Vicious Magic: Wilde Biester (Band 2) - Linda Winter - E-Book
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Linda Winter

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Beschreibung

**Der Verrat von Flamme und Eis** Als Lyssa den mysteriösen Drachenwandler Blaze in der Wildnis Australiens gefangen nimmt, ist für die Agentin der Magic Control Agency nichts mehr wie zuvor. Denn der Mann, der sie mit seinem Feuer und seiner einzigartigen Magie sofort für sich eingenommen hat, ist nicht der, für den sie ihn hält. Verletzt über seinen Verrat will Lyssa zunächst nichts mehr von Blaze wissen. Doch als eine magische Rebellengruppe die Macht an sich zu reißen droht, ist er der Einzige, der ihr Antworten geben kann. Entschlossen, die Menschen zu beschützen, geraten die beiden in einen Machtkampf, der längst nicht so einfach zu durchschauen ist, wie Lyssa dachte … Endlich eine neue Fantasy-Reihe von Linda Winter, der Autorin des E-Book-Bestsellers »Princess of Night and Shadows«. Tauch ein in die aufregende und mitreißende Welt der Magic Control Agency! //Dies ist der zweite Band der Urban-Fantasy-Trilogie »Vicious Magic«. Alle Bände der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Vicious Magic: Verzwickte Gaben (Band 1) -- Vicious Magic: Wilde Biester (Band 2) -- Vicious Magic: Tückische Macht (Band 3) -- Sammelband der Urban-Fantasy-Trilogie Vicious Magic Diese Reihe ist abgeschlossen.//

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Linda Winter

Vicious Magic: Wilde Biester (Band 2)

**Der Verrat von Flamme und Eis**Als Lyssa den mysteriösen Drachenwandler Blaze in der Wildnis Australiens gefangen nimmt, ist für die Agentin der Magic Control Agency nichts mehr wie zuvor. Denn der Mann, der sie mit seinem Feuer und seiner einzigartigen Magie sofort für sich eingenommen hat, ist nicht der, für den sie ihn hält. Verletzt über seinen Verrat will Lyssa zunächst nichts mehr von Blaze wissen. Doch als eine magische Rebellengruppe die Macht an sich zu reißen droht, ist er der Einzige, der ihr Antworten geben kann. Entschlossen, die Menschen zu beschützen, geraten die beiden in einen Machtkampf, der längst nicht so einfach zu durchschauen ist, wie Lyssa dachte …

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Vita

© privat

Linda Winter, 1985 in Deutschland geboren, zog es früh in die Ferne. Nach einem Auslandsjahr in Australien studierte sie Archäologie und Interkulturelle Kommunikation und arbeitete bei den Vereinten Nationen, ehe sie ihre Liebe für das Schreiben wiederentdeckte. Heute lebt sie in ihrer Wahlheimat Wien, reist am liebsten durch die Welt und schreibt fantastische Geschichten für Jugendliche.

Kapitel 1

EINE HERZENTSCHEIDUNG

Würde mir der Teufel persönlich anbieten, meine Hirnmasse gegen Stroh zu tauschen – ich würde den Deal annehmen.

»Was genau geschah in den Büschen seitlich des Hume Highway, nachdem du dem Attentäter gefolgt bist?«, stellt Imara Achebe ihre erste Frage.

Hier sitze ich nun auf dem kalten Metallstuhl im Büro unserer neuen gedankenlesenden Direktorin, starre wie hypnotisiert in ihre psychedelischen Silberaugen und mache mir fast ins Höschen. Ich trage ein Kleid aus Goldpailletten und somit kann ich meine nassgeschwitzten Hände nirgendwo abwischen. Jedes Mal, wenn meine Finger, die ich krampfhaft um die Armlehnen kralle, verrutschen, quietscht es durchdringend. Ich muss so dringend pinkeln, dass ich mir bald wirklich ins Höschen mache. Doch das alles ist egal. Nur eines ist wichtig.

MEINE GEDANKEN SIND FREI.

»Der Attentäter war zum Teil unter seinem Motorrad begraben«, beginne ich, bemühe mich um eine feste Stimme. »Als ich und …« Quietsch. »… Agent Bloom ihn erreichten, konnten wir uns gerade noch rechtzeitig hinter einen Felsen retten, ehe eine weitere Nagelbombe hochging. Es war Selbstmord. Der Attentäter war sofort tot. Die S-Agenten kamen kurz darauf.«

»Ist dir etwas Ungewöhnliches an dem Attentäter aufgefallen?« Imara notiert kein Wort von dem, was ich sage. Stattdessen sitzt sie mit ihrer beeindruckenden Größe kerzengerade da und stiert auf mich hinab. Ich fühle mich wie eine Kakerlake vor einem Soldaten mit Springerstiefeln. Es kratzt unangenehm an meiner Schädeldecke und ich habe nicht viel, was ich der Magie der Telepathin entgegensetzen kann. Also mache ich es wie bei Mister Anderson. Ich bleibe bei der Wahrheit.

»Er trug einen speziellen Hightech-Anzug und einen Utensilien-Gürtel mit Waffen«, berichte ich. »Für eine Sirene war er ausgesprochen muskulös. Er erinnerte mich an den Terrakineten im Metroschacht.«

»Ahntest du, dass die beiden Attentate zusammengehören?«

»Mir kam der Gedanke«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Richtig begreifen konnte ich es nicht. Organisierte Wilde Magie. Wer denkt denn an so was?« Mein darauffolgendes Lachen klingt, als würde ein Fisch verzweifelt nach Luft schnappen.

Imaras Lächeln wirkt gezwungen. »Ist dir seine Tätowierung aufgefallen?« Ihr Silberblick wird eindringlicher und ich blinzle ein paar Male, um ihm nicht zu verfallen. »Das Zeichen von Magic Legacy?«

Quietsch.

Ich schlucke angestrengt. »Er war halb vergraben«, wiederhole ich mich. Sie ist weder ein Empath noch ein Lügendetektor. Bleib ruhig, Lyssa. Die einzige Gefahr besteht durch deine Gedanken. »Es war dunkel. Ich muss gestehen, ich war an diesem Abend nicht ganz bei mir«, spiele ich meinen besten Trumpf aus.

Millimeterweise wandert Imaras rechte Augenbrauen nach oben, wie eine Raupe, die sich gemächlich zusammenzieht, um vorwärtszukommen. »Du warst angetrunken?«

»Ja«, schießt es aus mir heraus. Ich war nie so froh, vor meinem Boss zugeben zu dürfen, besoffen gewesen zu sein. »Selbstverständlich habe ich eine Fahrtauglichkeitspille genommen«, füge ich eilig hinzu.

»Ist das auch der Grund, warum du die Eisennägel im Club nicht entschärfen konntest?«, hakt sie nach, während ihre Braue wieder nach unten sackt. »Alkohol beeinträchtigt unsere Magie.«

Ich nicke hastig. »Ja. Ja, es war der Alkohol.« Ihre Augen drehen nun so richtig auf. Das Kribbeln unter meiner Kopfhaut wird stärker. Bleib bei der Wahrheit, Lyssa. Schlag zwei Fliegen mit einem Goldfächer. »Und Haemokinese«, stoße ich aus. »Haemokinese hat mich davon abgehalten, meine Magie zu wirken.«

»Haemokinese?« Imara runzelt die Stirn. Die silbernen Strudel verlieren ein wenig ihrer Sogwirkung. Sie betrachtet mich eingehend, sieht dann auf ihren Computerbildschirm, der vor meinen Augen verborgen ist. »Eine seltene Gabe«, sagt sie nachdenklich. »Denkst du, der Attentäter hatte einen weiteren Komplizen?«

»Ich … Ja, das ist anzunehmen.«

Imara notiert sich endlich etwas. Der Stift bewegt sich kratzend über das Papier ihres Notizblocks. Warum nutzt sie keine Tastatur wie normale Leute? Das Geräusch hallt übertrieben laut durch den stillen Büroraum. Wieso schweigt sie? Wenn sie schweigt … denke ich! Ich muss etwas sagen. Irgendetwas. Bevor ihr Name durch meinen Kopf geistert.

»Es tut mir leid, ich … ich mache mir große Vorwürfe, Imara.« Ich beuge mich vor. Meine nervösen Pailletten rascheln leise. »Dass ich die Nägel nicht aufhalten konnte«, flüstere ich, muss meine Schuldgefühle nicht mal vorspielen. Ich mache mir schwere Vorwürfe. »Dass ich die Bombe nicht früh genug erkannt habe.«

Die Direktorin sieht von ihrem Gekritzel auf. »Niemand macht dir einen Vorwurf, Lyssa.« Sie legt den Stift beiseite und faltet ihre Hände. Ihr Silber schimmert ungewohnt sanft. »Es war eine wirre Situation. Ihr wart in Feierstimmung. Du bist dem Attentäter gefolgt und hast ihn gestellt. Das war eine herausragende Leistung.« Sie nickt anerkennend, während ihr Blick wohlgefällig über mich schweift. »Du kannst stolz auf dich sein, Lyssa. Dieser selbstlose Einsatz wird honoriert werden.«

Ich sollte glücklich über ihre Worte sein, Stolz empfinden, stattdessen fühlt sich mein Lächeln verkrampft an. Inzwischen muss ich so dringend aufs Klo, dass ich wünschte, ich würde mehr unter dem Kleid tragen als einen lächerlichen String-Tanga.

Imara greift nach einer Akte, die neben ihr liegt, und schlägt sie auf. Es ist eine Personalakte der MCA. Auch wenn ich den Namen nicht erkennen kann, weiß ich, um wessen Akte es sich handelt. Innerlich sammle ich mich für das, was nun kommt.

Meine Gedanken sind Luft. Ich puste sie weg!

»Wie kam es dazu, dass du Blaze Bloom der Komplizenschaft beschuldigst?«

Wie auf Kommando stellen meine Goldpailletten sich auf. Mein Mund ist staubtrocken. »Ich …«, röchle ich. Vertrauen Sie niemandem. »Nun …« Vertraue dem, der nichts zu verlieren hat. »Er wusste von der Bombe«, platze ich heraus.

»Von der zweiten Bombe, meinst du?«, hakt sie nach, zückt wieder ihren Stift.

Ich nicke. »Es kam mir seltsam vor.« Ich lecke über meine trockenen Lippen, um Zeit zu schinden. »Sie hätte mich getötet und ich verdanke ihm mein Leben, aber … es irritierte mich, dass er davon wusste.«

Es ist keine Lüge. Ich verschweige lediglich den Rest. Jetzt muss mein Gehirn nur mitspielen.

»Als Wandler besitzt Blaze Bloom übernatürliche Reflexe und Sinne«, erklärt Imara mir. »Drachenwandler stehen in der Akademie nicht auf dem Lehrplan, daher ist deine Verwirrung verständlich. Ich nehme an, die Anschuldigung des mehrfachen Mordes und der Mitgliedschaft in einer globalen Terroristenorganisation beruht nicht nur auf dieser ungewöhnlichen Weitsicht deines Kollegen.«

Die Knochen in meinen Fingern schmerzen, so angestrengt umschlinge ich die Metalllehnen. Ich bin zutiefst dankbar, dass das Möbelstück aus Aluminium und nicht aus Edelstahl besteht, sonst säße ich inzwischen auf einem sehr unkonventionellen Designer-Einzelstück mit meinem Namen drauf.

»Er ist geheimnisvoll«, sage ich ausweichend. Das Herz pocht so laut in meinen Ohren, sicher hört Imara es auch. Wenn ich jetzt einen Fehler mache … »Er besitzt radikale Ansichten. Für mich … passte in diesem Moment alles zusammen. Es war eine Kurzschlusshandlung. Ich gestehe, sie war impulsiv und wenig durchdacht.«

»Du bist dir nicht mehr sicher, ob du richtig gehandelt hast?«, bohrt sie nach.

Quietsch!

Imara runzelt die Stirn, legt Blaze’ Akte beiseite. »Ich frage noch einmal nach, damit keine Unsicherheiten bleiben. Gibt es einen triftigen Grund, warum du Blaze Bloom der Komplizenschaft an diesem Attentat beschuldigst?«

Ich weiche ihrem gefährlichen Silberblick aus, starre unschlüssig auf die Akte.

Erfinde was. Behaupte, Blaze habe gestanden, und schon ist er Geschichte.

Ich wünschte, ich besäße Lewis’ Abgebrühtheit und könnte meine Gefühle einfach abschalten. Aber ich bin keine Cryokinetin. Ich habe kein Herz aus Eis. Meines ist aus Fleisch und Blut, folgt seinem eigenen Takt und hat eine Schwäche für einen ganz gewissen Drachen, der mich nach Strich und Faden belogen hat.

Du warst eine tolle Mentorin.

Ich schüttle den Kopf, stelle mich wieder Imaras gedankenlesenden Augen. »Nein«, antwortet mein Herz für mich.

»Und würdest du jetzt die Entscheidung unterstreichen?« Ihre Silberstrudel drehen sich und mir wird schwindlig. »Oder revidieren?«

Nervös wische ich mir eine nassgeschwitzte Haarsträhne hinters Ohr. Der Blut- und Schweißgestank, der mir anhaftet, lässt meinen leeren Magen rebellieren. Ich möchte nur noch weg. Ich möchte duschen, schlafen und eine Runde ausgiebig heulen. »Ich denke, es war übereilt«, flüstere ich mit heiserer Stimme. Ich räuspere mich. »Ich war erschöpft und … nicht fair in meiner Beurteilung.«

»Gab es persönliche Streitigkeiten zwischen euch?«

Ich schüttle den Kopf, presse die Lippen aufeinander.

»Du bist nun seine Mentorin, hast mit Lewis Matthews getauscht«, hakt Imara nach. »Warum?«

Wieso kann ich nicht die Gabe der Chronokinese besitzen? Ich würde einfach alle Unannehmlichkeiten vorspulen.

»Ich nahm an, Lewis wäre deiner Tochter ein besserer Mentor.« Das ist nicht mal gelogen. Er ist ein wesentlich besserer Mentor. Auch wenn das nicht der Grund ist, warum ich ihm Agrinya zugeschoben habe …

NUR LUFT.

»Meine Tochter kann anstrengend sein«, gibt die Direktorin unverblümt zu. »Herausfordernd. Sie ist wie einst ihr Vater.« Ihre gruseligen Augen bekommen einen sentimentalen Schimmer. »Neugierig und stur.«

»Ich habe Mister Anderson in einer E-Mail über den Mentorenwechsel informiert. Ich nahm an, es wäre in Ordnung.«

»Ihr habt verantwortungsvoll gehandelt, da bin ich mir sicher. Das Mentoring ist eine persönliche Angelegenheit.« Imara zwinkert mir neckisch zu. Vor Schreck rolle ich ihren Kugelschreiber auf. »Die Chemie muss stimmen«, sagt sie mit einem wissenden Lächeln.

Ich will ihr danken, doch meine Zunge pappt am Gaumen, und ich bringe kein Wort hervor.

»Um auf die Anschuldigungen zurückzukommen«, fährt sie fort und widmet sich wieder Blaze’ Akte. »Möchtest du deine Entscheidung überdenken, ehe ich Blaze Blooms Fall an den Rat weiterleite? Noch können wir dies unter uns regeln. Ganz informell. Sollte es sich als ein Missverständnis herausstellen, ist die Sache vom Tisch. Weder ihm noch dir drohen Konsequenzen.«

Meine Finger lösen sich aus ihrer verkrampften Haltung und rutschen an den Armlehnen hinab. Quiiiiietsch!

»Das ist … wirklich sehr großzügig«, stammle ich. Mein Körper weiß nicht recht, wie er auf dieses Angebot reagieren soll. Mein Herz hüpft vor Erleichterung, mein Verstand verflucht meine Schwäche, Blaze nicht seinem wohlverdienten Schicksal überlassen zu können.

»Die Strafe für Mord ist lebenslange Haft«, erinnert Imara mich. »Ein Drachenwandler kann für unsere Institution von großem Nutzen sein. Vor allem in den schweren Zeiten, die auf uns zukommen. Bedenke dies und entscheide, wie eine Agentin entscheiden würde. Mit Verstand und Herz.«

Mit Verstand und Herz? O Gott, sie hat meine Gedanken gelesen.

Ich sollte mich verabschieden und gehen, doch meine Neugier ist stärker. »Darf ich dich etwas fragen, Imara?«

»Selbstverständlich.« Sie klappt Blaze’ Akte zu, ihr Silber leuchtet erwartungsvoll. »Neugier ist eine wertvolle Charaktereigenschaft, sofern sie gemäßigt ist.«

Meine nächsten Worte wähle ich mit Bedacht, auch wenn Schweiß meinen Rücken hinunterrinnt und meine Blase brennt. »Du weißt, unter welchen Umständen ich den Drachenwandler fand …«, beginne ich vorsichtig.

Sie nickt. »Sein Fall ging an mich.«

»Wie landete er in den Blue Mountains?«, wage ich mich vor. »Weiß man etwas darüber?«

Imara lehnt sich knarzend in ihrem Drehstuhl zurück, ein eigenartig verträumtes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. »Diese magische Welt ist voll wundersamer Geheimnisse.« Sie macht eine ausschweifende Handbewegung, deutet hinaus in den dämmernden Himmel über dem Hafen von Sydney. »Freuen wir uns, dass sie uns eine solch einzigartige Gabe schenkte. Blaze Bloom besitzt neue Erinnerungen. Was er war, ist nicht von Bedeutung. Nur das, zu dem wir ihn machen.«

»Aber die radikalen Ansichten …«, versuche ich, eine Antwort herauszukitzeln.

Imara lacht. Es klingt wie der Ruf eines Seelöwen. »Was die einen radikal nennen, ist für andere nur Neugier«, erklärt sie mir. »Er muss lernen und sich ausprobieren. Er wägt gegensätzliche Sichtweisen ab, um seine eigene zu finden. Das ist typisch für Magische mit einem neuimplementierten Gedächtnis. Es gehört zum Prozess. Das weißt du sicherlich.« Sie sieht mich aufmerksam an und ich nicke brav. »Letzten Endes wird er dem Weg folgen, den wir ihm künstlich einpflanzten. Diese Orientierungsphase kann von manchen als ›wilde Phase‹ missverstanden werden.«

»Ja, das … ist es wohl, was mich an ihm irritiert«, murmle ich.

Imara schmunzelt, was in ihrem markanten, strengen Gesicht seltsam deplatziert aussieht. »Ich fände es nur folgerichtig, wenn du seine Befragung durchführst, Lyssa.« Sie zieht ein Blatt Papier aus dem Ausgabefach des Druckers, unterschreibt es und reicht es mir. Zögerlich nehme ich es an, werfe einen Blick darauf. Es ist eine Vollmacht über den Insassen 38. Blaze Bloom. »Ich übertrage dir die Verantwortung über den Fall«, spricht Imara es aus. Ich klammere mich an das Papier wie zuvor an die Stuhllehnen. »Du kannst ihn nach eigenem Ermessen freilassen. Er stellt aufgrund der Gedächtnisauslöschung keine Gefahr dar. Teile mir deine finale Entscheidung mit. Es reicht eine E-Mail.«

Eine E-Mail?!

Ich nicke, nah an der Verzweiflung. Halb quietschend und halb raschelnd erhebe ich mich. Meine Goldpailletten stehen waagerecht. Meine Gehirnwindungen fühlen sich verkrampft an. Alles an mir fühlt sich verkrampft an.

»Der Arbeitstag beginnt am Mittag«, informiert Imara mich, greift nach ihrem Handy. »Ruhe dich bis dahin aus.«

»Danke«, presse ich hervor.

Mit einem letzten qualvollen Lächeln drehe ich mich um und verlasse betont langsam das Büro. Bloß nicht auffallen. Auf dem Korridor angekommen, nehme ich die Beine in die Hand. Erst, als ich im Fahrstuhl stehe, entkrampft sich meine Lunge. Zitternd atme ich aus, lehne mich gegen die verspiegelte Rückwand. Gedanken purzeln durch meinen Kopf. Gedanken, die mir zuvor verboten waren.

Ich habe meine Anschuldigungen Agrinya gegenüber für mich behalten. Agrinya, dieses ekelhafte, blutleckende Biest, das mich davon abgehalten hat, die Nägel im Red Dot unschädlich zu machen. Okay, ich gebe zu, hundertprozentig sicher bin ich mir nicht. Bloß sehe ich keinen anderen Haemokineten in Reichweite, der sich in anderer Leute Blut stiehlt und rassistische Ansichten gegen Magische menschlicher Abstammung pflegt. Außerdem war sie urplötzlich verschwunden, als die Bombe hochging. Brauche ich noch mehr Beweise?

Dennoch sehe ich ein, hätte ich Agrinya vor ihrer Mutter beschuldigt, wäre ich meines Lebens nicht mehr froh gewesen. Ich werde sie überführen, aber sie ist es nicht wert, dass ich meinen Job riskiere.

Agrinya nicht zu erwähnen, war eine Kopfentscheidung. Blaze nicht zu verraten – das war allein mein Herz. Alles in mir hat sich dagegen gesträubt, Imara von seinem Tattoo zu berichten, das ihn als Mitglied von Magic Legacy identifizierte. Ich weiß nicht, wer es entfernte, nachdem ich ihn einlieferte. Ob die Direktorin am Ende selbst darin verstrickt ist. Doch es hätte Konsequenzen gehabt. Möglicherweise würde der Rat ihn foltern, um noch ein Fünkchen seiner gelöschten Erinnerung zu rekonstruieren – nur um herauszufinden, dass er diese nie verloren hat, weil ich sie ihm in meiner dummen Naivität bewahrte.

Vor wenigen Stunden noch hätte ich Blaze höchstpersönlich dem Rat ausgeliefert, ihn Mister Clearwater mit Genugtuung vor die Füße geworfen. Ich war so wütend. Dann überreichte Miss Pasternak mir Mister Andersons geheime Nachricht. Vertrauen Sie niemandem. Kymo berichtete mir von den abgeänderten Fake-Erinnerungen, die Blaze zu einem gefährlichen Feind der MCA gemacht hätten. Und schließlich waren da Blaze’ Worte, die ich zwar in jenem Augenblick nicht hören und schon gar nicht glauben wollte, die aber dennoch fröhlich durch meinen Kopf schwirren und nicht gehen wollen. Was immer du glaubst zu wissen, es ist falsch.

Ich sehe auf die schriftliche Erlaubnis hinab. In meinen Händen halte ich Blaze’ Leben. Wieder einmal. Ich weiß nicht, was wahr ist. Ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann. Doch ich weiß, diese Entscheidung kann ich nicht allein treffen. Ich darf sie nicht allein treffen. Handle ich eigenmächtig, befreie ich gemeingefährliche Terroristen und lasse mir von ihnen den Kopf verdrehen.

Ich brauche meine Freunde. Kymos beruhigenden Atem, ihre einfühlsamen Ratschläge und ihre rationale Urteilsfähigkeit. Jays knallharte S-Agenten Standpauke, die mich vor einem weiteren schlimmen Fehler bewahrt. Lalehs zorniges Feuer und ihre schonungslose Ehrlichkeit. Sie alle sollen mir ins Gesicht sagen, wie bescheuert ich war, Blaze zu vertrauen. Wie leichtsinnig und naiv. Ich möchte ihre Vorwürfe, ihre Wut und ihre Besserwisserei. Alles, wozu ich nicht imstande bin, wenn es um ihn geht. Und ich brauche sogar Lewis’ Kälte und Abgeklärtheit, um zu einem folgenschweren Ergebnis zu kommen, – allerdings werde ich darauf wohl für eine lange Zeit verzichten müssen.

Ich fahre in die Tiefgarage hinab und verlasse die MCA-Zentrale über einen Hinterausgang, um niemandem über den Weg zu laufen. Einen winzigen Augenblick nur möchte ich durchatmen nach dieser Horrornacht und mir meine Worte zurechtzulegen. Doch während ich an den giftigen Müllcontainern vorübergehe, kommen die grauenhaften Erinnerungen von Blaze’ Eisenfesseln in mir hoch.

Wieso war Blaze gefesselt, wenn er ein Attentäter war, geschickt, um zu spionieren und zu töten?

Nichts bei Blaze passt zusammen. Und es macht mich wahnsinnig. Mein Kopf und mein Herz fechten einen Kampf aus, den keiner von beiden gewinnen kann, denn es fehlen schlicht die Informationen.

Ich steige in meinen knallroten VW Beetle und zücke mein Handy. Unschlüssig drehe ich es in der Hand. Ich erinnere mich daran, wie Blaze jeden Anschluss seines neuen Nokias inspizierte, an sein Misstrauen gegenüber dem MCA-Smartphone. Damals habe ich seine Befürchtung, er könne darüber abgehört werden, als lächerlich abgetan, aber nun …

Vertrauen Sie niemandem.

Ich krame in meinem goldenen Paillettentäschchen nach zehn Dollar, starte den Motor und fahre vom Parkplatz. Während ich im Dämmerlicht der frühen Morgenstunde die nächstgelegene Metrostation ansteuere, fühle ich mich ein wenig wie in einem schlechten Spionage-Film. Ich wünschte, ich wüsste, wer das Drehbuch schreibt.

Kapitel 2

LAGEBESPRECHUNG

»Und Miss Pasternak gab ihn dir persönlich?« Jay dreht Mister Andersons Nachricht in seiner Hand, inspiziert jeden Buchstaben einzeln. Er fördert sogar noch einen Infrarotstift zu Tage, der an seinem Schlüsselbund baumelt, um ihn auf eine geheime Botschaft zu überprüfen. »Krass«, lautet sein professionelles Urteil.

Es ist acht Uhr und wir haben die Zeugenbefragungen hinter uns. Todmüde und in zerrissenen, blutigen Partyklamotten hängen wir in den dunkelbraunen Samtsesseln des Magic Coffeehouse. Murray war hellauf begeistert, als wir in unserem versifften Zustand hier einfielen, und bereitete uns Kaffee frei Haus mit aufmunternden Kakao-Motiven zu. Auf meinem Cappuccino thront das Gesicht eines grinsenden Kängurus. Meine Laune heben kann es nicht.

»Wieso sollst du niemandem vertrauen?« Kymo kaut abwesend auf ihren blutgetränkten Haaren und beachtet mich gar nicht, starrt stattdessen auf das Display ihres Handys, als würde sie versuchen, mit bloßem Auge ein 3D-Bild zu entschlüsseln. »Was hat das zu bedeuten?«

Ich sehe meiner besten Freundin das Desinteresse an meinen Problemen nach. Tsuki – ihr neuester Lover und Seelengefährte – wird in diesem Moment in einem Menschenkrankenhaus operiert und okkupiert ihre gesamte Aufmerksamkeit. Ihr Rucksack ist prall gefüllt mit magischen Spritzen, jeder Menge TimTams mit Karamellfüllung, Tüten voller Lamingtons und einem vier Seiten langen handgeschriebenen Liebesbrief.

Ich schiele zu Murray, der hingebungsvoll mein verbogenes Besteck poliert, das für jeden sichtbar hinter einem Schaufenster ausliegt. »Magic Legacy«, flüstere ich verschwörerisch.

Kymo hebt ihren Blick, die Haarsträhne rutscht aus ihrem Mund. »Du meinst, er wurde …?«, haucht sie.

»Es kann kaum Zufall sein, dass unser Boss zu dem Zeitpunkt spurlos verschwindet, an dem diese irre Truppe sich zu erkennen gibt.« Ich trommle mit meinem Fingernagel auf die Nachricht. »Er wusste zu viel«, mutmaße ich. »War ihnen im Weg.«

Nachdenklich krault Jay seine wirren mahagonifarbenen Locken. »Wieso hast nur du eine Nachricht bekommen?«, fragt er voll Argwohn und tastet nach einem Mango-Muffin. Jay war nicht im Red Dot, als die Bombe losging, und ist somit der Einzige von uns, der nicht aussieht, als habe er sich mit letzter Kraft von einem Schlachtfeld geschleppt. Dafür trägt er noch immer seinen japanischen Seidenkimono und mir fällt es schwer, ihn in dieser Aufmachung ernst zu nehmen.

»Das ist die Frage, die du stellst?« Laleh reißt sich von ihrem digitalen Equipment los, um uns ihre kostbare Aufmerksamkeit zu schenken. Das nervtötende Piepen und Vibrieren ihrer Handys lässt den Eindruck entstehen, wir befänden uns in der Schaltzentrale von Magic One News. »Unser Boss verschwindet vom Erdboden und hinterlässt Lyssa als letztes Lebenszeichen eine ominöse Nachricht. Weder die Ärzte noch die Ratssicherheit wollen mir verraten, was nun mit Lakshmi geschieht, die für eine Tat im Gefängnis sitzt, die sie nicht begangen hat.« Lalehs sommersprossige Wangen sind gerötet. Das Feuer in ihren Augen ist in solchem Aufruhr, dass wir uns in unseren Sesseln zurücklehnen. »Jede Minute erreichen uns neue haarsträubende News.« Sie klackert mit ihrem rotlackierten Fingernagel auf das Display ihres Tablets. Die Startseite der Global Magic News ist gepflastert mit Horrorbildern von Attentaten, die auf das Konto von Magic Legacy gehen. »Der Anschlag auf das Red Dot hat inzwischen vierunddreißig Todesopfer gefordert. Der Club ist ausgebrannt. Eine Ruine! Unser Red Dot.« Sie hält eines ihrer Smartphones in die Höhe, zeigt uns einen schwarzen Schutthaufen, von dem Rauchfäden in den Himmel steigen. »Freunde von mir in Toronto wurden heute Morgen von einer Polizeirazzia überrascht und stecken in Untersuchungshaft. Sie sind keine Mitglieder von Legacy! Vorhin bin ich in der Zentrale an zwei Agenten vorbeigelaufen, die sich aus Angst das Legacy-Symbol auf die Brust gepappt haben. Ich fühle mich wie in einer schlechten Dystopie!« Die Pyrokinetin speit eine Flamme auf ihren Berg aus eingeschmolzenen Marshmallows. »Mit uns in der Hauptrolle!«

»Vergiss nicht die mörderischen Fake-Erinnerungen, die Blaze verpflanzt werden sollten«, setzt Kymo noch einen drauf und rührt mit ihrem Finger in dem Schaum ihres Latte Macchiatos, zerstört den grinsenden Wombat. »Oder die Haemokinese, die Lyssa behinderte. Irgendwo da draußen läuft ein gemeingefährlicher Haemokinet rum.«

»Dieser gefährliche Haemokinet ist …« Ich sehe mich aufmerksam um, senke meine Stimme. »Agrinya«, flüstere ich. »Das wissen wir.«

»Du glaubst, dass sie es ist«, berichtigt Kymo mich.

»Ich weiß es«, beharre ich, umfasse wütend meinen Edelstahllöffel.

»Wo ist eigentlich Blaze?«, stellt Laleh die gefürchtete Frage und lenkt mich von meinem Hass auf die Blutleckerin ab.

Ich hole tief Luft. Das ist er also. Der Moment der Wahrheit. »Ihr solltet euch festhalten«, bereite ich meine Freunde auf das vor, was nun kommt.

Kymo umklammert vorsorglich ihre Tasse. Vom Weinen und den giftigen Dämpfen, denen sie im Club ausgesetzt war, sind ihre kastanienbraunen Augen rot umrandet und in Kombination mit der ungewohnt bleichen Hautfarbe und den strähnigen Haaren könnte sie glatt als Blutsauger durchgehen.

»Ist er verletzt?«, platzt Laleh heraus. Panik schwingt in ihrer Stimme mit. Die Flammen in ihren Augen zittern besorgt. »Lyssa, sag mir nicht, es hat den Drachen erwischt!«

»Es geht ihm hervorragend«, beruhige ich sie. Laleh atmet erleichtert aus. Ihr heißer Atem trifft mich mit voller Wucht, als hätte jemand eine Ofentür geöffnet. »Er sitzt im MCA-Knast«, lasse ich die Bombe platzen.

»Was?!«, stößt Laleh empört aus. Eine feuerrote Locke löst sich aus ihrem provisorischen Dutt. »Das ist ein Skandal! Erst Lakshmi, jetzt Blaze …« Sie pustet die Haarsträhne davon und greift nach ihrem Privathandy. »Das geht direkt raus auf Magigram. Mit Abstimmung und Petition.«

Jay legt eine Hand über ihr Display, um die Pyrokinetin davon abzuhalten, sich strafbar zu machen und ihren Job als Agentin zu verlieren. »Wieso weiß ich davon nichts?«, fragt er an mich gewandt. »Besitzt er noch keine Immunität?«

»Seid ihr nicht gemeinsam der Sirene hinterhergefahren?« Kymo schiebt ihre Nerd-Brille hoch, betrachtet mich prüfend. »Ich dachte, ihr habt den Attentäter gestellt und seid mit der Ratssicherheit zur MCA gefahren.«

»Das ist mal wieder typisch Ratssicherheit«, faucht Laleh. Flammenfetzen entkommen ihrem Rachen und Kymo wedelt sie davon. »Grottenschlechtes Urteilsvermögen.« Jay wirft ihr einen Blick zu, bei dem jeder Magische augenblicklich zusammenschrumpfen würde. Nicht aber die Pyrokinetin. »Lyssa?« Auffordernd sieht sie mich an. »Mission der Gerechtigkeit?«

»Er wurde nicht von der Ratssicherheit festgenommen«, lege ich die ganze hässliche Wahrheit auf den Kaffeetisch. »Sondern von mir.«

Laleh greift sich erschrocken ans Herz. »Mon dieu«, haucht sie.

»Du hast Blaze festgenommen?« Kymo fasst nach meiner Hand. »Wieso hast du das getan, Lyssa?«

»Er –«, setze ich an.

»Hat er dich betatscht?« Jay lehnt sich so weit über den Tisch, dass sein Kimono aufklappt und das krause Brusthaar offenbart. Seine Augenbrauen bilden ein drohendes Dreieck. »Ich habe da Gerüchte gehört.«

Laleh lacht schnaubend. »Ja, klar. Wenn jemand Lyssa ungefragt betatscht, landet er nicht im Knast, sondern mit Gold stranguliert im Straßengraben. Und ganz ehrlich, wenn Blaze mich betatschen würde, dann –«

»Er ist ein Mitglied von Magic Legacy«, unterbreche ich sie, ehe die Vermutungen noch abenteuerlichere Wege gehen.

In diesem Moment schallt die inzwischen leidlich vertraute Stimme der Legacy-Führerin aus dem Fernseher an der Decke. Entnervt werfe ich einen Blick über meine Schulter. »Murray, könnten Sie bitte zu einem anderen Sender schalten?«

Murray, der mit dem Polieren meines beschämenden Bestecks fertig ist, sieht von seinem ratternden Kaffeeautomaten auf. Der graumelierte Schnauzbart des dicklichen Mannes wandert nach oben und die zahllosen Lachfalten verschlingen seine Augen. »Verzeihen Sie, Lyssa Liberty.« Er spricht mich immer mit vollem Namen an, damit jeder mitbekommt, dass ich – die famose Ferrokinetin – Stammgast in seinem Kaffeehaus bin. »Es läuft auf allen Sendern«, entschuldigt er sich.

Ich kann diese wahnsinnige Fanatikerin nicht mehr hören und nicht mehr sehen. Ihre Silberaugen bereiten mir Übelkeit und ihre Stimme hat bei mir den gleichen Effekt wie ein Zahnarztbohrer. Ihre verachtenswerte Rede kann ich inzwischen im Schlaf herunterrattern.

»Ähm … Lyssa?« Jay fuchtelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum. »Kannst du bitte noch mal zurückspulen zu ›Blaze ist ein Mitglied von Magic Legacy‹?«

»Was ist daran so schwer zu verstehen?« Muss ich es jetzt auch noch wiederholen? »Blaze, unser geheimnisvoller Drachenwandler, ist ein Terrorist und ein Mörder. Er hat uns alle belogen und betrogen. Er –«

»Warum denkst du das, Lyssa?«, unterbricht Kymo meine wütende Tirade.

»Ich weiß es.« Als ich nach meinem Kaffeelöffel greifen will, hat der die Form eines Herzens angenommen. Ein Herz?! Selbst meine Magie betrügt mich. »Er sagte es mir. Mit Worten.«

»Ich habe dich gewarnt«, rügt Jay mich. »Habe ich dich nicht gewarnt? Aber du wolltest ihn unbedingt fliegen lassen. Wenn er getürmt wäre!« Er schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. »Nie wieder mache ich bei einer deiner illegalen Aktionen mit, Lyssa. Nie wieder!«

Laleh schaltet ihren Handventilator ein und platziert ihn mittig auf unserem Tisch. »War klar, dass er ein Psycho ist.« Sie lehnt sich in ihrem Sessel zurück und schlägt die Beine übereinander. Das edle kirschrote Designerkleid hängt in Fetzen an ihr. »So perfekt kann niemand sein. Heiße, unwiderstehliche Typen sind Psychopathen, das ist ungeschriebenes Gesetz. Heiße Mädels im Übrigen auch. Wäre ich sonst noch immer Single?« Sie deutet in einer ausschweifenden Geste auf sich. »Um ehrlich zu sein, habe ich nur drauf gewartet, dass die Leichen in seinem Keller hochgeschwemmt werden.«

Ich schalte den nervigen Ventilator aus, sehe sie fassungslos an. »Du hast mir geraten, mit ihm auszugehen«, erinnere ich sie. »Du wolltest mit ihm ausgehen!«

Laleh zuckt mit den Schultern, zieht ein Stück aus ihrem klebrigen Marshmallow-Berg. »Auch Psychos brauchen Liebe.« Sie speit eine kleine Flamme, röstet den Zuckerschaum in ihrer Hand. »Außerdem kann man immer ›den Einen‹ erwischen.«

»›Den Einen‹?«, fragt Jay nach.

»Das eine perfekte, heiße und unwiderstehliche Geschöpf, das nicht psycho ist«, erklärt sie todernst. »Der Glücksgriff. Der Sechser im Lotto. Das Feuerwerk unter den Buschfeuern.«

»Redest du von dir?«, erkundigt Kymo sich.

»Brillant erfasst.« Laleh grinst und stellt den Ventilator wieder auf die höchste Stufe.

»Können wir zum Ernst der Lage zurückkehren?«, bitte ich.

»Gib nicht dir die Schuld, Lyssa.« Kymo greift in ihren Rucksack und öffnet eine Packung mit Lamingtons, reicht mir einen. »Das hätte niemand ahnen können.«

»Ich hätte auf Lewis hören sollen …«, murmle ich und stopfe mir das Schoko-Kokos-Küchlein in den Mund.

»Dann wäre Blaze nun Opfer seiner mörderischen Fake-Erinnerungen«, erinnert meine beste Freundin mich.

»War Blaze am Attentat im Red Dot beteiligt?«, fragt Jay.

»Er war ein Komplize …« Meine Gedanken schweifen zu unserem Kuss, der nur Ablenkung gewesen war. Fake. Und doch ruft die Erinnerung nicht nur Wut, sondern warme Gefühle in mir hervor. Mein Herz betrügt mich. Ich hasse meine Hormone. »Wie genau ist mir noch nicht ganz klar.« Ich spiele gedankenversunken mit meinem herzförmigen Löffel.

»Bist du dir sicher?«, wirft Kymo ein. »Er hat mir das Leben gerettet.«

»Er hat uns alle um den Finger gewickelt.« Zorn kocht in mir hoch, verdrängt meine trügerischen Gefühle und das Löffel-Herz wandelt sich in einen verknautschten Kreis. »Es ist meine Schuld. Ich habe euch überredet, in die Gedächtnisauslöschung zu intervenieren. Ich habe einen Terroristen in die MCA geschleust und das ist nicht zu entschuldigen. Er hat …«, ich zögere, »… Dinge in mir ausgelöst …« Ich unterbreche mich und lasse den missgestalteten Löffel unter meiner Serviette verschwinden, ehe Murray ihn findet. Es ist das hässlichste Teil, das ich je fabriziert habe.

»Ja, scheiße, Lyssa.« Laleh kaut manisch auf ihren Marshmallows, während ihre flammenden Augen mitleidig über mein Gesicht wandern. »Ich habe das Video gesehen.«

»Welches Video?«, frage ich alarmiert.

Sie dreht ihr Tablet in meine Richtung. Auf dem Display erkenne ich ein verpixeltes, aber eindeutiges Video von meiner und Blaze’ Show-Einlage zu »Play with Fire« im Red Dot. Ich starre so lang darauf, bis ich aus diversen Gründen in Schweiß ausbreche. Entschieden reiße ich Laleh das Gerät aus der Hand und knalle es mit dem Display zuerst auf die Tischplatte.

»Ich war betrunken!«, verteidige ich diesen unverzeihlichen Ausrutscher. »Sehr, sehr betrunken.«

»Dafür warst du echt gut auf den Beinen.« Jay will nach dem Tablet greifen. Ich schlage ihm auf die Finger. »Ich wusste gar nicht, dass du so gut tanzen kannst.« Misstrauisch verengt er die Augen. »Was verbirgst du noch vor uns?«

»Ein Jammer, dass er ein Terrorist ist«, seufzt Laleh theatralisch. »Er ist ein grandioser Tänzer. Tja, irgendwo muss man halt immer Abstriche machen.«

»Abstriche?« Jay tippt sich an die Stirn. »Er ist ein Terrorist.« Sein Blick geht zu mir. »Jetzt verstehe ich auch, wieso Lewis Eisblock spielt, sobald ich deinen Namen erwähne.«

»Aber es war nur ein Tanz.« Kymo sieht mich über ihre großen Brillengläser hinweg an. »Oder?«

Ich ignoriere ihre Frage. »Kann man den Mist löschen?« Ich deute auf Lalehs Tablet. »Ich will denjenigen verklagen, der es ins Netz gestellt hat.«

Laleh lacht sich halbtot. »So läuft das nicht im Social Web, Süße. Es ist längst überall zu finden«, klärt sie mich – digital grün hinter den Ohren – auf. »Auf YouTube hat es über eine Million Klicks und das am frühen Sonntagmorgen!« Ich schnappe nach Luft. Vor Entsetzen rollt sich Lalehs Löffelstiel auf. »Auf Magigram seid ihr das Top-Thema des Morgens. Das Hashtag #Golddragon rangiert aktuell auf dem dritten Rang. Weltweit! Der Drache und die Ferrokinetin. Ihr seid der Hit.«

Golddragon?!

»Und wie lange hält sich sowas üblicherweise im Netz?«, frage ich besorgt.

»So ein heißes Paar wie ihr es seid?« Lachend holt Laleh ihr Tablet zu sich, sieht sich das Video noch einmal an. »Ewig.«

»Wir sind kein Paar!«, stoße ich wütend aus. Lalehs gerollter Löffel macht sich selbstständig und tänzelt über die Tischplatte. »Blaze hat mich verführt! Er –«

»Sicherlich seid ihr morgen wieder Geschichte.« Doch weder Kymos gutgemeinte Worte noch ihr magischer Atem können mich beruhigen.

Jay müht sich unterdessen ab, das wildgewordene Besteck einzusammeln. Er wirft sich auf den missgestalteten Löffel und kriegt ihn zu fassen. Der Edelstahl zittert empört in seinen Händen. Jay rammt ihn in seine Sesselritze, schnappt erleichtert nach Luft und kämmt sich die Locken aus der Stirn.

»Von wegen.« Laleh wischt die Schokoladenspritzer fort. »Lyssa, wenn herauskommt, dass Blaze ein Mitglied von Legacy ist, wird die ganze Welt annehmen, du wärest ebenfalls involviert«, warnt die Pyrokinetin mich, poliert mit einem Mikrofasertuch ihre Displays. »Das kann weite Kreise ziehen.«

Jay lehnt sich mit verschränkten Armen zurück, die Seide spannt sich über seinen beeindruckenden Muskeln. »Ich muss Laleh recht geben.« Er sieht mich ernst an. »Du wirkst mehr als verdächtig. Ich werde dich einbuchten müssen«, seufzt er, kratzt seinen Bart. »Aber keine Sorge, ich werde dir gutes Essen besorgen. Das, was aus der Kantine übrigbleibt.«

»Lakshmi kannte diesen Ersatz-Bassisten aka Terroristen nicht mal und schmort in der Zelle«, bekräftigt Laleh und tupft sich mit dem Tuch ihre Stirn ab. »Übrigens wurde der echte Bassist vor einer Stunde tot in Beirut aufgefunden. Lag in einem Straßengraben. Erschossen.« Die Pyrokinetin zielt auf meinen Kopf und drückt einen imaginären Auslöser.

Ich schlucke schwer. »Könnt ihr aufhören, meinem Gold Angst zu machen?« Ich mühe mich erfolglos ab, die Pailletten wieder gerade zu streichen. »Und mir auch?«

»Wir decken dich«, verspricht Kymo, ist mir bei meinem Kleid behilflich. »Zur Not haben wir den Kellerverschlag. Da kommst du unter, bis sich der Tumult gelegt hat.«

»Es geht hier um Blaze und nicht um mich«, dirigiere ich das Gespräch wieder zu seinem Kern. »Ich brauche eure Hilfe. Bei einer Entscheidung.«

»Möchtest du das Land verlassen?« Laleh zückt ihr Privathandy. »Ich habe da Beziehungen zur kanadischen Fluggesellschaft. Die könnten dich eventuell im Frachtbauch –«

»Die Achebe hat mir die Verantwortung über Blaze’ Fall übertragen«, überfalle ich meine Freunde mit der nackten Wahrheit. »Ich entscheide, ob er lebt oder stirbt.«

So. Jetzt können sie sich darüber den Kopf zerbrechen.

»Unsere Direktorin hat dir die Verantwortung über Leben und Tod eines Terroristen übertragen?!« Jay starrt mich ungläubig an.

»Sie weiß nicht, dass er ein Terrorist ist«, erinnere ich ihn. »In ihren Augen ist er eine Musterakte mit perfekten Fake-Erinnerungen!«

»Es gibt also gar keine Beweise für seine Schuld?«, fragt Kymo nach. »Wieso hast du ihn überhaupt verdächtigt, Lyssa?«

»Das Tattoo.« Ich halte meine linke Hand in die Höhe. »Das Zeichen von Legacy. Es war auf sein Handgelenk tätowiert, als ich ihn in den Blue Mountains fand. Die Sirene hatte es ebenfalls. Ich zählte eins und eins zusammen und ließ ihn von der Ratssicherheit abführen.«

»Aber nun bist du dir nicht mehr sicher?«, liest Kymo aus meinem Zögern.

»Wenn ich ihn nicht freilasse, wird die Achebe misstrauisch werden.« Es ist zwar nicht der Grund, warum ich zögere, doch es ist ein Grund. Und er klingt besser als »mein Herz protestiert«. »Ich könnte es nicht begründen. Habe keine Beweise. Es sind schwere Vorwürfe. Wie soll ich das erklären?«

»Ist das wirklich der Grund?« Kymo durchschaut mich sofort. »Er ist dir ans Herz gewachsen. Das verstehe ich, Lyssa. Er hat mein Leben gerettet. Mein Karma fing von Anfang an gute Schwingungen von ihm auf. Auf mein Karma-Radar kann ich mich immer –«

»Fake-Charme«, unterbreche ich ihre Schwärmerei. »Antrainiert, um uns zu täuschen.«

»Wieso war er mit Eisen gefesselt?«, überlegt Jay laut. »Wenn er ausgesandt wurde, um zu töten, läuft das dem Zweck zuwider.«

»Wahrscheinlich war er zu Spionagezwecken hier«, schlage ich vor. »Und in mir hat er ein leichtes Opfer gefunden.«

»Ein Drache zum Spionieren?«, fragt Laleh. »Geht das nicht sehr viel diskreter? Ein gefesselter Drachenwandler im Wald wirft doch auf jeden Fall Fragen auf.«

»Vergiss nicht, es war Haemokinese, die dich im Red Dot aufgehalten hat«, erinnert Kymo mich. »Blaze hat dir verraten, wie man sich gegen Blutmagie schützt. Wieso hätte er das tun sollen, wenn er ein Komplize ist?«

Jay verschluckt sich an seinem grünen Tee. »Man kann sich gegen Blutmagie schützen?«, röchelt er.

»Altes magisches Wissen. Irgendeine Blume.« Ich lasse meinen Zeigefinger an der Schläfe rotieren. »Er wollte, dass ich mir sein Blut einflöße!«

»Er wollte was?!« Jay kriegt sich nicht mehr ein. »Das sind Dinge, die du mir erzählen musst! Nur weil ich ständig mit euch rumhänge, bin ich immer noch die Ratssicherheit.« Er knallt seinen S-Agenten-Ausweis auf den Tisch, streckt die Brust raus. Der Kimono rutscht von seiner linken Schulter. »Ich bin meinem Vorgesetzten verpflichtet. Ich habe Prinzipien. Meine Loyalität gilt –«

»Jay.« Kymos strenger Blick lässt ihn verstummen. Sie schiebt ihm seinen Ausweis entgegen und Jay nimmt ihn schmollend an sich, richtet seinen Kimono. »Lyssa, gibt es irgendetwas, das auf Blaze’ Mitschuld bei dem Attentat hinweist?«, fragt sie mich dann.

Wohl oder übel muss ich meinen besten Beweis für Blaze’ Schuld ausspielen. »Blaze hat mich geküsst, als ich dem Attentäter folgen wollte«, gestehe ich.

Es ist raus. Mein fataler Kuss. Heiß … aber fatal.

Laleh kippt fast vom Stuhl. Sie krallt sich in die Tischkante, in ihren Augen entfacht ein Buschfeuer. »Das …«, haucht sie, tastet nach ihrem Ventilator. »Das ist …« So wortkarg habe ich die Pyrokinetin selten erlebt. »O mein Gott«, flüstert sie, hält sich die Rotorblätter dicht vor die Nase.

»Du hast ihn geküsst?«, wiederholt Kymo schockiert.

»Er hat mich geküsst«, stelle ich richtig, damit hier nicht ein falscher Eindruck entsteht. »Okay, möglicherweise habe ich den Kuss erwidert, aber …«

»Ich fasse es nicht«, wispert Laleh. Ihr feuriger Blick schweift über mich. »Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt, Lyssa. Du bist keine Musterakte. Du schleust Terroristen in die MCA und knutschst heimlich mit ihnen in dunklen Ecken!« Sie schüttelt den Kopf, greift in ihre Clutch und zieht einen weiteren Ventilator zu Tage. »Wie man sich doch täuschen kann.«

»Er hat mich verführt!«, behaupte ich nachdrücklich. »Damit ich die Spur nicht aufnehme. Klar, er streitet es ab, aber –«

»Ist er ein guter Küsser?« Laleh hängt gebannt an meinen Lippen.

Für den Bruchteil einer Sekunde spüre ich wieder Blaze’ warme Lippen auf meinen, seine magische Drachenhitze, die durch meine Adern rauscht, seine Finger, die zärtlich, aber zielstrebig meine Goldpailletten hinabstreichen …

»Er ist ein Terrorist!«, reiße ich mich selbst aus diesem Flashback.

»Ich will euch ja keine Angst machen«, wirft Jay ein, »aber höchstwahrscheinlich wird der Drache noch heute befragt werden. Ich will ungern von Folter sprechen … aber was ich heute Nacht im Gefängnis mitbekommen habe, ist unterste Schublade. Früher oder später werden sie aufdecken, dass wir ihm seine Erinnerungen bewahrt haben. Sie würden uns der Komplizenschaft anklagen. Um es zusammenfassend zu sagen: Wir wären geliefert.«

»Das kann ich mir nicht leisten!« Angst glimmt in Lalehs Augen. »Meine Eltern würden mich in meinen privaten goldenen Käfig sperren. Ich müsste unter meinem Vater arbeiten, auf irgendeiner langweiligen Ratsposition in der Abteilung für interspezifische Beziehungen.« Sie packt Jays Hand, krallt ihre Fingernägel in seine Haut. »Ohne mich!«, ruft sie panisch aus.

Der erfolgreiche und altehrwürdige Familienclan der Floquets wurde in Folge des letzten interspezifischen Krieges stark ausgedünnt und alle Hoffnungen auf eine strahlende Zukunft liegen nun auf Laleh. Wenn es nach Ratsdirektor Louis Floquet ginge, wäre sie die nächste Ratspräsidentin. Nicht gerade Lalehs Traumjob. Sie sagte mir einmal, wenn sie jemals Königin der Welt werde, dann in einem Hollywood-Streifen, mit Megan Fox an der Seite und in einem Kleid von Top-Designerin Stella Ferrari.

»Er wird nicht aussagen«, beruhige ich sie. »Er besitzt eine Giftkapsel, sollte es zur Befragung durch die MCA kommen.«

»Krass«, flüstert Jay.

»Das ist ja grauenvoll«, wimmert Kymo.

Ich knalle die schriftliche Erlaubnis auf den Tisch, um dieser Diskussion ein Ende zu setzen. »Blaze’ Leben liegt in unseren Händen. Wir müssen jetzt eine Entscheidung fällen.«

»Das ist mir eindeutig zu viel Verantwortung.« Laleh zieht eine Klappbürste aus ihrer Clutch, öffnet ihren Dutt und beginnt, ihr haariges Wirrwarr zu entknoten. »Ich habe nicht geduscht und nicht geschlafen. Ich miefe, sehe aus wie aus der Gosse gezogen. Wie soll ich da eine Lebensentscheidung fällen?« Geronnenes Blut rieselt auf den Tisch. »Macht ihr das. Ich schließe mich der Mehrheit an. Steht es unentschieden, halte ich zu dem Drachen. Er hat so süße Grübchen.« Sie bohrt lächelnd einen Finger in ihre Wange. »Da werde ich schwach.«

»Bei einer Entscheidung zwischen Leben und Tod wähle ich immer das Leben«, gibt Kymo ihre Stimme ab. »Jemandem den Tod zu wünschen, beeinflusst das Karma. Und Blaze hat mir das Leben gerettet. Ich schulde ihm nun seines. Ich bin da parteiisch. Sorry, Lyssa.«

Ich seufze und sehe hoffnungsvoll zu Jay – meinem letzten Felsen in der Brandung. »Blaze könnte uns Antworten auf unsere Fragen geben, Jay. Aber tue ich das Richtige, wenn ich ihn befreie?«

»Denkst du, er wird reden?«, entgegnet Jay. »Du sagtest, er hat eine Giftampulle.«

»Er spricht oder er stirbt«, sage ich mit fester Stimme.

»Du klingst sehr hart, Lyssa.« Kymo legte ihre Hand auf meine, ihre Augen voll Sorge. »Er hat dich verletzt, das verstehe ich, aber –«

»Lewis hat uns erwischt«, platze ich heraus. »Er hat unseren Kuss gesehen.« Schon wieder spüre ich, wie Tränen in mir aufsteigen. Seit wann bin ich eigentlich so nah am Wasser gebaut?

»Scheiße«, flüstert Kymo und drückt mir vorsorglich ein Taschentuch in die Hand.

»Bei dir folgt echt ein Drama dem nächsten.« Lalehs Augen funkeln begeistert. Ihr scheint mein Leid große Freude zu bereiten. »Bin ich froh, dass wir uns auf der Harbour Bridge besoffen haben und ich fast in den Tod stürzte. Ohne dich wäre mein Leben das reinste Ödnis-Fest.«

»Jay?«, bitte ich ihn verzweifelt nach seinem Urteil.

Er greift nach der schriftlichen Erlaubnis. »Wir führen die Befragung gemeinsam durch. Egal, welche Entscheidung wir treffen, ich stehe hinter dir. Ich werde dich nicht einbuchten.« Er grinst frech, zwinkert mir zu. »Versprochen.«

Ich lächle dankbar. »Danke, Jay.« Ich erhebe mich, will es hinter mich bringen.

»Bevor ihr geht«, hält Kymo uns auf, deutet auf Lalehs Gerätesammlung. »Bei all den Geheimnissen, die wir zu bewahren haben, benötigen wir Sicherheitsvorkehrungen.«

Ich ziehe das alte Nokia aus meinem Ausschnitt, das ich soeben an der Metrostation erstanden habe. »Für private Zwecke werde ich nur noch dieses hier verwenden«, erkläre ich meinen Freunden. »Eine SIM-Karte gab es dazu. Bekommst du für ein paar Dollar. Aber tragt nicht eure Warnschilder vor dem Verkäufer. Haltet euch bedeckt.«

»Du spinnst wohl!« Entsetzt blickt Laleh auf das in die Jahre gekommene Handy. Im Gegensatz zu dem von Blaze hat es sogar ein recht anschauliches Display mit Touchscreen. »So ein Ding kommt nicht in meine Hand!« Hektisch blickt sie sich um, als würde jeden Moment ein Paparazzo hinterm Sofa hervorspringen. »Wenn mich jemand sieht!«

»Ich werde deine Geräte absichern«, bietet Kymo ihr an, greift nach Lalehs rotem Privathandy.

»›Vertraue niemandem‹«, erinnere ich meine Freunde. »Unser Boss würde nie so etwas schreiben, wenn da nicht was ganz Übles im Hintergrund abläuft.«

»Aber … uns können wir vertrauen, oder?«, fragt Kymo vorsichtig und sieht in die Runde.

»Ich verspüre zwar ab und an den Drang, einen von euch in Flammen zu setzen«, Laleh deutet dabei mit ihrem Zeigefinger auf mich, »aber eine Terroristin bin ich nicht.«

»Ich bin ein Mensch«, meldet Jay sich zu Wort. »Ich wäre in dieser Konstellation das erste Opfer.«

»Wir können uns immer vertrauen.« Ich greife nach Kymos und Lalehs Händen. Die anderen folgen meinem Beispiel, bis wir andächtig im Kreis Händchen halten. Ich käme mir albern vor, doch der Ernst der Lage drängt sich uns auf, als im Hintergrund die Stimme der Legacy-Führerin ertönt.

»… ihr seid unsere nächste Zielscheibe. Ihr wurdet gewarnt.«

Kapitel 3

NUR EINE DUMME WETTE

»Ich habe ein Date mit dem Drachenwandler.«

Schwungvoll knalle ich Bob die schriftliche Erlaubnis aufs Pult. Der staunt nicht schlecht. So viel formale Korrektheit ist er von mir nicht gewohnt. Mehrfach wendet er das Blatt, prüft Unterschrift und Siegel mit einem speziellen Stift, der Fälschungen sichtbar macht.

»Bob, komm schon.« Jay beugt sich über das Pult, schenkt dem Gefängnisleiter ein sonniges Lächeln, dem niemand etwas abschlagen möchte. Seine Locken sind noch nass vom Duschen und tropfen auf die Erlaubnis. »Wir haben alle viel zu tun.«

Wie um seine Worte zu bekräftigen, bricht Tumult hinter uns aus. Ein Katzenwandler, dem vor Angst Ohren und Schwanz gewachsen sind, wird durch eine Hintertür eingeliefert. Die Brutalität der Ratssicherheit ist mir nicht neu, aber als ein S-Agent ihm einen Eisenstock über den Kopf zieht und der Wandler bewusstlos zusammensackt, bin ich drauf und dran einzugreifen. Leider ahnt Jay, was ich vorhabe, und legt vorsorglich seine Finger um mein Handgelenk.

Bob seufzt aus tiefster Seele und reicht mir das feuchte Schreiben zurück. »Ich hoffe sehr, dass heute einige von ihnen in andere Gefängnisse ausgeflogen werden.« Er deutet auf die Monitore in seinem Rücken. Volle Zellen, wohin man schaut. »Sonst müssen wir anbauen.«

Jay zieht mich hinein in den emsigen Gefängnistrakt. Es stinkt nach Desinfektionsmittel, Blut und ekelhaftem Knastessen. Überall rasseln Ketten, Gittertüren werden zugeschlagen, ein monotones Stimmengemurmel verdrängt die übliche Stille. Je tiefer wir in das kalte Betonlabyrinth vordringen, desto schneller pocht mein Herz. Ich war mir sicher, ich würde Blaze nie wiedersehen. Meine Wut und meine verletzten Gefühle haben mir die nötige Entschlossenheit gegeben, ihn zurückzulassen. Doch ich kann mir so oft sagen, dass er ein Mörder und Betrüger ist, bis sich meine Gedanken verknoten – mein Herz will es nicht verstehen.

Ich setze einen Fuß vor den anderen, folge Jays forschen Schritten, während mein Herz und mein Verstand einen Kampf ausfechten. Der Sieger steht längst fest. Aber irgendwann in ferner Zukunft, wenn die Welt in Drachenflammen steht und ich an diesen schicksalhaften Moment zurückblicke, will ich mit reinem Gewissen sagen können, dass ich gekämpft habe. Und verloren.

Am Eingang des Korridors zu den Legacy-Verdächtigen werden wir von einigen schwerbewaffneten S-Agenten aufgehalten. Die Zahl der Wachen hat sich seit dem Angriff der Windfeen verdreifacht, den ich zu verschulden habe. Jay erledigt das Formelle für mich, während die Schlacht in mir andauert.

BLAZE IST EIN TERRORIST. ER IST BÖSE. ER IST –

Was, wenn er die Giftampulle bereits genommen hat?

Angst schnürt mir den Hals zu, während wir Blaze’ Zelle immer näherkommen. Ich reiße mich zusammen und setze mein seriöses und superernstes Arbeits-Poker-Face auf. Ich bin eine MCA-Agentin. Er ist ein Verdächtiger. Dies ist mein Job. Er ist mein Job. Eine lästige Aufgabe, die ich hinter mich bringen muss.

Seine Zelle kommt in mein Sichtfeld und ich öffne das komplizierte Eisenschloss mit meiner Magie, schiebe jeden Bolzen einzeln zurück. Gut geölt schwingt die Gittertür auf. Jay überlässt mir den Vortritt und ich schreite energisch auf die Öffnung zu. Dort angekommen, verschränke ich die Arme vor der Brust und drehe mich herum. Leider trifft mein dramatischer Killer-Blick nur auf tiefe Finsternis. Blaze ist ein Schatten in der Dunkelheit.

So kann ich nicht arbeiten. Ich taste nach dem Lichtschalter und die Leuchtröhren an der Decke gehen flackernd an. Blaze’ schwarzgelockter Kopf hebt sich ruckartig von den Knien. Orientierungslos blinzelt er in die Helligkeit. Mir entgeht nicht, dass sich seine Finger den linken Arm hinabtasten und unter den Eisenring schieben. Es ist nicht seine typische Kratzbewegung. Ich bin mir sicher, dort sitzt die Giftampulle.

Wenn er sie jetzt nimmt, stirbt er vor meinen Augen.

Ich kann mich gerade noch davon abhalten, mich auf ihn zu stürzen. Soll er sie nehmen. Er hat es verdient.

Nachdem der erste Moment der blinden Desorientierung verflogen ist, huscht Überraschung über Blaze’ Gesicht. Seine finsteren Augen inspizieren mich mit gewohnter Gründlichkeit. »Das habe ich –«, beginnt er, unterbricht sich jedoch, als er Jay hinter mir sichtet. »Ist dies eine offizielle Befragung?«, fragt er mit deutlich veränderter Stimme. Abgeklärt. Hart.

»Nein«, antworte ich knapp. Wir treten in die Zelle und Jay schließt die Tür hinter uns, während meine Magie die Umgebung auf Überwachungskameras absucht. Wachsam folgen Blaze’ Augen unseren Bewegungen. Ich halte so viel Abstand zu ihm, wie es diese Zelle erlaubt, um meinen Hormonen gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, mich zu hintergehen.

Ein Sammelsurium an Fragen schwirrt durch meinen Kopf. Ich beginne mit jener, die das Schlachtfeld in meinem Innersten am stärksten entbrannt.

»Hast du je getötet?« Meine Worte hallen in der kargen Zelle wider und mit einem Mal fürchte ich mich so sehr vor der Antwort, dass mir kotzübel wird.

Blaze schüttelt entschieden den Kopf. »Nein.«

»Warst du je mitschuldig an einem Mord?«, setze ich gleich nach, um es hinter mich zu bringen.

Gib mir etwas, um dich zurückzulassen und diese ganze leidige Sache hier zu verkürzen. Damit ich abschließen kann. Damit mein Gewissen rein ist. Mein Herz wird sich schon wieder zusammenraufen.

»Nicht wissentlich.« Blaze wählt seine Worte mit Bedacht. Ich muss aufpassen. Er kennt alle Tricks, wie man die Wahrheit verschleiert.

Tief sehe ich in seine düsteren Augen. Leider fällt es mir nun noch schwerer, die knallharte Agentin zu geben. »Warst du ein Komplize beim Attentat auf das Red Dot?«, frage ich.

»Nein.«

»Wusstest du von dem Attentat?«

»Nein.«

Seine Antworten kommen, ohne zu zögern. Ein professioneller Lügner. Was ich hier tue, ist sinnlos. Ich bin nicht Mister Anderson. Ich bin keine Telepathin. Mein Kopf kann ihm nichts entgegensetzen. Und mein Herz glaubt ihm blind.

»Hast du uns ausspioniert?«

»Nein.«

Mein Puls klettert in die Höhe. »Kannst du auch etwas anderes sagen als ›Nein‹?!«, fahre ich ihn wütend an. »Ist irgendetwas von dem, was du sagst, wahr?«

»Lyssa.« Jay legt beschwichtigend eine Hand auf meine Schulter.

Ich atme tief durch. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht die Nerven zu verlieren. Widerstrebend trete ich einen Schritt näher und hocke mich vor Blaze nieder. Sein Blick folgt mir, als wäre er an mir festgeklebt. Der Drache riecht nicht mehr nach Zimt und Weihnachten, sondern nach Blut und Knast. Also besteht für meine Hormone auch keine Veranlassung, durchzudrehen. Ich sehe geradewegs in seine pechschwarzen Augen, die geradezu dafür gemacht sind, Geheimnisse zu beherbergen.

Leider spiegle ich mich darin.

»Wieso bist du hier?« Ich muss mich zwingen, mich von meinem irritierenden Spiegelbild in seinen Augen nicht abzuwenden. »Ich will keine Lügen und keine Halbwahrheiten«, erkläre ich ihm. »Wenn du schweigst, gehe ich. Und diesmal werde ich nicht wiederkommen.« Seine schwarzen Murmeln tauchen für einen winzigen Augenblick ab, als er blinzelt. Dieses stinknormale Lebenszeichen bringt mich aus dem Konzept und eine Bewegung lässt mich nach unten blicken. Seine Finger verharren noch immer unter dem Eisenring. »Leg deine Hände dorthin, wo ich sie sehen kann«, verlange ich.

Nur zögerlich gehorcht er meinem Befehl, ist einen Moment unschlüssig und legt seine Hände schließlich auf den Knien ab. Ich fühle mich in seine Fessel ein, schmiege das Metall eng um sein Handgelenk. So eng, dass kein Windhauch mehr zwischen Haut und Eisen kommt.

Nach deiner Giftampulle kannst du jetzt lange kratzen.

»Ich höre«, sage ich ungeduldig. »Wieso bist du hier, John?«

Eine Weile noch erwidert er meinen Blick, bis er sich mit einem leisen Seufzer gegen die Betonwand lehnt und die Augen schließt. Dunkle Ringe liegen darunter. Er wirkt sichtlich ermattet. Die Kratzspuren an seinem Hals sind eindeutig entzündet, ein blutiger Riss zieht sich über seine linke Wange und seine Lippen sind ausgetrocknet. Wahrscheinlich ist er stark dehydriert. Kein Wunder. Das Wasser hat er nicht angerührt und nachdem er gestern Nacht das erste Mal in seinem Leben Alkohol getrunken hat, muss er einen Kater haben, der sich gewaschen hat.

Doch ich habe kein Mitleid mit ihm.

»Es war eine Wette«, flüstert er kaum hörbar.

Ich muss mich wider Willen vorlehnen. »Wie bitte?«

Er schluckt trocken und schiebt seine Finger unter den Halsring. »Ich wusste nichts von dem Anschlag«, beginnt er mit rauer Stimme. »Ich weiß gar nichts.« Er hebt so schwerfällig die Lider, als wären sie aus Blei. Seine Augen wirken nun weniger geheimnisvoll als unendlich müde. Ein paar Funken tanzen darin, wie eine weit entfernte Galaxie aus roten Planeten. »Es war eine dumme Wette unter Kameraden, die ich verloren habe. Nie hätte ich gedacht, dass mir tatsächlich die Flucht gelingt …« Mit einem freudlosen Lachen schüttelt er den Kopf. »Ich bin durch einen Luftschacht raus und fand mich im Wald wieder, hatte keine Ahnung, wo ich bin. Ich war noch nie zuvor in dieser Welt. Aber ich wollte auch nicht zurück und mich stellen. Ich dachte, wenn ich schon draußen bin …« Er schielt sehnsüchtig zu der Wasserschale. »Ich bin gerannt, ohne zu wissen, wohin. Ich war am Ende meiner Kraft, hatte Durst und das Eisen …« Er atmet angestrengt ein. »Dort, wo ich herkomme, kriege ich Medikamente gegen die Allergie. Mein Körper wollte wandeln und dann …«, sein Blick kommt auf mir zu erliegen, »… hat mich eine MCA-Agentin gefunden.«

Ich starre auf seine Lippen, während mein Gehirn das Gesagte verdaut. Die Stille zerrt an meinen Nerven. Schließlich beugt Jay sich zu mir. »Ehrlich, Lyssa, wer kann sich so eine bescheuerte Geschichte ausdenken?«, raunt er mir zu.

»Ich bin nicht im Auftrag draußen«, fährt Blaze fort, als ich noch immer stumm bleibe. »Ich kenne die konkreten Pläne der Führung nicht. Weder wusste ich von dem Anschlag im Red Dot noch war mir die Sirene bekannt.« Die letzten Worte spricht er mit mehr Kraft und sein Blick wird tiefer, sucht in meinen Augen nach einer Reaktion. Nach Verständnis. Ich weiß, was er mir mitteilen möchte. Und ich will es ihm glauben. Will glauben, dass der Kuss wirklich nur ein Kuss war und kein Ablenkungsmanöver. Leider ist mein Herz, wenn es um ihn geht, ein schlechter Ratgeber.

»Zu welchem Zeitpunkt ahntest du, dass es ein Attentat von Magic Legacy ist?«, mache ich mit der sachlichen Befragung weiter.

»Als ich die Eisennägel sah.« Blaze tastet nach der Wasserschale, zieht seine Hand aber wieder zurück, ehe seine Fingerspitzen den Rand erreichen. Glaubt er, es wäre Gift? »Es ist die erste Phase«, fügt er hinzu.

»Die erste Phase?«, hakt Jay nach.

»Bekämpfe diese fehlgeleitete Welt mit ihren eigenen Waffen«, antwortet Blaze, wie aus der Pistole geschossen. »Menschenwaffen.«

»Und wie lautet die zweite Phase?«, erkundigt Jay sich.

Ich bin erleichtert, dass er die Befragung übernimmt. Denn ich kann noch immer nicht so ganz begreifen, was Blaze uns hier brühwarm serviert – und ob ich ihm glauben soll.

»Bekämpfe die Unbeugsamen mit der mächtigsten Waffe im Universum.« Blaze spricht diese Worte wie ein Gebet, als habe er sie sein Leben lang aufsagen müssen. »Der Magie.«

»Und gibt es eine dritte Phase?«, frage ich, auch wenn ich die Antwort fürchte.

»Die dritte Phase bin ich.«