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Heiko Kohfink

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Beschreibung

Skurril, witzig und ironisch: nach dem erfolgreichen ersten Teil »VOLL BEHÄMMERT – Jobchaoten« kommt nun die Fortsetzung »VOLL VEREIST – Skichaoten« Alexander Humbolt hat es endlich geschafft, seine Traumfrau Maike für sich zu gewinnen. Nun steht Weihnachten vor der Tür: Das Fest der Liebe! Kurzerhand geht es in einen spontanen Skiurlaub. Und damit fangen die Probleme für Alex an, denn wer hätte gedacht, dass einige freie Tage so viele Tücken und Fallstricke bereithalten? In den Kitzbüheler Alpen angekommen, machen ihm nicht nur so profane Dinge wie Einkauf, Nebel und Kälte zu schaffen. Auch Maikes Eltern, Skilehrer, Scheichs und verlorene Zähne sorgen dafür, dass er von einer Katastrophe in die nächste schlittert. Als schließlich noch Maikes Sandkastenliebe auftaucht, wird Alexs Gefühlsleben auf eine harte Probe gestellt. Leseprobe: Es wurde jetzt wirklich höchste Zeit für ein Bremsmanöver. Ich versuchte, die V-Form herzustellen. Tatsächlich gelang es mir, etwas langsamer zu werden und nach rechts zu schwenken. Leider schälte sich erneut ein Umriss aus dem Nebel. Diesmal deutlich höher, dunkler und sehr stationär. Scheiße ein Baum! Wieso standen die hier überall herum? Nicht falsch verstehen: Ich liebe Bäume. Aber in den Bergen, mitten auf den Skipisten, hatten die doch wirklich nichts zu suchen. Und in diese mächtige Tanne da vor mir würde Alexander Humbolt, die ampelfarbene Pizzaschnitte, voll reinknallen. Das war mal sicher!

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vorwort in eigener Sache
Nebel, Schnee und frische Fische
Im Tiefflug Richtung Alpen
Perlenketten und Toiletten
Der Schah ist da
Fondue mit Schuss
Schöne Bescherung!
Von Eisbären und Pinguinen
Runter kommen sie alle
Sessellift und Dalmatiner
Zivilisation – wo bist du?
Saunahitze und kalte Füße
Sandkastenfreunde
Jagatee mit Anlauf
Wer bremst, verliert
Der Frosch im Schwimmbad
Zwerge über den Bäumen
Hol mal einer die Kuh vom Eis
Wer hat den Größten?
Silvesterparty ...
... mit Knalleffekt
Snowboards und andere Katastrophen
Rezensionen ... aber das wisst ihr ja schon

Heiko Kohfink

Voll vereist

Skichaoten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tolino media ISBN: 9783819404504

Copyright © 2021 Heiko Kohfink

Erste Auflage

 

Verfasser: Heiko Kohfink

Uhlandstr.7, 72124 Pliezhausen

Kontakt: https://www.heiko-kohfink.de

 

Coverdesign: Manuela Büchler

Bildquellen:

© iStock, Animaflora ID: 1191901509

© iStock, anatols ID: 501798962

© Unsplash, Alberto Restifo, cFpIR9ZGnAk.jpg

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Der Autor übernimmt keine Haftung für die Inhalte der genannten Webseiten Dritter, da er sich diese nicht zu eigen macht, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweist.

Zu diesem Buch: Alexander Humbolt hat es endlich geschafft, seine Traumfrau Maike für sich zu gewinnen.

Nun steht Weihnachten vor der Tür: Das Fest der Liebe! Kurzerhand geht es in einen spontanen Skiurlaub.

Und damit fangen die Probleme für Alex an, denn wer hätte gedacht, dass einige freie Tage so viele Tücken und Fallstricke bereithalten?

In den Kitzbüheler Alpen angekommen, machen ihm nicht nur so profane Dinge wie Einkauf, Nebel und Kälte zu schaffen. Auch Maikes Eltern, Skilehrer, Scheichs und verlorene Zähne sorgen dafür, dass er von einer Katastrophe in die nächste schlittert.

Als schließlich noch Maikes Sandkastenliebe auftaucht, wird Alexanders Gefühlsleben auf eine harte Probe gestellt.

 

Heiko Kohfink, 1967 in Reutlingen geboren, ist Techniker und lebt mit seiner Frau, die ebenfalls schriftstellert, in der Nähe seiner Heimatstadt.

Inspiriert durch das Lesen, das schon immer seine größte Leidenschaft war, hat er sich vor einiger Zeit ans Schreiben gewagt. Dabei zählen vor allem SF und Fantasy, aber auch Humor zu seinen bevorzugten Genres.

Wenn er nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt und über neuen Buchprojekten brütet, verbringt er gerne Zeit mit seinen beiden Söhnen. Er unternimmt lange Spaziergänge, liest viel oder bringt mit seinem oft sehr speziellen Humor seine Familie an den Rand der Verzweiflung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Dich, Mama

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort in eigener Sache

 

Auch im zweiten Band stolpert Alexander von einer Katastrophe in die nächste. Und wieder ist es mir ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass ich mich über niemanden lustig machen will. Wenn überhaupt irgendjemand auf die Schippe genommen wird, dann bin ich das selbst, da die meisten Kapitel erneut meinen eigenen Erlebnissen entspringen.

Und noch etwas möchte ich gleich zu Beginn loswerden: Ich habe mich entschlossen, Ihnen das Du anzubieten. Ja, richtig gelesen. Da sich keiner wehrt und ich auch niemanden empört aufschreien höre, ist es also beschlossen.

 

Moment – da ganz hinten in der letzten Reihe meldet sich einer. Wie bitte? Du hast das erste Buch mit dem schönen Titel »Voll behämmert – Jobchaoten« nicht gelesen? Du fängst eine Comedy-Buchreihe mit dem zweiten Band an? Für den Fall, dass Du bisher nicht geahnt hast, dass vor »Voll vereist – Skichaoten« noch etwas anderes mit Alexander und Maike existierte, dann liegt der Fehler selbstverständlich ausschließlich bei mir und ich entschuldige mich in aller Form bei Dir. Wie konnte ich nur so unaufmerksam sein?

Nichtsdestotrotz würde ich Dir empfehlen, zuerst mit voll behämmert – Jobchaoten loszulegen. Auch wenn das einen massiven Einbruch Deiner aktuellen finanziellen Lage bedeuten sollte. Vieles, was sonst eventuell zu Verwirrung führen könnte, wird so erklärt, und ich verspreche Dir, dass der erste Band dem, den Du im Moment in Händen hältst, in nichts nachsteht.

Für alle, denen der Gedanke, ein zweites Buch von mir käuflich zu erwerben, zutiefst zuwider ist, kommt hier die Entwarnung: Natürlich kann auch diese Geschichte – wie jede andere, die ich bisher geschrieben habe – für sich allein gelesen werden. Weder Vorgänger noch Nachfolger sind für deren Verständnis notwendig. Aber eben manchmal hilfreich.

Und jetzt ein kurzer Überblick darüber, was vor »Voll vereist – Skichaoten« passiert ist:

 

Alexander Humbolt, vierundzwanzig Jahre jung und Single, stürzt sich nach Schule, FSJ und seiner Ausbildung ins Berufsleben.

In einer überregionalen Stiftung für behinderte, alte und hilfsbedürftige Menschen gibt er mit seinen Kollegen jeden Tag sein Bestes, Häuser, Einrichtungen und Ausrüstung instandzuhalten.

Seine Dienstwohnung, die er bereits wenige Wochen später beziehen kann, scheint das Glück perfekt zu machen. Die erste eigene Bude! Doch schon bald bekommt die Idylle Risse. Ungeschickte Nachbarn versetzen Alex dabei ebenso in Angst und Schrecken wie Volksmusikmarathons und nächtliche Spontanpartys. Die Nerven liegen blank!

Bei der Arbeit sorgen todesmutige Kollegen, alkoholisierte Panzerfahrer und hoch motivierte Feuerlöscher dafür, dass keine Langeweile aufkommt. Und dann gibt es da auch noch die süße Maike, die ihm total den Kopf verdreht und die er mit waghalsigen Stunts und romantischen Abendessen für sich gewinnen möchte.

Nach der betriebseigenen Weihnachtsfeier, die vor allem durch die unfreiwillige Einnahme nicht zu unterschätzender Mengen Alkohols seines ansonsten vollkommen abstinenten Meisters zu einem denkwürdigen Ereignis wird, gelingt es Alex endlich, seine Maike für sich zu gewinnen. Oder vielmehr glückt es eher ihr, doch das liest du – wie schon gesagt – am besten selber nach.

 

Und genau an diesem Punkt setzt »Voll vereist – Skichaoten« an und stürzt Alex in das Urlaubschaos, aus dem er sich mit Witz, Ironie, Charme und einer gehörigen Portion Glück befreien muss.

 

Ich wünsche Dir nun viel Spaß beim Lesen und ohne weiteres Geschwafel geht es jetzt los:

 

 

 

 

 

 

Nebel, Schnee und frische Fische

 

Verdammt, wie konnte ich nur in so einen Mist reingeraten.

Hasenfuß, wie ich meine innere Stimme getauft hatte, formulierte es wesentlich deutlicher. Deshalb aber nicht weniger richtig: Dieses Mal werden wir ganz sicher dabei draufgehen!

Im Moment sprach alles dafür, dass er recht hatte. Aus dieser Lage gab es kein Entrinnen. Jedenfalls nicht verletzungsfrei. Die Welt verschwamm in einem dichten, grauen, minus zehn Grad Celsius kalten Dunst, der nahezu undurchdringlich war. Ich hatte immer gedacht, Nebel entstünde nur bei wärmerem Wetter, aber das war wohl ein Trugschluss. Man sah im sprichwörtlichen Sinn des Wortes die Hand vor Augen nicht mehr. Und es war hier schweinekalt.

Dass diese absolute Tieftemperatur mir dennoch nichts ausmachte, verdankte ich meiner nagelneuen Ausrüstung. In der neongelben Jacke fühlte ich mich zwar wie ein in Eierlikör getauchtes Marshmallow, aber warm war sie schon! Auch die neongrüne Hose sorgte dafür, dass die Kälte nicht durchdrang. Ebenso die dicken, schwarzen Handschuhe, die es zu Maikes Leidwesen leider nicht in einer fröhlicheren Farbe gegeben hatte. Dafür strahlte der Helm wieder in einem wunderschönen Signalrot! Wie ein Riesengummibärchen in kombinierter Himbeere-Zitrone-Apfel-Geschmacksrichtung auszusehen, war echt peinlich.

Doch es hatte auch durchaus Vorteile, in dieser Erbsensuppe wie eine selbstleuchtende Ampelanlage herumzustehen. Da wedelten die verhinderten Skirennfahrer und Kamikaze-Snowboarder jeden Alters, von denen es auf den Hängen um Saalbach nur so wimmelte, wenigstens an mir vorbei, statt mich einfach umzunieten. Ich zog die beschlagene Skibrille mit den orangefarben bedampften Gläsern von den Augen und dachte dabei an den Einkauf mit Maike, der mir zu diesem schillernden Outfit verholfen hatte.

 

Gleich nach der Ankunft gestern Nachmittag waren wir losgezogen, um im wunderschön verschneiten Saalbach eine Skiausrüstung für mich zu organisieren. Da hier jeder zweite Laden winterliche Sportartikel verkaufte – bei den übrigen handelte es sich um Après-Ski-Bars – gestaltete sich die Suche nach dem richtigen Einzelhändler vergleichsweise einfach.

Die Worte der Verkaufskanone, der ich letztlich mein Hightech-Equipment verdankte, klangen mir immer noch in den Ohren. Der Mann, der wie ein jugendlicher Klon aus dem Genmaterial von Reinhold Messner und Arnold Schwarzenegger wirkte, war zweifelsohne ein Verkaufstalent. Sebastian stand auf seinem Namensschild.

Mit einem freundschaftlichen »Ühr könnds Bosti zumr sogn«[Fußnote 1], versuchte er, eine Wohlfühl-Einkaufsatmosphäre zu kreieren. Das gelang jedoch nur ansatzweise, da ich mich auf der Suche nach einem halbwegs bezahlbaren Outfit bereits durch den dritten Kleiderständer wühlte. Mit sehr mäßigem Erfolg, wohlgemerkt!

Ich nannte meine Wünsche und wie der Geist aus der Lampe stürzte er, nachdem ich abschätzend gemustert worden war, hilfsbereit davon. Nur um wenige Minuten später schwerbepackt wieder vor Maike und mir aufzutauchen. Die Jacken und Hosen, die er mitbrachte, schillerten in jeder Farbe des Spektrums. Vermutlich sogar im für mich nicht wahrnehmbaren Bereich, aber das sah ich glücklicherweise nicht.

Meine vorsichtige Anfrage, ob es denn nicht auch etwas in Grau oder Schwarz gäbe, führte zu dermaßen entsetzten Mienen bei Basti und Maike, dass ich beschloss, eine längere Schweigepause einzulegen und meiner Freundin das Aussuchen zu überlassen. Schnell entschieden sich die beiden für eine Montur in der Preisklasse von zwei Monatsgehältern.

»Die Hose ist unverwüstlich. Dreifach verschweißte Nähte – die hält alles aus. Da kanns dich noch so oft reinhauen, die geht nicht kaputt.«

Ich hatte eigentlich nicht vor, mehr als notwendig im Schnee zu landen. Doch es war tröstlich, dass die Hose dabei keine Schäden davontragen würde.

Witzig: Sobald er sich ins Verkaufsgespräch stürzte, verlor sich sein österreichischer Dialekt komplett. Basti ging dazu über, mir Funktionsunterwäsche, extra dicke atmungsaktive Skisocken, doppelt vernähte Handschuhe und weiteres Equipment vorzustellen. Wie die Socken in den hermetisch abgeschlossenen, harten Skistiefeln atmen sollten, konnte ich mir jetzt echt nicht so richtig vorstellen. Aber der Basti wusste sicher, wovon er sprach. Immerhin hatte ich von den meisten Teilen vor einer Stunde noch nicht einmal geahnt, dass es sie überhaupt gab.

Bei den mit USB-Anschluss ausgestatteten, beheizbaren Einlegesohlen inklusive Akkupacks, die man sich um die Unterschenkel schnallen konnte, wurde es dann aber sogar Maike, die den Kauf meiner Ausrüstung bisher entzückt gemanagt hatte, zu viel. Sie winkte ab und ließ anklingen, mir zum Schluss noch eine »geile« Skibrille schenken zu wollen. Unser Verkaufstalent witterte seine letzte Chance und ging zum finalen Angriff über. Eine schillernde, goldfarbene Riesenbrille wurde mir ohne Vorwarnung vor die Augen gehalten und der Laden erstrahlte plötzlich in Rot- und Gelbtönen.

»Die Goggle ist absolut lässig und das Neueste auf dem Markt«, begeisterte sich Conan, der Bergsteiger. »Die komplettiert dein Outfit perfekt. Vollrand, Mehrfachbelüftung, fünffach verspiegelte Scheiben, extrem breites Sichtfeld, Duplex-Antifog-Beschichtung und Schutzklasse zwei. Damit bist du gegen die Strahlung auf den Hängen besser geschützt als die Wartungsmannschaften eines Atomkraftwerks in der Reaktorkammer.«

Ich war verwirrt. Diese Informationsflut überforderte mein Gehirn, das, wie der Rest von mir, immer noch damit beschäftigt war, sich an die Schweinekälte in den Kitzbüheler Alpen zu gewöhnen. Obwohl tiefe Temperaturen bei Computern eigentlich eher dazu führen, dass diese besser und vor allem schneller liefen, schien das bei dem Rechner in meinem Kopf irgendwie nicht zu klappen. Jedenfalls nahm das Gehirn den Scherz am Schluss nicht als solchen wahr. Konnte ja mal passieren! Meine offensichtliche Verwirrung hielt Basti auch nicht davon ab, noch nachzulegen.

»Ist ne echte Downhill Goggle und außerdem OTG-tauglich!«, strahlte er mich an.

Ach ja, klar – OTG – hörte man ja jetzt öfters ...

Keine Ahnung, was er mir damit sagen wollte.

OTG – ordentlich teures Gerät?, ging mir durch den Kopf, als ich das Preisschild an dem Hightech-Accessoire für den passionierten Skirennfahrer beäugte. Fast siebzig Euro riefen die für dieses glänzende Teil aus Kunststoff auf?

»Das bedeutet nur, dass du eine Brille drunter tragen kannst«, klärte mich Maike dankenswerterweise auf. Das war ja toll. Brauchte ich im Moment zwar nicht, aber man wurde ja älter. Da war dieses Feature in einigen Jahren vielleicht noch ganz nützlich. Zumindest, wenn der Rest der Brille bis dahin nicht den Geist aufgab.

War ich wirklich der einzige Vollhorst, der diese Flut von Spezialbegriffen und Anglizismen nicht verstand? Musste wohl so sein, denn meine Freundin schien alles zu verstehen. Während sie mir das Teil vorsichtig wieder abnahm, stellte sich mir nur eine Frage: Was bedeutete überhaupt »Downhill«? Gab es auch Brillen, mit denen man bergauf fuhr? Sah ich womöglich durch dieses Ding beim Hinaufliften auf den Berg nichts mehr? Doch bevor ich mich hier mit einer diesbezüglichen Frage endgültig disqualifizieren und als absoluten Skihonk outen konnte, rettete mich Maike.

»Super, alles klar«, freute sie sich, »die kaufen wir dazu. Danke schön.«

Damit schnappte sie sich Brille, Hose Jacke und Helm und trabte Richtung Kasse. Mit einem »Ja, äh, auch von meiner Seite ein herzliches Danke schön!«, lief ich verwirrt hinterher.

Die Goggle?!

Gab es denn nur noch Verrückte auf der Welt? Ich brauchte eine einfache Skibrille und wollte mir keine Internetsuchmaschine über die Augen ziehen! Auch wenn die sich geringfügig anders schrieb. Was sagte man wohl heutzutage, wenn eine Lesebrille gebraucht wurde?

Hey, Meister, ich bräuchte da mal ne Goggle zum Bücher lesen?

Giuseppe wäre begeistert gewesen. Ich war es weniger. Vor allem deshalb, weil ich den Preis kannte. Auch wenn Maike mir das Teil schenkte, war das eindeutig Abzocke auf höchstem Niveau.

Dafür hätten wir im Taj Mahal ein leckeres Essen bekommen. Inklusive Dessert. Aber natürlich ohne Antifog und sonstigem Tralala ...

 

»Alex, alles in Ordnung bei dir?«, ertönte Maikes Stimme aus dem dichten Grau vor mir und riss mich aus den Gedanken.

Wobei »vor mir« in diesem Fall nicht ganz stimmte. Irgendwo von tief unten wehten die Worte den Hang herauf. Dort wartete sie, dass ich mir endlich ein Herz fasste und meine neuen Skier über die Kante vor mir gleiten ließ. Die nagelneuen Bretter waren auch nicht das Problem, die hätte ich sofort runtergejagt. Nur leider hing ich an den Dingern mit dran!

 

Wieder trugen mich meine Gedanken zum Einkauf zurück. Nachdem das Outfit eingekauft war, ging es ohne Pause in die Abteilung »Wintersportartikel«, um auch hier das passende Equipment auszusuchen.

Halbe Sachen gab es nicht für Maike. Da kam sie nach ihrer Mutter. Den Einwand, Schuhe und Skier könnten doch ausgeliehen werden, ignorierte sie schlichtweg.

»Du brauchst eine gute eigene Ausrüstung«, tat sie die Idee kopfschüttelnd ab. »Sonst fühlst du dich nachher auf der Piste nicht sicher.«

Konnte man so sehen, musste aber nicht sein. Jedenfalls ergab ich mich in mein Schicksal und folgte ihr in Richtung der entsprechenden Fachabteilung. Da hatte ich noch die irrige Idee gehabt, der Einkauf von Skiern, Stiefeln und Stöcken müsste eigentlich schneller gehen, als passende Klamotten rauszusuchen. Ich wusste meine Schuhgröße, da war ein Stiefel ja wohl im Handumdrehen gefunden. Und die richtigen Bretter dazu? Na ja Skier eben, wie schwer konnte das schon sein?

Doch der Verkäufer – dem Aussehen nach ein Bruder von Basti – belehrte mich eines Besseren. Auch er war ein Einheimischer. Zumindest ließ seine Namensplakette das erahnen: Florian Hinterhofer stand da zu lesen.

»Wos megds denn ollweil fir an Schier? Carving, All Mountain, Freestyle, Twin Tip odr an Freeride? Ah, on Ihr kennds Flori zumr sogn.«[Fußnote 2]

Flori? Ja, war eigentlich klar gewesen. Vermutlich kürzte jeder in den Bergen seinen Vornamen ab. Was aus mir dann wohl einen Ali machte. Oder Alexi, aber das hörte sich auch nicht besser an.

»Öh, tja, also äh«, sprudelte die Unkenntnis nur so aus mir heraus. Keinen Schimmer, was der Flori da gesagt hatte. Erneut rettete mich meine Maike davor, wie ein kompletter Idiot dazustehen.

»Carving sind, glaube ich, ganz gut«, erwiderte sie geistesgegenwärtig. Sie schien wieder einmal verstanden zu haben, was der Verkäufer meinte. Der setzte gleich noch einen drauf:

»Sport-, Slalom-, Race- oder Crosscarver?«

Entgeistert starrte ich Maike an. Doch auch sie war wohl mit ihrem Latein so langsam am Ende und sah ebenfalls ziemlich überfordert drein.

»Könnten Sie uns die Unterschiede mal kurz erläutern?«, fragte sie daher freundlich.

»Jo, sicha. Crosscarver sann gmäßigte Racecarver odr a Sportcarver mit am greßren Radius. Dia sann ned ganz so hoard und fuil kraftspornder zum Fohrn, ols wia dia Racecarver ... quasi dia Racecarver für da gonze Dog«[Fußnote 3], erläuterte Flori.

Na, damit wäre dann ja alles geklärt, kam die ironische Antwort meiner inneren Stimme.

Er musterte mich intensiv und wartete wohl auf Fragen, während ich noch versuchte, die Informationen zuzuordnen. Crosscarver, Racecarver, Sportcarver – wo war ich hier nur wieder reingeraten?

»Du büschd an Ofänga, rüchtig?«, schätzte er die Gesamtsituation absolut korrekt ein.

»Merkt man, oder?«

Er stimmte zu: »Do wüad i dir zu anam kurza Allround-Carver rodn. Do mochsd nix folsch. Dia sann ned so schnöll, dröhn oba leichda und öndsprecha döim Sküll.«[Fußnote 4]

Ich nickte. Der Flori, das war ein Netter. Das mit dem Skill hatte er schön gesagt, obwohl auch totaler Anfänger, Skiniete oder Pistenlusche richtig gewesen wären. Spontan entschloss ich, seiner Empfehlung zu hundert Prozent zu vertrauen und so verließen Maike und ich nach einer weiteren Stunde vollbepackt den Laden. Der abschließende Bezahlvorgang brachte mich ordentlich zum Schwitzen. Wenigstens machte das die Kälte etwas erträglicher. Mit der Ausrüstung über den Schultern stapften wir durch den Schnee zurück in unser Hotel. Die war ganz schön schwer. Dafür fühlte sich mein Geldbeutel umso leichter an – das entlastete doch gleich ungemein die Bandscheiben.

 

»Du kannst einfach losfahren«, drang Maikes Stimme erneut aus dem nebulösen Nichts und riss mich noch einmal aus den Gedanken.

Aha, einfach losfahren. Na dann.

Sie hatte leicht reden. Immerhin stand ich am Rand eines ... Hundertprozentig sagen konnte ich das nicht. Dafür war der Nebel echt zu dicht. In dieser Suppe sah man keinen Meter weit. Mit dem Auto wäre ich längst rechts rangefahren und hätte auf Wetterbesserung gewartet. Doch hier und jetzt blieb mir wohl nichts anderes übrig, als mich in den nahezu sicheren Tod zu stürzen.

»Ich komme ja schon!«, brüllte ich in den Nebel.

»Super«, kam das weibliche Echo zurück, »und denk immer dran: Stockeinsatz, Gewicht verlagern und RUM!«

Rum klang gut. Allerdings war mir der in einem Longdrinkglas lieber. Am besten mit Cola und Eis. Ich rekapitulierte den zweistündigen Ski-Crashkurs, den Maike mir heute Morgen auf der Anfängerpiste gegeben hatte. Idiotenhügel wurden die auch genannt. Fand ich aber erst später raus. Wobei der Name in meinem Fall durchaus angebracht war. So oft, wie es mich dort reingehauen hatte, wäre es besser gewesen, einfach liegen zu bleiben, um auf dem Bauch wie eine Robbe auf dem Eis nach unten zu gleiten.

Doch ich machte erstaunlich schnell Fortschritte. Und so beschlossen Maike und ihre Eltern, mit denen wir angereist waren, eine blaue Piste mit mir zu wagen. Bei dem Begriff hellte sich meine Miene sofort auf. Das klang nach Spaß, Alkohol und RUM – um wieder darauf zurückzukommen. Einmal mehr hatte mich Maike aufgeklärt:

»Die Farbe gibt den Schwierigkeitsgrad der Abfahrt an. Blaue Pisten sind total leicht. Für Anfänger wie dich ideal. Auf die roten wagen sich die etwas erfahreneren Skifahrer und auf den schwarzen Strecken sind nur absolute Profis unterwegs.«

Ich nickte. Ja, das machte Sinn. Doch für Menschen mit Farbsehschwäche war so ein Skigebiet bestimmt spannend ...

Tatsächlich gestaltete sich die Abfahrt auf der ersten Skipiste meines Lebens dann aber ziemlich unspektakulär. Und nicht so schwer, wie ich es mir vorher vorgestellt hatte. Nur die ganzen Irren und Lebensmüden um mich herum, die von links, rechts und vor allem von hinten angeschossen kamen, machten das Skifahren etwas beschwerlich.

Da war die Goggle nun so teuer gewesen und hatte nicht einmal Rückspiegel. Der Helm auch nicht – eine echte Marktlücke! Da konnte man vielleicht Kapital draus schlagen.

So langsam, wie ich das erste Mal den Hang hinuntergekrochen war, grenzte es an ein Wunder, dass ich dabei nicht auf Gegenverkehr gestoßen war!

»Super, Alex, ich bin stolz auf dich!«, freute sich Maike, als wir unten ankamen und ich noch alle Gliedmaßen, meine komplette Ausrüstung und keinerlei neue blaue Flecke besaß. Wobei ich mir bei Letzteren nicht so ganz sicher war. Doch um die Aufklärung dieser Frage konnte sich Maike ja später noch auf dem Hotelzimmer kümmern.

Jedenfalls fühlte ich mich wie der Pistengott höchstpersönlich und hatte daher keine Einwände, als Arne – der Papa von Maike – vorschlug, eine weitere Abfahrt auszuprobieren. Obwohl an den Hängen bereits Nebelfetzen entlangzogen, ließ ich mich darauf ein und wir lifteten hinauf. Was ein Fehler war! Doch das ging mir leider erst später auf. Besser gesagt, eigentlich gerade jetzt im Moment. Ich stand hier an der Abbruchkante ins Nichts.

Na ja, was kann schon schiefgehen? Der Schnee ist ja weich, wenn es mich reinhaut ...

Also mir fällt da eine ganze Menge ein, meldete sich Hasenfuß wieder einmal zu Wort. Knochenbrüche, Bäume die im Weg stehen, entgegenkommende Pistenraupen, schwere Erfrier ...

Schnauze, herrschte ich ihn an und katapultierte mich todesmutig mit den Skistöcken über die Kante.

Oh Gott, ich werde sterben, war mein nächster Gedanke. Viel zu schnell nahm ich Fahrt auf. Geradeaus ging es schon mal richtig gut. Ich kniff Augen und Arschbacken zusammen und versuchte mich an einer Kurve.

Stockeinsatz, Gewicht verlagern und ...

Bis zum rum klappte alles. Leider schwang ich nicht in eine elegante Kurve, sondern bretterte weiterhin geradeaus den Hang hinab.

Wenigstens seh ich in dem Nebel nicht, wohin es geht!

 

Ein Schemen raste an mir vorbei. Irgendwie pinkfarben. Für ein rosa Bergkaninchen eindeutig zu groß. Außerdem rief er mir ein verzweifeltes »Du musst rumschwingen!« zu.

»Das ist nicht so einfach«, brüllte ich zurück und überlegte, was von mir übrig bleiben würde, wenn ich stockvoll in eine der vielen Tannen reinknallen würde, die hier überall herumstanden. Erneut versuchte ich mich an einer Kurve. Oder wenigstens daran, etwas Geschwindigkeit aus meiner Schussfahrt herauszunehmen. Was hat Maike noch zum Bremsen gesagt?

Pflug!, kreischte Hasenfuß entsetzt auf, mach den Pflug, du Idiot, sonst gehen wir drauf!

Oh, ja, richtig. Pflug!

Eine Gruppe Kinder, die in der Frühe ebenfalls auf dem Idiotenhügel geübt hatten, kamen mir in den Kopf. Die hatten mir bei meinen kläglichen Versuchen, diese Technik anzuwenden, zugesehen. Mitleidig!

Mit V-förmig ausgestellten Brettern waren sie wie eine neonbunte Entenfamilie hinter ihrer Skilehrerin hergefahren.

»Denk an ein Pizzastück«, waren die Worte eines kleinen Mädchens gewesen, als ich wieder einmal in den Schnee kippte, bevor meine Skier auch nur annähernd in der richtigen Position waren.

Pizza wär mir jetzt auch lieber, dachte ich. Am besten mit Maike im Zimmer.

Die Vorstellung war schön. Brachte mich im Angesicht des Todes leider nicht wirklich weiter. Und wenn diese Schussfahrt so weiterging, konnte ich die Pizza vermutlich gleich im Krankenhaus zu mir nehmen. Im Vierbettzimmer, oder was immer in Österreich auf einen deutschen Kassenpatienten so wartete ...

Es wurde jetzt wirklich höchste Zeit für ein Bremsmanöver. Ich versuchte, die V-Form herzustellen. Tatsächlich gelang es mir, etwas langsamer zu werden und nach rechts zu schwenken. Leider schälte sich erneut ein Umriss aus dem Nebel. Diesmal deutlich höher, dunkler und sehr stationär.

Scheiße ein Baum!

Wieso standen die hier überall herum? Nicht falsch verstehen: Ich liebe Bäume. Aber in den Bergen, mitten auf den Skipisten, hatten die doch wirklich nichts zu suchen. Und in diese mächtige Tanne da vor mir würde Alexander Humbolt, die ampelfarbene Pizzaschnitte, voll reinknallen. Das war mal sicher!

In höchster Verzweiflung startete ich einen letzten Ausweichversuch, rammte den Skistock in den Schnee und hüpfte ungelenk in die Luft. Gleichzeitig verlagerte ich mein gesamtes Gewicht nach rechts und tatsächlich: Ich schwang herum. Glückshormone vermischten sich mit dem bereits ausgeschütteten Adrenalin und bescherten mir ein Hochgefühl wie noch nie. Leider nur kurz, da ich dem Baum zwar um Haaresbreite entging, dafür aber nun auf das seitliche Ende der Piste zuhielt. Hier tauchte etwas Rotes vor mir auf. Im nächsten Moment knallte ich in ein Absperrnetz, das eine gnädige Seele hier aufgestellt hatte, und das mich vor größeren Schäden bewahrte.

Ich kniff entsetzt die Augen zu. Sicher war es besser, nichts von dem mitzubekommen, was nun folgte. Der Pistenschutz bremste mich in wenigen Zehntelsekunden auf null herunter.

Schließlich hatte ich meine endgültige Parkposition erreicht. Stille kehrte ein und außer dem Knirschen des Schnees war nichts mehr zu hören. Ich beschloss, einen vorsichtigen Blick zu riskieren. Gleichzeitig testete ich sämtliche Gliedmaßen durch und stellte erleichtert fest, dass alles noch funktionierte. Wenngleich die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war, hatte ich wohl keine größeren Schäden davongetragen. Von meinem angeknacksten Selbstwertgefühl mal abgesehen!

Vom Schutzzaun war ich wie ein Tennisball bei einem Aufschlag ins Netz abgefangen worden. Was erst mal gut war. Nicht so toll fand ich aber, dass sich dabei das rote Geflecht so um mich geschlungen hatte, dass ich jetzt eingewickelt wie eine Kohlroulade dalag. Alle Versuche wieder auf die Beine zu kommen und diesem lebensrettenden, aber nichtsdestotrotz heimtückischen Rettungszaun aus Nylonfäden zu entgehen, schlugen fehl. Im Gegenteil, ich verstrickte mich nur noch mehr darin. Schließlich gab ich auf und blieb keuchend liegen.

Gefangen, wie ein Fisch im Netz!

»Alex?«

Der Ruf aus dem Nebel stellte meinen Lebensmut wieder her. Zumindest teilweise.

»Hilfe!«, brüllte ich zurück, »Ich bin hier drüben.«

»Wo?«

Berechtigte Frage. Hier drüben war ja nicht gerade eine präzise Positionsbeschreibung.

»Äh, irgendwo rechts«, erwiderte ich daher, »bin in ein Schutznetz gekracht und hab mich irgendwie verheddert. Du musst mir helfen, ich komm hier nicht mehr raus!«

Der rosa Schemen von vorhin materialisierte erneut im Nebel. Als er schließlich mit einem eleganten Schwung neben mir abbremste, atmete ich erleichtert auf. Maike hatte mich gefunden!

»Na, das ist mal ein fetter Fisch, der da ins Netz gegangen ist«, kicherte sie.

»Ja, haha, ich lache dann später«, entgegnete ich – meine Knochen sortierend. »Ob sich Kapitänin Schmied wohl mal um den Beifang kümmern könnte? Im Moment bin ich zwar fangfrisch und zappel noch, aber wenn ich erst tiefgefroren wie ein Fischstäbchen hier liege, wird es vielleicht schwieriger.«

 

Im Tiefflug Richtung Alpen

 

Einige Stunden später lag ich entspannt im Hotelbett. Was eindeutig besser war, als wie der letzte Honk in einem Skischutzzaun herumzuhängen. Jedenfalls war mir dort die Lust auf eine weitere Abfahrt spontan verloren gegangen. Aber so was von!

Maikes Eltern nicht. Die lifteten trotz des dicken Nebels noch einmal hinauf. Nach einem lauten »Ski Heil«, das wir dem schwankenden Sessellift hinterher gebrüllt hatten, waren wir in unseren klobigen Skistiefeln Richtung Hotel gewatschelt. Kaum fiel die Zimmertür hinter uns zu, kümmerte sich Kapitänin Schmied hingebungsvoll um den Beifang. Was sich auf jeden Fall besser anfühlte, als im Netz zu hängen ...

 

Meine Gedanken trieben zurück zu dem Abend der Firmenweihnachtsfeier, während Maike leise atmend bei mir im Arm lag. Da hatte sie das erste Mal die Nacht bei mir verbracht. Eigentlich nicht bei, sondern unter, über und neben mir. An Schlaf war da nicht zu denken gewesen.

Am nächsten Tag waren wir das erste Mal zusammen aufgewacht. Ich erinnerte mich noch ganz genau daran, wie meine süße Blondine damals friedlich schlummernd neben mir lag. Als sie dann ebenfalls die Augen aufschlug, und mich verschlafen anlächelte, war ich der glücklichste Mann auf der Welt. Und das hatte sich bisher nicht geändert. Kunststück, schließlich war das ja auch erst vier Tage her!

Mit Maike würde ich den Rest des Lebens verbringen. Daher stimmte ich auch sofort zu, als sie vorschlug, ich könne sie doch zu ihren Eltern nach Berlin begleiten, um dort zusammen Weihnachten zu feiern.

»Wie sollen wir da denn hinkommen? Dein Wagen hat doch gestern Abend den Geist aufgegeben. Um den müssen wir uns erst mal kümmern«, gab ich zu bedenken. Schließlich hatte sich der kleine Fiat noch am Abend zuvor hartnäckig geweigert, anzuspringen. Der rote Italiener hatte sich damit einen festen Platz in der Liste meiner besten Freunde verdient, sofern man ein Auto dazuzählen durfte. Letztendlich sorgte sein Streik ja dafür, dass Maike bei mir übernachten musste. Zu meiner Überraschung grinste die mich jedoch nur frech an.

»Dem fehlt überhaupt nichts«, schmunzelte sie. »Ich wollte nur nicht heim, und viel lieber bei Dir bleiben. Kannst du mir die kleine Notlüge noch einmal verzeihen?«

Meine Antwort fiel da weniger wortreich aus. Über das Verzeihen musste ich natürlich erst mal nachdenken. Aber nur kurz. Ich zog sie an mich und flüsterte ihr ins Ohr, wie ich mir das im Detail vorstellte. Eine halbe Stunde später schwitzten wir ordentlich. Und das lag nicht nur an den hochsommerlichen Temperaturen, die der defekte Küchenheizkörper in meiner kleinen Wohnung verbreitete.

 

Auch jetzt, als ich mich daran zurückerinnerte, stellte sich wieder dieses unheimlich zufriedene Gefühl ein, das mich immer überkam, wenn Maike in meiner Nähe war. Glücklich streckte ich mich im Bett aus und beobachtete durch das Fenster unseres gemütlichen Hotelzimmers, wie es draußen langsam dämmerte. Ich strich Maike mit der Hand über die Haare, woraufhin ein unwilliges Brummen ertönte.

»Hmmm, was ist denn?«

»Es wird langsam Zeit, du Schlafmütze«, erwiderte ich, »schließlich haben wir uns mit deinen Eltern um halb sieben zum Abendessen verabredet. Und eine Dusche vorher könnte nicht schaden!«

»Du hast recht«, entgegnete sie. Plötzlich war sie hellwach. »Du stinkst nach kaltem Schweiß.«

Und mit einem schelmischen Grinsen fügte sie hinzu: »Und seltsamerweise auch irgendwie nach Fisch. Komisch, nicht wahr?«

Damit hüpfte sie kichernd aus dem Bett und verschwand im Bad.

 

Eine halbe Stunde später verließen wir unser Zimmer, dessen Kiefernholztüre leise zufiel. Da ich wieder einmal nur Augen für meine Freundin hatte, stolperte ich in einen jungen Mann in Hoteluniform hinein, der im Flur neben einem Reinigungswagen stand. Er füllte gerade die Utensilien auf dem Wagen aus einem kleinen Vorratsraum auf, der direkt an unser Zimmer angrenzte.

Gut zu wissen, falls mal das Toilettenpapier ausgeht!

»Oh, das tut mir echt leid«, rief ich. »Hab Sie gar nicht gesehen!«

»Ist ja nichts passiert«, gab er freundlich zurück und widmete sich nach dieser kurzen Störung wieder seinen Aufgaben. Maike kicherte, als wir weiterliefen.

»Was ist denn da so lustig?«

»Hast du es nicht bemerkt?«, lachte sie. »Dein Hemd und die Hose sehen genau gleich aus wie die Uniform des Mannes eben. Wenn du dir noch eine dieser Arbeitswesten anziehst, kannst du direkt anfangen, hier zu arbeiten.«

Ich sah mich nochmals um. Maike hatte recht. War mir bisher überhaupt nicht aufgefallen.

Über einen Verbindungsgang, der das Gästehaus, in dem unser Zimmer lag, mit dem Hotelgebäude verband, ging es an der Sauna vorbei Richtung Treppenhaus. Es duftete nach Pinienaufguss, warmem Wasser und ätherischen Ölen. Maike warf mir einen verführerischen Blick zu.

»Da müssen wir unbedingt mal nach dem Skilaufen rein. Das entspannt die Muskulatur und macht so herrlich müde.«

»Also, das eben auf dem Zimmer hat mich auch entspannt«, antwortete ich und versuchte dabei, ihren Schlafzimmerblick zu imitieren. »Und ordentlich müde waren wir auch. Kann mir nicht vorstellen, dass ein Saunagang erholsamer ist. Oder mehr Spaß macht.«

»Warts ab!«, flüsterte sie.

Mir wurde heiß, obwohl wir außen vor der Sauna standen. Und das lag in erster Linie daran, dass Maike mir in den Hintern kniff. Unter der Hose!

Weniger erotisch wurde es Sekunden später. Da öffnete sich nämlich die Zimmertür gegenüber. Hanna und Arne Schmied traten in den Flur, während sich Maike bemühte, ihre Hand wieder in eine unverfänglichere Position zu bringen.

»Oh, da seid ihr ja«, rief Hanna. »So ein Zufall, genau gleichzeitig. Na, fertig zum Abendessen?«

Ich nickte und wartete darauf, dass die ziemlich unschickliche Berührung endete. Nicht, dass ich etwas gegen Maikes Hand an dieser Körperstelle gehabt hätte. Aber hier auf dem Hotelflur vor ihren Eltern? Das ging mir dann doch zu weit. Fragend schaute ich ihr ins Gesicht, das nun eindeutig Panik widerspiegelte.

»Mist, ich glaube, meine Armbanduhr hat sich irgendwo verhakt!«, flüsterte sie schockiert.

»Nicht dein Ernst?«, entgegnete ich fassungslos. »Und was machen wir jetzt?«

»Keine Ahnung. Warte, ich versuch noch mal, mich zu befreien.«

Ihre Hand wühlte in meiner Unterhose herum, als wäre sie beim Sommerschlussverkauf. Das fühlte sich zwar gar nicht so schlecht an, aber es wurde definitiv Zeit, etwas an dieser peinlichen Situation zu ändern. Ihre Eltern schienen die Gesamtsituation noch nicht gänzlich erfasst zu haben. Und Maike wollte es auch nicht drauf ankommen lassen. Ich spürte einen Ruck, als sie mit aller Kraft versuchte, meiner Hose zu entkommen, doch ohne Erfolg. Dafür wurde es vorne herum plötzlich sehr eng.

»Boah, autsch«, entfuhr es mir.

Hanna schaute überrascht. »Alles klar bei dir?«

Ich nickte nur wortlos, als ein leises reißendes Geräusch ertönte. Irgendwo hinter mir hatte eine Naht den Geist aufgegeben.

Oh Himmel, bitte nicht die Hose!

Damit haben wir ja spätestens seit deiner idiotischen Sprungturm-Aktion, damals im Schwimmbad, Erfahrung, meldete sich ausgerechnet in diesem Moment wieder einmal meine innere Stimme zu Wort. Warum musste Hasenfuß immer dann seinen Senf dazugeben, wenn es am wenigsten nutzte?

Von hinten hörte ich Lachen, das langsam lauter wurde. Hotelgäste, die ebenfalls über den Verbindungssteg Richtung Speisesaal unterwegs waren. Wenn jemand sah, was Sache war, dann die. Hier half nur die Flucht nach vorne. Oder besser gesagt zur Seite. Ich legte den rechten Arm um Maikes Hüfte, drückte mit der linken Hand die Klinke der Saunatür herunter und zog meine verhedderte Freundin mit mir.

»Ähh, da fällt mir ein ...«, stammelte ich in Richtung von Maikes Eltern, die uns die ersten, misstrauischen Blicke zuwarfen, »da wollte ich die ganze Zeit schon mal reinsehen. Dauert nur zwei Minuten!«

Höchste Eisenbahn! Die Stimmen hinter uns waren nun so laut, dass die dazugehörenden Gäste bestimmt bereits in Sicht kamen. Ich riss die Tür auf und zog Maike in die Sicherheit des Spa-Bereichs.

 

Schön war das hier. Gedämpftes goldenes Licht flutete den Raum, in dem mehrere deckenhohe Palmen für exotisches Flair sorgten. Die hatten nun so gar nichts von dem verdorrten Gemüse im Altenheim. Kunststück, bei der Luftfeuchtigkeit hier brauchte auch niemand zu gießen. Komisch, dass mir das jetzt gerade einfiel.

Asiatische Musik erklang aus unsichtbaren Deckenlautsprechern. Sollte wohl entspannen. Das konnten wir aber echt auch brauchen! Warum in Saunen, Bädern und Physiopraxen immer fernöstliche Klänge vor sich hin dudelten, war mir bisher nie so richtig aufgegangen. Doch jetzt beruhigte mich die Musik aus dem Orient tatsächlich.

Eine breite, geschwungene Theke empfing hier die Gäste. Glücklicherweise war sie im Moment unbesetzt. Überhaupt schienen wir momentan die einzigen Saunagänger zu sein. Somit blieben uns vermutlich einige Minuten, um Maikes Hand aus ihrer verfänglichen Lage zu befreien.

»Los, hinter die Theke«, rief ich und zog sie mit mir. Widerstandslos folgte sie. Na ja, Flucht war im Moment ja auch schlecht möglich.

»Was hast du denn vor?«, zischte sie leise.

»Na, was denkst du?«, gab ich zurück und öffnete den Gürtel. Die Hose rutschte sofort nach unten. An der hing die Hand schon mal nicht und das bedeutete dann wohl, dass deren Naht noch intakt war. Erleichtert seufzte ich auf.

»Ich finde, für Entwarnung ist es im Moment zu früh«, flüsterte Maike. »Ich hänge immer noch fest.«

»Kannst du sehen wo?«

Einen Augenblick blieb es verdächtig still. Ich hatte da plötzlich so eine Ahnung, warum ...

»Das ist jetzt nicht dein Ernst?«, kicherte sie schließlich. »Was ist denn DAS?«

Ich wusste sofort, was sie meinte.

»Äh, das ist meine Weihnachtsunterhose«, gab ich peinlich berührt zurück. »Die trage ich immer an Heiligabend.«

Maike lachte amüsiert auf. Ehrlich gesagt verstand ich nicht so ganz, wieso. Schließlich handelte es sich um schlichte, rentierfellbraune Shorts. Gut, der weiße Puschel hinten und das fröhliche Rentiergesicht mit der roten Nase vorne machte sie vielleicht ein wenig extravagant. Aber so was konnte man an Weihnachten doch mal tragen, oder?

»Irgendwo innen«, kam sie – immer noch kichernd – auf die ursprüngliche Frage zurück. Nach wie vor ruckelte sie hinter meinem Rücken herum. Ein weiteres, reißendes Geräusch erklang.

»Pass bitte auf Rudi auf.«

»Wer zum Geier ist Rudi?«

 

Was war das denn nun wieder für eine Frage? Jeder Mensch kannte doch schließlich die Geschichte mit dem süßen Rentier.

»Na, der rotnasige Rudi, der Weihnachten rettet.«

»Ehrlich, Alex, ich glaub wir müssen da mal ganz dringend miteinander reden.«

Der nächste Versuch, die Hand herauszuziehen führte dazu, dass sich der Bereich unter Rudis Nase plötzlich zusammenzog. Und gewisse Körperteile, die sich darunter befanden, empfindlich einschnürten.

»Aua, das tut weh«, stieß ich empört aus. »Du solltest hier nichts kaputtmachen, was du im Verlauf des Urlaubs vielleicht noch mal verwenden möchtest!«

Doch statt einer entschuldigenden Antwort folgte auf diesen Einwand lediglich ein weiteres reißendes Geräusch.

»Hoppla!«

»Was ist denn jetzt?«

Ich verrenkte mir den Hals, konnte aber nicht sehen, was sie da hinter meinem Rücken trieb.

»Deinem Rudi ist der Puschel abgefallen«, gab sie entschuldigend von sich.

»Oh nein«, wimmerte ich leise vor mich hin. »So eine schöne Weihnachtsunterhose bekomme ich nie wieder!«

Maike ignorierte mein Gejammer. Wie konnte eine so süße Frau nur dermaßen unsensibel sein?

»Verdammt, so geht das nicht!«, fluchte sie Sekunden später nicht gerade ladylike und schnappte sich eine Schere, die auf dem Tresen vor uns lag.

»Was willst du denn damit?«, quiekte ich auf. »Du wirst doch wohl nicht das vorhaben, woran ich denke?«

»Woher soll ich wissen, was du denkst?«, gab sie zurück.

Damit hat sie nicht unrecht, meldete sich Hasenfuß. Meistens weißt du ja nicht mal selber, was du gerade ...

Schnauze!, herrschte ich meine innere Stimme an und sie verstummte beleidigt.

Maike begann, an Rudi herumzuschnippeln.

»Mensch, der war teuer!«, stöhnte ich.

»Ich kauf dir einen neuen!«

Ein letztes schneidendes Geräusch und bei mir breitete sich untenrum ein äußerst luftiges Gefühl aus. Gleichzeitig verschwand ihre Hand endgültig von meinem verlängerten Rücken, was mich erleichtert aufatmen ließ.

Doch nur kurz. In dem Moment, als ich mich bückte, um die Hose wieder hochzuziehen, öffnete sich die Saunatür. Ein Mann mittleren Alters kam hereingestürmt. Erschrocken drückte ich mich so dicht wie möglich hinter die Theke und versuchte gleichzeitig, unbeteiligt dreinzublicken.

»Oh, Gott sei Dank, hier ist noch jemand!«, stieß er atemlos aus. »Sie sind die Rettung. Ich habe in der Kabine wohl die Armbanduhr vergessen. Ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk meiner Frau!«

»Ja, kommt mir bekannt vor«, erwiderte ich. »Meine Freundin hat ihre Uhr vorher auch irgendwo hängen lassen. Hat sie zum Glück wieder rausbe ...«

Ein Stich in der Seite unterbrach mich, als sich Maikes Ellenbogen schmerzhaft in meine Rippen bohrte.

»Suchen Sie ruhig«, lächelte sie den Mann freundlich an. »Die liegt sicher noch in den Kabinen.«

Er nickte erleichtert und stürzte in den Innenbereich. Das Schild mit dem durchgestrichenen Halbschuh ignorierte er dabei. Na ja, das konnte man am Heiligabend ja mal durchgehen lassen, vor allem wenn es so eilig war.

»Der hat dann wohl heute Eiligabend!«, witzelte ich, während die Hose endlich wieder die Regionen meines Körpers bedeckte, an die normalerweise keine Luft rankam.

»Haha, sehr witzig«, grinste Maike erleichtert, »deine Witze waren auch schon mal besser.«

In dem Moment kehrte der freudestrahlende Gast mit quietschenden Schuhen aus dem Innenbereich zurück.

»Hab sie gefunden«, strahlte er uns an. »Schönen Weihnachtsabend noch!«

Und weg war er. Sekunden später verließen wir ebenfalls die Sauna, nachdem Maike den gemeuchelten Rudi einfach in einem Mülleimer entsorgt hatte. Den hatte ich wirklich gemocht. Der Erstkontakt zwischen ihm und Maike war leider vollkommen anders als geplant verlaufen.

 

»Na, ihr Turteltauben«, witzelte Arne. »Hattet ihr auf dem Zimmer nicht genug Zeit für so was?«

»Ach lass sie doch, Aane«, fügte seine bessere Hälfte dazu, »die zwei sind nun mal frisch vealiebt. Kommt, wir gehen gemeinsam zum Essen runter. Und danach setzen wir uns gemütlich in die Hotellobby und machen Beschearung.«

 

Hanna hatte im Hause Schmied ganz klar die Hosen an. Rein körperlich bestimmt keine Riesin, spielte sie eindeutig die Rolle der »Bestimmerin« der Familie. Wenn jemand sagte, wo es langging, dann sie! Ursprünglich in Hamburg aufgewachsen, lebte sie mit ihrem Mann seit Jahrzehnten in Berlin.

Witzig war, dass sie oft das »R« verschluckte. Besser gesagt wandelte sie es in ein lang gestrecktes »A« um, sodass bei ihr zum Beispiel aus Arne ein Aaane wurde. Das hörte sich wirklich lustig an. Zumindest, solange sie nicht mit hundert Dezibel »Aaaaneee« durch die Gegend brüllte. Was bei ihrem überschäumenden Temperament durchaus mehrmals täglich vorkam.

Arne dagegen konnte man nur als das krasse Gegenteil bezeichnen. Groß, schlank, hin und wieder etwas verpeilt, war er die Ruhe selbst. Bisher hatte ich noch nicht erlebt, dass er mal lauter auf die doch häufigeren Ausbrüche seines angetrauten Vulkans reagiert hätte.

 

»Verdammt, ich hab kein Geschenk für deine Eltern!«, zischte ich Maike zu. »Was mach ich denn jetzt? Das ist ja total peinlich!«

»Alles gut«, beruhigte sie mich. »Damit habe ich schon gerechnet. Meins reicht aus. Das ist dann eben von uns gemeinsam.«

Dankbar nickend sah ich sie an. Doch das nächste Problem galoppierte bereits heran und brachte Hasenfuß zu einer erneut richtigen Einschätzung der aktuellen Lage: Du hast auch nichts für Maike. Sie wird dich umbringen und nie wieder ein Wort mit dir reden!

Wenngleich meine innere Stimme rein logisch betrachtet auf dem Holzweg war – schließlich konnte es mir egal sein, wenn Maike nicht mehr mit mir redete, nachdem sie mich umgebracht hatte – musste ich ihr im Wesentlichen zustimmen.

Ich war so was von geliefert!

Da zählte auch das Argument des überstürzten Aufbruchs am Sonntagmorgen nach Berlin und die ebenfalls nicht geplante Fahrt von dort in die Kitzbüheler Alpen nicht wirklich. Wobei die es schon in sich gehabt hatte. Ich konnte von Glück reden, überhaupt lebend hier angekommen zu sein.

 

Womit Familie Schmied ihr Geld verdiente, hatte ich noch nicht herausgefunden. Dass sie davon aber eine unverschämte Menge hatten, war mir schon direkt nach unserer Ankunft in Berlin aufgegangen.

Im Stadtteil Ludwigsfelde lenkte Maike ihren roten Fiat in die Außenbezirke. Dort angekommen parkte sie am Waldrand vor einem respektablen Anwesen. Die Villa, die auf dem imposanten Grundstück stand, war der Luxus pur. Da passte das kleine Einfamilienhaus meiner Eltern in Reutlingen vermutlich in die Garage.

Zu unserer Überraschung eröffnete uns Hanna schon kurz nach der Ankunft, dass wir am nächsten Tag gleich in der Frühe wieder starten würden. Weihnachten und der Jahreswechsel sollten standesgemäß in einem Fünfsternehotel in Österreich gefeiert werden.

Arne hatte es sich nicht nehmen lassen, am folgenden Morgen seinen nagelneuen knallroten Porsche Cayenne über die Autobahn zu jagen. Den hatte er sich sozusagen selbst geschenkt. Quasi eine verfrühte Weihnachtsüberraschung.

Maike und ihre Mutter hatten es sich auf den Rücksitzen gemütlich gemacht, während ich unvorsichtigerweise das Angebot, vorne zu sitzen, freudestrahlend angenommen hatte. Schließlich fuhr man nicht jeden Tag in so einem Riesenschiff. Die Glücklichen auf den hinteren Plätzen bekamen nicht so viel von der Fahrt mit. Ich dafür auf der Beifahrerseite umso mehr.

Einerseits froh, schnell ans Ziel zu kommen, trieb es mir während der Reise mehrfach vor Angst den Schweiß auf die Stirn. Und ich rede hier von Todesangst!

Arne fuhr mit seinem knallroten, zweieinhalb Tonnen schweren Boliden wiederholt so dicht auf die größtenteils deutlich schwächer motorisierten Fahrzeuge auf, dass ich sogar auf den Zulassungsplaketten erkennen konnte, woher sie stammten. Von hektisch nach hinten geworfenen Blicken, geschüttelten Fäusten und erhobenen Mittelfingern mal ganz abgesehen. Meine Fingernägel krallten sich dabei so tief in den gepolsterten Griff der Beifahrertür, dass ich befürchtete, das straff gespannte, edle Leder könne einfach aufplatzen.

Arne dagegen schwebte auf Wolke sieben und kitzelte das Letzte aus dem SUV heraus. Mich beschlich dabei das Gefühl, dass wir demnächst tatsächlich alle zusammen auf besagter Wolke platznehmen würden. Und zwar mit Harfe, weißem Hemdchen und angelegten Flügeln!

Schließlich näherten wir uns dem Dreieck Inntal. Das Navi drohte mit einem schnell kürzer werdenden Balken, dass die Fahrzeit auf der Autobahn zu Ende ging. Fragend sah ich zu Arne hinüber.

Der befand sich offensichtlich im Flow – was bedeutete, dass er weder die Warnsignale des Navis, noch mein Räuspern wahrnahm und mit verzücktem Blick stur auf der linken Spur weiter bretterte. Erst ein trommelfellzerschmetterndes »Aaaane, wir müssen hiea raus!« von der Rückbank holte den Fahrer verzögerungslos aus seinem extatischen Zustand. Er riss das Steuer herum, scherte auf die Abbiegespur aus und trat dabei dermaßen in die Eisen, dass es sich um ein ausgewachsenes Wunder handelte, dass der Gummi nicht von den Reifen herunter schmolz. Ich drehte mich ruckartig nach hinten. Dort erhob sich eine Wolke wie bei einem landenden Flugzeug. Die Aktion kostete garantiert drei Millimeter Profil. Und mindestens fünfzig Prozent meiner verbliebenen Nerven. Und davon hatte schon auf der bisherigen Fahrt eine größere Anzahl ins Gras gebissen!

Hinter uns setzte ein wildes Hupkonzert an. Das wurde von Arne jedoch gekonnt ignoriert. Im Rückspiegel konnte ich beobachten, wie der Lkw, der eben noch neben uns gefahren war, gefährlich hin und her schleuderte. Schließlich fuhr er ebenfalls – aber sicher nicht freiwillig – mit einem letzten Schlenker und quietschenden Bremsen die Abfahrt hinter uns herunter. Zumindest ließen die böse aufblitzenden Scheinwerfer, das anhaltende tiefe Dröhnen seiner Hupe und der irre Gesichtsausdruck darauf schließen, dass dem Fahrer diese Ausfahrt noch vor Sekunden gänzlich unbekannt gewesen war. Und sicher hatte er hier nicht rausfahren wollen!

»Sorry, hab ich nicht gesehen«, gab Arne freudestrahlend von sich. »Hab die Fernbrille zu Hause vergessen!«

Na, das erklärte doch alles! Hanna stöhnte hinten leise auf.

»Und das sagst du erst jetzt?« herrschte sie ihn an. »Zurück fahre dann auf jeden Fall ich!«

Das war Balsam für den kümmerlichen Rest meiner Nerven. Doch noch war es nicht überstanden. Auch abseits der Autobahn nahm unsere Durchschnittsgeschwindigkeit kaum ab. Was Arne zähneknirschend innerorts an wertvoller Zeit verlor, versuchte er über Land wieder aufzuholen. Für die Strecke, die das Navi bei der Abfahrt in Berlin mit acht Stunden zwanzig Minuten angegeben hatte, benötigte er gerade mal fünf! Es hätte mich nicht gewundert, wenn wir bei diesem Tempo irgendwann sanft entschwebt wären, um kurze Zeit später in Saalbach wieder zu landen.

Sehr geehrte Fluggäste, wir haben unser Ziel erreicht und freuen uns, dass sie mit Aaaane-Airlines geflogen sind!

Als der Cayenne schließlich mit knirschenden Reifen auf dem schneebedeckten Hotelparkplatz in Saalbach-Hinterglemm stoppte, stieg ich dankbar, noch am Leben zu sein, aus. Arne hatte auf Anhieb die richtige Einfahrt gefunden. Und das ganz ohne Brille. Respekt!

 

 

 

 

Perlenketten und Toiletten

 

Maikes Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Und das war gut so. Mir musste in Bezug auf die Bescherung etwas einfallen. Und wenn möglich schnell! Das Gehirn zermarternd folgte ich Familie Schmied die Treppe hinab in den Speisesaal. Für die festlich gedeckten Tische hatte ich kaum Augen. Deutlich mehr Interesse erweckte die hoteleigene Geschenke-Boutique, die neben der Empfangstheke mit Präsenten lockte. Und das Wichtigste war: Sie schien noch geöffnet zu sein. Ja, der Laden war der Ausweg aus dieser verfahrenen Lage.

Ich bin gerettet!, jubelte ich innerlich.

---ENDE DER LESEPROBE---