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Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: I. Oertliche Volks-Sagen auf der Süd-Seite des Harzes. Hohensteinische Volks-Sagen. 1. Lora. 2. Jakob Nimmernüchtern. 3. Die Hufeisen. Volks-Sagen in der goldnen Aue. 4. Die Quäste. 5. Der Ritterkeller. 6. Die goldnen Flachsknoten. 7. Die Wunderblume. 8. Der Ziegenhirt. 9. Der verzauberte Kaiser. II. Oertliche Volks-Sagen auf der Nord-Seite des Harzes. 10. Ilse. 11. Die Teufels-Mauern. 12. Die Roßtrappe. 13. Die Teufels-Mühle. 14. Der Mägdesprung. 15. Des Mannes Feld. 16. Der Thomas-Pfennig. 17. Die Dummburg. 18. Hackelnberg. 19. Das Grundlos. 20. Das Hühnenblut. Erste Sage. Zweite Sage. 21. Der Wolfstein. 22. Daneel. 23. Ehrlich währt am längsten! 24. Ueber die Hühnen- und Zwerg-Sagen. I. Zwerg-Sagen auf der Süd-Seite des Harzes. II. Zwerg-Sagen auf der Nord-Seite des Harzes.
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Volkssagen des Harzes
Johann Carl Christoph Nachtigal
Inhalt:
Bibliographie der Sage
Einleitung.
I. Oertliche Volks-Sagen auf der Süd-Seite des Harzes.
Hohensteinische Volks-Sagen.
1. Lora.
2. Jakob Nimmernüchtern.
3. Die Hufeisen.
Volks-Sagen in der goldnen Aue.
4. Die Quäste.
5. Der Ritterkeller.
6. Die goldnen Flachsknoten.
7. Die Wunderblume.
8. Der Ziegenhirt.
9. Der verzauberte Kaiser.
II. Oertliche Volks-Sagen auf der Nord-Seite des Harzes.
10. Ilse.
11. Die Teufels-Mauern.
12. Die Roßtrappe.
13. Die Teufels-Mühle.
14. Der Mägdesprung.
15. Des Mannes Feld.
16. Der Thomas-Pfennig.
17. Die Dummburg.
18. Hackelnberg.
19. Das Grundlos.
20. Das Hühnenblut.
Erste Sage.
Zweite Sage.
21. Der Wolfstein.
22. Daneel.
23. Ehrlich währt am längsten!
24. Ueber die Hühnen- und Zwerg-Sagen.
I. Zwerg-Sagen auf der Süd-Seite des Harzes.
II. Zwerg-Sagen auf der Nord-Seite des Harzes.
Volkssagen des Harzes, J. Nachtigal
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849603052
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com
Eine Sage istim allgemeinen alles, was gesagt und von Mund zu Mund weiter erzählt wird, also soviel wie Gerücht; im engeren Sinn eine im Volke mündlich fortgepflanzte Erzählung von irgendeiner Begebenheit. Knüpft sich die S. an geschichtliche Personen und Handlungen, indem sie die im Volke fortlebenden Erinnerungen an geschichtliche Zustände, Persönlichkeiten, dunkel gewordene Taten zu vollständigen Erzählungen ausbildet, so entsteht die geschichtliche S. und, sofern sie sich auf die alten Helden des Volkes erstreckt, die Heldensage; sind aber die Götter mit ihren Zuständen, Handlungen und Erlebnissen Gegenstand der S., so entsteht die Göttersage oder der Mythus (s. Mythologie) und auf dem Gebiet monotheistischer dogmatischer Religion die Legende (s. d.). Hastet die Erzählung an bestimmten Örtlichkeiten, so spricht man von örtlichen Sagen. Noch eine Sagengattung bildet endlich die Tiersage, die von dem Leben und Treiben der Tiere, und zwar fast ausschließlich der ungezähmten, berichtet, die man sich mit Sprache und Denkkraft ausgerüstet vorstellt. Ost hat sich um eine besonders bevorzugte Persönlichkeit, wie z. B. König Artus, Dietrich von Bern, Attila, Karl d. Gr. etc., und deren Umgebung eine ganze Menge von Sagen gelagert, die nach Ursprung und Inhalt sehr verschieden sein können, aber doch unter sich in Zusammenhang stehen, und es bilden sich dadurch Sagenkreise, wie deren im Mittelalter in germanischen wie romanischen Ländern mehrere bestanden und zahlreiche Epen hervorgerufen haben (vgl. Heldensage). Die echte S. erscheint somit als aus dem Drang des dichterischen Volksgeistes entsprungen. Wie alle Volkspoesie blüht sie am prächtigsten in der älteren Zeit, aber auch bei höherer Kultur verstummt sie nicht ganz; vielmehr ist der Volksgeist noch heute tätig, bedeutende Vorgänge und Persönlichkeiten mit dem Schmuck der S. zu umkleiden. Die Anknüpfung an ein gewisses Wirkliches ist hauptsächlich das Merkmal, das die S. vom Märchen (s. d.) unterscheidet. Wie das Märchen, liebt sie das Wunderbare und Übernatürliche, obwohl es ihr nicht unentbehrlich ist. Am häufigsten heftet sie sich an Burg- und Klosterruinen, an Quellen, Seen, an Klüfte, an Kreuzwege etc., und zwar findet sich ein und dieselbe S. nicht selten an mehreren Orten wieder. Um die Erhaltung der deutschen S. haben sich zuerst die Brüder Grimm verdient gemacht durch ihre reiche Sammlung: »Deutsche Sagen« (Berl. 1816–18, 2 Bde.; 3. Aufl. 1891). Nächst diesen sind die Sammlungen von A. Kuhn und Schwartz (»Norddeutsche Sagen«, Leipz. 1848), J. W. Wolf (»Deutsche Märchen und Sagen«, das. 1845), Panzer (»Bayrische Sagen«, Münch. 1848, 2 Bde.), Grässe (»Sagenbuch des preußischen Staats«, Glogau 1871) und Klee (Gütersloh 1885) als besonders reichhaltige Quellen zu nennen. Als Sammler von Sagen einzelner Länder, Gegenden und Örtlichkeiten waren außerdem zahlreiche Forscher tätig, so für Mecklenburg: Studemund (1851), Niederhöffer (1857) und Bartsch (1879); für Pommern und Rügen: U. Jahn (2. Aufl. 1890), Haas (Rügen 1899, Usedom u. Wollin 1903); für Schleswig-Holst ein: Müllenhoff (1845); für Niedersachsen: Harrys (1840), Schambach und Müller (1855); für Hamburg: Beneke (1854); für Lübeck: Deecke (1852); für Oldenburg: Strackerjan (1868); für den Harz: Pröhle (2. Aufl. 1886); für Mansfeld: Giebel hausen (1850); für Westfalen: Kuhn (1859) und Krüger (1845), Weddigen und Hartmann (1884); für die Altmark: Temme (1839); für Brandenburg: Kuhn (1843) und W. Schwartz (4. Aufl. 1903); für Sachsen: Grässe (1874) und A. Meiche (1903); für das Vogtland: Köhler (1867) und Eifel (1871); für das Erzgebirge: J. A. Köhler (1886); für die Lausitz: Haupt (1862) und Gander (1894); für Thüringen: Bechstein (1835, 1898), Börner (Orlagau, 1838), Sommer (1846), Wucke (Werragegend, 1864), Witzschel (1866), Richter (1877); für Schlesien. Kern (1867), Philo vom Walde (1333); für Ostpreußen etc.: Tettau (183f) und Reusch (Samland, 1863); für Posen: Knoop (1894); für den Rhein: Simrock (9. Aufl. 1883), Geib (3. Aufl. 1858), Kiefer (4. Aufl. 1876), Kurs (1881), Schell (Bergische S., 1897), Hessel (1904); für Luxemburg: Steffen (1853) und Warker (1894); für die Eifel: P. Stolz (1888); für Franken etc.: Bechstein (1842), Janssen (1852), Heerlein (Spessart, 2. Aufl. 1885), Enslin (Frankfurt 1856), Kaufmann (Mainz 1853); für Hessen: Kant (1846), Wolf (1853), Lynker (1854), Bindewald (1873), Hessler (1889); für Bayern: Maßmann (1831), Schöppner (1851–1853), v. Leoprechting (Lechrain, 1855), Schönwerth (Oberpfalz, 1858), Sepp (1876), Haushofer (1890); für Schwaben: Meier (1852) und Birlinger (1861–1862), Reiser (Algäu, 1895); für Baden: Baader (1851), Schönhut (1861–65), Waibel und Flamm (1899); für das Elsaß: August St ob er (1852, 1895), Lawert (1861), Hertz (1872); für die Niederlande: Wolf (1843), Welters (1875–76); für Rumänien: Schuller (1857); für die Schweiz: Rochholz (1856), Lütolf (1862), Herzog (1871, 1882); für Tirol. Meyer (2. Aufl. 1884), Zingerle (1859), Schneller (1867), Gleirscher (1878), Heyl (1897); für Vorarlberg: Vonbun (1847 u. 1890); für Österreich: Bechstein (1846), Gebhart (1862), Dreisauff (1879), Leed (Niederösterreich, 1892); für Mähren: Schüller (1888); für Kärnten: Rappold (1887); für Steiermark: Krainz (1880), Schlossar (1881); für Böhmen: Grohmann (1863), Gradl (Egerland, 1893); für die Alpen: Vernaleken (1858), Alpenburg (1861) und Zillner (Untersberg, 1861); für Siebenbürgen: Müller (2. Aufl. 1885), Haltrich (1885). Die Sagen Islands sammelten Maurer (1860) und Poestion (1884), der Norweger: Asbjörnson (deutsch 1881), der Südslawen: Krauß (1884), der Litauer: Langkusch (1879) und Veckenstedt (1883), der Esten: Jannsen (1888), der Lappländer: Poestion (1885), der Russen: Goldschmidt (1882), der Armenier: Chalatianz (1887), die der Indianer Amerikas: Amara George (1856), Knortz (1871), Boas (1895); indische Sagen Beyer (1871), japanische Brauns (1884), altfranzösische A. v. Keller (2. Aufl. 1876); deutsche Pflanzensagen Perger (1864), die deutschen Kaisersagen Falkenstein (1847), Nebelsagen Laistner (1879) etc. Die Sagen bilden mit den im Volk umlaufenden Märchen, Legenden, Sprichwörtern etc. den Inhalt der Volkskunde (s. d.), die seit neuerer Zeit Gegenstand reger wissenschaftlicher Forschung ist. Vgl. L. Bechstein, Mythe, S., Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes (Leipz. 1854, 3 Tle.); J. Braun, Die Naturgeschichte der S. (Münch. 1864–65, 2 Bde.); Uhland, Schriften zur Geschichte und S., Bd. 1 u. 7 (Stuttg. 1865–68); Henne am Rhyn, Die deutsche Volkssage im Verhältnis zu den Mythen aller Völker (2. Aufl., Wien 1879); v. Bayder, Die deutsche Philologie im Grundriß (Paderb. 1883); Paul, Grundriß der germanischen Philologie, Bd. 2, 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901) und die Bibliographie in der »Zeitschrift des Vereins für Volkskunde«; Grünbaum, Gesammelte Aufsätze zur Sprach- und Sagenkunde (Berl. 1901).
Die Volks-Sagen, welche hier dem Publikum vorgelegt werden, sind nicht Dichtungen einer neuern Phantasie, die einige Bruchstücke aus der Sittengeschichte des Mittelalters zur Einkleidung eines Romans benutzt, zu dem nur zuweilen eine kleine ächte Volkssage die Grundzüge darbot. Es sind wirkliche Volkssagen, mit Mühe gesammelt, da sie immer seltner und seltner unter dem Volk gehört werden, und so getreu, als er möglich war, nacherzählt. Es sind: örtliche Volkssagen aus dem alten Hartingau, größtentheils aus dem zwölften bis sechszehnten Jahrhundert; die vielleicht für Deutschland eine ähnliche Sammlung von romantisch-historischen Erzählungen vorbereiten könnten, als Le Grand, aus den Ueberlieferungen des 12ten und 13ten Jahrhunderts, für Frankreich geliefert hat, nicht bloß zur Unterhaltung in den Stunden der Muße, sondern auch für den Menschenbeobachter und den philosophischen Geschichtforscher.
Die richtige Ansicht und Beurtheilung dieser Volkssagen zu erleichtern, mögen hier noch folgende Bruchstücke als Einleitung stehen.
Aechte Volks-Sagen, besonders örtliche, und zweckmäßig geordnet, sind dem Forscher wichtig, weil wir aus ihnen die dunkle Zeitgeschichte, und die frühern Kulturperioden des Volks, in einzelen Charakterzügen, so wie die herrschenden Zeitideen, kennen lernen; in Absicht welcher Zeiträume man kaum gleichzeitige prosaische Geschichtschreiber, im eigentlichen Verstande des Worts, erwarten kann, oder doch wenigstens nicht die Geschichte des Volks und seiner Lage und Geistesentwickelung, sondern nur der Kriege und des Hofgepränges der Fürsten.
Freilich geben uns die Volkssagen nicht immer die unverhüllte Geschichte selbst. Sie sind, einem großen Theil nach, Dichtungen, aber, durch Empfindungen und Gefühle veranlaßt, die auf Ereignisse und Begebenheiten, so wie auf Zeitideen, hindeuten, welche sich, nach der Entkleidung von der dichterischen Hülle, dem Forscher, hier deutlicher, dort dunkler, darstellen. Inzwischen folgen wir, bei Gegenständen menschlicher Wißbegierde, die wir nur errathen können, auch wohl den dämmernden Spuren einzeler Lichtstrahlen, um das Chaos vor unsern Augen allmählig sich ordnen zu sehen. Und sehr ungern würde der philosophische Geschichtforscher Homers dichterisch verschönerte Darstellung mancher alten griechischen Volkssagen entbehren. Auch Livius gesteht, bei der Erzählung vieler der interessanteren Scenen der ältern römischen Geschichte, daß Volkssage die Quelle war, woraus er schöpfte.
Sollten nun die Erzählungen aus der Vorzeit, die man noch zuweilen in den vertrauten Kreisen des Volks, auch in Nord-Deutschland hört, und welche sich größtentheils auf die Zeiten beziehen, und bald nach ihnen gebildet wurden, die man sonst prosaisch-richtiger die Zeiten des wilden Faustrechts nannte, jetzt aber öfter durch den lieblicher-tönenden Namen der Ritterzeit verschönert, über diese Periode, und über die Lage, Stimmung und Bildung des Volks in derselben, nicht richtigere Begriffe verbreiten, als fünf bis sechs Jahrhunderte später gedichtete Ritter-Romane?
Auch bieten sich, durch die Zusammenstellung mehrerer ächten Volkssagen und Volkserzählungen, zumal wenn sie nach Zeit und Ort gehörig geordnet sind, mannichfache Aufschlüsse über die Charakterstimmung des erzählenden Volks dar. – Der Kosmopolit und der Patriot und der Politiker, alle sehen hier Winke, welche auf wichtige Resultate leiten. Hier entdeckt der Forscher eine Volksstimmung, die der Humanität entspricht, dort sieht er Verschrobenheit; hier zeigt sich feines sittliches Gefühl, dort Hang zur Ausschweifung oder wilder Grausamkeit; hier Frohsinn und schäkernde Laune, dort Bitterkeit in Ernst und Spott; hier Geradheit und Ausdruck der Kraft, dort schleichende List oder hartnäckige Tücke; hier freier unbewölkter Blick, dort der Nebel des Aberglaubens; hier der Einfluß einer guten menschenfreundlichen Regierung, dort Sklavensinn, durch Bedrückung erpreßt.
Oft liest auch der Menschenbeobachter von geschärfteren Sinnen, in diesen Sagen, Bruchstücke der Geschichte der nahen oder fernen Zukunft, mit mehrerer Gewißheit, als er die Geschichte der frühern Vergangenheit in sogenannten historischen Werken ahnet. Oft kann er daraus politische Evolutionen und Revolutionen vorhersagen, so wie er aus dem frohen Aufkeimen der wohlausgestreuten Saat eine reiche Erndte, oder aus entferntem Gewölk ein heranziehendes Gewitter vorhersagt.
Ferner können ächte Volkssagen dienen, die Entstehung der Mythen, in der Kinderperiode der Bildung der Völker, zu erklären; sie mögen nun orientalischen oder occidentalischen, scytischen oder griechischen, oder kamtschadalischen Ursprungs seyn. Sie lehren uns: daß die gewöhnliche Veranlassung zur Bildung dieser Mythen theils Wortforschung war, theils in Naturscenen lag, die der forschende Geist bei seiner Entwickelung aufzuklären strebte. – Auch wird daraus, daß bei allen Völkerstämmen, die über die erste Rohheit hinaus sind, sich dieselben Veranlassungen zu solchen Dichtungen finden, erklärbar: warum die Mythen aller Nationen, der durch Klima und Lebensweise bestimmten Individualität ohnerachtet, doch so große Uebereinstimmung in Gang und Bildung zeigen.
Viele Volkssagen und Volkserzählungen haben sich über mehrere Länder verbreitet, und sich Jahrhunderte, selbst Jahrtausende hindurch erhalten. Andre sind auf einen kleinen Umkreis, oder auf kurze Zeiträume beschränkt. – Nicht ganz unfruchtbare Untersuchungen würden es in dieser Hinsicht seyn: wie weit z.B. die Sagen von Nixen, von Wehrwölfen, von den Halbgeistern, die das Volk Zwerge nennt, von dem wilden Jäger Hackelnberg, von furchtbaren, grausamen Raubrittern u.s.w. sich verbreitet haben? in welchen Zeiträumen man in den verschiedenen Gegenden diese einzelen Sagen zuerst findet? und wann eher diese Sagen in den verschiedenen Länderabtheilungen aufgehört haben, Volkserzählungen zu seyn?
Auf wichtige Resultate leitet uns die Vergleichung der Volkssagen bei verschiedenen Nationen, und die Geschichte ihrer Wanderungen. Hier nur einige Winke.
Die ächten alten Volkssagen der nördlichen Hälfte von Europa, z.B. der Schotten, der Iren, der Dänen, der meisten deutschen Völkerschaften, haben fast immer ein furchtbar-schauerliches Kolorit; fast alle deuten auf Staunen- und Grausenerregen; die handelnden Personen sind häufig übermenschliche Wesen, Geister der Verstorbenen, Teufel, Riesen, Zauberer, Zwerge, und die Scene liegt in der dämmernden Vorwelt. Nur in den Sagen aus der neuern Periode wird das Kolorit etwas heller. – Die Volkserzählungen der meisten südlich-europäischen Völker, z.B. der Franzosen und der Italiäner, wenn eine behagliche äußre Lage sie in traulichen Kreisen vereinigt, sind mehr aus der wirklichen, uns umgebenden Welt hergenommen; die Originale der auftretenden Personen sind häufig unter den Lebenden zu finden; der Stoff ist größtentheils Schalkheit oder sinnliches Vergnügen; und in Absicht der Wirkung ist mehr auf Belustigung, als Schreckenerregen, gerechnet, wenn nicht etwa Krieg oder Eifersucht blutige Scenen bereiten. – So daß (wenn wir uns hier, bei so mannichfaltigen Verschmelzungen der Nationen sowohl als der Sagen, ein allgemeines Urtheil erlauben wollen) die meisten Volkssagen des nördlichen Europa sich zu den Volkserzählungen in der südlichen Hälfte unsers Erdtheils ohngefähr so verhalten, als die alte Tragödie der Griechen zu ihrer Komödie.
Die Wanderungen dieser Volkssagen sind theils für den eigentlichen Geschichtsforscher wichtig, um die Verbindung mancher oft entfernten Völker unter einander, sey es durch Sprache und Darstellungsart, oder durch Geistesstimmung, näher darzulegen, theils für den großen Ueberblick der nationellen Entwickelung des Menschengeschlechts.
Die Verfolgung der einzelnen Spuren ihrer Wanderungen, ihres Entstehens und ihres Verschwindens in verschiedenen Ländern, lehrt: daß die verschiedenen Arten von Sagen und Volkserzählungen mit dem Klima, dem mehr oder minder bewölkten Himmel, den Ebnen und Gebirgen eines Landes, dem unfruchtbaren oder leicht zu bearbeitenden Boden, der größern oder mindern Kultur des Landes1, der Bauart der Wohnungen, und der Tempel und der Vesten, in eben so genauer Verbindung stehen, als mit den Stuffen der Geistesbildung, mit der Religion eines Volks und mit der Regierungsverfassung.
In Gegenden, die dunkle, kaum von einzelen Lichtstrahlen durchdrungene Wälder überdecken, wo aus unabsehbaren Morästen aufsteigende mephitische Dünste den Himmel trüben, und Augen und Seele umnebeln, wo schaudererregende Hölen und Tod-drohende Abgründe zwischen starrenden Klippen oder finstern Raub-Burgen, die Hauptgegenstände sind, welche die Aufmerksamkeit der Landesbewohner spannen; muß nicht der Anstrich der dort gebildeten Volkssagen schwarz und grausend seyn? Mußte er es nicht in den Ländern seyn, wo man in dämmernden Hölen unverstandne Orakel erflehte, oder da, wo man Tempel von Menschenknochen aufthürmte, wo Priester Tausende ihrer Mitbrüder zu Schlachtopfern fordern konnten, durch den Ausruf: Die Götter dürsten! – Was für Volkssagen kann man da erwarten, wo seit Jahrhunderten die gewöhnliche Unterhaltung nur Mord und Gewaltthat betrift, oder Klagen über tief empfundene Unterdrückung! welche in Zeiten erwarten, wo der Enkel sich noch lebhaft an die Erzählungen der Voreltern erinnert, wie Bären und Wölfe Kinder und Weiber aus den Häusern fortschleppten, oder in Wäldern zerrissen, oder, wie Schaaren von Räubern aus Hölen und Burgen herabstürzten, die Erndten verwüsteten, die Weiber mißhandelten, und die Reisenden beraubten und mordeten!
Und im Gegentheil, ein lachender Himmel, wohlgebaute Städte, der Anblick fruchtbedeckter Fluren, von glücklichen Menschen gepflegt, wie ein Garten Gottes, Frohsinn und das Gefühl der Ruhe und leicht befriedigter Bedürfnisse; müssen sie nicht Volkserzählungen veranlassen, deren Hauptcharakter Fröhlichkeit und schäkernde Laune ist? – Besonders haben die Ansichten, die sich dem Kinde und dem Jünglinge darbieten, den entscheidensten Einfluß auf das Kolorit der Volkssagen und Volkserzählungen.
Aber, diese Ansichten bleiben nicht, in demselben Lande, immer unverändert dieselben. Wachsende und sinkende Kultur, so wie Verschiedenheit der Regierungsverfassung und der politischen Verhältnisse, bilden die Gestalt des Landes um; und so wandeln und modeln sich auch die Volkserzählungen.
Nur aus der allmählichen, freilich nicht in einzelen Jahrzehenden bemerkbaren, aber doch unläugbar immer mehr sichtbar werdenden Milderung des Klima, durch steigende physische Kultur, wird das Phänomen erklärbar: warum gewisse Arten von Volkssagen sich in manchen Gegenden immer mehr verliehren, und sich weiter nordwärts ziehen?
Aber, nicht Deutschland, Skandinavien, Schottland, Irrland und Island allein, erzeugten, in ihren Nebel-bedeckten, von Räubern und reißenden Thieren beherrschen Gebirgen, wunderseltsame Geistergestalten und Nixe, und irreleitende Kobolde und zürnende Zwerge, und mordende und Schreckenverbreitende Riesen und Räuber. Auch Griechenland und Italien waren vor Jahrtausenden das, was Deutschland und mehrere nordische Länder vor Jahrhunderten waren, Scenen des Grauens und des wilden Faustrechts. Und die auf diese Zeiten folgenden Perioden erzeugten Volkssagen vom Minotaur, von Faunen, von himmelstürmenden Giganten, von Centauren, von leidenschaftlichen Göttern, die Weiber mißhandeln, und Menschenopfer und Länderverwüstungen fordern, vom Pelops, vom Oedipp, von der Medea, von der Circe, vom Typhöus, vom Riesenwürger und Räuberbändiger Herkules, von den Harpyen und Furien, vom Schreckenverbreiter Pan, vom Sinis, vom Kakut und andern Räubern und Unholden.
Aber schon zu Homers Zeiten verlohren sich, durch steigende Landes- und Geistes-Kultur, unter dem griechischen Volke, viele der ältern Sagen, und sanken zu verlachten Märchen herab2. Und unter Perikles hörte man, in Attika, die grausenden Sagen wohl selten in dem Munde des Volks; sie erhielten sich durch die Vorlesungen der homerischen Gedichte und der Tragiker. – Um Rom waren die Schauder-erregenden Sagen so lange endemisch, bis die Ruinen der rohern Vorwelt, und das Andenken an die in demselben verübten Unthaten, durch gut angebaute Fluren, durch eine regelmäßige Landesverfassung, und durch das Gefühl des Wohlstandes, verdrängt wurden. Unter August fand man sie nur noch in der Tragödie und bei Dichtern.
Späterhin zeigte Italien seinen Bewohnern die Trümmern von prächtigen Tempeln und Basiliken, von erhabenen Versammlungsplätzen, der Zerstörung trotzenden Kunststraßen und Wasserleitungen, zeigt ihm überall die Spuren der weiland sorgsamsten Benutzung der Felder, zeigt ihm Obelisken und Statuen und Gemählde und schön gebaute Städte und Villen, und zahllose Wirkungen des Kunstfleisses, laute Beweise des Wohlstandes und einer hohen Kultur, welche jene Schreckensscenen verdrängte; und die Erzählungen, die, unter einem heitern Himmel, auf leichte Befriedigung der beschränkten Bedürfnisse darbietendem Boden, und unter jenen Umgebungen, erzeugt und allgemach zu Volkserzählungen wurden, deuten größtentheils auf Lebensgenuß.
Die nördlichen Länder Europa's zeigen uns noch jetzt, hier und da, die Ruinen von Raubschlössern, in wildem Gebirge versteckt, von Burgverlißen, von Warten, von denen der geängstete Landmann und der Städtebewohner die heranziehenden Räuber ausspähte. Und der Anblick dieser Trümmern, so wie das Gefühl der noch nicht ganz vernarbten Wunden, die jene Raubperiode dem Volke schlug, erhält noch jetzt manche der grausenden Sagen der Vorzeit.
Auch ergiebt sich aus dieser Darstellung die Möglichkeit, daß in denen Gegenden, wo noch jetzt Gesetzlosigkeit Raub und Gewaltthat herbeiführt, oder, wo die Schrecken des Sklavendienstes herrschen, wo der dürftige und unterdrückte Hüttenbewohner nur Gegenstände des Grauens um sich her sieht, nach Jahrhunderten (denn, unter dem Druck selbst gedeiht die Dichtung nicht) sich ähnliche Volkssagen bilden können.
Aber, die Trümmern der Burge, und alle die traurigen Ueberreste des Faustrechts verschwinden auch in Nord-Europa allgemach, und sind an den meisten Orten fast nur noch Gegenstand der Untersuchung einzeler Alterthumsforscher, immer seltener Gegenstand des Staunens und der ängstenden Furcht des Volks, das zu höherer Kultur und größerm Wohlstand aufsteigt, und über die Gegenwart der Vergangenheit vergißt. Und schon hört man unter ihm immer weniger und seltner die durch jene Periode des Despotismus veranlaßten Sagen.
Die Bewohner der meisten Gegenden Deutschlands stehen jetzt auf den mittleren Stufen der nationellen Bildung, sehen rechts die in Staub zerfallenden Trümmern der rohern Vorwelt, sehen links Gegenstände der Freude und der Hofnung, und des Emporsteigens zu höherer Kultur, von der Griechenland und Latium schon längst herabgesunken sind. – Daher die auffallende Verschiedenheit der Darstellung in unsren Volkssagen und Volkserzählungen und Volksmährchen.
Sichtbar aber machen jetzt auch unter dem deutschen Volk die Schauder erregenden Sagen immer mehr und mehr solchen Darstellungen Platz, die ein lachenderes Kolorit haben, und auf Lebensgenuß hinweisen. Mit den freiern Ansichten, den besser angebauten Fluren, der heiterern Luft, der reinern Farbe des Himmels, den hellern und geräumigern Wohnungen, den besser erleuchteten Kirchen, mit dem steigenden Luxus in Speisen und Kleidern, mit dem Gefühl des Wohlseyns, mit dem freiern und unbewölkteren Blick, mit der leichteren und unbefagnern Geistesentwickelung, auch in den niedrigern Volksklassen, haben sich schon die meisten Sagen von Gespenstern, Kobolden und Ungeheuern aller Art verlohren.
Schon jetzt hält es schwer, das Volk zum Erzählen mancher noch erhaltenen Sagen der Vorzeit zu bringen, weil die Erzähler sich fürchten, verlacht zu werden, da sie es fühlen; daß die Sagen nicht mehr zu den jetzigen Zeiten passen, und oft in offenbarem Widerspruch mit den jetzt gangbaren Bergriffen stehen; und weil sie es nicht einmal ahnen, daß der Frager die Absicht haben kann, daraus Beiträge zur Geschichte entfernter Zeiten zu entziffern, und die Sitten, Denkungsart und Bildung der Vorwelt sich zu vergegenwärtigen. – Und in funfzig oder hundert Jahren wird der größte Theil der noch hier und da gehörten ältern Volkssagen, bis auf die, welche jährliche Volksfeste in die Erinnerung zurückrufen3, verschwunden, oder doch, durch den Kunstfleiß der Ebnen und Städte, und durch die immer lebhaftere Theilnahme ihrer Bewohner an den politischen Begebenheiten unsrer Umwandlungs-reichen Zeiten, in die einsamern Gebirge zurückgedrängt seyn.
Und eben diese zu berechnende Erwartung macht es dem Forscher zur Pflicht, zwar nicht alles, was die ungebildeteren Volksklassen sich erzählen, aber doch solche Volkssagen, aus deren Zusammenstellung der Denker entweder erhebliche Resultate zu ziehen hoffen kann, oder, die uns eine unterhaltende Ansicht gewähren, zu sammeln, ehe die Entfernung von ihren Beziehungsperioden sie vernichtet hat. – Hätten Homer und die Tragiker uns nicht einige der alten griechischen Volkssagen aufbewahrt, was hätten wir denn für eine Quelle, um die Periode der Geschichte des griechischen Volks, der Geschichte seines Charakters und seiner Bildung, zu studiren, welche noch keine Geschichtschreiber hatte, und keine haben konnte? Nur aus den Mythen von den Göttern und den Menschen in der Heldenzeit, entziffern wir eine Darstellung von der Leidenschaftlichkeit, den Ausschweifungen, der Gewaltthätigkeit, der Arbeitsscheu, dem Despotismus der ältesten griechischen Machthaber, von dem Druck und der Herabwürdigung des Volks, von den Verhältnissen des männlichen und weiblichen Geschlechts, von den herrschenden Zeitideen und Sitten, von der wahren Art des Entstehens der Staaten, von den ersten Anfängen der Künste und der Kultur, und von dem langsamen Fortschreiten derselben.
Aber freilich gehört zu dieser philosophischen Benutzung der Volkssagen ein geübter Blick, der den Geist und das dichterische Gewand der Sagen unterscheidet, um nicht jenen entschlüpfen zu lassen, und auf dieses historische Untersuchungen zu gründen!
Außer den Erinnerungen aus der Geschichte der Vorzeit, deren vorspringende Züge, zumal wenn Trümmern der Vorwelt sie lebhaft vergegenwärtigten, sich durch Ueberlieferung vom Vater auf den Sohn und Enkel vererbten, gaben zu dergleichen örtlichen Volks-Sagen, wie sie hier vorgelegt werden, noch besonders Veranlassung:
I. Wortforschungen, dergleichen auch auf den niedern Kulturstufen häufig bemerkt werden. Homer und Virgil haben uns mehrere Beispiele davon erhalten. Hier nur ein Paar aus dem letzteren:
a) Aeneis 6, 165. 232. ff.
»Aber der fromme Aeneas erhebt ein gewaltiges Denkmal
Ueber dem Mann, und sein eignes Gewehr, die Drommet' und das Ruder,
Hart an dem luftigen Berge, der nun Misenus von jenem
Heißt; und ewig hinfort den dauernden Namen behauptet.«
»Aeolus Sohn Misenus, dem nie ein anderer vorging,
Männer zu regen mit Erz, und Krieg mit Getön zu entflammen. –
Nun, da er einst durchhallte die Flut mit gehöhleter Muschel,
Thörichter! und mit Getön die Unsterblichen rufte zum Wettstreit;
Hatt' ihn der eifernde Triton belaurt (wenn glaublich die Sag' ist)
Unter Geklipp, und den Mann in die schäumende Woge getauchet.«
b) Aeneis 7, 1. ff.
»Du auch hast, Cajeta, du Pflegerin einst des Aeneas,
Unsre Gestade im Tode mit ewigem Ruhme verherrlicht.
Jetzt noch bewahret den Sitz die Verherrlichung; und die Gebeine
Zeichnet, wenn Ehre das ist, in der großen Hesperia, Name.«4
Auch der Hartingau bietet uns zu dieser Bemerkung: daß Wortforschung oft Sagen bildete, ausmahlte, oder umformte, viele Belege dar. Außer den hieher gehörenden, nachmals vollständiger dargelegten Sagen, mögen hier folgende örtliche Volkssagen, größtentheils nur mit einigen Grundzügen angedeutet, stehen.
1) Die Sage vom Lügenstein. – Auf dem Domplatz in Halberstadt liegt ein runder Fels von ziemlich beträchtlichem Umfang, der einst wahrscheinlich ein heidnischer Opferaltar war, und in der Rücksicht ein wichtiges Denkmahl für den Alterthumsforscher ist. Vielleicht diente dieser auf die Höhe des Berges gebrachte und durch untergelegte Feldsteine erhöhte Fels auch, bei Volksversammlungen der alten Sachsen, die Männer, die von dem Volk deutlicher gesehen werden mußten, z.B. die zu erwählenden Anführer, ihm darzustellen. Darauf scheint der wahrscheinliche alte Name: »Legge-Stein,« d.h. Schau-Stein5