Vieles scheint unmöglich, bis du es schaffst! - Dirk Leonhardt - E-Book

Vieles scheint unmöglich, bis du es schaffst! E-Book

Dirk Leonhardt

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Beschreibung

Einen Ironman zu absolvieren, ist für viele Triathleten das Nonplusultra. Einen Langdistanz-Triathlon 30-mal hintereinander zu bewältigen – und das nonstop –, scheint schier unmöglich. Dirk Leonhardt, zweifacher Familienvater, Banker und Abenteurer, hat sich dieser Herausforderung gestellt. Mit 200 km Schwimmen, 5.400 km Radfahren und 1.336 km Laufen schafft er im Sommer 2020 den bis dato längsten Nonstop-Triathlon der Welt und damit einen Eintrag ins „Guinness Buch der Rekorde". Warum tut man sich das an? Wie ist ein solches Mammutprojekt zu stemmen? Und wie kann man selbst aus herben Rückschlägen immer wieder neue Motivation ziehen? Dirk Leonhardt gibt Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt und berichtet von den höchsten Höhen und tiefsten Tälern, die er zu bewältigen hatte. Er zeigt, dass extreme sportliche Leistungen nur mit großer mentaler Stärke einhergehen, dass Ehrgeiz und Durchhaltevermögen auch Vorbildcharakter haben und warum vor allem die zwischenmenschlichen Begegnungen auf der Strecke dem Ultratriathlon am Ende einen tiefen Sinn gaben.

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Vieles scheint unmöglich, bis du es schaffst!

Triathlon-Weltrekord in 45 Tagen

Dirk Leonhardt

Impressum

Umschlaggestaltung und Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, KarlsruheUmschlagfotos: Maximilian von Lachner, Ilsa Leonhardt, Nils Thies, Jo Becker Redaktion und Lektorat: Brigitte Caspary, Rebekka Pfeiffer

1. Auflage November 2021

© Sportwelt Verlag

[email protected]

www.sportwelt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der photomechanischen und elektronischen Wiedergabe.

Autor, Herausgeber und die zitierten Quellen haften nicht für etwaige Schäden, die aufgrund der Umsetzung ihrer Gedanken und Ideen entstehen.

ISBN 978-3-941297-51-7

ISBN (eBook) 978-3-941297-52-4

Weitere Titel im Internet unter www.sportwelt-verlag.de

Für alle, die an sich zweifeln und viel zu oft denken:

„Das schaffe ich nicht“.

Achte auf dich, aber glaube auch an dich.

Fokussiere dich auf das, was dir wirklich wichtig ist,

und dann lebe deinen Traum.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Prolog

Mein Weg zum Ultrasportler

Vom Rad-Abenteuer zum längsten Triathlon der Welt

Wie plant man einen Weltrekord?

Das Schwimmen

Der Start ins Abenteuer

Ich kann nicht mehr

Gewusst wie

Heute ist Bergfest… zumindest beim Schwimmen

Erste Zwischenbilanz in Sachen Notfallplan

Alles Jammern nützt nix

Die Angst, einfach aufzugeben

Jede Zelle meines Körpers ist glücklich

Das Radfahren

In der Ruhe liegt die Kraft

Der doppelte Dirk

Der erste Tausender ist voll

Eine Prise Drama

Anti-Aero-Tag

Unverhofft kommt oft

Im Regen fühle ich mich frei

Wie neugeboren

Niemals aufgeben

Meine Begleiter, eine wichtige Säule des Erfolges

Alles Zufall – oder was?

Neuer Negativ-Rekord

Vier-Runden-Tag

Dankbar für jede Ablenkung

Just another day

So fühlt sich ein Promi

Wet-Trikot-Contest

Gedanklich schon beim Laufen

Das Laufen

Das fängt ja gut an…

Die bösen Geister vertreiben

Äppelwoi hilft

Lichtblicke

Forrest Gump

Glücksgefühl schlägt Frustration

Der Masterplan steht

Übermut tut selten gut

Gut, die Wahl zu haben

Die Hilfsbereitschaft ist enorm

Mit großer Unterstützung von den Kleinen

Nur noch eine Woche

Über das Limit?

Eintausend

Was für ein Poser!

Die Vorfreude wächst

Keine Wunderheilung in Sicht

Triple Deca Ultratriathlon Continuous Finisher

Der längste Zieleinlauf der Welt

Die Zeit danach

Weltrekord Nummer zwei: Der längste Nonstop-Treppenlauf im Team

Weltrekord Nummer drei: Die meisten in sieben Tagen mit dem Fahrrad bereisten Länder

Tag 1: Fünf Länder auf einen Streich

Tag 2: Fahren, bis auch der letzte Akku seinen Dienst versagt

Tag 3: Einmal mit dem Rad über die Alpen

Tag 4: Worst-Case-Szenario

Tag 5: Mit Rückenwind ins Hotel Medo

Tag 6: Eine folgenschwere Fehleinschätzung – oder: Wie ich einmal fast verdurstete

Tag 7: Was soll jetzt noch schiefgehen?

Weltrekord Nummer vier: Der schnellste 100-Meter-Lauf unter Wasser

Epilog

Danksagung

Fotoverzeichnis

Anhang

Statistik: Das Schwimmen

Statistik: Das Radfahren

Statistik: Das Laufen

Statistik: Tagesleistungen im Überblick

Das Material

Richtlinien: Guinness World Records

Der Autor

Prolog

Ich bin ein Blatt.

Ich bin ein Blatt und treibe übers Wasser.

Ich treibe über die Wellen und muss nichts tun. Auf und ab, immer den Wellen des Wassers folgend.

Vielleicht sinke ich irgendwann auf den Boden des Sees, aber momentan treibe ich noch oben.

Alles ist gut…

Moment. Was war das? Mit einem Mal registrierte ich, dass ich halluzinierte. Verwirrt blickte ich mich um, und schlagartig wurde mir klar, dass ich mich mitten im Silvaplanersee in der Schweiz befand. Ich wollte schwimmen, spürte auch, dass ich irgendwie schwamm, realisierte jedoch gleichzeitig, dass ich kaum noch vom Fleck kam. Eine extreme Kälte schoss mir durch alle Glieder. Ich wusste: Je länger ich im Wasser blieb, desto stärker würde ich auskühlen. Und das würde meine Lage keinesfalls verbessern. Wenn ich jedoch das andere Ende des Sees erreichen würde, dann könnte ich mich bei der nächsten Laufetappe sicher wieder etwas aufwärmen, und alles wäre gut. Ich schaute nach vorne. Es gab nur einen winzigen Haken: Bis ans gegenüberliegende Ufer war es noch ein unendlich weiter Weg. Das muss ich schaffen, dachte ich hochmotiviert. Viel zu anstrengend, schoss es mir im nächsten Moment durch den Kopf. Viel lieber würde ich mich einfach nur hier im Wasser treiben lassen… Wie ein Blatt… Wie ein Blatt auf den Wellen…

Neben mir schwamm Thomas. Besorgt blickte er zu mir rüber und begriff sofort, was in mir vorging. Vor einigen Stunden waren wir gemeinsam beim 1. Engadin Swimrun unweit von St. Moritz gestartet und wollten laufend und schwimmend im Wechsel unseren ersten Wettkampf dieser Art absolvieren. 30 Kilometer mit über 1.100 Höhenmetern hatten wir bereits zu Fuß zurückgelegt und waren mit unseren Laufschuhen und in ein Neopren-Shorty gehüllt auf fünf Schwimm-Etappen insgesamt etwa 2,6 Kilometer geschwommen. Doch nun ging plötzlich gar nichts mehr, und es lagen immerhin noch 10 Kilometer Laufen und über 3 Kilometer Schwimmen vor uns. Doch ich war mit meinen Kräften total am Ende. Jetzt weiterzumachen, wäre unverantwortlich gewesen, das begriff auch Thomas unverzüglich, als er mich in meinem Zustand sah und diesen sofort richtig einschätzen konnte. So gab es auch keinerlei Diskussion, dass wir das Rennen aus Sicherheitsgründen an dieser Stelle beendeten. Plötzlich ergab auch die Vorgabe des Veranstalters, dass nur in Zweier-Teams gestartet und gelaufen werden durfte, sehr viel Sinn.

Das also war mein erstes DNF. Mein ganz persönliches Did Not Finish. Von 94 Teams hatten bereits 40 schon vor uns aufgegeben, aber das tröstete mich wenig. Ich musste akzeptieren, dass ich den kalten Bergseen mit Temperaturen im einstelligen Bereich einfach nicht gewachsen und das Training am Feldberg im Taunus am Ende doch nicht so wettkampftauglich war, wie erhofft. Ich brauchte Stunden, um mich von meiner Unterkühlung zu erholen und noch einiges mehr an Zeit, um diesen Rückschlag mental zu verarbeiten – auch wenn mir klar war, dass mein Zustand im Wasser lebensbedrohlich hätte werden können.

Jetzt, ziemlich genau sechs Jahre später, hatte ich dieses Gefühl von damals erneut. Nicht das Gefühl, wie es ist, ein Rennen vor dem Erreichen der Ziellinie beenden zu müssen, sondern vielmehr das Gefühl, dem Wasser vollständig unterlegen zu sein – und eher zu treiben, anstatt zu schwimmen. Ich war bereits den dritten Tag in Folge im Wasser. Nicht in einem kalten Bergsee, sondern in einem südhessischen Badesee. Doch all die Gefühle von damals schossen in gleicher Intensität wieder in mir hoch, wie ein böser Geist, den man nicht vertreiben kann. Die Unterlegenheit, ja Chancenlosigkeit gegen das Wasser, das den ganzen Körper umschließt. Die Gedanken ans Aufgeben. Die Kraftlosigkeit. Dieses böse Omen für das Scheitern war nun bei mir, in mir und komplett um mich herum. Doch wie war ich eigentlich in diese Lage gekommen? Und warum das Ganze?

Einen Weltrekord im Triathlon zu schaffen, war für mich keine Obsession. Er war kein Wunsch, auf den ich jahrelang hingearbeitet hatte. Vielmehr war er eher ein Zufall, eine Art Fügung – vielleicht könnte man es auch einen „Unfall“ nennen. Auf jeden Fall aber war es Schicksal, dass ich mich dafür entschied, den längsten Triathlon der Welt in Angriff zu nehmen.

Die Frage nach dem Warum steht über allem. Zu verrückt wirkt das Projekt auf Außenstehende, als dass man es einfach so hinnehmen oder wortlos akzeptieren könnte. Das verstehe ich absolut. 200 Kilometer Schwimmen, 5.400 Kilometer auf dem Rad und danach noch mehr als 31 Marathons laufen, nonstop, ohne die nötige Zeit zur Regeneration dazwischen – und das alles in etwa 45 Tagen – klingt doch sehr wagemutig. Alltäglich sieht irgendwie anders aus.

Aber was trieb mich dazu, dieses Projekt in Angriff zu nehmen? Für mich persönlich war der Hauptgrund die Suche nach einem Abenteuer. Es ist meine kindliche Neugier, die bewirkt, dass ich ein solches Projekt spannend finde. Kann ich es wirklich schaffen? Was ist mein Körper zu leisten imstande? Wie stark ist mein Kopf? Das waren die Fragen, die ich vor allem mir selbst beantworten wollte. Dass es weh tun würde, war keine Frage. Dass es unzählige Tiefs geben würde, keine Überraschung. Dass noch kein Mensch vor mir eine solche Leistung vollbracht hatte, war ein weiterer Reiz, dieses Projekt zu realisieren. Dass ich damit einen Weltrekord holen könnte, ein toller Bonus. Dass ich generell dazu in der Lage sein würde zu finishen, davon war ich von Anfang an überzeugt.

Es gibt unzählige Motivationssprüche. Einer blieb mir besonders im Gedächtnis: „If you can dream it, you can do it.“ Wenn du es dir vorstellen kannst, dann kannst du es auch schaffen. Dieses Buch wird erzählen, wie der bis dato weltweit längste Nonstop-Triathlon ablief, und mit welchen Höhen und ganz vielen Tiefen ich dabei zu kämpfen hatte. Aber es wird auch erklären, warum ich diese Extremleistung schaffen konnte, obwohl ich sportlich eher unterdurchschnittlich auf diese Herausforderung vorbereitet war.

Die zentrale Botschaft lautet: Auch du kannst herausragende und besondere Leistungen schaffen, denn Erfolg beginnt immer im Kopf!

Dirk Leonhardt

Bruchköbel, Juli 2021

Mein Weg zum Ultrasportler

Große Leistungen werden stets im Kopf entschieden. Persönliche, berufliche, aber allen voran sportliche Leistungen. Das Absolvieren einer Ultrastrecke ist folglich immer ein Zusammenspiel von mentaler und körperlicher Kraft. Neben: „Wie schafft man das nur?“, ist von Außenstehenden die meistgestellte Frage jedoch: „Warum tust du dir das an?“ Was bei anderen eher Fassungslosigkeit oder auch pures Entsetzen auslöst, ist mein ureigener Antrieb. Oder nennen wir es eher: mein kleiner persönlicher Spleen. Ich motiviere mich, indem ich mir Ziele setze, die eigentlich unerreichbar scheinen. Denn, wäre es einfach, wüsste ich, dass ich es schaffen kann und hätte keine Motivation mehr, es auszuprobieren.

Doch das war nicht immer so. Meine Leidenschaft für den Ausdauersport begann 2003 mit dem Zieleinlauf meines ersten Halbmarathons. Ich ging ziemlich unvorbereitet an den Start. Meine Füße steckten nicht in Laufschuhen, sondern in Sportschuhen vom Discounter. Ohne Laufuhr am Arm spulte ich in meiner Unerfahrenheit viel zu schnell die ersten Laufkilometer herunter, bis bei Kilometer 18 die Kraft dann endgültig versagte. Und so schleppte ich mich mehr schlecht als recht über die restliche Strecke, bevor ich auf dem Marktplatz angekommen mit einem letzten Aufbäumen im Sprint ins Ziel rannte. Die Zuschauer schrien und klatschten begeistert – gefühlt nur für mich. Das war der Wahnsinn! Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der festen Überzeugung, dass Sport nichts für mich sei und ich genetisch bedingt in dieser Hinsicht eben eher zu den Untalentierten gehörte. Ich war als Kind leicht übergewichtig, hatte im Sportunterricht stets Mühe, am Schuljahresende die Note drei zu erreichen, konnte schlecht Schneebälle werfen und wurde bei Mannschaftssportarten meist als Letzter ins Team gewählt. Dass ich mit 21 Jahren meinen ersten Halbmarathon ins Ziel gebracht hatte, war für mich ein großer persönlicher Erfolg. Dass ich zuvor zur Teilnahme überredet, ja fast genötigt worden war, war nun nicht mehr wichtig. Aber dass ich danach eine Woche lang kaum noch Treppensteigen und mir nicht mehr selbst die Schuhe binden konnte, brachte mich dann doch recht schnell zu der Erkenntnis: einmal und nie wieder. Niemals mehr würde ich mir in meinem Leben eine solche Extremleistung antun.

Der gefasste Vorsatz hielt immerhin ganze zwei Jahre. Dann lockte der Frankfurt Marathon. Ich hatte noch immer das Bild vor Augen, wie ich beim Halbmarathon unter dem Applaus der Menge ins Ziel sprintete und spürte nach wie vor den unbändigen Stolz in meiner Brust, dass ich etwas geschafft hatte, das ich mir vorher selbst nicht wirklich zugetraut hatte. Die vielen Momente des Schmerzes waren in meiner Erinnerung verblasst und hatten für mich keine Bedeutung mehr. Dass ich mir damals geschworen hatte, nie wieder einen solchen „Blödsinn“ zu unternehmen, war mit einem Mal völlig unbedeutend. Viel wichtiger war jetzt diese Aufbruchstimmung in mir. Wenn ich einen Halbmarathon ohne Vorbereitung geschafft habe, dann schaffe ich doch sicher auch einen Marathon, wenn ich ausreichend dafür trainiere!? Also meldete ich mich für den Frankfurt Marathon an und hatte schon bei der Anmeldung die Bilder im Kopf, wie ich mit einem breiten Grinsen durch die Hochhausschluchten laufe. Ich trainierte nun regelmäßig und kaufte mir mein erstes Paar Laufschuhe. Knapp 100 Euro gab ich dafür aus und war begeistert, wie leichtfüßig man darin joggen konnte. So kam der Tag im Oktober 2005, an dem ich mich tatsächlich im riesigen Starterfeld des Frankfurt Marathons befand. Unmittelbar vor mir war ein Mann mit Luftballon, auf dem die Zeit 3:59 Stunden aufgemalt war. Ich war total motiviert, und die ersten zehn Kilometer fühlten sich echt toll. Bei der Halbmarathon-Marke – an der ein Bus wartete, um die Abbrecher zur Messehalle zurückzufahren – war ich dann aber schon ziemlich fertig, doch ich lief weiter. Ab Kilometer 30 hatte ich so starke Schmerzen, dass ich mich sehr dazu zwingen musste, nicht einfach in einen Gehschritt zu wechseln. Ein Freund lief einige Kilometer neben mir her und redete ständig auf mich ein: „Dirk, du darfst jetzt nicht stehenbleiben! Du musst weiter joggen. Egal wie.“ Ich quälte mich immer weiter, und es schien mir, als ob jeder Kilometer länger und länger würde.

Ich wusste am Ende nicht, wie, aber irgendwann hatte ich Kilometer 40 tatsächlich erreicht, und die letzten zwei Kilometer fielen mir wie durch ein Wunder plötzlich viel leichter. Als ich dann endlich in der Festhalle und somit im Ziel ankam, spürte ich erneut diese enorme Erleichterung, darüber, dass es endlich vorbei war, doch zugleich war ich überglücklich und unendlich stolz. Ich legte mich irgendwo auf den Fußboden, schaute an die Decke und hatte ein seliges Lächeln auf dem Gesicht. Ich war mit meiner Zielzeit von 4:11:49 Stunden mehr als zufrieden. Ich hatte Platz 5.009 von 8.842 Läufern belegt und fühlte mich dennoch wie ein Sieger. Allerdings wurde dieses grandiose Gefühl schnell von den Schmerzen eingeholt. Meine Beinmuskulatur erinnerte mich noch tagelang daran, dass ich besser doch nur zehn Kilometer locker durch den Wald gelaufen wäre, anstatt einen Marathon zu rennen.

Vom Halbmarathon zum Ironman.

Wieder sagte ich mir, dass es nun genug sei, mit solch ungesunden Aktionen. Einen Marathon schafft ja nicht jeder. Jetzt habe ich mir das bewiesen und kann es wieder ruhiger angehen lassen. Aber wieder wollte ich mehr. Denn ich hatte bemerkt – oder vielmehr erstaunt festgestellt –, dass mir solche Ausdauerleistungen regelrecht Spaß machten und ich sehr lange danach immer noch davon zehren konnte. Auch wenn es äußerst strapaziös war – das konnte man nicht leugnen –, war es doch immer eine besondere Herausforderung, und das Überqueren der Ziellinie löste jedes Mal ein unbeschreibliches Glücksgefühl in mir aus. So war es für mich auch irgendwie total logisch, dass ich drei Jahre nach meinem Marathondebüt beim Ironman in Frankfurt an den Start ging. Die weltberühmte Langdistanz über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen war mein erster Triathlon überhaupt. Ich hatte noch nicht einmal ein Startnummernband und fuhr auf einem alten Tomassini-Rennrad mit Rahmenschaltung und ohne Auflieger. Aber ich erreichte die Ziellinie und war überglücklich. Ich hatte ein tolles Rennen, und gerade dieses etwas Planlose und Unkalkulierbare über solch eine lange Strecke war es, was es für mich so besonders machte. Ich glaube, hätte ich vorher schon mehrere Triathlons bestritten, wäre ich viel „verkopfter“ gewesen, vielleicht mehr auf irgendwelche Zeiten ausgerichtet, und hätte mit Sicherheit weniger Spaß gehabt. Und all das, obwohl der Ironman, auf den ich mich ein ganzes Jahr vorbereitet hatte, auf der ersten Radrunde für mich schon fast vorbei gewesen wäre.

Am bekannten Heartbreak Hill in Bad Vilbel, dem letzten knackigen Anstieg vor Frankfurt, fuhr ich zur Verpflegungsstation, um mir eine neue Trinkflasche zu greifen. Vor mir kam plötzlich ein anderer Starter aus dem Tritt und blieb abrupt stehen. Da ich alles im Blick hatte, konnte ich noch rechtzeitig bremsen. Nicht jedoch der Athlet hinter mir. Er fuhr mir mit vollem Karacho ins Rad und stürzte. Allerdings schien er sich nicht verletzt zu haben, denn er stand direkt wieder auf und fuhr weg – ohne mir weitere Beachtung zu schenken. Das war sportlich mehr als unfair, denn durch den Aufprall hatte er mein hinteres Laufrad komplett zerstört. Das Rad war so verbogen, dass an ein Weiterfahren nicht zu denken war. Vor lauter Wut warf ich mein Rennrad in den Straßengraben und war den Tränen nah. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf den mobilen Reparaturservice des Veranstalters zu warten – doch das konnte dauern... Mein Rennen schien gelaufen und ich war super enttäuscht. Das sollte es nun also gewesen sein? Nach einiger Zeit am Streckenrand stand plötzlich mein Mitbewohner Marian mit seinem Rennrad vor mir. „Hey, Mensch, was ist denn los?“, fragte er mich bestürzt. Und als ich ihm das Malheur erklärte, wurde auch er stinksauer. Er blieb an meiner Seite und wartete mit mir darauf, dass der Servicewagen eintraf. Dabei mussten wir zusehen, wie viele dutzende Athleten an uns vorbei fuhren. Doch während ich so am Rand stand und dumm aus der Wäsche guckte, kam mir die zündende Idee: Ich könnte ja Marians Hinterrad ausbauen und bei mir einsetzen. Er willigte sofort ein, und so war mein Rennrad nach einigen Minuten bereits wieder fahrtauglich. Es funktionierten zwar nur noch drei Gänge, und auch die hintere Bremse zog nicht mehr richtig, aber ich konnte wenigstens weiterfahren. Marian musste danach allerdings sein Rad samt meinem verbogenen Laufrad etwa zehn Kilometer nach Hause tragen, aber er hatte das Rennen für mich gerettet – und dafür bin ich ihm ewig dankbar. Total aufgewühlt, mit einer Mischung aus Frust aber auch purer Freude, fuhr ich die letzten 90 Kilometer des Rennens bis zum Ende, und selbst der abschließende Marathon war kein großes Problem mehr für mich. Nach 12 Stunden, 42 Minuten und 35 Sekunden lief ich auf dem Römerberg in Frankfurt überglücklich ins Ziel. Dieser Moment wird mir immer als einer der schönsten meines Lebens in Erinnerung bleiben.

Defektes Hinterrad beim Ironman 2008.

Danach hatte ich immer weniger Ehrfurcht vor langen Distanzen und testete meine Form bei mehreren 24-Stunden-Rennen. Erst auf der 25-Meter-Bahn im Schwimmbad. Dann beim 24-Stunden-Radrennen auf dem Nürburgring. Danach kam ein 24-Stunden-Lauf an die Reihe. Doch neben den offiziellen Wettkämpfen war für mich das, was heute Bikepacking genannt wird, eigentlich mit das Reizvollste. So fuhr ich, gemeinsam mit einem Freund, den kompletten Rennsteig, die Werra und Weser entlang bis nach Cuxhaven oder von Prag bis nach Hamburg, immer an der Moldau und der Elbe entlang. Gemeinsam mit meiner Frau fuhr ich auf dem Tandem von Frankfurt bis Den Haag und vom Bodensee den Rhein entlang bis nach Frankfurt. 2015 radelte ich mit meinem Freund und Arbeitskollegen Thomas 3.000 Kilometer von Frankfurt bis nach Istanbul. Bis heute sind das die Erlebnisse und Bilder, die mich immer noch in ihren Bann ziehen und die ich als perfekte Abenteuer bezeichnen würde. Bei diesen selbst organisierten Projekten, aber auch bei den offiziellen Wettkämpfen, war es für mich unglaublich spannend, die Grenzen meiner eigenen Leistungsfähigkeit auszutesten. Da es dabei gar nicht so sehr darum ging, muskuläre Höchstleistungen zu erbringen, sondern eher Disziplin und Willenskraft notwendig waren, musste ich auch nicht so intensiv trainieren, um meine Ziele zu erreichen. Bei der Wahl zwischen „Höher-Schneller-Weiter“, habe ich mich stets für das „Weiter“ entschieden. Damit kann ich meinen Rhythmus finden und die jeweilige Herausforderung nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten.

Die Erinnerungen an jeden einzelnen Wettkampf und jedes dieser Abenteuer habe ich immer im „Gepäck“ und kann sie bei aktuellen Herausforderungen abrufen. Frei nach dem Motto: „Oh, es schmerzt zwar gerade am linken Zeh, aber beim 24-Stunden-Lauf vor zwei Jahren war es noch viel schlimmer...“ Durch diese persönlich erfahrene Relativierung verschiebt sich die eigene Einschätzung davon, was man zu leisten imstande ist, immer weiter. Stück für Stück. Jahr für Jahr. Und auf einmal überlegt man sich, ob man nicht vielleicht einen dreifachen Langdistanz-Triathlon absolvieren könnte. Dreifach, das heißt: 11,4 Kilometer Schwimmen, 540 Kilometer auf dem Rad und 126,6 Kilometer Laufen. Das Ganze in weniger als 58 Stunden, also zweieinhalb Tagen. Doch wie kam ich auf eine solch verrückte Idee? Meine Überlegungen hierzu waren folgende:

Ich bin schon mal 42,2 Kilometer an einem Tag geschwommen, dagegen wären 11,4 Kilometer doch echt wenig!?

Ich bin schon mal 140 Kilometer an einem Tag gelaufen, da wären drei Marathons doch eigentlich machbar!?

Und die 540 Kilometer auf dem Rad? Dafür hatte ich 27 Stunden Zeit. Das wäre eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h. Das sollte doch wohl kein großes Problem sein, oder?

Was ist ein Ultratriathlon?

Der Ultratriathlon ist eine Triathlon-Disziplin, bei der man ein Mehrfaches der klassischen Langdistanz (Ironman) zurücklegt. Weltweit finden Wettkämpfe im Double (2x), Triple (3x), Quintuple (5x) und Deca (10x) Ultratriathlon statt. In Mexiko gibt es sogar regelmäßig den Double Deca – also die 20-fache Langdistanz.

Der Ultratriathlon ist am Stück zu absolvieren, also im „Continuous“-Modus. Dabei muss erst die gesamte Strecke geschwommen werden, bevor es auf die Radstrecke geht, und auch erst nach dem letzten Radkilometer beginnt das Laufen.

Im Gegensatz dazu gibt es die „One per day“-Variante, bei der täglich aufs Neue eine Langdistanz absolviert und die Zeitmessung nach dem Ende eines jeden Einzeltriathlons gestoppt wird, um am folgenden Morgen erneut zu beginnen. Die beiden Varianten des Ultratriathlons sind hinsichtlich ihrer Belastungen und der Zeitmessung schwer zu vergleichen.

LangdistanzDoubleTripleQuintupleDecaDouble DecaSWIM 3,8 km 7,6 km 11,4 km 19 km 38 km 76 km BIKE 180 km 360 km 540 km 900 km 1.800 km 3.600 km RUN 42,2 km 84,4 km 126,6 km 211 km 422 km 844 km

Die Strapazen aller vorherigen Rennen waren längst vergessen, denn ich hatte ja vor allem die positiven Erinnerungen und Emotionen gespeichert. Dass ich immer wieder zu kämpfen und meinen Körper starken Strapazen ausgesetzt hatte, war in meinen Erinnerungen ganz tief vergraben. Einmal diese Überlegungen zur dreifachen Langdistanz angestellt, verfolgte mich der bohrende Gedanke an ein solches Rennen Tag und Nacht. „Melde dich einfach an und mach das Ding!“, säuselte diese kleine Stimme unermüdlich in meinem Kopf. Schließlich wurde sie immer lauter und meine Bedenken immer schwächer. Also schickte ich eines Tages kurzerhand die Anmeldung ab und überwies das Startgeld an den Veranstalter.

Der Triple Ultratriathlon in Lensahn an der Ostsee war für mich ein wichtiger Meilenstein. Ich war fest davon überzeugt, dass dieser Wettkampf das Krasseste sei, das ich jemals absolvieren würde. Denn ich war mir im Vorfeld sehr unsicher, ob ich das Ziel überhaupt erreichen würde, hatte ich doch noch nie zuvor einen Ultratriathlon bestritten. Doch ich war im Nu extrem begeistert von der Ultratriathlon-Family. Hier läuft alles viel familiärer und entspannter ab als bei einer einfachen Langdistanz. Durch den überschaubaren Teilnehmerkreis und die lange Wettkampfzeit entsteht eine sehr enge Verbindung zwischen den Athleten und ihren jeweiligen Teams. Man hilft und unterstützt sich gegenseitig. Man fiebert mit jedem einzelnen Sportler mit. Bei einem Triathlon über die Langdistanz gehen schnell mal 2.000 oder mehr Athleten an den Start – beim Triple in Lensahn sind es gerade einmal 30 bis 50. Diese Diskrepanz bei den Starterzahlen machte mir deutlich, dass ein Ultratriathlon nicht jedermanns Sache ist. Mit großem Respekt und überaus vorsichtig startete ich neben all den anderen Ultrasportlern am Freitagmorgen um sieben Uhr in den Wettkampf.

Startnummernausgabe beim Triple Ultratriathlon in Lensahn 2017.

Bis ich diesen Triathlon nach zweieinhalb Tagen finishen konnte, ging ich durch einige Tiefen. Ich hatte die 678 Kilometer Gesamtdistanz irgendwie durchgestanden, hatte zwei Nächte mit insgesamt nur einer Stunde Schlaf hinter mir und war nun ganz offiziell ein Ultratriathlet. Die Aufnahmeprüfung in diesen erlesenen Kreis war durchaus nicht einfach. Bereits beim Schwimmen hatte ich Magenprobleme und war längst nicht so schnell, wie insgeheim erhofft. Die anderen Athleten auf meiner Bahn beendeten alle deutlich vor mir die Distanz, während ich weiterhin meine Runden ziehen musste. Als ich nach mehr als vier Stunden aus dem Wasser stieg, waren meine Augen von der Schwimmbrille total geschwollen. Auf dem Rad kamen dann Sturm und Starkregen dazu, und nach 400 Kilometern war ich bereits völlig entkräftet. Selbst die wenigen leichten Steigungen und Hügel auf der Radstrecke fühlten sich wie richtig hohe Berge an. Als ich dann endlich als Vorletzter auf die Laufstrecke wechselte, stellte ich erstaunt fest, dass fast die Hälfte der anderen Athleten, die im Ranking weit vor mir gewesen waren, bereits aufgegeben hatte. So lag ich bei 34 Starterinnen und Startern auf einmal auf Platz 21. Das motivierte mich ungemein. Knapp 100 Runden mit je 1,4 Kilometern Länge mussten noch absolviert werden, was ich in einer Art Automatikmodus dann auch schaffte. Die Devise lautete: Nicht jammern, laufen! Und mit zunehmender Laufdistanz auch: Gehen, aber Hauptsache nicht stehen! So kam ich dem Ziel Stück für Stück immer näher, bis ich auf den letzten Kilometern noch einmal alle Kräfte mobilisieren konnte und einen Endspurt hinlegte – bis heute bleibt mir völlig schleierhaft, wo ich plötzlich diese Energie hernahm.

Zieleinlauf nach mehr als 54 Stunden Wettkampf.

Das Gefühl, das mich im Ziel überkam, war dann aber unerwartet neutral. Keine Freudentränen – kein Jubelschrei. Natürlich war ich irgendwie stolz und auch glücklich, es geschafft zu haben, aber – vielleicht auch aufgrund des Schlafdefizits – ich war längst nicht so euphorisch, wie ich erwartet hatte. In diesem Moment konnte ich gar nicht richtig begreifen, welche Strecken ich überhaupt zurückgelegt hatte und wie ich diese Leistung einordnen sollte. Ich war ja nur wenige hundert Meter von dem Ort entfernt angekommen, an dem ich zwei Tage zuvor ins Wasser gesprungen war. Das fühlte sich irgendwie skurril an. Dennoch: Dieser Wettkampf war für mich eine Reifeprüfung. Und ich hatte sie bestanden.

Bereits kurz nach meinem Zieleinlauf beim Triple Ultratriathlon in Lensahn, kam mir der Gedanke, irgendwann einmal einen Triple Deca Continuous zu absolvieren. Das war im Juli 2017. Gleichzeitig war zu diesem Zeitpunkt die Italienerin Ilaria Corli in Deutschland unterwegs und lief sich mit dem längsten Triathlon ins Guinness Buch der Rekorde. Mitte August kam sie in Italien an, wo sie zuvor 190 Kilometer geschwommen war, dann mit dem Rad etwa 4.400 Kilometer über Frankreich bis nach Deutschland gefahren und danach noch knapp 1.080 Kilometer wieder zurück in ihr Heimatland gelaufen war. Ich verfolgte gebannt ihren Rekordversuch und dachte mir damals schon, dass die täglichen Distanzen, die Ilaria bewältigte, eigentlich auch für mich im Bereich des Möglichen lagen... Dennoch war ich total begeistert von dieser epischen Reise und vom Durchhaltewillen, den die Sportlerin zeigte. Doch ich dachte nicht weiter daran, eine solche Aktion wirklich ernsthaft in den Fokus meiner eigenen Planungen zu nehmen. Die Idee wurde also in der Schublade mit „Interessanten Dingen, über die man später mal nachdenken kann“ abgelegt. Denn nach meinem Ultratriathlon-Finish hatte ich erst einmal keine große Lust mehr auf Sport, und im Oktober begann ich zudem ein mehrjähriges Fernstudium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Bis zur Verteidigung meiner Masterarbeit im Oktober 2019 stand ein regelmäßiges Training nicht auf meiner Top-10-Liste. In der wenigen Freizeit, die mir neben Arbeit, Studium und Familie blieb, stieg ich wieder beim Einsatztauchen der DLRG ein und war ausdauersporttechnisch eher faul.

Der Weltrekord über den längsten Nonstop-Triathlon kam mir erst wieder ernsthaft in den Sinn, als sich in Deutschland auf einmal alles nur noch um Corona zu drehen schien. Ich war zu dieser Zeit im Corona-Krisenmanagementteam meines Dienstherrn, der Deutschen Bundesbank, aktiv und bereitete mich seit Oktober 2019 auf eine Radtour quer durch Europa vor, die für den Sommer 2020 geplant war. Ich wollte mit dem Rad vom Nordkap in Norwegen bis nach Tarifa in Spanien fahren – vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt des europäischen Festlands. 6.000 Kilometer in weniger als drei Wochen. Nach den sportfreien Jahren hatte ich dafür von Anfang Juli bis Mitte August meinen Jahresurlaub geplant, auch weil die Schließtage der Kita meiner Kinder einen so langen Urlaub notwendig machten. Meine Frau Ilsa und die Kinder sollten dann auf der zweiten Hälfte der Radtour, von Deutschland bis nach Spanien, im Begleitfahrzeug mitfahren. In meiner Vorstellung hätte ich somit nicht ganz so lange komplett auf meine Familie verzichten müssen. Ich war mir auch sicher, dass die Kinder mit ihren vier und sechs Jahren sicherlich Spaß an so einem Wohnmobil-Abenteuer gehabt und ihren Papa auch gerne angefeuert hätten.

Als klar wurde, dass mein geplantes Sportprojekt aufgrund von Corona nicht realisierbar war, beschäftige ich mich mit möglichen Alternativen. Aufgeben und sich über die Situation beschweren, liegt mir nicht. Ich gestalte lieber und besprach daher mit meiner Frau Ilsa, dass ich statt der Radtour gerne eine 30-fache Langdistanz in Eigenregie absolvieren würde. „Was willst du?“, sie starrte mich entgeistert an. Ihre erste Reaktion war zwar nicht ganz wie erhofft, aber zumindest so, wie ich vermutet hatte. Ich erklärte ihr mein Vorhaben, doch ich spürte ihre immer stärker werdende Ablehnung, je mehr ich ihr von meiner Planung erzählte. Ich weiß, dass sie es mir am liebsten verboten hätte, denn sie kennt mich zu gut und weiß auch, wie extrem ich während Ultrasport-Events leiden kann. Sie hat stets den uneingeschränkten Blick von außen, und als Sportler nehme ich ja eher verzerrt wahr, was genau passiert. Ilsa sieht an meiner Haltung, Gestik und Mimik ganz genau, wie es mir geht – was sie natürlich nicht unberührt lässt. Meiner Frau war wohl von Anfang an klar – noch bevor ich es überhaupt realisierte – was eine solche Aktion für uns als Familie bedeutete und wie anstrengend es sein würde. „Du immer mit deinem Optimismus!“, warf sie mir ein ums andere Mal vor. Ilsa ist eher der Realist und ich der Optimist, der zunächst alle Probleme ausblendet. Auf der anderen Seite wusste sie natürlich auch um meine brennende Leidenschaft für solche Sportprojekte und wie glücklich sie mich stimmten. „Und schau, die Sache hat auch einige Vorteile“, wollte ich ihr den Triathlon schmackhaft machen. So stieg damit zwar der notwendige Zeitbedarf im Vergleich zur Radtour, dafür aber sank das nötige Budget. Ich plante den Triathlon auf Rundstrecken um unseren Wohnort Bruchköbel und brauchte dadurch weder Hotel noch Begleitfahrzeug. Und so entstand in kurzer Zeit das Gerüst für den weltweit längsten Triathlon und den ersten Triple Deca Ultratriathlon Continuous überhaupt. Am Ende war ich bei der folgenden Planung angelangt:

114 Kilometer Schwimmen

5.400 Kilometer Radfahren

1.266 Kilometer Laufen

Das sollte das Sportprojekt meines Lebens werden! Für die Radtour hatte ich etwa 23 Tage eingeplant. Für den Triathlon würde ich mindestens 37 Tage benötigen, wenn alles perfekt lief… Dafür müsste ich aber auch innerhalb der einzelnen Distanzen täglich 30 Kilometer schwimmen, 360 Kilometer Radfahren und zwei Marathons laufen. Bei dieser Rechnung war mir relativ früh klar, dass ich sehr wahrscheinlich länger unterwegs sein würde, als das, was sehr optimistisch von mir kalkuliert worden war. Ich hatte ja keinerlei Vergleichsgrundlage, welches Tagespensum ich dauerhaft leisten könnte.

„Na, gut“, lenkte Ilsa schließlich ein, weil sie meine Begeisterung spürte und das Leuchten in meinen Augen nicht länger ignorieren konnte. „Zieh das durch!“ Doch sie machte zur Bedingung, dass ich zur Einschulung unseres älteren Sohnes mit dem Triathlon-Projekt fertig sein musste. Das wären dann insgesamt 45 Tage Zeit. Die acht Tage „Puffer“ erschienen mir vollkommen ausreichend – und so hatten wir einen Deal.

Ich weiß, dass meine Entwicklung zum Ultratriathleten nur möglich war, weil meine Frau mich stets dabei unterstützte und während aller Höhen und Tiefen immer an meiner Seite stand. Dafür bin ich ihr sehr dankbar! Während der Wettkämpfe ist sie stets das Rückgrat des Teams und meine wichtigste Stütze. Ilsa hat viel Freude am Wettkampferlebnis, doch oft kommt sie dabei selbst ins Schwitzen, denn der Support bei Ultrarennen ist meistens ähnlich anstrengend wie der Wettkampf selbst. Auch meine Kinder fiebern kräftig mit mir mit, und ich merke, dass mein Sport auch ihren Spaß an der Bewegung fördert. Da kann es schon mal vorkommen, dass die beiden Jungs einen Triathlon im Wohnzimmer nachspielen und Runden um den Esstisch rennen, mit imaginärem Helm auf der Radetappe unterwegs sind und mit Neoprenanzug „schwimmen“.

Mein Mann kann

Von Ilsa Leonhardt

Als ich Dirk kennenlernte, bereite er sich gerade auf einen Sprint-Triathlon vor. Er hatte damals bereits seinen ersten Ironman gefinisht, musste aber für die Kurzdistanz noch etwas an seinem Tempo arbeiten. Ich hatte großen Spaß daran, ihn bei seinen Intervall-Trainingseinheiten mit der Stoppuhr auf dem Rad zu begleiten und ihn anzutreiben, während er keuchend neben mir herrannte. Er startete in jenem Jahr nicht nur auf Kurzdistanzen, sondern auch bei mehreren Volksläufen, und ich war immer gerne mit dabei, wenn er ein Rennen absolvierte. Ich fand es schön, ihn dabei zu motivieren und genoss die Wettkampf-Atmosphäre.

In den Folgejahren probierte sich Dirk dann auch auf Ultra-Distanzen aus und begann mit dem 24-Stunden-Schwimmen. Auch hier war ich natürlich mit dabei, denn meinen Freund wollte ich bei solch einer Herausforderung nicht alleine lassen. Zudem war mir die Zuschauer- und Supporter-Funktion aus meiner Kindheit bestens bekannt. Mein Vater ist Sportlehrer und überaus sportbegeistert, und so ging ich mit ihm mehrmals pro Woche zu den unterschiedlichsten Wettkämpfen. Er spielte bei den Senioren Handball, übte sich im Brückenspringen, war Schiedsrichter beim Basketball, beim Boxen und beim Ringen. Ich war damals selbst als Basketballerin aktiv und liebte Sport – in der passiven als auch aktiven Rolle. Viele Ausflüge haben wir mit sportlichen Aktivitäten verbunden und so war ich bestens vorbereitet auf das, was mich in den kommenden Jahren mit Dirk erwarten sollte.

Selbst als ich hochschwanger war, begleitete ich Dirk zu einem 24-Stunden-Schwimmen. Ich nutzte die Zeit nicht nur für den Support meines Mannes, sondern auch für mich selbst und bin dabei mehr als zehn Kilometer geschwommen. Damit hatte ich trotz unübersehbarem Babybauch einen der vorderen Plätze belegt. „Wir hatten auf jeder Bahn die Sorge, dass das Baby hier im Schwimmbad zur Welt kommt“, erzählten mir die Rundenzählerinnen lachend, als ich bei der Siegerehrung meine Urkunde in Empfang nahm.

Bei allen Ultra-Distanzen überwogen stets die Freude und der Spaß an der Sache gegenüber den eigenen Strapazen – denn es ist klar, dass auch die Supporter besondere Ausdauerleistungen vollbringen müssen, wenn ein Ultra-Athlet an den Start geht. Was mich jedoch stets belastet, ist die Sorge um Dirks Gesundheit. Ich weiß, dass er bei Wettkämpfen bis zum Ende kämpft und immer alles gibt. Deshalb fordere ich von ihm jedes Mal das Versprechen ein, dass er auf seinen Körper hört und es nicht übertreibt. Daher geht es mir auch besser, wenn ich selbst an der Strecke stehe und mit eigenen Augen sehe, wie es ihm geht. Ich kann in seinem Gesicht exakt ablesen, was in ihm vorgeht. Außerdem weiß ich genau, welche Hebel und Knöpfe ich drücken muss, um Dirk zu motivieren, aufzumuntern oder eben noch ein bisschen anzuspornen.

Als mir Dirk von seiner Idee erzählte, den Weltrekord für den längsten Triathlon zu überbieten, wusste ich sofort, dass er das schaffen kann. Gemeinsam hatten wir den Versuch der bisherigen Rekordhalterin Ilaria Corli über die sozialen Medien verfolgt, und mir war damals schon klar: „Mein Mann kann das auch.“ Ich machte mir eher Sorgen über den enormen Zeitbedarf und wie unsere Kinder reagieren würden, wenn der Papa viele Wochen ständig unterwegs ist und vielleicht auch Verletzungen davonträgt. Vollkommen überrascht oder schockiert war ich daher nicht, als ich von Dirks Rekordplan hörte. Schließlich kenne ich ihn schon viele Jahre.

Rückblickend möchte ich den Rekord nicht missen und finde es gut, dass wir ihn gemeinsam als Familie angegangen sind. Die Rückmeldungen aus unserem Umfeld, aber auch von Menschen, die wir bis dahin noch gar nicht kannten, waren so unglaublich und haben mich darin bestärkt, dass dieser Sport einfach großartig ist und sich alle Qualen und Strapazen gelohnt haben. Auch, wenn es manchmal schwer fällt – viel schwerer, als man sich das vorstellen kann, wenn man keinen Ultrasportler zum Ehemann hat – aber für mich gilt: Mein Mann kann. Und ich erst recht!

Da meine Familie für mich klare Priorität hat, absolviere ich im Vorfeld eines Rennens eigentlich immer zu wenige Trainingskilometer. Der Vorteil bei langen Wettkämpfen ist aber, dass es dabei nicht so sehr auf körperliche Fitness ankommt, sondern eher auf mentale Stärke und vielleicht auch auf Erfahrung. Damit kann ich einen Trainingsrückstand gut kompensieren. Außerdem lege ich mein Training möglichst so, dass die gemeinsame Zeit mit den Kindern nicht wirklich eingeschränkt wird, indem ich zum Beispiel erst nach dem Abendessen mit dem Training starte. Die meisten Hobbysportler wären aber wohl ziemlich erstaunt, mit wie wenigen Trainingsstunden ich in meine Wettkämpfe gehe. Entsprechend findet sich mein Name natürlich nicht besonders weit oben in den Ergebnislisten – aber das ist mir auch nicht so wichtig. Viel wichtiger ist mir, dass ich mit meinem Tun und Handeln ein Vorbild für meine Kinder bin und mich meine Frau dabei unterstützt. Natürlich macht sie sich im Vorfeld immer wieder Sorgen, ob ich alles gut überstehen werde, aber ebenso kann sie sich für meine Sportprojekte auch mehr als begeistern.

Die Zeit mit der Familie hat Priorität Nr. 1.

Vom Rad-Abenteuer zum längsten Triathlon der Welt

Da ich nicht bei einem organisierten Wettkampf an den Start gehen wollte, gab es drei wichtige Themen, die Teil der Vorbereitung meines Sportprojektes waren: die Organisation des Vorhabens sowie das mentale und das körperliche Training.

Das Wichtigste bei der Vorbereitung eines großen Projektes ist, sich über das Ziel völlig im Klaren zu sein. Seit Oktober 2019 plante ich also für den Sommer 2020 eine Radreise vom Nord- zum Südpunkt Europas. Das klang nach Abenteuer. Und ich wollte endlich mal wieder ein sportliches Abenteuer erleben. Eine Tour, die ich in dieser Art vorher noch nie geschafft hatte. Dieses Ziel festigte ich als erstes mental, indem ich mir eine Vision aufbaute. Ich stellte mir vor, wie es wohl sein wird, wenn ich am Nordkap stehe und voller Aufregung auf mein Rad steige. Ich schaute mir Bilder und Videos der Umgebung an und visualisierte, wie es ist, durch die Wildnis Finnlands zu radeln. Ich dachte mit Freude daran, wie ich durch die Straßen Sankt Petersburgs fahre und verbrachte Stunden am PC damit, die Route durch Osteuropa zu optimieren. Die Idee, eine Europareise aus eigener Kraft zu bewältigen, faszinierte mich immer weiter. So entstand Stück für Stück die Vision eines ultimativen Abenteuers.

Im Januar startete ich mit dem sportlichen Training. So oft es ging, fuhr ich mit dem Rad zur Arbeit, was jeweils 50 Kilometer waren – 25 Kilometer hin, 25 Kilometer am Abend wieder zurück. Mitte Februar stand dann meine erste große Trainingstour auf dem Programm: Ich fuhr mit dem Rad von meiner Haustür in Bruchköbel bis nach Leipzig. Nach knapp 355 Kilometern und etwa 3.000 Höhenmetern kam ich nach 15 Stunden und 26 Minuten mitten in der Nacht in meinem Hostel an. Bereits für den nächsten Morgen war die Rückfahrt geplant, doch das Wetter war ziemlich miserabel, und der starke Wind wehte mir ständig Regen ins Gesicht. So entschied ich mich nach 90 Kilometern, doch den Zug für den Heimweg zu nutzen und fand in Apolda den nächstgelegenen Bahnhof. Mit vor Kälte klappernden Zähnen musste ich mir eingestehen, dass der Wettergott diese Schlacht gewonnen und mich erfolgreich zermürbt hatte. Andererseits war ich stolz, dass ich so vernünftig gewesen war, aufzugeben, um keine schwere Erkältung zu riskieren. Und zu guter Letzt: Eine Fahrt mit der Deutschen Bahn samt Fahrrad kann auch mal schnell zu einem Abenteuer werden...

Ein Wochenende zu zweit: Mein Rad und ich in Leipzig.

Ende Februar absolvierte ich dann zur Abwechslung auch mal einen 5-Kilometer-Trainingslauf, einfach nur, um neben dem Radfahren auch mal etwas Laufen zu trainieren. Anfang März stand dann das nächste Bikepacking an: Ich fuhr über Frankfurt ins französische Nancy. Das waren 336 Kilometer und über 2.800 Höhenmeter. Unterwegs hatte ich mit mehreren technischen Defekten zu kämpfen und musste mir sogar einen neuen Fahrradmantel kaufen. In Nancy angekommen, checkte ich wieder für einige Stunden in ein Hotel ein und fuhr am nächsten Morgen direkt zurück. Die Streckenwahl zunächst nach Leipzig und dann nach Nancy war natürlich nicht zufällig getroffen, sondern entsprach der Route, die ich im Juli fahren wollte, wenn ich auf der Radtour vom Nordkap auch durch Deutschland und Frankreich kam.

Am Montag nach meiner Tour nach Nancy wurde das Elsass zum Risikogebiet erklärt. Radtouren ins Ausland waren damit also nicht mehr drin, und ich musste mich mit Touren innerhalb Deutschlands begnügen. Doch auch wenn es bis zum ersten Lockdown in Deutschland noch einige Tage dauern sollte, war schon jetzt klar, dass die Corona-Pandemie meine geplante Europa-Radtour gefährden könnte. Die Politiker dachten nur von Woche zu Woche, und es bestand noch immer die Hoffnung, dass der Sommerurlaub wie gewohnt stattfinden könnte. Nichtsdestotrotz wurde mein mulmiges Gefühl immer stärker. Ich begann schweren Herzens damit, mir Alternativen zu überlegen. Rein für den Fall, dass…

Der Umgang mit Rückschlägen und mentalen Herausforderungen war ohnehin Teil meiner Vorbereitungen. Ein Ausdauerwettkampf wird im Kopf entschieden. Das war mir von Beginn an klar. Dabei setzte ich neben der Visualisierung von Erfolgsmomenten ein weiteres Instrument ein: Das Durchspielen von extremen Szenarien, also was mir unterwegs alles passieren könnte. So erarbeitete ich Lösungsmöglichkeiten für den Fall, dass ich einen irreparablen Defekt am Fahrrad oder einen schweren Verkehrsunfall hätte. Ich dachte ebenso darüber nach, wie ich mich verhalten würde, wenn ich während der Radtour plötzlich die Information erhielt, dass meine Oma schwer erkrankt ins Krankenhaus eingeliefert werden müsste. Durch die Vorstellung dieser Schreckensszenarien wird einem später sehr viel einfacher bewusst, wie trivial andere Probleme, wie zum Beispiel ein platter Reifen, sind. Die immer neuen Nachrichten über die Corona-Pandemie passten da gut ins Bild, denn nun war ich gezwungen, auch darüber nachzudenken, was ich machen würde, wenn ich meine Radreise mit zahlreichen Grenzübertritten nicht durchführen könnte. So öffnete ich die imaginäre Schublade mit den „Interessanten Dingen, über die man später mal nachdenken kann“ und stieß dabei auf meine Idee zum längsten Triathlon der Welt. Ich rechnete den möglichen Zeitbedarf aus und stellte fest, dass meine Urlaubstage auch dafür ausreichen könnten. Doch noch war die Radtour für mich deutlich attraktiver und versprach, das schönere Abenteuer zu werden. Außerdem wäre eine lange Triathlon-Reise innerhalb Deutschlands ja auch nicht mit den Corona-Restriktionen vereinbar. Denn daran, im Kreis um meinen Wohnort zu fahren und zu laufen, dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Das mentale Training konnte ich auch beim sportlichen Training umsetzen, und so fuhr ich dann eben den 94 Kilometer langen Vulkanradweg hoch und runter. Als Optimist stand für mich nämlich immer noch fest, dass ich im Juli eine Radtour machen würde. Als Corona-kompatibles und familienfreundliches Mentaltraining nahm ich mir Mitte April dann eine besondere Herausforderung vor: Ich wollte nach Feierabend ein 12-Stunden-Radtraining absolvieren und suchte mir dafür das Industriegebiet im benachbarten Erlensee aus. Hier konnte ich in Ruhe auf durchgängig beleuchteter Strecke meine Runden drehen. Um 18 Uhr ging es los, und bis zum nächsten Morgen um 6 Uhr fuhr ich unzählige Runden zu je 1,8 Kilometern. Am Ende der 12 Stunden hatte ich genau 250 Kilometer geschafft und startete in den nächsten Homeoffice-Tag. So gewöhnte ich mich an wenig Schlaf und strapazierte meine Motivation.