Vielfalt des Lebens - Anne Moog - E-Book

Vielfalt des Lebens E-Book

Anne Moog

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Beschreibung

15 Erzählungen, so vielfältig wie das Leben. Sie handeln von Liebe und Freundschaft, Krankheit und Tod, Verantwortung und Gerechtigkeit. Eines haben sie alle gemeinsam. Sie sind kurz, intensiv und bleiben in Erinnerung.

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Seitenzahl: 78

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Buchbeschreibung:

15 Erzählungen, so vielfältig wie das Leben. Sie handeln von Liebe und Freundschaft, Krankheit und Tod, Verantwortung und Gerechtigkeit. Eines haben sie alle gemeinsam. Sie sind kurz, intensiv und bleiben in Erinnerung.

Über den Autor:

Dr. Anne Moog, Jahrgang 1968, lebt in Bendorf am Rhein.

Inhaltsverzeichnis

Herzenswunsch

Die Regeln

Als das Licht ausging

Blutrot

Die Erinnerung lässt uns lächeln

Wie Brüder

Du bist, was du liest

Alleinerbe

Nomen est omen

Gute Versuchsperson

Alter Fuchs

Nur ein Wimpernschlag

Alltagsheld

Himmlische Kräfte

Vielfalt des Lebens

Herzenswunsch

Ich blickte auf die einzelne Kerze, die vor mir auf dem Erdbeerkuchen flackerte.

»Wünsch dir was«, sagte Lars und lächelte mich an.

Ich dachte gut nach. Es gab einiges, was in meinem Leben nicht rund lief und was ich mir wünschte, dass es anders, besser würde. Aber ich hatte nur EINEN Herzenswunsch. Ich schloss die Augen und blies die Kerze aus.

Das war am 15. Juni gewesen, an meinem Geburtstag, einem herrlichen Sommertag, den ich mit Lars am See verbrachte. Wir lagen auf der Wiese und hingen unseren Gedanken nach.

»Elli, verrätst du mir, was du dir gewünscht hast?«, fragte Lars nach einer Weile.

»Du kannst es dir doch denken«, erwiderte ich zögerlich.

»Ja. Ich finde aber, indem du es aussprichst, machst du den Wunsch ein bisschen realer. Vielleicht hilft es sogar, ihn am Ende zu verwirklichen.«

»Ach Lars …«

»Überlege dir, was du willst, wünsche es dir und dann sorge dafür, dass es wahr wird.«

Ich musste lachen, trotz allem. »Das hört sich ja voll nach einem Ratgeberbuch an. Aber gut, du lässt mich ja ansonsten sowieso nicht in Ruhe.« Ich holte tief Luft und sagte mit fester Stimme: »Ich wünsche mir, dass Felix sich bei mir meldet und mich kennenlernen möchte. Punkt, nein Ausrufezeichen.«

Lars nickte zufrieden. Kurze Zeit später fing er wieder an. »Sag mal, hat Felix eigentlich eine Chance, dich zu finden?«

»He? Wieso nicht?« Ich schüttelte irritiert den Kopf.

»Na ja, wenn ich das richtig verstanden habe, hast du damals nur deinen Namen bei der Adoptionsvermittlungsstelle hinterlassen und bist dann fast 700 Kilometer vom Geburtsort weggezogen.«

»Ja, und?«

»Na ja. Es wird wohl ganz schön viele Elisabeth Schmidt in Deutschland geben oder?« Ich stutzte. »Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nie nachgedacht.« Ich merkte, wie ich unruhig wurde. Sollte das der Grund sein, warum sich Felix nie bei mir gemeldet hatte? »Meinst du wirklich?« Plötzlich war ich total aufgeregt. »Was kann ich machen?«

»Das weiß ich auch nicht so genau. Ich würde sagen, am besten rufst du da mal an und fragst, wie du eine Nachricht für Felix hinterlegen kannst.«

Von einem Geräusch geweckt schreckte ich hoch. Als ich auf den Radiowecker neben meinem Bett sah, wurde mir klar, dass ich über 9 Stunden geschlafen hatte. Wow, das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Seit ich die Schlaftabletten nur noch in besonders kritischen Phasen nahm, wirkten sie besser, stärker und länger. 9.23 Uhr, ich hatte also bereits 9 Stunden und 23 Minuten von Felix’ Geburtstag hinter mir. Halleluja!

Obwohl ich so lange geschlafen hatte, fühlte ich mich erschöpft. Außerdem spürte ich, wie vom Hinterkopf hoch eine Migräne in Anflug war. Trotzdem schaltete ich das Radio ein, um die Ruhe um mich herum nicht ertragen zu müssen. Ich kämpfte mit den Tränen. Laufenlassen, hatte der Therapeut gesagt, vor allem heute. Also weinte ich, bis mein Kopfkissen klatschnass war und gab mich vollends meiner Trauer, meinem Schmerz und meinen allgewärtigen Schuldgefühlen hin. Als ich die Augen schloss, waren meine Erinnerungen an die zwei Stunden nach der Geburt von Felix sofort wieder da. Es war ein so gutes Gefühl, ihn in meinen Armen zu halten, ihn zu betrachten, ihn zu streicheln und vor allem, ihn zu riechen. Pures Glück machte sich für einen kurzen Moment in mir breit. Dann dachte ich an den Abschied, an den Augenblick, in dem die Krankenschwester Felix abgeholt hatte. Noch jetzt spürte ich die Erleichterung, für die ich mich heute so sehr schämte. Ich hatte Felix zur Adoption freigegeben in der festen Überzeugung, dass ich es mit Kind nicht schaffen und er es in einer Adoptivfamilie besser haben würde. Damals, als ich dachte, es gäbe keine andere Lösung. Auch danach, als ich versucht hatte, alles zu verdrängen.

Ich hatte mir immer nur Männer ausgesucht, bei denen ich kostenlos wohnen konnte, damit ich noch genügend Geld für meinen Alkohol hatte. Tja und dafür musste ich so einiges in Kauf nehmen. Ich schüttelte mich vor den Gedanken an diese Typen, deren Reihenfolge ich schon nicht mehr hinbekam. Und ich schüttelte mich vor mir selbst. Heute sah ich vieles so anders … Ach Felix!

Eine neue Welle der Schuldgefühle und des Bedauerns überrollte mich. Ich versuchte, meine Gedanken auf etwas Positives zu fokussieren. Lars! Durch ihn hatte ich erkannt, dass es in meinem Leben nicht weitergehen konnte wie bisher.

Ich ließ das letzte Jahr Revue passieren. Eigene Wohnung, seit 274 Tagen trocken, in psychotherapeutischer Begleitung, ein Job. Das war eine gute Jahresbilanz. Stolz erfüllte mich, ich hatte es weit gebracht. Und ich hatte Lars als Freund. Durch ihn waren meine depressiven Einbrüche wesentlich weniger geworden. Er gab mir Halt, Stabilität und Struktur und er war es auch gewesen, der die Idee hatte, neben meinem Namen ebenfalls meine aktuelle Anschrift und meine Handynummer bei der Adoptionsvermittlungsstelle zu hinterlegen. Das war jetzt fünf Monate her. Irgendwie hatte ich gehofft, dass Felix nur auf meine Nachricht gewartet hätte. Leider war das nicht so. Keine Reaktion von seiner Seite.

Ich schloss meine Augen. Jetzt gerade glaubte ich, meinen Sohn zu spüren. Er saß in meinem Herzen und lehnte sich ganz fest an mich. Ich legte meine Hand auf meine Brust. »Herzlichen Glückwunsch zu deinem 17. Geburtstag, Felix!«, flüsterte ich leise.

Der Piepton meines Handys riss unsere Zweisamkeit auseinander. Mir stockte der Atem, als ich die Nachricht las:

Liebe Elisabeth Schmidt, auch ich möchte Sie/ Dich gerne kennen lernen. VG. Felix

Die Regeln

Als ich in Jims Auto steige, bin ich mir sicher, dass es heute Abend passieren wird. Wir werden uns küssen. Endlich!

Ich kenne ihn seit vielen Jahren, er ist der beste Freund meines älteren Bruders und ich finde ihn toll, schon immer. Für ihn war ich bislang nur die kleine, nervige Schwester seines Freundes. Mehr nicht. Das hat sich geändert. Seit etwa einem halben Jahr sieht er mich anders an. Seine Blicke sind intensiver, sein Lächeln ist breiter geworden. Er verwickelt mich in Gespräche über Musik, Computer, Schule, Filme oder so. Dann vergessen wir für kurze Zeit, wo und wie wir leben. Keine Gewalt, keine Kriminalität, keine Sorgen, keine Ängste. Dann sind wir normale Teenager, die zusammen lachen. Und ich reagiere mit Herzrasen und Kribbeln im Magen.

Heute ist unser erstes Date. Jim holt mich ab, wir wollen ins Kino.

Das Aufheulen einer Sirene lässt uns zusammenzucken. Ich drehe mich um und sehe das flackernde Blaulicht eines Polizeiautos. Sofort denke ich an die Regeln, die mir meine Eltern einbläuen, seit ich elf bin. Es geht darum, wie ich mich verhalten soll, wenn ich von Cops angehalten werde.

Halte deine Hände so, dass man sie sieht. Immer. Sei höflich und respektvoll. Mach alles, was sie sagen. Widersprich nicht, diskutiere nicht. Rede nur, wenn du gefragt wirst. Mach keine plötzlichen Bewegungen. Bleib ruhig. Achte auf deine Worte, deine Körpersprache und deine Emotionen.

Theoretisch weiß ich das alles. Erlebt habe ich diese Situation bislang nicht.

»Muss das jetzt sein? In ’ner halben Stunde fängt der Film an. Reine Schikane, ich sag’s dir!« Jim wirkt genervt. Ich antworte nicht, mir ist schlecht. Jim dreht das Radio leiser und hält am Straßenrand. Um diese Zeit ist auf der Landstraße nichts los. Kein Mensch, keine weiteren Autos, nur wir und der Streifenwagen. Ich weiche Jims Blick aus. Ich will nicht, dass er bemerkt, wie viel Angst ich habe. Ein Polizist klopft an die Scheibe der Fahrertür. Jim kurbelt sie runter. Der Beamte hält uns seine Taschenlampe ins Gesicht. »Führerschein, Zulassung und Versicherungsnachweis.«

Ich zucke bei jedem einzelnen Wort.

»Guten Abend erstmal. So viel Zeit muss sein oder meinen Sie nicht?«, antwortet Jim in süffisantem Ton.

Oh Jim, denk an die Regeln. Leg dich nicht mit ihm an.

Der Polizist reagiert nicht. Jim holt seine Brieftasche aus der Jackeninnenseite. Der Polizist beobachtet ihn genau. Wieder denke ich an die Regeln und lege beide Hände auf das Handschuhfach, ich spreize die Finger. Jim gibt dem Polizisten die Papiere.

»Wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?«

»Ich glaube, das geht Sie nichts an. Warum haben Sie uns angehalten?«

Jim hat Recht, es geht ihn nichts an. Trotzdem, ich denke wieder an die Regeln. Jim verhält sich weder höflich noch respektvoll. Im Gegenteil. Warum? Will er cool sein? Will er mir imponieren? »Wir wollen ins Kino«, sage ich ganz leise. Jim schüttelt den Kopf. »Was geht ihn das an? Müssen wir ihm das sagen, weil er ein Weißer ist und wir Schwarze sind? Warum haben Sie uns angehalten?«

Mein Herz rast und ich weiß nicht, was ich machen soll.

»Du hast beim Spurwechsel nicht geblinkt.«

»Ich blinke immer.«

Oh nein. Kein Widerspruch gegenüber dem Cop.

»Steig aus!«

»Wieso?«

»Steig aus, sofort!« Der Beamte schreit jetzt. »Und Hände hoch!«