Voll behämmert - Heiko Kohfink - E-Book

Voll behämmert E-Book

Heiko Kohfink

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Beschreibung

Ein schwungvoller Comedyroman mit viel Witz, Ironie und einer Prise Romantik Für Alexander Humbolt beginnt ein neues Abenteuer, als er sich nach FSJ und Ausbildung ins Arbeitsleben stürzt. In einer gemeinnützigen Einrichtung, die sich mit Behindertenwerkstätten, Pflegeheimen und Wohngruppen um das Wohl gesellschaftlich oft benachteiligter Menschen kümmert, findet er seine Berufung. Eine Dienstwohnung, die er bereits wenige Wochen später beziehen kann, scheint sein Glück perfekt zu machen. Endlich die erste eigene Bude! Schon bald wird ihm klar, dass es nicht die betreuten Menschen sind, die sich chaotisch, unstrukturiert und manchmal sogar gefährlich verhalten, sondern seine unmittelbaren Kollegen. Todesmutige Arbeitskameraden, alkoholisierte Panzerfahrer und hoch motivierte Feuerlöschanwärter sorgen dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Und auch ungeschickte Nachbarn versetzen Alex mit Volksmusikmarathons und nächtlichen Spontanpartys in Angst und Schrecken. Schnell liegen seine Nerven blank! Als er schließlich auch noch einer süßen Blondine begegnet, die ihm total den Kopf verdreht und die er mit waghalsigen Stunts und romantischen Abendessen für sich gewinnen möchte, ist es um seine innere Ruhe endgültig geschehen. Ob Alex es am Ende wohl schafft, trotz aller Widrigkeiten dem täglichen Wahnsinn zu begegnen und sein persönliches Glück zu finden? Leseprobe: Mir wurde schwarz vor Augen. Meine Zehen krallten sich in den Beton der Absprungkante. Weit unter mir schimmerte das blaue Wasser in einem, von hier oben aus betrachtet, viel zu kleinen Pool. Die Gedanken griffen den Ereignissen voraus und ich sah mich in einem anmutigen Bogen über die Beckenkante schweben und auf der Wiese dahinter aufklatschen. Und da war mein Kopfkino ausnahmsweise einmal gnädig, denn zwischen Wasser und Gras lag ein bestimmt drei Meter breiter Betonstreifen. Der Bademeister vom Siebeneinhalber meldete sich. »Du kannst dann springen. Ist alles leer.« Ja, Druck aufbauen! Kannte ich schon vom Eisverkäufer von vorhin. Hatte bei der Bikiniomi nicht funktioniert und klappte bei mir genauso wenig. In der Tiefe blieben einige Mädchen stehen und schauten zu mir hoch, während sie an ihren Eistüten knabberten. Eine zeigte mit dem Finger auf mich. Brachte man denen heute nicht mehr bei, dass das unhöflich war? Sie wirkten, wie ein paar Ameisen, die eine überreife Kirsche an einem Baum entdecken ...

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vorwort in eigener Sache
Achselschweiß und frische Farbe
Die Fledermaus im Glockenturm
Von Türen, Mardern und Motorenöl
Das Schweißerschwein
Minirock im Straßenverkehr
Der rasende Malermeister
Sommer, Sand und Wespenwahnsinn
Die Piratenplanke
Schließertausch auf Schlesisch
Mitternachtsparty mit Hindernissen
Mayday, wir sinken!
Feilenfett und Feuerwehr
Schlumpfhausen ist überall
Der nette Inder aus dem Internet
Schwarze Wälder, dunkle Flure
Heiße Höschen und kaltes Eis
Der Panzer in der Werkstatt
Satelliten-Dinner für drei
Achtung, Spoileralarm!
Der Schneemann und der Flammenwerfer
Baumschmücken mit Herz-infarktgarantie
Der streikende Italiener
Kellner und Autoren

Heiko Kohfink

Voll behämmert:

Jobchaoten

 

Zu diesem Buch: Für Alexander Humbolt beginnt ein neues Abenteuer, als er sich nach FSJ und Ausbildung ins Berufsleben stürzt. Eine Dienstwohnung, die er bereits wenige Wochen später beziehen kann, scheint sein Glück perfekt zu machen. Die erste eigene Bude!

Doch schon bald bekommt die Idylle Risse. Ungeschickte Nachbarn versetzen Alex dabei ebenso in Angst und Schrecken wie Volksmusikmarathons und nächtliche Spontanpartys. Die Nerven liegen blank!

Bei der Arbeit sorgen todesmutige Kollegen, alkoholisierte Panzerfahrer und hoch motivierte Feuerlöscher dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Und dann gibt es da auch noch die süße Blondine, die ihm total den Kopf verdreht und die er mit waghalsigen Stunts und romantischen Abendessen für sich gewinnen möchte ...

 

Heiko Kohfink, 1967 in Reutlingen geboren, ist Techniker und lebt mit seiner Frau, die ebenfalls schriftstellert, in der Nähe seiner Heimatstadt.

Inspiriert durch das Lesen, das schon immer seine größte Leidenschaft war, hat er sich vor einiger Zeit ans Schreiben gewagt. Dabei zählen vor allem SF und Fantasy, aber auch Humor zu seinen bevorzugten Genres.

Wenn er nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt und über neuen Buchprojekten brütet, verbringt er gerne Zeit mit seinen beiden Söhnen, unternimmt lange Spaziergänge, liest viel oder bringt mit seinem oft sehr speziellen Humor seine Familie an den Rand der Verzweiflung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2021 Heiko Kohfink

Tolino media ISBN: 9783819404481

 

Verfasser: Heiko Kohfink

Uhlandstr.7, 72124 Pliezhausen

Kontakt: https://www.heiko-kohfink.de

 

Covergestaltung: Constanze Kramer, coverboutique.de

Bildnachweise: ©Ghulam, ©SasaStock, ©dinastya, ©Okea – stock.adobe.com

©JIANG HONGYAN, ©HomeArt – shutterstock.com 

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Der Autor übernimmt keine Haftung für die Inhalte der genannten Webseiten Dritter, da er sich diese nicht zu eigen macht, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweist.

 

 

 

 

 

 

 

Für Fabian.

Mir ist noch nie ein Mensch begegnet, der mit seinem Dasein so im Reinen ist wie du.

Danke Dir, mein Sohn, Du hast mir viel über die wirklich wichtigen Dinge im Leben beigebracht!

 

Vorwort in eigener Sache

 

Nachdem ich mein FSJ, das damals noch Zivildienst hieß und auch alles andere als freiwillig war, in der Altenpflege ableistete, begann ich eine Lehre zum Mechaniker in derselben Einrichtung.

Über zehn Jahre arbeitete ich danach in einer Werkstatt, die sich der Gebäudeinstandhaltung einer überregionalen Stiftung für behinderte, alte und hilfsbedürftige Menschen widmete. Schlosser, Elektriker, Maler, Installateure und Schreiner gaben dort jeden Tag ihr Bestes. Oft genug waren sie nicht nur für die Instandhaltung der Einrichtungen da, sondern auch um das seelische Wohlbefinden der Schützlinge bemüht. Inspiriert durch die damaligen Erlebnisse ist dieses Buch entstanden.

Hier sei ausdrücklich betont, dass ich mich nicht über irgendjemanden oder gar Menschen mit Behinderung lustig machen möchte. Vielmehr habe ich allein schon dadurch, dass ich seit mehr als achtzehn Jahren meinen geistig behinderten Sohn ins Leben begleiten darf, höchsten Respekt für deren Offenheit, Herzlichkeit und oft überwältigende Güte. Dass ihnen ab und zu ein kleines Missgeschick widerfährt, das sich lohnt, erzählt und liebevoll beschmunzelt zu werden, mindert meine Wertschätzung in keiner Weise.

Mit diesem Buch möchte ich zum Ausdruck bringen, dass wir uns alle oftmals skurril, chaotisch und manchmal sogar gefährlich verhalten. Mitunter sägt das gewaltig an den Nerven!

Lassen Sie sich auf die Geschichte ein, indem Sie sie als das sehen, was sie ist: Eine Sammlung von zugegebenermaßen teilweise stark übertriebenen Anekdoten, bei denen ich heute noch schmunzle, wenn ich daran zurückdenke – verpackt in eine heitere Rahmenhandlung.

 

 

Achselschweiß und frische Farbe

 

»Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Zuhause!«

Dankend setzte ich den Stift ab, mit dem soeben der Mietvertrag von mir unterzeichnet worden war. Ich nahm den Schlüsselbund entgegen, der mich zum stolzen Besitzer der kleinen Vierzig-Quadratmeter-Wohnung im vierten Stock des Mitarbeiterhochhauses machte. Die erste, eigene Bude.

»Vielen Dank«, strahlte ich Frau Niedertaler an, die geschäftig eine Klammer in das dreiseitige Formular jagte und schwungvoll lochte. Schon super, dass es so schnell geklappt hatte. Ob das an meinem einnehmenden Wesen oder an der Megavorratspackung Pralinen lag, die ich der freundlichen Verwalterin bereits bei der ersten Anfrage mitbrachte, spielte in dem Moment keine Rolle.

»Maggy, sei so nett und leg den Vertrag in unsere Ablage«, rief sie nach hinten.

Eine schlanke, brünette Frau mit schulterlangen, glatten Haaren tauchte aus einem angrenzenden Büro auf und nahm das Dokument an sich.

»Das mache ich doch gerne«, flüsterte sie so leise, dass es Mühe bereitete, sie zu verstehen, und huschte lautlos wieder davon. Mit ihrem dunkelgrauen Kleid erinnerte sie mich ein wenig an eine Maus, die versuchte, ein Stück Käse, das sie vom Esstisch geklaut hatte, in Sicherheit zu bringen.

»Das ist Margarethe Schlägler, aber alle sagen nur Maggy zu ihr«, erklärte Frau Niedertaler, die bemerkte, dass ich der entschwindenden Bürogehilfin hinterherblickte. »Sie arbeitet schon seit vielen Jahren in der Verwaltung. Und sie wohnt auch im Mitarbeiterhochhaus, sogar direkt neben Ihnen, wenn ich mich nicht irre.«

»Oh, das ist ja nett, dann sind wir Nachbarn«, rief ich Maggy zu. Doch sie blieb verschwunden und tauchte auch nicht mehr auf.

Ich wartete noch einen Moment, zuckte mit den Schultern und wandte mich nach einem freundlichen Abschiedsgruß der Tür zu. Die zwei Monate, in denen ich nun für diese gemeinnützige Stiftung arbeitete, hatten mich gelehrt, dass die Leute manchmal merkwürdig reagierten, es aber selten böse meinten.

 

Als die Bürotür von Frau Niedertaler leise ins Schloss fiel, dachte ich an die vergangenen Wochen zurück. Es war spannend, neue Kollegen und Aufgaben kennenzulernen.

Jeden Morgen brachte mich der Bus zur Arbeit, in dem auch einige Behinderte in die Werkstätten fuhren.

Bereits nach so kurzer Zeit kannte ich die meisten von Ihnen und es passierte mittlerweile häufig, dass ich während der Fahrt laut mit Namen gerufen oder sogar freundschaftlich umarmt wurde. Bei den übrigen Mitfahrenden löste das oft Unverständnis und Kopfschütteln aus, doch sollten die nur denken, was sie wollten!

Mir machte der Job sowie der tägliche Kontakt mit unzähligen Menschen unheimlich Spaß. Viel besser als mein erstes Arbeitsverhältnis in Stuttgart. Tagaus, tagein an einem Bearbeitungszentrum zu stehen, um den Fräswerkzeugen bei der Arbeit zuzusehen, konnte man nicht gerade als spannend bezeichnen.

 

Ich lief das Treppenhaus hinunter und begab mich direkt in meine neue Wohnung im Hochhaus gegenüber. Hier bekamen sowohl Mitarbeiter als auch Behinderte, die sich weitgehend selbst versorgen konnten, einen Platz zum Leben. Die Mieten waren günstig und da man in der Stiftung nicht gerade überdurchschnittlich verdiente, empfand ich es als großes Glück, dieses Apartment ergattert zu haben.

 

Die Aufzugstür öffnete sich im vierten Stock. Leises Jodeln erklang. Ich drückte die gläserne Korridortüre auf und die Harmonien wurden lauter. Volksmusik ... Konnte man haben, musste aber nicht sein. In dem kleinen Flur dröhnte das Gejodel ganz schön. Wohnte hier womöglich ein Schwerhöriger mit besonderer Vorliebe für Songs aus dem Alpenvorland? Das fehlte mir gerade noch.

»... holudoleidiliö, wie ist das Leben so scheeee ...«

... Ein Text, den man sich nicht zu merken brauchte, soviel war sicher. Als ich an der Wohnung vorbeiging, brach die Musik ab und die Tür wurde aufgerissen. Ein voluminöser Mann, den ich auf Mitte vierzig schätzte, stürzte heraus und rannte in mich hinein. Seinem ungestümen Bewegungsdrang konnte ich nur wenig entgegensetzen.

»Na, das geht ja gut los«, dachte ich und versuchte, den Kerl zu mustern, der da so spontan aufgetaucht war und mich nun gegen die Flurwand drückte. Viel sehen konnte ich leider nicht, dazu stand er zu dicht. Es wurde auch etwas beschwerlich zu atmen. Außerdem roch er ziemlich streng. Schweiß, Rasierwasser und Parfüm vermischten sich in einer Duftwolke, die einen leichten Würgereiz auslöste. Zumindest bei mir!

Endlich ließ der Druck nach und er hüpfte einen Schritt zurück. Nicht genug, dass ich seinen Geruch aus der Nase bekam, doch wenigstens soweit, dass meine Atmung wieder einsetzte.

»Uiuiui, das wollte ich nicht«, schrie er los. »Ich hab dich nicht gesehen. Ist dir was passiert?«

Dazu wäre mir so einiges eingefallen, aber ich hielt mich zurück. Man wollte es sich ja nicht schon am ersten Tag mit den Nachbarn verscherzen. Daher schüttelte ich nur den Kopf. Schien ja tatsächlich schwerhörig zu sein, der Arme. Jedenfalls redete er in einer Lautstärke, die jedem Marktschreier Respekt abgenötigt hätte. Und die Geschwindigkeit, in der er sprach, ebenfalls.

»Nein, nein, alles in Ordn ...«

»Oh, prima«, ratterte er los. »Ich bin der Siggi. Ich wohn hier! Bist du neu? Hab dich noch nie gesehen. Wohnst du auch hier?«

Ich konnte nur nicken und setzte erneut zu einer Antwort an.

»Öh, ja ich ziehe gera ...«

»Oh prima«, brüllte er. »Muss weiter, bin spät dran. Hat mich gefreut. Komm doch mal rüber. Können zusammen Musik hören. Steh voll auf Volksmusik. Du auch? Also dann, machs gut.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, rannte er los, knallte die Flurtür hinter sich zu und polterte das Treppenhaus hinab. Seine Duftwolke leider nicht – die blieb hartnäckig im Flur kleben. Fassungslos blickte ich hinterher. Der Siggi-Tornado war über mich hinweggefegt und ließ mich zerzaust zurück. Doch immerhin: Ich lebte noch!

»Zusammen Volksmusik hören«, dachte ich. »Wovon träumt der nachts? Nur über meine Leiche.«

 

Ich löste mich von der Flurwand und ging auf mein Appartement zu. Gespannt öffnete ich die Tür und trat ein. Natürlich hatte ich die Wohnung schon besichtigt. Doch da wurde sie gerade renoviert. Was bedeutete, dass die stiftungseigenen Maler die Wände strichen.

Beim Eintreten wehte mir der Geruch von frischer Farbe entgegen. Definitiv angenehmer als der Siggi’sche Frontalangriff auf meinen Geruchssinn. Den bekam ich sicher den ganzen Tag nicht aus der Nase!

An einen winzigen Flur schloss sich linker Hand ein kleines Badezimmer an. Geradeaus ging es in das Wohnschlafzimmer, an das ein Balkon und eine äußerst überschaubare Küche angrenzten, in der man kaum umfallen konnte. Die Fensterfront bot einen tollen Blick über das ganze Gelände. Ich konnte zwischen Großküche und Behindertenwerkstätten die hohen Garagen erkennen, in denen die Arbeitsplätze der Betriebshandwerker lagen. Dort begann auch für mich jeden Morgen die Arbeit, die im Wesentlichen daraus bestand, Gebäude und Einrichtungen instandzuhalten.

Doch genug geträumt, schließlich wollte hier eine Wohnung eingerichtet werden. Ich wandte mich seufzend von der schönen Aussicht ab, holte ein kleines Notizbuch aus der Brusttasche der Latzhose und notierte die noch fehlenden Einrichtungsgegenstände. Das neue Bett lagerte bereits bei meinen Eltern in der Garage. Bei ihnen wohnte ich, seit dem Ende des FSJs. Während der Ausbildung bedeutete das vor allem finanziell ein dickes Plus, da ich keine Miete bezahlen musste. Es gab definitiv Schlimmeres als im Hotel Mama abzusteigen!

Auch in dieser Hinsicht lohnte sich der Arbeitsstellenwechsel. Jeden Tag die lange Strecke nach Stuttgart zu fahren, blieb mir jetzt erspart. Statt zwei volle Stunden unterwegs zu sein, reduzierte sich diese Zeit auf zwanzig Minuten. Und dank der eigenen Wohnung konnte ich diese Spanne nochmals deutlich drücken. Purer Luxus! Wer hatte schon einen so kurzen Weg zur Arbeit?

Auch die Schrankwand wartete bereits im Möbelhaus auf mich und musste lediglich abgeholt werden.

 

Nach einer halben Stunde legte ich den Stift zur Seite. Die Liste hatte es in sich. Ich blickte auf mindestens zwei bis drei Monatsgehälter, die sich da in meinem Notizbuch versammelten. Da würden wohl zunächst nur die wichtigsten Anschaffungen drin sein!

 

 

 

Die Fledermaus im Glockenturm

 

Zwei Wochen später war die kleine Wohnung schon sehr gemütlich eingerichtet. Gut, es fehlte noch das eine oder andere und auch die Baufassungen mit Glühbirnen versprühten allerhöchstens den Charme einer Gefängniszelle. Aber es war das eigene Reich!

Am frühen Morgen hatte ich mit Mike, meinem besten Kumpel und darüber hinaus einem Kollegen aus der Werkstatt, die Wohnwand im Möbelhaus abgeholt. Leider konnte er mir nicht beim Aufbau helfen und so bastelte ich seit dem Mittag allein daran herum. Nachdem sie nun endlich aufgebaut dastand, saß ich mit einem Kaffee auf dem Sofa und betrachtete voller Stolz das Werk der vergangenen Stunden.

Ich setzte meine aktuelle Lieblingstasse mit dem Schriftzug »Ich muss gar nix!« zu einem weiteren genussvollen Schluck an die Lippen, als ein unglaublicher Lärm durch die kleine Wohnung dröhnte. Er glich einer mächtigen Welle, der ich nichts entgegensetzen konnte. Nein, eigentlich handelte es sich eher um einen Tsunami, der mich hinwegfegte!

Vor Schreck verschüttete ich den Kaffee. Heiße Tropfen spritzten auf die kurze Hose und über meine nackten Schenkel, was den deutlich schlimmeren Teil des Desasters ausmachte. Das wilde Gehüpfe und die laut ausgestoßenen Brülllaute, mit denen ich versuchte, den Schmerz zu mildern, hätten jeden Medizinmann beim Regentanz vor Neid erblassen lassen. Sicher wunderten sich in diesem Moment irgendwo auf der Welt die Menschen darüber, wo der spontane Regenguss herkam.

Sorry, Leute, das ging dann wohl auf meine Kappe!

Ich hetzte ins Bad, stellte das Bein in die Wanne und löschte mit kaltem Wasser. Mann, tat das gut! Ein herrliches Gefühl, als der Schmerz nachließ. Leider nur das Brennen auf dem Schenkel, nicht jedoch die Stiche im Schädel.

»Aua, verdammt, was zum Teufel ist denn hier nur los?«, stieß ich gequält aus und hielt mir die Ohren zu. Minuten später verstummte das infernalische Sirren. Die folgende Ruhe fühlte sich geradezu paradiesisch an, doch genießen konnte ich sie nicht, da der Krach bereits wieder einsetzte.

Die nächste halbe Stunde wechselten sich minutenlanger ohrenbetäubender Lärm und gespenstische Stille ab. Hier musste es sich um eine neuartige, perfide Foltermethode handeln, die an den unschuldigen Bewohnern des Hochhauses erstmalig ausprobiert wurde. Diese Vermutung wurde durch die Stimmen der Schweinegger Herzensbrecher untermauert, die sich aus der gegenüberliegenden Wohnung ohne Vorwarnung mit voller Lautstärke durch das Stockwerk fraßen! Dass da der Putz nicht von den Wänden fiel, konnte ich nur als ausgewachsenes Wunder ansehen!

»... ja, das ist das Leben, ja, so ist das eben ...«

Wieso das Volksmusikduo, das sich in den letzten Monaten bei den Anhängern dieser Musikrichtung äußerster Beliebtheit erfreute, so erfolgreich war, stellte in meinen Augen eines der großen Rätsel unserer Zeit dar. Doch ohne Zweifel schwammen die schwarz-grün-gelb gekleideten Brüder aus dem Allgäu, die wegen ihrer schillernden Trachtenoptik auch das Jamaikaduo genannt wurden, momentan auf der Welle des Erfolgs. Dass ihr größter Fan in der Wohnung gegenüber hauste, erfuhr ich leider erst nach dem Einzug.

Der Rest der Lyrik ging gnädigerweise wieder in der Symphonie für eine Bohrmaschine von Ludwig van Nervtöter unter. Die Gehörschutzstöpsel, die ich beim hektischen Durchwühlen meiner Arbeitsjacke hervorzauberte und im Anfall völliger Verzweiflung viel zu tief in die Ohren rammte, brachten da keine Linderung.

Im Gegenteil!

Da half nur noch die Flucht in die Duschwanne. Ich drehte den Wasserstrahl so weit auf, wie es ging, doch nicht einmal das plätschernde Wasser in Kombination mit den verstopften Gehörgängen bewahrten mich vor dem hohen Kreischen der Bohrmaschine, das erbarmungslos an den Nerven zerrte. Als ich Minuten später wieder aus der Badewanne stieg, nagelten die Akkorde des Volksmusikduos meine Stimmung vollends an die Wand.

»... und du sagst immer: Spatzilein, dir kann ich nicht verzeih’n ...«

Das konnte auch ich nicht besser formulieren! In diesem Moment beschloss ich, dass diesen Worten Taten folgen sollten. Dem Wahnsinn musste ein Ende gesetzt werden. Eine geschlagene Stunde tobte nun schon der Krieg der Bohrmaschine gegen die Stimmen der Volksmusik.

Ich bin eine Seele von Mensch und es dauert wirklich sehr, sehr lange, bis mir der Geduldsfaden reißt, aber hier und jetzt stand fest: Es war genug!

Bestärkt durch die anfeuernden Worte der Allgäuer Sangesbrüder, machte ich mich wutschnaubend auf den Weg.

»... Stell ihr doch die Fragen, die so an dir nagen,

dann ist das Leben gleich halb so schwer ...«

Aber hallo, das konnten sie laut singen, dass Fragen beantwortet werden mussten! Mit nassen Haaren stürzte ich auf den Flur und klingelte Sturm im Hause Schlägler.

Ja, richtig geraten! Die junge Frau, die mir vor Wochen das erste Mal in der Verwaltung bei der Schlüsselübergabe begegnet war, wohnte nebenan. Doch bei ihr handelte es sich bestimmt nicht um die Urheberin des Lärms. Oh nein! Mit Sicherheit rührte dieser Angriff auf meine Trommelfelle von ihrem Mann Manfred her, einem schlaksigen Mittdreißiger, dessen bereits schütteres, braunes Haar ihm den Spitznamen Doktor Kranz bescherte. Ob die beiden eine leichte geistige Behinderung hatten, wusste ich nicht. Dass sie aber nur einfache Hilfsarbeiten in der Stiftung ausführen konnten, ließ darauf schließen. Wie auch immer, auf ihre Art ein wirklich süßes Päarchen. Eben zwei, von denen man mit Fug und Recht behaupten konnte: Die haben sich gesucht und gefunden! Sie ruhig und schüchtern, er laut und meist verpeilt.

Eines lernte ich bereits in den ersten Tagen, die ich hier wohnte: Er ging seinen Mitmenschen in der Regel vollkommen unbeabsichtigt auf die Nerven. Das dann aber umso heftiger. So wie jetzt!

Mein Daumen massakrierte erneut die Klingel! Natürlich hörte das niemand, die Bohrgeräusche übertönten alles. Frustriert stand ich mit hängenden Schultern da und wollte das Schlachtfeld schon kampflos verlassen. Die Herzensbrecher setzten zum finalen Vernichtungsschlag an: »... Hurra, hurra, die Feuerwehr ist wieder da, hurra, hurra, sie kommt mit viel Tatü Tata. Hurra, hurra, die Feuerwehr ist da ...«

Wie kam man nur auf solche Texte? Musste da jemand Germanistik studieren oder flog es einem einfach so zu? Ich wusste es nicht. In dem Moment trat eine kurze Pause ein – sozusagen Waffenruhe an der Bohrer- wie auch an der Volksmusikfront – und ich witterte meine Chance. Erneut drückte ich den Klingelknopf fast durch die Wand. Schritte näherten sich von drinnen.

»Yes, geschafft, ich habe ihn«, dachte ich voller Vorfreude und ballte die Faust zur Siegespose. Erst reden oder direkt erwürgen? Eine schwere Entscheidung. Über deutlich mehr Charme verfügte momentan Option zwei!

Die Tür öffnete sich und Doktor Kranz erschien vollkommen verschwitzt. Hinter ihm waberte leichter Nebel durch die Wohnung. Rauchte er etwa? Na das fehlte mir als überzeugtem Nichtraucher gerade noch! Ich schnupperte. Roch allerdings eher nach verbranntem Metall als nach Tabak. Hatte der Unglückswurm womöglich eine Leitung angebohrt? Ich beschloss, direkt in die Offensive zu gehen: »Sag mal, Manni, was zum Geier treibst du eigentlich? Versuchst du, einen Fluchttunnel in den dritten Stock zu buddeln?«

Er schaute mich verständnislos an. An ihm prallten Sarkasmus und Ironie so selbstverständlich ab, wie Kugeln an Supermans blaurotem Flugstrampler.

»Hey, äh Tag Alex. Nee, äh, kein Tunnel. Warum sollte ich denn einen graben? Unter uns wohnen doch Glöckners.«

»Ja genau, und neben dir wohnt kein Glöckner, obwohl ich mich schon wie ’ne Fledermaus im Glockenturm fühle! Mann, bei dem Lärm kriegt man ja Gehörkrebs! Noch mal: Was zum Geier treibst du da?«

Ich war geladen. Manni nicht. Offensichtlich machte er sich bisher nicht allzu viele Gedanken darüber, dass seine Feierabendbeschäftigung vielleicht irgendjemanden stören könnte. Er kratzte sich am Kopf, während die Informationen langsam, aber stetig in sein Gehirn sickerten. Bei Manni musste man Geduld haben, das wusste ich. Doch im Moment wollte ich nicht warten!

»Also, was ist nun?«, versuchte ich den Denkprozess zu beschleunigen. »Hört dieser infernalische Lärm heute noch irgendwann auf, oder sollte ich besser gleich meine Sachen packen und ausziehen?«

Weiterhin vor sich hin transpirierend stand er da und schaute mich ratlos an. Erneut scharrten seine Finger über das schüttere Haupthaar. Wenn er so weitermachte, würde aus dem Spitznamen Doktor Kranz bald Doktor Platte werden. Ich begriff, dass hier mit Unmutsäußerungen nicht weiterzukommen war, und beschloss, die Strategie zu ändern.

»Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen?«

Hatte ich das wirklich gesagt? Der Lärm der Bohrmaschine in Kombination mit diesen vermaledeiten Schlagermelodien mussten meine kognitiven Fähigkeiten so weit herabgesetzt haben, dass mir das einfach so rausrutschte. Manni erreichte das Angebot jedenfalls sofort. Deutlich zügiger als die Fragen vorher. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wechselte sein Gesichtsausdruck von ratlos resigniert zu maßlos erfreut.

»Mensch, Alex, das würdest du tun?«, freute er sich. »Oh, toll, echt, das ist ja super. Ich weiß ja auch schon nicht mehr, was ich machen soll.«

Da hatte ich mich wohl selbst ins Aus geschossen. Auf der anderen Seite konnte es eine gute Idee sein, zu helfen. Dann würde der Lärm sicher schneller beendet sein.

»Na komm, lass mal sehen, was du da treibst«, murmelte ich und lief hinter meinem freudig strahlenden Nachbarn in den Nebel hinein. Maggy saß im Wohnzimmer still auf der Couch. Sie grüßte mich leise, gab aber sonst kein Lebenszeichen von sich. Allem Anschein nach paralysiert von dem ganzen Krach. Verständlich.

Am Kücheneingang stieg vom Fußboden Rauch auf. Neben der Tür lag eine Bohrmaschine, die aussah, als wäre sie bereits vor der Jahrhundertwende gebaut worden. Und ich rede hierbei nicht vom Millennium!

»Also Manni, jetzt erzähl mal, womit du dich seit Stunden vergnügst«, forderte ich ihn auf. In Richtung seiner Frau fügte ich hinzu: »Hey Maggy, wärst du so nett, die Balkontür zu öffnen, damit der Nebel rausgeht? Sonst kommt am Ende tatsächlich noch die Feuerwehr. Wundert mich eh, dass die Rauchmelder bei diesem ganzen Qualm nicht angesprochen haben.«

»Oh, das kann ich erklären«, freute sich Manni darüber, zumindest ein Mysterium aufdecken zu können. »Ich hab die Dinger abgeschraubt und zu Siggi rübergebracht. Das war doch eine gute Idee, oder nicht?«

Beifallheischend sah er mich an. Ich nickte überrascht. Ja, klar, es ergab Sinn, die Rauchmelder zu entfernen, bevor man Qualm erzeugte. Das hätte ich Doktor Kranz gar nicht zugetraut. Auf der anderen Seite brachten die Dinger natürlich in der Wohnung gegenüber herzlich wenig, wenn Manni seine Bude abfackelte. Das hatte der Vermieter bestimmt nicht bedacht, sonst wären die Rauchmelder gleich an der Decke festgeklebt worden.

Maggy erhob sich zu den letzten Klängen des Feuerwehrlieds aus dem Ostallgäu wortlos vom Sofa, um meiner Bitte nachzukommen. Irgendwie waren die beiden ja wirklich rührend. Da bohrte er wie ein wildgewordener Derwisch Löcher in den Boden, dass es nur so rauchte, und sie saß brav im Epizentrum des Wahnsinns und kam noch nicht einmal auf die Idee, frische Luft hereinzulassen.

»Ja, äh, also eigentlich wollte ich nur so eine Aluplatte befestigen«, versuchte Manni, sich zu erklären. Ich verstand nur Bahnhof.

»Aluplatte? Was denn für eine Aluplatte? Zeig mal her.«

Manni verschwand im Nebel und kehrte mit einer Abdeckleiste zurück. Die Sache wurde klarer. Auch weil der Qualm langsam, aber sicher durch die nun geöffnete Balkontür entweichen konnte.

»Aha, du willst die Stolperfalle hier beseitigen? Na, so wie die Stelle aussieht, ist das eine gute Idee.«

Der Laminat, der alles andere als fachgerecht verlegt war, ließ eine fette Spalte zwischen Wohnzimmer- und Küchenboden frei. Ich wollte mir lieber nicht vorstellen, wie weh das tat, wenn man da barfuß durch die Gegend stolperte und mit dem großen Zeh hängen blieb.

Bei näherer Betrachtung der Aluleiste stellte ich fest, dass sich in dieser gerade mal vier Löcher befanden, durch die allenfalls winzige Schrauben durchpassten. Es wurde immer schleierhafter, warum Manni seit geschlagenen anderthalb Stunden auf dem Fußboden und den Nerven seiner Nachbarn herumbohrte. Gut, bei seiner Maschine handelte es sich um ein Vorkriegsmodell, das einen Platz im Deutschen Museum sicher verdient hätte. Aber selbst mit dieser Rarität müsste es möglich sein, vier kleine Löcher mit einem Durchmesser von fünf Millimetern in den Boden zu bringen. Schließlich bestand der Estrich nicht aus Granit!

»Ja und? Das ist doch gleich erledigt«, wunderte ich mich. »Wieso bohrst du denn da so lange daran herum?«

Panik blitzte in Mannis Augen auf, als ich nach der Bohrmaschine griff.

»Ich weiß auch nicht«, stammelte er. »Erst ging es ja ganz gut. Aber schon beim zweiten Loch ist es einfach nicht weitergegangen. Und dann fing der Boden an, zu rauchen.«

Ratlos stand er mit gesenkten Schultern da und starrte auf die Bohrmaschine. Ich richtete die Aufmerksamkeit ebenfalls auf das Corpus Delicti und untersuchte das Elektrogerät in meinen Händen. Den Fehler fand ich schnell, der eingespannte Bohrer war vorne kugelförmig geschmolzen. Feine Rauchfäden stiegen auf und zeugten davon, dass man ihn momentan besser nicht anfasste.

»Wie hast du das nur hinbekommen?«, schüttelte ich fassungslos den Kopf. »Mit dem Ding kannst du nicht mal mehr Löcher in den Emmentaler stanzen!«

»Wieso sollte ich da denn Löcher reinbohren? Sind da nicht schon welche drin?«, gab Manni erstaunt zurück.

Mein Fehler. Wie konnte ich nur die Resistenz von Doktor Kranz gegen jede Art von Sarkasmus vergessen? Daher beschloss ich, die Unterhaltung in eine andere Richtung zu lenken.

»Also jedenfalls ist dieser Bohrer hinüber. Hast du noch welche da?«

»Klar, hab extra einen ganzen Satz davon gekauft«, strahlte Manni und verschwand erneut in der Küche, um mir Sekunden später stolz eine kleine Holzkiste in die Hand zu drücken.

Mir schwante bereits Fürchterliches und mein Gefühl wurde bestätigt, als ich die Schachtel öffnete. Im Inneren befand sich ein nagelneuer Satz Bohrer. Holzbohrer, wohl gemerkt, keine für Stein und noch nicht einmal welche für Stahl. Wobei die Letzteren im Steinboden auch nicht viel nutzten ...

»Siehst du, die sind ganz neu«, erklärte Manni. »Gestern erst gekauft. Und teuer waren die. Trotzdem taugen sie nichts. Ich versteh das nicht.«

Krampfhaft verkniff ich einen Lachanfall, konnte aber nicht verhindern, dass sich ein breites Grinsen ungehemmt auf meinem Gesicht ausbreitete. Ich malte mir aus, wie die Kollegen morgen reagieren würden, wenn ich ihnen diese Geschichte erzählte. Die Vorstellung daran ließ mich den Ärger der letzten Stunden vergessen. Jedenfalls fast!

»Mensch, Manni, das sind Holzbohrer! Damit kannst du keine Löcher in den Zement bohren!«

Manni war fassungslos. Aber nur kurz.

»Oh, äh, tatsächlich? Wieso denn, die sind doch auch aus Stahl, oder nicht?! Na, dann geh ich morgen gleich los und hol mir die Richtigen.«

Dieser Satz wischte mir das Grinsen schlagartig aus dem Gesicht. Ich konnte nicht zulassen, dass sich Manni mit seiner Nostalgie-Bohrmaschine nochmals in die Schlacht stürzte. Nicht auszudenken, was sich dabei für neuerliche Katastrophen auftun konnten! Außerdem vertrugen meine Trommelfelle fürs Erste keinen Lärm mehr.

»Nee du, lass mal stecken«, erwiderte ich deshalb. »Ich komm morgen nach der Arbeit mit ’ner Hilti bei dir vorbei. Dann haben wir die Schiene schnell montiert.«

Manni war sprachlos. Dieses Entgegenkommen kam unerwartet, nachdem ich noch vor wenigen Minuten wutschnaubend vor seiner Tür gestanden hatte.

»Mensch, äh, Alex, das ist aber nett von dir«, stammelte er.

»Keine Ursache, das ist nicht der Rede wert«, wiegelte ich gönnerhaft ab und kehrte in meine Wohnung zurück. Maggys dankbarer Blick, den sie mir zuwarf, als sie realisierte, dass das nervtötende Bauprojekt ihres Mannes für heute eingestellt wurde, entschädigte mich sogar teilweise für das Lied der Schweinegger Herzensbrecher, das laut durchs Treppenhaus klang.

»...am Ende wird alles gut, Holaduliö, holaho ...«

 

Von Türen, Mardern und Motorenöl

 

Eine Woche später war die abendliche Bohraktion schon fast wieder vergessen. Oder zumindest hätte ich vielleicht nicht mehr daran gedacht, wenn nicht Manni, den man täglich auf seinem Postfahrrad im Gelände antraf, jedes Mal abgestiegen wäre, um mir überschwänglich zu danken. Was das anging, musste er wohl das Gedächtnis eines Elefanten besitzen!

Das Ganze wurde mir langsam peinlich. Die Kollegen machten sich mittlerweile einen Spaß daraus, mich mit Sprüchen wie »Alex, pass auf, da hinten kommt er!« oder »Habe ich da nicht eben ein gelbes Fahrrad gesehen?« zusammenzucken zu lassen. Dafür, dass die Montage der kleinen Aluminiumschiene am nächsten Tag nur fünf Minuten gedauert hatte, währte diese Dankesphase deutlich zu lange. Erst, als ich ihm unmissverständlich klarmachte, es wäre nun genug und ich würde ihm nie, nie, NIE mehr helfen, wenn er nicht aufhörte, gab er auf.

 

Nachdem die Gefahr gebannt war, von einem gelben Postradler vor lauter Dankbarkeit überfahren zu werden, konnte ich mich wieder meinen Aufgaben widmen. Im Moment sollte ich eine defekte Tür in der Behindertenwerkstätte reparieren. Nach einigem Suchen fand ich sie. Wie sich herausstellte, hatte sie einer der Beschäftigten aus den Angeln gerissen.

»Aber der Henry, der hat das nicht absichtlich gemacht«, versicherte mir der Werkstattleiter mit dem türlosen Büro. »Das ist ein ganz Netter. Fleißig ist er auch. Arbeitet da hinten an der Drehbank und stellt Industriezulieferteile her. Na ja, er leidet halt unter einem Tremor, da kann er nix für.«

Damit konnte ich nichts anfangen. An der besagten Maschine stand ein bulliger, untersetzter Mann. Auf dem Kopf trug er eine Art Helm. Wozu er diese Kopfbedeckung wohl brauchte? Sein Muskelshirt entblößte Arme im Umfang meiner Oberschenkel. Der kleine Kerl wirkte verhältnismäßig furchteinflößend, was von einem beständigen Zittern seines Körpers verstärkt wurde.

Henry kannte ich vom Sehen. Er radelte immer zur Arbeit und auch in der Stadt begegnete er mir hin und wieder. Eine auffälligere Erscheinung im Straßenverkehr als er war selten. Mit Karacho schoss er auf dem Mountainbike durch die Gegend, sodass es einem ganz schwummrig werden konnte. Dabei zitterte er dermaßen stark, dass man befürchten musste, er würde vom Rad stürzen oder in parkende Autos, Häuser und Passanten krachen.

 

»Nie davon gehört«, erwiderte ich. »Was muss ich mir denn darunter vorstellen?«

»Na ja«, erklärte der Werkstattleiter. »Er leidet unter einem besonders heftigen Muskelzittern, das ihn permanent begleitet. Henry wackelt dermaßen, dass man oft Angst hat, er fällt gleich um. Was im Übrigen immer wieder mal passiert. Deshalb trägt er auch den Kopfschutz. Damit er sich dabei nicht wehtut.«

 

Ich machte mich an die Arbeit. Die Tür hatte Henry sauber zerlegt. Während ich versuchte, die Bänder in den Rahmen einzudrehen, beobachtete ich verstohlen den Urheber dieses Desasters. Er schien bestens gelaunt zu sein und sang, pfiff, und lachte. Ganz nebenbei bearbeitete er Drehteile in beeindruckender Geschwindigkeit. Ich beschloss, hinüberzugehen, nachdem die Tür wieder funktionierte.

»Nur zu, der freut sich, wenn mal jemand mit ihm redet«, schmunzelte der Werkstattmeister, als ich ihn fragte, ob das in Ordnung ginge.

Henry stand an einer numerisch gesteuerten Maschine, was bedeutete, dass er die Teile manuell spannen und bearbeiten musste. An einem Zahlendisplay konnte er ablesen, ob er in der Toleranz arbeitete oder nicht. Die Zustellung des Werkzeugschlittens erfolgte über ein Drehrad, an dem der kleine, kräftige Mann mit Hingabe kurbelte. Als ich neben ihm stand, schaute er auf und begrüßte mich herzlich.

»Hallöle, wer bisch du denn?«[Fußnote 1], fragte er leicht stotternd.

»Aha, ein Einheimischer«, dachte ich, »Dem hört man selbst auf zehn Kilometer Entfernung an, dass er aus dem Schwabenland stammt.«

»Hallo, Henry, ich bin Alex. Hab gerade die Tür repariert, die du auseinandergenommen hast. Respekt, so was sieht man auch nicht jeden Tag.«

Er sah derart stolz aus, als ob es nichts Ehrenvolleres gäbe, als eine Bürotür aus den Angeln zu reißen. »Ha, des hann i ned mid Absichd gmachd! Dui isch oifach so rausgfalla!«[Fußnote 2]

Schon klar! Das hörte man ja häufig, dass sich Türen spontan dazu entschlossen, aus dem Rahmen zu fallen.

Ich lachte. »Ja, logisch. Ist nicht schlimm und ich habs ja wieder hinbekommen. Darf ich dir mal beim Arbeiten über die Schulter schauen?«

Henry schien sich zu freuen, dass ich ihm eine Weile Gesellschaft leisten wollte. Er nickte begeistert und machte sich mit Feuereifer ans Werk.

Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Er packte den Support, als wolle er ihn aus dem Maschinenbett reißen. Dabei kurbelte er mit einem so massiven Zittern am Oberschlitten, dass ich erschrocken hinter ihm in Deckung ging und auf das laute Krachen wartete, mit dem der Drehmeißel ins Backenfutter knallen würde. Doch das Geräusch blieb aus!

Es faszinierte mich, mit welcher Präzision er, ungeachtet seiner Krankheit, die Teile hinzauberte und sich währenddessen mit mir unterhielt. Beim Reden zitterte seine Stimme wie der Rest des Körpers. Es hörte sich an wie ein sehr schnelles Stottern. Henry schien ein erstaunlicher Mensch zu sein, der sich trotz seines Handicaps pudelwohl bei der Arbeit und in seiner Haut fühlte. Von seiner Behinderung ließ er sich nicht unterkriegen. Im Gegenteil! Gut gelaunt und für jeden Spaß zu haben, plauderte er völlig unangestrengt mit mir. Er freute sich darüber, dass wir über eine halbe Stunde miteinander quatschten. Als ich aufbrach, schaute er ein wenig traurig und die Zuneigung übermannte ihn.

»Du bisch an Neddr, des hann i glei dengd«[Fußnote 3], meinte er. Ich wurde spontan in die Arme genommen und gedrückt. Und wenn ich gedrückt sage, dann meine ich das auch so! Junge, konnte der zupacken. Knochen und Rippen knackten empört. Ich sah mich bereits im Streckverband im Krankenhaus.

»Sie können gut mit den Menschen«, rief der Werkstattmeister lachend, als ich an seinem Büro vorbeiging. »Schon mal daran gedacht, etwas in der Behindertenarbeit zu machen? Fähige Mitarbeiter können wir immer brauchen.«

Er traf einen Punkt, über den ich mir ebenfalls in der Vergangenheit schon oft den Kopf zerbrochen hatte.

 

Nach dem Abi lag meine weitere Zukunft alles andere als klar vor mir. Ein Studium – gleich welcher Art – kam für mich nicht infrage. Daher beschloss ich, ein FSJ in einem Altenheim einzuschieben. Diese Zeit wollte ich nutzen, darüber nachzudenken, wohin die Lebensreise gehen sollte.

Als Hilfspfleger dachte ich tatsächlich oft daran, in den Pflegeberuf einzusteigen. Die Arbeit mit den Menschen dort machte mir Spaß. Vor allem die Dankbarkeit der alten Leute, die sich darüber freuten, dass sich jemand für sie Zeit nahm, begeisterte mich. Letzten Endes handelte es sich aber um einen schlecht bezahlten Knochenjob. Viele der meist weiblichen Pflegekräfte klagten schon nach wenigen Jahren über akute Kreuzschmerzen, Bandscheibenvorfälle und sonstige gesundheitliche Probleme. Und sie bemängelten, dass die Freude an der Arbeit auf der Strecke blieb, weil sie sich kaum um die Belange, Sorgen und Nöte der Bewohner kümmern konnten, sondern nur den Zeitplänen hinterherjagten.

Letztendlich wandte ich dem Beruf des Altenpflegers widerstrebend den Rücken zu und orientierte mich in Richtung Industrie.

Ich absolvierte eine Ausbildung zum Industriemechaniker bei einem großen Automobilunternehmen in Stuttgart. Das Arbeiten mit meinen Mitauszubildenden machte viel Spaß und die Berufsschule bereitete mir mit dem Abitur in der Tasche kein Kopfzerbrechen. Bereits zweieinhalb Jahre später stand dank guter Noten der Übernahme und einer Karriere in der Industrie nichts im Weg.

Das Leben konnte beginnen ...

... und endete auch schon in der Probezeit wieder, da ich schnell bemerkte, dass das Bestücken eines Bearbeitungszentrums im Akkord kaum etwas mit Spaß und noch weniger mit Kommunikation zu tun hatte. Die Maschine war mir einfach nicht redselig genug! Konnte ja keiner wissen, dass der gut bezahlte Job so eintönig sein würde.

 

Es folgten Bewerbungen bei einer Vielzahl von Unternehmen im ganzen Umland, die mich schließlich auch in die gemeinnützige Stiftung in meiner Heimatstadt führten, in der ich witzigerweise bereits das FSJ gemacht hatte.

Manchmal ist die Welt ein Dorf!

Der Meister der Werkstätten, Herr Rauschenhofer zeigte mir am Ende des Bewerbungsgesprächs die Schlosserei und stellte mir die Kollegen vor. Danach saßen wir in seinem Büro und klärten in aller Ruhe die übrigen Fragen.

Er wies auf die Altenheime, psychiatrischen Krankenhäuser und die Behindertenwerkstätten hin. Letztere befanden sich direkt neben meinem zukünftigen Arbeitsplatz. Auch von den vielen kleineren Werkstätten, Bauernhöfen und Heimen, die über das Land verstreut lagen und von den technischen Abteilungen betreut wurden, erzählte er ausgiebig. Das gefiel mir. Endlich nahm sich jemand Zeit, einmal alles zu erklären.

Nicht immer nur höher, schneller, weiter und gleichzeitig billiger lautete die Devise. Stattdessen hatte ich das Gefühl, dass es auf das Miteinander ankam. Mein Eindruck war am Ende so positiv, dass ich unmittelbar nach dem Gespräch spontan zusagte.

Bisher, ohne es zu bereuen. Zwar konnte der Verdienst nicht gerade als üppig bezeichnet werden, aber ich liebte die abwechslungsreiche Beschäftigung und die zugegebenermaßen oft skurrilen Charaktere, die mich täglich umgaben.

 

Hinten im Hof hörte ich jemanden ein Liedchen pfeifen. Hier standen die Müll- und Schrottcontainer. Und dort erblickte ich auch Ernst Weinessig, genannt Ernie.

Er kümmerte sich bei uns um die Entsorgung anfallender Reste. Ob er nun Container bei Abbrucharbeiten aufstellte, Essensreste der Großkantine entsorgte, den Schrott der Werkstätten sortierte oder Grünschnitt zur Deponie brachte – Ernie war immer in Sachen Abfall unterwegs. Unterstützt wurde er dabei von seinem treuen Partner, den er heiß und innig liebte: einem knallorange gestrichenen Unimog 407, Baujahr 1990. Im farblichen Kontrast dazu trug Ernst tagein, tagaus eine blaue Latzhose, seine schwarze, fleckige Harringtonjacke mit rotschwarz kariertem Innenfutter und eine dunkelblaue Elblotsenmütze. Letztere sah aus, als ob sie bereits Helmut Schmidt bei seiner Amtseinführung im Jahre 1974 getragen haben könnte.

Ernie arbeitete schon seit Jahrzehnten in der Stiftung. Keiner der Kollegen wusste so genau, wie alt Weinessig war. Da machte er ein Geheimnis draus. Den Falten im gutmütigen, stets lächelnden Gesicht nach zu urteilen, hatte er es aber irgendwie geschafft, sich vor der Rente zu drücken, um weiterhin mit seinem Weggenossen zusammenbleiben zu dürfen. Niemand durfte mit seinem geliebten Unimog fahren. Er hegte und pflegte das Fahrzeug, als ob es sich um den Ring der Macht handeln würde. Es hätte mich nicht gewundert, ihn mit glitzernden Augen und »Mein Schatz, mein Schatz!« murmelnd neben dem 407 stehen zu sehen. Oder was auch immer ein norddeutscher Hobbit von sich gab, wenn er sein Kleinod streichelte. Im Moment lederte er die Scheiben ab.

»Moin, Ernie, wieder mal bei der Pflege deines Schmuckstücks?«

Ernst liebt es, wenn ich seinen Unimog so nannte. Er grinste zu mir herüber, wobei er einige Lücken zwischen den gelben Zähnen entblößte. Während ich mich am Rand des Müllplatzes gegen einen Zaunpfosten lehnte und meine Werkzeugtasche vor mir auf den Boden stellte, fragte ich mich, ob er überhaupt wusste, wozu eine Zahnbürste diente.

»Moin Alex, wo geiht di dat?«[Fußnote 4], gab er zurück. »Jau, wat mutt, datt mutt ... Schack je noch lang loopen.«[Fußnote 5]

Kurz und prägnant! Da sollte man schlau draus werden. Ernie verstand ich sogar noch schlechter als Giuseppe, unseren italienischen Azubi. Und das wollte was heißen. Obwohl Kollege Weinessig schon ewig im Süden lebte, sprach er kein Schwäbisch und nicht einmal ansatzweise Hochdeutsch.

Ernie legte den Lappen beiseite und zog eine Spritzflasche aus einem der mit Gittertüren verschlossenen Regale. Zu denen besaß nur er einen Schlüssel und diesen bewachte er wie ein Drache seinen Goldschatz. Niemand holte da etwas raus, ohne ihn vorher zu fragen.

Dann begann er, seinen vierrädrigen Freund einzusprühen. Ein seltsamer, widerlicher Geruch machte sich breit, den ich nicht einordnen konnte.

»Sag mal, was versprühst du da?«, wollte ich wissen. »Das riecht ja furchtbar!«

Ernie unterbrach seine Arbeit, doch der Gestank breitete sich weiter aus. »Wat denks de?«[Fußnote 6], fragte er mit spitzbübischem Grinsen. »Min lütjen 407er is ned mer de Neiiste. Mutte ölen, sonst komde Rust. Un denn noch de Marders! Mutte loswerden. Seen siet Weken opp her on bieten meer aal Släuch in Stückn, de Beesters.«[Fußnote 7]

Er begann wieder zu sprühen. Der Unimog verschwand erneut in einer Wolke. Ich trat vorsichtshalber den Rückzug an. Fünf Meter zusätzliche Distanz zu diesem Nebel des Grauens konnten sicher nicht schaden. Wenn ich was davon abbekam, dann haftete der Gestank höchstwahrscheinlich tagelang an meinen Klamotten! Oder das Zeug fraß sich gleich komplett durch die Baumwolle. Seine Erwiderung ließ auf jeden Fall mehr Fragen offen als sie beantwortete. Ich blickte nicht durch und versuchte es noch einmal.

»Ja, und was ist da jetzt drin, in der Flasche?«

Ernie unterbrach seine Sprühaktion.

»Spezialmischung«, gluckste er. Erneut überzog ein Grinsen sein faltiges Gesicht. »Motoröl gegen de Rost un Hundepisse gegen de Marders!«

Mir drehte sich der Magen auf links. »Ernsthaft?«, rief ich entsetzt. »Du sprühst deinen Unimog mit Hundepipi ein? Und Öl? Das tropft doch runter ins Grundwasser. Oder gibts im Hof einen Ölabscheider im Boden, von dem ich nichts weiß?«

Ernie stutzte. Man sah ihm an, dass die Informationen zwar durch die Ohren in den Kopf eindrangen, momentan aber noch nach den richtigen kleinen grauen Zellen suchten, um verarbeitet zu werden. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass Ernie nicht gerade in Abfallwirtschaft promoviert hatte und es im Nachdenken sicher Schnellere gab. Damit fügte er sich nahtlos in eine ganze Reihe von Kollegen in der Werkstatt ein. So gesehen also nichts Ungewohntes.

Er nahm die Kopfbedeckung ab, kratzte sich und setzte den Deckel dann wieder auf. Dass seine Finger dabei ziemlich ölig und dreckig waren, schien ihn nicht weiter zu stören, erklärte jedoch den strähnigen Glanz seiner Haarpracht, die unter der Mütze hervorlugte.

»Nee, glob ik nech«[Fußnote 8], beantwortete er zunächst die Frage nach dem Ölabscheider. Vermutete ich zumindest.

»Echt, meens de?«[Fußnote 9], fragte er anschließend. Das schien sich auf meine Äußerung hinsichtlich der Umweltverträglichkeit von Öl im Grundwasser zu beziehen. Ich verhielt mich ruhig, um den Denkprozess nicht unnötig zu unterbrechen, nickte aber aufmunternd mit dem Kopf.

Erneut wurde die Kopfhaut einer intensiven Massage unterzogen. Dabei bekam nun auch der Rest der Haarpracht eine ordentliche Portion Öl ab. Pomade brauchte Ernie auf jeden Fall keine mehr! Er wandte sich seinem Unimog zu und betrachtete das Öl, das sich zu Tropfen sammelte, um an den Kanten herunterzurinnen.

»Drüppelt man kohm watt. Datt bischn, watt unnen landet, spült doch de Regen allweer wech, meensde nich och?«[Fußnote 10]

Er grinste mich beifallheischend an. Problem erkannt, Problem gebannt! Warum kam ich da nicht gleich selbst drauf? Klar, der Regen! Wusch der nicht alle Unannehmlichkeiten weg? Und nebenbei gelangte heute Abend mit Sicherheit eine deutlich größere Menge Öl ins Grundwasser, wenn Ernst Weinessig sich den Glanz aus den Haaren spülte.

»Na, wird schon so sein«, lenkte ich daher ein und trat den Rückzug an. Ernies ökologisches Gewissen schien nur rudimentär ausgeprägt zu sein.

»Ich muss dann mal wieder.«

»Jo, besser is dat. Kiek mol wedder in«[Fußnote 11], gab er fröhlich zurück und setzte seine unterbrochene Sprühaktion fort.

Warum putzte er eigentlich zuerst die Scheiben und ölte erst danach den Unimog ein? Das brachte doch überhaupt nichts! Wenn ich genauer darüber nachdachte, ergab auch der Rest der Weinessig’schen Aktion wenig Sinn! Höchstwahrscheinlich war es besser, nicht länger daran zu denken.

 

 

Das Schweißerschwein

 

Einen Sommer wie in diesem Jahr hatte es lange nicht gegeben. Der Wahnsinn! Tagelang brannte die Sonne nun schon von einem wolkenlosen Himmel. Entsprechend schlecht schlief ich, da die Hitze nicht mehr aus der Wohnung wich. Auch die in der Nacht komplett geöffnete Balkontür nutzte da nicht viel.

Der Wurfwecker in Form eines Tennisballs schnarrte. Ich schnappte ihn vom Nachttisch und klatschte das kleine gelbe Teil an die Wand. Mit einem beleidigten »Brrrrr« prallte er ab und verstummte. Müde stolperte ich in die Küche, um erst einmal einen Instantkaffee zu machen. Schmeckte zwar nicht besonders, ging aber schnell, machte wach und enthielt Koffein. Was wollte man mehr?

Kurz darauf saß ich auf dem kleinen Balkon in einem der beiden Klappstühle, die mir meine Mutter zum Einzug geschenkt hatte, und stemmte die nackten Füße gegen das Balkongeländer. Einen Schluck Kaffee schlürfend ließ ich den Blick über die Landschaft schweifen und genoss die friedliche Stimmung um mich herum. Was konnte es Schöneres geben? Die Luft war zu dieser frühen Morgenstunde angenehm kühl. Es roch nach taubenetztem Gras, Blüten und Sommer. Die Vögel zwitscherten um die Wette, während sie auf der Wiese hinter dem Hochhaus herumhüpften. In der Ferne klopfte ein Specht, und eine Taube auf dem Dach gegenüber gurrte ihren Morgengruß in die Welt. Dummerweise tat sie das vor allem nachts und hielt mich damit oft lange wach. Schliefen diese Viecher eigentlich nie? Ein Luftgewehr wäre jetzt nicht schlecht! Der graue Vogel schien die Aggressionen, die ihm von meinem Balkon aus entgegengebracht wurden, zu spüren und flatterte davon. Auch der Specht stellte seine Bauarbeiten ein.

Leider begann in einer halben Stunde die Arbeit. Sonst hätte ich den ganzen Tag vor mich hinträumen können. Was für ein himmlischer Frieden!

Der währte aber nur kurz, denn nach wenigen Minuten störte ein zweites, jetzt deutlich näheres Klopfen die Idylle. Genau genommen handelte es sich eher um ein Hämmern vom Nachbarbalkon. Neugierig spähte ich hinüber.

 

Nebenan war man ebenfalls schon am frühen Morgen fleißig. In Feinrippunterhemd und viel zu kurzer Hose werkelte Manni am anderen Ende seines Balkons. Vertieft in seine Arbeit nahm er mich erfreulicherweise nicht wahr. Er richtete einen Holzpfosten an der Außenecke des Geländers auf und versuchte, diesen mit allerlei Holzstückchen gegen die Decke zu verspannen. Dabei rutschte ihm seine mindestens zwei Nummern zu kleine Hose so weit herunter, dass die nackten Tatsachen hervorblitzten.

Einer dieser Anblicke, die sich ins Gedächtnis brennen. Das wird man zeitlebens nicht mehr los!

Erfolglos probierte mein Nachbar, den störrischen Pfosten zu befestigen. Gleichzeitig gab er sich redlich Mühe, seine rutschende Hose unter Kontrolle zu bekommen. Da der Mast jedoch deutlich zu kurz war und die Hölzer, mit denen er verkeilt werden sollte, nicht ausreichten, kippte er immer wieder. Manni fing ihn mehrmals im letzten Moment ab, bevor er ins Wohnzimmerfenster krachen konnte. Laut Murphys Law musste diese Aktion schiefgehen. Was sie auch tat: Die Stange wackelte erneut, Manni hechtete zur Fensterfront, doch der Pfosten neigte sich nicht wie erwartet in diese Richtung, sondern verabschiedete sich mit einem eleganten Salto über das Balkongeländer. Mein Nachbar schien kurz zu überlegen, ob er hinterherhechten sollte, entschied sich aber am Ende dagegen. Stattdessen starrte er entsetzt in die Tiefe, wo sich das »UFO«[Fußnote 12] in eine auf der Leine hängende Jeans bohrte und senkrecht stecken blieb. Das laute, reißende Geräusch des Kleidungsstücks ließ mich vermuten, dass der Besitzer nun um einiges leichter hineinschlüpfen konnte.

»Doppelter Salto gestanden. Respekt, das sind glatte zehn Punkte!«

Bevor mein schreckensstarrer Nachbar auf die Idee kam, herüberzusehen, zog ich mich leise zurück.

 

Wenige Minuten später war ich bereit für einen neuen Arbeitstag. Während die Wohnungstür hinter mir zufiel, öffnete sich der Aufzug. Manni zuckte heftig zusammen, als er mich beim Herausbugsieren des Pfostens erblickte. Das schlechte Gewissen stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Mit einem fröhlichen »Guten Morgen, Manni, na, auch schon fleißig?« drückte ich mich vorbei und lief das Treppenhaus hinunter, ohne auf seine Antwort zu warten.

Mit einer kleinen Verspätung erreichte ich die Werkstatt. Als sich die Stahltür rumpelnd hinter mir schloss, erschlug mich um Haaresbreite Johannes, einer der beiden Azubis, mit einem Edelstahlrohr, das er mühsam balancierend auf der rechten Schulter trug. Mit einem beherzten Sprung rettete ich mich aus der Gefahrenzone, während Rohr und Lehrling in Richtung Bandsäge flitzten.

»Dschuldigung«, rief er mir zu und ließ das Teil mit lautem Getöse auf den Sägentisch knallen. Wegen seiner Angewohnheit, aus »J« und »Sch« ein »Dsch« zu machen, hatten ihm die Kollegen den Spitznamen Dschohann gegeben – obwohl Dschrauber meiner Meinung nach besser passte. Das einzig erstrebenswerte Ziel im Leben des Azubis schien nur darin zu bestehen, seinem schon etwas älteren VW Polo mit 65 PS das Aussehen eines schwarzen Überschallflugzeugs zu verpassen.

Ja, sicher, heutzutage gab man die Leistung eines Fahrzeugs in Kilowatt an. Doch Dschohann liebte die Pferdestärken. Irgendwo hatte er mal aufgeschnappt, dass ein Pferd zwar grundsätzlich nur ein PS erzeugte, kurzzeitig aber zwanzig PS entwickeln konnte. Das imponierte ihm. Und übertragen auf seine zehn Jahre alte Schüssel dachte er, er könnte – ebenso kurzfristig – bis zu einhundert PS rauskitzeln, wenn er ordentlich das Gaspedal durchtrat. Alle Belehrungen seitens der Kollegen ignorierte er lächelnd und ließ sich nicht von diesem Irrglauben abbringen.

Dass die optischen Veränderungen, die er ständig an seinem Schätzchen vornahm, dessen Leistungsfähigkeit oftmals reduzierten, störte Dschohann nicht. Sonst eher träge unterwegs, entwickelte der angehende Gas-, Wasser- und Sanitärinstallateur eine erstaunliche Agilität, wenn es darum ging, verchromte Griffschalen, verbreiterte Schweller oder sonstiges Zubehör anzubringen. Vor allem bevor sein ausbildender Geselle Hans vom allmorgendlichen Schwatz mit unserem Lageristen zurückkehrte, bastelte Dschohann gerne an irgendeiner Verbesserung seines Boliden herum. Neugierig schlenderte ich zur Säge.

»Na, was baust du denn schon wieder?«

»Das gibt ein neues Endrohr«, strahlte er. Dschohann war mit einem eher schlichten Gemüt ausgestattet. Doch Unehrlichkeit konnte man ihm nicht nachsagen. So machte er keinen Hehl daraus, dass seine immerhin mit Azubigehalt vergütete Arbeitszeit momentan nicht dem Lernen, sondern dem Autobasteln galt.

Wenn ich so darüber nachdachte, dann war das auch nicht schlimmer als das Schwätzchen im Lager, das sein deutlich besser bezahlter Geselle jeden Morgen machte. Hans Schluhmann, der Schweißfachmann und Ausbildungsbeauftragte von Dschohann, ließ es sich an keinem Arbeitstag der Woche nehmen, zunächst die Stahltreppe hinab zu poltern, um eine lautstarke Diskussion über die neuesten Meldungen der Boulevardpresse mit unserem Lageristen Thomas zu beginnen.

Ich wandte mich dem Edelstahlrohr zu, nahm den Meterstab aus der Hosentasche und vermaß den respektablen Durchmesser des nichtrostenden Stahlteils, das Dschohann gerade einspannte. Das verunsicherte den Achtzehnjährigen.

»Dschag mal?«, fragte er irritiert. »Dschtimmt was nicht?«

»Na ja ...«, erwiderte ich und zog dabei die Silben wie Kaugummi in die Länge. Das schien Dschohann noch mehr durcheinanderzubringen.

»Mensch, jetzt sag doch, was ist los?«

»Na ja«, wiederholte ich. »Das ist ja ein ordentliches Teil, das du dir da ausgesucht hast.«

Mit dem Meterstab, den ich in der Zwischenzeit wieder zusammenfaltete, klopfte ich mehrmals leicht auf das Rohr. Das metallisch klingende Geräusch, das dabei entstand, sowie meine ratlose Miene brachten den Azubi endgültig aus dem Konzept.

»Komm dschon, Alex, dschag endlich, was du denkst.«

»Hast du mal nachgemessen, ob das Ding später auch wirklich unter deinen tiefer gelegten Schlitten passt? Du hast doch jetzt schon kaum Bodenfreiheit, oder?«

Dschohann erstarrte, schaute erst erschrocken, dann nachdenklich und entwickelte plötzlich eine erstaunliche Geschwindigkeit. Wortlos rannte er aus der Werkstatt. So viel zu dem Thema mit dem Pferd, das kurzfristig zwanzig PS entwickeln konnte. Während ich dem Azubi nachschaute, wie er quer über den Hof auf seinen Polo zuschoss, konnte ich mir das jetzt gut vorstellen.

Ich grinste Mike an, der seit einigen Minuten hinter uns an der Wand lehnte und die Unterhaltung verfolgte.

»Das war nicht nett von dir, Alex«, lachte er vergnügt.

»Da hast du wohl recht, aber wir sind ja auch nicht hier, um nett zu sein, oder?«, schmunzelte ich.

»Ah, schau mal, Polo-Dschohann kommt zurück«, erwiderte er. Wir blickten beide erwartungsvoll auf die Tür, durch die der Azubi gerade wieder herein flitzte.

»Alles gedscheckt, da sind locker zwei bis drei Zentimeter übrig, wenn das Endrohr dran ist«, rief er uns freudestrahlend zu und begann erneut, an der Säge zu hantieren.

»Musst dir dann halt noch ein Edelstahlgitter besorgen«, brummte Mike aus seiner Ecke. Das stellte Dschohann schon wieder vor unüberwindbare geistige Herausforderungen.

»Wieso Gitter? Was soll ich denn damit anfangen?«

»Na ja, denk doch mal nach«, fuhr Mike fort. »Wenn das Endrohr so tief am Boden sitzt, ist das voll gefährlich. Stell dir vor, da hüpft nachts ’ne fette Ratte rein, weil es vielleicht gerade regnet und es da drin gemütlich warm und trocken ist. Die verstopft glatt den ganzen Auspuff und killt den Motor, wenn du startest.«

Dschohann nickte. Ein nachdenklicher Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Mike und ich trollten uns grinsend. Zurück blieb ein gedankenversunkener Azubi, der über Gitter, Ratten und Auspuffanlagen nachdachte. Wie ich Dschohann kannte, konnte das dauern!

 

Mike verzog sich wieder in die E-Werkstatt und ich lief in Richtung Meisterbüro, um die Tagesaufgaben abzuchecken. Dabei ging ich an der Ausbildungswerkstatt vorbei, die diesen Namen faktisch nicht verdiente. Auf knapp zwölf Quadratmetern drängten sich drei Werkbänke und ein kleiner Tisch mit zwei alten Stühlen. Im hellen Licht der Neonröhren schrubbte der zweite GWS-Azubi mit einer Feile lustlos an einem Stück Stahlrohr herum.

»Na, machts Spaß?«, fragte ich. Giuseppe Lancini – von Hans gerne mal Sepp genannt – blickte missmutig, aber froh über die willkommene Ablenkung auf.

»Buon giorno, Alex.«

Aha, da blitzte der Italiener durch. Normalerweise versuchte Giuseppe alles Italienische strikt zu vermeiden und auf cool zu machen. Er überwand den kurzen Schockmoment, dass ihm ein Wort in seiner Muttersprache herausgerutscht war und verfiel in seinen Slang, von dem ich meist nicht mal die Hälfte verstand.

»Hey, Diggi, was geht?! Ja klar, voll fresh.«

Er blickte mich lustlos an und klopfte mit der Feile gegen den Schraubstock, dass der Stahlstaub nur so davonflog. Ich nahm an, dass er das »ja klar«, das ich deutlich heraushörte, ironisch meinte und wurde im nächsten Moment in dieser Vermutung bestätigt.

»Nee, echt, Bro, dript gar nicht. Check nich, warum ich hier der Keks bin. Voll lame, auf dem Stahl rumzufeilen. Nicht die Spur von nice.«

Diese kurze Ansprache sorgte nicht dafür, dass die Sprachbarriere, die definitiv bestand, abgebaut wurde. Verbal trennten uns Jahrzehnte, obwohl ich nur wenige Jahre älter war.

»Äh, ja, klar – passt schon! Na dann machs gut, bis später«, gab ich zurück und wandte mich ab. Lautes Quietschen hinter mir zeugte davon, dass Giuseppe die Arbeit wieder aufnahm. Gnädigerweise reduzierte die zufallende Gangtür diese durch absolute Fehlbedienung hervorgerufenen Geräusche auf ein erträgliches Maß.

 

»Morgen«, grüßte ich gut gelaunt in das nächste, kleine Büro hinein, in dem, wie immer, eine gepflegte Unordnung herrschte. Papierstapel mit Aufträgen, Zeichnungen und Rechnungen türmten sich auf dem Schreibtisch. Pakete stapelten sich in einer Ecke. Eine Unzahl von Ordnern stand in der Regalwand, die sich über sämtliche Wände des Raumes erstreckte. Inmitten dieses selbst erschaffenen Chaos’ saß der Leiter der Werkstatt: der stets tiefenentspannte, nicht aus der Ruhe zu bringende Rudolf Rauschenhofer, genannt Meister Rudi.

Mit seinen grau melierten, oft wirr abstehenden Haaren, dem Vollbart und der halbmondförmigen Lesebrille, wirkte er wie eine Mischung aus Albert Einstein und Professor Dumbledore. Im Moment blickte er mir über die extrem absturzgefährdete, ganz vorne auf seiner Nase sitzende Brille freundlich entgegen.

»Morgen, Alex, na wie gehts dir heute?«, brummte er gutmütig mit seiner Baritonstimme.

»Super, alles klar«, gab ich zurück und blieb abwartend stehen. Er hatte mir schon am ersten Tag eröffnet, dass sich meine Aufgaben in den kommenden Wochen vorrangig darum drehen würden, die Werkstattmitarbeiter zu begleiten, um ihnen bei der Arbeit zu assistieren. Bisher führte ich nur selten Aufträge allein durch. Was mich nicht störte, denn es machte Spaß, den Kollegen zuzusehen und mitzuhelfen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass der Beruf des Mechanikers so abwechslungsreich sein könnte wie in dieser Schlosserei. Von Teileerstellungen an Bohr-, Fräs- oder Drehmaschinen, über Reparaturen in den unzähligen Häusern, Heimen und Werkstätten bis hin zu Schmiedearbeiten, Sanitäraufträgen und Stahlbau kam eine unglaubliche Vielfalt von verschiedenartigen Aufgaben zusammen. Langeweile kam hier jedenfalls keine auf!

 

Auch heute sollte ich wieder assistieren. Von meinem Kollegen Leonhard Fuhrtwanger, der im Meisterbüro stand, ertönte ebenfalls ein freundlich gebrummtes »Morgen«.

Leo, wie er von allen genannt wurde, war eine Seele von Mensch und mit seinen dreiundreißig Lenzen nur ein paar Jährchen älter. Wir verstanden uns richtig gut. Mit ihm hatte ich bereits gearbeitet und freute mich, als er mir mitteilte, dass ein kaputtes Gatter auf dem Bauernhof im Ermstal zu reparieren sei.

Das Gehöft, umgeben von Wiesen und Wäldern, lag zehn Kilometer entfernt am Fuße der schwäbischen Alb. Katy, Leos ältere Schwester, bewirtschaftete es mit zwanzig Behinderten, mehreren Betreuern und zwei Gehilfen. Wir packten unser Werkzeug und ein mobiles Schweißgerät in einen der Transporter, die für Außeneinsätze immer bereitstanden, und fuhren los.

Während wir über Eningen Richtung Ermstal gondelten, konnte ich als Beifahrer die Landschaft genießen. Obstwiesen, Wälder und Felder wechselten sich ab. Die Kirschbäume standen kurz vor der Ernte. Durch die heruntergekurbelten Fenster wehte der warme Sommerwind herein. Wenn man darüber nachdachte, hierfür sogar bezahlt zu werden, dann konnte das Leben kaum noch schöner werden.

Am Ziel angekommen, lief uns bereits eine Frau entgegen, während Leo vor dem Haupthaus einparkte.

»Hallo Brüderchen«, rief sie erfreut, als wir aus dem Fahrzeug stiegen. »Das ist ja prima, dass ihr da seid. Ihr kommt wegen des verbogenen Schweinegatters, stimmts?«

Leo nickte. »Ja, genau. Haben die Viecher es wieder mal geschafft, was?«

»Na ja, du weißt ja, wie verspielt und neugierig die sind«, lachte Katy. »Die bekommen über kurz oder lang alles klein.«

Als ich ausstieg, kam sie herüber. »Hallo, du musst Alex sein«, vermutete sie. »Leo hat mir schon von dir erzählt. Schön, dich kennenzulernen.«

»Ja, freut mich auch«, erwiderte ich und schüttelte ihr die Hand. »Bin wirklich gespannt, was wir da heute in Ordnung bringen. Die Mechanikerausbildung hat mich jedenfalls nicht darauf vorbereitet, auf Bauernhöfen Zäune zu reparieren. Und schon gar keine Schweinegatter.«

»Na, dann wünsch ich dir viel Spaß«, lachte sie. »Da habt ihr auf jeden Fall zu tun.«

Sie lief mit Leo voraus, während ich das Schweißgerät auslud und den beiden langsam folgte. Es war herrlich, unter freiem Himmel arbeiten zu können. Nicht auszudenken, jetzt mit meinen ehemaligen Kollegen in der großen Werkshalle im Stuttgarter Kessel schwitzen zu müssen, in der kein Fenster den Blick ins Freie gestattete.

 

Der Schuppen, in dem die neugierigen Tiere lebten, lag einige Meter entfernt. Es handelte sich um ein lang gezogenes, nach vorne offenes Gebäude, dessen Vorderseite von einem hüfthohen Zaun aus verzinkten Stahlrohren versperrt wurde. Schon von Weitem konnte man das Grunzen und Quieken der Schweine hören. Klang irgendwie lustig!

»Mensch, das ist ja kaum zu fassen«, entfuhr es Leo, als er die kaputte Stelle im Gatter sah. Er strich sich ratlos über seine ausgeprägten Geheimratsecken. Die Tiere hatten das Gitter vollständig aufgebrochen und eines der Rohre nach innen gebogen.

Ein besonders neugieriges Exemplar der Gattung Schwein beschäftigte sich gerade damit, an dem abgebrochenen Stück herumzureißen. Komplett schwarz war es. Das kannte ich noch nicht! Bisher flitzten die Borstentiere in meiner Vorstellung immer rosarot durch die Gegend.

Katy scheuchte es mit wedelnden Handbewegungen und einigen Zischlauten davon. Mürrisch grunzend trollte sich das Tier in den hinteren Bereich des Stalls zu seinen Artgenossen. Mit seinen kleinen Knopfaugen beobachtete es argwöhnisch, was da mit seinem schönen Spielzeug angestellt wurde.

»Das sollten wir erst wieder geradebiegen«, meinte ich. Leo nickte bestätigend.

»Jep, da hast du recht! Hol doch mal die große Rohrzange aus dem Wagen, mit der können wir das Gatter ausrichten.«

Was zunächst nach einem schnellen, einfachen Auftrag aussah, entpuppte sich im Laufe der folgenden Stunde als tierisch schweißtreibend. Endlich konnte die Reparatur losgehen. Die Rohre waren ausgerichtet, der Zink an den Anschlussstellen weggeflext und ich schloss das Massekabel an. Leo setzte den Schweißschild auf und klemmte eine Elektrode in den Halter.

»Na dann, los gehts«, brummte er dumpf unter dem Helm und fing an, das Gatter wieder zu verschweißen. Hinten im Stall machten sich die Bewohner durch empörtes, ängstliches Quieken bemerkbar.

---ENDE DER LESEPROBE---