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Und wieder taucht Alexander Humbolt in ein neues Abenteuer ab. Schwimmen, Strand und Sonnenschein - die Erholung scheint perfekt. Doch wer Alex kennt, der weiß, dass bei ihm auch ein einfacher Urlaub am Meer zum ausgewachsenen Albtraum mutieren kann. Dem Renovierungswahnsinn der Villa Mimmi endlich entronnen, gönnen sich Maike und Alex zum Jahreswechsel einen wohlverdienten Kurzurlaub auf Fuerteventura. Doch schon auf dem Weg dorthin warten einige Überraschungen. Auch der Hotelaufenthalt im All-Inclusive-Wunsch-Resort verläuft nicht immer so entspannend, wie sich die frischgebackenen Hausbesitzer das vorstellen. Von hyperaktiven Rentnerinnen, die Alex das Leben schwer machen, über rotgebrannte Engländer, die das Wasserballmatch zu einem lebensgefährlichen Event mutieren lassen, bis hin zu heimtückischen Gartenpflegemaschinen sind wieder jede Menge Hindernisse zu überwinden. Und dann ist da noch die kleine große Überraschung, die Alex für seine Maike bereithält und die sich nicht so einfach umsetzen lässt, wie er sich das gedacht hat.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Heiko Kohfink
Voll verschwommen – Strandchaoten
Impressum
Copyright © 2023 Heiko Kohfink
Tolino media ISBN: 9783819404542
Verfasser: Heiko Kohfink
Uhlandstr.7, 72124 Pliezhausen
Kontakt: https://www.heiko-kohfink.de
Covergestaltung: Constanze Kramer, coverboutique.de
Bildnachweise: ©zhane luk – stock.adobe.com
©HomeArt, ©Pixel-Shot – shutterstock.com
©laraslk – depositphotos.de
envatoelements.com
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Heiko Kohfink
Zu diesem Buch: Dem Renovierungswahnsinn der Villa Mimmi endlich entronnen, gönnen sich Maike und Alex zum Jahreswechsel einen wohlverdienten Kurzurlaub auf Fuerteventura.
Doch schon auf dem Weg dorthin warten einige Überraschungen. Auch der Hotelaufenthalt im All-Inclusive-Wunsch-Resort verläuft nicht immer so entspannend, wie sich die frischgebackenen Hausbesitzer das vorstellen.
Von hyperaktiven Rentnerinnen, die Alex das Leben schwer machen, über rotgebrannte Engländer, die das Wasserballmatch zu einem lebensgefährlichen Event mutieren lassen, bis hin zu heimtückischen Gartenpflegemaschinen sind wieder jede Menge Hindernisse zu überwinden.
Und dann ist da noch die kleine große Überraschung, die Alex für seine Maike bereithält und die sich nicht so einfach umsetzen lässt, wie er sich das gedacht hat.
Heiko Kohfink, 1967 in Reutlingen geboren, ist Techniker und lebt mit seiner Frau, die ebenfalls schriftstellert, in der Nähe seiner Heimatstadt.
Inspiriert durch das Lesen, das schon immer seine größte Leidenschaft war, hat er sich 2019 ans Schreiben gewagt. Dabei zählen vor allem Science-Fiction und Fantasy, aber auch Comedy zu seinen bevorzugten Genres.
Wenn er nicht gerade vor dem Bildschirm sitzt und über neuen Buchprojekten brütet, verbringt er gerne Zeit in der Natur, unternimmt mit seiner Frau lange Spaziergänge, liest viel oder bringt mit seinem oft sehr speziellen Humor seine Familie an den Rand der Verzweiflung.
Der bayerische Indianer
Die Beschleunigung drückte mich hart in den Sitz, als unser Ferienflieger die Startbahn in Stuttgart entlang jagte und schließlich abhob. Wie bei jeder Flugreise stellte sich auch heute das Gefühl ein, als würde ein Teil von mir auf dem Boden zurückbleiben wollen, weil er einfach keine Lust hatte, mitzukommen. Und mein Magen quetschte sich im Moment des Abhebens irgendwo zwischen die zweite und dritte Bandscheibe der unteren Lendenwirbelsäule. Ein ausgesprochen unangenehmes Gefühl, das aber glücklicherweise nur kurz andauerte.
Ich atmete auf, als das Fahrwerk mit leisem Poltern einfuhr und sich unser Flugzeug in eine lange Linkskurve legte, um Richtung Süden abzudrehen. Endlich auf dem Weg nach Fuerteventura. Während ich versuchte, mittels exzessiven Gähnens die Ohren wieder freizubekommen, lehnte ich mich erleichtert zurück – zumindest soweit es meine gequetschte Lage auf dem Mittelsitz zuließ. Und mit dem Platzangebot war es nun wirklich nicht weit her. Beinfreiheit oder Bequemlichkeit suchte man in diesem Touristenbomber vergeblich.
Gestern Abend hatte ich noch vollkommen naiv angenommen, wir würden mit der deutschen Airline fliegen, die wir an einem der Last-Minute-Schalter des Stuttgarter Flughafens vor einer Woche gebucht hatten. Mit Premiumsitz und extra viel Platz für meine ziemlich langen Beine.
Doch schon kurz, nachdem wir den Taxifahrer bezahlt hatten, der uns mitten in der Nacht in halsbrecherischer Geschwindigkeit zum Abflugterminal gebracht hatte, wurde ich eines Besseren belehrt. Ich drängelte mich hinter Maike durch die Karussell-Drehtür in die Abfertigungshalle und war erst mal nur froh, der beißenden Kälte draußen entkommen zu sein. Vor einer großen Anzeigetafel blieben wir stehen, um uns zu orientieren. Dort oben wurde unser Flug bereits angezeigt.
»Was bedeutet denn operated by HG-Airlines?«
Maike zuckte mit den Achseln. »Können wir ja fragen, wenn wir vorne am Schalter sind.«
Ich nickte. Ja, das schien mir eine gute Idee zu sein. Immerhin hatte ich mich auf eine Reise mit der Lufthansa eingestellt. Das vermittelte ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Natürlich war mir klar, dass die Flugzeuge von „Kranich-Airlines“ genauso vom Himmel fallen konnten wie alle anderen auch. Trotzdem fühlte ich mich bei dem Gedanken wohler, an Bord einer inländischen Maschine zu gehen.
HG-Airlines war mir vollkommen unbekannt. Wo kamen die überhaupt her? Ich nahm mir vor, auf jeden Fall danach zu fragen, wenn wir das Gepäck aufgaben.
Während ich mich gedanklich noch mit dem Kürzel dieser ominösen Fluglinie beschäftigte, hatte sich Maike schon in Richtung unseres Check-in-Schalters in Bewegung gesetzt und ich beeilte mich, um zu ihr aufzuschließen.
Mein nagelneuer Trolley rollte extrem gut hier drinnen. Das erinnerte mich an den Wettbewerb im Curling, den ich erst gestern Abend im Fernsehen verfolgt hatte. Die Steine flitzten da nur so übers Eis und nun glitt auch mein Koffer wie von selbst neben mir her. Probehalber gab ich ihm einen kleinen Schubs und das Teil schoss los, als gäbe es kein Morgen. Der gestrige Curler mit Wischbesen, der wie irre vor dem Stein hergewischt hatte, um ihn richtig in Fahrt zu bringen, wäre hier arbeitslos gewesen.
Mein blauer Curling-Koffer flitzte davon, der Griff flutschte mir aus der noch immer geeisten Hand und, erschrocken über die Geschwindigkeit, mit der er sich auf den Weg machte, hechtete ich hinterher. Leider nicht schnell genug. Etliche Touristen, die in einer langen Schlange einige Meter entfernt auf die Abfertigung warteten und sich in sträflicher Leichtsinnigkeit direkt in der Schussbahn meines Gepäckstückes befanden, öffneten kurz die Reihen, um das Geschoss durchzulassen. Leider schlossen sie aber unmittelbar vor mir wieder den Durchgang. Wo kam man denn auch hin, wenn sich hier jeder einfach mitten in die Warteschlange reindrückte?
Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass an diesem Schalter ebenfalls nach Fuerteventura eingecheckt wurde. Nur eben nicht von unserem Reiseveranstalter. Konnten die etwas übernächtigt wirkenden Touristen hier aber natürlich nicht wissen. Klar, dass so früh am Morgen und nach der langen Anreise keiner für einen Drängler wie mich Platz machte. Hier am Check-in wollte man schließlich so schnell wie möglich das Gepäck loswerden, um in den Duty-free-Bereich zu kommen. Auch wenn man davor bei der Personenkontrolle erneut anstehen musste, was mir ein kurzer Seitenblick in Richtung der langen Schlange dort bestätigte.
»Öda, du Depp«, nörgelte mich ein rotgebrannter Mann in Lederhose, Trachtenhemd und grünem Filzhut mit obligatorischem Gamsbart an, während ich ihm in vollem Lauf entgegenschlitterte. »Koasch du ned hindn anschdöhn?«[Fußnote 1]
Bei ihm handelte es sich jedenfalls schon mal nicht um einen Ausbund von bajuwarischer Herzlichkeit. Wie kam der dazu, mich »Depp« zu nennen?
Ich war kurz davor, dem unflätigen Freistaat-Bewohner eine entsprechende Antwort zu geben, als mich meine innere Stimme zurückhielt.
Ganz ruhig, Alex, meinte Hasenfuß. Am besten nicht darauf eingehen – schau dir den Kerl doch mal genauer an – der sieht ziemlich gefährlich aus.
Auch wieder wahr. Als klein und schmächtig konnte man mein Gegenüber nun wirklich nicht bezeichnen. Und schließlich wollte ich den ersten Urlaubstag nicht gleich mit einem blauen Auge beginnen. Oder noch schlimmer auf der Intensivstation. Vor allem nicht so früh am Morgen. Da war es vielleicht doch besser, nicht zu antworten und mir meinen Teil nur zu denken.
Außerdem wusste ich ja auch überhaupt nicht, ob der Gamsbartträger seinen Spruch tatsächlich beleidigend gemeint hatte. Schließlich gab es im Heimatland des Bayern eine ganze Menge Begriffe, die zwar im ersten Moment extrem derb daherkamen, doch oft mehr so universell eingesetzt wurden. Das konnte auch ein verbales Schulterklopfen, ein Ausdruck von Respekt oder eben, wie ich jetzt gerade vermutete, eine durchaus ernst gemeinte Boshaftigkeit sein, mit der man dort sein Gegenüber bedachte.
Das kannte ich aus meiner schwäbischen Heimat ebenfalls – da sagte man halt nicht Depp, sondern Dackel. Oder Halbdackel, wenn keine Chance bestand, dass sich der Gesprächspartner je zu einem vollständigen Dachshund entwickeln würde. Was ich im Übrigen auch bei diesem bayerischen Musterexemplar stark anzweifelte. Der war eher so das Modell Grasdackel und das war dann für den Schwaben das ultimative Schimpfwort.
Kurzentschlossen benannte ich die rotgebrannte menschliche Barriere Sepp. Reimte sich auf den von ihm benutzten Schimpfnamen und passte zu ihm wie der süße Senf zur Weißwurst.
Wie hatte der es nur geschafft, einen so heftigen Sonnenbrand bereits im verschneiten Deutschland zu bekommen? Zu dieser Jahreszeit war das eigentlich unmöglich, doch vermutlich hatte er sich schon im heimischen Bayern ordentlich im Solarium vorgebräunt. Bei der Gesichtsfarbe würde ihm die Sonne der Kanarischen Inseln sicher innerhalb weniger Minuten den Rest geben. Doch zumindest kleidungstechnisch schlug diese bajuwarische Rothaut stilecht in Spanien auf.
Sepp stellte sich mir in den Weg und seine Augen blitzten müde, aber kampfbereit. Wie bei einem altrömischen Legionär – Sekunden, bevor die brüllenden Horden der Teutonen in die Reihen seiner Kohorte einbrachen. Er schloss blitzschnell die Lücke in der Schlange und ließ mich auf seinen Koffertrolley auflaufen. Mit einem schmerzhaften Poltern rammte ich das Hindernis, das mir so plötzlich den Weg versperrte, und wurde zum Stillstand heruntergebremst.
»Au, verdammt, das tut doch weh«, entfuhr es mir.
Sepp grinste hämisch und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. »Do hindn spuilt di Musi, du damischer Saupreiß.«[Fußnote 2]
Als ob ich das nicht selbst gemerkt hätte. Dass ich in dieser Schlange gar nicht anstehen wollte, tat dabei nichts zur Sache. Doch wie kam diese Apachenimitation überhaupt dazu, mich einen Saupreußen zu nennen? Schließlich war Stuttgart tiefstes Schwabenland und nun wirklich nicht gerade preußisches Hoheitsgebiet.
Vermutlich war jeder, der jenseits des Weißwurstäquators sein kümmerliches Leben fristen musste, für dieses Prachtexemplar in Lederhose schon ein Ausländer – oder im schlimmsten Fall eben ein Preuße. Und damisch? Na, da hätte ich mich an seiner Stelle nicht ganz so weit aus dem Fenster gelehnt. Geröstet wie ein Stück Frühstücksspeck sah der nun wirklich nicht gerade so aus, als ob er außer einem knackigen Sonnenbrand viel in der Birne hätte.
Eine Antwort brachte mich hier sicher nicht weiter. Und da ich keine Lust verspürte, den Urlaub aus dem Handgepäck zu bestreiten, drehte ich wortlos bei und umrundete die länger werdende Schlange, um erneut die Verfolgung meines davonrollenden Koffers aufzunehmen.
Als ich die Wartenden endlich hinter mir hatte, war von dem nagelneuen Trolley allerdings nichts mehr zu sehen. Erst nach einem genaueren Scan der Umgebung entdeckte ich das verschwundene Gepäckstück, das direkt neben einem menschenleeren Schalter zum Stillstand gekommen war.
Nur ein Flughafenmitarbeiter mit langen schwarzen Haaren, die im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden waren, stand da und mühte sich damit ab, das schwere Teil ächzend auf ein Transportband zu wuchten. Der dachte sicher, dass der Koffer beim Einchecken vergessen worden war. Turkish-Airlines leuchtete dort über dem Schalter. Und darunter etwas kleiner der Zielflughafen Istanbul.
Verdammt, der checkt meinen Koffer in die Türkei ein, fuhr es mir durch den Kopf, während ich hinüberrannte. Ich schnappte mir den Trolley, als dieser sich schon auf dem Band in Bewegung setzte. Na, das war aber höchste Eisenbahn gewesen. Im letzten Moment konnte ich das Gepäckstück daran hindern, ohne mich nach Istanbul zu reisen. Was sollten meine Klamotten denn in einer Stadt in der Türkei? War der Kollege an diesem Schalter vollkommen verrückt geworden?
»Äh, guten Morgen«, stammelte ich und legte vorsichtshalber auch die andere Hand besitzergreifend auf den Koffer. »Bitte laden Sie den hier nicht auf den Flug nach Istanbul. Der gehört zu mir und ich will überhaupt nicht in die Türkei.«
»Was?«, fragte er irritiert und ergriff ebenfalls den Koffer. Kampflos wollte er das Gepäck wohl nicht aufgeben. Der verstand offensichtlich kein Deutsch und ich wechselte, ohne es zu wollen, in eine deutlich vereinfachte Form meiner Sprache, die gleichzeitig peinlich und grammatikalisch vollkommen daneben war.
»Nicht laden Koffer auf Band nach Türkei!«
Klang im Nachhinein wie das »Bitte ohne scharf«, mit dem man in der Dönerbude um die Ecke sein Mittagessen bestellte, weil die einem sonst immer dieses höllische rote Chilipulver draufstreuten.
Der Mann sah mich fragend an, nahm aber zumindest seine Hand kurz vom Koffer. Das musste reichen. Mit einem »Teşekkürler!« schnappte ich mir den Trolley und war mir dabei ziemlich sicher, dass sich meine Gesichtsfarbe aktuell kaum von der des missgelaunten Bajuwaren unterschied, der eben im gesicherten Bereich des Flughafens verschwand. Glücklicherweise war mir da gerade das einzige Wort eingefallen, das ich noch aus meinem Urlaub in der Türkei wusste. Der Mitarbeiter sah mich erstaunt an. Hatte ich das türkische »Danke« womöglich falsch ausgesprochen? Der Trip nach Antalya war ja bereits zwei Jahre her, da konnte es durchaus sein, dass die korrekte Aussprache etwas gelitten hatte.
»Sagad Sia amohl?«, fragte er in bestem Schwäbisch. »Send Sia sichr, dass bei Ihne no älles richtig ischd, em Oberstüble?«[Fußnote 3]
Na, der kam bestimmt nicht aus der Türkei. Eher so aus der Ecke Engstingen, wenn ich mich da nicht vollkommen täuschte. Trotzdem unverschämt, als Schwabe so fremdländisch auszusehen.
»Tschuldigung«, murmelte ich, schnappte mir endgültig den Koffer und beeilte mich, Maike wieder einzuholen, die bereits in einer weiteren Schlange bis kurz vor den Abfertigungsschalter gekommen war und mir leicht genervt zuwinkte. Etwas außer Atem, aber meinen Koffer fest im Griff, kam ich bei ihr an. Mit einem »Sorry, ich gehöre zu ihr« drückte ich mich an einer Familie vorbei und kam schweratmend bei Maike an.
»Wo warst du denn?«, fragte sie kopfschüttelnd, »Ich habe schon gedacht, ich hätte dich bereits vor der Reise verloren.«
»Ja, da dachtest du gar nicht so falsch«, gab ich zurück, führte das aber nicht weiter aus. Schließlich wusste sie bereits, dass ich hin und wieder ein klein wenig verpeilt war. Und da musste ich mich ja nicht gleich vor der Ankunft in Spanien zum Vollhonk machen.
Glücklicherweise kam sie auch nicht mehr dazu, genauer über meine Antwort nachzudenken, denn wir waren an der Reihe, das Gepäck aufzugeben. Eine nette Dame in blauroter Uniform mit einem aufgestickten goldenen HG-Airlines-Emblem nahm uns die Koffer ab und sorgte routiniert dafür, dass wir die Bordkarten schnell in Händen hielten. Der Aufnäher erinnerte mich wieder daran, dass ich nachfragen wollte, was denn nun aus unserer ursprünglich gebuchten Fluglinie geworden war und was es mit dem ominösen »operated by HG-Airlines« auf sich hatte.
»Bei diesem Transfer handelt es sich um einen sogenannten Codesharing-Flug«, klärte sie uns mit einem Lächeln im Gesicht auf, als hätten wir soeben im Lotto gewonnen. »Das bedeutet, dass HG-Airlines ihren Transport übernimmt, obwohl Sie bei einer anderen Fluglinie gebucht haben.«
»Aha«, gab ich etwas verwirrt zurück, »und wo kommt HG her?«
»Das ist eine osteuropäische Charterfluggesellschaft.«
Oha, mischte sich Hasenfuß in die Diskussion ein. Zwar lautlos für meine Mitmenschen, aber keineswegs beruhigend für mich. Jetzt wissen wir endlich was HG bedeutet: Höchste Gefahr ... wir werden alle sterben!
Meine Unruhe nahm schlagartig ordentlich zu. Was auch der Dame am Schalter nicht entging, denn Sie versuchte sofort zu deeskalieren.
»Machen Sie sich keine Gedanken«, zwitscherte sie mit beruhigender Stimme, »die unterliegen dort denselben Sicherheitsstandards wie alle Airlines in Europa.«
Adiós, Kälte und Schnee
Die quietschenden Reifen und das Rütteln des Flugzeugs, das über die spanische Landebahn donnerte, riss mich aus einem leichten Schlaf. Endlich gelandet. Nicht falsch verstehen: Das Fliegen machte mir trotz meiner Höhenangst nicht das Geringste aus. Schließlich hatte ich im Flugzeug den Aluminiumboden direkt unter den Füßen. Dass sich zwischen diesem und der Erdoberfläche während des Großteils der Reise lächerliche zehn Kilometer Luft befanden, blendete mein Gehirn erstaunlicherweise aus.
Es soll ja Leute geben, für die das Schönste an der Urlaubsreise der Hin- und Rückflug ist. Ich gehöre ganz eindeutig nicht zu dieser Gattung Mensch, denn abgewinnen konnte ich dem Fliegen nun wirklich noch nie etwas. Nicht der Beschleunigung, die einen beim Start in den Sitz drückt, nicht dem eintönigen Flug, den man mit Lesen des Bordmagazins oder eben einem kleinen Nickerchen abzukürzen versucht, und schon gar nicht der Landung.
Seit jeher hasste ich diese letzten Minuten, bei denen man sich immer fragte, ob das Fahrwerk ausgefahren, der Pilot ebenfalls sein Schläfchen beendet und das Flugzeug auch ganz sicher in Richtung Landebahn unterwegs war.
Ich blieb eben lieber auf der Erde und hielt es da eher mit dem Leitspruch: Wenn es von der Evolution vorgesehen wäre, dass der Mensch fliegt, hätten wir alle eigene Flügel. Und ganz sicher wären wir dann nicht in einer überdimensionalen Coladose mit seitlich angenieteten Flügeln nach Spanien gereist.
Nein, wir hätten uns auf angewachsenen Schwingen in den Himmel geschwungen, um auf die Kanarischen Inseln zu flattern. Natürlich war mir klar, dass es in diesem etwas blauäugigen Szenario vor Logikfehlern nur so wimmelte: Die Anreise hätte mit Do-it-yourself-Airlines vermutlich länger gedauert als der komplette Urlaub. Von der Rückreise ganz zu schweigen. Auch die sibirische Kälte, die momentan in Deutschland herrschte, hätte so einen Flug sicher sehr unangenehm gemacht. Zumindest in der Startphase. Und unser schweres Gepäck war in dieser Fantasie ebenfalls gänzlich unberücksichtigt – aber man durfte doch mal träumen ...
Auf der anderen Seite war es vielleicht auch ohne Flügel besser so. Wenn ich mir meinen Sitznachbarn Egon so ansah, der sich bereits ungeduldig auf seinem Platz neben mir rekelte und versuchte, den Gurt aufzubekommen, dann war es evolutionär gesehen ein großer Vorteil, dass die Menschen nicht selbstständig fliegen konnten. Der war schon etwas üppiger gebaut, der Gute – hätte bei ihm vermutlich nicht so toll geklappt mit dem Abheben. Und was bei einer Landung alles passieren konnte, wenn Egon mit voller Wucht auf Umgebung und Mitmenschen krachte, wollte ich mir gar nicht erst vorstellen.
Obwohl: Hummeln flogen ja ebenfalls und deren Körperfülle im Verhältnis zu ihren Flügelflächen war ja nun rein aerodynamisch betrachtet auch nicht gerade optimal ausbalanciert.
Die letzten Stunden neben dem stark schwitzenden und mehr als vollschlanken Mann, der sich vor dem Abflug auf den freien Sitz am Gang gequetscht hatte, würden mir ganz sicher nicht als »muss man sich merken« im Gedächtnis bleiben. Das lief eher so in der Kategorie »besser schnell vergessen«.
Bevor er mit einem erleichterten Schnaufen in seinen Sitz gefallen war, hatte ich mich schon gefreut, den Mangel an Platz direkt vor mir durch das Schrägstellen meiner Beine ausgleichen zu können. Doch nachdem sich Egon mit einem festen Händedruck vorgestellt und sein eigenes Fahrwerk ausgestreckt hatte, war eine bequeme Sitzposition für mich weiter entfernt gewesen als die nächste Spiralgalaxie.
Wobei mein Sitznachbar kein unangenehmer Zeitgenosse war. Im Gegenteil, wir hatten uns gut unterhalten. Dafür, dass sein Kopf – nachdem er irgendwo über dem Atlantischen Ozean eingeschlafen war – immer wieder auf meine linke Schulter sackte und er mich dabei auch etwas vollsabberte, konnte er ja schließlich nichts. Immerhin war der Abstand zwischen den Sitzen direkt proportional zur Beinfreiheit und die bewegte sich, wie schon erwähnt, eindeutig im negativen Bereich. Das Platzangebot in dieser Maschine war auf jeden Fall nicht für den Standardeuropäer ausgelegt worden. Eher so für Menschen mit einer Körpergröße von maximal einem Meter zwanzig.
Zumindest waren die lauten Bremsgeräusche des Fahrwerks ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Boden uns wiederhatte und das Ende dieser extrem unbequemen Reise damit in erreichbare Nähe rückte.
Der obligatorische Applaus ertönte, der sich in diesen Urlaubsfliegern stets direkt beim ersten Kontakt der Räder mit dem Asphalt der Piste erhob. Meiner Meinung nach setzte das Klatschen immer deutlich zu früh ein. Schließlich war bekannt, dass bei der Landung die meisten Reifen platzten. Oder es konnte sich ja auch noch ein suizidaler Möwenschwarm in eines der Triebwerke stürzen, während die Maschine noch rollte.
So richtig sicher fühlte ich mich jedenfalls immer erst, wenn diese kerosinbetankten Druckluftflaschen auf Rädern endlich standen und man der Enge durch die geöffneten Luken entfliehen konnte. Ich war mir bei dem Applaus auch nie so ganz klar darüber, ob die Fluggäste dem Piloten für seine fliegerische Leistung Respekt zollten oder einfach nur froh waren, wieder einmal mit dem Leben davongekommen zu sein.
Statistisch gesehen war es natürlich extrem unwahrscheinlich, bei einem Flugzeugunglück ins Gras zu beißen. Viel häufiger wurden Menschen von einer Kokosnuss erschlagen. Da konnte man von Glück reden, dass diese Palmen nicht auf Fuerteventura wuchsen. Zumindest soweit ich wusste.
Dort gab es nur Dattelgewächse, die vorwiegend in den Gebieten von Pajara und Gran Tarajal gediehen. Das hatte ich im Reiseführer gelesen und Dattelpalmen hielt ich für potenziell ungefährlich. Zumindest hatte ich noch nie davon gehört, dass ein Tourist aufgrund eines Datteltreffers ums Leben gekommen war.
Als die Maschine langsam auf die Abfertigungshalle zurollte, stieg der Adrenalinpegel der Reisenden wieder merklich an. Aufgeregte Kommentare wurden laut:
»Ernst, nimm endlich unser Gepäck aus dem Fach.«
»Inge, hast du dein Handy eingesteckt?«
»Ich habe es dir doch vorhin gesagt, Annalena-Marie. Du hättest noch einmal vor der Landung auf die Bordtoilette gehen sollen.«
Hektische Betriebsamkeit machte sich breit, die von der Bordsprechanlage unterbrochen wurde. Mit einem melodischen »Plim-Plam-Plum« aktivierten sich die Lautsprecher und die sanfte Stimme der Stewardess erklang. Die hatte uns schon während des Fluges mit so lebenswichtigen Informationen wie den Getränkepreisen an Bord oder den zur Verfügung stehenden Duty-Free-Angeboten versorgt. Wieso man die allerdings bereits bei der Reise in den Urlaub benötigte, hatte sie verschwiegen. Ich meine mal ehrlich: Wer fliegt in die Ferien und kauft schon auf der Hinreise zollfreie Waren ein? Das machte doch überhaupt keinen Sinn, oder?
»Sehr verehrte Damen und Herren«, tönte ihre Stimme durch den Flieger. »Wir sind auf Fuerteventura angekommen und Sie werden in wenigen Minuten das Flugzeug verlassen können. Bitte bleiben Sie noch angeschnallt sitzen, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben. Sobald das Auschecken beginnen kann, werden wir die Sitzreihen der Passagiere, die von Bord gehen können, in Fünferblöcken durchgeben. Wir bitten die übrigen, bis zum Aufruf sitzen zu bleiben, um unnötiges Gedränge zu verhindern. Vielen Dank, dass Sie mit uns geflogen sind und einen schönen Aufenthalt hier in Spanien.«
Ich fand, das hatte sie nett gesagt. Nett, aber vollkommen nutzlos. Zumindest, wenn ich mir die drei rüstigen Rentnerinnen in der Sitzreihe vor uns ansah, die bereits seit dem ersten Kontakt der Räder mit der spanischen Piste von einer gewissen Rastlosigkeit ergriffen worden waren.
Die resoluteste der Damen hatte den Platz am Gang erwischt. Hildegard hieß sie. Das war während des vierstündigen Fluges und der lautstarken Unterhaltung von Agnes, Margarethe und eben dieser Hildegard nicht zu überhören und noch weniger auszublenden gewesen. Selbst die Kopfhörer hatten da nicht viel gebracht. Jedenfalls schien Hildegard den Platz am Gang bewusst gewählt zu haben, um in Momenten wie diesem aktionsfähig bleiben zu können.
Die Ansage war kaum verklungen, als sie sich bereits abschnallte und von ihrem Sitz aufsprang, als ob sie von einer Tarantel gestochen worden wäre. Da konnte man fast glauben, es gäbe einen Preis für denjenigen, der zuerst stand. Den hatte sie somit auf jeden Fall schon mal gewonnen – Respekt, Hildegard!
An ihr war die Aufforderung der Stewardess, die kopfschüttelnd in das von Unruhe ergriffene Flugzeug starrte und der hyperaktiven Seniorin giftige Blicke zuwarf, jedenfalls komplett vorbeigegangen. Leise Kommentare wurden hörbar,
»Die Stewardess hat doch gesagt, wir sollen sitzen bleiben, oder nicht?«
»Stehen wir denn schon?«
»Wie im Supermarkt: Manche Leute müssen sich doch immer vordrängeln!«
All das wurde von Hildegard vollständig ignoriert. Vielleicht war ja auch nur ihr Hörgerät kaputt? Oder die Batterien darin waren leer – wer konnte das schon sagen?
Jedenfalls steckte sie mit der Hektik, in der sie im aufgerissenen Gepäckfach wühlte, um ihre beiden sitzenden Reisebegleiterinnen mit Jacken, Handtaschen und Rucksäcken zu versorgen, die übrigen Fluggäste an, die bisher brav auf ihren Plätzen ausgeharrt hatten. Zwei weitere hielten dem mentalen Stress nicht mehr stand, sprangen auf und öffneten ebenfalls die Fächer über ihren Köpfen. Auch von hinten waren die Geräusche aufschnappender Gurtschlösser und hochklappender Gepäckraumdeckel zu vernehmen. Der Mensch ist eben doch ein Herdentier.
Während die Gepäckfächer also von den Glücklichen geplündert wurden, die einen Sitz am Gang erwischt hatten, beobachteten die zwei Flugbegleiterinnen kopfschüttelnd das Geschehen. Es war ihnen deutlich anzusehen, dass sie so etwas nicht zum ersten Mal erlebten. In diesem Beruf schienen eine gewisse Gleichgültigkeit und ein extrem ruhiges ausgeglichenes Gemüt jedenfalls unbedingt notwendig zu sein.
Ist ja auch echt sinnvoll, dachte ich, sich sein Gepäck jetzt schon zu schnappen, wenn man vielleicht erst ganz am Schluss raus darf.
Und überhaupt: Was brachte es einem denn, zuerst von Bord gehen zu können? Die paar Minuten, die man früher im Shuttlebus oder in der Abfertigungshalle war, verlor man doch sicher beim Warten am Gepäckband wieder.
»Wäre bestimmt lustig«, raunte mir Maike zu, »wenn die jetzt zuerst die Passagiere ganz hinten aufrufen und die Leute vor uns mit ihrem Gepäck als letzte rausdürfen.«
Dieser Kommentar rief in der Reihe vor uns leise gemurmelte Empörungsschreie hervor, die davon zeugten, dass die Damen an diese Möglichkeit bisher noch nicht gedacht hatten. Ich grinste im Stillen in mich hinein.
Habe gar nicht gewusst, dass Maike so eine sadistische Ader hat!
Die Unruhe, die von Reihe elf ausging, sagte mir jedoch, dass die Frauen es sich durchaus vorstellen konnten. Ich beschloss, noch etwas nachzubohren, und gab meine eigenen Überlegungen einen Tick lauter zum Besten.
»Ich habe vorhin gehört, dass sie zuerst die geraden Reihen aufrufen und erst danach die ungeraden.«
Hatte ich schon erwähnt, dass Maike und ich auf Platz 12E und 12F saßen? Jedenfalls nahm das Geraune vor uns noch einmal zu.
»So ein Blödsinn« war zu hören und »Ach, was Agathe, hör gar nicht darauf. Natürlich steigen zuerst die vordersten Plätze aus!«
Doch eine gewisse Skepsis war trotz allem herauszuhören. Was, wenn die Lästermäuler aus Reihe zwölf recht hatten? Sitznachbar Egon, der mittlerweile wieder hellwach neben mir saß, lachte leise auf und gab ebenfalls einen Kommentar zum Besten, der ihn in meiner Sympathieskala noch einmal mehrere Punkte nach oben klettern ließ.
»Vielleicht dürfen auch zuerst die Plätze A, B und C raus und unsere Seite muss so lange warten.«
Heiterkeit brach in Reihe zwölf aus, die sich nach allen Richtungen ausbreitete. Nur die vor uns liegenden Sitze wurden von der guten Laune seltsamerweise nicht erfasst.
»So ein Unsinn«, brummte Hildegard und auch die Passagierinnen auf 11E und 11F verharrten missmutig brummend in ihren halbaufgerichteten Positionen.
Das Verlassen der Maschine gestaltete sich dann doch noch überraschend einfach. Die Luke öffnete sich, Reihe elf stürzte in voller Mannschaftsstärke mit dem ersten Schwung Aufgerufener zum Ausgang und verschwand im gleißenden Licht der spanischen Nachmittagssonne.
Wir folgten wenig später, kamen aber natürlich ebenfalls aus dem Flugzeug heraus. Nur eben etwas stressfreier und relaxter, doch das durfte ja auch jeder machen, wie er wollte. Unten vor der Gangway stand der Shuttlebus, der bereits gut gefüllt auf die letzten Passagiere wartete. Ich konnte Hildegard ausmachen, die mitsamt ihren Freundinnen von innen gegen die Scheiben gedrückt wurde. Da hatte sich die Hektik beim Aussteigen ja mal so richtig gelohnt.
Heiß war das hier! Die Luft glühte sich sozusagen die Lungen hinab. Von der Blendwirkung der Sonne mal ganz zu schweigen. Ich tastete nach meiner Sonnenbrille und setzte sie erleichtert auf. Für mich, der ich aus den arktischen Temperaturen Deutschlands kam und noch nie im Winter in den Süden geflogen war, eine vollkommen neue Erfahrung. Maike brachte es auf den Punkt, während wir langsam die Gangway hinuntergingen.
»Ist das nicht herrlich, Alex?«, rief sie mir zu. »Über eine Woche Sonnenschein, Strand und Meer. Was kann es Schöneres geben?«
Ein Schwabe auf Fuerte
Nachdem der Shuttlebus seine Türen direkt vor der Ankunftshalle geöffnet hatte und Maike und ich als erste aus dem vollgestopften Innenraum herausgedrückt wurden, liefen wir durch ein nahezu menschenleeres Terminal. Unterwegs überholte uns erneut Reihe elf mit klappernden Sandalen. Wir betraten das Kofferterminal und stellten uns an einem Gepäckband an, das in mehreren sanften Schleifen durch die Halle führte und über dem in der Anzeige unsere Flugnummer leuchtete.
In der Nähe des Ausgangs standen zwei gelangweilt wirkende Polizisten mit einem Chihuahua an der Leine und unterhielten sich leise. Die Touristen aus Deutschland, die sich in dichten Trauben um das Kofferband drängten, schienen sie nicht weiter zu interessieren.
Was machten die wohl mit einem Hund in Handtaschengröße? Kampfhund schied infolge der Größe definitiv aus. Auch als Drogenfahnder konnte ich mir den kleinen Kerl nicht wirklich vorstellen. Der kippte ja schon vollkommen high um, wenn er nur am Rauschgift schnupperte. Vielleicht die Neuzüchtung eines Spürhundes, den man direkt in den geöffneten Koffer reinfallen ließ und der sich anschließend bis zur Schmuggelware durchwühlte?
Ich zuckte mit den Schultern und drückte Maike einen Kuss auf den Mund, bevor sie sich in Richtung der Toiletten aufmachte. Dann schlenderte ich am Gepäckband entlang, das sich bisher noch nicht in Bewegung gesetzt hatte.
Hildegard und ihre zwei Mitstreiterinnen sicherten sich gerade einen Platz ganz vorne und verteidigten diesen mit ausgefahrenen Ellenbogen. Wie sie da so standen, wirkten die rüstigen Rentnerinnen wie drei Rugbyspielerinnen kurz vor dem Touchdown. Mit denen war im Moment nicht gut Kirschen essen und ich beschloss, mich direkt ans andere Ende des Bandes zu begeben. Maximaler Sicherheitsabstand sozusagen.
Momentan verteilten sich die Ankömmlinge aus Good-old-Germany noch verhältnismäßig gleichmäßig in der Halle. Das änderte sich schlagartig, als das Band nach einer gefühlten Stunde endlich ruckend anlief und die ersten Koffer aus einem von unten heraufführenden Schacht auftauchten. Sie purzelten eine zwei Meter lange Schräge hinab und machten sich dann auf ihren Weg durch die Halle. Erneut ergriff Unruhe die wartenden Touristen. Doch anders, als noch vor Kurzem im Flugzeug, waren sie hier nicht an ihre Sitze gefesselt und unter der Beobachtung der Stewardessen.
An dem Platz, an dem ich mich angestellt hatte, wurde es plötzlich nahezu menschenleer. Dafür drängelten sich alle in dem Bereich hinter dem Schacht. Jeder wollte so dicht wie möglich an das dunkle, gähnende Loch herankommen, aus dem das Gepäck wie durch Geisterhand erschien. Hildegard verteidigte mit hochrotem Gesicht ihren Platz ganz vorne und riss die Gepäckstücke ihrer Begleiterinnen mit Urgewalt vom Band. Beim Be- und Entladen der Flugzeuge wäre sie sicher eine echte Hilfe gewesen. Traute man der Frau gar nicht zu, dass die noch so zupacken konnte. Da waren sicher einige aufgestaute Aggressionen mit im Spiel, die sich während des Fluges angesammelt hatten und nun abgebaut werden wollten.
Ich sah meinen Koffer auf das Band herabpurzeln und Hildegard danach greifen. In dem Moment wünschte ich mir kurz, dem Herdentrieb der Mitreisenden nachgegeben zu haben und ebenfalls nach vorne gestürzt zu sein. Doch nur sehr kurz, denn im selben Augenblick tauchte Maike hinter der rüstigen Rentnerin auf. Mit sanfter Gewalt entwand sie Hildegard den Koffer, den diese jedoch nicht kampflos aufgeben wollte. Erinnerte mich ein wenig an den türkisch aussehenden Schwaben in Stuttgart. Ein heftiger Disput entspann sich zwischen den beiden, den ich aber aufgrund der Entfernung und des allgemeinen Lärmpegels in der Halle nicht mitbekam. Doch schließlich konnte Maike die Dame davon überzeugen, dass es sich bei dem in dunklem Metallicblau schimmernden Rollkoffer tatsächlich um mein Gepäck handelte.
Ein weiterer Trolley polterte herunter. Dieses Mal im nachtschwarzen Design. Auch diesen zog Hildegard vom Gepäckband und jetzt schien es sich um den richtigen Koffer zu handeln.
»Na, jedenfalls scheint die Gute farbenblind zu sein«, grinste ich in mich hinein. »Die beiden Teile sehen sich ja nun wirklich nicht ähnlich, oder?«
Die drei Damen hatten offensichtlich alle Packstücke beisammen und kämpften sich zufrieden schnatternd durch die Mitreisenden in Richtung Ausgang. Hier konnten schließlich erneut wertvolle Minuten eingespart werden, wenn man als Erster draußen war.
Dass der Reisebus, der alle ins Hotel beförderte, auch auf die Gäste warten musste, die nicht ganz so schnell agiert hatten, schien den Dränglerinnen momentan nicht in den Sinn zu kommen. Na, vielleicht hatten die ja auch einen Mietwagen gebucht?
Im Vorbeigehen rollte Hildegard so dicht an mir vorbei, dass ihr Koffer rumpelnd über meinen Turnschuh polterte.
»Hey, so passen Sie doch ein bisschen besser auf!«
»Ach, der junge Mann aus der Reihe hinter uns«, lachte Hildegard böse. »Das tut mir aber leid. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
Nicht gesehen?, ereiferte sich Hasenfuß. Das war doch pure Absicht von der alten Schreckschraube!
Sah ich ebenso, aber bevor ich reagieren konnte, stürmte sie mit ihren beiden Begleiterinnen bereits durch eine Schiebetür. Zu weit entfernt für einen entsprechenden Kommentar und schließlich war ich ja im Urlaub. Wieso sollte ich mich da über diese unsympathische Frau aufregen, die ich vermutlich nie wiedersehen würde?
Maike, die mittlerweile auch ihren Trolley vom Band gefischt hatte, tauchte mit unserem Gepäck auf und übergab mir meinen Rollkoffer.
»Na, das war wohl nicht so ganz einfach«, lachte ich. »Den wollte die gute Hildegard ja gar nicht mehr hergeben, was?«
Kommentarlos schüttelte Maike nur den Kopf und wir folgten den glücklichen Passagieren, die ihr Gepäck ebenfalls bereits wieder hatten, durch eine breite Schiebetür. Maike steuerte souverän auf den kleinen Schalter unseres Reiseanbieters zu, vor dem sich glücklicherweise nur ein Pärchen aufhielt. Irritiert wanderte mein Blick über die zwei Touristen. Die waren ziemlich laut. Vor allem der Mann.
»Ha ha«, rief er gerade. »Sie sind richtig. Ein echter Spanier, wie? Na, Spaß muss sein, was?«
»Sag mal«, flüsterte ich Maike zu, »kommen dir die beiden da vorne auch bekannt vor?«
»Klar, die kennen wir. Erinnerst du dich noch an unser erstes Date beim Inder?«
Sofort lichtete sich der Nebel. Wie könnte ich die Feinschmecker Hawaiihemd und Pelle vergessen? Und die waren ebenfalls in Fuerteventura? Am selben Schalter wie wir? Na hoffentlich bedeutete das nicht, dass die zwei auch im gleichen Hotel abstiegen ...
Nachdem sie ihre Reiseunterlagen in Händen hielten – was ziemlich lange dauerte, weil Hawaiihemd den Mann am Schalter viermal nach dem Weg zum Busparkplatz fragte – waren wir endlich an der Reihe. Der Mitarbeiter vom Reisebüro winkte uns freundlich zu sich heran. Tatsächlich, ein Spanier, wie man ihn sich wünschte. Schlank, braun gebrannt, mit langen schwarzen gegelten Haaren verkörperte er den kanarischen Einheimischen in Perfektion. Der Mann gehörte hierher, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
»Buenos Dias«, quetschte ich die kostbaren, weil einzigen Worte heraus, die ich während des Fluges von Maike aufgeschnappt hatte.
»Ola«, begrüßte Maike ihn deutlich souveräner. »Cómo estás?«
»Ola aich au«, grüßte er freundlich zurück, »ei un ihr kennds aafach Deutsch babbela, isch bin ao a Auswerrdischer un mei Spanisch isch no ned so sischee!«[Fußnote 4]
Das Bild des Original-Spaniers in meiner Vorstellung zerplatzte wie ein Luftballon auf einer jener dornigen Sukkulentenstauden, die hier im Flughafen überall herumstanden.
Wenig später hatte er uns mit einem abschließenden, freundlichen »Hanaah, viel Spaß em Urlaub wünsch isch eich!« einen Umschlag mit Reiseunterlagen und einen Zettel mit der Busnummer samt Haltestellenbeschreibung in die Hand gedrückt und wir rollten aus der Abfertigungshalle.
Die Schiebetür öffnete sich und im selben Moment bedauerte ich meinen Entschluss, heute Nacht ein langärmeliges Sweatshirt plus Unterhemd angezogen zu haben. Kein T-Shirt. Nichts, was man einfach wechseln oder sogar ausziehen konnte.
Verdammt, ist das heiß hier, dachte ich und krempelte die Ärmel hoch. Nicht, dass das viel geholfen hätte. Konnte ja wohl keiner ahnen, dass zweiundzwanzig Grad Celsius und sonnig bedeutete, dass man hier wie ein Steak auf dem Rost gegrillt wurde, kaum dass man den Flughafen verließ, oder?
Jedenfalls schwitzte ich wie ein Eisbär in der Sahara und sah Maike etwas neidisch dabei zu, wie sie ihre Strickjacke auszog, in meinen Rucksack stopfte und mich aus ihrer dünnen Bluse heraus anstrahlte.
»Ist das nicht herrlich hier?«, freute sie sich. »Da kommt man aus Schnee, Eis und Kälte und landet im Paradies.«
»Ja, super, oder?«, stimmte ich mit nur oberflächlicher Begeisterung zu. Die würde bestimmt noch kommen, wenn ich erst im Hotel in meiner Badehose auf einer bequemen Liege am Pool lag und einen der leckeren und kostenlosen All-Inclusive-Drinks wegschlabberte, die dort zu jeder Tages- und Nachtzeit serviert wurden.
Wir rollten unsere Koffer Richtung Parkplatz, wo wir sie einem netten Busfahrer übergaben und einstiegen. Das Dream-Trio Hildegard und Co. saß natürlich bereits drin. Das war ja irgendwie klar gewesen, dass die drei im selben Bus landen würden wie wir. Und selbstverständlich saßen sie ganz vorne, direkt hinter dem Fahrer. Damit hatten sie sich erneut die Poleposition gesichert und würden beim Aussteigen wertvolle Urlaubssekunden gutmachen. Hildegard unterhielt sich momentan lautstark mit ihren Begleiterinnen und sah mich daher nicht kommen. Ihre hohe unangenehme Stimme schrillte durch den Bus, während sie sich beklagte, dass es nicht losging. Klar, sie war ja an Bord, wieso da noch auf die übrigen Reisenden warten?
In diesem Moment beschloss ich, sie Hildi zu nennen. Sie war laut, irgendwie nervtötend und erinnerte an die Bohrmaschine zu Hause. Auch wenn die sich mit »t« schrieb und bei Weitem nicht so ein Quälgeist war wie die Ruheständlerin, die zu mir herumfuhr und mich böse anblickte, als mein Rucksack sie am Oberarm streifte. Rein zufällig natürlich.
»Hey, so passen Sie doch ein bisschen besser auf!«
»Ach, die ältere Dame aus der Reihe vor uns«, strahlte ich sie an. »Das tut mir aber leid. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
Gut gekontert, schaltete sich Hasenfuß ein, während Maike und ich weiter nach hinten durchgingen. Ich würde mal sagen, es steht wieder unentschieden.
Wir gingen an Hawaiihemd und Pelle vorbei, die logischerweise ebenfalls im Bus saßen und nun still vor sich hin transpirierten. Das war schon irgendwie schräg, dass wir uns hier alle wiedertrafen. Fehlten eigentlich nur noch Maggy und Manni, dann wäre mein Urlaubsglück perfekt gewesen.
»Sag mal, schwitzt du nicht?«, fragte Maike, nachdem wir uns durch den Bus gekämpft hatten und auf die Rückbank fallen ließen.
»Och nö«, erwiderte ich, »geht schon. Sobald wir losfahren, wird es hier drin gleich wieder schweinekalt, wenn die Klimaanlage läuft. Da bin ich froh, ein Sweatshirt anzuhaben.«
»Na, wie du denkst«, lächelte sie und gab mir einen Kuss auf die Backe. »Ist das nicht toll? Unser erster Winterurlaub im Süden. Weißt du noch letztes Jahr? Der spontane Skiurlaub mit meinen Eltern in Saalbach?«
Ich nickte. Wie könnte ich den vergessen? Schließlich waren das die ersten gemeinsamen Tage gewesen, die ich mit Maike verbracht hatte. Und ihren Eltern. Und Axel, dem alten Schwerenöter, der sich am Ende zu einem echten Kumpel entwickelt hatte. Und den Versuchen, heil mit unter die Füße geschnallten Brettern die Berghänge herunterzukommen. Im Nachhinein betrachtet grenzte es für mich immer noch an ein ausgemachtes Wunder, dass ich das Ganze sowohl psychisch als auch physisch verhältnismäßig unbeschadet überstanden hatte.
»Ja, das war schon was«, griente ich zurück. »Ich hoffe mal, dieser Urlaub wird weniger nervenaufreibend. Aber zumindest habe ich diesmal einen entscheidenden Vorteil auf meiner Seite.«
»Und welchen?«
»Schwimmen kann ich schon«, grinste ich. »Das muss ich nicht erst lernen.«
Frühschicht im Paradies
Der weitere Transfer zog sich. Und das schon, bevor sich der etwas in die Jahre gekommene Reisebus überhaupt in Bewegung setzte. Es dauerte noch einmal fast eine Stunde, bis der letzte Passagier den Weg zum Fahrzeug gefunden hatte. Und wie es der Zufall wollte, handelte es sich bei ihm um den überaus freundlichen Bayern, den ich schon beim Einchecken der Koffer in Stuttgart so richtig ins Herz geschlossen hatte. Na, dann waren ja jetzt alle meine Freunde komplett.
Mit einer Halbliterbierdose Paulaner in der einen Hand und seinem Rollkoffer in der anderen schlenderte Sepp ohne Hast auf unseren Bus zu. Der Bayer hatte dann wohl schon mit dem Vorglühen begonnen, kaum dass er aus dem Flieger gepurzelt war. Jetzt wurde mir auch klar, warum er so lange gebraucht hatte: War sicher nicht so einfach, eine Dose seines Lieblingsweißbieres hier auf dem Flughafen von Fuerteventura zu finden. Da hatte man ungefähr die gleiche Chance, einen Eimer Sangria mit Strohhalmen im Bierzelt auf dem Oktoberfest in München zu bekommen.
»Na, das wird aber Zeit, dass Sie endlich den Weg gefunden haben!«, nörgelte Hildi in einer Lautstärke, dass es auch wirklich alle im Bus mitbekamen. Und zum allerersten Mal heute musste ich ihr zustimmen. Immerhin herrschten hier drinnen nicht gerade arktische Temperaturen und ich fühlte mich mittlerweile wie ein niedriggegartes Schweineschnitzel kurz vor dem Verzehr.
Den verspäteten Filzhutträger schien die Rüge nicht zu stören. Ohne eine Entschuldigung ließ er sich in einen der wenigen noch freien Sitze fallen und genehmigte sich erst mal einen weiteren tiefen Schluck aus seiner Bierdose. Schön, dass wenigstens für ihn der Urlaub bereits so entspannt begann.
Der Reisebegleiter, der uns die ersten Minuten begleitete, erläuterte den Ablauf der Fahrt. Was bedeutete, dass er in mäßig verständlichem Deutsch durchgab, unser Fahrer Javier würde zunächst noch eine knappe Stunde bis zum Ziel im Süden der Insel benötigen, um dort vor jedem Hotel rechtzeitig anzusagen, wo wir uns gerade befanden. Hörte sich gut an, da konnte man die Landschaft genießen, bis die eigene Unterkunft aufgerufen wurde.
Leider gestaltete sich die Umsetzung dieses einfachen Plans dann doch etwas schwieriger als erwartet. Nach eineinhalb Stunden Fahrt durch eine überwiegend von braungrauen staubigen Hügeln geprägte Mondlandschaft erreichten wir endlich das erste Zwischenziel in Esquinzo. Da war die knappe Stunde Transferzeit dann doch wohl eher für einen Rennwagen kalkuliert worden.
Der Bus stoppte vor einem nichtssagenden verglasten Bau, der genauso gut eine Einkaufspassage hätte sein können. Einen Hotelnamen konnte ich nicht entdecken und auch sonst machte das Gebäude nicht den allerbesten ersten Eindruck auf mich. Hoffentlich war das nicht unsere Unterkunft.
Javier betätigte die Bordsprechanlage und gab den Namen des Hotels wie versprochen durch. Auf Spanisch. Was nicht wirklich dazu führte, dass ich nun wusste, wo wir uns befanden, denn das Kauderwelsch, das da aus den Buslautsprechern drang, war nur schlecht bis überhaupt nicht verständlich.
Für mich hörte sich der Hotelname jedenfalls an wie »Primat-Garden«. Vielleicht ein Tierpark für unsere evolutionär nächsten Verwandten im Tierreich? Und da sollte man als Urlauber absteigen?
Andererseits – wenn ich so an Sepp, Hildi und Co. dachte, dann waren uns die Primaten gar nicht so unähnlich und die Erstgenannten in einem Zoo vielleicht sogar intellektuell gut aufgehoben.
Jedenfalls reagierten die Insassen des Busses auf Javiers Ansage mit aufgeregtem Gemurmel. Die hatten wohl ebenfalls nicht wirklich verstanden, was unser Fahrer da ins Mikro genuschelt hatte.
»Was hat er gesagt?«
»Ist das hier das Allmar-Hotel?«
»Nee, ich glaube, er sagte Alltours.«
»Ich habe ganz klar Alhambra Garden verstanden.«
»Liegt die Alhambra nicht auf dem Festland, Peter?«
Ich klinkte mich mental aus. Da unser Hotel weder mit All begann und sicher nicht auf Tours oder Garden endete, war ich momentan noch tiefenentspannt. Da mir aber bereits jetzt klar war, dass die Verständigung mit Javier sich auch in nächster Zeit nicht schlagartig verbessern würde, suchte ich einen Ausweg. Und fand ihn in Form meines Smartphones, auf dem mir Google genau anzeigte, wo wir uns momentan befanden.
Witzig, dass da die übrigen Mitreisenden nicht auch draufkamen. Die versuchten Javier in eine deutsch-spanisch-englische Unterhaltung zu verstricken, um herauszufinden, was ich schon längst wusste. Der arme Fahrer verstand jedoch nur Bahnhof, öffnete schließlich in seiner Verzweiflung die Tür und stürzte gestikulierend hinaus. Alle Urlauber, die sich nicht ganz sicher waren, ob sie ihr Traumziel bereits erreicht hatten, hinterher. Und natürlich waren Hildi und ihre Begleiterinnen die ersten, die draußen standen und die hitzige Diskussion mit einer Mitarbeiterin fortsetzten, die hilfsbereit aus der Lobby gestürzt kam, um dem armen Busfahrer zu Hilfe zu eilen. Ihrem Gesichtsausdruck nach kannte sie diese Art der Touristenverwirrung schon und trat klärend und schlichtend zwischen Fahrer und Gäste. Zwei Mitreisende stiegen am Ende aus, denen ich mitfühlende Blicke hinterherschickte, als sie die Lobby betraten. Na ja – vielleicht war es von innen ja viel schöner, als es von außen wirkte.
In der Folge wiederholte sich der Vorgang noch achtmal, bevor wir in die breite Einfahrt eines weiteren Hotels einbogen. Mein Smartphone bestätigte, dass es sich dabei um unser Ziel handelte, obwohl ich Javiers Ansage auch diesmal nicht verstand. Auf die hätte er hier im Übrigen verzichten können, denn über dem Eingang prangte in dicken goldenen Buchstaben der Name »Fuerteventura Luxury Hotel«[Fußnote 5].
Maike und ich nahmen das Handgepäck auf und arbeiteten uns mit steifen Gliedern nach vorne. Natürlich war auch hier wieder die Hildigruppe als Erste draußen. Wie die achtmal zuvor – das hielt bestimmt fit, bei jedem Halt raus- und reinzurennen. Die waren schon flink unterwegs, die Mädels, das musste der Neid ihnen lassen.
Auch Hawaiihemd und Pelle erhoben sich ächzend von ihren Plätzen, als wir uns durch den Gang nach vorne kämpften. Na, da war mein schlimmster Albtraum ja tatsächlich in Erfüllung gegangen. Vorsichtshalber suchte ich die Umgebung ab, ob nicht doch noch Manni und Maggy irgendwo zu sehen waren. Nur Sepp blieb leise schnarchend auf seinem Platz sitzen, den Filzhut tief ins Gesicht gezogen. Na, wenigstens hatten wir den los – das war ja schließlich auch schon was wert.
In der Lobby des Fuerteventura Luxury war es angenehm kühl. Gut so, denn draußen briet einem die spanische Sonne noch immer das Gehirn knusprig. Und mein Sweatshirt – das seinem Namen mittlerweile mehr als gerecht wurde – hatte seine maximale Kapazität, was Feuchtigkeitsaufnahme anging, bereits vor der Abfahrt am Flughafen erreicht. Ich atmete erleichtert auf, genoss die klimatisierte Luft, von der es im Bus nur winzige Mengen gegeben hatte, und stellte mich mit Maike neben die Hildigruppe. Die drei älteren Damen warfen mir missmutige Blicke zu. Als ob ich was dafür konnte, dass wir dasselbe Hotel gebucht hatten. Und an der Wartezeit am Flughafen und der anschließenden nervenaufreibenden Tour hierher war ich meiner Meinung nach ebenfalls gänzlich unschuldig. Wer von uns war denn bei jedem Halt aus dem Bus gestürzt und hatte sich ausgesprochen aktiv an den Diskussionen vor den diversen Hotels beteiligt? Wären die Damen brav auf ihren Hintern sitzen geblieben, hätten wir sicher eine halbe Stunde Reisezeit einsparen können. Was den Dreien aber so bestimmt nicht klar war. Sie wandten sich in schönster Synchronität wieder der Rezeption zu und wackelten ganz selbstverständlich als erste in Richtung des freien Hotelangestellten, der die neuen Gäste mit einem Lächeln in Empfang nahm.
Gut – jetzt trennten mich wenigstens einige Meter von dieser Furie nebst Begleitung. Und wie lange konnte es schon dauern, bis die drei Damen eingecheckt hatten? Immerhin waren an der Rezeption ja zwei Mitarbeiter damit beschäftigt, den Gästen jeglichen Wunsch von den Augen abzulesen. Das äußerst angeregte Gespräch, das der zweite momentan mit einer um die sechzig Jahre alten Bikinischönheit führte, konnte ja wohl nicht allzu lange dauern. Obwohl die Sprachbarriere in diesem Fall vermutlich die Ausmaße der Chinesischen Mauer übertraf: Die knapp bekleidete Dame verständigte sich in nahezu unverständlichem Deutsch, in das sie hier und da französische Begriffe einfließen ließ. Sollte wohl sexy klingen und hätte auch sicher seinen Zweck nicht verfehlt, wenn der Mann am Schalter ihren wasserfallartigen Redeschwall verstanden hätte und sie dreißig Jahre jünger gewesen wäre.