Vertrauen - Sarah Verlaine - E-Book

Vertrauen E-Book

Sarah Verlaine

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Beschreibung

Vertrauen ist der zweite Teil der Erator-Trilogie. Die Geschichte erzählt das Schicksal der 17-jährigen Seraphim, die bisher ein gewöhnliches Leben führt, bis sie eines Tages von einem Engel in deren Reich gebracht wird. Dort muss sie erfahren, dass sie auch ein Wesen dieser Welt ist. Ihr obliegt es, den Kampf gegen den bösen Lord Alfan zu bestreiten, damit dieser nicht die Herrschaft über die Erde und das Reich der Engel übernimmt. Ihr zur Seite stehen der strenge Lord Tallhelm und die liebevolle Königin Goldheart, sowie ihre neuen Freunde. Seraphim findet sich in der Rolle der Anführerin wieder, stellt schnell fest, dass sich ein Verräter unter ihnen befindet und droht an der Last der Verantwortung zu scheitern. Trotzdem zieht sie mit ihren Gefolgsleuten in eine Schlacht, dessen Ausgang ungewiss ist, denn die Mächte der Finsternis sind so stark wie noch nie. Wird Seraphim ihre Pflicht erfüllen oder der skrupellose Lord Alfan das Reich der Engel zerstören?

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Danksagung der Autorin:

Ich möchte mich ganz herzlich bei allen Bedanken, die mich immer so großartig unterstützt haben meinen Traum zu verwirklichen. Dank ihnen hat diese Geschichte hier begonnen und nun ist hier auch schon die Fortsetzung. Ein extra Dank geht dabei an meine Chat-Gruppe, an Sarah, Malle, Marylou, Anti und blood. Aber auch an Leeni und Kiara. Ein zusätzliches Dankeschön geht an meine Freunde und Bekannte, die von Anfang an dabei waren und mich in jeglicher Form unterstützt haben. Ebenfalls ein Dankeschön geht an meine Mutter und Claude, die mir auch diesmal wieder geholfen haben, dieses Buch zu veröffentlichen, sowie an Laryana für ihre tolle Zeichnungen. Danke euch allen, ich habe euch lieb.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Alle Namen, handelnden Personen, Orte, Institutionen und Begebenheiten entspringen der Fantasie des Autors. Jede Ähnlichkeit mit real lebenden oder toten Personen, Ereignissen oder Schauplätzen wäre völlig unbeabsichtigt und reiner Zufall.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 1

Es war ein schöner Spätsommer Frühmittag. Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel. Eine leichte Brise wehte. Die Grillen surrten. Kleine Mücken flogen umher. Es roch nach Stroh und gemähtem Gras. Es war ein wunderbarer Tag hier im Reich der Engel.

„Langer Ausschlag!“

„Geblockt!“

„Verdammt!“

Eine starke Staubwolke wurde hochgewirbelt, als ein Engel mit rabenschwarzem Haar aus der Luft gerissen und auf den Boden katapultiert wurde.

„Acht zu Null für mich!“, lachte ein Mädchen und flog mit sachten Flügelbewegungen zu ihm runter. Sie hielt ihm die Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen.

Der Junge stand aber ohne ihre Hilfe auf und rieb sich die von ihrem Tritt schmerzende Seite, als er mit funkelnden blauen Augen meinte: „Ich habe dich doch nur wieder gewinnen lassen!“

„Ach, ist das so?“, lachte das Mädchen und strich sich ihr langes braunes Haar aus dem Gesicht hinters Ohr. Ihre Augen funkelten ebenso amüsiert wie die des Jungen, nur in einem saftigen Grün.

Ihr Name lautete Seraphim.

„Ja, das ist so“, erwiderte der Junge keck und baute sich vor ihr auf. Er hörte auf den Namen Storm.

„Dass ihr immer einen Wettkampf daraus machen müsst“, lachte Rose und gesellte sich zu ihren Freunden.

Rose war etwas größer als Seraphim, hatte dunkles braunes Haar, fast genauso dunkle braune Augen und einen gesunden, südlichen, von der Sonne gebräunten, Teint.

„Das Training soll doch Spaß machen“, meinten Seraphim und Storm gleichzeitig.

„Das Training soll euch auf den Kampf vorbereiten!“, donnerte die kraftvolle Stimme ihres Trainers über den Platz. Lord Tallhelm hatte die Bande im Auge behalten. Der Lord war wahrlich von kraftvoller Statur. Seine Rüstung, die Seraphim stets mit denen der Gladiatoren aus dem alten Rom verglich, brachte dies noch stärker zur Geltung und hob ihn von den anderen Engeln stark ab.

„Ja, Sir“, meinten die drei Jugendlichen und widmeten sich sofort wieder ihrem Training zu.

Seit dem Kampf mit Lord Alfan waren mittlerweile einige Wochen vergangen.

Die Hochzeit von Königin Goldheart und Heerführer Lord Tallhelm hatte die Angst des Volkes etwas gemildert.

Der übliche Alltag war wieder eingekehrt.

Aber es war wie die Ruhe vor dem Sturm, die Anspannung blieb. Man wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Nicht mehr lange und Lord Alfan würde wieder zuschlagen und diesmal, würde er sie nicht unterschätzen. Nein, dieses Mal würde er es ihnen nicht so leicht machen. Er wird kommen und alles in die Wege leiten was nötig ist, um zu bekommen, was er möchte. Die Herrschaft über Erator, das Reich der Engel und somit auch völlige Kontrolle über die Heimat der Menschen.

Aufgrund der letzten Geschehnisse, hatte die Königin veranlasst, dass nun jeder im Volk, egal ob Mann oder Frau, an einem speziellen Training Teil nehmen sollte. Auch Kinder ab 10 Jahren mussten mitmachen. Jeder sollte sich zu verteidigen wissen. Seraphim pflegte zu sagen, dass dies ein „Selbstverteidigungs-Kurs“ war, womit sie nicht ganz Unrecht hatte.

Um es genau zu formulieren, handelte es sich um die Grundausbildung, die die Kadetten absolvieren mussten um überhaupt aufgenommen zu werden. Dies beinhaltete körperliche Nahkampf-Techniken, Ringen, sowie das Erlernen ein Schwert zu halten und damit umzugehen. Auch Bogenschießen zählte hierzu.

Da es aber geradezu unmöglich war das gesamte Volk gleichzeitig zu rekrutieren und auszubilden, und es nicht möglich war erfahrene Soldaten von ihren Posten abzuziehen, da diese für den Schutz des Königreiches Wache hielten und patrouillierten, ging diese Aufgabe an die Kadetten weiter. Diese wurden von Lord Tallhelm in kleine Gruppen eingeteilt, welche jeweils einen Teil des Volkes ausbildeten. Regelmäßig wurde gewechselt und abgelöst.

Obschon es sinnvoller gewesen wäre, ihre zwei mächtigsten Kadetten - Seraphim und Storm - für ein solches Verfahren zu trennen, blieben die Zwei in der gleichen Truppe. Zusammen mit Fire, August, Talas und Jul unterrichteten sie in etwa 60 andere Männer, Frauen und Kinder. Unter ihnen auch Rose.

*

Es war später Morgen und die Sonne ging langsam in den Mittag über.

Alles schien auf den ersten Blick in Ordnung zu sein. Aber dem war nicht so. Der Grund hierfür lautete Talas, der vermeintliche Verräter.

Zwar hatten weder Seraphim, noch Storm irgendjemandem etwas von ihrem Verdacht erzählt. Ihnen fehlten einfach handfeste Beweise, um dieser Anschuldigung Kraft zu geben.

Talas konnte nichts mehr in ihrer Nähe tun oder sagen, ohne dass einer von beiden ihn im Auge behielt und jedes seiner Worte vernahm.

Talas schien dies jedoch nicht allzu sehr zu stören und er beachtete es nicht sonderlich viel. Er ignorierte gekonnt die giftigen Blicke, die ihm zugeworfen wurden. Er war noch immer der selbstverliebte, überhebliche, ichbefangener Egomane, der jeder kannte.

„So!“, rief Lord Tallhelm über den Platz und klatschte in die Hände, um das Ende des Trainings einzuläuten. Dabei blickte er hoch zur Sonne und verkündete das Ende des Trainings für den Morgen: „Mittagszeit!“

Nach dem harten Training waren diese Worte wie eine Erlösung für jeden einzelnen. Die Engel erhoben sich alle in die Lüfte um nach Hause zu fliegen, oder um zur Kantine zu gelangen.

Lord Tallhelm sah ihnen allen genügsam hinterher. Was er gesehen hatte, sah schon nicht schlecht aus. Aber um in die Schlacht zu ziehen, reichte es natürlich nicht. Das Training gab dem Volk trotzdem das Gefühl, auch selbst etwas an der Situation ändern zu können. Sie fühlten sich nicht mehr schutzlos ausgeliefert. Sie konnten sich nun auch selber wehren.

*

„Oh gütiger Himmel! Ich hab so starken Muskelkater!“, stöhnte Rose gequält, als sie sich in der Essens-Kantine neben Seraphim auf ihren Platz fallen ließ. „Ich glaube, ich muss gleich sterben!“

Seraphim musste kichern.

Storm lachte schallend: „Du übertreibst!“

Rose fuhr sich über die verschwitzte Stirn.

„Ihr habt gut reden!“, lachte sie. „Ihr seid das gewöhnt und auch alle total sportlich und athletisch!“

Seraphim winkte ab: „Ach was!“

„Wie schafft ihr das nur?“, fragte Rose und guckte ihre restlichen Freunde, welche allesamt vor Kraft nur so strotzten, an.

„Hartes Training“, meinte Storm grinsend und kassierte von Seraphim einen leichten Seitenhieb. Er lachte.

„Du tust dich aber ziemlich gut“, munterte Fire Rose auf, als er sich den Drei gegenüber hinsetzte. „Wenn man bedenkt dass du noch niemals zuvor ein Schwert in der Hand gehalten hast“

„Ach was!“, wehrte Rose verlegen ab.

„Ich meine es ernst!“, sagte Fire.

Die Wangen des dunkelhaarigen Mädchens bekamen einen leicht rosigen Ton.

„Auf jeden Fall besser als so manch anderer, der das Training nicht richtig ernst nimmt“, meinte Seraphim und blickte über die Schulter zur Talas‘ flankierter Seite.

Summer hing wie übliche an Talas wie eine Klette. Ständig warf sie ihr langes wunderschönes schwarz gelocktes Haar über die Schulter, zupfte an ihrem brauchfreien, fast durchsichtigen Top rum. Legte dieses Unschuldslächeln auf und klimperte übertrieben mit den stark getuschten Wimpern. So schön sie auch war, umso oberflächlicher und falsch war sie.

Sie hatte bereits bei ihrer ersten Begegnung mit Seraphim ihr den Krieg erklärt und ihr mehr als verständlich klar gemacht, dass sie Seraphim nicht ausstehen konnte.

In Summers Augen war Seraphim eine Konkurrentin und somit ihre Feindin.

„Wundert mich, dass Lord Tallhelm sie noch nicht auf ihr Outfit angesprochen hat“, meinte Storm. „Das sind doch keine angebrachten Klamotten um zu trainieren!“

„Wir haben ja aber auch wirklich Wichtigeres zu tun, als auf das Aussehen zu achten“, kommentierte Rose.

„Da hast du auch wieder recht“, stimmte Storm Rose bei und fuhr seiner Freundin eine Strähne hinters Ohr. „Aber mein Mädchen sieht immer toll aus!“

Seraphim lief rot an und senkte den Blick.

Es war noch gar nicht so lange her, dass sie und Storm sich ihre Liebe gestanden hatten und zusammen gekommen waren. In dieser kurzen Zeit, hatte er ihr schon so oft Komplimente gemacht, dass sie es bereits gewöhnt sein müsste. Aber Seraphim konnte nur jedes mit Verlegenheit die Schmeichelei annehmen.

Storm fand ihre Verlegenheit ziemlich niedlich und musste jedes Mal schmunzeln, wenn sie dann ihren Blick leicht senkte um ihr glühendes Gesicht zu verbergen. Er hob ihr Kinn dann immer mit zwei Fingern hoch, so dass sie ihn ansehen musste, bevor er sich zu ihr beugte und sie sanft auf die Lippen küsste.

Seraphim war glücklich.

Und Storm war es auch.

Rose freute sich, dass die beiden zusammen gefunden hatten. Sie gaben für sie das perfekte Paar ab.

Aber nicht jeder freute sich über die Beziehung von den Beiden.

„Holt euch ein Zimmer!“

Genervt sahen Seraphim und Storm in ein grinsendes Gesicht.

Talas setzte sich soeben an ihren Tisch an.

„Eifersüchtig?“, knurrte Storm.

„Auf dich?“, lachte Talas. „Nicht mal in tausend Jahren!“

„Wenn es dich dann stört, kannst du ja abhauen!“, zischte Storm.

„Wie wäre es, wenn ihr anstelle verduftet?“, protzte Summer und umarmte Talas von hinten, schmiegte ihre dünnen Arme um ihn.

Sie warf Seraphim einen giftigen Blick zu, mit dem – wenn Blicke töten könnten - Seraphim zu Asche zerfallen wäre.

Dass Summer in Storm verschossen war, war Seraphim nicht unbekannt. Er hatte sie vor einer Weile abblitzen lassen und das hatte sie nicht gut vertragen. Storm interessierte sich einfach nicht für Summer und das machte sie umso wütender.

Warum sie nun aber mit Talas zusammen war, war jedem ein Rätsel.

Vielleicht um ihn eifersüchtig zu machen? Oder um Talas einfach zu einer ihrer Trophäen und Anhänger zu machen?

„Wir kämpfen doch alle auf der gleichen Seite“, sagte Talas und beugte sich leicht über den Tisch zu Seraphim rüber. „Oder etwa nicht, Seraphim?“

„Ich weiß ja nicht auf welcher Seite du stehst, aber auf der Richtigen garantiert nicht!“, knurrte Storm und ballte die Fäuste.

Die Anspannung zwischen den Jugendlichen stieg erheblich an.

Im unterirdischen Bunker, welcher als Kantine diente, wurde es still und jeder drehte sich zu Seraphim, Storm, Summer und Talas.

Storm und Talas waren beide Hitzköpfe und es reichte ein Funke, dass beide wie Tiere aneinander gingen und sich gegenseitig versuchten die Köpfe einzuschlagen. Dies konnte schon mal gefährlich werden.

„Leute, beruhigt euch“, versuchte Fire sie zu beschwichtigen.

Rose sah leicht ängstlich hin und her.

„Was soll das bedeuten?“, sprang Talas auf. „Wer hat denn Lord Alfan entkommen lassen?“

„Willst du etwa Seraphim die Schuld an allem geben, du Bastard?“, schrie Storm und schnellte hoch.

„Wessen sonst?“, zickte nun Summer.

„Es war eine Falle! Niemand hätte damit gerechnet! Was hättest du erwartet? Wir können froh sein, dass es noch gut für uns ausgegangen ist!“, fuhr Seraphim die Schwarzhaarige an.

„Seraphim“ Rose berührte ihre Freundin an der Schulter, um sie zu beruhigen. „Du hast alles richtig gemacht. Lass dich nicht entmutigen. Du und Storm habt mich schließlich gerettet!“

„Wenn du blöde Kuh dich nicht fangen gelassen hättest, wäre es gar nicht so weit gekommen!“, feixte Summer nun Rose an.

„Willst du was auf deine dämliche Fresse bekommen?“, knurrte Talas und packte Storm am Kragen.

„Kannst ja mal versuchen!“, zischte Storm und umklammerte Talas Handgelenk.

„Das nimmst du zurück!“, schrie Seraphim und mit einer Handgeste schleuderte sie Summer quer durch den Raum.

Rose kreischte erschrocken auf und schlug die Hände vor den Mund.

Fire packte Seraphim am Arm, bevor sie auf Summer losgehen konnte.

Talas und Storm blickten auf, als sie den Krach der zurückschallenden Druckwelle hörten.

„Miststück!“, kreischte Summer hysterisch und rappelte sich auf, klopfte sich ihre Flügel und ihre Kleider ab.

„Glaubst du Rose trägt Schuld daran, dass das hier gerade alles passiert?“, schrie Seraphim ihr entgegen, während Fire sie zurück hielt.

„Beruhige dich!“, meinte der rothaarige Junge.

„Keiner hier hat Schuld dass der Krieg vor der Tür steht! Wenn du bei einem die Schuld suchst, dann bei Lord Alfan!“, schrie Seraphim weiter.

„Du bist doch die sogenannte Auserwählte! Warum hast du ihn dann entkommen lassen?“, konterte Summer und die Luft wurde ziemlich dick. „Wenn du ihn erledigt hättest, so wie es deine Aufgabe und dein Schicksal ist, dann würde es gar nicht zu einer verdammten Schlacht kommen! Und es gäbe überhaupt kein Krieg!“

„Ich wollte ihn ja aufhalten!“

„Warum hast du es dann nicht getan?“

„Schluss jetzt!“, ertönte eine hohe kraftvolle Stimme.

Augenblicklich wurde es still und die Anspannung schien wie auf Eis gelegt.

Alle Blicke wanderten zur Eingangstür.

In einem leuchtenden Kleid eingehüllt stand hier nun die Königin. An ihrer Seite, wie immer, ihr Heerführer, Lebensgefährte und Trainer der Kadetten: Lord Tallhelm.

Beide betraten das Gemäuer und jeder verneigte sich respektvoll vor ihnen.

„Es sind nicht die Zeiten um zu streiten“, meinte Königin Goldheart und schritt auf Seraphim zu.

Etwas beschämt guckte das Mädchen zu Boden.

Es war nicht ihre Art sofort aufbrausend zu werden. Eigentlich war sie ja ein ruhiger Mensch. Aber hier war schon das Problem, sie war kein normaler Mensch mehr.

Seit sie ihre Kräfte gefunden hatte und der Engel in ihr erwacht war, hatte sich alles verändert. Nicht nur dass sie nun Raum und Zeit kontrollieren konnte und ihre Flügel es ihr ermöglichten zu fliegen. Auch ihre körperlichen Kräfte waren gewachsen, sie war schneller und stärker als zuvor. Weiterhin war auch ihre Gefühlswelt beeinflusst worden. Emotionen verspürte sie stärker als früher. Wenn sie glücklich war, lachte sie laut. Wenn sie traurig war, liefen sofort die Tränen. Dies führte zu starken emotionalen Schwankungen.

Ein kurzer Blick der Königin reichte, damit sich Storm und Talas sofort los ließen. Sie lieferten sich aber einen visuellen Kampf, wer wen hasserfüllter ansehen konnte. Wie zwei streitende kleine Kinder, die man gerade auseinander gezerrt hatte.

Die Königin widmete sich an die Auserwählte: „Ich muss mit dir sprechen. Unter vier Augen“

Seraphim nickte stumm und folgte der Königin unverzüglich nach draußen.

Beide erhoben sich in die Luft.

Man hörte noch kurz, wie Lord Tallhelm sich aufregte. Doch sie waren bereits zu weit weg, um die Worte zu entschlüsseln, die alles, aber nichts Gutes bedeuteten.

Seraphim wusste ja selber, dass ihr Handeln nicht korrekt gewesen war, aber es ging eben mit ihr durch. Vor allem in solch anstrengenden Zeiten wie jetzt.

„Wie es wohl ist, wenn alles vorbei ist?“, fragte sie sich, als die Königin sie zu dem bereits teilweise wieder aufgerichteten Palast geleitete.

Die Grundmauern, sowie der Kreissaal und ein Teil der Bibliothek hatten wieder seine ursprüngliche Form angenommen. Die Arbeiter schufteten Tag und Nacht daran um den Hauptsitz und das Herz ihres Reiches wieder aufzurichten so schnell es ging.

Seraphim wagte sich nach ihrer Missetat nicht zu fragen, was die Königin denn mit ihr zu besprechen hätte.

Erst als sie im großen Kreissaal landeten, welcher noch keine Fenster besaß, drehte die Königin sich wieder zu dem Mädchen um. Ihre Mimik verriet, dass etwas nicht stimmte.

Seraphim wurde nervös.

Die Königin war etwas blass um die Nase.

„Seraphim“, fing sie schwach an, räusperte sich und setzte noch einmal an. „Seraphim, ich befürchte wir haben gewaltige Probleme“

„Etwa mit Lord Alfan?“, fragte das Mädchen.

„Wenn es doch nur das wäre“, meinte die Königin niedergeschlagen und trat zu Ira, der Kugel der Weisheit. Diese wurde zum Glück beim Brand nicht zerstört und konnte aus den Trümmern geborgen werden, was für die Königin eine ziemliche Erleichterung war.

„Was denn noch?“, fragte Seraphim und trat ebenfalls näher an die Kugel ran, welche jedoch ruhig auf ihrem Sockel ruhte.

Die Königin blickte Seraphim traurig an, als sie dann meinte: „Es geht um Storm“

Dem Mädchen rutschte das Herz fast in die Hose.

„S-Storm?“, keuchte sie. „W-was ist mit ihm?“

Ohne Worte strich die Königin über ihre Kugel. Feiner Goldstaub wirbelte hoch. Sanft begann die Kugel zu schweben und ein holografisches Bild spiegelte sich in der Luft wieder.

Es wunderte Seraphim nicht allzu sehr, dass es Lord Alfan war, den sie sahen. Aber hinter dem Lord stand noch jemand, eingehüllt in einen schwarzen Kapuzenumhang.

„Der Verräter?“, murmelte Seraphim und guckte die Königin fragend an.

In dem Moment strich die Person hinter Lord Alfan die Kapuze zurück und ein vertrautes Gesicht kam zum Vorschein.

Storm.

Seraphim entfuhr ein Schrei und sie presste sich die Hand auf den Mund, starrte auf das Abbild ihres Freundes.

Ihr Blick ging entsetzt zur Königin, als sie eine Antwort verlangte: „Was hat das zu bedeuten? Warum steht Storm da an der Seite dieses Monsters?“

„Ich weiß es selbst nicht“, gab die Königin zu. „Ich habe niemandem davon erzählt, nicht einmal Tallhelm. Ich wollte es dir alleine zeigen. Seraphim, wir wissen, dass wir einen Verräter in unserer Mitte haben und…“

„Aber das ist unmöglich Storm!“, platzte Seraphim dazwischen. „So etwas würde er nie tun! Er ist die treuste Seele die ich kenne und er verabscheut Lord Alfan mehr als alles andere was ich kenne! Er würde sich nie auf dessen Seite stellen! Lieber würde er sterben als an seiner Seite zu stehen!“

„Das weiß ich doch“, versuchte die Königin das aufgebrachte Mädchen zu beruhigen. „Darum verstehe ich es ja selbst nicht. Iras Prophezeiungen wechseln ständig, dass man nicht mehr weiß, was einen erwartet. Wir haben nichts, Seraphim! Wir wissen gar nicht wo wir stehen! Oder was Lord Alfan vorhat!“

Seraphim überlegte, als ihr die Worte vom bronzenen Engel wieder einfielen.

An jenem Tag, wo sie bei ihm war und Lord Alfan Rose entführt hatte.

„Der bronzene Engel hat gemeint, Lord Alfan wäre in der Lage Ira auszutricksen. Er meinte, ändert sich sein Plan, ändert sich die Prophezeiung und somit auch die Zukunft.“, sprach Seraphim und sie glaubte dem Mann. „Lord Alfan hätte viele Pläne, hat er gesagt“

„Das ist mir auch schon in den Sinn gekommen“, murmelte die Königin. „Aber Ira besitzt eine höhere Macht, als alles was ich kenne. Ihre Macht übersteigt deine und meine, ja auch die von Lord Alfan, bei weitem. Es ist auszuschließen, dass Ira sich von solch einfachen Tricks hintergehen lässt!“

Seraphim nickte nur stumm und blickte wieder zu dem Hologramm.

Storm an der Seite von Lord Alfan? Storm als Verräter?

Sie konnte und wollte es nicht wahr haben.

Die Königin schien von Ira überzeugt zu sein, doch Seraphim glaubte eher den Worten des bronzenen Engels, auch wenn dies nur Worte waren und es somit etwas schwer nach zu vollziehen war. Seraphim war der festen Überzeugung, dass Ira manipuliert wurde.

Die Königin konnte doch nicht allen Ernstes denken Storm wäre der Verräter, oder?

Er!

Er, der ihr bereits so viel half!

Er, der gegen Lord Alfan gekämpft hatte, an ihrer Seite.

Er, der fast von Alfan getötet wurde und jemanden an ihn verloren hatte! Einen solchen Hass gegen ihn hatte!

Er, der vermutlich ihr zweiter silberner Engel wurde!

So einer konnte doch unmöglich auf der Seite dieses Wahnsinnigen stehen!

Nein, diese Rolle fiel einem anderen viel besser zu.

Seraphim hasste den Gedanken, aber Talas war in ihren Augen der Verräter.

Sie wollte der Königin schon davon erzählen, aber welchen Beweis hatte sie? Gar keinen, nur eine Vermutung und Storms Bezeugung. Aber aufgrund vom Verdacht der Königin, würde dies nun vermutlich nicht mehr zählen.

Obschon Talas an jenem Tag, die Waffen entfernt hatte und beim Palastbrand verschwunden war, reichte dies nicht aus. Viele Engel waren in der Nacht des Brandes geflüchtet, vielleicht hatten sie ihn ja bloß nicht gesehen. Und nach der ersten Schlacht, waren alle Waffen wieder an ihrem Platz, ohne dass auch nur irgendjemand, außer Storm und Seraphim, ihr Verschwinden aufgefallen war.

Hier stand nun Wort gegen Wort.

Und die Königin hatte als „Beweis“ die Prophezeiung der Kugel.

Seraphim fing an Ira zu hassen, denn bis jetzt hatte die ihr nicht ziemlich viel geholfen. Zwar hatte Ira die Engel von der kommenden Gefahr gewarnt, hatte die Engel zu Seraphim geführt und sie als die Auserwählte offenbart. Aber ansonsten? Nichts was Seraphim weiter helfen konnte.

„Wir werden einfach alles im Auge behalten“, sagte die Königin entschlossen, als sie Seraphims skeptische Miene sah. Das Mädchen nickte.

Alles im Auge behalten.

Sie würde Talas weiterhin ganz genau im Auge behalten.

„Aber bis wir uns sicher sind“, meinte die Königin. „Zu niemandem ein Wort. Niemandem!“

*

Nach diesem Gespräch fühlte Seraphim sich nicht in der Lage Storm direkt unter die Augen zu treten.

Die Worte der Königin hatten doch etwas Schweres an sich. Sollte sie vielleicht jemandem davon erzählen? Nein.

Nein, die Königin hatte befohlen es nicht weiter zu sagen.

Seraphim war innerlich hin und her gerissen, zwischen ihrer Pflicht das Reich der Engel zu beschützen und damit den Verräter und Lord Alfan auszuschalten und ihren Gefühlen für Storm, der laut der Königin jetzt tatsächlich auch auf der ungeschriebenen Liste stand, vielleicht der Verräter zu sein.

„Was soll ich bloß tun?“, fragte Seraphim sich, als sie ziellos durch die Gegend flog um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Frage wäre wohl eher: Was konnte sie tun?

Nichts.

Was denn auch? Storm fragen ob er der Verräter war, weil Ira es so gesagt hatte?

Was würde Storm nur von ihr denken?

Sie liebte ihn, sie liebte ihn wirklich sehr, doch dieser Gedanke machte sie einfach wahnsinnig.

Von Anfang an hatte sie gewusst, dass das alles nicht leicht werden würde, dass eine große Last auf ihren Schultern ruhte. Aber dass sie überhaupt keine Anhaltspunkte hatte, das hatte sie nicht erwartet.

Seraphim blickte sich um und schmunzelte.

Das Reich der Engel strahlte wie üblichen in seiner vollen Pracht. Es herrschte eine gemütliche Spät-Sommer-Idylle. Hier wurde es nie sehr kalt, aber auch nie sonderlich warm. Trotzdem waren hier alle Jahreszeiten stark vertreten, sowohl der Sommer und Frühling mit seinen prachtvollen Farben, wie auch der Herbst und der Winter mit Regen und einer dicken Schneeschicht.

Die ersten Bäume trugen bereits welke Blätter. Anders als auf der Erde, war hier der Wechsel der Jahreszeiten ziemlich deutlich zu sehen.

Die Engel konnten den Herbstanfang kaum abwarten.

Seraphim fiel auf, dass sie zu sehr abdriftete und sie konzentrierte sich wieder.

„Vielleicht ist es aber auch gut, manchmal abzuschalten“, murmelte sie und setzte zur Landung an, um sich die Beine zu vertreten.

Obwohl sie nun Flügel hatte und das Fliegen über alles Spaß machte, fehlte ihr das Laufen.

Sie streckte sich ausgiebig und sah sich erst mal um wo sie war.

„Na toll“, meinte sie, als ihr das verrückte Haus mit dem heruntergekommenen Vorgarten ins Auge fiel. „Was suche ich denn hier?“

Es war noch nicht allzu lange her, dass sie den bronzenen Engel besucht hatte.

Der hatte ihr und Storm damals ja nicht sonderlich viel weiter geholfen.

Unfreundlich war er obendrein auch noch gewesen. Aber wenn Seraphim so zurück dachte, war sie auch nicht gerade nett zu ihm gewesen. Ihre Meinung hatte sie ihm ja auch gleich lautstark als Abschied mitgeteilt.

Sie seufzte: „Vielleicht kann er mir ja dieses Mal weiter helfen“

Sie konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich mit diesem Gedanken spielte, aber sie konnte im Moment jede Hilfe gebrauchen, die sie nur bekommen konnte. Sie ging zur Tür und klopfte. Keine Antwort.

Von Storm wusste das Mädchen, dass der bronzene Engel niemals aus dem Haus ging, also musste er da sein.

Sie klopfte etwas fester und die Tür schwang ein Stück auf.

„Hallo?“, fragte Seraphim vorsichtig, öffnete die Tür ganz und sah das Chaos was sich ihr bat, welches aber nichts Ungewöhnliches war. „Jemand da?“

Keine Antwort.

War der Kerl aber vielleicht ausnahmsweise mal ausgegangen?

Seraphim wollte gerade gehen, da sie nicht gerne rumspionierte, als sie ein Niesen aus dem hinteren Teil des Hauses vernahm.

„Hallo?“, rief Seraphim nochmal und betrat die enge Stube.

Sie musste aufpassen, denn die Decke war sehr niedrig und jetzt wo sie ihre Flügel hatte, stießen die mit den Trägern gegen die verstaubten fettigen Balken, welche die Zimmerdecke hielten.

Das Mädchen bannte sich ihren Weg fort durch das Getümmel. Passte auf nicht gegen die Balken zu stoßen oder über Bücher und sonstigen Kram zu stolpern.

Sie kam in eine Art Küche. Zumindest sah es so aus, als hätte dieser Raum vor sehr langer Zeit mal als solcher gedient. Nun stapelte sich hier nur noch schmutzige Wäsche, Abwasch, angefangenes Essen und abermals unzählige von Büchern.

Ein paar Fliegen flogen umher und der Geruch von verfaulter Nahrung lag in der Luft, dass sich einem der Magen umdrehte.

Angewidert hielt Seraphim sich eine Hand vor Mund und Nase, doch es half nicht sonderlich viel gegen den Gestank.

„Hat man dir nicht beigebracht, dass man anklopft?“

Seraphim wirbelte herum und erblickte den Herrn des Hauses. Er hatte eine verwaschene Latzhose an, ein Holzhackerhemd darunter, dazu schmutzige Stiefel.

„Die Tür ging von selbst auf “, entschuldigte sich das Mädchen.

Der Mann knurrte etwas Unverständliches vor sich, als er sich eine Gießkanne schnappte und zur Hintertür hinausging.

Seraphim folgte ihm zögernd und bemerkte, dass sie sich in einem Gewächshaus befand, wo die Pflanzen noch exotischer aussahen, als im gesamten Königreich. Das Dach war auf und die Sonnenstrahlen fielen herein.

Seraphim runzelte die Stirn.

Das Gewächshaus war ziemlich groß, warum sah sie es von draußen nicht?

„Ein Verbergungszauber “, meinte der Engel.

„Was?“, Seraphim sah ihn fragend an.

„Ein Verbergungszauber“, wiederholte der Engel nur. „Das Gewächshaus ist nur für Leute sichtbar und betretbar, die durch die Tür da kommen.“ Der Mann deutete zu der Hintertür seines Hauses.

„Verstehe“, murmelte Seraphim, fragte aber nicht, warum der Mann diese Magie an wandte. Vielleicht lag es einfach an seiner Art. Vielleicht wollte er weiterhin geheimnisvoll, makaber und unheimlich bleiben und seine Leidenschaft für Gartenarbeiten nicht preisgeben.

„Nun, du bist sicher nicht hier um mir bei der Gartenarbeit zu helfen, oder brichst du gerne in fremde Häuser ein?“, kam der Engel nun auf das eigentliche Thema.

„Ich bin nicht eingebrochen!“, knurrte Seraphim. „Ich bin nur ganz zufällig hier vorbei gekommen“

„Es gibt keine Zufälle“, meinte der Engel. „Also, was willst du? Meine Zeit ist begrenzt“

„Ja klar, deine Zeit ist begrenzt“, dachte Seraphim und verdrehte die Augen, als sie dann aber fragte: „Es gibt ein paar Probleme und ich habe gedacht, Sie könnten mir da vielleicht weiter helfen“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Sie sind doch der bronzene Engel. Der Engel des Wissens!“

„Der war ich mal vor langer Zeit. Heute bin ich nur noch ein bescheidener Mann, welcher nur seine Ruhe haben möchte“, erwiderte der Engel und fischte einige welke Blätter aus dem Blumenbeet einer Strelitzie.

Seraphim verdrehte erneut die Augen, als sie meinte: „Ihr habt beim letzten Mal behauptet dass Ira sich irren könnte!“

„Hab ich das?“

„Ja, haben Sie.“, sagte Seraphim etwas barsch. „Ich wollte wissen, ob Sie da richtig liegen und wie groß die Möglichkeit besteht, dass dies der Fall sein könnte“

Der Mann guckte sie ausdruckslos an, ließ seinen Blick über sie gleiten.

Seraphim erwiderte seinen Blick ernst.

„Du kannst echt nervig sein, weißt du das?“

Seraphim zuckte bloß mit den Schultern, als sie ihre Frage wiederholte: „Kann dies der Fall sein?“

Der Mann stützte die Hände in die Hüfte und lachte: „Sag bloß, es steckt laut der Kugel jemand in der Klemme?“

„Nicht wirklich“, meinte Seraphim nach kurzem Zögern.

„Nicht wirklich?“

„Kann sich Ira wirklich irren? Die Königin ist nicht der Überzeugung“

„Die Kugel hat sich noch nie geirrt“

Seraphim klappte die Kinnlade runter. Ihr Herz machte einen Satz.

„A-aber“, fing sie an. „Ihr habt gesagt…“

„Außer einmal“, fügte der Engel hinzu. „Bei Lord Alfans Verrat!“

„I-ich verstehe nicht recht“, gestand Seraphim.

Der Engel seufzte, dann drückte er ihr eine Gießkanne in die Hand und meinte: „Komm mit, ich denke wir müssen deinen Horizont erweitern, du Spatzenhirn.“

Kapitel 2

„Bei deinem letzten Besuch habe ich dir ja die Kurzfassung von Lord Alfans Verrat erzählt. Ich denke es wird Zeit, dass du so langsam die ganze Geschichte zu hören bekommst. Dann kannst du dir dein eigenes Bild zusammen setzten, denn auch wenn jeder dir verspricht, dir zur Seite zu stehen, bleibt schlussendlich alles an dir hängen.“, meinte der bronzene Engel und zog seine Gartenhandschuhe an.

„Nebenbei kannst du mir dann auch bei der Arbeit helfen.“

Seraphim war nicht sonderlich davon begeistert ihm hier mit seinen Pflanzen zu helfen. Ganz davon abgesehen, dass ihr der grüne Daumen fehlte, konnte sie den Kerl nicht ausstehen. Aber wenn er ihr nun eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Engel erzählte und Zeitzeuge war, hieß es wohl Zähne zusammen beißen, Augen zu und durch.

„Wir überspringen einfach den Teil mit der ganzen Entstehungsgeschichte, denn wie alles entstanden ist, weiß bis heute noch niemand so genau.“, fing der Engel an.

„Ich hab aufgehört zu zählen, aber vor der ganzen Geschichte, wie du bereits wissen solltest, war Lord Alfan im Rate des damaligen Königs. Dieser wollte jedoch bald abdanken und seinem Sohn den Thron vererben. Der hatte bereits eine Tochter, Goldheart. Jeder war sehr mit den Vorbereitungen für die Abdankung und der Nachfolge beschäftigt, doch dies störte Alfan nicht daran weiter zu arbeiten, denn er hatte etwas ganz außergewöhnliches gefunden, was er aber erst preisgeben wollte, wenn er es vollständig erforscht hatte. Ich war der Einzige, den Alfan eingeweiht hatte und somit davon wusste. Insgeheim hatte er es mir abends bei einer Runde Poker im Soff verraten…“

– Wenige Wochen vor Lord Alfans Verrat –

Es war spät abends.

Eine Zeit wo die Meisten normalerweise schliefen. Dies galt aber nicht für die Engel in der Taverne, welche noch immerfröhlich sangen, tanzten, spielten und sich einfach prächtig amüsierten.

„Alfan! Du hast schon wieder verloren! Die nächste Runde geht wieder auf dich!“

„Ich sag dir Gabriel“, lallte ein Mann, wessen Kopf ziemlich kahl war und ein buschiger Bart stand in seinem Gesicht. „Bei der nächsten Partie gewinne ich!“

„Das bezweifle ich“, lachte Gabriel.

Gabriel war nicht sonderlich groß und etwas Bauchfett hatte sich auch schon bereits angesetzt. Er hatte lange blonde Haare, welche zu einem Zopf zusammen gebunden waren und über seine rote Robe fielen.

Er stach etwas aus der Menge hervor. Nicht nur weil er etwas vornehmer gekleidet war, sondern weil seine Flügel im Gegensatz zu denen der anderen männlichen Engel nicht schwarz, sondern eher rötlich waren, ja fast wie aus Bronze wirkten.

„Gib das Spielen auf Alfan!“

Sein Freund Alfan war ebenfalls ziemlich formell gekleidet, ein dunkelblauer Mantel umhüllte ihn. Er besaß jedoch gewöhnliche schwarze Flügel.

In der Taverne herrschte ein schwaches Licht.

„Ich gebe nicht auf!“, schnauzte Alfan, welcher sich knapp auf dem Stuhl halten konnte, so betrunken war er.

Gabriel lachte nur wieder.

„Noch eine Runde und dann ist gut, mein Freund. Schließlich haben wir Beide morgen Arbeit!“, meinte der bronzene Engel und winkte die junge Kellnerin zu ihnen.

„Noch eine Runde“, bestellte er.

„Sehr gern, Lord Gabriel“, lächelte diese und flog zur Theke.

„Lord, Lord, Lord“, murmelte Alfan. „So viele Lords!“

„Du bist doch auch einer“

„Wer ist schon keiner?“

Die Männer brachen in Gelächter aus.

Die Kellnerin kam zurück und gab ihnen ihr Met, dann verschwand sie wieder.

Alfan blickte tief in den Krug, als er meinte: „Wer glaubst du wird wohl der nächste silberne Engel werden, sobald der König abgedankt hat und der Prinz zum Goldenen geworden ist?“

„Ja, das gab es auch noch nie, dass das Kind vom goldenen Engel der silberne Engel ist. Aber der erste Silberne hat uns ja leider sehr früh verlassen“, murmelte Gabriel.

Alfan nahm einen Schluck, bevor er weiter sprach: „Glaubst du ich würde einen guten Heerführer abgeben?“

„Du?“, fragte Gabriel amüsiert. „Ok Alfan, du hast definitiv zu viel getrunken!“

„Ich meine es ernst!“, schnauzte Alfan. „Ich bin einer der treusten Engel im Lande!“

„Alfan“, redete Gabriel beruhigend auf ihn ein. „Du bist fast so alt wie ich. Ich denke die nächste Generation kommt dran. Vermutlich sogar noch einer der Kadetten.“

„Einer der Kadetten?“, fragte Alfan aufgebracht. „Das sind alles Nichtskönner! Und die sollen unser Königreich eines Tages beschützen?“

Die Leute in der Taverne drehten sich zu ihnen um.

„Alfan! Jetzt beruhige dich!“, knurrte Gabriel. „Und sei nicht so laut! Wir sind nicht alleine!“

Alfan winkte nur ab und nahm einen weiteren Schluck Met.

„Das hat bis jetzt jedes Mal geklappt. Nenn mir einen Grund warum es dieses Mal nicht klappen sollte?“, fragte Gabriel ihn.

„Das sind doch noch Kinder!“, meinte Alfan und leerte seinen Krug ganz.

„Gut trainierte junge Burschen“, ergänzte Gabriel. „Vergiss nicht dass unser Prinz sie trainiert.“

„Ja ja“, meckerte Alfan.

„Ich habe da bereits so eine Vorahnung, wer es werden könnte“

„Ach und wer?“.

„Ich weiß nicht wie der Junge heißt. Er ist ziemlich groß, blonde Haare, blaue Augen. Seine Gabe ist es die Luft zu manipulieren“, Gabriel überlegte kurz. „Ah! Und er ist in dieses eine Mädchen verliebt. Wie heißt sie noch gleich? 12 Jahrealt. Ziemlich klein, schwarze Haare, violette Augen. Nett und freundlich“

„Eh, Lilie glaub ich“, murmelte Alfan und rieb sich die Stirn. Alle seine Erinnerungen und Gedanken waren verschwommen.

„Ja genau, die kleine Lilie!“, meinte Gabriel. „Ich glaube der Junge, der ständig an ihrer Seite klebt, ist ein guter Kandidat für diesen Posten!“

„Der?“, fragte Alfan überrascht. „Der ist erst 15 Jahre alt! Ne, ne. Ich denke eher an jemand anderes!“

„An wen?“, fragte Gabriel neugierig.

Alfan beugte sich zu seinem Freund nach vorne, als würde er ihm ein Geheimnis verraten und flüsterte mit großen Augen: „Michael!“

Gabriel verschluckte sich fast: „Du meinst doch nicht etwa Michael Tallhelm?“

Alfan nickte bestätigend.

Gabriel prustete los: „Dieser Tollpatsch? Dein Ernst? Du machst doch Witze!“

„In dem Jungen steckt Potential!“, behauptete Alfan.

„Der kann doch noch nicht einmal einen Stein weg kicken ohne dabei umzufallen, selbst wenn er direkt vor seiner Nase liegt! Er ist der reinste Schwächling! Selbst Kleinkinder scheinen mehr Muskeln auf den Rippen und Grips im Hirn zu haben als er!“

„Trotzdem!“, meinte Alfan mit funkelnden Augen. „Der Junge ist etwas Besonderes!“

„Ja, eindeutig“, murmelte Gabriel sarkastisch. „Besonders schwach und dumm“

Er schüttelte amüsiert den Kopf, bevor er sagte: „Komm, ich bring dich jetzt nach Hause!“

Beide gingen zusammen aus der Taverne und Alfan hatte einige Schwierigkeiten in der Luft zu bleiben, da er die Distanz zwischen sich und dem Boden nicht mehr einschätzen konnte. So wie Menschen nicht betrunken Auto fahren sollten, sollten Engel am besten nicht betrunken durch die Gegend fliegen.

Schließlich kamen sie aber heil zuhause, im Palast, an.

„Weißt du, ich denke über ein eigenes Haus nach“, gestand Gabriel, als er Alfan in dessen Gemach brachte.

„Was?“, fragte dieser verwirrt.

„Ja“, meinte Gabriel. „Ich meine, im Palast zu wohnen hat schon etwas an sich. Aber ist das nicht ein bisschen übertrieben? Das hier ist so eine richtige Klassen-Einteilung. Die Gelehrtem leben im Palast und das einfache Volke im Dorf“

„Na und?“, fragte Alfan. „War doch schon immer so“

„Ein eigenes Haus, das wär ideal für mich“, schwärmte Gabriel. „Da hätte man seine Ruhe und man kann tun und lassen was man will!“

„Und dann sagst du ich wäre betrunken?“, lachte Alfan und wankte zu seinem Schreibtisch.

„Was machst du denn jetzt?“, fragte Gabriel, welcher in der Tür stand.

„Ich zeig dir etwas, aber du darfst niemandem etwas davon erzählen, in Ordnung?“

„Ehm, in Ordnung?“, meinte Gabriel überrascht, trat ein und schloss die Tür hinter sich.

Lord Alfan öffnete seine Schublade, nahm einige Bücher raus, bevor er einen doppelten Boden betätigte.

Der Deckel sprang hoch und in dem dunklen Zimmer würde plötzlich düsteres Licht verstreut. Es war, als würden sich Schatten über alles her machen.

Gabriels Herz fing an wie wild zu klopfen. Sein Atem ging hektisch und eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken.

„Alfan! Was ist das?“, keuchte er.

„Ich habe das hier vor einigen Tagen bei einem kurzen Erdenbesuch gefunden.“, sagte der Mann. „Ich weiß nicht so Recht was es ist, deshalb habe ich es mitgenommen. Ich untersuche es jetzt schon seit einigen Tagen und beobachte es. Ich glaube es ist mächtig! Es scheint Kraft zu verleihen!“

Alfan guckte seinen Freund mit glänzenden Augen an, als er eine kleine Schatulle aus der Schublade nahm, aus welcher das bedrohliche Licht kam.

„Weiß der König davon?“, fragte Gabriel. Ihm war gar nicht wohl bei der Sache. Irgendetwas sagte ihm, dass der Inhalt der Schatulle böse war, sehr böse.

„Noch nicht.“, meinte Alfan. „Ich will es erst fertig erforschen, bevor ich es preisgebe“

„Glaubst du denn, dies wäre so klug?“

„Wehe du verrätst es!“

„Ich…“

„Als mein Freund, versprich mir, dass du es für dich behältst!“

„Das kannst du nicht von mir verlangen!“

„Schwöre! Schwöre bei unserer Freundschaft!“

„Ich…“, Gabriel stockte.

So hatte er Alfan ja noch nie erlebt!

Er kannte ihn schon lange und wusste, dass Alfan, wenn er etwas entdeckt hatte, wie ein Narr davon besessen sein konnte. Doch derartig hatte er noch nie reagiert. Ob dies vielleicht der Alkohol war?