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Erich Puedo

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Beschreibung

Er auf der Suche nach dem großen Glück. Sie auf der Flucht davor. Sie treffen sich und reden. Sie reden für "4 Tage". Sie reden über Freiheit, Sommer, Sonne, Wind und Surfen, über das Hier und Jetzt, ihre Leben zu Hause, über die Aussteiger um sie herum, sie reden über das Leben per se und am Ende reden sie über sich. Zwei Menschen und eine Geschichte auf der Suche nach dem ganz Großen. Lesermeinungen: "Ein wunderschöner Liebesroman in einer Atmosphäre irgendwo zwischen "Gut gegen Nordwind" und "Before sunrise"." "Fesselnd, einzigartig, originell, überraschend, frech. Dieser Newcomer setzt Bestmarken in Sachen Unterhaltung, Form und Wiedererkennungswert." "Es ist wie ein Tagebuch lesen und mitfiebern, dass es so ausgeht wie es ausgeht. Es ist eine wunderbare Liebesgeschichte!"

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Erich Puedo

Vier Tage

Ich bleib hier. Kommst Du mit?

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Hello - Shakespear`s Sisters

Hey, Pippi Langstrumpf... - Astrid Lindgren

Hallelujah - Rea Garvey

Supergirl - Rayman

Balu - Kettcar

Sky and Sand - Paul Kalkbrenner

Geboren um zu leben - Unheilig

No puedo vivir sin ti - el canto del loco

Hätt ich dich heut erwartet - Ernie

The story - Brandi Carlile

Irgendwann, vielleicht - Die Drogen

Gib mir Sonne - Rosenstolz

Am I standing still - Jewel

Niemals geht man so ganz - Trude Herr

Und nur einen Monat später:

Hello - Shakespear`s Sisters

»Is this free?«

Eine Frau. Sie lächelt und will wohl den Stuhl neben mir. Ein ziemlich eindeutig deutsches `sss` hat sie in ihrem `th` von ihrem “Is this free?“. Aber eine interessante Stimme. Ein bisschen rauchig. Vielleicht leicht männlich bassig. Auf jeden Fall weit weg von mädchenhaft piepsend... Gute Stimme, schöne Stimme. Und sie lächelt einfach weiter. Und das macht sie gut. Das ist ein ausgesprochen sympathisches Lächeln einer wirklich gut aussehenden Frau. Egal, wie spannend mein Buch, und egal wie entspannend die Kombination mit meinem Kaffee, Ruhe und Sonne hier gerade war, es gibt absolut keinen Grund zum “Nein“ -sagen. Das ist mal sicher. Und langsam sollte ich wohl mal etwas antworten.

»Sicher. Der ist frei.«

Ein kleines Fragezeichen in ihrem Gesicht. Ein kleines Zögern und ihr Lächeln verschwindet.

»Akzentfrei mein Englisch, ich weiß.«

Oh, der Wechsel ins Deutsche war gar nicht geplant, aber er lag so auf der Hand. Und auch wenn ich ihr Lächeln vergrault habe, ihre Stimme ist ja noch interessanter, wenn ihre Stimme ganz natürlich deutsch reden darf. Eine Stimme, die ganz klar interessanter ist als mein Buch. Ich glaube, ich sollte mir wohl mal ein bisschen Mühe geben und ein kleines Gespräch beginnen. Nur wie? Und worüber?

»Was machst du hier?«

Sehr gut. Auf die Frage hätte ich auch kommen können. Aber danke dir für die Hilfe. So einfach.

»Was ich hier mache? Ich surfe.«

»Hier?«

»Ja, ja. Ein Superort zum Surfen, das hier.«

»Sieht mir eher aus, als würdest du hier ganz entspannt Kaffee trinken und ein Buch lesen.«

Hmm. Und jetzt hat sie so etwas ironisches, neckisches und verspieltes in ihrer Stimme. Und ihr Lächeln ist schon wieder zurück. Ich will sicher nicht mehr lesen. Ich will mehr von dieser Stimme.

»Recht hast du. Ich trinke Kaffee. Willst du auch einen?«

Habe ich sie gerade auf einen Kaffee eingeladen? Ja, ich glaube ja. Gut gemacht.

»Ich kann mich doch nicht von dem erstbesten Surfertypen in Tarifa auf einen Kaffee einladen lassen!«

Zickiger Inhalt. Aber ganz sicher nicht zickig gemeint. Dieser herausfordernde Ton... Ich glaube... Ich glaube, das könnte lustig werden. Und ich mache da einfach mal mit:

»Ich würde auch sicher nicht die erstbeste Pauschalurlaub-Kurztrip-Touristin auf einen Kaffee einladen. Wollte nur wissen, ob ich dir bei deiner Bestellung helfen soll? Du sprichst ja sicher kein spanisch.«

Hervorragend. Wo kam denn der Geistesblitz her? Lässig vorgetragen und höchstens ein kleinstes verräterisches Grinsen auf meinen Lippen.

»Ähhh, nein...«

Sie weiß nicht weiter. Sehr gut. Eins zu null für mich. Und sie scheint sich auch noch zu freuen über ihre Niederlage. Sie lächelt weiter und zwar breiter. Sie lacht fast.

»Ja, bitte hilf mir! Ich brauche so dringend einen Kaffee, aber keiner von den gutaussehenden, braungebrannten Spaniern, die ich bisher angesprochen habe, versteht mich. Da dachte ich, ich frage dich.«

Autsch, kein schlechter Konter. Ich übergehe das mal lieber. Nicht, dass sie denkt, sie hätte hier einen Treffer gelandet.

»Kein Problem. Ich kann helfen. Milchkaffee?«

»Gern.«

Sie hat einen Gesichtsausdruck, als wäre sie noch nicht ganz zufrieden. Als würde sie gerade den ganz großen Gegenangriff planen. Mach’ du nur. Ich führe ja noch knapp, mit eins zu höchstens einem halben Punkt.

»Dos cafés con leche, por favor.«

»Lupenreines Spanisch!«

»Wie bitte?«

»Absolut akzentfrei!«

Ihr gefällt mein Spanisch nicht? Na gut. Aber sie jetzt mit ihrem `sss` in ihrem “Is this free?“ aufzuziehen, wäre wahrscheinlich ein bisschen zu einfach. Ich lasse diese Vorlage zum Kontern mal bewusst aus.

»Sprichst du spanisch?«

»Wahrscheinlich so wie du. Du kannst auch nicht viel mehr, als Milchkaffe bestellen oder?«

Wie jetzt? Woher will sie denn wissen, dass ich eigentlich kaum ein Wort spanisch spreche? Was kann man denn an “Dos cafés con leche, por favor.“ so falsch machen? So schlecht kann sich das doch gar nicht angehört haben. Und die Kellnerin hat mich immerhin problemlos verstanden. Andererseits hat sich mein namenloses Gegenüber mit ihrem “Is this free?“ ja auch verraten. Wahrscheinlich will sie sich nur rächen, weil ich ihr deutsches `th` erkannt habe. Mach’ du nur. Ich finde, ich führe noch relativ souverän in unserem kleinen verbalen Schlagabtausch.

»Ich hätte auch tres cervezas bestellen können.«

»Nicht schlecht... Aber kannst du auch vier bestellen?«

Denkt sie wirklich, ich könnte nicht bis vier zählen? Verdammt, und recht hat sie sogar. Ist es cuatre oder cuatro? Ich glaube cuatro, aber sicher bin ich mir nicht. Und bevor ich falsch liege, umgehe ich das Problem mal lieber. Also, einfach lässig, spanisch und machomäßig nach hinten lehnen, vier Finger heben und:

»Cervezas, por favor!«

Nur ein ganz kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. Aber... Aber ich glaube, sie findet nicht meine Möchtegern-Macho-mäßig bestellten vier Bier lustig. Weiß sie, dass ich auf spanisch nicht bis vier zählen kann? Verdammt, sie weiß es. Und sie hat es rausgefunden. Sie hat gepokert. Sie hat darauf gewettet, dass ich nicht bis vier zählen kann. Und sie hatte recht. So ein Dreck! Sie hat gewonnen. Und sie weiß, dass sie gewonnen hat. Und sie feiert ihren Sieg. Ganz im Stillen. Sie feiert ganz im Stillen in ihrem hübschen Kopf. Hübsch... Sie ist hübsch... Und sie ist noch nicht fertig mit mir, ihre Augen funkeln:

»Geht doch. Aber mit deinem Wortschatz und deinem niedlichen Akzent wird es sicher schwer, bei den spanischen Frauen zu landen.«

Da liege ich schon am Boden und sie tritt lächelnd nach. Sehr unsportlich, ihr Verhalten. Fair Play ist das nicht. Wie komme ich denn da mit erhobenem Haupt wieder raus? Andererseits verliere ich gerade gerne. Aber das muss sie ja nicht wissen. Ich bleibe einfach bei meiner Macho-Linie. Also, wieder lässig zurücklehnen in meinen Café-Sessel und dieses Mal 10 Finger in die Luft und:

»Besos, por favor.«

Und sie lacht.

»Diez besos? Hat der Hobby-Macho gerade zehn Küsschen bestellen wollen?«

Und sie lacht weiter. Ein irgendwie ansteckendes Lachen. Nur lacht sie mich gerade aus. Und sie beschimpft mich als Hobby-Macho. Und es macht mir nicht das geringste aus. Lach mich nur weiter aus. Ich lache einfach mit.

»Immerhin hat der Hobby-Macho, por favor gesagt. Und das ziemlich akzentfrei.«

»Immerhin. Höflich bist du. Aber wahrscheinlich auch genau deswegen noch kein richtiger spanischer Vollblutmacho.«

»Aber ich arbeite dran. Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich mir keine Mühe gebe. Hier! Dieses breitbeinige im Sessel liegen, das schafft ein durchschnittlicher Mitteleuropäer sicher nicht.«

»Hmm... Wie lange übst du denn schon?«

»Wie lange ich schon übe, ein guter Macho zu werden? Ungefähr 33 Jahre.«

»Oh, da hast du aber früh angefangen. Aber eigentlich wollte ich wissen, wie lange du schon hier in Spanien sitzt und an deinem Macho-Image bastelst?«

»Seit ein paar Wochen.«

»Wind- oder Kitesurfen?«

Aha, sie ist informiert.

»Kiten.«

»Wie lange?«

»Den ganzen Sommer. Und du?«

»Weiß noch nicht. Ich bin gerade angekommen. Sollte hier in Tarifa nicht immer Wind sein?«

»Hier ist fast immer Wind, nur heute eben nicht.«

»Und was macht man dann hier so, wenn kein Wind ist?«

»Nichts. Kaffee trinken. Ein Buch lesen. Abends vielleicht mal ein Bier. Ein Superort für Nichts!«

»Hmm.«

»Man kann noch versuchen, ein guter spanischer Macho zu werden. Aber das ist schwer. Für Frauen besonders schwer.«

»Hmm.«

Nun sag’ schon was. Ich will weiter mit dir reden. Du bist viel, viel spannender als mein Buch.

Du bist lustig. Du bist schlagfertig. Du bist irgendwie verdammt cool. Auch wenn da vielleicht etwas ganz leicht nervöses, unausgeglichenes oder etwas ganz leicht zappeliges tief in dir versteckt ist. Du bist eindeutig cooler als ich. Und du bist hübsch. Oder schön? Vielleicht nicht klassisch schön. Ein süßes Schön vielleicht. Nein, nicht süß. Ich weiß auch nicht. Du gefällst mir einfach.

»Wo kommst du her?«

»Was?«

Na, wo ist sie denn jetzt in Gedanken? Die Frage, wo sie her kommt, ist doch nicht so schwer zu verstehen. Oder will sie nicht mehr reden? Habe ich irgendetwas falsches gesagt? Vielleicht lasse ich sie einfach mal kurz in Ruhe. Und da kommt auch noch der Kaffee zu meiner Rettung:

»Habe mich nur gewundert, wo der Kaffee denn jetzt her kommt auf einmal. Habe die Kellnerin gar nicht bemerkt.«

Sehr gute Ausrede. Gut gemacht.

»Ach so...«

Und schon ist da wieder dieses Lächeln.

»Ich bin aus Hamburg.«

»Ah.«

»Du hast gefragt.«

Hast mir meine Kaffee-Ausrede wohl nicht abgenommen, was?

»Ich bin aus Berlin.«

»Na dann hätten wir das.«

Na dann hätten wir das. Was soll das denn? Willst du jetzt weiter mit mir reden oder nicht? Na dann hätten wir das... Na dann hätten wir das? Na dann hätten wir was denn? Ich weiß nicht weiter.

»Ja, das hätten wir...«

Sie sagt nichts. Ich will aber weiter mit ihr reden. Einfach irgendeine Fragerunde starten:

»Bist du allein hier?«

»Nee, mein Mann kommt gleich. Du?«

»Ah... Ich bin... Dein Mann kommt also gleich.«

Überraschende Wendung. Blöde Wendung. Mein Buch hat gerade wieder eine deutlich größere Anziehungskraft bekommen. Schade. Ganz schade.

»Sollte er, ja. Aber Männer sind ja auch nicht mehr so zuverlässig, wie sie mal waren früher.«

»Und dein unzuverlässiger Mann lässt dich so mit herumlungernden Surfern reden?«

»Natürlich nicht mit jedem. Bei einem richtigen spanischen Vollblutmacho hätte er wahrscheinlich schon ein Problem, aber bei dir macht er sich sicher keine Sorgen.«

Blöde Kuh. Langsam ist Schluss mit lustig. Wer hat sich denn zu mir gesetzt und mir diesen unnützen Small Talk aufgezwungen? Wer hat denn hier wem mit diesem sensationellen Lächeln schöne Augen gemacht? Und wer hat hier bei der ersten aufkommenden Hoffnung auf eine interessante Bekanntschaft seinen Mann ins Spiel gebracht? Und mir dann noch blöd kommen, dass ich kein richtiger spanischer Macho bin? Langsam werde ich sauer. Ich glaube ich bin sauer. Verschwinde doch wieder hübsche Frau. Und hör’ auf, mich so musternd anzuschauen. Und hör’ auf zu lächeln.

»Und da sagst du nichts mehr?«

Was soll ich denn sagen?

»Du, was soll ich sagen? Wir trinken hier gemütlich Kaffee. Du lächelst mich an. Und gleich steht mir eine peinliche Eifersuchtsszene mit deinem Zuchthengst bevor, weil der mich wahrscheinlich doch für einen perfekten Macho-Surfer hält?«

»Mein Zuchthengst?«

Und weg ist ihr schönes Lächeln. Was für eine dämliche Wortwahl. Eindeutiger kann ich ihr wohl nicht zeigen, dass ich enttäuscht bin. Ich bin eifersüchtig. Ich bin eifersüchtig, bevor ihr Zuchthengst überhaupt vor mir steht und mir seinerseits eine Eifersuchtsszene machen kann. Ich fand das Gespräch irgendwie gut. Aber dann ist es jetzt halt vorbei. Und jetzt einfach irgendwie mit halbwegs erhobenen Haupt hier wieder raus aus der Sache:

»Entschuldigung. Ich weiß nicht, wo das Wort Zuchthengst gerade hergekommen ist. Wahrscheinlich vertrage ich nicht so viel Kaffee. Ehemann! Ich wollte Ehemann sagen. Tut mir leid.«

»Angenommen.«

Und sie lächelt wieder.

»Macht ein bisschen den Eindruck, als wärst du eingeschnappt, aber wenn du nur den Kaffee nicht verträgst...«

Jetzt, lass’ es halt gut sein, liebe namenlose Frau. Wir trinken jetzt aus. Und dann gehen wir unserer Wege und ich kann endlich wieder mein Buch lesen.

»Und was lesen wir denn da? `Und Nietzsche weinte`? Der Nietzsche? Der Philosoph?«

»Ja, Nietzsche, der Philosoph.«

Habe ich Lust, mit dir über mein Buch zu reden? Alleine weiterlesen wäre auf jeden Fall eine Option, eine ganz entspannte zuchthengstfreie Option.

»Warum weint er, der Herr Nietzsche?«

Wenn sie nicht so eine sensationelle Stimme hätte... Ich mag sie irgendwie. Ehemann oder Zuchthengst hin oder her. Wirklich schade das ganze. Aber warum nicht das Beste machen aus den paar Minuten, bis ihr Zuchthengst eintrifft. Vielleicht wird das ja auch irgendwie interessant.

»Der Herr Nietzsche hat auf jeden Fall ordentlich ein Ding an der Waffel. Ich bin erst auf Seite hundert und bisher hat Herr Nietzsche noch nicht geweint. Aber ich glaube, er wird weinen, weil er zugeben muss, dass er mit seinem Leben nicht klar kommt.«

»Da muss er doch nicht gleich weinen, es kommt doch fast niemand mit seinem Leben klar..., so wirklich.«

»Ach?«

Niemand kommt also mit seinem Leben klar? Du auch nicht? Oder dein Ehemann nicht?

»Gut?«

»Was?«

»Gutes Buch?«

»Ich glaube, das Buch ist super, aber ich bin mir noch nicht ganz sicher. Es ist ein bisschen seltsam aber gut.«

»Worum geht es?«

»Da bin ich mir auch noch nicht ganz sicher, worauf es hinausläuft. Es spielt irgendwann um 1900 und irgendein Arzt versucht, Herrn Nietzsche von seinen Lebensleiden zu heilen und wird dabei, glaube ich, die Psychotherapie erfinden.«

»Eine wahre Geschichte?«

»Nein, ich glaube, alles frei erfunden. Aber Sigmund Freud spielt auch eine kleine Nebenrolle. Es ist so ein bisschen halbwahr alles.«

»Aber gut?«

»Ich glaube empfehlenswert.«

»Darf ich es nach dir mal lesen?«

»Klar.«

Spontan geantwortet. Und wahrscheinlich spontan gelogen. Unwahrscheinlich, dass wir beide uns noch einmal wieder sehen werden. Du bist mir viel zu sympathisch, als dass ich gerne mit dir und deinem Ehemann zusammen rumhängen und über Bücher reden würde.

»Das klang nicht so ehrlich, dein `Klar`.«

»Doch, doch. Ich schenk dir das Buch sogar, wenn ich fertig bin.«

»Gut, ich glaube, ich muss mal Klartext reden mit dir Freundchen.«

»Freundchen?«

Da ist es wieder dieses Lächeln. Herausfordernd, testend, unglaublich.

»Ja, Freundchen. Was mal gar nicht geht, dass du mir hier irgendwelche Geschenke machst. Du willst Macho werden. Und das ist gut so. Machos verschenken aber keine Bücher. Machos lesen noch nicht einmal Bücher. Das muss besser werden.«

»Was möchtest du mir sagen?«

»Ich... ähhh... ich... Jetzt habe ich den Faden verloren. Eigentlich wollte ich... ich...«

Was ist denn jetzt los? Wird sie gerade unsicher?

»Alles in Ordnung? Verträgst du den Kaffee auch nicht?«

»Ja! Ja, genau der Kaffee! Der ist schuld. Ich stottere sonst nie.«

»Teufelszeug!«

»Ich wollte sagen. Ich brauch’ dich.«

»Was?«

»Nein, Quatsch. Ich brauch’ dich natürlich nicht. Ich... Ich... Ich brauch’ dich nur als Macho.«

»Wie bitte?«

»Na, damit ich mich beschützt fühle.«

»Ich glaube, die haben uns wirklich etwas in den Kaffee getan.«

Eigentlich glaube ich, dass sie nur ihr etwas in den Kaffee getan haben, aber ich bin ja höflich.

»Nein, ich brauch’ dich als Beschützer vor all den anderen Macho-Spaniern.«

»Soll ich dir einen Arzt holen?«

Ich bin zwar selber Arzt, aber mit verrückten Frauen kenne ich mich nicht aus.

»Nein, nein. Es ist nur so...«

»Es ist nur wie?«

»Es ist nur so, dass ich... Mist... meine Geschichte fing so gut an...«

»Ich verstehe nicht ganz.«

»Mein Ehemann wird nicht kommen.«

»Und warum nicht?«

»Weil... Aber du musst mir versprechen, dass du es niemanden weitererzählst.«

»Was soll ich genau wem nicht weitererzählen?«

»Niemandem. Vor allem keinen wirklichen Vollblutmachos. Hobby-Machos, so wie du, tun ja nichts.

»Ich verspreche hier mal gar nichts mehr.«

WAS erzählt sie denn da?

»Gut, dann kann ich dir auch nicht versprechen, dass mein Mann gleich nicht auftaucht.«

»Häh?«

»Ich brauche ein Versprechen, dass du ein braver, vernünftiger Hobby-Macho bleibst. Einer, der nichts tut.«

»Ich tue nichts. Versprochen. Ich will nur spielen.«

»Hmmm... Spielen ist vielleicht auch kritisch.«

»Kommt da noch was mit Inhalt, junge Frau?«

»Was soll denn das heißen?«

»Ich frage ja nur.«

»Also gut, meine Macho-Geschichte war vielleicht ein bisschen wirr, ich gebe es zu.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, ich brauche dich auch nicht als machomäßigen Beschützer. Ich wollte nur... Ich wollte nur sagen... Ach, keine Ahnung... Das war nur ein Versuch, aus meiner kleinen Lügengeschichte über meinen nicht existenten Ehemann mit erhobenem Haupt wieder raus zu kommen. Ich bin alleine hier.«

»Alleine? Kein Ehemann?«

Na, hoppla!

»Kein Ehemann und alleine.«

»Na, jetzt wird es aber interessant.«

»Nein, nein. Nichts wird hier interessant. Ich bin vor ein, zwei Problemen zu Hause weggelaufen. Alles keine Katastrophe. Ich brauche keinen Machobeschützer. Und ich brauche keinen Psychotherapeuten. Und ich werde auch nicht weinen wie Herr Nietzsche. Ich bin einfach nur alleine in den Urlaub geflogen. Mein erstes Mal. Und du warst der erste Mensch mit dem ich heute gesprochen habe. Ich wollte einfach nur mit jemandem reden.«

»Du spinnst.«

Und zwar auf eine ziemlich liebenswerte Art und Weise.

»Wirklich?«

»Wirklich!«

»Wirklich? Sehr gut. Nichts ist schlimmer, als nicht ein bisschen zu spinnen. Das Leben wäre sonst viel zu langweilig.«

Würde sie mich nicht mit diesen stechenden, intelligenten Augen anschauen und hätte sie nicht dieses verspielte Zucken in ihren nur fast lächelnden Mundwinkeln, ich würde sie für völlig verrückt erklären.

»Du hast also keinen Ehemann?«

Oder ist sie doch verrückt? Trotz dieser Augen?

»Nein... Also, verheiratet bin ich nicht.«

Will sie sich gerade mit diesem Zögern ein Hintertürchen offen halten und mir später sagen, dass sie eigentlich einen Freund oder einen Verlobten hat, der gleich um die Ecke kommt? Das könnte sein. Sie spinnt. Sie spinnt wirklich. Und das schöne ist, mir ist das ziemlich egal. Denn die ganze Sache hier ist ausgesprochen unterhaltsam. Und ich schaue gerne in ihre Augen. Ich höre mir das jetzt einfach bis zu Ende an.

»Also, dein Mann, kommt nicht gleich vorbei. Sonst irgendwer?«

»Nein, ich bin allein hier.«

Ob sie einen Freund hat oder nicht, spielt ja nun wirklich keine Rolle.

»Du?«

»Also ich... Ich bin auch allein hier. Keine Ehefrau, kein Ehemann, keine Lügengeschichten.«

»Du! Entschuldige! Ich... Ich... Ich lüge sonst nicht viel. Ich will auch nicht, dass du mich für verrückt hältst. Die ganze Geschichte hat sich so ergeben. Ich wollte eigentlich nur deine Reaktion testen. Und dann... und dann...«

Und dann habe ich zickig und eingeschnappt reagiert, weil ich eifersüchtig auf deinen nicht existenten Ehemann war.

«...und dann... ist meine Geschichte ein bisschen mit mir durchgebrannt.«

Vielleicht bin ich ja schuld. Wollte sie wirklich nur meine Reaktion testen, wie ich reagiere, wenn sie mir offenbart, dass ihr Ehemann gleich vor mir steht?

»Wir haben uns so schön gegenseitig hoch genommen...«

Das stimmt. Und am Anfang habe ich auch ganz souverän geführt bei dem kleinen Duell. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, wer hier gewonnen hat. Ich schenke ihr den Sieg einfach:

»Schätze, du hast gewonnen.«

»Schätze, da hast du recht.«

»Zicke!«

»Zicke?«

Was für ein Lächeln!

»Oder, blöde Kuh?«

»Schlechter Verlierer? Ganz schlechter Verlierer, Arsch!«

»Was heißt denn hier Verliererarsch? Ich hatte vielleicht einen mittelguten Start, aber am Ende gewinne ich immer. Ich bin ein Gewinnerarsch.«

»Na, das werden wir ja mal sehen.«

»Willst du ein Bier?«

»Cuatro oder diez?.«

»Erstmal für jeden eins?«

»Auf keinen Fall. Es ist 4 Uhr nachmittags!«

»Heute noch was vor?«

»Ich wollte Kite surfen.«

»Aber heute ist kein Wind.«

»Na dann...«

»Na dann, ein Bier?«

»Na dann eben nicht. Ist mir noch zu früh.«

»Och!«

»Gehen wir zum Strand? Ich war noch nicht da. Ich bin wirklich gerade erst angekommen.«

»Von mir aus. Aber ein ganz kleines Bierchen vielleicht?«

»Später?«

»Abgemacht. Später.«

»Wollen wir los?«

Das Geld für den Kaffee lasse ich mal lieber auf dem Tisch liegen. Dann muss ich nicht wieder spanisch reden.

»Okay. Gehen wir.«

»Hat der Hobby-Macho gerade die Dame auf einen Kaffee eingeladen?«

»Ja. Und zwar selbstverständlich.«

»Und einfach das Geld auf den Tisch gelegt, ohne die Rechnung zu bestellen?«

»Warum nicht?«

»Lässig. Du bist ja doch schon ein kleiner Macho-Spanier.«

»Na klar. So wolltest du mich doch. Falls es dir nicht gefällt, hättest du da mal früher drüber nachdenken sollen!«

»Ich... Ja, genau. So wollte ich das. Danke für den Kaffee.«

Zum Schluss des Kennenlernkaffees noch ein halber Punkt für mich. Ich glaube, das war insgesamt ein Unentschieden. Aber was für ein Unentschieden. Ungefähr ein 7:7 nach regulärer Spielzeit im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft. Mehr als ein schönes Fußballspiel. Ein unvergessliches Spiel für die Geschichtsbücher. Zumindest für mein Geschichtsbuch.

»Ich mag große, starke Männer. Da fühlt man sich so sicher, tagsüber auf dem Weg zum spanischen Strand.«

Was? Und was macht sie überhaupt jetzt? Sie hakt sich bei mir ein. Gerade war ich noch am Buch lesen und jetzt laufe ich mit einer alles andere als unsympathischen Frau eingehakt zum Strand, als wären wir entweder beste Freunde oder ein sehr eingespieltes Paar. Gut gemacht. Sehr gut gemacht. Und eigentlich angenehm. Nur berührt mein eingehakter Arm jetzt ihre Brust. Eigentlich auch angenehm. Aber irgendwie auch gar nicht. Nein, nicht angenehm, aber äußerst interessant. Und es fühlt sich verboten an. Wahrscheinlich denkt sie, ich würde das mit Absicht machen. Dabei kann ich gar nichts dafür. Mein Arm ist einfach da wo er ist. Und da ist eben auch ihre Brust. Wahrscheinlich hält sie mich jetzt für einen notgeilen Grabscher. Oder merkt sie das alles gar nicht? Haben Frauen mehr oder weniger Gefühle in ihren Brüsten, als ich in meinem Unterarm? Macht sie das mit Absicht? Oder merkt sie gar nicht, was sie da gerade tut? Ich werde Frauen nie verstehen. Aber auf jeden Fall kann es so nicht weitergehen. So kann ich mich ja auf kein Gespräch konzentrieren:

»Schatz, mein Unterarm berührt deine Brust.«

»Schatz?«

»Ja?«

»Du nennst mich Schatz?«

»Erstens kenne ich deinen Namen nicht und zweitens, na ja, du berührst mich mit deiner Brust!«

»Erstens Nina. Und zweitens: Na und?«

»Erstens Holger und zweitens: Ist schon schön, aber es macht mich nervös!«

»Erstens: Hallo Holger. Zweitens: Das war eigentlich auch mein Plan. Hab’ dir deine Nervosität leider nur nicht angemerkt.«

»Wie, dein Plan?«

»Na ja, mein Plan eben. Deinen Arm ein bisschen an meine Brust halten und gucken, wie du nervös wirst.«

»Ah. Und das findest du lustig?«

»Es ist saulustig und vor allem interessant. Man lernt eine Menge über den Mann, den man gerade im Arm hat. Manche sind so nervös, dass sie kein Wort mehr sagen können. Solltest du auch mal machen.«

»Wie soll das denn gehen? Ohne dass meine Auserwählte gleich nach der Polizei ruft, wenn ich ihre Hand in meinen Schritt halte?«

»Oh... Ja, vielleicht doch keine gute Idee.«

»Und was hast du gerade über mich gelernt?«

»Du bist auf jeden Fall der erste, der die Sache direkt angesprochen hat.«

»Und?«

»Keine Ahnung, was es bedeutet.«

»Wie? Du machst hier psychologische Spielchen mit unschuldigen Machos und weißt nicht, was es bedeutet, wenn das Ergebnis vorliegt?«

»Nein. Also... Also noch nicht.«

»Superspiel! Macht echt Sinn.«

»Nun zick mal nicht rum! Wo waren wir denn davor stehengeblieben?«

Stehengeblieben? So viele Themen, bei denen wir hätten `stehenbleiben` können, gab es doch noch nicht in den ersten Minuten unserer Bekanntschaft. Das ist doch ein Fluchtversuch. Ist ihr ihr gescheitertes kleines psychologisches Experiment ein bisschen peinlich? Ich glaube, ja. Klar ist es ihr peinlich. `Wo sind wir denn stehengeblieben`, macht überhaupt keinen Sinn. Gut so. Jetzt nur noch ein paar Sekunden Stille, schweigend den Sieg genießen und dann einfach weiter machen, als wäre nichts gewesen:

»Wo wir stehengeblieben sind? Du hast gerade von der Silberhochzeit deiner Eltern erzählt.«

»Ja, genau... Das war so... Es fing alles an mit meinem Onkel. Du weißt ja, der Onkel, der meine Mutter nicht wirklich leiden kann. Der kam eine halbe Stunde zu spät zum Essen. Ob das Absicht war, weiß ich bis heute nicht. Meine Mutter meint natürlich, dass es Absicht gewesen ist, aber für die Geschichte ist es eigentlich auch egal. Also, du musst dir diese riesige, schön gedeckte Tafel vorstellen. Meine ganze rausgeputzte Familie. Und mitten in den ersten Gang platzt mein Onkel, als wäre nichts dabei. Macht eine große Runde und begrüßt jeden einzelnen mit Küsschen links, Küsschen rechts oder Handschlag mit Schulterklopfen...«

Sie labert. Sie labert irgendwas. Sie hört einfach nicht auf. Eindeutig völlig frei und völlig spontan erfunden die Geschichte. Und jetzt lässt sie auch noch meinen Arm wieder frei, nur um wild herum zu gestikulieren. Gib mir deinen Arm zurück, ich hab’ mich gerade daran gewöhnt. Und ich mag deinen Arm. Na gut, dann schaue ich dich einfach von der Seite an. Bei der sinnfreien Geschichte kann ich mich auch auf interessantere Dinge konzentrieren. Ich könnte mir jetzt mal ganz in Ruhe überlegen, was das hier gerade wird. Ein ziemlich unkonventionelles Kennenlernen. Sie ist auf jeden Fall ein bisschen verrückt. Aber sie gefällt mir. Ihre Stimme ist einfach sensationell.

» ... mein Onkel hat sich dann vorgebeugt und dem Silberbräutigam etwas ins Ohr geflüstert. Meine Mutter, die Silberbraut, hat es angeblich verstanden und er soll angeblich gesagt haben...«

Hmmm... Wieso kann ich mir denn nicht einfach ein paar sinnvolle Gedanken machen? Einfach die Zeit ihrer Geschichte nutzen und mir ein paar schlaue Gedanken machen, wie das hier alles weitergehen soll. Aber irgendetwas in ihrer Stimme zwingt mich zum Zuhören. Normalerweise kann ich mein Gehirn doch immer wunderbar auf Stand by-Modus stellen, sobald der Inhalt vom Small Talk sinnfrei wird. Wahrscheinlich ist es das gelegentliche Hamburgische, das mich hier innerlich schmunzeln lässt und zum Zuhören zwingt. Oder hat sie eine Gabe, zu erzählen? Oder eine Stimme, die für meine Ohren gemacht ist? Keine Ahnung. Oh, ich schmunzle nicht nur innerlich über ihre Geschichte, ich grinse auch äußerlich. Vielleicht ist es auch das nicht ganz verschwinden wollende Gefühl auf meinem Unterarm, das mich grinsen lässt. Ob sie das merkt? Sieht sie mich noch oder ist sie völlig im Bann ihrer eigenen Geschichte? Hält sie mich für einen debilen Schmunzler? Denkt sie, ich finde ihre Geschichte lustig? Oder bin ich nur ein ganz normales Ich-halte-mal-seinen-Arm-an-meine-Brust-und-schaue-wie-er-reagiert-Studienobjekt? Labert sie einfach nur und nimmt mich gar nicht wirklich wahr? Aber ich muss ja nicht alles verstehen. Ich unterstütze ihre Geschichte einfach mit einem gelegentlichen “Hmm“, “Echt?“ oder “Ja?“ und warte mal ab. Ich fühle mich wohl. Sie macht das gut. Ich fühle mich wohl und das in der Nähe einer neu kennen gelernten Frau. Wie lange hatte ich das denn schon nicht mehr? Jetzt erstmal nichts versauen. Ruhig bleiben, sie reden lassen. Es läuft doch...

»... und dann, völlig aus dem Nichts, fängt meine andere Tante, also nicht die Frau von dem Onkel, der alles verbockt hat, sondern die andere Schwester meiner Mutter. Also sie fängt an zu weinen. Völlig grundlos. Sie hatte mit der ganzen Sache eigentlich nichts zu tun...«

Aber wie lange hält sie ihren Laber-Modus durch? Bis ich aufgebe? Bis ihr langweilig wird? Soll ich vielleicht doch mal eingreifen? Ach, was soll`s. Nur Small Talk bringt es auf Dauer ja auch nicht. Und auf andere sinnvolle Sachen kann ich mich nebenbei auch nicht konzentrieren.

»... und dann hat meine Mutter gesagt, ‚Manfred das kannst du nicht machen, so kannst du nicht mit ihr umgehen.’«

»Du bist also allein hier. Aber warum?«

»Was?«

»Warum bist du nach Tarifa gekommen?«

»Gefällt dir meine Geschichte nicht?«

»Doch, doch. Aber die hast du mir doch letzte Woche schon erzählt, Schatz.«

»Ach wirklich?«

»Wirklich.«

»Letzte Woche? Bist du dir da sicher?«

»Ganz sicher.«

»Das kommt wohl davon, wenn man alleine reist. Man wird ein bisschen wunderlich. Ich war der festen Meinung, wir hätten uns gerade erst kennen gelernt. Komisch irgendwie. Bist du denn allein hier?«

»Ja, ja. Wie schon gesagt, ich bin allein hier.«

»Aber warum?«

»Warum allein oder warum hier?«

»Beides.«

»Die kurze, oberflächliche oder die tiefgründige, ausführliche Version?«

»Ich nehme die kurze, tiefgründige Version.«

»Unter Zeitdruck?«

»Ne, aber wir kennen uns ja noch nicht so gut. Nachher bist du so ein Geschichtenerzähler, der nicht mehr fertig wird, und ich falle tot um vor Langeweile.«

Da spricht sie wohl aus Erfahrung. Bei der Fähigkeit zum inhaltlosen Gelaber hat sie wahrscheinlich schon so Einige auf dem Gewissen. Aber mir hat es ja gefallen, also will ich mal nicht so sein:

»Und das wäre ja schade drum.«

»Wenn ich tot umfalle? Auf jeden Fall wäre das schade. Also warum bist du hier?«

»Also, ich bin hier weil... das ist nicht so einfach... weil... ich wollte endlich mal ein guter Kitesurfer werden.«

»Junge, Junge. Das ist tiefgründig. Das geht richtig unter die Haut.«

»Gut, tiefgründig war die Antwort nicht.«

»Nein.«

»Ich glaube, ich wollte nicht mehr. Ich hab’ den Alltag zu Hause nicht mehr ertragen. Mir war das alles zu anstrengend. Und irgendwie habe ich keinen Sinn mehr darin gesehen. Nicht, dass ich depressiv oder selbstmordgefährdet gewesen wäre. Aber ich konnte einfach nicht mehr. Ich konnte einfach nicht mehr jeden Tag zur Arbeit gehen. Vollgas geben und mich am Wochenende von dem Stress erholen. Und das jede und jede Woche wieder. Irgendwann ist dann wieder ein Jahr um und noch eins und noch eins und plötzlich bin ich alt.«

»Was machst du denn?«

»Ich bin Arzt.«

»Oh, ich auch.«

»Na, dann kennst du das ja.«

»Na ja... Nein, so kenne ich das eigentlich nicht.«

»Hast du nie das Gefühl, dass das alles ein bisschen sinnlos ist, was wir da machen?«

»Na, wir helfen doch. Das ist doch schon mal was.«

»Manchmal helfen wir.«

»Meistens.«

»Okay. Lassen wir den Punkt mit dem Helfen mal außen vor.«

»Wie du willst. Das scheint hier deine Geschichte zu werden.«

»Also wir beide sind jetzt gerade im Urlaub.«

»Wir zwei... Mmmh, richtig.«

»Und während wir hier zum Strand schlendern, geht das Leben zu Hause ganz normal weiter und bei der Arbeit läuft der Laden trotzdem.«

»Ich könnte jetzt sagen, dass das ja auch schlimm wäre, wenn der Laden nicht laufen würde, weil sonst niemanden geholfen werden würde, aber das darf ich ja scheinbar nicht sagen.«

»Ja, ja. Das wäre schon schlimm, wenn der Laden ohne uns zusammenbrechen würde. Aber mein Punkt ist: Es geht auch ohne uns.«

»Willst du denn unersetzlich sein. Hat der Herr Hobby-Macho da ein kleines Egoproblem. Deine Patienten sollen nur von dir geheilt werden?«

»Nein, Blödsinn. Ich will nur sagen: Es braucht nicht wirklich uns, es braucht nur irgendjemanden.«

»Genau. So funktioniert das System.«

»Aber wenn ich komplett ersetzlich bin, wenn ich im Urlaub bin, warum dann nicht gleich immer? Warum muss ich mich jeden Tag kaputt arbeiten, wenn das auch jemand anderes genauso gut machen könnte?«

»Na, weil sonst das ganze System nicht mehr funktionieren würde, wenn jeder nur noch Urlaub macht.«

»Ja, ich weiß. Aber bedeutet mir denn das ganze System soooo viel, dass ich da unbedingt mitmachen muss? Jeden Tag 100% Einsatz zeigen. Völlig fertig jeden Abend ins Bett fallen. Und wenn es gut läuft, sagt einmal pro Monat irgendjemand ‚Danke’. Und wenn der Monat noch besser läuft, dann habe ich vielleicht auch einmal eine kleine Eingebung, die einem Patienten auch wirklich weiter hilft. Eine Idee, auf die kein anderer so schnell gekommen wäre. Aber so etwas passiert nur in guten Monaten. Wenn überhaupt. Der Rest der Tage und Wochen und Monate ist einfach nur Routine. Und brauche ich das? Will ich das? Macht das Sinn?«

»Ich finde, eigentlich schon. Und du bekommst auch noch Geld dafür und kannst dir etwas zu essen kaufen.«

»Aber deswegen macht man den Job ja nicht. Geld kann man auch anders verdienen. Und woanders wahrscheinlich sogar deutlich mehr.«

»Also, wie gesagt. Ich finde, grundsätzlich macht unser Job doch eigentlich schon Sinn. Stell dir mal vor, du wärst irgendein Banker und würdest den ganzen Tag Aktien kaufen und wieder verkaufen, um am Ende des Tages irgendeinen aus dem Nichts gegriffenen Gewinn gemacht zu haben. Und so ein Gewinn aus dem Nichts macht nun wirklich keinen Sinn. Mit dem kann man sich wahrscheinlich auch etwas zu essen kaufen. Wahrscheinlich sogar eine Villa und eine Yacht. Aber das macht keinen Sinn.«

»Ja, da hast du wohl recht.«

»Und jetzt hast du gekündigt? Weil du nicht mehr ein Rädchen im großen Krankenhaus-System sein wolltest?«

Ich glaube, sie versteht mich nicht. Ich verstehe mich ja selber nicht so ganz...

»Ich habe erstmal unbezahlten Urlaub für drei Monate genommen und seit fünf Wochen bin ich hier.«

»Und gehst du zurück?«

»Ich weiß noch nicht so recht. Wahrscheinlich schon.«

»Was passiert denn, wenn du nicht zurückgehst?«

»Keine Ahnung. Ich hab’ einen Vertrag. Aber mehr als kündigen können sie mir ja wohl nicht, wenn ich nicht zurückkomme.«

»Ja, wahrscheinlich. Ins Gefängnis kommst du wegen nicht erfüllten Arbeitsvertrags wahrscheinlich nicht. Aber wovon willst du leben?”

»Da hast du das größte Problem schon ganz gut erkannt. Lange reicht mein Geld nicht mehr, um hier jeden Abend einen Mojito nach dem anderen zu bestellen.«

»Also doch zurück.«

»Ich will nicht. Aber wahrscheinlich schon. Zweifelst du nie, ob du da das Richtige machst?«

»Das Richtige? Den richtigen Job?«

»Ja.«

»Ich mag meinen Job. Klar ist er anstrengend. Aber ich lerne auch so viel. Und ich finde den Job auf jeden Fall sinnvoll. Er macht mir sogar Spaß meistens... na oder manchmal. Ich mache jetzt erstmal meine Facharztausbildung und dann schaue ich mal, wie es weiter geht.«

»Ja, genau. Erstmal die Facharztausbildung. Das ist noch so ein Punkt, der mich nervt. Denn so läuft es, seit ich denken kann. Jetzt mache ich erstmal Abitur und dann wird alles gut. Dann kommen die ersten Klausuren im Studium und wenn die erstmal vorbei sind, dann wird alles entspannt. Da muss man jetzt einfach mal durch, durch den Stress. Und nach dem Staatsexamen, da wird dann erstmal richtig gefeiert. Dann geht das wirkliche Leben los. Jetzt einfach mal Augen zu und lernen. Dann kommen aber direkt nach dem Staatsexamen die ersten Monate im Job und die wollen auch erstmal überlebt werden. Aber wenn ich erstmal ein bisschen Routine im Job habe, dann wird es schon weniger stressig. Aber schon fallen dem Chef sicher noch ein paar Extraaufgaben ein, denn jetzt, da man ja so richtig eingearbeitet ist, muss man ja auch mal ein bisschen Verantwortung für das ganze übernehmen. Und außerdem kommt da ja schon bald die Facharztprüfung. Aber wenn ich die im Sack habe, dann kann ich mich wirklich mal zurücklehnen. Aber dann! Und dann, und dann, und dann... Man hat sein ganzes Leben irgendwelche Ziele und wenn man sie erreicht, dann freut man sich vielleicht kurz und schon steht das neue Ziel oder die nächste Hürde vor der Tür.«

»Ein bisschen frustriert hört sich das aber schon an. Ein bisschen depressiv vielleicht sogar?«

»Gebe ich zu. Hört sich alles nicht besonders lebensbejahend an. Aber habe ich nicht auch ein bisschen recht?«

»Ja, wahrscheinlich schon, aber braucht man nicht auch ein paar Ziele im Leben?«

»Sicher. Aber kann man nicht auch mal mit dem, was man hat, einfach zufrieden sein?«

»Bist du nicht zufrieden mit dem, was du hast?«

»Doch offiziell schon. Habe genug zu essen, habe eine schöne Wohnung, habe einen Job, der mir Spaß macht.«

»Aber?«

»Ich weiß auch nicht.«

»Abends kommst du nach getaner Arbeit nach Hause, deine Frau hat das Abendessen fertig, die Kinder sind schon im Bett, ihr macht noch eine Flasche Rotwein auf...«

»Und dann???«

»Und dann werden die Kinder groß.«

»Und dann???«

»Und dann, und dann, und dann. Dafür, dass du eigentlich mit dem zufrieden sein möchtest, was du gerade hast, schaust du aber ganz schön weit in die Zukunft.«

»Ich weiß, versuche gerade es abzulegen. Ist aber wahnsinnig schwer.«

»Und was sagt deine Frau dazu?«

»Die gibt es nicht mehr.«

»Oh, das tut mir leid.«

»Nein, nein, nicht gestorben. Sie ist einfach nur weggelaufen.«

»Tut mir auch leid.«

»War wahrscheinlich gut so.«

»Wieso?«

»Gab mir Gelegenheit, mein Leben mal zu überdenken.«

»Und was kam dabei raus?«

»Viel und nichts. Auf jeden Fall bin ich jetzt hier. Und das ist schon einmal deutlich anders und deutlich mehr als man erwarten hätte können, wenn alles so gelaufen wäre, wie die Eltern, die Freunde, der Chef und der Rest der Gesellschaft sich das zukünftige Leben vom Holger so vorgestellt haben.«

»Und hier sein sieht auf den ersten Blick auf jeden Fall schon mal sehr gut aus.«

»Apropos hier. Wir laufen hier seit 10 Minuten diesen sensationellen Strand entlang und sprechen über so düstere Themen.«

Jetzt reiß’ dich mal zusammen. Sei mal wieder nett und lustig. Wir sind hier in Spanien, also keine Trauerthemen von zu Hause.

»So düstere Themen hat dieser Strand nämlich wirklich nicht verdient.«

»Es ist sooooo schön! Und so düster war unser Gespräch doch gar nicht. Du machst dir eben Gedanken. Und das ist doch gut so. Und selbst wirklich hässliche Gespräche könnten diesem Strand nichts anhaben. Er ist viel zu schön.«

»Ja, schön hier!«

Und schon lächelt sie wieder als wären der Strand von Tarifa oder gleich die ganze Welt ein Paradies nur für sie... oder vielleicht ganz kurz und nur heute ein Paradies für uns beide.

»Wahnsinnig schön. Die Küste da drüben ist Marokko oder?«

»Ja.«

»Schon cool, wie nah das ist.«

»Ja.«

»Und morgen ist hier Wind?«

»Ja. Ziemlich sicher. Wo gehst du denn morgen kiten?«

»Ich kann es noch gar nicht und muss mir erstmal eine Kiteschule suchen. Weißt du eine gute Schule?«

»Ja. Sie ist ungefähr 10 Kilometer da lang. Kurz vor der Sanddüne dahinten.«

»Warum dahinten. Ich glaube ich würde lieber hier surfen.«

»Der Berg dahinten wird von der Sonne tagsüber aufgeheizt und zieht dann die kalte Luft vom Meer an und macht den Wind dahinten noch ein bisschen besser als hier.«

»Brauche ich denn soviel Wind am Anfang.«

»Nein. Es schadet aber auch nicht. Und die Kiteschule dahinten ist super. Ganz coole und nette Kitelehrer. Gutes, sicheres Material. Faire Preise. Aber was noch viel wichtiger ist: Es ist der schönste Ort der Welt.

»Wie? Dahinten soll es noch schöner sein als hier?«

»Vor der Kiteschule ist eine kleine Wiese mit einer Bar, auf der zum Sonnenuntergang alle sitzen und liegen und ihre Mojitos trinken. Es läuft entspannte Musik. Ich kann es nicht wirklich beschreiben. Es ist ein Ort, der irgendetwas hat. Irgendetwas Einzigartiges. Es ist vielleicht nur ein Gefühl. Man fühlt sich einfach wohl... Und ganz objektiv: Die Aussicht ist dahinten noch schöner als hier. Man hat auf der einen Seite die Sanddüne, die du da schon sehen kannst, und dann hat man geradeaus Marokko, eigentlich genau wie hier. Aber die Sonne steht die letzten Stunden vor’m Untergang einfach genau richtig. Dass das ganze Meer dahinten funkelt... Es ist einfach ein superschöner Fleck Erde. Sicher einer der schönsten überhaupt... zumindest in meinem Leben.«

»Überredet. Und wie komm ich dahin?«

»Ich kann dich morgen früh mitnehmen.«

»Du hast ein Auto?«

»Ja.«

»Na dann.«

Sie schaut mir direkt in die Augen. Und ihre Augen funkeln.

»Bist du dabei?«

»Ja! Auf jeden Fall. Wie könnte ich nicht nach deiner Beschreibung vom schönsten Fleck der Erde. Du holst mich ab?«

»Kann ich machen. Um 10?«

»Um 10 also.«

Na, das läuft doch. Vor zwei Stunden war ich noch alleine dabei, mein Buch zu lesen. Und jetzt gehe ich morgen mit Nina kiten. Da braucht Nietzsche heute auch nicht mehr anfangen zu weinen. Ein paar Freudentränen vielleicht... Na, das geht dann vielleicht doch zu weit.

- Ende der Buchvorschau -