Villa Amalfi - Giulia Romanelli - E-Book

Villa Amalfi E-Book

Giulia Romanelli

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Beschreibung

Liebe, Träume und Intrigen an der Amalfiküste der 1960er Jahre -

Auch mit ihrem zweiten Roman um das Hotel Villa Amalfi versetzt Giulia Romanelli ihre Leser:innen von Beginn an in Urlaubsstimmung - mit farbenprächtigem italienischen Flair und einer charmanten Heldin, die Lebensfreude versprüht und sich nicht unterkriegen lässt.

Längst ist der jungen Angestellten Ida das kleine Traditionshotel Villa Amalfi mit Blick auf das türkise Meer zur Heimat geworden. Sie liebt den Trubel der stetig wachsenden Gästeschar, die das familiäre Flair und die köstlichen Pastagerichte des Hauses zu schätzen weiß und sich an der malerischen Amalfiküste verzaubern lässt. Mit ihrer liebenswürdigen, zupackenden Art wird Ida immer mehr zur rechten Hand des verwitweten Eigentümers Vittorio. Und damit zur Rivalin von Vittorios Tochter Guendalina, auch wenn diese sich von jeher zu fein für die Hotelarbeit ist. Als der Tag von Idas Hochzeit mit ihrer großen Liebe, dem deutschen Sprachlehrer Thomas, naht, steht ein lang gehütetes Geheimnis vor seiner Enthüllung. Und es kommt zu einer Begegnung, die Ida einen mutigen Entschluss fassen lässt ...

»Ein Roman mit viel süditalienischem Flair, der eine Zeit voller Hoffnungen und Träume lebendig werden lässt«

Taschenbuch Magazin über Villa Amalfi.Träume über dem Meer

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Seitenzahl: 466

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

TEIL 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

TEIL 2

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

TEIL 3

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Über das Buch

Längst hat die junge Ida sich bestens eingearbeitet in dem hübschen kleinen Hotel Villa Amalfi und ist für den verwitweten Eigentümer unentbehrlich geworden mit ihrer freundlichen, zupackenden Art und ihren Ideen für die weitere Zukunft des Hotels. Während die Tochter des Hotelbesitzers, die intrigante Guendalina, als Ehefrau und Mutter eines adoptierten kleinen Mädchens ihre Erfüllung gefunden zu haben scheint, naht auch für Ida ein großer Tag: ihre Hochzeit mit dem Deutschen Thomas, ihrem einstigen Sprachlehrer. Doch ihr Glück wird getrübt, als eines Tages Guendalina mit unheilvollen Neuigkeiten vor der Tür steht. Neuigkeiten, die auch für Ida folgenreich sind …

Über die Autorin

Giulia Romanelli ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Autorin. Sie wurde in Bayern geboren und entdeckte während ihrer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin ihre Liebe für das Schreiben. Seit vielen Jahren lebt sie mit ihrer Familie im Süden Italiens, wo sie an einem kleinen grünen Schreibtisch mit Blick aufs Meer ihrer Phantasie freien Lauf lässt.

Giulia Romanelli

Wünsche unter azurblauem Himmel

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2023 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Textredaktion: Marion Labonte, WachtbergUmschlaggestaltung: Manuela Städele-MonverdeUmschlagmotiv: © ILINA SIMEONOVA/Trevillion Images© shutterstock/Mendeed; shutterstock/Mendeed; shutterstock/Arkady MazoreBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-4197-2

luebbe.delesejury.de

Prolog

Tramonti, Januar 1960

Raffaele saß in einer eiskalten Januarnacht vor seinem Haus. Er fror erbärmlich, die Nacht war so klar wie ein Diamant. Die Sterne funkelten am pechschwarzen Himmel und wirkten bei der Kälte irgendwie fehl am Platz und zu warm, zu hell, hier weit außerhalb der Ortschaft Tramonti.

Der Holzstuhl mit der geflochtenen Sitzfläche war viel zu klein für ihn. Bilder von seiner Tochter Ida, die als winziges Mädchen immer darauf gesessen hatte, kamen ihm ungebeten in den Sinn. Er wischte sie weg, alle. Dann stand er auf, packte den Stuhl und trat so lange dagegen, bis das alte Holz nachgab, zersplitterte, sich löste und der Stuhl in seine Bestandteile zerfiel. Raffaele hoffte auf eine Form der Erleichterung. Doch er fühlte sich weder zufrieden noch besonders berührt. Nur seine Wut schwoll weiter an.

Maria Grazia, seine Frau, kam an die Haustür, blickte auf das zertrümmerte Holz, dann auf ihn. Sie trug ein weißes Nachthemd. Ihr Haar war offen. Sein erster Gedanke war, dass sie aussah wie ein verdammter Geist. Er spuckte auf den Boden. Sein zweiter Gedanke war, dass sie kein Geist, sondern eher so etwas wie ein Schatten war: Sie war immer da, still, irgendwie abwartend und manchmal kaum zu fassen. Sie war so unnötig!

Nun, wenn er ehrlich war, dann stimmte das nicht in allen Bereichen. Wenigstens kochte und putzte sie und war so etwas wie ein Zuhause für ihn. Ohne sie würde er verwahrlosen, das war ihm klar. Im Bett fasste er jedoch schon lange nicht mehr nach ihrem Körper. Wen konnte ein Akt mit einem verfluchten Schatten schon befriedigen? Ihn jedenfalls nicht. Zum Glück gab es zwei, drei Frauen im Ort, die ihm gegen ein paar Lire richtiges Vergnügen bereiteten. Weil sie ihre Familie ernähren mussten, wie sie sagten. Er glaubte eher, dass sie Spaß an der Sache hatten.

Überrascht merkte Raffaele, dass er sich entspannte. Er fuhr sich mit seiner rauen Hand über die Wange, den Mund, dessen Winkel nach oben zeigten. Er mochte es nicht, wie er sich anfühlte. Er war alt geworden. Ein Nachttier rief aus dem Wald. Es klang, als wollte es Raffaele verhöhnen.

»Zeig dich, du Bastard. Komm her, dann wird dir das Lachen schon vergehen!«, rief er und lehnte sich an die Hauswand. Er war müde. Müde und so, so wütend. Auf die ganze Welt, vor allem aber auf sich selbst. Und er wusste nicht einmal, warum.

Emilia kam, als Raffaele schon fast nicht mehr mit ihr gerechnet hatte. Emilia, die Hebamme … Sie hatte geholfen, seine Tochter Ida auf die Welt zu bringen. In einer ähnlichen Nacht, vor sechsundzwanzig Jahren. Genau bei dieser Geburt hatte das Unglück seinen Lauf genommen, dieses Gefühl hatte er oft. Raffaele hatte Emilia damals nicht gemocht, und jetzt mochte er sie noch viel weniger. Er hasste es, wie sich ihr langer, schwarzer Rock bei jedem ihrer schweren Schritte anhörte. Dieses Rascheln verursachte ihm eine Gänsehaut. Und keine angenehme. Er hasste es, dass Emilia ihm mitten ins Gesicht blickte und nie, nie, nie vor ihm kuschte. Er konnte es nicht leiden, dass sie nicht zu altern schien. Sie sah, verdammt nochmal, haargenau so aus wie bei Idas Geburt. Keine einzige Falte. Er hasste Emilia, weil sie ihm eine Heidenangst einjagte – das war die Wahrheit. Sie hatte das Schicksal so vieler in ihren Händen gehalten. Sprichwörtlich. Sie hatte irgendwelche Mächte oder verborgene Kräfte, dessen war Raffaele sich sicher. Wahrscheinlich war sie eine Janara, eine Hexe. Oder die direkte Nachfahrin einer solchen. Böse war sie nicht, das nicht. Aber Raffaele war sich ziemlich sicher, dass sie es sein konnte, wenn es darauf ankam. Und nun legte auch er sein Schicksal in ihre Hände. Oder vielleicht hatte das Schicksal ihn in ihre Hände gelegt. Raffaele spuckte wieder auf den Boden. Er hasste es, so kompliziert zu denken.

»Bist du bereit?«, fragte sie ihn geradeheraus und leuchtete ihm mit ihrer Öllampe mitten ins Gesicht, sodass er blinzeln musste.

Er hatte große Lust, ihre Öllampe zu packen und sie ihr über den Schädel zu ziehen. Doch ihr Blick … heilige Muttergottes … dieser Blick aus ihren grauen Augen ließ ihn nur nicken. Sie schien bis in seine Seele schauen zu können. So tief, bis ihr Blick auf den Grund stieß und Dinge sah, von denen selbst Raffaele keine Ahnung mehr zu haben glaubte. Er überlegte in Panik, dass er sie fortschicken musste. Dass er alles absagen musste. Doch sie griff nach seinem Arm und nahm ihn mit. Einfach so. Jeder anderen Person hätte er wahrscheinlich die Hand gebrochen. Bei ihr jedoch wagte er keinen Widerstand. Sie war körperlich imposant, aber das war es nicht, was ihm Angst machte. Er hatte es mit Männern aufgenommen, die doppelt so stark waren wie sie. Emilias Stärke lag eben nicht nur in ihrem Körper, sondern vor allem in ihrem Geist, der Raffaele unbesiegbar erschien. Was für ein Gegensatz zu Maria Grazia, die nur wieder stumm durch den Türspalt lugte, obwohl sie wusste, aus welchem Grund die Hebamme hier war.

So oder so – er verabscheute sie beide.

Sie gingen durch die Nacht. Mit dem Rascheln von Emilias verfluchtem Rock als Hintergrundgeräusch. In eisiger Kälte. Raffaeles Nase lief. Seine Gesichtszüge entglitten ihm, seine Fingerspitzen fühlten sich an, als könnten sie jeden Augenblick abfallen. Das Laufen zog sich stundenlang hin, schien kein Ende zu nehmen. Irgendwann hatte er auch die Orientierung verloren. Sie gelangten zu einer Hütte. Die Hebamme sperrte auf, schob ihn ins Innere. Doch Raffaele hatte genug. Er bereute es, mitgegangen zu sein. Sollten sie doch kommen und ihn holen, diese verdammten Carabinieri, die seit Wochen drohten, ihn einzusperren und den Schlüssel wegzuwerfen, wenn er nicht mit dem Trinken und Randalieren und Schlagen aufhörte. Sie hatten ihn ein paarmal zu oft erwischt, wenn er gerade getrunken hatte. Sie waren bei ihm zu Hause aufgetaucht, als Maria Grazias Lippe aufgeplatzt war. Und der neue Maresciallo, dieser junge, arrogante Schnösel, dem Raffaele liebend gerne die Fresse poliert hätte, hatte klare Ansagen gemacht.

»Ich denke, es ist das Beste, wenn wir dich für ein Jährchen in das Gefängnis in Salerno sperren«, hatte der Maresciallo gesagt, unnahbar in seiner Uniform und mit ernstem Gesicht, auf dem noch nicht einmal Barthaare zu wachsen schienen, das jedoch Entschlossenheit und vielleicht sogar Stärke ausdrückte.

Raffaele hatte geschluckt. Man konnte fast alles mit ihm machen – es berührte ihn nicht. Wahrscheinlich würde er sogar eine Folter überstehen. Aber in einer Zelle eingesperrt zu sein, das ging nicht. In einer Zelle würde er qualvoll verenden. Er war wild, wie ein Tier. Er brauchte die Luft, den Wald, die Freiheit. Nein, in ein Gefängnis wollte er nicht. Nicht für ein Jahr oder sogar noch länger, großer Gott, nein.

»Ich werde mit dem Trinken aufhören«, hatte Raffaele mit fester Stimme behauptet.

»Das glaube ich dir nicht. Das schafft niemand allein.«

Raffaele hatte überlegt, seine Gedanken hatten sich überschlagen, wie ein Sack, der einen Abhang hinunterrollt.

»Ich lasse mir helfen.« Er hatte nicht nachgedacht, hatte einfach gesagt, was ihm in den Sinn gekommen war.

Doch der Maresciallo rieb sich das Kinn. »Von wem?«

»Von meiner Frau?«

Der Maresciallo schüttelte vehement den Kopf. »Damit du noch mehr Gründe findest, die Arme zu verprügeln? Nicht im Traum. Also, da du keinen konkreten Plan zu haben scheinst, bleibt für dich nur der Knast. Ich werde nicht zulassen, dass du hier weiterhin gewalttätig bist. Wenn du deine Frau nicht schützt, werde ich es tun.«

Dann war Emilia vorbeigekommen, rein zufällig. Oder eben nicht.

»Sie kann mich vom Trinken abhalten!«, hatte Raffaele gerufen und auf sie gezeigt.

Emilia und der Maresciallo hatten sich nach einem kurzen, eindringlichen Gespräch auf eine Auszeit in einer Hütte mitten im Nirgendwo als Lösung geeinigt, Letzterer mit der Drohung, Raffaeles Fortschritte zu verfolgen.

Und hier war Raffaele nun. Doch er hatte nicht vor zu bleiben, Himmel, nein!

»Geh mir aus dem Weg!«, bellte er Emilia an, die seine Absicht zu fliehen sofort durchschaute und sich vor den Ausgang stellte. Mächtig. Furchteinflößend.

Sie sagte nichts, atmete nur, abwartend und vorbereitet auf einen möglichen Angriff. Ihm war klar, dass sie das nicht nur tat, weil sie es dem Maresciallo versprochen hatte. Es war ein Armdrücken zwischen ihr und Raffaele, und sie hatte ganz einfach mehr Kraft. Also setzte Raffaele sich an den kleinen Holztisch, der mitten im einzigen Raum der Hütte stand. Dann würde er eben später gehen, sobald Emilia fort war.

Doch die Hebamme setzte sich auch, direkt neben ihn. Sie sah nicht so aus, als wäre sie in Eile.

»Wieso hast du überhaupt angefangen mit dem Trinken?«, fragte Emilia so beiläufig, als hätten sie sich hier nur zum Plausch getroffen, als wäre es nicht mitten in der Nacht. Als wäre er nicht hier, um eben damit aufzuhören, sich mit Alkohol selbst zu vergiften und all denjenigen das Leben zur Hölle zu machen, die es wagten, sich ihm in den Weg zu stellen.

Auf Emilias Frage wollte Raffaele nicht antworten, weil es nichts zur Sache tat. Manchmal lief es einfach so im Leben. Irgendein Erwachsener hatte ihm wohl als Halbwüchsigem ein Glas in die Hand gedrückt, und Raffaele hatte sich in das warme Gefühl im Magen verliebt. In die Leichtigkeit seiner Gedanken, die durch den Alkohol die Konturen verloren.

Er blickte sich um. Im schwachen Schein der Öllampe sah er alles nur schemenhaft. Es schien aber ein hübsches Häuschen zu sein. Die Hütte sah nicht aus wie ein Ort des Grauens. »Ist das hier, wo du den Frauen die Kinder wegmachst?«, wechselte er einfach das Thema.

»Ich mache keine Kinder weg«, entgegnete sie schlicht.

»Was machst du dann?«

»Ich helfe ihnen auf die Welt.«

»Wenn sie keiner will …?«

»Es gibt immer jemanden, der ein Kind will. Mehr als alles andere auf der Welt.«

Er dachte nach. Lange. Er sehnte sich nach etwas Starkem. Doch die Gedanken waren ungewohnt klar. Klar wie die eiskalte Nacht. Sie waren ungetrübt, in Sicherheit vor der weichzeichnenden Wirkung des Alkohols. Und er wusste, dass er eben das nicht wollte.

Es war die Nacht der Erkenntnisse. Vielleicht die Nacht des Wandels. Er würde nicht in einer Zelle verrotten, nein. Das war etwas für Verlierer. Er gehörte nicht in diese Kategorie. Es war aber auch die Nacht, die ihn auf unerklärliche Weise immer wieder zu Ida brachte. Seine Tochter Ida, die einfach gegangen war. Für immer.

TEIL 1

Kapitel 1

17.07.1961

Jetzt habe ich es endlich geschafft, mir im Schreibwarenladen ein Tagebuch zu kaufen. Es ist hübsch, mit einem roten Ledereinband, und es sieht ein bisschen aus wie das von Elisabetta. Das trifft sich gut, denn ich habe beschlossen, Bettas Tradition fortzusetzen, wenn auch auf meine Art, in Form von Gedanken und Gedichten und was mir sonst so einfällt. Es tut mir einfach gut, zu Papier zu bringen, was mich bewegt. Und vielleicht liest es irgendwann auch jemand … Wäre das nicht wundervoll?

Deine Ida

Amalfi, Juli 1961

Es war früher Morgen, die Zeit des Tages, die Ida am liebsten mochte. Sie war auf dem Weg zur Arbeit im Hotel Villa Amalfi, und noch war draußen alles ruhig. Die Sonne brannte noch nicht erbarmungslos vom Himmel, ganz im Gegenteil fühlten sich ihre schüchternen Strahlen angenehm auf der Haut an. Es war die Zeit der Frühaufsteher, der Arbeiter, der Fischer, Bäcker und Metzger in Amalfi. Statt von Menschenmassen belagert, war die Piazza Duomo, der zentrale Marktplatz, zu dieser Uhrzeit – kurz nach sechs – von Düften durchweht. Brot, Süßes, Seife von der frisch gewaschenen Wäsche, die eine Hausfrau gerade an die Leinen am Balkon hängte, Fisch und das Meer, oh, das Meer. Der Geruch erreichte in Amalfi jeden Winkel. Idas Herz machte einen Satz, sie erfreute sich am Gedanken an das herrliche Gewässer, welches so schön auf die Küste traf, dass dies mit ein bisschen Fantasie wie ein kontinuierliches, respektvolles Liebkosen erscheinen konnte.

Ida knabberte gedankenverloren am letzten Rest eines Vascuotto, traditionelles, zweifach gebackenes, hartes Brot, welches vor dem Verzehr normalerweise mit Wasser aufgeweicht wurde. Aber Ida aß es auch trocken sehr gerne. Thomas, ihr Freund, hatte ihr einen ganzen Vorrat davon gekauft, einfach so. Weil er wusste, dass sie es mochte. Es gab kaum jemanden, der so aufmerksam auf ihre Bedürfnisse einging wie er. Einmal hatte er ihr reizende neue Schuhe geschenkt, nachdem sie sich wohl ein paarmal zu oft über schmerzende Füße beklagt hatte. Ein andermal hatte er sie romantisch in eines der neuen Restaurants in Positano ausgeführt, weil ihr aufgefallen war, dass die Hotelgäste mehr über das Lokal wussten als sie, was sie in einem Gespräch mit ihm am Rande erwähnt hatte. Sie konnte sich noch so gut an den magischen Abend erinnern, an dem sie Thomas bei Kerzenschein und duftender Pasta mit Meeresfrüchten angesehen und sich noch einmal in ihn und seine nordische Schönheit verliebt hatte. An dem Abend waren sie auch tanzen gewesen. Noch immer bekam sie Gänsehaut, wenn sie daran dachte, wie aufregend es sich angefühlt hatte, sich ganz eng mit ihm im Takt zu bewegen.

Ida ging etwas schneller, als eine Frau einen Eimer voll Wasser und Putzmittel unter den Tischen vor einer Bar ausschüttete, um damit die Spuren des Vorabends zu entfernen. Der graue Kater Alfredo, der auf der Piazza wohlbekannt war und gerade unter einem Stuhl gedöst hatte, sprang erschrocken davon. Idas Schuhsohlen machten bei jedem hastigen Schritt auf dem dunklen Pflasterstein klack-klack. So leise war es noch, dass man das hören konnte. Doch wie auf Kommando begann ein Fischer, der seinen frischen Fang auf einem kleinen Tisch in einer Kiste präsentierte, seine Beute lautstark anzupreisen. Ida meinte, dass einer der Oktopusse sich sogar noch bewegte. Es war, als hätte der Mann damit den anderen Menschen die Erlaubnis erteilt, nun auch etwas lauter zu sein. Die Frau, die vor der Bar den Boden schrubbte, sang jetzt ein Lied. Von Fred Bongusto, Ida erkannte es, sie hatte es einmal mit Thomas beim Autofahren gehört. Oh, sie liebte es mit ihm zu fahren, an ihn gelehnt, in seiner Nähe zu sein. In diesem Lied ging es um eine Liebesnacht, und Ida fragte sich, ob die Frau soeben eine solche erlebt hatte. Der Gedanke ließ ihr Herz schneller schlagen, weil sie gar nicht anders konnte, als an ihre eigene letzte Liebesnacht zu denken. Doch dann rief der Fischer: »Pesce freschissimo. Venite, venite!«, und der Gedanke war wie weggeblasen. Ein Hund bellte irgendwo. Und Ida lächelte – nun war Amalfi endgültig erwacht.

Wenige Augenblicke später erreichte Ida die Strandpromenade und dort, gleich in der ersten Reihe am Meer, das Hotel, in dem sie an der Rezeption arbeitete: das Villa Amalfi. Das Gebäude auf dem Felsen war im Laufe der Zeit vierstöckig ausgebaut worden. Rechter Hand führte eine schmale Treppe für die Bediensteten direkt von der Straße aus in den obersten Stock, wo sich die Küche des Hotels befand. Unzählige, steile Stufen, die Ida nur allzu gut kannte, nachdem sie vor nunmehr elf Jahren als Pastamädchen hier angefangen hatte und diese Treppe seinerzeit jeden Tag emporgestiegen war.

Ida liebte das Villa Amalfi, das auf den ersten Blick durch die verschiedenen Bauweisen der einzelnen Stockwerke ein bisschen wie zusammengewürfelt erscheinen mochte. Die Gründerin, Elisabetta Esposito, hatte die Zimmer nach und nach angebaut, entsprechend ihren finanziellen Möglichkeiten. Und so war das eine Zimmer größer geraten, das nächste kleiner, aber dafür mit Balkon, was dem Charme des Hotels jedoch keinen Abbruch tat. Ganz im Gegenteil, das alles gab dem Gebäude das gewisse Etwas, wie Ida fand. Auch der weiße Anstrich und die blau-weiß gestreiften Markisen – die Farben des Himmels und des Meeres – verliehen dem Hotel das Flair eines reizenden Hauses, in das man sich gerne begab.

Sie ging auf den Mann zu, der am Geländer der Strandpromenade stand, leicht gebeugt, aber dennoch hellwach mit seinen aufmerksamen Augen hinter den dicken Brillengläsern. Als Signor Vittorio sie bemerkte, nickte er ihr zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange, so wie es sehr vertraute Menschen taten, die mehr Zeit miteinander verbrachten als mit der eigenen Familie. Ida war froh um diese enge Bindung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Mittlerweile hatte der Hotelbesitzer ihr sogar das Du angeboten, darüber hatte sie sich sehr gefreut. Jetzt legte sie ihm kurz eine Hand auf den Arm und lehnte sich neben ihm an das Geländer.

»Wie schön das Blau in diesem Jahr leuchtet«, sagte Vittorio gleich und deutete mit einem Finger auf die Aufschrift Hotel Villa Amalfi auf der weißen Fassade des obersten Stockwerks. »Vielleicht müssen wir den Schriftzug vor der nächsten Saison gar nicht nachziehen lassen«, überlegte er.

»Wir werden abwarten und sehen, was der Winter damit macht«, schlug sie vor.

»Ja. Wie immer.« Er wendete sich Ida zu und lächelte sie an. Offen, fast schon liebevoll. Und Ida nahm es gerührt an, dieses Lächeln, das sie so spontan und herzlich nicht mehr allzu oft auf dem Gesicht ihres Arbeitgebers sah. Seit er vor einigen Jahren seine Frau, Signora Annalisa, so plötzlich verloren hatte, hatte er einen großen Teil seiner Lebensfreude verloren. Er trauerte noch immer um Annalisa, einen der liebsten Menschen, die Ida jemals kennengelernt hatte. Kaum dass Ida im Hotel eingestellt worden war, hatte Annalisa sich ihrer angenommen und ihr Selbstvertrauen gestärkt wie keine andere. Sogar vor Guendalina, der eigenen Tochter, die Ida das Leben vom ersten Augenblick an schwer gemacht hatte, hatte Ida sie in Schutz genommen. Das war keine Selbstverständlichkeit gewesen. Auch Ida vermisste Annalisa noch immer schmerzlich.

»Oder bin ich zu traditionsbewusst? Mache ich aus dem Hotel ein Relikt?«, durchbrach Vittorio ihre Gedanken. Sie wusste, dass die Frage ironisch gemeint war, dennoch schwang ein Hauch Sorge mit. Er musterte Ida aufmerksam, bevor er sich selbst die Antwort gab: »Ach was! Du wirst schon aufpassen, dass das nicht passiert.« Er tätschelte Idas Arm und wandte den Blick wieder auf das Hotel.

»Wir werden das Hotel gemeinsam erfolgreich in die Zukunft führen«, betonte Ida und fuhr sich mit der Hand durch ihr langes, dunkles Haar.

Vittorio nickte. »Ja. Bis zu einem gewissen Punkt werden wir das.«

Ida wusste, was er meinte. Das Hotel Villa Amalfi würde eines Tages, nach Vittorios Ableben, ihr gehören. Der Gedanke war noch immer ergreifend. Sie würde die alleinige Erbin des Hauses sein. Annalisa hatte in ihrem Testament verfügt, dass sie und Guendalina jeweils die Hälfte des Hotels erben würden, und Guendalina hatte später auf ihren Anteil verzichtet.

Ja … Guendalina. Zwischen ihr und Ida hatte es vom ersten Moment an Probleme gegeben. Heute war Ida reif genug, um zu erkennen, dass Guenda eifersüchtig auf sie gewesen war. Doch hatte ihre Eifersucht sich in niederträchtigen Handlungen gegen Ida gezeigt. Es war so weit gekommen, dass Guenda ihr den Freund ausgespannt und ihn sogar geheiratet hatte. Ranieri war Idas erste große Liebe gewesen, und sein Verhalten hatte sie tief verletzt – es war nicht so sehr Guendalinas Boshaftigkeit, sondern viel mehr noch Ranieris Verrat. Dass er in der Ehe unglücklich war, hatte er Ida nur wenig später gebeichtet. Und Ida war schwach geworden – ein einziges Mal. Die Nacht war nicht ohne Folgen geblieben, Ida war schwanger geworden. Schon bald war ihr klar, dass sie das Kind nicht behalten konnte. Sie wollte nur das Beste für das kleine Wesen und entschied, das Mädchen über die Hebamme Emilia an ein kinderloses Paar zu vermitteln. Niemand konnte ahnen, dass ihr Baby ausgerechnet bei Guendalina und Ranieri ein Zuhause finden würde, die sich an Emilia gewendet hatten, weil sie auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen konnten. Das Ehepaar wusste selbstverständlich nicht, dass Ida die leibliche Mutter und Ranieri der leibliche Vater waren. Und die beiden sollten es auch nie erfahren.

Doch das Schicksal hatte es so gewollt, dass Ida und Guenda für immer miteinander verbunden waren. Über die kleine Annalisa.

Ida schüttelte den Gedanken ab. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es Zeit wurde, im Hotel nach dem Rechten zu sehen. »Bereit für den neuen Arbeitstag?«, fragte sie Vittorio.

»Aber ja! Ich bin zu jeder Schandtat bereit.« Er zwinkerte ihr zu.

Gemeinsam gingen sie auf das Hotel zu, stiegen die wenigen Stufen zum Eingangsbereich hinauf und öffneten die Glastüren weit. Vor ihnen lag die helle Eingangshalle mit der antiken Vitrine, die noch von der Gründerin stammte und in der für alle sichtbar ihr Tagebuch aufbewahrt wurde. Dazu gab es eine einladende Sitzecke und eine Bar, an der die Gäste schon bald ihren ersten Kaffee trinken würden. Und links ihre Rezeption. Bilder, Vasen, Bücher. Ida liebte all das. Sie traten ein, und für Ida war es wie das Eintauchen in eine warme Umarmung.

Als Ida das nächste Mal auf die Uhr blickte, war es zehn, was sie überraschte. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Sie mochte den Alltag im Hotel und verrichtete sämtliche Aufgaben mit Freude, sodass sie selten den Eindruck hatte zu arbeiten. Ihr Arbeitsbereich war die Rezeption. Das bedeutete, dass sie Buchungen annahm, eintrug und so platzierte, sodass alle Zimmer bestmöglich die ganze Saison über ausgelastet waren. Für sie fühlte sich das ein bisschen wie Puzzeln an. Knifflig manchmal, aber so befriedigend, wenn alle Kapazitäten sich fügten. Sie organisierte auch jeden Morgen den Ablauf der Zimmerreinigung. Priorität hatten dabei natürlich die neu zu belegenden Räume, sodass niemand bei der Ankunft lange warten musste.

Sie nahm Telefonate entgegen, war für die Hotelgäste da, die sie auf der Suche nach Informationen oft und gerne befragten. Zum Beispiel, um sich nach einem bestimmten Restaurant zu erkundigen, wenn sie in einem Klatschblatt gelesen hatten, dass irgendeine Berühmtheit dort gegessen hatte. Oder sie fragten, wo sie das beste Eis bekämen, oft auch, wann eine Bootstour nach Positano möglich wäre. Egal welches Anliegen, Ida war für alle da. Ihre größte Leidenschaft aber galt den Gruppen, die aus Deutschland, England oder den Staaten anreisten. Gruppen, für deren Buchungen Ida hart gearbeitet hatte und deren Sprachen sie inzwischen sehr gut beherrschte. Und so hatte sie es über die Jahre geschafft, direkte Kontakte zu Reiseveranstaltern im Ausland zu knüpfen, ohne zwingend an italienische Vermittler gebunden zu sein. Das verschaffte ihr nicht nur Spielraum bei der Angebotserstellung, es führte auch mehr Gäste in das Villa Amalfi. Ida stellte Programme individuell zusammen, egal ob Wander-, Meeres- oder Gastronomietouren. Sie experimentierte, fand die Vorlieben der Gäste heraus und war inzwischen auch bei den Reiseveranstaltern äußerst beliebt. Das zeigte Resultate, denn sie schickten ihre Gruppen aus dem Ausland lieber zu Ida ins Villa Amalfi als in andere Hotels an der Küste. Und so war ihr Hotel nunmehr auch in der Nebensaison voll belegt, während andere da sogar geschlossen hatten. Vittorio war hochzufrieden, ebenso wie Ida. Das war es, was sie wollte: ein erfolgreich laufendes Hotel, am liebsten das ganze Jahr über. Ja, das war ihr ambitioniertes Ziel.

Ida blickte durch die Glastür über das Meer, das sie von ihrem Arbeitsplatz aus sehen konnte. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, und sie seufzte wohlig. Noch immer war das Meer für sie keine Selbstverständlichkeit. Noch immer machten das intensive Blau und diese endlose Weite ihr Herz weit. Und das, obwohl sie nun schon seit elf Jahren das Privileg genoss, es tagtäglich zu sehen. Sie legte ihren Stift hin und verlor sich einen Augenblick in dem Anblick, bewunderte das Glitzern der Sonne auf der Wasseroberfläche, die an diesem Tag nur leicht bewegt war durch ganz sanfte Wellen.

»Ida?«

Sie schrak auf, als hätte man sie bei etwas Verbotenem ertappt. Lella, das Mädchen, das im Hotel putzte – eine aufgeweckte, energische junge Frau mit schwarzen Locken und beinahe ebenso dunklen ausdrucksvollen Augen –, stand an der Rezeption und sah sie an.

»Ja?«, fragte Ida.

»Du sollst bitte mal kurz nach oben kommen, in die Küche.«

»Worum geht es denn?«

Lella zog die Schultern ebenso wie die Augenbrauen hoch und ging weiter. Die Uniform, welche die Mädchen vom Putzdienst seit einigen Jahren im Villa Amalfi trugen – ein beiges, einfaches Kleid mit Schürze und weißen Bordüren an Kragen und Ärmeln –, raschelte bei jedem Schritt.

Ida zögerte einen Moment, gab dann aber Vittorio Bescheid. Er saß in seinem Büroraum, der sich gleich hinter der Rezeption befand und wo er die meiste Zeit mit Zahlen, Rechnungen und Berechnungen verbrachte. Er war dafür verantwortlich, dass im Hotel finanziell alles passte. Ida hatte nicht selten bis spät in die Nacht hier mit ihm gesessen, um so viel wie möglich von ihm zu lernen.

Der Raum war überschaubar groß und hatte sich in all den Jahren kaum verändert. Die Bilder aus vergangenen Tagen hingen noch immer an den Wänden, Ordner und Papiere füllten noch immer die Schränke. Einzig Annalisas Bild auf dem Schreibtisch war hinzugekommen. Es zeigte sie beim Gespräch mit Gästen. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen und lachte, wunderschön, wie die Herrlichste aller Divas, vollkommen in ihrem Element in ihrem schicken Kostüm, das ihre hübsche Figur umschmeichelte. Das Bild hatte ein Gast geschossen. Bei einem seiner letzten Urlaube hier hatte er es mitgebracht und Vittorio geschenkt, begleitet von der Bemerkung, dass er sie genau so in Erinnerung behalten wolle.

»Ich werde in der Küche gebraucht!«, sagte Ida und zeigte mit dem Finger nach oben.

Vittorio blickte auf, nickte. »Geh nur. Und lass die Tür offen, ja?«

»Selbstverständlich! Ich bin so schnell wie möglich wieder hier, ja? Und falls Signora Bracchi kommt …«

»… dann gebe ich ihr die Rechnung.« Natürlich wusste er Bescheid.

»Ja. Und sollte Mister Sharp anrufen …«

»… dann gebe ich ihm zu verstehen, dass er es später noch einmal versuchen soll.«

»Nur für den Fall, dass …« Ida fielen plötzlich tausend Dinge ein, die in ihrer Abwesenheit passieren konnten.

Doch Vittorio sah sie über den Brillenrand an. Schweigend, ein wenig vorwurfsvoll und gleichzeitig erheitert. »Ida, Dio mio, nun geh schon!«, rief er dann lachend und scheuchte sie fort.

Und Ida ging, machte sich mit einem breiten Grinsen auf den Weg. Obwohl sie schon lange nicht mehr in der Küche arbeitete, war diese doch noch immer einer ihrer Lieblingsplätze im ganzen Hotel. Dort hatte sie angefangen, dort hatte sich ihr Leben grundlegend verändert und zum Besseren gewendet. Ida genoss es, sich im Villa Amalfi zu bewegen, auch im Inneren des Gebäudes die Stufen emporzusteigen, ab und an Besuchern Platz zu machen, so wie jetzt. Sie stieß auf Mrs Walsh, grüßte freundlich, blieb auf der Treppe stehen.

»Good morning, dear!«, sagte die Dame, deren Haut so weiß war, dass sie an frisch aufgeschnittenen Mozzarella erinnerte. Ida konnte Englisch ein kleines bisschen weniger gut als Deutsch, sie hatte beide Sprachen fast zeitgleich gelernt und oft und gerne Dinge durcheinandergebracht. Es hatte zum Beispiel eine Weile gedauert, bis sie verstanden hatte, dass dear nicht gleich dir war. Thomas, damals ihr Deutschlehrer, hatte das immer erheiternd gefunden.

Thomas. Ja … der Mann, der ihr nicht nur mit bewundernswertem Optimismus eine für Italiener unberechenbare deutsche Aussprache beigebracht hatte – das mit den Umlauten wollte noch immer nicht so richtig klappen, fünf klang bei Ida wie funf –, sondern auch ihr Herz und ihre Seele geheilt hatte, als Ida durch die wohl schwierigste Zeit ihres Lebens gegangen war: eine unschöne Trennung, ein uneheliches Kind, der erbitterte Konkurrenzkampf mit der Tochter des Hotels Villa Amalfi, berufliche Hürden. Thomas war da gewesen, in jedem dieser Momente, als unterstützender Begleiter.

Und ihr Herz stolperte aufgeregt. Wie immer, wenn sie an ihn dachte.

»Geht es gleich an den Strand?«, erkundigte sich Ida freundlich. Sie fragte das nicht mal eben, weil es sich gehörte. Sie war wirklich interessiert daran, was die Gäste des Hauses machten, wie sie ihren Urlaub gestalteten. Gegebenenfalls griff Ida dezent ein, wenn sie glaubte, dass ihre Besucher irgendetwas Wichtiges verpassten, und empfahl ihnen Ausflüge, Restaurants oder Strände.

»Of course. Das Meer ist ein Traum. Ich wünschte, ich könnte es einpacken und mit nach Hause nehmen.«

Ida lachte. Das hatte sie schon oft gehört. Und sie hatte auch beobachtet, wie Touristen Sand und etwas Meereswasser in kleine Behältnisse füllten und diese dann tatsächlich einpackten, im verzweifelten Versuch, die Eindrücke ihres Urlaubs auch zum Anfassen und Anschauen mitzunehmen. »Das könnte etwas schwierig werden. Genießen Sie einfach Ihre Zeit hier bei uns. Sie haben ja noch eine ganze Woche.« Ida wusste über jeden einzelnen Gast Bescheid. Ankunft, Abfahrt, Herkunft, Alter, Beruf. Alles.

Sie verabschiedete sich von Mrs Walsh und stieg die Treppe weiter empor. Insgeheim fragte sie sich wie so oft, ob Signora Annalisa wohl zufrieden wäre mit ihr. Ob sie vielleicht sogar ein ganz kleines bisschen stolz auf sie wäre.

Kapitel 2

Was für eine großartige, tolle Überraschung! Wenn ich daran denke, hüpft mein Herz noch immer vor lauter Aufregung. Solange ich lebe, werde ich mich an diesen Tag erinnern.

Im obersten Stock durchquerte Ida zunächst den Speisesaal, in dem noch immer einige Gäste ihr Frühstück einnahmen – was die Servicezeiten anbelangte, war man im Hotel Villa Amalfi nicht so streng. Bis elf Uhr war jeder willkommen, der etwas essen wollte, und selbst wenn es einmal knapp später wurde, drückte man gerne ein Auge zu. Hungern sollte bei ihnen niemand. Ida liebte es, den Geräuschen zu lauschen, dem Klappern des Geschirrs, den leisen Stimmen, wenn die Gäste sich unterhielten. Jetzt waren die großen Frontfenster weit geöffnet, und Ida sog die frische Luft ein, die nach Meer roch, während sie sich im Raum umsah. Dieser Saal war seit vielen Jahren unverändert: die bunten Keramikfliesen unter den Fenstern, die Bilder an den Wänden, die großen Pflanzen, die Einrichtung. Seine Umgestaltung war ihr nächstes Projekt, die nächste Baustelle, die sie und Vittorio in Angriff nehmen wollten. Sie würden in der Winterpause renovieren, die im Villa Amalfi nur über den Dezember, Januar und Februar ging. Diese hielten sie sich für eventuelle Arbeiten am Haus frei, ansonsten war das Hotel dank Idas harter Arbeit auch in der Nebensaison voll belegt. Ida freute sich darauf, den Speisesaal aufzufrischen, denn immer wenn sie etwas mit verändern durfte, fühlte es sich so an, als wäre das Hotel ein kleines bisschen mehr auch ihres.

Sie konnte nicht umhin, einen prüfenden Blick auf das Buffet zu werfen. Es war schön, einladend, noch war eine große Auswahl an Speisen vorhanden, obwohl die Frühstückszeit fast vorbei war. Gebäck, Brot, Aufschnitt, Obst, Eier, Speck, Käse, Säfte und vieles mehr. Das bedeutete, dass die Kellner sich gut darum gekümmert hatten, für Nachschub zu sorgen. Ida nickte ihnen anerkennend zu. Sie wusste, dass sie die Geste sahen, auch wenn sie angestrengt versuchten, sich das nicht anmerken zu lassen. So wie sie es immer taten, vor allem, wenn Ida sie tadelte, das mochten sie überhaupt nicht. Sie ließen sich nur ungern etwas sagen, im Positiven wie im Negativen, das war schon immer so gewesen. Ida tat es trotzdem, wenn es notwendig war. Nichts war wichtiger als das Wohl der Gäste, als die Perfektion des Service. Ida konnte nicht früh genug lernen, sich tatsächlich auch wie die zukünftige Besitzerin zu verhalten.

Und die Kellner hatten ein ganz großes Glück: Sie wurden von den Gästen heiß und innig geliebt, waren sie doch die Personen, die den engsten Kontakt zu ihnen pflegten. Sie bekamen auch stets das üppigste Trinkgeld, wenn die Gäste das Hotel wieder verließen. Deshalb fühlten sich die Kellner irgendwie unbesiegbar, und das merkte man ihnen an. Vor allem mit der Küche zankten sie oft, die, das musste man einfach so sagen, die Hauptarbeit machte und nicht die Hälfte des Ruhms dafür kassierte. Ida hatte schon oft versucht, das zu ändern, leider vergeblich. Wie damals, als sie den Kellner Pasquale zu einer Woche Besteckabtrocknen verdonnert hatte, nachdem er sich beharrlich über die Spülfrau aufgeregt hatte, die angeblich Flecken darauf hinterlassen hatte. Das Resultat war zwar gewesen, dass Pasquale sich danach nicht mehr über das Besteck beschwert und Renatas Arbeit vielleicht ein bisschen besser verstanden hatte, stattdessen aber zig andere Gründe gefunden hatte, um sich aufzuregen und das Feuer der Zwietracht zu schüren. Und so versuchte Ida es meist mit gutem Zureden, auch wenn es nur um Lappalien ging, die von den Kellnern aufgebauscht wurden.

Ida trat zu der Schwingtür im hinteren Teil des Speisesaals, die in die anliegende Küche führte, und öffnete sie. Sogleich wurde sie empfangen von Zischen, Klappern und Düften, oh, so vielen Düften, die sie einhüllten, verführten, kaum dass sie den Raum betrat. Fisch, dominant. Olivenöl, Zwiebeln, Knoblauch. Etwas Süßes, vielleicht eine Creme. Ida wurde fast schwindelig vor Appetit auf all diese Dinge. So war es vom ersten Moment an gewesen, als sie diese Küche betreten hatte, damals im Alter von sechzehn Jahren.

Ida war zu der Zeit gerade mithilfe ihrer Mutter aus ihrem schwierigen Elternhaus geflohen, um nicht von ihrem Vater mit einem deutlich älteren Weinbauern verheiratet zu werden. Sie war zunächst bei ihrer Tante Giannina und ihrem Onkel Sesto untergekommen. Doch für Ida war sofort klar gewesen, dass sie arbeiten und ein unabhängiges Leben führen wollte. Ihre Mutter hatte als junges Mädchen selbst in Amalfi gearbeitet, und diese Möglichkeit hatte Ida aufgegriffen. Sie hatte sich als sehnsüchtiger Wunsch in ihr festgesetzt, und so war sie bereits kurz nach ihrem Aufbruch aus ihrem Elternhaus hier im Villa Amalfi eingestellt worden. Vielleicht auch, um in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Oder um den Traum ihrer Mutter nach Jahren doch zu erfüllen.

Es war großes Glück, vielleicht aber auch Schicksal. Für Ida war das Hotel zu ihrem neuen Zuhause geworden und die Kollegen, besonders aus der Küche, zu ihrer Familie. Und da war auch schon einer ihrer Lieblingsmenschen: Sandra, die Köchin und älteste Dienstangestellte im Hotel und gleichzeitig diejenige, die Ida vom ersten Augenblick an mit offenen Armen hier im Haus empfangen hatte – sogar noch vor Annalisa. Bei Sandra hatte Ida zudem von Anfang an Unterschlupf gefunden, bei ihr wohnte sie sogar heute noch. Neben Sandra als Köchin kümmerte sich Eugenio als Hilfskoch darum, dass alle Gäste viel und sehr, sehr lecker im Hotel essen konnten. Er war der Soßenspezialist, vor allem aber war er Idas bester Freund. Ein Bruder fast, ein verlässlicher, liebenswerter, wenn auch manchmal etwas unbeholfener Mensch, der Ida in vielen Lebenslagen eine unersetzliche Stütze gewesen war.

Und Lea … ach, die gute Lea. Pantalea eigentlich. Aber so nannte sie schon lange niemand mehr. Sie war Idas Cousine und seit jeher ihre beste Freundin und Vertraute. Ida war glücklich, dass Lea ebenfalls hier im Villa Amalfi arbeitete, denn zwischen ihnen reichte ein Blick, um sich zu verstehen. Und es fühlte sich gut an, sich hundertprozentig auf jemanden verlassen zu können. Ida freute sich, dass Lea hier in Amalfi sogar die Liebe gefunden hatte. Ja, Lea und Eugenio waren verheiratet, hatten eine Tochter, Immacolata. Hier im Hotel war Lea für die Pastaherstellung verantwortlich, aber sie half auch überall sonst in der Küche mit. Wie Ida aus eigener Erfahrung wusste, waren die Übergänge bei Hochbetrieb oft fließend.

Und dann war da nicht zuletzt Renata, die spindeldürre, aber tüchtige und starke Spülhilfe. Vier großartige Mitarbeiter, die unendlich viel für dieses Hotel taten. So sah Ida sie.

Sie selbst war hier oben immer willkommen. Kaum stand sie jetzt in der Küche, redeten alle aus allen Ecken auf sie ein. Sie verstand kein Wort. »Moment!«, rief sie und hob eine Hand. »Ihr müsst nacheinander sprechen, ja?« Es war nicht so, dass sie das nicht schon gefühlt tausendmal angemahnt hatte. Die Angewohnheit, durcheinanderzusprechen, hatten sie aber trotzdem nicht abgelegt.

Als alle schwiegen, ergriff Sandra das Wort, was Ida nicht sonderlich wunderte, schließlich hatte sie in der Küche das Sagen. »Erdbeeren oder Pfirsiche?«, wollte sie wissen.

Ida blinzelte. »Pfirsiche?« Sie hatte keine Ahnung, worauf diese einfache Frage abzielte. Sie mochte Pfirsiche einfach lieber.

»Ha!«, machte Eugenio triumphierend und schlug mit der flachen Hand auf die Arbeitsfläche. »Hab ich’s doch gewusst. Pfirsichkompott passt einfach besser zur Creme!«

Sandra und Lea regten sich fürchterlich auf. »Das sagst du jetzt nur, weil Ida so entschieden hat. Bis eben warst du noch genauso unentschlossen wie wir!« Sandra stemmte die Hände in ihre breiten Hüften.

»Das macht er immer!« Lea funkelte Eugenio böse an. »Hab ich’s doch gewusst …«, äffte sie ihren Mann so perfekt nach, dass Ida sich auf die Lippen beißen musste, um nicht laut zu lachen.

»Was ist bitte falsch daran, wenn man, wie ich, die Dinge schon im Voraus weiß?«, erwiderte er trocken und warf Ida einen vergnügten Blick zu.

Lea schleuderte ein Geschirrtuch auf ihn, Sandra murmelte so etwas wie scemo, ganz sicher war Ida nicht. Aber es war einfach erheiternd. Dieses Geplänkel, diese familiäre Stimmung, das Armdrücken, bei denen es keine Verlierer geben konnte. Ach, Ida liebte das. Weil es sich wie Familie anfühlte. Niemand war hier jemals ernsthaft boshaft. Das wusste auch Renata, die mit einem Grinsen weiter die großen Töpfe ausspülte, in denen bereits am frühen Morgen die Soßen für den Tag gekocht wurden. Wie beschwerlich das Auswaschen dieser riesigen Behälter war, wusste Ida nur zu gut, zu Beginn ihrer Zeit hier hatte sie Renata oft genug dabei geholfen. Damals wie heute wirkte es bei der dürren Spülkraft aber leicht. Ida bewunderte sie sehr dafür.

Die Diskussion über Erdbeeren oder Pfirsiche ging lautstark weiter. Ida rollte mit den Augen und schnappte sich eine aufgeschnittene Tomate, kassierte dafür von Sandra einen Klaps auf ihre Finger. Sandra traf fast immer, sie schlug so schnell zu, dass man es gar nicht kommen sah. Doch Ida kaute amüsiert auf der fruchtigen Tomate, die ihre Geschmacksnerven kitzelte und nach Sonne schmeckte. Sie schob sich das zweite Teilstück in den Mund, schließlich hatte sie mal wieder kaum gefrühstückt, und lauschte dem Streit zwischen Lea, Eugenio und Sandra. Sie wusste, dass sie weiterhin unbesorgt sein konnte, denn die drei verstanden sich hervorragend. Sie versteckten es nur bisweilen sehr gut. Manchmal hatte Ida befürchtet, die enge Zusammenarbeit in der Küche könnten Eugenio und Lea als Paar schaden. Doch sie hatte ihre Freunde eine Weile beobachtet und festgestellt, dass sie all das, was mit der Arbeit zu tun hatte, sofort ablegten, sobald sie die Küche nach Feierabend verließen.

»Wieso macht ihr nicht aus beiden Früchten jeweils Kompott? Ihr könntet es in Schälchen füllen und getrennt zur Creme servieren lassen. Bei Tisch nimmt der Gast einfach, was er lieber mag, probiert wahrscheinlich von beiden. Dann ist er zufrieden, weil er mehr bekommt als erwartet, und ihr seid es auch, weil ihr keine Entscheidung treffen musstet. Hm? Was haltet ihr davon?«, warf Ida ihre Idee in den Raum.

Augenblicklich verstummten Sandra, Eugenio und Lea. Ida sah ihnen an, dass sie grübelten. Das dauerte eine ganze Weile, doch letztendlich klatschte Sandra ein paarmal laut in die Hände. »Na, los«, rief sie. »Ihr habt gehört, was Ida gesagt hat!« Lea und Eugenio nickten und machten sich anstandslos wieder an ihre Arbeit. Sandra formte mit ihren Lippen ein stummes Grazie in Idas Richtung. Ida zwinkerte ihr zu und verließ die Küche, sie wurde hier nicht mehr gebraucht. Aber noch bevor die Schwingtür hinter ihr zufiel, hörte sie, wie Sandra sagte: »Das hätte Signora Annalisa auch nicht eleganter lösen können.« Ida war gerührt und auch ein bisschen stolz, denn wenn sie nur halb so gut werden würde wie Signora Annalisa, dann brauchte sie sich um die Zukunft des Hotels keine Sorgen zu machen.

Mit großen Schritten ging Ida zurück zur Rezeption. Auf dem Weg durch das Hotel hörte sie Geräusche aus den Gästezimmern, an denen sie vorbeilief. Stimmen, Wasser, Lachen, Türen, die sich öffneten, alles gedämpft, ein bisschen wie Erinnerungen. Viele glückliche kleine Momente.

Ihr Blick fiel auf die Zimmernummer an einer Tür, und sie musste unwillkürlich lächeln. 1801. Als sie die Zahl das erste Mal gesehen hatte, als junges Mädchen, hatte sie gestaunt und keine logische Erklärung dafür gehabt. Doch dann hatte sie erfahren, dass die Zimmernummern den Geburtsjahren der Mitglieder der Gründerfamilie entsprachen. Eine Tradition, an der weder Annalisa noch Vittorio jemals etwas hatten ändern wollen.

Oh, im ersten Stock hing ein Bild im Flur etwas schief. Ida richtete es, trat einen Schritt zurück, sah es sich an und wägte ab, ob es nun gerade hing.

»Buongiorno!«, hörte sie in diesem Moment jemanden sagen und drehte sich um.

»Buongiorno, Signor Palmieri. Geht es ans Meer?« Ida musterte den Mann mittleren Alters. Er schien bereit für den Strand in seiner grünen Badehose, den beigen Stoffschuhen, dem hellen kurzärmligen Sommerhemd und dem Matrosenhut, der seinem Outfit etwas so Offizielles gab, dass Ida insgeheim schmunzelte.

»… wenn meine Frau es heute noch schafft, sich zurechtzumachen …« Er rollte mit den Augen und warf Ida einen Blick zu, der so viel bedeutete wie: Sie wissen ja, wie Frauen so sind.

»Dafür ist sie dann aber besonders schön für Sie«, gab Ida augenzwinkernd zu bedenken.

Der Gast lächelte ergeben und wechselte das Thema. »Ist das ein Ferrigno?« Er hob sein Kinn und deutete auf das Bild. Es zeigte die amalfitanische Landschaft, die Küste, das Meer und ein Boot. Ein kleines Fischerboot, exakt so dargestellt, wie man sie hier in Amalfi zuhauf auf dem Wasser schaukeln sah. Ida versuchte, den Namen unten rechts am Rand zu entziffern. Sie kannte das Bild schon so lange und hatte sich nie gefragt, wer es gemalt haben könnte. Und wenn sie ehrlich war, dann sah die Signatur tatsächlich nach einem A mit Punkt und einem nachfolgenden Ferrigno aus.

»Das könnte tatsächlich sein … Sie kennen sich mit Kunst aus, Signor Palmieri?«

»Nicht wirklich. Ich habe nur zufällig einmal einen Artikel über Antonio Ferrigno gelesen. Ich glaube, es war zu seinem zwanzigsten Todestag. Er war aus Maiori.«

Ida bedankte sich für die Information und nahm sich vor, mehr über diesen Künstler herauszufinden. Doch nun musste sie wirklich zurück zur Rezeption. An der stand Vittorio und unterhielt sich, und zwar mit einem Mann, den Ida unter Hunderten, nein, Tausenden anderen Menschen ausmachen würde. Immer wieder. Auch ohne hinzusehen. Thomas. Ihr Herz machte einen Sprung. Mit ihm war alles einfach, sogar die Liebe, die er immer erscheinen ließ wie einen Spaziergang unter einem Sternenhimmel. Oder wie eine Bootsfahrt, bei der die Haut übersät wird mit erfrischenden Wassertropfen. Thomas hatte ihr beigebracht, wie herrlich und einfach und wundervoll es war, sich zu lieben. Und davon bekam Ida nie genug. Körperlich wie geistig.

Er drehte sich zu ihr um, einen Augenblick, bevor sie ihn erreichte. Thomas legte leicht eine Hand auf ihren Rücken, küsste sie auf die Wange. Flüchtig nur, aber er sah ihr dabei tief in die Augen.

Sie bemerkte, dass Vittorio sie beobachtete, aber es störte sie nicht. Er durfte das.

»Was machst du denn hier?«, fragte sie. Thomas besuchte sie nicht oft im Hotel, da er selbst viel arbeitete und als Reiseleiter ausgebucht war. Und am Vorabend hatte er nicht erwähnt, dass er vorbeikommen würde.

»Wir beide müssen mal eben nach oben zum Pool«, erklärte Thomas mit einem Augenzwinkern.

Das Hotel verfügte über ein Schwimmbad, das sich auf der Dachterrasse befand. Eine Investition, die sich gelohnt hatte, denn viele Gäste buchten nur, wenn sie auch im Hotel schwimmen konnten.

»Wieso das denn?« Als sie zuletzt dort gewesen war, war alles in Ordnung, und auch am heutigen Tag hatte es keinerlei Beschwerden gegeben. »Ich komme außerdem gerade von oben, ich war in der Küche, und arbeiten muss ich auch …« Ida hatte ein schlechtes Gewissen Vittorio gegenüber, doch der hob nur beide Arme. »Nun geh schon!«, sagte er einfach und lachte.

Ida war verwirrt, nahm aber Thomas’ Hand und ließ sich die Stufen wieder hinaufführen.

»Was hast du vor?«, begann sie ihn zu löchern.

»Lass dich überraschen.«

»Amore, du weißt doch, dass ich Überraschungen nicht mag …«

»Ja … daran kann ich mich vage erinnern.«

Sie kicherten beide, als ihnen gleichzeitig dieses eine Mal im letzten Sommer in den Sinn kam, an dem Thomas sie mit einer Bootsfahrt nach Capri hatte überraschen wollen. Doch Ida hatte ihn so lange genervt, bis er ihr das Ziel mitgeteilt hatte, ergeben und auch ein bisschen erschlagen.

»Was hältst du vor mir verborgen?« Sie konnte sich einfach nicht zurückhalten. Außerdem war sie neugierig, oh, und wie!

»Gar nichts! Ich schwöre.«

»Ernsthaft? Würdest du darauf unseren speziellen Schwur leisten?« Sie hatten da so ein kleines Spiel, indem sie sich mit übertriebener Gestik – Hand aufs Herz, Kuss auf den Zeigefinger – Dinge schworen, wenn sie sie für besonders wichtig hielten.

»Gott, Ida … entspann dich einfach mal, ja?«

Wenn das nur so einfach wäre … Zu wissen, dass etwas geschah, aber nicht, was, bereitete ihr Unbehagen.

Thomas ignorierte ihre weiteren Fragen und bat sie, ihm zu vertrauen. Und das konnte sie. Sie gingen Hand in Hand durch die Gänge, grüßten Gäste, die sie wohlwollend ansahen oder anlächelten und dann zurückgrüßten. Als sie aufgeregt die Dachterrasse erreichte, staunte Ida nicht schlecht. Direkt am Pool, mit dem Rücken zum Geländer, standen Sandra, Lea, Eugenio und Renata. Ida kam ein Gedanke: War das Erdbeer-Pfirsich-Dilemma eben nur ein Vorwand gewesen, um sie abzulenken?

Es war heiß, und obwohl morgens die meisten Gäste ans Meer gingen, so waren doch genügend am oder im Pool, die ihnen nun neugierige Blicke zuwarfen.

Ida bemerkte, dass ihre Freunde aus der Küche Herzen aus rotem Papier in ihren Händen hielten. Eugenio zwar wie jemand, der am liebsten im Pool untergetaucht wäre, nur um nicht mit einem Stück Papier dastehen zu müssen, aber er war da. Und Lea, die war gerührt, das erkannte Ida an ihren geröteten Augen.

»Nun macht schon!«, trieb Sandra zur Eile an. Ida wusste nicht, worum es ging.

Thomas führte sie zu den Vieren, die sich um sie herumstellten.

»So ein Theater …«, hörte Ida Eugenio genervt murmeln. Und sie hätte bestimmt gelacht, wenn …, ja, wenn Thomas nicht plötzlich einen so ernsten Blick gehabt hätte. Er hielt sie an beiden Händen, drehte sich so, dass sie sich gegenüberstanden. Dann kniete er sich hin, vor sie. Und er war so groß, dass er ihr trotzdem bis zum Hals reichte. Er sah ihr tief in die Augen. Und Ida verstand. Ihr Hals wurde trocken, und sie konnte kaum schlucken, während ihr Herz so aufgeregt schlug, dass sie glaubte, gleich abzuheben.

»So romantisch hast du das nicht hinbekommen, Euge«, beklagte sich Lea bei ihrem Mann. Leise nur, im Flüsterton, aber Ida hörte es, und das war gut so, denn es nahm ihr die plötzlich aufgetauchte Nervosität.

»Ich bin doch kein verdammter Rodolfo Valentino!«, zischte Eugenio leise, und Ida musste nun doch lachen. Dann aber blickte sie in Thomas’ Augen, die die Farbe des Meeres hatten, und der Rest verblasste.

»Ida, liebste Ida«, sagte Thomas leise und gerührt. »Ich fühle mich, als hätte mein Leben erst so richtig Sinn, seit ich dich kenne. Weißt du noch? An der Rezeption?« Sie nickte und konnte nicht anders als zu lächeln, wenn sie an ihr erstes Treffen zurückdachte. Er, der Deutschlehrer, sie, die Schülerin. So viel Zeit war vergangen, so vieles hatten sie gemeinsam erlebt … »Ich habe mich sofort in dich verliebt, vom ersten Augenblick an. Und ich kann mir keine Zukunft vorstellen, in der wir nicht Seite an Seite stehen. Willst du mich heiraten, Ida?«

Sie hörte so etwas wie ein Quieken, das von Lea kommen musste, aber Ida nahm es nur am Rande wahr, denn sie konnte an nichts denken als diesen wundervollen Mann, der vor ihr kniete. »Aber natürlich will ich dich heiraten!« Sie zögerte keine Sekunde, so wie er nie gezögert hatte, ihr beizustehen. Auch nicht, als sie das Kind eines anderen zur Welt gebracht hatte. Thomas strahlte. Er steckte ihr einen reizenden Ring aus Weißgold mit kleinen Rubinen an den Finger. Ida sah abwechselnd ihn und den Ring an, der wie angegossen passte und herrlich aussah mit den winzigen roten Steinen. Rot wie die Liebe, erkannte Ida gerührt.

»Wann, Ida?« Er kniete noch immer vor ihr, legte seine Arme um ihre Taille, zog sie in dieser so zärtlichen Geste an sich. Sie schmiegte sich an ihn, tauchte ihr Gesicht in seine blonden Haare. Sie roch seinen Duft, spürte seine Wärme, seine Muskeln.

»Im nächsten Frühjahr?«, schlug sie vor.

Er hob den Kopf und sah sie an. »Das ist mir zu spät.«

»Dann im Winter?« Ida überlegte. Sie mussten eine Wohnung finden, in der sie gemeinsam leben konnten. Und das war nur eine Sache, darüber hinaus waren zig Dinge zu organisieren. Das mit dem Winter konnte knapp werden.

»Gott, nein! Wer heiratet denn im Winter?« Er sah wirklich entsetzt aus, und Ida musste grinsen.

»Dann schlag du ein Datum vor.«

»Ich möchte dich sofort heiraten, Ida. Spätestens nächsten Monat.«

»Im August? Wie soll denn das gehen? Ich muss arbeiten!«

»Vittorio sagt, du kannst dir gerne freinehmen.«

Idas Herz setzte einen Schlag aus. Tief in ihrem Inneren hatte sie schon immer gewusst, dass sie und Thomas eines Tages heiraten würden. Jetzt war sie nur noch einen Schritt davon entfernt. Ihr Pflichtgefühl sagte ihr, dass der August aufgrund ihrer Arbeit im Hotel nicht der ideale Zeitpunkt war. Aber wenn selbst Vittorio zustimmte … Ida beschloss zum ersten Mal ihrem Privatleben die Priorität einzuräumen. Deshalb nickte sie, und schon im nächsten Moment wurde sie von allen Seiten umarmt und geküsst.

»Du wirst eine wundervolle Braut sein.« Sandra nickte anerkennend und drückte Ida einen dicken Schmatzer auf die Wange.

»Unsere Ida …« Renata wirkte gerührt.

Eugenio gab ihr einen Kuss auf die andere Wange. »Ich freue mich für dich.« Brüderlich klopfte er Ida auf den Rücken, doch sie legte sich in seine Arme, und er drückte sie fest.

Auch Lea legte los. Sprach von Dingen wie Brautstrauß, Gästen, Empfang. Und wirkte dabei so glücklich, als ginge es nochmals um ihre eigene Hochzeit. Aber so war Lea, sie konnte sich freuen wie keine andere. Dabei wusste Ida nur zu gut, dass es eine Menge zu organisieren gab. Doch das machte ihr keine Sorgen.

Sie würde heiraten … Was für ein herrliches Gefühl zu wissen, dass sie und Thomas bald eine echte Familie sein würden. Er würde offiziell der Mann an ihrer Seite sein. Und vielleicht hätten auch sie eines Tages ein gemeinsames Kind …

Auf dem Weg zurück zur Rezeption glaubte Ida zu fliegen, obwohl sie die Hand von Thomas spürte, der sie sicher über die Stufen führte. Das Glück war manchmal so nah, so groß, dass man glauben mochte, es ewig halten zu können. Doch sobald Ida die Eingangshalle betrat, hörte sie eine ihr wohlbekannte Stimme, die, mal mehr, mal weniger, ihr Glück wohl immer trüben würde: Guendalina.

Sie unterhielt sich mit ihrem Vater. Doch ehe Ida es sich versah, kam ein kleines Mädchen auf sie zugelaufen, mit rabenschwarzen Haaren, dünnen Beinchen, allerliebst. Ida sah die Zweijährige oft, doch war es für sie immer wie beim ersten Mal: bitter-süß. Und wie jedes Mal unterdrückte Ida auch jetzt ihren Mutterinstinkt. Ihr war danach zumute, die kleine Annalisa auf den Arm zu nehmen und an ihrer Haut zu riechen, sie zu spüren, mit jeder Faser. Das konnte sie natürlich nicht tun, und das war nicht einfach zu verdauen. Andererseits waren Ida diese zufälligen Treffen auch wichtig. Ja, für sie waren sie lebenswichtig, gaben sie ihr doch, wenn auch nur flüchtig, die Gelegenheit, die Fortschritte ihres Kindes mitzuverfolgen. Zu sehen, dass es ihr gut ging. Dass sie ein glückliches, geliebtes kleines Mädchen war.

»Annalisa!«, rief Guenda und drehte sich in die Richtung, in die die Kleine entwischt war.

Während Ida wie gelähmt dastand, reagierte Thomas schnell, er fing Annalisa ab und hob sie hoch. Das kleine Mädchen lachte vergnügt und schlug mit ihren Händchen um sich.

Ida war ihm dankbar, und für einen Moment glaubte sie, einen Blick in das Leben zu werfen, auf das sie aus übermäßiger Liebe zu dem Kind verzichtet hatte.

Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Es war nicht immer einfach, das Richtige zu tun. Aber es war auch nicht immer alles schwarz oder weiß. Das akzeptierte sie inzwischen. Und waren es nicht gerade die Schattierungen, die irgendwo dazwischenlagen, die das Leben lebenswert machten?

Kapitel 3

Ich bin mir immer noch nicht sicher, was sie überhaupt von mir will. Will sie mich auf Lebzeiten provozieren? Immer und immer wieder? Wird ihr denn nie langweilig?

Ach, Annalisa! Du sollst doch nicht hier herumrennen!«, schimpfte Guenda. Doch ihre Stimme war so voller Liebe, dass ihre Worte gar nicht streng klangen. Oft fragte sich Ida, wie Guenda ihr selbst gegenüber so gehässig, zu ihrer Tochter aber so liebevoll sein konnte. Es war, als lebten in ihr zwei Seelen, und manchmal sah Ida aufblitzen, wie gutmütig Guenda eigentlich sein konnte.

Thomas setzte Annalisa ab, und das Mädchen ging brav zu ihrem Nonno. »Ich nehme an, ich darf zur offiziellen Verlobung gratulieren?«, fragte er heiter.

»Sie hat Ja gesagt«, erklärte Thomas.

»Du Glücklicher.«

»Ach, Vittorio …« Ida gab dem Guten einen Kuss auf die Wange. Und er strahlte, tätschelte ihren Arm.

Dann folgte er Annalisa, die schon ungeduldig an seiner Hand zerrte, ins Büro. »Ihr müsst mich entschuldigen. Die junge Dame hier hat es eilig.« Amüsiert deutete er mit dem Kinn auf Annalisa.

Ida und Thomas wechselten einen schnellen Blick. Guenda blieb zurück, musterte Ida von oben bis unten, und für einen Moment fühlte Ida sich wie nackt. Aber es war nur ein flüchtiger Augenblick, sie hatte sich gleich wieder unter Kontrolle. Thomas legte ihr eine Hand auf die Schulter. Bestimmt hatte er ihr Unbehagen gespürt.

»Musst du um diese Uhrzeit nicht arbeiten?«, setzte Guenda gleich an. Als wäre sie hier die Chefin, als hätte sie das Sagen. Dabei hatte sie mit den täglichen Arbeiten im Hotel nichts zu tun, sie hatte auf Lehramt studiert und lebte mit Annalisa und ihrem Mann Ranieri in Neapel. Sie kam zwar so oft sie konnte zu Besuch mit Annalisa – selten war Ranieri dabei, der stets in seinem Reisebüro beschäftigt war –, um Zeit mit Vittorio zu verbringen. Doch sie war weder am Hotelbetrieb noch an den Gästen interessiert. Trotzdem hatte sie noch immer diese irritierende Art an sich, die ihr schon als junges Mädchen zu eigen gewesen war. Ida fiel immer wieder auf, dass Guenda sich nicht weiterentwickelt hatte, dass sie noch immer unreif war. Ida hatte es doch auch geschafft, erwachsen und besonnen zu werden.

»Nun, meine Arbeit verrichte ich ja nicht ausschließlich am Empfang …«, sagte Ida selbstbewusst und stellte sich auf ihren Posten hinter den Tresen. Ja, sie wurde territorial, wenn Guenda sich aufplusterte.