Vicious Magic: Sammelband der aufregenden Urban-Fantasy-Trilogie »Vicious Magic« - Linda Winter - E-Book

Vicious Magic: Sammelband der aufregenden Urban-Fantasy-Trilogie »Vicious Magic« E-Book

Linda Winter

0,0
12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Die Macht von Metall und Feuer** Diese E-Box enthält die mitreißende Fantasy-Liebesgeschichte von Metallmagierin Lyssa und Drachenwandler Blaze. Vicious Magic: Verzwickte Gaben (Band 1) Als Agentin der Magic Control Agency ist Lyssa daran gewöhnt, sich tagtäglich mit wilden Magischen herumzuschlagen, schließlich ist das Einfangen und Sicherstellen von potenziell gefährlichen Wesen ihr Job. Doch als die Metallmagierin in den australischen Blue Mountains plötzlich einem Drachenwandler gegenübersteht, traut sie ihren Augen kaum. Nicht nur ist diese Kreatur überaus selten, der Mann, der ihr mit lodernden Iriden entgegenblickt, übt auch noch einen seltsamen Sog auf sie aus. Was Lyssa nicht ahnt: Blaze birgt ein Geheimnis, das neben dem Frieden der Welt auch ihr eigenes Leben für immer zerstören könnte ... Vicious Magic: Wilde Biester (Band 2) Als Lyssa den mysteriösen Drachenwandler Blaze in der Wildnis Australiens gefangen nimmt, ist für die Agentin der Magic Control Agency nichts mehr wie zuvor. Denn der Mann, der sie mit seinem Feuer und seiner einzigartigen Magie sofort für sich eingenommen hat, ist nicht der, für den sie ihn hält. Verletzt über seinen Verrat will Lyssa zunächst nichts mehr von Blaze wissen. Doch als eine magische Rebellengruppe die Macht an sich zu reißen droht, ist er der Einzige, der ihr Antworten geben kann. Entschlossen, die Menschen zu beschützen, geraten die beiden in einen Machtkampf, der längst nicht so einfach zu durchschauen ist, wie Lyssa dachte … Vicious Magic: Tückische Macht (Band 3) Um die Menschheit zu beschützen, ist Lyssa bereit alles zu tun. Schließlich ist sie in der Magic Control Agency jahrelang dazu ausgebildet worden. Doch als sie in die Fänge einer magischen Rebellengruppe gerät, muss sie sich einer Wahrheit stellen, die sie ihr ganzes Leben hinterfragen lässt. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit – und die Metallmagierin muss nicht nur herausfinden, auf welcher Seite sie steht, sondern auch, wer sie wirklich ist. Denn die Rebellen drohen einen Krieg heraufzubeschwören, der die ganze Welt vernichten soll. Und mit ihr den Mann, der Lyssa einst verraten hat und nun unerschütterlich an ihrer Seite kämpft … //Dies ist der Sammelband der Urban-Fantasy-Trilogie »Vicious Magic«. Alle Bände der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Vicious Magic: Verzwickte Gaben (Band 1) -- Vicious Magic: Wilde Biester (Band 2) -- Vicious Magic: Tückische Macht (Band 3) Diese Reihe ist abgeschlossen.//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



www.impressbooks.deDie Macht der Gefühle

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2023 Text © Linda Winter, 2022 Lektorat: Julia Feldbaum Coverbild: shutterstock.com / © KaiMook Studio 99 / © 3DBear / © Irina Bg / © McLittle Stock / © yonikamoto / © Sofia Zhuravetc Covergestaltung: Alexander Kopainski ISBN 978-3-646-61007-9www.impressbooks.de

Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Linda Winter

Vicious Magic: Verzwickte Gaben (Band 1)

**Die Macht von Metall und Feuer**Als Agentin der Magic Control Agency ist Lyssa daran gewöhnt, sich tagtäglich mit wilden Magischen herumzuschlagen, schließlich ist das Einfangen und Sicherstellen von potenziell gefährlichen Wesen ihr Job. Doch als die Metallmagierin in den australischen Blue Mountains plötzlich einem Drachenwandler gegenübersteht, traut sie ihren Augen kaum. Nicht nur ist diese Kreatur überaus selten, der Mann, der ihr mit lodernden Iriden entgegenblickt, übt auch noch einen seltsamen Sog auf sie aus. Was Lyssa nicht ahnt: Blaze birgt ein Geheimnis, das neben dem Frieden der Welt auch ihr eigenes Leben für immer zerstören könnte …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

© privat

Linda Winter, 1985 in Deutschland geboren, zog es früh in die Ferne. Nach einem Auslandsjahr in Australien studierte sie Archäologie und Interkulturelle Kommunikation und arbeitete bei den Vereinten Nationen, ehe sie ihre Liebe für das Schreiben wiederentdeckte. Heute lebt sie in ihrer Wahlheimat Wien, reist am liebsten durch die Welt und schreibt fantastische Geschichten für Jugendliche.

Kapitel 1

EIN UNGEWÖHNLICHER AUFTRAG

»Idiot!«

Verzweifelt klammere ich mich an das dünne Stahlseil, das schmerzhaft in meine Handflächen schneidet. Gleichzeitig versuche ich, den Ästen auszuweichen, die mir fröhlich ins Gesicht peitschen. Die Rotorblätter des Helikopters über mir verursachen einen Wind in Orkanstärke, der mich unkoordiniert hin und her schaukeln lässt. Abgerissene Eukalyptusblätter umschwirren mich wie lästige Stechfliegen. Doch anstatt höher zu fliegen, macht der talentfreie Pilot eine scharfe Linkskurve und schleudert mich um ein Haar frontal gegen einen Baumstamm. In letzter Sekunde kann ich ihm ausweichen und rausche mitten hinein in die Baumkrone. Spitze Äste reißen mir die Haut auf, bohren sich in mein Fleisch. Mühsam ringe ich nach Luft und verschlucke dabei ein paar der giftigen Blätter. Würgend ziehe ich mich höher.

Von wegen entspannter Routineeinsatz. Wo hat dieser Typ seinen Flugschein her? Vom Schwarzmarkt?

Dies ist einer jener seltenen Momente, in denen ich mir wünsche, ein Mensch zu sein. Die dürfen sich ihre Jobs wenigstens aussuchen. Ich jedoch – Absolventin einer erstklassigen Akademie für Magische mit exzellentem Zeugnis und einer der seltensten Gaben dieser Welt – muss jeden Auftrag annehmen, den mein Boss mir auf den Tisch legt. Ist das fair? Ich denke nicht.

Tapfer beiße ich die Zähne zusammen und hole das Beste aus meiner Magie heraus, was in dieser unwürdigen Position möglich ist. Vielleicht ist dem Schwachkopf dort oben nicht bewusst, dass es kein Kinderspiel ist, Elemente zu kontrollieren. Metall ist unter allen Elementen mit Abstand das störrischste und eigenwilligste. Und das sagt jemand, dem die Macht über jedes gottverdammte Metall des Universums gegeben ist. Doch es ist nur das Gold, welches mir widerstandslos gehorcht. Selbst dann noch, wenn ich sturzbetrunken bin. Weshalb ich von den Ohren bis zu den Zehen damit geschmückt bin. Stahl hingegen ist ein harter Brocken. Der Rebell unter den Metallen.

Ein wohlvertrautes Prickeln durchwandert meine Adern, während sich die Magie in meinem Blut anreichert und spürbar durch mein Herz pulsiert. Das Stahlseil – meine einzige Rettung vor einem tödlichen Sturz in die Blue Mountains – windet sich fester um mein Handgelenk, schlängelt sich den Arm empor bis zur linken Schulter. Schon besser. Todesmutig blinzle ich in das Chaos aus Blattwerk und Geäst. Der bläuliche Nebel, der über dem Tal wabert, erschwert meine Sicht. Die biegsamen Äste der uralten Eukalyptusbäume malträtieren mich, als hätten sie Freude daran. Ein weiterer Baumstamm rast auf mich zu und ich schwinge mich fluchend nach rechts.

Wieso zur Hölle bin ausgerechnet ich für diesen lebensgefährlichen Auftrag erwählt worden?

Vermutlich habe ich es mir selbst zuzuschreiben. Täglich liege ich meinem Boss in den Ohren, mir endlich einen herausfordernden Auftrag zuzuteilen. Einen, der meiner Fähigkeiten würdig ist. Dies hier jedoch ist kein herausfordernder Auftrag – es ist ein schlechter Scherz.

Ich puste einige Haarsträhnen beiseite, die vor meinen Augen baumeln, und erspähe in der Ferne eine Lichtung. Ah. Das ist dann wohl diejenige, über der mich der Pilot hätte abseilen sollen, wenn alles nach Plan verlaufen wäre. Leider kann ich mir weder meine Aufträge noch meine Teammitglieder aussuchen. Glücklicherweise bin ich allein für den Job am Boden eingeteilt. Mehr Inkompetenz würde ich heute nicht ertragen. Schon jetzt spüre ich, wie die Migräne an meine Schläfen pocht. Und ich habe mit der Suche nach den feurigen Tinkerbells, die neuerdings die Täler der Blue Mountains bevölkern, nicht einmal begonnen.

Kurz bevor wir die Lichtung erreichen, spanne ich meine Muskeln an und löse das Stahlseil mit Hilfe meiner Magie von den Kufen des Helikopters. Dann lasse ich mich fallen. Die von mir geschätzten zehn Meter sahen von oben weniger dramatisch aus, im freien Fall jedoch bekomme ich kurz vor dem Aufprall Muffensausen. Ich winkle meine Beine an und komme federnd auf den Stiefelsohlen auf, gehe in die Hocke und rolle mich vorbildlich ab. Perfekte Landung. Besser noch als im gestrigen Training. Ich will mich schon selbst loben, da stolpere ich beim Aufstehen über einen dicken Ast und lande mit der Nase voran im Dreck.

Ich fluche ungehalten und rapple mich ächzend auf, spucke Erde und Reste von Eukalyptusblättern aus. Eine reißende Böe verwirbelt mein Haar und lässt die Bäume bedenklich knarzen, dann verabschiedet sich der unfähige Pilot, macht sich zurück auf den Weg in die Zentrale. Hoffentlich auf Nimmerwiedersehen.

Mit dem Handrücken wische ich mir den erdigen Staub aus dem Gesicht und klopfe ihn von meiner Kleidung. Meine nackten Arme sind übersät mit blutigen Kratzspuren. Ein langer ausgefranster Riss zieht sich über meinem linken Oberschenkel durch die nagelneue und superteure Jeans.

»Verdammte Scheiße«, murmle ich und verschönere ihn mit ein paar goldenen Sicherheitsnadeln.

Aber nein, Auftrag 348 verlangt ja keine gesonderte Ausrüstung. Wieso auch? Ich muss nur durch dichte Eukalyptuswälder streifen und nach flammenden Biestern Ausschau halten, die sicherlich alles andere als erfreut sein werden, wenn sie mich sichten. Sollten die Viecher mir auch nur eine Haarsträhne abfackeln, stelle ich das der MCA in Rechnung.

Seufzend ziehe ich den Träger meines Tanktops wieder über die Schulter, richte den BH und fische Äste und tote Fliegen aus meinem Ausschnitt. Mein Smartphone – sicher in einer Tasche am Gürtel verstaut – hat den Flug unbeschadet überstanden, ist aber nutzlos, weil man in dieser Wildnis lange nach einem mobilen Funknetz suchen kann. Ich ziehe den Knoten des Jeanshemds enger, das um meine Hüfte baumelt, und werfe meine zerzausten Haare über den Kopf, schüttle sie kräftig aus. Anschließend binde ich meine goldblonde Mähne zu einem festen Pferdeschwanz.

So. Nachdem ich mich halbwegs sortiert habe, atme ich tief durch und konzentriere mich auf meine Magie, fühle mich in die Atome des Stahlseils ein. Ich verwandle es in einen schmalen Reif, der sich um meinen linken Oberarm windet. Das Seil hinterlässt blutige Striemen, die sich über den gesamten Arm ziehen. Ich sehe aus, als besäße mein Freund einen kranken Fetisch. Dabei ist der einzige Fetisch, den Lewis besitzt, die Socken anzubehalten. Und das auch nur, weil er eine schlechte Durchblutung hat. Er ist ein Cryokinet. Ein Eismagier. Das kalte Blut ist ihm naturgegeben. Und dafür kann er ja nichts.

Ich fummle nach dem Medizinfläschchen an meinem Gürtel und träufle die gesamte Flasche Desinfektionsmittel auf die offenen Schnitte. Es brennt wie die Hölle und ein Zischen entweicht mir. Deswegen hasse ich Stahl. Gold fühlt sich angenehm auf der Haut an, wie Seide. Und verletzt hat es mich noch nie. Wohlwollend streichle ich über das hochkarätige, schlangenförmige Goldarmband, das sich von meinem rechten Handgelenk bis zum Oberarm windet. Es ist ein Vermögen wert. So wie meine Ohrringe, meine Ringe und meine Fußkettchen. Selbst in meine Haare habe ich Gold verwoben. Man kann nie wissen, wofür es gut ist. Im Grunde bin ich stinkreich. Besäße ich keine Moral und würde mich einen Dreck um die Gesetze des Rates scheren, könnte ich das reichste Geschöpf auf diesem Planeten sein. Ich würde in unendlichen Mengen Edelmetalle wachsen lassen und mir eine Villa aus purem Gold erschaffen. Forbes-Liste Nummer eins.

Doch dann würde die Magic Control Agency – kurz MCA – mich jagen. Und wenn sie mich erst gefunden haben, bunkern sie mich ein. So lange, bis ich verinnerlicht habe, wie ich meine Gabe zu kontrollieren habe und wofür ich sie verwenden darf. Für das Gute. Gemäß den Gesetzen des Rats der Magischen und der Menschenregierungen, die niedergeschrieben wurden, um den Frieden in einer bunten Welt aufrechtzuerhalten, in der Magische und Menschen Seite an Seite leben.

Ich jedoch bin selbst stolzes Mitglied der MCA, frischgebackene Jungagentin mit Gerechtigkeitssinn und Pflichtbewusstsein. Und es ist meine Aufgabe, diejenigen, die ihre Magie missbrauchen, dingfest zu machen.

Abgesehen davon verspüre ich keine Sehnsucht nach ewigem Reichtum. Der Geldwert des Metalls, das ich befehlige, ist mir unwichtig. Für mich ist das widerspenstige Element ein lebendiges Wesen mit Gefühlen, mit einer Vergangenheit. Kontrolliere ich Gold, dann bin ich eins mit ihm. Es gehört zu mir wie meine Haut oder mein schlagendes Herz. Ich war neun Jahre alt, als sich meine Präferenz für das edle Metall zum ersten Mal zeigte. Ich stibitzte meiner Mutter eine sündhaft teure Halskette, schmuggelte sie in die Schule und würgte damit einen Jungen, der mir am Tag zuvor Dreck in den Mund gestopft hatte.

Der Junge flennte, ich dagegen war mit einem Mal das magische Wunderkind von Perth. Lyssa ist eine Metallmagierin!

Als Ferrokinetin bin ich ein Unikat auf diesem Planeten. Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt Magie, eine noch immer nicht entschlüsselte Substanz, die im Blut aller Magischen schlummert und in unterschiedlichster Ausprägung zum Vorschein kommt. Unsere DNA gleicht der nichtmagischer Geschöpfe mit Ausnahme einer minimalen Abweichung, über die sich Wissenschaftler seit Jahrzehnten die Köpfe zermartern. Die Evolutionsbiologie sagt, wir wären gewöhnliche Menschen, Pflanzen oder Tiere. Aber per Gesetz sind wir es nicht. Unser politisch korrekter Sammelbegriff lautet schlicht: Magische. Eine unkreative Bezeichnung für eine Spezies, die vielfältiger nicht sein könnte und doch vom Aussterben bedroht ist. Gleichzeitig sind wir mächtiger als all die neunundneunzig Prozent Menschheit. Das macht ihnen Angst. Und geboren ist die MCA.

Meine Eltern waren schwer begeistert, als sie von meiner Gabe erfuhren. Sie zogen mit mir von der West- an die Ostküste Australiens und schickten mich auf eine der weltbesten Akademien für humanoide Magische in Brisbane, damit ich mein volles Potenzial ausschöpfen kann. Ich schloss als Jahrgangsbeste ab und zog mit meiner besten Freundin und Zeitmagierin Kymo und meinem Freund Lewis nach Sydney, um dort als aufstrebende Agentin für die australische MCA-Zentrale zu arbeiten. Das ist nun ein Jahr her. Und hier stehe ich verdreckt und blutig inmitten eines zehntausend Quadratkilometer großen Waldgebiets auf der Suche nach einem aufmüpfigen Volk von Feuerfeen.

Aber jede Karriere fängt klein an. Da muss ich jetzt durch. Meine Chance wird kommen. Die Chance, etwas zu bewegen. Teil einer internationalen Elitetruppe zu werden. Wilde Meermenschen im Golfstrom zu jagen oder Blutsaugern in Rumänien den Garaus zu machen. Ich muss nur Geduld zeigen. Immerhin bin ich erst neunzehn Jahre alt. Das Leben liegt vor mir.

Leider gehört Geduld nicht zu meiner herausstechendsten Charaktereigenschaft. Und eigentlich ist dieser Einsatz jetzt schon der abenteuerlichste, den ich je hatte. Was leider ausschließlich dem Kamikazepiloten zu verdanken ist.

Ich nehme einen Schluck aus meiner Wasserflasche, um den Eukalyptusgeschmack loszuwerden, dann tippe ich an den Sender in meinem Ohr. Ein lautes Rauschen lässt mich hochfahren und ich muss mich zwingen, das Ding nicht herauszureißen und unter meiner Stiefelsohle zu zertrümmern.

»Was ist das denn für ein Mist?« Ich hämmere auf den Sender ein.

Jemand räuspert sich am anderen Ende der Leitung. »Zentrale an Agent 174«, sagt eine tiefe, roboterartige Stimme.

»Ja, hier Agent 174«, antworte ich leicht verärgert und sehe mich um, erblicke jedoch nur Bäume. »Ich verschaffe mir einen Überblick. Keine Ahnung, wo ich hier gelandet bin. Könnt ihr mich orten?«

»Zentrale an Agent 174. Sie können Ihre Position nun einlesen. Beginnen Sie westlich Ihres Standortes. Die Koordinaten der magischen Störung wurden auf Ihrer Karte eingetragen. Folgen Sie dem empfohlenen Pfad.«

Ich halte mir meine MCA-Watch vors Gesicht, ein Mini-Computer, der zur Grundausstattung eines jeden Agenten gehört. Sieht aus wie eine Apple Watch, ist aber um einiges spektakulärer, denn sie spürt Magie auf und kann sie sogar bestimmen. Leider zieht sich ein Riss quer über das Panzerglas. Das Display ist schwarz. Ungeduldig tippe ich mit meinem Fingernagel darauf, seufze. War ja klar.

»Der Computer ist kaputt«, teile ich der Zentrale mit, vergesse in meinem Ärger, die förmlichen Kommunikationsregeln im Funksystem einzuhalten.

»Agent 174. Stoßen Sie auf Probleme?«, erschallt es blechern in meinem Ohr.

»Ja!«, rufe ich aufgebracht und verscheuche ein paar Mücken. Meine Nerven liegen blank. »Das Armband ist Schrott. Wie soll ich das anvisierte Ziel finden, wenn ich mich in diesem Urwald nicht orientieren kann?«

»Agent 174. Orientieren Sie sich Richtung Westen.«

Ganz klasse. Diesem Piloten gehört die Lizenz entzogen. Und dem Typen in der Zentrale gleich mit.

Entnervt stapfe ich los, verwende die spärlichen Sonnenstrahlen, die nur schwach den Boden erreichen, als Kompass. Ein gigantischer Eukalyptuswald und der einzige Hinweis, den ich habe: Richtung Westen laufen. Fantastisch.

Ich schüttle noch einige Male an meinem Handgelenk, aber das digitale Ding hat den Geist aufgegeben. Und da redet man von Panzerglas. Um das Equipment der MCA war es auch schon mal besser bestellt. Doch ich realisiere, dass dies einer der Momente ist, in denen ich mich beweisen kann, der Unfähigkeit der anderen zum Trotz. Ich werde diesen Einsatz erfolgreich abschließen. Allein. Nur auf mich und meine Magie gestellt. Das wird einen positiven Eintrag in meiner Akte nach sich ziehen. Und in der Zukunft könnten spannendere Aufträge auf mich warten. Wichtigere Aufträge. Internationale Aufträge. Elitetruppe.

Neue Motivation durchströmt mich und ich ziehe ein goldenes Messer aus meinem Gürtel, verwandle es innerhalb eines Wimpernschlags in eine Machete. Dann schlage ich mir einen Weg durch das Eukalyptusdickicht frei, rufe mir ins Gedächtnis, was in der Akte gestanden hat, die Mister Anderson mir heute Morgen über den Tisch schob. Unglücklicherweise habe ich die Infos nur überflogen, während ich mich ärgerte, abermals einen Auftrag annehmen zu müssen, der eine Verschwendung meiner Gabe und Fähigkeiten darstellt.

Ich hacke mir weiter den Weg frei, strenge meine Gehirnzellen an. Feuerfeen. Sie sind winzig, aber leuchten weithin. Außerdem begleitet sie ein penetranter Rauchgestank.

Ich schnüffle. In der Tat riecht es leicht angekokelt. Es ist Dezember und die Temperaturen tänzeln an der vierzig Grad Marke. Eine Dürreperiode hat Südostaustralien fest im Griff und die Äste sind dermaßen trocken, dass sie schon brechen, wenn man sie nur ansieht. Daher auch der akute Notruf der Menschen an die Zentrale. Selbst eine winzige Feuerfee könnte in dieser Dürre einen Waldbrand entzünden.

Ich wandere eine Weile ziellos umher, sammle mir ein paar Moskitostiche ein und trinke meine Wasserflasche bis auf den letzten Tropfen leer. Es kommt mir wie Stunden vor, die ich durch die Einöde irre. Der Akku meines Smartphones steht irgendwann bei beunruhigenden sieben Prozent, weil ich unentwegt versuche, ein Netz zu finden. Ich habe Durst, meine Füße schmerzen und mir ist latent übel von den Eukalyptusblättern, die ich zwangsweise schlucken musste.

Was ich hier tue, ist sinnlos. Doch wenn ich jetzt die Zentrale verständige, würde ich zugeben, an einer simplen Mission zu scheitern. Es würde einen Aktenvermerk geben. Einen negativen Aktenvermerk.

Das ist keine Option. Nicht für mich. Also marschiere ich weiter. Schließlich jedoch schwinden auch die letzten Sonnenstrahlen und Dunkelheit legt sich über den Wald. Irgendwo höre ich einen Dingo heulen. Keine Ahnung, ob ich noch Richtung Westen laufe. Keine Ahnung, ob ich mich noch in den Blue Mountains befinde.

Im Zweifel Verstärkung rufen.

Die Musterschülerin in mir führt zähneknirschend die Hand an den Sender. Es kommt einer persönlichen Niederlage gleich. Doch ein verräterisches Geräusch lässt mich in der Bewegung verharren. Ein stakkatoartiges Knacken zu meiner Rechten, das sich in der Ferne verliert. Es klingt, als würde ein Känguru durch das vertrocknete Unterholz hüpfen und vor mir fliehen.

Ich weiß nicht, warum ich mich in diesem Moment dazu entschließe, dem Känguru zu folgen und nicht den Regeln der MCA. Vielleicht, weil ich Gesellschaft brauche. Jemanden, an dem ich meinen Frust ablassen kann. Ich komme also von meinem nichtexistenten Pfad ab und schlage mich durch das Gestrüpp, orientiere mich in die Richtung, in der das Geräusch nun verklungen ist. Mit jedem Schritt wird der Rauchgeruch intensiver. Sollte das Känguru mir etwa den Weg zu den Feuerfeen zeigen?

Gutes Känguru. Braves Känguru.

Vorsichtshalber halte ich meine Magie in Alarmbereitschaft. Für ein Volk von widerspenstigen Feen benötigt es winzige Metallsplitter, die sich geradewegs in ihre Flügel bohren und sie somit flugunfähig machen. Sie fallen zu Boden und ich kann die lästigen Viecher aufsammeln, in meinen Sack stopfen und wieder abhauen. In der Zentrale wird man sie medizinisch versorgen und ihnen Manieren beibringen. Sie werden so lange in Gewahrsam bleiben, bis sie keine Gefahr mehr darstellen und in die Gesellschaft eingegliedert werden können. Wahrscheinlich droht ihnen danach ein Disziplinarverfahren vonseiten der Menschen.

Allerdings sehe ich keine Feen. Ich sehe nichts. Nichts als Eukalyptusbäume, die sich mit ihrer weißen Rinde von der Schwärze der Nacht abheben.

»Das ist doch alles ein schlechter Scherz«, murmle ich frustriert.

Ich bin eine topausgebildete Agentin mit einer bemerkenswerten magischen Gabe und werde ohne ordentliches Equipment mitten im Wald ausgesetzt, an der Seite ein irrer Pilot und ein unfähiger Innendienstmitarbeiter. Kein Wunder, dass wir Magischen von den meisten Menschen nur noch als Störenfriede angesehen werden. Eine Spezies, die langsam, aber sicher ausstirbt, niemand mehr benötigt und dennoch eine unberechenbare Gefahr darstellt.

Ich gebe mich geschlagen und tippe an meinen Sender.

»Hallo? Zentrale? Agent …« Welche Nummer habe ich für diesen Auftrag noch mal? Mist. Heute bin ich definitiv nicht in Bestform. Ich habe schlecht geschlafen und Lewis hat mich den ganzen Vormittag mit seinen Umzugsplänen genervt. Ich will nicht nach New York ziehen, nur weil es dort bessere Aufstiegschancen für Elementaristen gibt. Meine Karriere bedeutet mir viel. Ich bin der Ehrgeiz in Person. Doch ich bin Australierin durch und durch. Was soll ich in den USA?

»Ich bin für den Auftrag mit den Feuerfeen eingeteilt«, erkläre ich dem Typen in meinem Ohr, ignoriere aus Müdigkeit alle Kommunikationsregeln. »Könnt ihr mir bitte sagen, in welche Richtung ich gehen soll? Ihr müsst mich anleiten, sonst wird das nichts. Wie gesagt, mein Computer ist hin. Ich will nicht die ganze Nacht durch diesen Wald latschen. Dafür ist die Bezahlung zu lausig. Außerdem stand das nicht in der Akte!«

Zumindest nehme ich das an. Durchgelesen habe ich mir die Konditionen nicht wirklich. Im vergangenen Jahr habe ich hunderte solcher sinnfreien Aufträge erledigt. Irgendwie ähneln die sich doch alle.

»Agent 174. Stoßen Sie auf Probleme?«

»Ja!«

»Agent 174. Bitte geben Sie Ihre genaue Position durch, unser Computer zeigt uns Ihre Ausgangsposition. Haben Sie sich Richtung Westen bewegt? Bitte gehen Sie Richtung Westen.«

»Ich gehe Richtung Westen!«, ereifere ich mich, auch wenn ich das kaum beurteilen kann, denn Dunkelheit hüllt mich ein. »Mein Computer ist Schrott. Könnt ihr mir –«

Doch ich werde abermals unterbrochen. Meine geschulten Ohren nehmen leise Geräusche wahr. Das Känguru? Blätter rascheln. Äste knacken. Irgendetwas schleicht sich ganz in der Nähe durch den Wald. Der Rauchgeruch wird beißender.

Habe ich Glück im Unglück? Ist es das Feenvolk?

Ich erschaffe ein paar Dutzend Goldkügelchen und lasse sie um meine rechte Hand schwirren, während meine linke noch immer die Machete hält. Dann bewege ich mich so lautlos wie möglich in Richtung der verräterischen Geräusche. Feen sind schreckhaft. Ich darf sie nicht verscheuchen.

Je näher ich dem Rascheln und Knacken komme, desto penetranter wird der Rauchgestank, kitzelt unangenehm in meiner Nase. Hoffentlich ist das nicht der Beginn eines ausgewachsenen Waldbrandes. Wieso hat die Zentrale keinen Aquakineten geschickt? Oder Lewis? Obwohl ich es heute wesentlich besser getroffen habe als er. Lewis darf auf dem Bondi Beach magische Quallen einsammeln, die bei Berührung einen pinken Farbstoff abgeben, der sich dauerhaft in der Epidermis des Opfers ausbreitet.

Doch meine Schadenfreude ist getrübt. Wo sind diese verdammten Tinkerbells?

Ich erstarre, als plötzlich zwei rotglühende Punkte in der bläulichen Schwärze auftauchen. Ein Augenpaar. Ein äußerst feuriges Augenpaar.

Erleichtert atme ich aus. Ich will meine Geschosse losschicken, zögere aber im letzten Moment. Die Augen erscheinen mir zu groß für eine Fee. Außerdem ist es nur ein einzelnes Paar. Feen trennen sich niemals von ihrem Schwarm.

Das ist keine Fee.

Ich packe die Machete fester und nähere mich den Glutpunkten. Hunger und Müdigkeit lassen mich unachtsam werden und mit meiner Stiefelsohle zertrete ich versehentlich einen Ast. Das Geräusch hallt unnatürlich laut durch die einsame Wildnis. Ich halte den Atem an und verharre. Die roten Augen verschwinden. Mist. Mein Blick tastet sich durch die Finsternis, so lange, bis sich Umrisse materialisieren. Irgendetwas kauert auf dem Boden, nur wenige Schritte von mir entfernt.

Ich wandle meine Machete in einen Dolch und kneife angestrengt die Augen zusammen, versuche, den Klumpen vor mir zu identifizieren. Ist das … ein Mensch?

Ich halte den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von zwei Metern ein. Im Umgang mit unbekannten Magischen gilt es bestimmte Regeln zu befolgen. Abstand halten, Ruhe bewahren, Magie aktiv halten. Sollte von dem Geschöpf eine Gefahr ausgehen oder es gegen das Gesetz und insbesondere das partielle Magieverbot verstoßen – keine Magieanwendung an öffentlichen Orten oder in Innenräumen, wenn Menschen Schaden nehmen könnten, zu kommerziellen Zwecken oder zur Wertschaffung, um nur einige zu nennen –, muss es eingefangen werden. Die MCA nennt es »Wilde Magie«. Um diese zu bekämpfen, gibt es uns Agenten. Wir jagen Wilde und übergeben sie in den Gewahrsam unserer Zentrale oder Zweigstelle. Wir sind sozusagen die Polizisten unter den Magischen. Kein Job, den ich mir freiwillig aussuchte, doch meine einzigartige Gabe gibt mir zwangsläufig diesen Karriereweg vor. Um es kurz zu sagen: Ich bin einfach zu selten und zu kostbar, um in einem gewöhnlichen Job zu versauern.

Ich beschwere mich nicht. Für einen langweiligen Job wäre ich ungeeignet. Leider ist das letzte Jahr alles andere als abenteuerlich verlaufen. Als Ticketabreißerin im Kino hätte ich wahrscheinlich mehr erlebt.

»Hallo?«, frage ich die kauernde Gestalt vorsichtig. »Bist du verletzt?«

Ich erhalte keine Antwort. Verbotenerweise nähere ich mich auf einen Meter, um das Geschöpf einordnen zu können. Männlich, eindeutig. Humanoid. Er hockt da wie ein Häufchen Elend, der Rücken rund, Kopf zwischen den Beinen, Hände über dem Hinterkopf verschränkt. Es erinnert mich an die Notfallposition bei einem Flugzeugabsturz. Ist er aus einem Flugzeug gestürzt? Einem Gefangenentransport auf dem Weg zur Zentrale?

»Du bist keine Fee«, stelle ich wenig geistreich fest.

Ein gequältes Wimmern kommt aus dem menschlichen Bündel. Ich ziehe meine Taschenlampe aus dem Gürtel, denn ich habe das untrügliche Gefühl, dass hier keine schreckhaften Feuerfeen in den Blättern sitzen. Dann leuchte ich ihn damit an. Der Lichtkegel offenbart ausgesprochen muskulöse Oberarme. Seine Haut hat die Farbe von dunkler Bronze, ein dünner Schweißfilm schimmert darauf. Er trägt ein kurzärmeliges Hemd, das vor Dreck starrt, und eine zerschlissene Jeans, die nicht besser aussieht als meine. Seine Finger krallen sich krampfhaft in die dichten schwarzen Locken, die seinen Kopf bedecken.

Ich starre darauf, als wäre ich eine Telepathin und könne seine Gedanken auslesen. Die Stille zerrt an meinen Nerven. »Wer bist du?«, durchbreche ich sie.

Daraufhin hebt er den Kopf. Kurz bleibt mir die Luft weg. Seine Iriden brennen lichterloh. Wie hypnotisiert starre ich hinein, bis ein gepresster Laut aus seiner Kehle dringt und mich von den Flammen ablenkt. Mit Entsetzen sehe ich zu, wie er seine Fingernägel in die Brust krallt und beginnt, sich die Haut aufzukratzen. Nicht, als hätte er dort einen lästigen Mückenstich, sondern als würde Satan persönlich in ihm stecken und er mit aller Macht versuchen, die Ausgeburt des Bösen aus sich herauszureißen.

Erst als sein ehemals weißes Hemd rot vor Blut und von Rissen durchzogen ist, schaffe ich es, aus meiner Erstarrung zu erwachen.

»Bist du ein Elementarmagier?«, frage ich ihn. Dies ist die einzig logische Erklärung für das Feuer in seinen Augen und den Qualm, den er ausatmet. »Du bist ein Feuermagier«, gebe ich mir selbst die Antwort, während der Magische fortfährt, sich die Seele aus dem Leib zu kratzen.

Mir fällt auf, dass er um den Hals einen massiven Ring aus Eisen trägt. Seine Handgelenke weisen blutige Kerben auf. Auch dort müssen sich noch vor kurzer Zeit Eisenringe befunden haben. Dies ist keine Mode. Das sind Fesseln. Reines Eisen hemmt Magie und wird von der MCA verwendet, um Wilde davon abzuhalten, von ihrer magischen Gabe zu schöpfen. Ich bin die einzige Ausnahme. Metall kann mich nicht kontrollieren. Ich kontrolliere Metall.

Wie gut, dass ich auf der Seite des Rates stehe.

Und jetzt habe ich auch Gewissheit. Vor mir sitzt ein wilder, entflohener Pyrokinet. Wie ist er entkommen? Und vor allem – wo saß er ein? Nicht in Sydney, das wäre mir bekannt.

»Wo kommst du her?«, frage ich, während er sich nun an seinem Hals die Haut in Fetzen abzieht. Aber das Eisen behindert ihn. »Wie bist du hier gelandet?«

Als Antwort erhalte ich ein unverständliches Knurren.

»Du hast Schmerzen.« Ich hebe meine Hand, um an den Sender zu tippen. »Ich werde dich abholen lassen. Bleib ganz ruhig. Hilfe ist unterwegs.«

Doch er scheint ganz und gar nicht beruhigt. Seine Iriden flammen auf, seine Finger klammern sich verzweifelt um den Eisenring. Wahnsinn schimmert in seinen Augen. »Bitte«, fleht er mit heiserer Stimme. »Ich … kann … nicht atmen.«

Ich meine, einen britischen Akzent herauszuhören. Eingehender betrachte ich ihn. Er ist in meinem Alter, so schätze ich. Und er sieht gut aus. Wirklich gut. Laleh würde diesen feurigen Adonis ohne zu zögern abschleppen, trotz der gequälten Gesichtszüge und dem seltsamen Hitzeflimmern, das ihn umgibt. Ich erkenne scharf definierte Kieferknochen, mit denen er die Rinde von den Eukalyptusbäumen schälen könnte. Seine Augenbrauen sind vielleicht ein wenig übertrieben buschig, geben aber seinen eleganten Zügen eine wohldosierte Prise raue Männlichkeit.

Sicherlich kein Typ, den man von der Bettkante stoßen würde. Wären da nicht die bedrohlich flackernden Flammen in den Augen und das warnende Knurren in seiner Brust.

Die Regeln der MCA rattern durch meinen Kopf. Ich könnte sie im Schlaf aufsagen. Abstand halten. Umgebung sichern. Verstärkung rufen.

»Ich …«, keucht er wieder. »… Luft.«

Ja, dass es ihm schlecht geht, ist offensichtlich. Ich kaue unschlüssig auf meiner Unterlippe. »Ich kann dich nicht von dem Eisen befreien«, erkläre ich ihm und deute auf das dürre Gestrüpp, das uns umgibt. »Wir befinden uns in einem ausgetrockneten Wald. Wenn du auch nur eine Flamme freilässt, bin ich geliefert. Dann komme ich in den Innendienst. Weißt du, was das bedeutet?«

Bei dem Gedanken wird mir schlecht. Lieber nehme ich hundert langweilige Aufträge an, als eine Kollegin von »Stoßen Sie auf Probleme« zu werden.

»Bitte«, bettelt er wieder, bohrt sich die Fingernägel so tief in den Hals, dass es sogar mir schmerzt. »Das Eisen … Ich kann nicht atmen.«

Zwiegespalten sehe ich auf ihn hinab. Die Verzweiflung ist ihm anzusehen. Sein Atem geht rasselnd. Ich könnte das Eisenband nur kurz lösen und ihm wieder anlegen, sollte er das Feuer freilassen. Aber was, wenn ich nicht schnell genug bin?

Ich muss Unterstützung anfordern. Die Regeln befolgen. Doch irgendetwas hält mich davon ab, den Sender zu betätigen. Ich weiß nicht, was es ist. Ein innerer Impuls, den ich nicht erklären kann. Ich fühle mich auf seltsame Weise mit dem Pyrokineten und seinem kläglichen Schicksal verbunden. Ein irrsinniger Gedanke. Vom ersten Tag an kontrollierte ich meine Gabe perfekt. Der Prototyp eines Magischen, wie ihn der Rat und die Menschen sich wünschen. Fähig, aber folgsam.

Der Feuermagier gurgelt, Blut rinnt seinen Mundwinkel hinab, tropft auf den ausgetrockneten Erdboden. Das Eisen scheint ihn förmlich zu vergiften. Er ist am Ende seiner Kräfte. Wie lange sitzt er schon in diesem Wald fest? Wahrscheinlich ist er viel zu geschwächt, um seine Magie zu wirken.

»Ich werde dir den Ring abnehmen, wenn du mir versprichst, dein Feuer bei dir zu behalten.« Eine sinnlose Bitte. Ein Wilder besitzt keine Macht über seine Magie. Das ist ja das Problem.

Seine Antwort ist ein jämmerliches Krächzen. Für mich klingt es wie ein Ja und ich beginne, mich in das magiehemmende Metall einzufühlen. Reines Eisen zu kontrollieren ist mühsam, denn es weiß sich der Magie entgegenzusetzen. Ich schließe meine Augen und konzentriere mich auf die wundersame und mysteriöse Substanz, die mich von allen anderen Geschöpfen dieses Planeten unterscheidet. Das, was mich seit meinem zehnten Lebensjahr ausmacht. Was durch meinen Körper fließt wie Blut.

Mein Puls beschleunigt sich, pocht in den Schläfen. Ich wünschte, ich hätte in den letzten Monaten mehr Zeit in das Training mit den verschiedenen Metallen investiert. Doch in den meisten Situationen reicht Gold vollkommen aus. Erst wenige Male musste ich mich in reines Eisen einfühlen. Ich erinnere mich noch gut an das erste Mal. Es war die Nacht meiner Academy-Abschlussfeier. Ich kam auf die schwachsinnige Idee, jedem meiner Freunde eine Mutprobe aufzubinden. Mich eingeschlossen. Also befreite ich einen Empathen aus der Zweigstelle der MCA in Brisbane. Der Wilde klinkte sich in mein Gehirn ein und sorgte dafür, dass ich panische Angst verspürte und Hals über Kopf floh. Und flüchten tat auch der Empath, nach dem noch heute gefahndet wird. Wer ihn freiließ, kam glücklicherweise nie heraus.

Meine Magie tastet nach den Eisenatomen, zwingt ihnen meinen Willen auf. Morgen früh wird mich eine schreiende Migräne wecken. Magie-Migräne nenne ich es. Unangenehm, aber eine unvermeidliche Begleiterscheinung, wenn man aufs Äußerste geht.

Dann bin ich drin. Es fühlt sich … seltsam an. Fremd und feindselig. Aber ich lasse mich nicht verdrängen. Nicht von ein paar lächerlichen Metallatomen. Ich befehlige dem Ring, sein Schloss zu öffnen. Mit einem Klicken springt er dem Pyrokineten vom Hals. Der schnappt nach Luft wie ein Ertrinkender, lässt sich keuchend auf die Hände fallen.

Ich bleibe in Angriffsstellung, während er abwechselnd Blut aushustet und Unverständliches krächzt. »Alles in Ordnung?«, frage ich, auch wenn ich mir die Antwort selbst geben kann. Nichts ist hier in Ordnung.

Ich beschließe, dass es allerhöchste Zeit ist, die Zentrale zu verständigen.

»Ich werde jetzt Verstärkung ordern, damit sie uns aus diesem Wald herausholen«, teile ich ihm mit und tippe an den Sender. »Zentrale? Hier Agent …«

Ich suche in den Winkeln meines Gehirns nach meiner aktuellen Nummer, werde aber abgelenkt, als der Magische mich anknurrt wie ein tollwütiger Hund. »Nein«, presst er angestrengt hervor. Seine Augen sind zwei brennende Lavaseen. »Nicht … der Rat.«

Also definitiv ein Wilder auf der Flucht.

»Du brauchst dich nicht ängstigen«, versichere ich ihm. »Die MCA wird dir helfen. Der Zustand, in dem du dich befindest, ist nicht von Dauer. Wir werden dich versorgen und dir beibringen, wie du mit deiner Magie kontrolliert umgehst. Wenn du bereit bist, wirst du wieder in die Freiheit entlassen. Glaub mir, es wird dir dort gut gehen. Ich habe täglich mit Wilden zu tun.«

Doch der Pyrokinet hört mir gar nicht zu, schüttelt so heftig den Kopf, dass die nassgeschwitzten Locken ihm ins Gesicht peitschen. Das Knurren wandelt sich in ein bedrohliches Grollen, kommt tief aus seiner Brust. Irre ich mich, oder vibriert der Boden unter meinen Füßen? Und was passiert auf einmal mit seinen Fingernägeln, die er in die Erde krallt? Trug er eben auch schon schwarzen Nagellack?

»Agent 174. Stoßen Sie auf Probleme?«

Ich taumle zurück, als der Magische sich plötzlich aufbäumt, brüllt wie ein Löwe und sich das blutige Hemd vom Körper reißt. Wow. Wo immer dieser Feuermagier eingesessen hat, die müssen dort ein intensives Trainingsprogramm für ihre Insassen durchziehen. Ich nehme mir die Zeit und bewundere seine bronzefarbene Haut, die im Licht meiner Taschenlampe golden schimmert, die wohldefinierten Muskeln, die darunter tanzen. Mir entgeht allerdings nicht, dass die muskulären Kontraktionen seltsam unmenschlich wirken.

Was …?

»Agent 174. Stoßen Sie auf Probleme?«

Vor meinen Augen verwandeln sich die Fingernägel des Wilden in schwarze Klauen. Seine goldbraune Haut bekommt einen auffallend rötlichen Stich und wirkt nun schuppig. Aber nicht wie in der Werbung für Feuchtigkeitscreme. Ihm wachsen echte rote Schuppen. Wie bei einem …

Heilige Scheiße.

Brüllend reißt er den Mund auf und bleckt die Zähne. Sie sind lang und spitz, wachsen kontinuierlich an. In einem unmenschlichen Radius lässt er den Kopf kreisen und seine Wirbelsäule knackt bedenklich. Gleichzeitig rammt er sich seine Klauen in die Brust, zerrt an der Haut, als würde er ein Geschenk von seinem Papier befreien wollen. Aus den tiefen Schnitten, die er sich zufügt, dringt kein Blut – sondern grelles Licht.

Ein Schrei entweicht mir und die Taschenlampe entgleitet meinem Griff. Von den flammenden Linien geblendet, halte ich mir eine Hand vor Augen, blinzle zwischen den Fingern hindurch. Der Brustkorb des Wilden bebt und pulsiert, als würde sich etwas in ihm befinden, das dringend hinaus will.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wissen möchte, was es ist.

Unfähig, mich zu bewegen, starre ich auf das glühende, vibrierende Spektakel vor mir, sehe zu, wie seine Haut weiter aufplatzt, die brennenden Risse breiter werden und das Licht gleißender. Eine unbändige Hitze strömt mir entgegen, wabert in der Luft. Es ist, als würde der Pyrokinet nicht aus Fleisch und Organen bestehen, sondern … aus purem Feuer.

Es dauert lange, bis mein Verstand wieder einsetzt. Und noch länger, bis ich es über die Lippen bringe.

»Du bist ein Drachenwandler«, hauche ich in sein ohrenbetäubendes Gebrüll.

Kapitel 2

JOHN, DER DRACHE

Ich sollte panisch in den Sender schreien. Die Beine in die Hand nehmen und von hier verschwinden. Den Wilden an die Leine legen, solange es mir noch möglich ist. Irgendetwas. Doch ich stehe nur wie versteinert da und sehe zu, wie er sich vor meinen Augen verwandelt. In einen Drachen. Merkwürdigerweise verspüre ich nicht Angst, sondern Faszination.

Drakanthropie. Humanoide Magie. Gestaltwandel. Hat ihren Ursprung in Nordafrika. Gilt seit dem achten interspezifischen Krieg als ausgestorben.

Während der Eintrag des universalen Lexikons der magischen Gaben vor meinem inneren Auge eingeblendet wird, wirft der Drachenwandler ekstatisch seinen Kopf zurück und brüllt in die Nacht hinaus. Wie gebannt verfolge ich die Wandlung, bewundere die rotglänzenden Schuppen, die sich über seinem glühenden Körper ausbreiten. Er krümmt den Rücken und das Geräusch von berstenden Knochen lässt mich erschaudern. Ein markerschütternder Schrei zerreißt die Nacht. Dann brechen zwei Schwingen aus seinen Schulterblättern hervor, entfalten sich zögerlich. Sie sind feuerrot wie der Rest von ihm, leicht transparent und schillern in der Dunkelheit wie die Flügel von Feuerfeen.

Als er wieder aufblickt, haben seine Augen sich in riesige Feuerbälle verwandelt. Die Flammen darin lassen die Luft flirren. Über sein Gesicht, das eine unmenschliche Form angenommen hat, zieht sich eine dickporige schwarze Lederhaut. In seinem Maul blitzen Zähne auf, die mich aufspießen könnten. Statt Nasenlöchern besitzt er nun zwei bebende Nüstern, denen dunkle Rauchkringel entweichen.

Okay, Lyssa. Dies ist der richtige Moment, in Panik auszubrechen.

Ich zwinge mich zum Handeln. Der Eisenring. Wo ist er? Meine Magie tastet den Boden nach der Fessel ab und findet sie unter dem Drachenwandler, dessen Körper wächst und wächst. Scheiße. Ich fühle mich in die Atome ein, befehlige dem Ring, sich um eine der Klauen zu winden. Das Metall jedoch schafft es nicht unter dem Bauch hervor. Meine Magie und ich geben unser Bestes, doch anscheinend kitzle ich den Wilden an einer empfindlichen Stelle, denn mit einem Mal wird er rasend. Mit seinem gezackten Schweif fegt er wütend durch die Luft und entwurzelt mühelos einen uralten, hochgewachsenen Eukalyptusbaum, der krachend in seine holzigen Nachbarn fällt. Die Drachennüstern blähen sich auf, aschiger Rauch hüllt mich ein. Im nächsten Moment trifft mich eine Schwinge mit voller Wucht in die Seite, presst mir die Luft aus der Lunge und schleudert mich zielsicher gegen einen Baumstamm.

Stöhnend rutsche ich daran hinab. Sterne tanzen vor meinen Augen.

»Agent 174. Stoßen Sie auf Probleme?«

Ich ringe mühsam nach Luft und rapple mich auf, schmeiße mich aber augenblicklich wieder flach auf den Boden, als ein Drachenschweif mit feuerroten Zacken über mich hinweg peitscht.

»Verdammte Scheiße!«, presse ich erstickt hervor, schütze meinen Kopf mit den Händen. Bin ich in Westeros gelandet? Ein Drache in den Blue Mountains?

Wie zur Hölle konnte die MCA ein paar harmlose Feuerfeen mit einem ausgewachsenen Drachen verwechseln?

»Agent 174. Stoßen Sie auf Probleme?« Die monotone Stimme schallt blechern in meinem Ohr, jede zweite Silbe wird von einem Rauschen und Knistern verschluckt. Der Sender ist beschädigt, sendet unangenehme Stromstöße aus.

»Ich brauche Verstärkung!«

Umständlich komme ich wieder auf die Beine. Ein schmerzhaftes Stechen ist in meiner Brust, das Atmen fällt mir schwer. Dichter Qualm hat sich über den Wald gelegt. Ich sehe kaum die Hand vor Augen. Halb blind taste ich mich in Richtung des verräterischen Schnaubens, als ich ganz in der Nähe Holz brechen höre. Gerade noch rechtzeitig springe ich beiseite, ehe ein Baumstamm neben mir in die ausgetrocknete Erde knallt. Staub wirbelt auf, mischt sich zu dem Rauch.

Dieser Drache wird den Wald in Kleinholz verarbeiten und mich als Asche zurücklassen.

Hustend stolpere ich durch die Finsternis, folge dem besorgniserregenden Fauchen. Würde ich bloß öfter auf Kontrollfreak Lewis hören. Andauernd liegt er mir damit in den Ohren, mindestens eine Ersatztaschenlampe mitzunehmen. Ein Agent muss auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Als hätte der Drache die imaginären Worte meines Freundes vernommen, erhellt für einen kurzen Moment eine Flamme die Umgebung.

Da bist du ja.

Der Drache ist nicht so riesig wie Drogon, aber auch kein Schmetterling. Sein Körper misst in etwa die Größe meines knallroten VW Beetle. Auf seinen Klauen torkelt er orientierungslos durch die rauchige Düsternis und flattert unkoordiniert mit den Schwingen. Dabei reißt er mit seinem meterlangen, wuchtigen Schweif Bäume mitsamt ihren Wurzeln aus.

Okay, Lyssa. Jetzt oder nie.

»Verstärkung!«, schreie ich in den Sender. »Ein Drachenwandler!«

Anschließend reiße ich mir das Ding aus dem Ohr und fahre mein Goldarmband aus. Was dieser Möchtegern-Drache kann, kann ich schon lange. Ich schwinge mein Gold wie eine Peitsche durch die Luft, durchschneide den schwarzen Qualm und steige über einen Baumstamm, der mir den Weg versperrt. Gleichzeitig aktiviere ich die Goldkugeln, die ich für die Feen vorgesehen habe, und spitze sie an. Mal sehen, wie dir das gefällt, du irrer, flammender Schönling.

Wie ein besonders fieser Hagelschlag gehen meine spitzen Geschosse auf ihn nieder. Sein ohrenbetäubendes Gebrüll lässt den Wald erzittern. Aufgebracht schlägt er um sich. Die roten Zacken seines Schweifs rasen abermals auf mich zu. Ich ducke mich hastig darunter hinweg und überlege fieberhaft meine nächsten Schritte. Im Planen bin ich nie gut gewesen. Lewis ist der Taktiker. Ich bin eher vom Typ »Kopflos in den Kampf«. Bislang hat das wunderbar funktioniert, doch ich schätze, bei einem Kampf gegen einen Drachen muss ich mein Köpfchen einschalten.

Dies ist der Moment, dich zu beweisen, Lyssa. Derjenige, auf den du ein Jahr gewartet hast. Mach was draus.

Geduckt warte ich den nächsten Schweifhieb ab – dann hechte ich über den letzten Baumstamm, der uns voneinander trennt. Noch im Sprung verlängere ich meine Peitsche, füge Goldatom um Goldatom hinzu. Das Metall sieht für mich. Ich spüre, was es spürt. Es tastet sich vorwärts und windet sich zielsicher um die Vorderklauen, zieht sich eng zusammen. Ha! Dem Drachen scheint das gar nicht zu gefallen. Zornig speit er eine Flamme in den Nachthimmel und setzt die Baumkronen in Brand. Mühelos frisst das Feuer sich durch die trockenen Blätter. Brennende Äste regnen auf uns hinab. Wenigstens findet uns nun selbst der talentfreie Pilot.

Der Drache schnappt fauchend mit den Zähnen nach meiner goldenen Leine. Seine Schwingen erzeugen einen ordentlichen Wind, abheben jedoch tut er nicht. Mir wird bewusst, dass er in seiner Gefangenschaft das Fliegen nie erlernt hat. Ein unpassendes Mitgefühl regt sich in mir. Dieser Magische ist ein Wilder. Es ist gut, dass er nicht fliegen kann, denn er würde Schaden anrichten und Leben gefährden.

Ich weiche dem flammenden Geäst aus, das vom Himmel fällt, halte mein Gold fest in den Händen. Irgendwann kann der Drache sich nicht mehr auf den zusammengeschnürten Klauen halten. Er kippt vornüber, mit dem Maul zuerst in die trockene Erde. Staub wirbelt auf. Ich vernehme ein gedämpftes Fauchen. Autsch. Das muss wehgetan haben.

Ein paar Male noch schlägt er halbherzig mit den Schwingen und vertreibt seinen eigenen Qualm. Ich durchtrenne meine Goldschnur, belasse das Ende um seine Vorderklauen und forme aus dem Rest ein goldenes Lasso, schwinge es über meinem Kopf. Ein bisschen fühle ich mich wie ein Cowgirl. Ein Dragongirl. Ich muss grinsen. Der Drache dreht den Kopf zu mir und zeigt seine tödlichen Zähne. Feuer glimmt in seinem Rachen. Mich wirst du nicht flambieren, du überdimensionaler Flammenwerfer.

Ich hole aus, werfe die Schlinge zielsicher um sein Maul und ziehe fest zu. Der Drache knurrt beleidigt und schüttelt den Kopf, versucht, sich von mir und meinem Gold zu befreien. Keine Chance, Dragonboy. Meine Magie tastet nach dem Eisenring, der ganz in der Nähe im Staub liegt. Ich vermehre seine Atome und befehlige der Fessel, sich zu erheben. Taumelnd fliegt sie auf den Drachen zu und schließt sich um seinen Hals. Nur gedämpft dringt sein aufgebrachtes Brüllen aus dem zugeschnürten Maul.

Ein Beben erfasst den mächtigen Körper. Dann beginnt die Verwandlung.

Der Drache schrumpft in sich zusammen, die roten Schuppen weichen goldbrauner Haut und der Kopf wandelt sich in ein hübsches menschliches Gesicht. Unter leisem Wimmern ziehen sich die schillernden Schwingen in seinen Rücken zurück und sein gezackter Schweif löst sich mit einigen zuckenden Bewegungen auf. Mein Gold fällt von seinen schmalen Knöcheln ab. Letzte schwarze Rauchkringel verlieren sich in der Nacht.

Irgendwann bleibt es still. Bis auf den Herzschlag, der in meinen Ohren wummert, und dem Knistern der Flammen, die sich an dem trockenen Geäst austoben.

Zur Sicherheit forme ich aus einem Teil des Lassos einen Dolch und nähere mich dem Wandler, der nun krumm wie ein Cocktail-Shrimp am Boden liegt und unkontrolliert zittert. Da seine Kleidung in Fetzen im Wald verteilt ist, ist er so nackt, wie die Natur ihn schuf. In jeder anderen Situation würde ich das begrüßen, denn sein Körper gleicht einer von Michelangelo handgehauenen Statue, doch er tut mir leid und ich lege mein Jeanshemd über seinen entblößten Unterleib. Dann umrunde ich ihn, knie vor ihm nieder. Die schwarzen Locken liegen wirr auf seiner Stirn, Blut quillt aus den Kratzwunden an seiner Brust. Seine gesunde Hautfarbe hat einen fahlen Ton angenommen und hinter den geschlossenen Lidern zucken seine Pupillen unruhig hin und her.

Behutsam berühre ich ihn an der Schulter. »Gleich kommt Hilfe«, will ich ihn beruhigen. Er verströmt solch eine Hitze, dass ich ebenfalls in Schweiß ausbreche. Ich erschaffe aus dem Dolch einen Goldfächer und wedle ihm Luft zu. »Es kann nicht mehr lange dauern.«

Zweifelnd sehe ich empor. Zwischen den brennenden Baumkronen blinken ein paar Sterne am Nachthimmel. Die weithin sichtbare Rauchwolke sollte niemandem entgehen.

Ich widme mich wieder dem Drachenwandler, der qualvoll stöhnt und seine Finger unter den Eisenring schiebt, um sich die Haut aufzukratzen. Kurzerhand packe ich sein Handgelenk, um ihn davon abzuhalten. Er ist so heiß, dass ich kurz zurückzucke. Dennoch halte ich ihn eisern fest. Zum Dank brummt er mürrisch und windet sich in meinem Griff.

»Hör auf damit!«, befehle ich ihm. Ich bin Besitzerin eines vierjährigen Schäferhundes, der keine Hundeschule von innen gesehen hat. Autoritär kann ich. »Du verletzt dich nur. Und das Eisen nehme ich dir nicht noch einmal ab. Vergiss es.«

Er ist zu geschwächt, um sich gegen mich zu wehren, und so gibt er schließlich auf. Hm. Autoritär scheint bei ihm zu funktionieren.

»Sieh mich an!«, verlange ich.

Seine Lider flattern. Er hat verboten lange Wimpern, tiefschwarz wie seine Haare. Blinzelnd schlägt er die Augen auf und ich blicke in zwei sanft glimmende Lagerfeuer. Wie schön. Er ist handzahm geworden. Damit kann ich arbeiten.

»Wie heißt du?«, will ich wissen.

Der Drache aber bleibt stumm, kräuselt die Stirn und sieht mich an, als wäre ich die durchgedrehte Wilde hier.

Dann beginne ich eben mit der Begrüßungsrunde.

»Ich bin Lyssa«, stelle ich mich vor. Sein Puls rast unter meinen Fingerkuppen, während seine glutroten Augen sich über mein Gesicht tasten. »Neunzehn Jahre alt. Ferrokinetin. Ich kontrolliere Metall.« Ich halte meinen rechten Arm in die Höhe, zeige ihm mein schlangenförmiges Goldarmband. »Ich bin Agentin der MCA Sydney. Eigentlich bin ich auf der Suche nach Feuerfeen, aber ich schätze … die Feuerfee bist du. Was ist dein Geheimnis? Spinat?« Der Drache sieht mich wortlos an und verzieht keine Miene. Den Witz versteht er offenbar nicht. Ich gebe zu, gut war er nicht. »Ein Drachenwandler, hm?«, fahre ich fort. »Ziemlich ungewöhnlich. Wieso habe ich noch nie von dir gehört?«

Er starrt mich weiter unverwandt an. Gesprächig ist der Drache nicht. Dafür hat das unkontrollierte Zittern nachgelassen. Auch ist seine Haut nicht mehr so heiß wie eine vollaufgedrehte Herdplatte.

Einfach weiterreden. Es scheint ihn zu besänftigen.

»Hör zu, es tut mir wirklich leid mit dem Eisenring.« Ich deute auf seinen Hals. »Aber ich hänge an meinem Leben. Ein Waldbrand kann verheerend sein. Verstehst du?« Seinem verwirrten Blick nach zu urteilen nicht. »Außerdem hättest du mich fast mit deinem Schweif erschlagen. Ist deine Verwandlung immer so … schmerzvoll?«

Er öffnet seine Lippen, nur ganz leicht. Ich meine, ein gehauchtes Wort zu vernehmen. »Was?«, frage ich und beuge mich vor.

»John«, wispert er. Sein Atem riecht nach Asche.

Ich sehe verwirrt auf ihn hinab. »Wie bitte?«

»John«, wiederholt er. Seine Stimme ist nur ein Hauch, aber unsagbar tief. Als wäre der Drache in ihm noch nicht ganz verschwunden. »Ich heiße John.«

»John?« Ungläubig suche ich nach einem belustigten Funken in seinen glimmenden Augen oder dem Zucken eines Mundwinkels. Doch er bleibt todernst. »Du heißt wirklich John?« Ich kann nicht anders, als zu lachen. »Ist das dein Ernst?«

Johns Augen verengen sich drohend und mein Lachen verstummt. Vielleicht sollte ich einen wilden Drachenwandler lieber nicht verärgern. »Es tut mir leid«, lenke ich ein. »Es ist nur … John ist ein ziemlich langweiliger Name für einen Drachen, oder?«

John, der Drache?

Seine markanten Brauen ziehen sich über dem Nasenrücken zusammen. Hinter seinen flammenden Augen kann ich es förmlich arbeiten sehen. Vielleicht überlegt er, ob ich ihn soeben beleidigt habe. Er mustert mich so eingehend, dass ich nervös werde. Warum ist mir nicht ganz klar. Es ist ja nicht so, als wäre dies hier mein erster verrückter Wilder, mit dem ich es zu tun habe. Meine Gedanken schweifen zu dem Chronokineten, der vor drei Monaten die Innenstadt Sydneys unsicher gemacht hat. Jedes Mal, wenn ich mich ihm auf zehn Meter näherte, pustete er mich an und ich bewegte mich nur noch in Zeitlupe. Wie durch zähen Schleim. Gott, nach einer Stunde hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht.

»Ich habe ihn mir nicht selbst gegeben«, flüstert es unter mir.

Was? Ich schüttle meine Erinnerungen ab, sehe fragend auf John hinab.

»Meinen Namen.« Seine Stimme ist nun weniger kraftlos als sanft, leicht vibrierend und noch immer ausgesprochen tief. »Ich habe ihn mir nicht selbst gegeben.«

Es klingt, als müsste er seine Ehre verteidigen. Und ich frage mich, welcher Idiot an der MCA ihm diesen absolut unpassenden Namen verpasst hat. Mein Blick wandert über sein Gesicht, die flammenden Augen, die markante Kieferpartie, die vereinzelten Sommersprossen auf seiner Nase und die dichten schwarzen Löckchen, die ihm in die Stirn baumeln. Eine Mischung aus Surfer Boy und gefährlichem Psychopathen. Aber sicherlich kein John Doe. »Jemand mit solch einer Gabe sollte …«, ich überlege kurz, tippe mir nachdenklich ans Kinn, »keine Ahnung … Phoenix heißen oder Blaze oder … Vulcan«, schlage ich vor.

»Vulcan?« Er hebt eine Augenbraue. Täusche ich mich, oder ist das die Andeutung eines Schmunzelns? Und … o Himmel, die flammende Bestie hat Grübchen. Niedliche Grübchen!

Leider kann ich ihn nun nicht mehr als tödliche Gefahr wahrnehmen.

»Vulcan klingt immer noch besser als John. Weißt du was, ich werde dich Blaze nennen«, beschließe ich. Er runzelt die Stirn, scheint wenig zufrieden mit meiner Namenswahl, doch das ignoriere ich. Denn mir gefällt Blaze sehr gut. »Wie lautet dein Nachname?«

»Ich habe keinen Nachnamen«, antwortet er nebulös und dreht sich stöhnend auf den Rücken. Mein Hemd verrutscht über seiner Hüfte und ich muss mich zwingen, nicht zu genau hinzusehen. Dies hier ist eine Notfallsituation.

Unpassende Gedanken, Lyssa. Weg damit.

»Du hast keinen Nachnamen? Der Rat gibt jedem Wilden, der anonym eingeliefert wird, einen vollständigen Namen.« Will Blaze mich verarschen? »Aber hey, du musst ihn mir nicht verraten. Wieso sollte ich auch deinen Namen erfahren, nachdem ich dich nackt gesehen habe.« Ich nicke in Richtung seiner freiliegenden Unterpartie. Blaze jedoch scheint sich daran nicht zu stören, stöhnt theatralisch und hält sich die flache Hand vor Augen. Was für eine Drama Queen.

»Und wo kommst du her, Blaze?«, lasse ich nicht locker. »Wo sitzt du ein? In Zentralaustralien?« Zwar hätte ich davon gehört – jeder hätte davon gehört –, aber im Outback sind sie sehr verschwiegen, was ihre eingebuchteten Wilden betrifft. Möglich wäre es, dass sie unerkannt einen Drachen unter dem Sand des Outback verbergen. »Du hast einen britischen Akzent. Stammst du ursprünglich aus England? Wo wohnt deine Familie?«

»Du stellst zu viele Fragen«, murmelt er, linst durch seine Finger.

»Ich stelle zu viele Fragen? Hör zu, Fragen stellen ist mein Job.« Ich zeige erst auf mich und dann auf ihn. »Und du bist ein einziges fettes Fragezeichen. Du weißt schon, dass deine Gabe einzigartig ist? So jemanden wie dich trifft man nicht alle Tage.«

»Ich meine …« Er atmet zitternd aus, ehe er weiterspricht. »Du stellst zu viele Fragen, als gut für dich ist.«

Ich runzle die Stirn. »Was soll das denn heißen? Ist das eine Drohung?«

»Eine gut gemeinte Warnung.« Er schiebt nun die Finger seiner anderen Hand unter den Eisenring. Ich will ihn davon abhalten, aber in diesem Moment fällt mir ein Tattoo an seinem Handgelenk auf.

»Was ist das?« Ich kneife die Augen zusammen und lehne mich über ihn, um die schwarzen Linien besser erkennen zu können. »Das Tattoo auf deinem linken Handgelenk.«

Blitzschnell dreht Blaze seinen Arm, sodass ich das Tattoo nicht mehr sehen kann.

»Hey«, beschwere ich mich, werfe mich auf ihn und bekomme sein Handgelenk zu fassen, will es nach hinten biegen. »Es kommt mir bekannt vor. Zeig es mir!«

»Das bezweifle ich«, knurrt er und entreißt mir seinen Arm, wobei meine Fingernägel seine Haut aufkratzen. Ich sehe zu ihm hinab und werde mir der Nähe bewusst, mit der ich über ihm hänge. Sein heißer, aschiger Atem streift mein Gesicht. Ich kann die Flämmchen zählen, die in seinen Iriden wüten.

Ich räuspere mich, bemüht, Professionalität zu wahren. »Hör zu. Wenn du erst mal in der Zentrale bist, werden sie dich am ganzen Körper untersuchen. Innerlich wie äußerlich. Und diese Ganzkörperuntersuchung wird keine solch nette und hübsche Agentin durchführen, wie ich eine bin.«

Ich versuche es mit einem hinreißenden Lächeln, zwinkere ihm zu, denn ich will dieses Tattoo sehen. Es entlockt ihm abermals ein Schmunzeln. Flirte ich gerade mit einem Drachen? Mit einem wilden Drachen? Hm. Mir fällt auf, dass Blaze wirklich tolle Lippen hat. Ob man sich an ihnen verbrennt, wenn man ihn küsst? Ich merke, wie ich darauf starre, und er merkt es sicherlich auch. Aber ich kann meinen Blick nicht abwenden.

Glücklicherweise werde ich von dem Rattern eines herannahenden Hubschraubers abgelenkt. Ich krabble eilig von Blaze herunter. Der Wind der Rotorblätter fährt kräftig durch den Wald und fegt meine Jeansjacke nun gänzlich von seinem Unterleib. Heilige …! Ich frage mich, warum ihn nicht stört, dass ich sein bestes Stück sehe, aber so ein winziges Tattoo ist für ihn ein No-Go.

Ich schirme meine Augen vor herumfliegenden Ästen ab und blinzle erwartungsvoll gen Himmel. Lose Eukalyptusblätter und brennende Funken tanzen durch die Nacht. Bitte lass es einen anderen Piloten sein. Die Baumkronen biegen sich unter dem stürmischen Wind nach außen und erschaffen eine Lichtung, auf der ich mit Blaze kauere.

Als die silbernen Kufen des Hubschraubers aufblitzen, will ich den Stahl aktivieren, der noch immer als Reif an meinem Oberarm sitzt, doch das ist gar nicht nötig. Jemand öffnet in diesem Moment die Helikoptertür und beugt sich heraus. Ein dickes Stoffseil wird heruntergelassen, an dem eine Trage baumelt.

Es ist nicht der Pilot. Der Mann, der mir nun mit Handzeichen zu verstehen gibt, Blaze auf der Bahre zu befestigen, trägt einen enganliegenden schwarzen Hightech-Anzug. Das mir wohlbekannte Abzeichen der Ratssicherheit prangt an seiner Brust, drei sich überkreuzende Schwerter in den alten Farben der Magie, Gold, Silber und Rot.

Die Ratssicherheit ist das Militär der Magischen. Warum wir überhaupt Militär besitzen, wo die Menschen doch alles tun, um uns zu kontrollieren? Die Ratssicherheit untersteht nur symbolisch dem Rat, die faktische Befehlsgewalt liegt bei den Menschen. Und das sind Agenten der Security oder kurz: S-Agenten. Menschen. Sie sind Soldaten und Geheimagenten in einem, außerordentlich kampfstark und in der Lage, sich gegen jegliche Form der Magie zu verteidigen. Wir teilen uns einige Trainingseinheiten an der MCA, um den Anschein zu wahren, sie wären Mitglieder unserer magischen Gemeinschaft. Doch jeder weiß, dass der einzige Job dieser menschlichen Kampfmaschinen es ist, uns auszuspionieren, zu kontrollieren und einzugreifen, wenn nötig.

Gut, ab und an retten sie uns auch den Arsch und räumen hinter uns auf. Ich will sie ja nicht gänzlich schlechtreden.

Hinter dem ersten erscheint ein zweiter S-Agent, der geschäftig in ein Funkgerät spricht und zu uns hinuntersieht. Ein Flutstrahler geht am Bauch des Helikopters an, taucht uns in ein gleißendes Licht und macht mich halb blind. Ich kneife die Augen zusammen und taste nach der Trage, die über mir baumelt. Kräftig ziehe ich daran und positioniere sie neben Blaze, hieve den Drachen ächzend darauf. Er ist nicht gerade leicht. Dankbar wie er ist, versteift er sich zu einem starren Brett. Ich keuche aus dem letzten Loch, schaffe es aber schließlich, ihn zu befestigen, und gönne mir eine halbe Sekunde Verschnaufpause. Dann binde ich zur Sicherheit ein paar Goldbänder um Blaze’ Körper, denn ich vertraue weder dem Konstrukt noch den beiden Idioten dort oben. Nachdem ich fertig bin, zeige ich den erhobenen Daumen und die Trage hebt sich vom Boden ab.

Ich warte, bis sie Blaze vollständig heraufgezogen haben. Freundlich wie die Ratssicherheit ist, werfen sie mir ein weiteres Seil hinunter. Was für ein Service. Ich packe es und lasse mich nach oben befördern. Jeder Atemzug schmerzt und ich bin mir ziemlich sicher, dass mindestens eine Rippe geprellt ist. Ich bin mit blutigen Kratzern übersät, meine Kleidung ist zerrissen, in meinem Haar steckt ein halber Wald. Dennoch schüttle ich den Kopf, als der S-Agent mich fragt, ob ich verletzt bin. Ich hebe mich mit letzter Kraft in den Helikopter, dann wird die Tür hinter mir zugeschlagen. Nach Luft ringend wälze ich mich auf den Rücken und ziehe mich auf einen der Sitze, betaste die tiefen Schnitte, die der Stahl auf meinem Arm hinterlassen hat. Ich will um eine Salbe bitten, doch der S-Agent vor mir brüllt in sein Funkgerät und beachtet mich gar nicht. Irgendwelche Nummern und Code-Wörter, die ich nicht verstehe. Auch so etwas, was die Ratssicherheit unsympathisch macht. Sie besitzen eine Geheimsprache, die nicht mal IT-Nerd Kymo entschlüsseln kann.

Meine Augen suchen Blaze und ich erhasche gerade noch einen Blick auf die Betäubungsspritze, die der zweite S-Agent aus dessen Oberarm zieht und anschließend in einem Medizinköfferchen verschwinden lässt. Ich will ihn um ein Desinfektionsspray bitten, da verschwindet der Mann im Cockpit.

»Waren Sie allein?«, fragt mich der andere, schaut für einen Moment von seinem Funkgerät auf. Ich glaube, ich habe ihn schon einmal gesehen. Doch wirklich bekannt sind mir beide nicht. Dafür gibt es einfach zu viele S-Agenten an der MCA. »Sind Sie auf Menschen getroffen?«

»Nein, ich war allein«, antworte ich pflichtgemäß und taste stöhnend nach dem Medizinkoffer, hebe den Deckel an. »Nur ich und … der Drache.«

Warum ich der Ratssicherheit Johns Namen nicht verrate, weiß ich selbst nicht so genau. Der Mann jedoch scheint zufrieden und schreit weiter in sein Gerät. Ich wühle mit der Hand nach etwas, das eine tödliche Infektion verhindern kann, und träufle es auf die Wunden. Anschließend nehme ich halbwegs anständig Platz und schnalle mich an. Mein Blick schweift wieder zu dem bewusstlosen Blaze. Der S-Agent legt sein Funkgerät beiseite und lässt ein Paar Eisenhandschellen um seine Handgelenke einschnappen, bedeckt ihn von Kopf bis Fuß mit einer gold-silbernen Aludecke.

»Kriegt er so noch genug Luft?«, frage ich mit leichter Besorgnis.

Der Mensch starrt mich an, als wäre ich bescheuert. Ich wende meinen Blick ab und sehe aus dem Fenster. In der Ferne heben sich die drei markanten Felsen der von Flutstrahlern angeleuchteten Three Sisters vom Nachthimmel ab. Ich werde ganz hibbelig, wenn ich mir ausmale, wie ich den anderen von dieser Geschichte erzähle. Sie werden vor Neid erblassen. Das war der Auftrag meines Lebens. Er wird in die Geschichtsbücher eingehen.

Ich grinse in mich hinein, werde leider unsanft aus meinem Tagtraum gerissen, als mein Smartphone wieder Empfang bekommt und brummend und piepsend mehrere Nachrichten eingehen. Einunddreißig sind von Lewis. Zwei von Kymo.

Ich öffne die beiden Nachrichten meiner besten Freundin.

Wo zur Hölle bist du? WIR WAREN AM RED DOT VERABREDET. Vergessen?? Seit wann machst du Überstunden?! Dafür ist die Bezahlung zu lausig.

Ich bin abgehauen. Allein war es öde. Wir sehen uns morgen. Ich hoffe, du hast eine gute Entschuldigung. Ciao.

Ich sehe auf die Uhr. Drei Uhr morgens.

Bevor mein Akku den Geist aufgibt, lese ich schnell Lewis’ letzte Nachricht.

Hoffe, du bist ok. Sitze jetzt im Foyer und warte auf dich. Kuss.

Ich tippe eilig meine Antworten.

Bin ok. Du errätst nie, was ich gefunden hab. Zieh mir einen doppelten Espresso aus der Maschine. Bis gleich. Kuss.

Die Entschuldigung wird dich aus den Flip-Flops hauen, Süße. Bis morgen. Ciao!

Ich stecke mein Handy weg und lehne mich gegen die vibrierende Glasscheibe des Helikopters, erlaube mir, kurz die Augen zu schließen. Diese Geschichte wird mir niemand glauben, wenn sie Blaze nicht mit eigenen Augen sehen. Wie gut, dass er geradewegs mit mir auf dem Weg nach Sydney ist. Auftrag Nummer 348 wird die größten Schlagzeilen in der magischen und nichtmagischen Presse machen seit der Frau, die vor zwei Jahren angeblich von einem Meermann geschwängert wurde und der daraufhin eine Schwanzflosse wuchs. Nichts im Vergleich zu einem Drachen.

Lyssa Liberty, neue Top-Agentin der MCA, findet einzig lebenden Drachenwandler. Der neue Stern am Agentenhimmel?

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen dämmere ich weg.

Kapitel 3

HARTE LANDUNG

»Das ist nicht Ihr Ernst.«

Ich sitze auf dem harten Metallstuhl im Büro des Direktors, kralle meine Finger um die kalten Armlehnen und kann nicht glauben, was meine Ohren da eben vernommen haben.

Auftrag Nummer 348 hat soeben die höchste Geheimhaltungsstufe erhalten.

Übersetzt heißt das, ich muss über Blaze Stillschweigen bewahren, sonst darf ich meinen Job in der Agency an den Nagel hängen.

»Sir!«

Mister Anderson sieht mich streng an. Und das kann er gut. Streng schauen. Er besitzt die Augenbrauen dafür. Tiefschwarz und buschig. Sein Haar hingegen ist schlohweiß und seine Augen von einem stechenden Huskyblau. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Blutsauger. Doch seine wahre Gabe kenne ich so gut wie jeder andere Agent, der unter ihm arbeitet. Mister Anderson ist ein lebender Lügendetektor.

»Ich darf niemandem davon erzählen?«, frage ich wieder, noch immer fassungslos. »Dieser Einsatz war das Aufregendste, was mir je passiert ist. Das Aufregendste, was einem Agenten in dieser Zentrale jemals passiert ist!«

Zumindest nehme ich das an. Ich meine … ein Drachenwandler.

»Miss Liberty«, ermahnt Mister Anderson mich, die dramatischen Augenbrauen sinken noch ein Stück tiefer.

»Aber … Ich denke, dass …«, stammle ich, umfasse verzweifelt die Tischkante. Meine Knöchel treten weiß hervor. »Sir!«

»Ich muss Sie sicherlich nicht über die Strafe aufklären, die eine Nichteinhaltung der Schweigepflicht nach sich zieht«, erinnert mein Boss mich, mustert mich mit seinen stechenden Augen.