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Beschreibung

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Tiroler Grauviehzuchtverbandes widmen die Ötztaler Museen eine Sonderausstellung dem Thema Viehwirtschaft und Viehzucht – mit Schwerpunkt auf dem Tiroler Grauvieh als Beispiel für eine seltene Nutztierrasse und deren Bedeutung. Begleitend erscheint der Sammelband "Viech".

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Seitenzahl: 339

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Viech

Viech

Vom Grauvieh und anderen Weidetieren

Edith Hessenberger (Hg.)

 

Wir danken den Unterstützern: Tiroler Grauviehzuchtverband, Amt der Tiroler Landesregierung – Abteilung Kultur, Gemeinden Längenfeld, Oetz, Sautens, Sölden, Umhausen, Tourismusverband Ötztal, Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, Raiffeisenbanken Ötztal

© 2024 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.studienverlag.at

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7065-6415-1

Herausgeber der Ötztaler Museen Schriften: Ötztaler Museen, MMag. Dr. Edith Hessenberger, Lehn 23b, 6444 Längenfeld

Umschlaggestaltung: Maria Strobl, www.gestro.at

Vor- und Nachsatz: Collage von Maria Strobl anhand von Zeichnungen aus der Sammlung der Ötztaler Museen

Umschlagabbildung: Auf der Grauviehausstellung in Längenfeld 1985, Fotografie von Josef Öfner

Bildrechte Innenteil: Siehe Bildverzeichnis Seite 289

Grafik und Satz: Maria Strobl · www.gestro.at

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

Inhalt

Warum Viech?

Edith Hessenberger

Auf Fährtensuche nach dem historischen Zusammenleben mit dem Vieh auf Tiroler Bauernhöfen

Maria Heidegger

„vom Vieh bezieht der Bauer einen großen Theil der zur Ernährung und Bekleidung seiner Hausgenossen erforderlichen Stoffe“

Nadja Neuner-Schatz

Adolf Trientl – Ein Ötztaler reformiert die Landwirtschaft in Tirol

Wolfgang Santer

Rind, Schaf, Geiß und Mensch – Aspekte traditioneller Berglandwirtschaft im Ötztal

Edith Hessenberger

Vieh und Kulturlandschaft – Spuren der Viehwirtschaft am Beispiel historischer Zaunformen im Ötztal

Angelika Neuner-Rizzoli

Ein Leben für die Grauen – Lebensgeschichten rund ums Tiroler Grauvieh

Edith Hessenberger

Tiroler Grauvieh – zwischen Tradition und Innovation: Neue Wege traditioneller Wirtschaftsweisen

Rudolf Hussl

100 Jahre Tiroler Grauviehzuchtverband

Raphael Kuen

Die Zukunft des Grauviehs

Sandro Gstrein

Bildverzeichnis

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Literaturverzeichnis

Stalltüre in Längenfeld, 1970er Jahre

Fotografische Detailstudie eines Grauvieh-Rindes

Warum Viech?

Edith Hessenberger

Die Verbindung von Tier und Mensch ist alt. Erst sie ermöglichte den Menschen die Erschließung des Alpenraumes, und sie ist seither die Grundlage seiner jahrtausendelangen Bewirtschaftung. Spuren der Viehwirtschaft begleiten die ältesten menschlichen Spuren in Tirol. Natürlich war diese Verbindung keine Beziehung auf Augenhöhe, sondern Tiere wurden von den Menschen genutzt und in jüngster Geschichte auch ausgebeutet.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund werden Mensch-Tier-Beziehungen heute angesichts der rasanten Industrialisierung der Landwirtschaft während der vergangenen zwei Jahrhunderte und besonders ihrer extremen Ausformung als Tierfabriken intensiv diskutiert. Fragen rund um Tierhaltung und Tierwohl, rund um die Nutzung von Tieren an sich, Fragen rund um Hierarchien zwischen Haus-, Nutz- und Wildtieren (nicht zuletzt: Beutegreifern) und deren Rechte werden in unserer postmodernen Gesellschaft ständig neu verhandelt. Die Emotionalität dieser Diskussion und ihre vielen Spielarten zeigen, dass Mensch-Tier-Beziehungen auch nach mehreren Jahrtausenden ein zentrales Thema unserer Gesellschaft sind. Dieser Sammelband möchte diese aktuellen Fragen weder umfassend abbilden und er kann sie schon gar nicht beantworten. Es soll aber aufgezeigt werden, welchem Wandel Viehwirtschaft unterworfen ist und vor welchem Hintergrund sich Menschen positionieren, die täglich mit Tieren arbeiten – und die ihren Beruf in den meisten Fällen von vorhergehenden Generationen geerbt haben.

Die Viehwirtschaft war bis vor wenigen Jahrzehnten die zentrale Wirtschaftsweise in alpinen Tälern und auch im Ötztal. Ein Ötztaler Regionalmuseum kann zur Geschichte der Mensch-Tier-Beziehungen aus vielfältigen regionalen Quellen und Objekten schöpfen, bestimmte die Symbiose von Tier und Mensch doch die Organisation des Alltagslebens und auch die Lebensqualität. Im Zentrum dieser Symbiose standen vor allem Rinder, Schafe, Ziegen – kurz „das Viech“. Wiewohl einige Wörterbucheinträge dem Begriff „Vieh“ eine abwertende Bedeutung attestieren, stellt sich der Blick auf die sogenannten Nutztiere aus ländlich-bäuerlicher Sicht nicht negativ dar. Zahlreiche historische Quellen und über 20 Interviews mit Menschen, die ihr Leben lang mit Kuh, Schaf, Geiß gearbeitet haben, verdeutlichen vielmehr Hingabe und großen Respekt ihren Tieren gegenüber. Der Begriff „Viech“ ist in allen Tiroler Mundarten fest etabliert und keineswegs negativ konnotiert. Es handelt sich hier vor allem um eine neutrale Sammelbezeichnung über die oben genannten Gattungen. Nicht zuletzt tragen Rassen wie das „Tiroler Grauvieh“ das Wort „Vieh“ auch im Namen. Aus diesem Grund erheben sowohl der vorliegende Band als auch die begleitende Ausstellung im Stall und Stadel des Ötztaler Heimatmuseums 2024 das Mundartwort „Viech“ zum Programm.

Partner dieses Projekts ist der Tiroler Grauviehzuchtverband, der 2024 sein 100-jähriges Bestehen feiert. Das Grauvieh hat im Ötztal Tradition, und dazu ist die Region über die Bemühungen der Obergurgler Familie Scheiber, allen voran des Angelus Scheiber (1891–1988) und des Erich Scheiber (*1931), eng mit dieser Rasse verbunden. Vater und Sohn stellten zusammen 75 Jahre lang den Obmann des Grauviehzuchtverbandes. Eine Kooperation im Rahmen eines Jubiläumsprojektes wurde angedacht – und liegt nun mit diesem Buch vor. Der Blick auf das Grauvieh (und andere Weidetiere) sowie die Menschen dahinter und ihr Zusammenleben macht einen wesentlichen Teil dieses Sammelbandes aus. Besonders in der ersten Hälfte des Buches stehen kulturhistorische Aspekte der Viehzucht im Vordergrund. Hier liegt der regionale Fokus auf dem Ötztal, wobei zahlreiche Fragen mit Blick auf das Tiroler Oberland oder sogar das gesamte Bundesland Tirol hin betrachtet werden. In der zweiten Hälfte des vorliegenden Bandes verändert sich der Standpunkt – und damit auch die Sprache: Hier sprechen die Züchter, über ihre Leidenschaft und ihr Metier. Diese beiden Perspektiven auf Weidetiere, nämlich eine kritisch-kulturhistorische einerseits und eine landwirtschaftlich-züchterische Perspektive andererseits, begegnen sich im vorliegenden Buch, ergänzen sich und stehen mitunter im Widerstreit. Mensch-Tier-Beziehungen werden in unserer Gesellschaft aktuell neu ausverhandelt und vieles ist in Bewegung – das macht das Schlusswort des Geschäftsführers des Tiroler Grauviehzuchtverbandes Sandro Gstrein deutlich.

Doch bis dorthin: Was erwartet die Leserschaft in diesem Buch konkret? Der vorliegende Sammelband nähert sich dem Thema „Viech“ zunächst historisch. Maria Heidegger begibt sich auf „Fährtensuche nach dem historischen Zusammenleben mit dem Vieh auf Tiroler Bauernhöfen“ und geht dabei einige Jahrhunderte in die Geschichte des Tiroler Oberlandes zurück. Sie macht deutlich, wie eng das Leben von Mensch und Vieh mit einander verknüpft war und welch dramatische Folgen diese Verbindung in Krisen oder Seuchenfällen hatte.

Die Kulturwissenschaftlerin Nadja Neuner-Schatz schließt an Maria Heideggers Ausführungen an. Sie rückt die jüngere Geschichte der Viehzucht sowie Fragen rund um die Organisation von Landwirtschaft im ausgehenden 19. und besonders im 20. Jahrhundert in den Fokus.

Chronist Wolfgang Santer aus Sölden beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der insbesondere für die Landwirtschaft wichtigen Persönlichkeit des Adolf Trientl (1817– 1897), der in Oetz geboren und mehrere Jahre Kurat in Obergurgl war. Als Wissenschaftler erarbeitete er umfangreiche Schriften zur Viehhaltung, über deren wichtigste Positionen Wolfgang Santer einen Überblick gibt.

Museumsleiterin Edith Hessenberger schließt mit praktischen Beispielen aus dem bäuerlichen Alltag im 20. Jahrhundert in der Region Ötztal an. Sie zeigt anhand von lebensgeschichtlichen Erzählungen den Wandel der Arbeit in den Ötztaler Ställen, auf den Weiden und Almen auf. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stehen dabei Rinder, Schafe und Geißen.

Volkskundlerin und Geografin Angelika Neuner-Rizzoli schlägt in ihrem Beitrag die Brücke von der Viehhaltung hin zur Kulturlandschaft. Wichtige Elemente sind hier die Zaunlandschaften, die – wie vieles andere – im 20. Jahrhundert einem enormen Wandel unterworfen waren.

Im zweiten Teil des Buches wird insbesondere die Geschichte des Grauviehs und des Grauviehzuchtverbandes in den Mittelpunkt gerückt. Edith Hessenberger stellt zunächst kurz 10 interessante Persönlichkeiten aus dem Bereich der Grauviehzucht vor.

Der jüngst pensionierte Tierzuchtdirektor Rudolf Hussl setzt mit einem Überblick über die Geschichte der Rasse sowie ihrer Zuchtorganisation fort. Er zeichnet nach, wie sich das Zuchtprogramm im Laufe der Zeit verändert hat, und gibt einen Überblick über bisherige Zuchterfolge.

Abb. 1: Schaftrieb aufs Niederjoch bei Vent, 1950er Jahre

Sandro Gstrein als Zuchtleiter und Geschäftsführer der ARGE Tiroler Grauvieh und Raphael Kuen als sein Vorgänger (bis 2022) blicken zunächst auf die vergangenen 100 Jahre Grauviehzuchtverband zurück, um abschließend einen Ausblick zu wagen – und nicht zuletzt auch Wünsche für die Geschicke der Landwirtschaft, die Viehzucht und das Grauvieh selbst zu formulieren.

„Eine Alpenhirtin, Senninn, aus dem Oetzthale in Tirol“, Genredarstellung von Josef Anton Kapeller, um 1800

Auf Fährtensuche nach dem historischen Zusammenleben mit dem Vieh auf Tiroler Bauernhöfen

Maria Heidegger

Einleitung

Kurz vor Weihnachten im Jahre 1782 begab sich die unverheiratete Bauerntochter Johanna Scheiber aus Längenfeld im Ötztal wie an jedem anderen Tag zur Arbeit in den Kuhstall. Dort, so geht die Geschichte, fuhr plötzlich ein höllischer Geist, der sich selbst Mittagsteufel nannte, in ihren Körper. Damit nicht genug, auch dessen zahlreiches Gefolge ergriff von ihr Besitz, ja von 100 Millionen Dämonen war die Rede. Dieser unheimliche und gewaltvolle Überfall soll – wie später anlässlich eines im Mai 1783 von Augustinermönchen in Seefeld durchgeführten Exorzismus an Johanna Scheiber gemutmaßt wurde – durch „Ansteckung“ durch das Vieh erfolgt sein, welches schon zuvor mit „verschiedenen Anfällen bekränkt“ gewesen sei.1 In einer anderen Version sah die 15-jährige Johanna, als sie in den Stall mit den erkrankten Tieren kam, „schwarze, verhexte Katzen und ähnliches Geziefer“, sodass auch sie erkrankte.2

Zugegeben: Der Fall der Johanna Scheiber – kolportiert von einem gegenüber der angeblichen Besessenheit durch den Teufel und den bizarren Exorzismus-Praktiken der Seefelder Mönche skeptischen Aufklärer – ist auf den ersten Blick ein seltsam wirkender Einstieg in ein Kapitel, das sich aus der Perspektive einer Sozialhistorikerin der Viehhaltung im vormodernen Tirol widmet und dabei einen speziellen Blick auf Oberinntaler und Ötztaler Verhältnisse werfen möchte. Doch gerade die Außergewöhnlichkeit des Vorfalls im Längenfelder Kuhstall anno 1782 lenkt den Blick auf die „verborgene Welt bäuerlicher Gefühle“, eine Welt, die sich, wie dies die brillante Historikerin Natalie Zemon Davis vor 40 Jahren formulierte, im Alltag verflüchtige.3 Auf den zweiten Blick werden in dieser merkwürdigen Geschichte äußerst brisante Aspekte in einer Geschichte dynamischer und vielfältiger Beziehungen zwischen Menschen und Tieren thematisiert. Sichtbar wird, was in den meisten Darstellungen über das Zusammenleben von Menschen und jenen Tieren, die als „Nutztiere“4 bezeichnet werden, allen voran die Rinder im Kuhstall, aber auch die Schweine, Schafe, Ziegen, Pferde und das Federvieh, fehlt. In den Blick gerät eine alltägliche Dimension von Geschichte, die über die Arbeit von Frauen, Männern und Kindern5 beim Melken, Füttern, Ausmisten oder Hüten hergestellt wurde, in der vielleicht die Sorge um die an einer Viehseuche leidenden Kuh das Gemüt erkranken ließ und in der zuweilen auch Tiere als Akteure6 auftreten. In ebendiesem Alltagszusammenhang waren Vorstellungen von gegenseitigen Ansteckungen mit Krankheiten und Dämonen plausibel und wurden als ebenso real ernst genommen wie die Infektion von Menschen und Tieren durch Contagien (ansteckende Keime) und Miasmen (krankmachende Stalldünste und Gerüche). Teuflische wie göttliche Mächte konnten beide, Tiere und Menschen, gleichermaßen beschützen und gefährden. Ängste vor Bedrohungen aus dem Tierreich, wie sie Olaf Briese in seinem Standardwerk über die Angst in Zeiten der Cholera beschreibt,7 bezogen sich in dieser vergangenen Welt auch auf die Grenzziehungen zwischen Tieren und Menschen. Sie äußerten sich beispielsweise als Angst vor dem Tier-Werden als Folge eines Bisses von einem tollwütigen Tier oder auch durch eine Einimpfung der von der Kuh gewonnenen Schutzpocken. So zählte der als heiligmäßig verehrte Pfarrer von Fließ, Simon Alois Maaß (1758–1846), zu jenen Geistlichen, die solche Ängste zu schüren wussten.8 Während die meisten Seelsorger die sanitätspolitischen Bemühungen, alle Kinder mit diesen Schutzpocken zu impfen, unterstützten, blieb der Pfarrer von Maaß skeptisch. Er war der Ansicht, „dass dadurch das Thierische dem Menschen beigemengt werde“ und sich in der Folge die Vergehen gegen das Keuschheitsgebot häufen würden.9 Gefühle im Zusammenleben mit Tieren sind aber erst in den letzten Jahren in den Blick der Geschichtswissenschaft gerückt. Die Bandbreite dieser Gefühle ist groß, es geht um Tierliebe und Grausamkeit, um Ängste und existenzielle Sorgen, auch um den Stolz der Züchter.10

Der hiermit aufgespannte Bogen ist weit und es lassen sich nur wenige Aspekte auf den folgenden Seiten beleuchten.11 Auch steht die historische Forschung zu Mensch-Tier-Beziehungen im Alpenraum erst am Anfang und für eine fundierte Einordnung der hier angeführten Quellenbeispiele in die regionale Wirtschafts- und Sozialgeschichte12 müssten zuvor noch viel mehr Recherchen betrieben werden. Mittels eines exemplarischen Zugriffs auf die Geschichte der Rinder, Ziegen, Schafe, Schweine und Pferde in Tiroler Ställen auf der Grundlage ausgewählter Archivquellen können hierfür Impulse gegeben werden. Der zeitliche Rahmen ist weit gesteckt, vom Mittelalter bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert. Der Beitrag von Nadja Neuner-Schatz, der schwerpunktartig die weitere Entwicklung ab den 1880er Jahren umreißt und insbesondere die Rinder im Ötztal thematisiert, bildet eine Fortsetzung zu dieser Annäherung an die Geschichte der Tier-Mensch-Beziehungen in Tirol.

Abb. 1: Votivtafel aus dem Ötztal von Josef Anton Stecher13

Auf Fährtensuche ins Archiv

„Oft ist das Leben von Menschen und Tieren nur durch eine dünne Wand geteilt“, schreibt der deutsche Historiker Ulrich Raulff, „man hört einander essen und sprechen, man riecht einander und verjagt dieselben Fliegen.“14 Man könne aber eine Geschichte der Tiere nicht vom Stall aus schreiben, „sondern immer von der Bibliothek her“.15 Die Fährtensuche muss in der Folge jedoch auch ins Archiv führen, um neue Spuren zu entdecken. Dabei werden alle Quellen – in Bibliotheken, Archiven, historischen Zeitungen und Bilddatenbanken – erst durch die Fragen, die wir an sie richten, zu solchen. Und diese Fragen an die Geschichte des Lebens mit Tieren stellen sich aus unserem Gegenwartsinteresse neu und sie unterscheiden sich von jenen, die früher beispielsweise von Hermann Wopfner (1876–1963)16 und Otto Stolz (1881–1957)17 gestellt wurden, die für Tirol agrarhistorische Grundlagenarbeit geleistet haben. Beispielsweise registrieren wir gerade wegen der uns vertrauten Bilder des Tierleids infolge von LKW-Viehtransporten quer durch Europa eine Notiz in den Akten, wonach der oberste Landestierarzt im Jahre 1844 eine Anfrage eines in München gegründeten „Vereins gegen Tierquälerei“ an das Kreisamt Schwaz vom 17. Dezember 1843 betreffend die „Art des Kälbertransports“ zu behandeln hatte.18 Und die Pandemieerfahrungen der letzten Jahre haben unsere Sorge vor immer wieder neu auftretenden Zoonosen wieder virulent werden lassen, sodass die Medizingeschichte ein neues Interesse an historischen Tierseuchen entwickelt. Angesichts der Klimakatastrophe und den Begleiterscheinungen unserer Wohlstandsgesellschaft denken wir außerdem anders über den Fleischkonsum unserer Vorfahren nach. Die geschichtswissenschaftlichen Forschungsbereiche, die solche gegenwärtigen Debatten mit historischer Tiefenschärfe ausleuchten wollen, sind neben der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, insbesondere der Agrargeschichte, auch die Umweltgeschichte, die Animal History, die Emotionsgeschichte und nicht zuletzt die Medizingeschichte.

Der Vielfalt der Zugriffe und Fragen aus all diesen Forschungsbereichen steht jedoch ein Quellenproblem gegenüber. In den Archiven lassen sich zwar wertvolle Daten recherchieren und vor allem für die Regionalgeschichte gibt es noch sehr viel Neues zu entdecken. Wir finden wichtige Hinweise auf unsere Fragen in offiziellen Tierstandzählungen, Dorfordnungen, Steuerkatastern und Abgabenverzeichnissen sowie auch in Polizei- und Sanitätsberichten der Landesregierung. Zugleich müssen wir uns jedoch bewusstmachen, wie lückenhaft und fragmentarisch dieses Quellenmaterial ist, wenn wir uns dem Zusammenleben von Tieren und Menschen in der Geschichte zuwenden wollen. Aktenkundig werden nämlich nicht Beispiele des alltäglichen Zusammenlebens, sondern eher Momentaufnahmen der besonderen Verletzlichkeit und Abhängigkeit in den Beziehungen zwischen Menschen und Tieren angesichts der immer wieder grassierenden Tierseuchen und Hungerjahre. Diese Quellen verdeutlichen, dass nicht nur die Ernährung, sondern auch die lokalen Ökonomien insgesamt in der Vergangenheit massiv von der Gesundheit der Stalltiere abhängig waren. Die Interventionen der Landesherren und Regierungen zielten entsprechend auf eine Regulierung des Viehhandels bzw. auf die Abhaltung oder das Verbot von Viehmärkten und die Fleischqualität wurde bereits im Mittelalter und nicht erst im 19. Jahrhundert zum Objekt obrigkeitlich angeordneter Hygienemaßnahmen. Tierärztliche Stallvisiten, Quarantäneverordnungen und Notschlachtungen avancierten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts angesichts der erschreckenden Nachrichten über die sogenannte „Rinderpest“ zum realen Schreckgespenst vieler Bauern.

Um mehr über das alltägliche Zusammenleben zwischen Tiroler*innen und ihrem „Viech“ in der Geschichte zu erfahren, sind wir aber auf zusätzliche Quellen angewiesen, etwa auf Mirakelbücher und Votivtafeln, die Natur und Mensch-Tier-Verhältnisse sowie den Glauben eindrücklich in Szene setzen – oder eben auf so eigenartige Geschichten wie jene der Johanna Scheiber, die, quasi gegen den Strich gebürstet, neu gelesen werden können.

Historische Tierspuren

Bis zum Jahr 1469 war der Kaplan von Umhausen für die Seelsorge im inneren Ötztal zuständig, erst danach wurden in Längenfeld und Sölden eigene Priester angestellt. Diese historische Abhängigkeit von der Seelsorgestelle in Umhausen war der Grund, weshalb die Gemeinde Längenfeld noch in den Jahrhunderten danach, also nach alter Gewohnheit, den sogenannten Jungetzehent, den zehnten Teil aller Jungen von einem Vieh, an den Kaplan von Umhausen abliefern musste.19 Wie muss man sich dieses jährliche Ereignis akustisch vorstellen, wenn die Bauern mit einem Lamm, einem quiekenden Ferkel oder einem Kalb das Pfarrwidum in Umhausen aufsuchten? Und wie einen Viehmarkt im frühneuzeitlichen Imst? Es handelte sich jedenfalls um eine Welt von Geräuschen und Gerüchen, die Menschen und Tiere teilten. „Tierspuren“ in dieser Geschichte sind aber nur in den von Menschen verfassten Quellen und Darstellungen erhalten.20 Das Vieh und insbesondere das Rind charakterisierte jedoch geradezu alle repräsentativen Landschaftsdarstellungen Tirols. Die Natur habe Nord- und Osttirol nämlich als Wald- und Grasland geschaffen, so Ferdinand Kaltenegger, der namhafteste Experte für die Tiroler Rindviehzucht am Ende des 19. Jahrhunderts, und weil die Natur dies also so vorgebe, stehe in Tirol neben der Holzwirtschaft die Viehzucht im Vordergrund und der Feldbau sei der Viehzucht „ganz und gar untergeordnet“.21 Kalteneggers Beitrag zum Band „Tirol und Vorarlberg“ des sogenannten Kronprinzenwerks, das – von Kronprinz Rudolf initiiert – in mehreren Bänden die Charakteristika eines jeden Landes der österreichisch-ungarischen Monarchie festzuhalten und auf diese Weise alle Völker friedlich in einem Kompendium zu vereinen versuchte, stellt das Rind in Wort und Bild geradezu in das Zentrum der Tiroler Agrarkulturlandschaft. Nicht ganz zu Unrecht. Die Rindviehhaltung hat zweifellos besonders tiefe Spuren hinterlassen und sich selbst in zahlreiche Ortsnamen eingeprägt, so etwa im Fall des 1288 erstmals urkundlich erwähnten Kühtai „Chutay“, was „Kuhalm“ bedeutet22 und auf einen Schwaighof der landesfürstlichen Grundherrschaft St. Petersberg Bezug nimmt, sowie im Fall des ebenfalls 1288 erstmals erwähnten „Oxengart“, Ochsengarten.23

Dort, auf den Schwaighöfen in Kühtai und Ochsengarten, wurden im Mittelalter genügend Kühe gehalten, um über die Selbstversorgung hinaus Abgaben an die Grundherren leisten zu können. Durchschnittlich belief sich aber der Viehstand der abgabepflichtigen Höfe in Tirol im Zeitraum zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert auf zwei bis zwölf Rinder.24 Auskünfte über solche Zahlen erlauben frühneuzeitliche Urbare – das sind grundherrschaftlich initiierte Verzeichnisse über Güter, Besitz und Einkünfte – sowie ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert auch Nachlassabhandlungen in den Verfachbüchern.25 Die Tiroler Landesordnung von 1532 schrieb nämlich im Rahmen von Nachlassabhandlungen Inventaraufzeichnungen vor. Solche Inventare sind genaue Aufstellungen von beweglichen und unbeweglichen Gütern – eine wichtige Quellenart für die materielle Geschichte –, die umfassend und besonders zahlreich aus dem 18. Jahrhundert erhalten sind.

Im Stift Stams wurde bereits im Jahre 1481 ein Inventar anlässlich eines Abtwechsels erstellt, aus dem hervorgeht, dass sich „im äußeren Maierhof 23 Ochsengespanne, 24 Stiere, 61 Kühe und 23 Kälber, 12 Pferde mit ihren acht Fohlen, 100 Schafe ohne die Lämmer und drei Ziegen, 10 Pferde für die Fuhrleute und Gespanne, drei zum Reiten und zwei Maultiere, 111 Schweine“ befanden.26 Im Zuge der Bauernaufstände des Jahres 1525 verweigerten die vom Kloster Stams als Grundherren abhängigen Bauern dem Stift nicht nur zwei Jahre lang den Zehent, sie plünderten, so heißt es in Lebersorgs Klosterchronik, auch den Stall und führten alle Tiere fort.27

Ein detailreiches und aussagekräftiges Beispiel eines bäuerlichen Inventars, in dem auch noch der momentane Geldwert für die Stalltiere registriert wurde, stammt aus dem Pustertal und datiert auf den 14. Dezember 1778. Nach dem Tod des Hofbesitzers Josef Oberlechner befanden sich in dessen Stall sechs „Melch Küee“ im Wert von 16 Gulden pro Kuh, in Summe also 96 Gulden, zwei „tragende Kalben“ im Wert von je 15 Gulden, zwei einjährige Kälber im Wert von 12 Gulden, vier halbjährige Kälber zu 20 Gulden, zwei „kleine Zügl Kälber“ (Zuchtkälber) zu 5 Gulden 12 Kreuzer, zwei Galtkühe28 zu 20 Gulden und ein „Stierl“ zu elf Gulden. Außerdem befanden sich im Stall ein Pferd, das auf 26 Gulden taxiert wurde, 20 „ältere schaaf“ im Gesamtwert von 20 Gulden, zehn Lämmer, jedes zu 20 Kreuzer (in Summe 3 Gulden 20 Kreuzer), sieben Ziegen zu je 1 Gulden 42 Kreuzer (11 Gulden 54 Kreuzer), zwei Kitzlein (1 Gulden 36 Kreuzer) und sechs Gänse (Geldwert: 1 Gulden 12 Kreuzer).29

Die Betriebsgröße eines Hofes in Tirol wurde an der Anzahl der Kühe gemessen. Großviehbauern, beispielsweise in St. Leonhard im Passeiertal im Jahr 1885, hielten neun bis 13 Kühe, mittlere Bauern vier bis fünf und die meisten „Kleinhäusler“ höchstens zwei bis drei Kühe, manche aber auch nur eine einzige Kuh. Diese Angaben verdanken wir im Übrigen der Anlage eines örtlichen Tierseuchenfonds.30 Im kleinbäuerlich strukturierten Bezirk Landeck lag die durchschnittliche Betriebsgröße noch in den 1950er Jahren bei lediglich zwei Kühen (1.182 Betriebe) und nur neun Betriebe zählten acht oder mehr Kühe.31 Über die Jahrhunderte haben sich die Betriebsgrößen im hier untersuchten Zeitraum kaum verändert.

Die Inventaraufstellung nach dem Tod des Josef Oberlechner zeigt aber auch, dass es im Stall nicht nur Kühe, sondern auch noch viele andere Tiere gab. Anzumerken ist, dass das im Dezember erstellte Inventar nur eine Momentaufnahme eines Betriebes wiedergibt. Nachdem nämlich die Überwinterung aller Tiere, zumal in Jahren mit schlechter Heuernte, stets problematisch war, war der ganzjährigen Viehhaltung eine Obergrenze gesetzt. Wäre das Inventar also am Ende des Winters erstellt worden, hätten sich vielleicht nicht mehr so viele Kälber im Stall befunden. Durch die Zufütterung von Stroh war es zwar möglich, einiges Jungvieh bis zum nächsten Frühjahr hinüberzuretten, doch oft nur unter beträchtlicher Gewichtsabnahme.32 Umso wichtiger war dann der Auftrieb auf die Weide im Frühjahr und Herbst und insbesondere auf die Alm.

Angaben über den historischen Viehbestand sind also möglich, wenn auch für lange Zeit nicht in absoluten Zahlen. Wir verdanken diese Angaben nicht zuletzt den obrigkeitlichen Interessen und Interventionen in Form von Marktregelungen, Steuern und den Maßnahmen im Zusammenhang mit Rinderseuchen. Die um das Jahr 1700 verfasste handschriftliche Chronik des Hanns Prugger aus St. Johann in Tirol berichtet über eine obrigkeitliche Viehbeschreibung. Prugger verzeichnete alle ihm bedeutsam erscheinenden Ereignisse seit dem Jahr 1640 in seinem Erfahrungsraum und nach seiner Erinnerung, dies waren Zeitereignisse wie die Türkenkriege und Landtage, sodann Himmelserscheinungen, Teuerungen, Wetterphänomene, besonders kalte Jahre und Jahre mit großer Trockenheit. Besonders erwähnenswert scheinen für Prugger aber auch obrigkeitliche Maßnahmen in Bezug auf das Vieh und den Handel mit Vieh, Schmalz und Käse gewesen zu sein. Am 4. April 1696, so berichtet er, kam eine landesfürstliche Kommission aus Innsbruck nach St. Johann, um „die fürkhäuffer, weliche in werender Paß Spörung etwas aus dem Landt verkaufft haben ohne der Herrschafft Verwilligung, es sey Vieh, Schmalz oder Käß“, nach St. Johann zu zitieren und hart zu bestrafen. Zwei Tage später begab sich diese Kommission nach Kitzbühel, um dort dieselben Strafmaßnahmen durchzuführen. Eine „grosse anzahl“ Untertanen sei dort „woll schreckhlich gestrafft, und vill gelt eingeraumbt“ worden.33 Im Kreuzfeuer stand der „Fürkauf“ des Viehs, also der spekulative Vorwegkauf zum gewinnträchtigen Weiterverkauf, ein als Wucher gebrandmarkter Zwischenhandel, an dem sich offenbar viele Untertanen beteiligten. Dazu weiter unten noch mehr.

Die Prugger Chronik berichtet außerdem über Regelungen in Bezug auf die Almnutzung: Am 21. April 1696 sei durch drei Männer, den Pfleger von St. Johann, den Gerichtsprokurator Mathias Aichperger und Allexander Stainperger, das Vieh „beschriben“, d. h. gezählt worden. In St. Johann, in Kirchdorf und in den anderen beiden Vierteln des Gerichtsbezirks musste an jenem Tag jeder Bauer, „welicher Mehr als 2 Kie ghebt“, angeben, „wie vill er Melch Vieh auf die alben zu treiben und dahaimb hat, und wie viell er hat aufkhert. Ingleichen auch wievill er beileiffig in Puterschmalz von der alben zubringen hat“. Die Zeit würde erweisen, „was es bedeit“, nachdem solche Regelungen getroffen wurden.34 Prugger selbst konnte nur über das Ereignis der Viehzählung berichten, auf die Daten hatte er keinen Zugriff.

Verlässlichere Zahlen für einzelne Regionen, Landgerichtsbezirke und Orte erlaubt erst der Steuerkataster aus dem Jahr 1780. Otto Stolz verglich diese Daten mit den Viehstandzählungen aus dem Jahr 1900, um die Steigerung des Viehbestands in Nordtirol während des 19. Jahrhunderts zu verdeutlichen. Wurden beispielsweise im Gericht Landeck 1780 noch 5.500 Rinder sowie 4.500 Schafe und Ziegen gezählt, so waren es im Jahre 1900 bereits 12.000 Rinder und 6.400 Schafe und Ziegen. Im Gericht Imst steigerte sich die Zahl der Rinder von 5.600 im Jahr 1780 auf 9.100 im Jahr 1900, jene der Schafe und Ziegen von 2.000 auf 3.500.35 Viele Äcker mussten in diesem Zeitraum in Wiesen umgewandelt werden – und dies nicht, weil dies die „Natur“ so vorgab, wie es die Charakterdarstellung der Landwirtschaft im Kronprinzenwerk suggeriert.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in dessen Verlauf sich die Bedeutung der Viehhaltung in Nordtirol enorm steigerte und die Rinderzucht – wie dies Nadja Neuner-Schatz im folgenden Beitrag beschreibt – mit gezielten Maßnahmen gefördert wurde, wurden im gesamten Kronland Tirol, zu dem auch noch Vorarlberg zählte, insgesamt 17.810 Pferde, 42.770 Schweine, 101.970 Ziegen, 101.508 Kälber und 294.000 Schafe gezählt sowie – zahlenmäßig mit großem Abstand dominierend – 328.348 „Stück“ Hornvieh.36 Diese Zahlen wurden auch im Nachrichtenteil des Bothen für Tirol und Vorarlberg abgedruckt, um der breiten Öffentlichkeit die Bedeutung der Viehhaltung in den einzelnen Regionen Tirols vor Augen zu führen. Die dieser Aufstellung beigefügten Anmerkungen erklärten aber auch die wechselseitige Abhängigkeit einzelner landwirtschaftlicher Sektoren. Die Gründe für die Verminderung beim Hornvieh im Kreis Brixen und die noch bedeutendere Verminderung bei den Schafen in den Kreisen Brixen und Trient wurden in der schlechten Futterernte und dem darauffolgenden Steigen der Futterpreise sowie „in den kommerziellen Verhältnissen in den Nachwehen der in den Kreisen Brixen und Trient stattgehabten Traubenkrankheit“ gesehen.

Naturereignissen, Katastrophenjahren mit schneereichen und nasskalten Frühjahren, Überschwemmungen im Sommer folgten in der Geschichte Tirols regelmäßig Subsistenzkrisen, existenzielle Not und Hunger – und auch die Stalltiere hungerten. Die Jahre 1627, 1770, 1805, 1816 sind als besondere nasskalte Hungerjahre bekannt; nicht nur in Tirol. Die markante Klimaverschlechterung der Jahrzehnte 1565 bis 1629 führte in weiten Teilen Europas zu einer deutlichen Dezimierung der Viehbestände, wobei Futterkrisen und Seuchen in der Folge einen weiteren Verlust an Tieren bewirkt hatten.37

Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörten solche Hungerkrisen der Vergangenheit an. In den 1880er Jahren waren in den Ötztaler Ställen viele Tiere anzutreffen:

Tabelle 1: Viehstand im Ötztal 188438

Rinder

Wie aber hat das historische Rind in unserer Region ausgesehen? Wir wissen aus Knochenfunden, dass das Rindvieh in früheren Jahrhunderten viel kleiner war als heutige Zucht- und Herdentiere und dementsprechend auch die Milchleistung geringer war.39 Manche „Zuchtexperten, die sich mit der Abstammungsgeschichte der Hausrinder beschäftigen“, interpretieren Knochenfunde aus der Bronzezeit sogar als Beleg dafür, dass im obersten Tiroler Inntal bereits vor mehr als 3.000 Jahren Grauvieh gehalten worden sei.40 Aber wie diese Rinder – oder die kranken Kühe, die Johanna Scheiber im Stall aufsuchte – tatsächlich ausgesehen haben und ob sie optisch jenem Grauvieh überhaupt ähnelten, das im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der vom Land geförderten Viehzucht detailliert beschrieben wurde, können wir nicht sicher wissen. Robert Delort hält fest: „Regelrecht skandalös […] ist unsere Unkenntnis des mittelalterlichen Rindes […].“41

Im Jahre 1839 lieferte Johann Jakob Staffler in seiner Landesbeschreibung folgende Notiz: „Im Oberinnthale zeichnet sich das Paznaunthal durch seine schönen, weit und breit gesuchten Kühe aus; dann das milchreiche Tannheim, das Lechthal und das Oetzthal, welches Kühe leichtern Schlages liebt, von weißgrauer Farbe, die übrigens viel Milch geben.“42 Detailliert beschreibt und vermisst Kaltenegger das Aussehen der Tiroler „Schläge“; für das Kronprinzenwerk tut er dies besonders malerisch in Pastellfarben und mit Adjektiven wie „weich“, „zart“, „kräftig“ und „harmonisch“ bei gleichzeitiger Betonung des „ansehnlichen“ Hinterteils und „umfänglich entwickelten“ Euters der Kühe:

Die Oberinnthaler Race ist blaugrau bis semmelgelb gefärbt, bald mehr ins Weißliche, bald mehr ins Röthliche spielend, wobei das Haarkleid theils mit, theils ohne ausgedehntere hellere und dunklere Partien abgetönt erscheint. Der Nasenspiegel, dann die Oberfläche der Zunge und die Augenlidränder sind bleigrau, Hornspitzen, Klauen und Schweifquaste braunschwarz pigmentirt. […] Die feinen, nach vorne und aufwärts gekrümmten Hörner sind ziemlich lang, die Ohren breitlappig, seitwärts gerade abstehend und gut behaart, der schlanke Hals ist mit einer weichen, gewöhnlich in enge, dünne Falten gereihten Haut bedeckt, die auch an den übrigen Körperstellen weich und zart ist. Der wohlgestaltete, gut gestreckte, nur in den Rippenseiten etwas flach gewölbte Leib ist gegen das Hintertheil zu von ansehnlicher Weite und Tiefe und bei den Kühen durch ein umfänglich entwickeltes Euter ausgezeichnet. Die Gliedmaßen erscheinen trotz des feinen Knochenbaues genügend kräftig und gut gestellt, wie denn überhaupt die ganze Figur der Thiere einen harmonischen, wohlgefälligen Eindruck macht.43

Abb. 2: Oberinntaler Rind von Friedrich G. Rheinfelder im Kronprinzenwerk

Wie bereits zuvor Staffler hob auch Kaltenegger den besonderen Milchreichtum der Oberinntaler Kühe hervor. Zusätzlich betonte er das für den Viehhandel förderliche und besonders ausgeprägte „Acclimatisationsvermögen“ dieses Rinderschlags. Das an klimatische Verhältnisse anpassungsfähige Rind aus dem Oberinntal sei „überall leicht zu halten“ und würde in der Fremde nicht nur „nicht degenerir[en], sondern gewöhnlich eine kräftigere und schönere Nachzucht liefer[n] als unter den äußerst kärglichen Ernährungs- und Reproductionsbedingungen seiner Stammheimat“.44 Auch in dieser Passage steckt ein Stück Charakterschilderung der (tierischen) Bevölkerung Tirols.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überwog noch ein anderes Bild. Einer handschriftlich überlieferten topografisch-statistischen und historischen Beschreibung des k. k. Land- und Kriminaluntersuchungsgerichtes Ehrenberg im Kreis Reutte aus dem Jahr 1833 zufolge sei die Hornviehzucht in dieser Region allerdings „nicht beträchtlich“ und „der Schlag durchschnittlich“. Zur Ankurbelung der Zucht musste vom Kreisamt per Bescheid vom 31. August 1832 erst ein Prämiensystem eingerichtet werden. Danach wurden dann jährlich am 11. September auf dem Markt in Reutte „mit Beiziehung hochwürdiger Männer“ drei Geldprämien für die schönsten Zuchtstiere vergeben und drei weitere für die besten Kälber, „die der Eigenthümer dann heranwachsen lassen muß“. Die Tiere wurden „mit Zierden versehen“, um ein entsprechendes Anreizsystem für die Rinderzucht zu schaffen.45 In manchen Gemeinden hatte die Ochsenzucht größere Bedeutung, beispielsweise wurden im Jahr 1840 immerhin 354 Ochsen und Stiere auf die Serfauser Masner Alpe aufgetrieben. Ein schönes Gespann von zwei zusammenpassenden Ochsen als Zugtiere soll der Stolz so mancher Bauern gewesen sein.46 Mit solchen Ochsen fuhren Oberinntaler Bauern nach Imst und auch zu weiter entfernten Viehmärkten, wobei der Verkaufserlös für einen Ochsen einen wichtigen Teil des jährlichen Haushaltseinkommens darstellen konnte.

Aber eine prämierte Kuh vom Markt heimführen zu können, dürfte für viele Bauern angesichts weit größerer Sorgen ein kaum erreichbares Ziel gewesen sein. Joseph Mitterdorfer, Mitglied der k. k. Landwirtschafts-Gesellschaft in Kärnten, schrieb beispielsweise im Oktober 1834 im Tiroler Boten über halbverhungerte Rinder, die „aus den magern trockenen Weiden nur mager zurück gekehrt“ seien, und er gab die Sorge der Bauern, wie sie ihr Vieh ohne den teuren Zukauf von Stroh und Heu überwintern könnten, wie folgt wieder: Man höre „ganz treuherzig […] manchen guten Landmann sagen: Wir werden, Gott Lob! wohl zu essen haben, aber ich weiß nicht, was ich mit meinen lieben Rindern anfangen werde! Ich kann sie nicht verkaufen, weil sie keinen Werth haben, und wenn ich es thue, so entgeht mir ihr Nutzen, aus dem ich in den künftigen Jahren mein Hauswesen, Steuern und Abgaben hätte bestreiten sollen.“47

Die Beschreibungen der Rindviehhaltung in frühneuzeitlichen Weistümern48 bzw. Dorfordnungen decken sich ebenfalls nicht mit den Vorstellungen der Züchter des ausgehenden 19. Jahrhunderts von prämierten und herausgeputzten Zuchttieren. In der Dorfordnung von Sautens vom 26. April 1543 lesen wir beispielsweise, dass jeder Bauer, der Kühe und Kälber besitzt, diesen jährlich im Frühjahr, wenn man den Hirten das Vieh auf die Weide übergibt, die Hörner bis zum Querschnitt eines Vierer-Geldstücks absägte, um das Vieh vor Schaden zu bewahren. („den khueen unnd kalbel die horn aines vierers prait abschneiden solle, damit vich des statlicher vor schaden unnd nachthail bewart und behuettet weren mug“.) Wer sich nicht daran hielt, musste jedes Mal pro Horn einen Kreuzer Strafe zahlen.49

Das Zusammenleben mit den Rindern konnte auch riskant sein. Tragische Unfälle, wie sie auch in den letzten Jahren vermehrt medial verbreitet wurden, sind jedenfalls kein rein zeitgenössisches Phänomen. Bereits in Johann Georg Krünitz’ Oeconomischer Encyclopädie (geschaffen 1773–1858) wurde, um tragische Unfälle zu vermeiden, am Beispiel des Schweizer Appenzellerlands davor gewarnt, Hunde mit auf die Alm zu nehmen:

Gegen die Hunde zeigen die Kühe im Appenzellerlande, vorzüglich auf den Alpen und entfernten Weiden, einen unversöhnlichen Haß. Sobald daher eine Kuh einen Hund erblickt, stellt sie sich sogleich zur Gegenwehr, indem sie ihm ihre Hörner darbietet und nicht nur stillstehend sich zu vertheidigen sucht, sondern ihren Schwanz in die Höhe wirft, mit den Hinterfüßen um sich schlägt, auf den Hund zuläuft, und ihn so, oft bis an das Ende der Weide, verfolgt. Nicht selten kommt der Herr des Hundes dabei in Gefahr, indem der Hund zu seinem Herren hinläuft, und bei ihm Schutz sucht, die Kuh aber fortfährt auf den Hund loszustürmen, und von dem ersteren nur durch den heftigsten Widerstand zurück getrieben werden kann. Ist ein Hund groß, oder widersetzt er sich, so vereinigen sich nicht selten mehrere Kühe miteinander, schließen einen Kreis um ihn, und würden denselben unfehlbar tödten, wenn er nicht schnell sein Heil in der Flucht suchte. Daher ist es auch verboten, Hunde in die Alpen mitzunehmen, da durch sie eine Menge Unannehmlichkeiten und selbst Gefahr entsteht.50

Abb. 3: Stier wirft einen Mann zu Boden, Zeichnung auf Papier

Schweine

Während Rinder auch Milch lieferten, als Zugtiere arbeiteten oder als Zuchttiere verkauft wurden, landeten Schweine als Fleisch, Speck, Würste und Schmalz auf dem Teller.51 Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurden sie nicht zuletzt deshalb gehalten, um die Tiere und ihr Fleisch an die jeweiligen Grundherrschaften abzugeben, oft waren gerade Mühlen mit solchen Abgaben belastet.52 Ein oder zwei Hausschweine, die mit Haus- und Gartenabfällen gefüttert wurden, waren aber – fast – überall zu finden, selbst in der Stadt Innsbruck wurden noch im Jahr 1859 208 Schweine registriert.53 Von zahlreichen vormodernen Städten weiß man, dass Schweine nicht nur versteckt in Schweinekoben im oder am Haus gehalten wurden, sondern für alle sichtbar das städtische Bild prägten. Schweine wurden „über Plätze und Gassen getrieben oder liefen sogar frei herum“.54 Zuweilen schufen ihre Anzahl und Haltung Probleme und wurden deshalb zum Gegenstand obrigkeitlicher Regelungen.

Schweine wurden in früheren Jahrhunderten also nicht ausschließlich im Stall gehalten, sondern vielmehr zur Mast auf die Weide getrieben. In Krünitz’ Oeconomischer Encyclopädie wird unter Wald- und Haus- oder Stallmast (mit Kartoffeln, Rüben, Gartenabfällen) unterschieden, wobei die Waldmast in Buchen- und Eichenwäldern als „die beste und leichteste Art Schweine fett zu machen“ galt. Der historische Eichenwald von Stams dürfte ausgezeichnetes Futter für Schweine bereitgehalten haben. Da aber nicht alle Bauern die Möglichkeit hatten, ihre Schweine in Buchen- und Eichenwälder zu treiben, wurde als dritte Mastmethode die „Brutmast“ oder die Mast unter der Erde empfohlen. Sie bestand, wiederum nach Krünitz,

sowohl in Graswurzeln und Wurzeln anderer Kräuter, um derentwillen die Schweine das Erdreich brechen oder aufwühlen; auch hauptsächlich in einer Menge Maden, die den Sommer hindurch unter der Oberfläche des Erdreichs zerstreut gewesen, im Herbste aber, und gegen den Winter sich zusammen finden und in dicken und recht starken Klumpen unmittelbar auf- und bei einander liegen. Die Natur hat nun den Schweinen mit so guten Geruchsnerven begabt, daß sie diese Madenhaufen gleich spüren, und der Witterung davon folgen können.

Der Dorfordnung von Sautens von 1543 entnehmen wir, dass die Gemeinde jedes Jahr einen eigenen Schweinehirten anstellte, wobei sich auch jene Hausbesitzer, die selbst keine Schweine hielten, mit drei Kreuzern an den Kosten der Schweinehut beteiligen mussten. Die Ferkel wurden nur so lange im Stall behalten, bis sie groß genug waren, um vom Schweinehirten auf die Weide getrieben zu werden. Wer die Ferkel nicht aus dem Stall lassen wollte, hatte sich dennoch am Lohn für den Hirtenbuben zu beteiligen: „Wer oder weliche aber junge vackhlein haben, dieselben sollen die im stall anhaim behalten solanng und vil, hynnzt das sy furgeen mugen. Unnd alspald sy fur den hiertten getriben werden, alsdann sollen dieselben nachtpaurn, was die zeit pringt, das hiertlain darvon geben und schuldig sein.“55

Wie die Menschen, wurden auch die Schweine von mannigfaltigen Krankheiten heimgesucht, wobei Bauern, Metzger und Fleischbeschauer sorgfältig auf verschiedene Krankheitszeichen achteten. Zu den bekannten Krankheiten zählten die sogenannte Bräune, die Borstenfäule, aus der sich der „Hinterbrand“ mit Lähmungserscheinungen entwickeln konnte, die Räude, die Milzsucht, die Schweinepocken, das „Verfangen“ (dabei wurden die Schweine „traurig“, lagen nur noch herum und mussten laut tierärztlicher Ratgeberliteratur an beiden Ohren und am Schwanz zur Ader gelassen werden), Würmer in den Ohren, Husten, Bauchgrimmen, Bauchwassersucht, Durchfall, Brand, die Klauenkrankheit, das „laufende oder wilde Feuer“, die Lungensucht, diverse Geschwüre und Augenkrankheiten, Tollwut, Läuse und die Finnen – Würmer, die sich im ganzen Körper ausbreiteten.56

Adolf Trientl berichtet in seinem Gurgler Tagebuch, dass im Jahre 1863 „angeblich durch ungarische Schweine eingeführt, welche von Kufstein bis zum Arlberg das Innthal passirten“, die Maul- und Klauenseuche in das Ötztal eingeschleppt wurde:

Gegen Ende des Monat Mai kam sie auch in das Ötzthal, und übersprang, wie man vermuthet sogar durch Bremsen oder an den Kleidern weitergetragen, vielleicht aber wohl selbständig ausbrechend die aufgestellten Wachen die zu Nößlach bei Längenfeld, auf dem Loabursthaler hinter der Brügge und auf dem Kühtreine außer Zwieselstein. Gegen Ende Juni brach sie in Durchhäusern aus. Es gab allerhand Gerede im ganzen Ötzthal wie man die Seuche eigennütziger oder unvorsichtiger Weise verschlept habe. So sagte man, ein Bursche, in dessen Stalle die Seuche zuerst ausgebrochen, sei vorher bei einem Mädel in einem Stalle gewesen, in welchem bereits alles Vieh erkrankt war. Was dran ist, will ich nicht verbürgen.57

Abb. 4: Votivtafel „Philomena aus Jerzens mit krankem Schwein“ von Josef Anton Stecher

Ob sich die 1863 betroffenen Ötztaler Bauern in ihrer Sorge um die kranken Schweine auch an den heiligen Antonius wandten, dessen Kult im 15. und 16. Jahrhundert weit verbreitet gewesen war, ist nicht überliefert. Gemeint war nicht der im 19. Jahrhundert viel bekanntere, in der Mönchskutte der Franziskaner und mit dem Jesuskind im Arm dargestellte Antonius von Padua, sondern Antonius der Große, in Tirol auch als „Fackentoni“ im Unterschied zum „Kindltoni“ bezeichnet, ein um das Jahr 356 verstorbener ägyptischer Mönch und Einsiedler, der als Pestheiliger und Schutzpatron des Viehs, der Sauhüter, Schweinezüchter, Metzger und Bürstenbinder verehrt wurde.58 Er wird auch mit dem Antoniusfeuer in Verbindung gebracht, eine im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit höchst gefürchtete Krankheit, die auf eine Vergiftung durch einen Getreidepilz (Mutterkorn) zurückgeführt werden kann und mit Nekrosen (schwarz werdenden und absterbenden Gliedmaßen) und Wahnvorstellungen einherging. Dem heiligen Einsiedler wurde die Wunderkraft zugesprochen, solche Seuchen von Menschen und Tieren fernzuhalten. Zu seinen Symbolen zählte das Schwein an seiner Seite, das auf den 1059 für die Krankenpflege gegründeten Antoniterorden zurückgeht, der in ganz Europa Hospitäler betrieb und als Gegenleistung besondere Privilegien für die Schweinehaltung genoss. Die Antoniter durften ihre Schweine auf Kosten der Allgemeinheit frei herumlaufen lassen. Auch soll der heilige Antonius während seines Einsiedlerlebens in der Wüste immer wieder von quälenden Visionen heimgesucht worden sein und mit dem Teufel zu kämpfen gehabt haben, der ihm in verschiedener Gestalt erschien, sodass er auch zum Experten für Dämonenaustreibungen avancierte.59 In der Geschichte der Johanna Scheiber spielte der heilige Antonius aber keine besondere Rolle.60

Pferde

„In den Ställen der Bauern […] nahmen die Boxen der Pferde den kleineren, aber nobleren Teil ein“, schreibt der aus dem Sauerland, einer Mittelgebirgsregion in Westfalen stammende Historiker Ulrich Raulff in seiner Epochendarstellung des 19. Jahrhunderts als dem letzten Jahrhundert der Pferde: „Die Kühe, Rinder Kälber, Schweine und Hühner machten sich breiter, sie stanken heftiger und führten das große Wort, sie waren, mit einem Wort, die Plebs im Stall; die Pferde waren selten, kostbar und wohlriechend, sie aßen manierlicher und litten spektakulärer, besonders ihre Koliken waren gefürchtet.“61 In Tirol waren Pferde aber vor allem Arbeitstiere. Sie leisteten wie die Ochsen Fuhr- und Spanndienste, laut Sautener Dorfordnung grasten sie auch auf denselben Weiden wie die Ochsen.62

Abb. 5: Arbeitstier Pferd mit Zaumzeug, Geschirr und Zudecke, Zeichnung auf Papier

Der über die Tiroler Alpenpässe führende Handel wäre vor dem Aufkommen der Eisenbahnen und des motorisierten Verkehrs ohne Pferde und Ochsen gar nicht denkbar gewesen. Pferde leisteten als Reit- und Lasttiere auch Kriegsdienste. Mittelalterlichen Urbaren zufolge mussten die an den Tiroler Landesfürsten abgabepflichtigen Güter jährlich eine beträchtliche Zahl von Pferden für bestimmte Dienste bereithalten. Laut des Urbars von 1288 hielt beispielsweise das landesfürstliche Amt Petersberg für Silz und Ötztal jährlich 288 Pferde zur Verfügung. Ein Einnahmeverzeichnis aus dem Jahr 1300 führt für die gesamte Grafschaft Tirol 513 equi vecturales an, die auf bestimmten Gütern für den Bedarf des Landesherrn bereitgehalten wurden. Für das Amt Petersberg heißt es in einer Urkunde des damaligen Landesfürsten König Heinrich aus dem Jahr 1315, dass die Zinspferde dieses Gerichtsbezirks Fuhrdienste leisten mussten, wobei die Pferdedienste aber auch in Geld („rosslon“) abgelöst werden konnten.63 Stolz führt auch eine Quelle aus dem Tiroler Landesarchiv aus dem Jahr 1315 an, nach der sich mehrere Gemeinden im Inntal – so etwa im Oberinntal die Gemeinde Oberhofen – mehrfach beklagten, dass die Adeligen ihre Rosse in die Wiesen und Weiden der Bauern trieben.64 Für das vorstatistische Zeitalter sind aber auch über die Anzahl der Pferde nur verstreute Angaben erhalten. Das Verschwinden der Pferde wurde jedoch wahrgenommen: Die Pferdezucht habe abgenommen, „seit der Salztransport eine andere Richtung nahm“, schreibt beispielsweise der Reuttener Oberlehrer Josef Sebastian Kögl in seiner Beschreibung des Landgerichts Reutte.65