Virus-Cop: Der Tote an der Nidda - Robert Maier - E-Book

Virus-Cop: Der Tote an der Nidda E-Book

Robert Maier

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Beschreibung

Olafs Sohn arbeitet bei der Frankfurter Kripo und wird gemobbt. Olaf möchte ihn mit einer brillanten Idee unterstützen. Als ITler in Rente hat er die Zeit und das Know-how, einen Virus auf dessen Diensthandy zu installieren, der ihm geheime Polizeiinformationen zuspielt. Der Virus-Cop ist geboren. In seinem ersten Fall geht es um einen Mord an der Nidda. Olaf erkennt die Chance, seinem Sohn den Täter liefern zu können. Er beginnt, gemeinsam mit seinem alten Kumpel Gottfried, im Dunstkreis der Frankfurter Universität zu ermitteln. Als es Olaf gelingt, den Laptop des Toten zu hacken, bricht das Chaos los. Er kommt auf die Spur des Verbrechens, doch dann gerät der Virus außer Kontrolle ...

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eISBN 978-3-947612-26-0

Copyright © 2019 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Covergestaltung: Lukas Hüttner

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Robert Maier

Virus Cop

Der Tote an der Nidda

Krimi

Der Autor

Robert Maier, 1961 in Frankfurt am Main geboren, schreibt seit 2010 Belletristik und Kurzgeschichten. Dabei fühlt er sich im Krimi-Genre genauso wohl wie etwa in Science-Fiction und sozialkritischen Glossen. Sein Hintergrund als Diplom-Physiker macht sich in seinen Texten ebenso bemerkbar wie seine Leidenschaft für Krimis, Astronomie und Reisen.

2016 wurde sein erster Roman „Pankfurt“ veröffentlicht.

Robert Maier ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Er arbeitet bei einer großen deutschen Fluggesellschaft im IT-Bereich.

„Virus Cop - Der Tote an der Nidda“ ist seine erste Veröffentlichung bei mainbook.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

1

Letztlich war es doch eine Menge Arbeit gewesen. Aber es hatte Spaß gemacht, und darum ging es ja: auszuprobieren, ob es gelingen würde. Die Lösung war das Ziel, der Weg oft mühsam. Jedenfalls funktionierte das Ding.

Begeistert klickte Olaf auf der bunten Benutzeroberfläche herum, öffnete Fenster, wählte Optionen aus, sah erstaunt auf die Ergebnisse. Es war beinahe ein Wunder.

Er nahm die Lesebrille ab und rieb sich die brennenden Augen. Spät war es geworden. Durch das Fenster in seinem Arbeitszimmer sah er die Häuser der anderen Straßenseite. Bis auf wenige Ausnahmen waren alle Fenster dunkel. Die Leute schliefen. Er sollte nun auch ins Bett gehen. Die Arbeit an dem Programm war beendet. Wie immer in solchen Augenblicken genoss er das befriedigende Gefühl, eine komplexe Aufgabe erfolgreich gelöst zu haben.

Meistens verlor er das Interesse an den Programmen, sobald sie fertig entwickelt waren. Die Sudoku-App für das iPhone, von ihm einige Monate zuvor geschrieben, hätte sich wahrscheinlich gut verkauft, aber daran hatte er kein Interesse. Genauso wenig wie an Sudoku Spielen. Es ging darum, ob er etwas zum Laufen bringen würde.

Er ließ sein Handy auf dem Schreibtisch liegen und setzte sich mit dem Laptop auf einen Sessel im Wohnzimmer. Natürlich funktionierte es auch über die Distanz. Aber er wollte es selbst sehen, sich davon überzeugen, dass die beiden Geräte wirklich durch Wände und geschlossene Türen hinweg kommunizieren konnten.

Er gab die Telefonnummer für die Mailbox ein und hörte sich die neueste Nachricht an.

»Hallo Olaf«, erklang die Stimme seines Freundes Gottfried. »Ich bin zurück aus Boston. Wollen wir uns morgen treffen?«

Er grinste. Natürlich wollte er ihn treffen. Sie hatten sich ja wochenlang nicht gesehen. Er machte einen Doppelklick auf die Sound-Datei, in die sein Programm die Mailbox-Nachricht kopiert haben sollte.

»Hallo Olaf …«

Wieder hörte er Gottfrieds Stimme. Das Kopieren klappte. Der alte Knabe klang heiser. Er hatte sich in der Businessclass doch nicht etwa einen Zug geholt?

Olaf probierte noch weitere Funktionen aus, öffnete das Adressbuch, rief Mails ab, startete eine Nachrichten-App. Nichts Spannendes, wenn man davon absah, dass er das von seinem Laptop aus tat. Das Handy, auf dem das alles stattfand, war in einem anderen Zimmer.

»Es funktioniert.« Er ging in die Küche. Vor Kurzem hatte er eine Flasche Wein im Schrank gesehen. Sie war noch da. Ein Merlot. Damit würde er sein neues Projekt abschließen. Er machte es sich mit einem vollen Weinglas auf der Couch bequem. Schon nach dem zweiten Schluck spürte er, wie sich der Merlot wohlig in seinem Körper ausbreitete.

Das Programm war wie eine Fernbedienung. Er besaß die volle Kontrolle über das Gerät. Er könnte das mit jedem x-beliebigen Handy tun, ohne dass sein Besitzer im Entferntesten etwas bemerkte. Eine beunruhigende Vorstellung. Wie viele Kriminelle und Geheimdienstler mochte es geben, die tatsächlich einen solchen Virus für ihre Zwecke nutzten? Er würde das Programm niemals auf ein anderes als sein eigenes Handy installieren.

Olaf nahm einen weiteren Schluck von seinem Projektabschlusswein. Plötzlich musste er grinsen. Ihm gefiel der Gedanke, der ohne Vorwarnung in seinen Kopf geschossen war. Er wollte den Virus doch nutzen, wenn auch nicht so, wie es Kriminelle tun würden, sondern für einen kleinen, fiesen Spaß.

Tobias legte sein Handy meistens auf den Esstisch, wenn er nach Hause kam. Wie gewöhnlich hatte er es vor dem Schlafengehen nicht ausgeschaltet, für Olaf pure Stromverschwendung. Aber für seinen Streich bedeutete es, dass er ihn sofort in die Tat umsetzen konnte. Er müsste über den Virus bloß eine kleine Manipulation des Adressbuchs vornehmen, und wann immer Tobias seine Kollegen anrufen wollte, würde sein Handy eine ganz andere Nummer wählen als erwartet.

Olaf rieb sich vor Begeisterung die Hände. Vormittags würde sich der Dolly-Buster-Shop melden, nachmittags ein Eroscenter und abends eine Striptease-Bar. Zu gerne würde er Tobias’ verblüfftes Gesicht sehen.

Er erschrak bei der Vorstellung, dass er genau das könnte, wenn er nur wollte. Er könnte Tobias’ Gesicht sehen, denn der Virus kontrollierte auch die Handykamera und würde alles aufzeichnen, was man ihm auftrug. Er verfügte über ein perfektes Überwachungsprogramm.

Olaf nahm einen Schluck Wein und betrachtete nachdenklich das Handy auf dem Esstisch. Er wollte niemanden überwachen, und er wollte Tobias nicht ausspionieren. Er wollte ihn nur ein klein wenig veräppeln.

2

Olaf wunderte sich, dass er Gottfried im ›Krummen Hund‹ an keinem der Tische sitzen sah. Normalerweise war der alte Herr pünktlich, wenn es um eine kulinarische Verabredung ging.

»Einen Sauergespritzten, bitte.«

Er hatte die Bestellung kaum ausgesprochen, als Karin das Glas vor ihn auf den Tisch stellte. Karin kannte ihre Stammgäste.

Olaf winkte Günther zu, der an einem anderen Tisch vor seinem Glas saß. Günther war immer da. Er gehörte zur Einrichtung wie der hölzerne Tresen, die Bembel und das zur Lampe umgestaltete Hirschgeweih an der Decke. Wie immer trug er ein gebügeltes Hemd, das sich über seinen nicht zu übersehenden Bauch spannte. Olaf dagegen sah man nur noch mit Polohemd oder Sweatshirt, seit Carola, die sich aufs Bügeln verstanden hatte, nicht mehr da war. Die wölbten sich zwar über seinem Bäuchlein, aber mit achtundfünfzig durfte man nicht eitel sein.

Er wurde von einem kurzen Bimmeln aus seinen Gedanken gerissen. Das Handy. Wieso dieser Ton? Den hatte er noch nie auf seinem Smartphone gehört. Er klang kitschig, erinnerte an ein Glöckchen am Weihnachtsbaum. Auf dem Bildschirm stand eine Benachrichtigung. Olaf setzte die Lesebrille auf. Wieso bekam er eine Nachricht von dem Virus? Vermutlich hatte er vergessen, irgendeine Option auszustellen. Prompt dachte er an Tobias und an seine hoffentlich zahlreichen Anrufe beim Dolly-Buster-Shop. Er öffnete die Konfigurator-App, über die er den Virus steuern und die wichtigsten Einstellungen ändern konnte. Der Virus hatte tatsächlich vier Nachrichten von Tobias’ Handy auf den Server kopiert. Das sollte er aber nicht. Mit der App konnte Olaf diese Funktion nicht abschalten, aber er würde das später zu Hause am Laptop tun.

Gerade als er das Handy in die Jackentasche stecken wollte, ertönte das Weihnachtsgebimmel erneut. Eine weitere Benachrichtigung. Diesmal öffnete Olaf eine der Nachrichten. Während er las, weiteten sich seine Augen. Auf seiner Stirn entstanden tiefe Dackelfalten. Sein Mund stand offen. Er las eine weitere Nachricht. Noch mehr Details! Karin, die gerade mit einem Tablett in der Hand zu einem Gast unterwegs war, schüttelte missbilligend den Kopf über seine Grimasse. Olaf bemerkte es nicht. Er war völlig von den Informationen eingenommen, die er auf keinen Fall lesen durfte, die aber so unglaublich interessant waren.

»Neuigkeiten?«

Fast hätte er den Mann nicht erkannt, der sich mit ironischem Grinsen über den Tisch beugte, als wollte er vom Bildschirm mitlesen.

»Was ist denn mit dir passiert!« Olaf schaltete den Bildschirm des Handys aus.

Gottfried machte eine gleichgültige Handbewegung und setzte sich Olaf gegenüber an den Tisch. Seine Hand wirkte mager und knorrig. Das sonst eher runde Gesicht mit dem getrimmten weißen Bart wirkte wie ein Ballon, aus dem die Luft herausgelassen worden war. Die Augen lagen so tief in den Augenhöhlen, dass man sie kaum sah.

»Ich gehe morgen zum Arzt.«

Olaf ließ das Handy in seiner Jackentasche verschwinden. »Du siehst aus wie dein eigener Großvater!«

Gottfried grinste ein unansehnliches Totenkopflächeln.

»Wenn du weiter so viel in der Weltgeschichte herumreist, werden sie dich demnächst in der Businessclass in Einzelteilen zusammenfegen«, sagte Olaf, obwohl er wusste, dass Gottfried auf Ratschläge nicht viel gab.

»Das Rauchen haben sie mir abgewöhnt, aber das Reisen gebe ich niemals auf.«

Olaf nickte. Gottfried ohne Dienstreisen – das war schwer vorstellbar. Er war ständig unterwegs: Meeting in Chicago, Messe in Singapur, Kongress in Rom. Und wenn er im ›Krummen Hund‹ saß, konnte unverhofft sein Handy klingeln, und er begann auf Englisch, Spanisch oder Französisch irgendwelche Dinge zu regeln, während er seinen Apfelwein trank.

Karin stellte Gottfried einen Sauergespritzten auf den Tisch. Sie starrte ihn irritiert an. Ihre Begrüßung fiel unsicher aus, und sie verschwand hastig hinter dem Tresen.

Gottfrieds Hand zitterte merklich, als er das Glas hob, um mit Olaf anzustoßen.

»Ich hoffe, der Onkel Doktor kriegt dich wieder hin. Ich brauche dich nämlich für ein Projekt.«

»Ein Projekt? Ich dachte, du machst dir mit der Abfindung ein gemütliches Leben.«

»Gemütlich. Aber nicht langweilig.«

»Du wirst doch nicht wirklich wieder in der IT arbeiten wollen?«

Es war wenige Wochen her, dass Olaf die Sachen von seinem Büroschreibtisch in den Müll geworfen und nur ein paar Kleinigkeiten in einem Karton mit nach Hause genommen hatte. Der Deal mit der Firma sorgte für eine üppige Rente, sodass er sich bereits mit achtundfünfzig zur Ruhe setzen konnte. Zusätzlich gab es eine happige Abfindung. Das reichte aus, um nie mehr arbeiten zu müssen, und das hatte Olaf auch nicht vor.

»Es ist nicht die Art Projekt. Ohne Kunden. Ohne Business Case.«

»Etwas Gemeinnütziges also!«

Olaf gefiel, dass Gottfried so auf dem Holzweg war.

»Ja. Das trifft es ganz gut. Unser Projekt wird der Gesellschaft nutzen.«

»Ich spende seit Jahrzehnten für Amnesty International. Das ist mir Charity genug.«

»Du könntest dich, statt nur mit Geld, mit persönlichem Engagement für eine gute Sache einsetzen.«

»Dafür fehlt mir die Zeit. Ich bin ja kein Rentner wie du.« Gottfried prostete Olaf mit einem Grinsen zu, und wieder zitterte seine Hand. »Erzähl mal von deinem Projekt. Ich sage aber gleich, dass ich keinen alten Damen über die Straße helfe.«

»Es geht nicht um alte Damen. Du weißt ja, dass ich beruflich mit IT-Sicherheit zu tun hatte.«

Gottfried nickte. Olaf galt als Experte, einigen sogar als Koryphäe auf dem Gebiet.

»Ich habe ein Programm geschrieben.«

»Also doch ein IT-Projekt!«

»Es geht nicht um das Programm, sondern darum, was wir beide damit tun können.«

»Eine Datenbank mit alten Damen, denen über die Straße geholfen werden muss«, spottete Gottfried.

»Ich habe einen Virus geschrieben.«

In Gottfrieds ausgemergeltem Gesicht hob sich eine Augenbraue. »Einen Virus. Das klingt nicht nach Charity.«

Olaf senkte die Stimme. »Ich habe einen Virus geschrieben und ihn auf Tobias’ Smartphone gespielt.«

Gottfried schien tatsächlich verdutzt. Ein Zustand, in dem ihn Olaf äußerst selten erlebt hatte.

»Und was ist nun das Projekt daran?«, fragte er schließlich.

»Du weißt, wer Tobias’ Arbeitgeber ist?«

»Arbeitet dein Sohn nicht bei der Polizei?«

»Richtig. Bei der Kriminalpolizei.«

»Du hast ihm tatsächlich einen Virus auf sein Polizeihandy …?«

Olaf nickte. Er beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Ich habe Zugriff auf Tobias’ Diensthandy und kann sehen, woran er arbeitet.«

Wieder hob sich eine Augenbraue in Gottfrieds Gesicht. »Das kann dich in die größten Schwierigkeiten bringen.«

3

Olaf strich mit dem Löffel Eigelb weg. Dann steckte er die leere Schale des Eis, das er gerade verspeist hatte, mit der Öffnung voran in den Eierbecher. Nach ein paar Korrekturen platzierte er die perfekte Illusion eines leckeren Frühstückseis neben Tobias’ Teller.

Es war lange her, dass seine Kinder auf diesen Trick hereingefallen waren. Einige Jahre lang galt es in der Familie als Wochenendsport, anderen sein ausgelöffeltes Ei neben den Teller zu stellen. Sogar Olaf hatte mehrmals zur großen Freude der Kinder eine leere Schale statt eines Frühstückeis in der Hand gehalten. Irgendwann hatte sich der Streich aber abgenutzt, oder die Kinder waren einfach zu groß für diese Art Späße geworden.

Höchste Zeit, ihn nochmal an Tobias auszuprobieren. Nach Abitur, abgebrochenem Studium und Polizeiausbildung rechnete er gewiss nicht damit, dass sein Vater ihm ein leeres Ei servieren würde.

»Guten Morgen, Papa.«

Tobias machte es sich am Küchentisch bequem und goss sich Kaffee ein.

»Ich habe Eier gekocht«, sagte Olaf so beiläufig wie möglich. Tobias begann, ein Brötchen aufzuschneiden. Würde er gleich das vermeintliche Ei in die Hand nehmen?

»Ich fange mit Marmelade an.«

Er ließ sich von Olaf das Glas reichen. Das Ei musste warten.

»Wie läuft’s in der Arbeit?« Diese Frage stellte Olaf jeden Samstag, dem Tag, an dem sie gewöhnlich gemeinsam frühstückten. Eine erhellende Antwort darauf bekam er allerdings nie.

»Wir haben einen neuen Fall.«

Das wusste Olaf bereits. »Ich nehme an, es ist ein Mordfall?«

»Natürlich ein Mordfall.« Tobias klang genervt. »Das ist meistens so bei der Mordkommission.«

»Und wer ist ermordet worden?«

»Papa, du weißt, dass ich keine Details über meine Fälle preisgeben darf.«

Immer diese Geheimniskrämerei. »Du könntest mir wenigstens das sagen, was sowieso in der Zeitung nachzulesen ist.«

»Meinetwegen.« Tobias biss ein Stück von seinem Brötchen ab. »An der Nidda ist ein Student tot aufgefunden worden«, sagte er mit vollem Mund.

Dass der Mord an der Nidda geschehen war, hatte Olaf nicht gewusst. »Ermordet?«

»Natürlich wurde er ermordet. Sonst wäre der Fall nicht auf meinem Schreibtisch gelandet.«

Auf deinem Smartphone ist er auch gelandet. »Und nun sucht ihr den Mörder.«

Tobias verdrehte die Augen, als wäre sein Vater vergreist und debil geworden.

»Ja, ich weiß«, beeilte sich Olaf zu sagen, »ihr seid die Mordkommission, und die hat die Aufgabe, Mörder zu suchen.« Er schenkte sich Kaffee nach. »Was ist dein Part bei den Ermittlungen?«

Tobias biss ein extra großes Stück von seinem Brötchen ab, gewiss um Zeit zu schinden. Bevor er eine Antwort gab, würde er vielleicht das vermeintliche Ei einer kriminalistischen Inspektion unterziehen. Leider tat er es nicht.

»Das Übliche halt.« Die erwartete Floskel. »Jedenfalls muss ich heute wegen des Falls zum Dienst.«

Wie auf Stichwort begann Tobias’ Handy die Melodie für dienstliche Anrufe zu spielen.

»Ja.«

Olaf hörte ihn meistens nichts anderes als »Ja« sagen, wenn er mit seinem Chef telefonierte.

»Okay. Mache ich.«

Das sagte er immer, wenn sein Chef ihm erlaubte aufzulegen.

Gleich darauf wählte er eine Nummer. Olaf schmierte scheinbar gleichmütig Streichkäse auf sein Brötchen, hörte aber gespannt zu.

»Hallo Thorsten?« Ein Stutzen. »Äh. Ich möchte Thorsten sprechen.« Er blickte irritiert auf das Smartphone, schien aber durch das, was er dort sah, versichert, nichts falsch gemacht zu haben. »Naomi? Chantal?« Wieder nahm er das Handy vom Ohr und starrte auf das Display. »Die kenne ich beide nicht. Ich muss dringend Thorsten sprechen. Thorsten Friedrich.« Wieder ein ungläubiger Blick auf sein Handy. »Was soll das heißen, hier gibt es nur Damen?«

Aha, das Eroscenter. Olaf unterdrückte ein Grinsen.

»So etwas ist mir gestern schon passiert«, sagte Tobias unglücklich, als er das Handy auf den Tisch legte. »Und das am Tatort! Ich sollte einen Kollegen von der Spurensicherung anrufen, und dann meldete sich ständig so ein komischer Laden.«

Er führte nicht aus, welche Art Laden er meinte, und schielte nach dem vermeintlichen Frühstücksei.

»Holger denkt nun, sogar dafür wäre ich zu dämlich.«

Er nahm den Eierlöffel in die Hand. Gleich würde er die leere Schale zertrümmern.

»Diese blöden Handys.«

Er stand vom Esstisch auf.

»Mir ist der Appetit vergangen.«

Olaf wartete, bis Tobias das Haus verlassen hatte. Für das Abschalten der Funktion, mit der das Adressbuch manipuliert wurde, benötigte er wenige Mausklicks. Tobias hatte auch ohne ein durchgedrehtes Smartphone genug Probleme mit seinen Kollegen. Jedenfalls war das aus dem herauszuhören, was er über seine Arbeit erzählte – und aus dem, was er nicht erzählte.

Dass er auch unbedingt zur Polizei gehen musste! Olaf wusste, dass der Beruf seinem Sohn nicht lag, und hatte ihm davon abgeraten. Vielleicht war das der Grund für Tobias gewesen, alles daranzusetzen, Polizist zu werden? Das Soziologiestudium hatte optimal zu ihm gepasst. Schade.

Olaf sichtete, was der Virus auf den Server geladen hatte. Die Telefonmitschnitte löschte er, ohne sie sich anzuhören. Zu intim. Dann öffnete er das Konfigurationsprogramm für den Virus und nahm sich die Einstellungen vor. Der Virus war so konfiguriert, dass er buchstäblich alles, was auf Tobias’ Handy geschah, an den Server schickte. Das hatte Olaf keineswegs beabsichtigt. Er wollte seinem Sohn einen Streich spielen. Durch die unverhofften Informationen zu dem Mordfall war seine Lust geweckt worden, mit Gottfried zusammen zu ermitteln, aber auf keinen Fall wollte er seinen Sohn observieren. Er schaltete die Option zum Mitschneiden von Telefonaten aus, zusätzlich die zum Übertragen der mit der Kamera aufgenommen Fotos und Videos sowie einige weitere sensible Funktionen.

Danach las er erneut in den Dokumenten, die der Virus geschickt hatte. Die Informationen zu dem Mord an Benjamin Hoffmann, dem getöteten Studenten, waren unvollständig. Kurz bedauerte er, die Telefonmitschnitte gelöscht zu haben. Sie hätten vielleicht weiteren Aufschluss gegeben.

Schließlich wählte er Gottfrieds Nummer.

»Ich habe neue Informationen. Wollen wir uns um sieben im ›Krummen Hund‹ treffen?«

Olaf hörte am anderen Ende der Leitung einen Seufzer. »Na gut, Miss Marple.«

»Miss Marple?”

Aber Gottfried hatte schon aufgelegt.

4

Gottfried sah genauso krank aus wie bei ihrer letzten Begegnung. Als er in das Restaurant hereinkam, starrten ihn einige Leute an, als wäre er der Leibhaftige. Er bestellte bei Karin ein Rippchen mit Kraut.

»Wie war’s beim Arzt?« Olaf war wirklich besorgt.

»Ich musste den Termin absagen.« Gottfrieds Stimme klang ungewöhnlich hoch. Er hüstelte mehrmals, als hätte er einen Frosch im Hals.

»Du solltest unbedingt zum Arzt gehen. Das ist vielleicht eine gefährliche Krankheit.«

»Wir mussten kurzfristig eine Videokonferenz ansetzen, und wegen der neun Stunden Zeitunterschied zur Westküste konnten wir das auf keine andere Tageszeit legen.«

»Kein Mensch nimmt ohne Grund so viel ab. Bitte geh zum Arzt.«

»Ich bin doch bereits in Behandlung.«

Olaf betrachtete seinen langjährigen Freund erstaunt. »Willst du mir nicht endlich sagen, was mit dir los ist?«

Wo eben noch Gottfrieds ausgemergeltes Gesicht war, tauchte ein Teller auf. Karin platzierte das Rippchen mit Kraut auf dem Tisch. Gottfried löffelte Senf aus dem blauen Steinguttöpfchen auf den Tellerrand und nahm einen Schluck Apfelwein. Dann sah er Olaf an, als fiele ihm gerade ein, dass er mit ihm am Tisch saß.

»Ich habe Krebs.«

Es fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Das also war der Grund dafür, dass Gottfried so viel Gewicht verloren hatte. Wenn die Auswirkungen der Krankheit derart sichtbar waren, konnte sie nicht mehr im Anfangsstadium sein.

»Das tut mir wirklich leid, Gottfried.«

Abgesehen davon, dass er wie ein dürres Skelett aussah, machte Gottfried alles andere als einen bemitleidenswerten Eindruck. Er atmete geräuschvoll aus, als er nach einem weiteren Schluck Apfelwein das Glas neben den Teller stellte. Dann säbelte er an dem Rippchen herum.

»Ich habe mir natürlich Sorgen um dich gemacht, aber dass es gleich Krebs ist …« Olafs Sauergespritzter schmeckte ihm nicht mehr. In seinem Bauch schien sich ein schwerer Kloß zu bilden.

»Mir hätte es besser gefallen, der Grund für den Gewichtsverlust wäre ein Bandwurm«, sagte er nach einer Weile und kam sich sofort dämlich vor.

»Da hättest du gar nicht so falsch gelegen. Ich habe nämlich Darmkrebs.« Gottfried schnitt den Speck von seinem Rippchen ab und schob ihn an den Tellerrand. »Ist ungesund, sagt mein Arzt.«

Olaf stierte einen Moment auf die rosige Schwarte auf Gottfrieds Teller.

»Und jetzt?«

»Die Ärzte haben einen Plan, und den werden wir verfolgen.«

»Musst du Chemotherapie machen?«

»Ich fange nächste Woche Freitag damit an.«

»Wie sind deine Heilungschancen?«

»Die Ärzte meinen, so etwa fifty-fifty«, sagte Gottfried mit vollem Mund.

Also überlebte nur jeder Zweite diese Krankheit. Wenn man sich Gottfried ansah, sein bleiches Gesicht und seine zitternden Hände, bekam man Zweifel, dass gerade er dieser Zweite sein würde. Seine Freude über ein Stück gepökeltes Schweinefleisch, der Genuss, mit dem er sauer eingelegtes Kraut aß, ließ allerdings die Hoffnung aufkeimen, dass Gottfried nach der verordneten Therapie wieder ganz der Alte wäre.

Sie redeten noch eine Weile über den Krebs und darüber, wie Gottfrieds Familie die Nachricht aufgenommen hatte. Dann war das Rippchen aufgegessen, und Gottfried bestellte einen weiteren Apfelwein. »Jetzt zu deinem Kriminalfall, Miss Marple.« Das Totenkopfgrinsen hatte Fleischreste zwischen den Zähnen.

»Wenn du mich Miss Marple nennst, bist du Mister Stringer.«

»Miss Marple war zwar eine alte Schachtel, aber sie hatte profunde kriminalistische Expertise.«

Olaf warf einen kurzen Blick auf sein Smartphone, wo er die Notizen zum Fall gespeichert hatte. »Es geht um den Studenten Benjamin Hoffmann. Er wurde an der Nidda bei Praunheim ermordet aufgefunden. Todesursache: Kopfverletzungen, verursacht durch Schläge mit einem stumpfen Gegenstand.«

»Wurde er ausgeraubt?«

»Scheinbar nicht.«

»Scheinbar? Das müsste man doch wissen.«

»Der Virus hat mir hierzu nichts geschickt.«

Gottfried machte bei dem Wort ›Virus‹ ein Gesicht, die man durchaus als unfreundlich bezeichnen konnte.

»Welches Fach hat er studiert?«

»Er promovierte in Physik.« Olaf fragte sich, ob das wichtig für den Fall sein könnte. »Benjamin Hoffmann hatte zwanzigtausend Euro Schulden.«

Gottfried pfiff durch die Zähne.

»Die Polizei nimmt an, dass der Mord mit diesen Schulden zusammenhängt.«

»Das ist nicht nur für einen Studenten ein kleines Vermögen. Wie kam es dazu?«

»Pokerspielen im Internet.«

»Pokerspielen! Weiß man, auf welcher Website?«

»Dazu schweigt sich der Virus aus«, sagte Olaf.

»Hast du noch weitere Informationen?«

Olaf begann, auf dem Smartphone zu tippen.

»Ich zeige dir ein Bild des Toten«, sagte er mit verschwörerischer Miene. Er reichte das Handy zu Gottfried herüber. »Es ist ein Polizeifoto vom Tatort.«

»So etwas kannst du dir mit dem Virus verschaffen!«

Olaf vermochte nicht zu entscheiden, ob Gottfrieds Tonfall Empörung oder Bewunderung ausdrückte. Er sah sich rasch in der Kneipe um, bemerkte, dass Günther seinen Blick suchte, und prostete ihm aus der Ferne zu. Der soll jetzt bitte nicht an unseren Tisch kommen.

»Ich habe drei Fotos vom Tatort«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Die sind nicht für den ›Krummen Hund‹ bestimmt. Ich schicke sie dir über den Messenger zu.«

Sie lehnten sich zurück und gaben sich Mühe, so zu wirken, als ob sie bloß Urlaubsbilder angesehen hätten.

»Dein Virus ist ein wahrhaftiges Spionage-Tool.«

Diesmal glaubte Olaf, ein klitzekleines bisschen Anerkennung aus Gottfrieds Stimme herauszuhören.

»Hast du noch mehr?«

»Die Polizei hat mit der Freundin des Opfers gesprochen, ebenfalls Studentin. Sie hat ausgesagt, Benjamin Hoffmann hätte sich von einem Mann bedroht gefühlt.«

»Der Schuldeneintreiber«, unterbrach ihn Gottfried.

»Richtig. Laut Beschreibung ein Typ zum Fürchten: riesig, muskulös, kahl rasierter Schädel.«

»Das klingt nach illegalem Inkassounternehmen.«

»Die Polizei konzentriert die Ermittlungen auf das Milieu der Schuldeneintreiber.«

»Haben Schuldeneintreiber ihr eigenes Milieu?«, fragte Gottfried spöttisch. »Die Polizei glaubt also, ein Schuldeneintreiber hätte den Jungen umgebracht, weil der seine Schulden nicht bezahlt hat.« Er machte eine Kunstpause. »Dann wäre das kein kluger Inkassomitarbeiter, denn Tote können bekanntlich keine Schulden zurückzahlen.«

Da hatte Gottfried natürlich recht.

»Vielleicht war es Mord im Affekt?«

»Wie soll man sich das vorstellen? Student und Verbrecher treffen sich abends an der Nidda, Student hat kein Geld, dann erschlägt der andere ihn aus Wut mit einem Knüppel?«

»Das klingt alles andere als wahrscheinlich«, pflichtete ihm Olaf bei. »Ein Schuldeneintreiber würde versuchen, dem säumigen Zahler Angst einzujagen: ihm vielleicht die Reifen aufschlitzen, beide Arme brechen, in die Kniescheiben schießen …«

Gottfried verzog das Gesicht. »Auf jeden Fall nicht töten.«

»Die Polizei ist völlig auf dem Holzweg«, fasste Olaf zusammen. »Sie wird diesen Fall nicht lösen.« Er hob seinen Sauergespritzten mit einer Feierlichkeit, die man selten im ›Krummen Hund‹ zu sehen bekam. »Wir müssen den Fall lösen.«

»Ich weiß zwar nicht, wie wir das anstellen sollen, aber ich bin dabei.«

Sie stießen mit den Gläsern an.

5

Als Olaf nach Hause kam, fand er in der Küche einen leeren Pizzakarton vor. Wahrscheinlich lag sein Sohn nach einem anstrengenden Einsatz im Bett und schlief.

Olaf fühlte sich müde, aber nicht schläfrig. Er fuhr den Laptop hoch. Bisher hatte er die Fotos vom Tatort nur auf dem Smartphone betrachtet. Trotz der vielen Informationen, die ihm der Virus geschickt hatte, kannte er keine Details über den Fundort der Leiche, nichts über sichergestellte Spuren, nichts über gewonnene Erkenntnisse. Vielleicht würde er auf den Fotos etwas entdecken, das ihn weiterbrächte.

Immer wieder betrachtete er die drei Bilddateien, auf denen das Opfer aus verschiedenen Perspektiven zu sehen war. Der Tote lag bäuchlings über einen geteerten Weg ausgestreckt, dem Spazier- und Radweg an der Nidda, wie Olaf bereits wusste. Unter dem Kopf war eine rote Lache zu erkennen. Ob dies eine normale Pfütze und das Blut aus der Kopfwunde in sie hineingelaufen war oder ob sie gänzlich aus dem Blut des Opfers bestand, vermochte Olaf nicht zu entscheiden.