleine und Ortwin wurden zugleich zum Marktplatz geführt. Die junge Frau war außer sich und versuchte verzweifelt, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.

»Was geschieht hier? Wohin werden wir geführt? Wo ist der König? Wo ist Gernod?«

Die Wachmänner schwiegen. Erst als zwei angsteinflößende und im Gesicht bemalte Kämpfer von Rupert die beiden grob in Empfang nahmen, ertönte die leise Stimme eines Wachmannes.

»Der König wird ein Duell gegen seinen Erstgeborenen bestreiten und damit es zu keinem Bruch der Regeln kommt, haben sich beide im Voraus abgesichert. Ihr seid als menschliches Pfand hier und die Männer dort drüben sind im Gegenzug die Sicherheit für den König.«

Madeleine konnte es nicht fassen und starrte auf die knienden Männer. Ortwin schien weder beeindruckt noch überrascht zu sein. Er folgte willig und ließ sich auf einen zum Sitzen vorgesehenen Holzklotz nieder. Madeleine wurde neben ihm platziert. Hinter ihnen standen Ruperts verrohte Gesellen mit gezückten Messern. Suchend hielt sie Ausschau nach Gernod. Plötzlich griff Ortwin nach ihrer Hand und wisperte:

»Ihr werdet doch nicht auf dumme Gedanken kommen? Bleibt einfach hier bei mir sitzen und lasst uns dem Schauspiel beiwohnen. Für mich wird es sicherlich ein Vergnügen werden.«

Er packte sie etwas fester am Handgelenk und zog sie zu sich. Bedrohlich wirkte sein kalter Blick, als er mit dem Finger auf das sich öffnende Schlosstor zeigte. Der schwarze Ritter kam auf seinem Hengst Hamilton durch das Tor geritten. Ein fragendes Raunen ging durch die Menge, denn alle hatten den König erwartet. Im gleichen Moment betrat dieser seinen Balkon und verneigte sich vor seinem Volk. Die Menschen waren unsicher und zögerten mit der Begrüßung ihres Königs. Plötzlich rief ein Mann aus der Menge:

»Es lebe der König! Es lebe der schwarze Ritter!«

Das Volk tobte und stimmte mit ein, um sowohl seinem König als auch Gernod im Angesicht des unbeliebten Königssohnes und Widersachers zu huldigen. Rupert konnte darüber nur gelangweilt grinsen, denn er war sich sicher, dass sich das Blatt bald zu seinen Gunsten wenden würde. Beim Erblicken seines Duellgegners, dem schwarzen Ritter, spiegelte sich in seinen Augen ein freudiger und zugleich entschlossener Ausdruck wider.

Der König rief zur Ruhe und hob die Hand. Niemand sagte ein Wort. Alle starrten ihn in großer Erwartung an, woraufhin der König mit schwerer Stimme zu sprechen begann.

»Viele Herausforderungen im Leben treffen uns unvorbereitet, und das müssen die Bewohner dieses Königreiches gerade am eigenen Leibe erfahren. Die Situation hat sich zugespitzt und mündete im Angriff meines Sohnes gegen dieses Königreich mit all seinen schrecklichen Folgen. Leid, Tod und Trauer wurden über uns alle gebracht. Wir haben gemeinsam schwere Zeiten überstanden und werden auch diese Herausforderung annehmen. Dieser Kampf wird das Schicksal unseres Königreiches bestimmen. Sollten wir uns vor einem neuen Herrscher verbeugen müssen, werden wir es in Würde tun. Unser aller Leben liegt nun in Ritter Gernod von Demians Händen, der die Bürde des Duells für uns trägt. Es fiel mir nicht leicht, die Verantwortung abzugeben, aber es gibt Gründe für diese Entscheidung. Möge Gott ihm die Kraft geben, für uns zu siegen. Alle unsere Gedanken sind bei Euch, Ritter von Demian. Das Duell möge beginnen!«

Die Luft knisterte vor Anspannung. Auf ihren Rossen trabten die beiden Kämpfer in die Mitte des Duellplatzes und verharrten dort von Angesicht zu Angesicht. Für alle hörbar, sagte Rupert:

»Wieso wusste ich bloß, dass mein Vater ein Feigling ist und Euch an seiner Stelle schicken wird? Ich wünsche Euch Glück, Ritter von Demian. Das werdet Ihr brauchen.«

Unnachgiebig schaute dieser den Erstgeborenen an und nickte ihm dann, entsprechend dem Protokoll, zu. Rupert nickte ebenfalls, allerdings gepaart mit einem erhabenen Lächeln auf den Lippen. Dann ritten die Gegner an ihre jeweiligen Startpositionen.

Sie wurden mit Schild und Schwert bewaffnet. Beide trugen leichte Rüstungen, um im Kampf wendiger zu sein. Die Trommeln erklangen zusammen mit den Fanfaren. Gleich mit dem ersten Ton spurtete Rupert auf seinem Pferd los. Mit seinem Schwert schlug er dabei wahllos mit aller Kraft auf Gernod ein. Dieser parierte gekonnt und wich zurück. Erneut griff Rupert an, aber der schwarze Ritter konnte durch Geschick und Reitkunst den Schlägen immer wieder ausweichen oder diese mit Schwert und Schild abfangen. Der Königssohn wurde wütend und attackierte seinen Gegner immer erbitterter und ohne Unterlass.

Der König, Madeleine und die Menschen auf dem Marktplatz fieberten mit. Einige zuckten zusammen, sobald die Schwerter gnadenlos aufeinandertrafen, oder hielten den Atem an, wenn Gernod den Hieben auswich. Madeleine betete und umschloss dabei mit ihren Händen das Amulett mit dem Gemälde der für sie noch geheimnisvollen Frau. Der kämpfende Königssohn war außer sich. Keiner seiner Schläge hatte Gernod getroffen, geschweige denn ihn niedergestreckt. Hasserfüllt blickte er zu seinem Gegner, der wie eine Statue unbeeindruckt auf seinem schwarzen Hengst saß, um auf die nächste Offensive zu warten. Die Anspannung war unerträglich für Madeleine. Zwischen Hoffen und Bangen wandte sie ihren Blick kurz von Gernod ab, um zum König zu schauen. Auch er verfolgte nervös jede Bewegung des Ritters. Dabei bemerkte er, dass er mehr Angst um seinen Freund zu haben schien als um seinen eigenen Sohn. Dieses Gefühl bereitete ihm eine tiefe Traurigkeit.

Plötzlich und unerwartet drückte der schwarze Ritter seine Schenkel in die Flanken des Rappen. Das Pferd galoppierte aus dem Stand mit kräftigen Sätzen und einer außergewöhnlichen Schnelligkeit auf Rupert zu. Mit einem lauten Aufeinanderschlagen der Schwerter und einem Stoß mit seinem Schild hob Gernod den Königssohn aus dem Sattel. Die Menge jubelte.

Rupert sprang auf und hechtete nach seinem am Boden liegenden Schwert. Sogleich führte er seine Waffe von dort aus gekonnt gegen den Reiter. Wild und erzürnt versuchte er, in blinder Wut das Pferd zu treffen, wohl wissend, damit gegen die Regeln zu verstoßen. Aber selbst dies wollte ihm nicht gelingen. Gernod und Hamilton schienen eine Einheit zu sein. Ihre Bewegungen waren schnell, fließend und überlegt. In einem unachtsamen Moment traf Gernods Klinge das Gesicht des Königssohnes und hinterließ eine klaffende Wunde auf dessen Wange. Der König zuckte erschrocken zusammen. Rupert schleuderte erregt sein Schild gegen Gernod und schlug mit dem Schwert wild umher. Erneut klirrten die Waffen aufeinander und der Kampf behielt eine unerträgliche Härte. Ritter Blaubart stand neben König Zito. Als er von der Nachricht gehört hatte, dass Gernod an Stelle des Königs kämpfen würde, hatte er umgehend seinen Posten verlassen, um seinem Freund beizustehen. Sein Gesichtsausdruck war betrübt, denn er konnte an Gernods Paraden erkennen, dass hier etwas nicht so war, wie es hätte sein sollen. Der schwarze Ritter hätte in kürzester Zeit seinen Gegner zu Fall bringen können und müssen, Chancen hatte er genug dazu gehabt. Ihm schwante Böses. Allem Anschein nach versuchte sein Freund, Rupert lediglich müde zu machen, um ihn schließlich zu überwältigen und dann Gnade walten zu lassen. Dies konnte gefährlich enden. Er hatte geahnt, dass Gernods Freundschaft zum König dazu führen würde, nicht die Schuld an Ruperts Tod tragen zu wollen. In Gedanken ermahnte er Gernod.

»Streckt ihn nieder, macht kein Spiel daraus.«

Rupert geriet währenddessen weiter in Rage und bekriegte seinen Gegner immer unbeherrschter. Aber seine Bewegungen begannen zu ermatten, wurden langsamer und erschöpfter. Wieder traf Gernods Schwert den Königssohn, diesmal am Oberarm. Dieser schlug in seiner Wut auf Hamilton ein und verletzte ihn an der Schulter. Das Pferd scheute und wich zurück. Der Königssohn nutzte diesen Augenblick, um den schwarzen Ritter aus dem Sattel zu zerren. Entsetzen machte sich breit. Gernod konnte sich aus dem Griff befreien und führte das Gefecht am Boden weiter. Während sich beide dabei näher kamen, rief der königstreue Ritter:

»Gib auf, Rupert! Junge, gib auf! Erspare mir und deinem Vater das Leid, dich hier sterben zu sehen.«

»Niemals!«, schrie der Königssohn zurück.

Der schwarze Ritter nahm all seine Kräfte zusammen und drosch auf den schildlosen Gegner ein.

Ortwin zupfte Madeleine am Gewand und flüsterte:

»Schaut, meine Liebe. Der Mond. Und seht Ihr die Wolken? Noch ein paar Sekunden, dann wird der Mond abgedunkelt. Ist es nicht ein wunderschönes Schauspiel der Natur?«