Vollblondige Businen - Ruth Moschner - E-Book

Vollblondige Businen E-Book

Ruth Moschner

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Beschreibung

Wo die Liebe hinfällt, wächst kein Gras mehr. Für Hanna steht fest: Charles und Camilla sind an allem schuld. Wären die beiden Leguane nicht, denen ihr Freund Klaus seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, hätte sie auf der Promi-Party nicht den coolen Musiker Trent kennengelernt, und vielleicht wäre alles ganz anders gekommen. Doch so muss sie einen Talkgast ersetzen, bricht die vollblondige Starmoderatorin zusammen, verliert Hanna ihren Job, und dann ist Klaus weg … «Eine literarische Achterbahnfahrt in bester ‹Schokolade zum Frühstück›-Manier.» (Buchjournal)

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Seitenzahl: 373

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Ruth Moschner

Vollblondige Businen

Roman

Eins

Ein Unglück kommt selten allein. Sagt meine Großmutter immer. Und sie hat wie immer recht damit. Schließlich kamen meine beiden kleinen Brüder auch zu zweit auf die Welt.

Ich bin die Erstgeborene. Die haben es zwar schwerer, sind aber dafür klüger. Jedenfalls steigen die Chancen dafür, wenn sie der einzige weibliche Nachwuchs in der Familie sind.

Das ist vermutlich eine Art ausgleichende Gerechtigkeit dafür, dass man als Erstgeborene im Grunde der erste echte Störenfried in einer bis dahin noch perfekten Beziehung ist. Als erstes Kind zur Welt zu kommen, das ist in etwa so, als würde man sich am Valentinstag einfach zu einem frischverliebten Pärchen setzen und sie für den Rest des Abends nicht mehr in Ruhe lassen. Auch wenn die Eltern das niemals zugeben würden.

Als sich das Verhältnis zu meinen Eltern nach vier Jahren wieder etwas beruhigt hatte, kamen Christian und Mario. Jungs. Und dann noch im Doppelpack. Wenn der eine gerade nicht schrie, dann brüllte der andere. Noch schlimmer wurde es, als sie laufen und sprechen konnten und begannen, «kreativ» zu spielen. Sie füllten meine Lieblingspuppe Bertha mit Grießbrei und steckten sie in den Backofen. Ich war todtraurig, beerdigte Bertha in unserem Garten, sprach drei Wochen lang kein Wort mehr und verweigere seitdem sämtliche Gerichte, die Grieß enthalten.

Meine Brüder zeigten einen außergewöhnlichen Wissensdurst: «Hanna, warum hast du keinen Pipimann, so wie wir und Papa?» Natürlich recherchierten sie grundsätzlich dann, wenn meine coolen Freunde aus der 4a zu Besuch waren. Später platzten Chris und Mario unaufgefordert ins Badezimmer oder klauten meine BHs, um sie neckisch auf dem Kopf zu tragen. Ebenfalls vor den Augen meiner Klassenkameraden. Das war sicher einer der Gründe dafür, dass ich erst mit 17 meinen ersten Freund hatte: Rüdiger. Rüdiger ließ sich selbst von meinen Zwillingsbrüdern nicht abschrecken. Unsere Beziehung scheiterte, als auch er meinen BH klauen wollte. Dass man von gleichaltrigen Jungs die Unterwäsche wieder zurückbekommt, habe ich erst ein Jahr später begriffen.

Christian und Mario haben inzwischen jemand anderen gefunden, den sie ärgern können, denn sie sind beide verheiratet und haben selbst kleine Kinder, die mich liebevoll «Tantananna» rufen. Ja, ich habe meine harte Kindheit überwunden, mit dem Sex klappt es ganz gut, und ich bin auf dem besten Weg, eine erfolgreiche erwachsene Frau zu werden, die mit beiden Beinen im Leben steht.

Im Augenblick vielleicht nicht gerade, denn mein linker Absatz steckt im Fußbodengitter vor dem Eingang des Mietshauses fest, in dem ich eigentlich seit zehn Minuten einen Termin habe. Und das an meinem ersten Arbeitstag! Ich bin Redakteurin und habe gerade eine Stelle in der Talkshow eines TV-Senders ergattert. Und wenn dieses Gitter mich nicht daran hindern würde, wäre ich schon längst beim Recherchegespräch. Ich muss einen extrem wichtigen Studiogast für die kommende Sendung befragen.

Ich rüttele verzweifelt meinen Fuß hin und her, bis das scharfkantige Metall einen langen Schlitz in meinen Absatz schabt. Hchrrrrrdt! macht es, und man kann das helle Plastik unter dem dunklen Leder sehen. Ein fieses Geräusch, wenn man bedenkt, dass mich die Schuhe ein halbes Vermögen gekostet haben. Sollte ich hier jemals wieder rauskommen, kann ich sie in den Müll werfen. Aber zuerst muss ich mit dem Schuh aus dem Gitter. Also versuche ich es mit ruckartigen Bewegungen. Keine gute Idee, denn nun hängt das komplette Gitter an meinem Schuh. Es hilft nichts, ich muss zur Tür. Also humple ich klappernd zu den Treppenstufen des Hochhauses. Kloink, kloink, kloink-pling. Ich bin offenbar die einzige Geräuschquelle in dieser Gegend. Selbst der triste Spielplatz gegenüber schweigt vor sich hin.

Mit einem Plumps setze ich mich auf die Stufen und ziehe und zerre an dem Monstrum, das meinen Schuh zu fressen droht, bis es endlich aufgibt – leider gemeinsam mit dem Absatz. Na toll. Ich fange an zu schwitzen und überlege kurz, ob ich das Vorgespräch mit meinem Talkshowgast vielleicht doch lieber telefonisch führen sollte. Während ich nervös an meinem Schuh herumfummele, fällt mir dieser 90er-Jahre-Werbespot für Kaubonbons ein, in dem sich die Frau den Absatz abbricht, lächelt, einen Drops nimmt und den anderen Absatz kurzerhand ebenfalls abbricht. Natürlich hat diese Frau ellenlange Beine und topgestylte Klamotten. Von beidem kann ich nur träumen.

Ich bin eins fünfundsechzig groß, mein Vorbau ist etwas zu klein geraten, was mein beeindruckendes Hinterteil wieder ausgleicht. Jeans sind mir grundsätzlich zu lang und zu eng. Dafür habe ich schöne lange braune Haare und große Augen. Positiv betrachtet, sehe ich also aus wie Jennifer Lopez mit Brille. Realistisch betrachtet, laufen 99Prozent der Männer auf der Straße an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Immerhin: Ich kann gut aussehen, wenn ich will. Manchmal hilft ja schon ein Lächeln. Wie in der Werbung. Also mache ich ein freundliches Gesicht und versuche, den Absatz des anderen Schuhs ebenfalls abzubrechen, natürlich erfolglos.

Eigentlich müsste man mal eine Diskussionssendung über hohe Absätze in der Großstadt produzieren. Ich bin mir sicher, dass sich die Wege von Damenschuhmachern und Straßenbauern noch nie im Leben gekreuzt haben. Sonst gäbe es nicht genauso viele Stolperfallen wie Highheels in den Läden. Ich muss das in der nächsten Redaktionssitzung unbedingt als Talkthema vorschlagen.

Das ist das Tolle am Beruf des Redakteurs: Wir sind die stillen, leisen Manipulateure im Hintergrund. Für viele existieren wir gar nicht. Die meisten denken, dass sich der Moderator vor der Kamera alles selbst ausdenkt, und sind dann völlig aus dem Häuschen, wenn sie erfahren, dass andere ihm die Texte schreiben. Manchmal trägt der Star der Sendung sogar einen Knopf im Ohr, über den man ihm Anweisungen geben kann. Deswegen wirken viele Moderatoren manchmal auch wie ferngesteuert.

Ein Hausbewohner geht an mir vorbei zur Eingangstür und taxiert mich mit einem überheblichen Kopfschütteln. Ich halte dagegen und setze mein arrogantestes Gesicht auf, bis mir einfällt, dass ich heute einen kurzen Rock trage und der Typ wahrscheinlich gerade die Blümchen auf meinem Schlüpfer zählen kann.

Bevor die Situation noch peinlicher wird, ziehe ich meine Schuhe aus und stopfe sie in meine Tasche. Ist ja fast Sommer, vielleicht fällt es nicht auf, wenn ich barfuß in die Wohnung patsche. Herrje! Dabei sagt meine Oma immer, ich muss die Füße warm halten, damit ich mich nicht erkälte.

Sie hat übrigens bis heute nicht begriffen, was ich eigentlich arbeite. «Kind, wenn du beim Fernsehen arbeitest, wieso kann ich dich dann nicht sehen?», fragt sie jedesmal, «du kannst es mir ruhig sagen, wenn du keine Arbeit hast…» Im Abspann könnte sie meinen Namen lesen, aber die Schrift ist ihr zu klein und bewegt sich viel zu schnell. Also schiebt sie mir bei jedem Besuch unauffällig einen 50-Euro-Schein in die Handtasche. «Hier, Kindchen, gönn dir mal was Schönes! Damit du nicht immer deinen Klaus um Geld fragen musst», sagt sie dann.

Klaus ist der Mann an meiner Seite, mit dem ich seit fast fünf Jahren mein Leben und seit über vier Jahren sogar die Wohnung teile. Er ist der Ruhepol in unserer Beziehung und arbeitet bei der Stadtverwaltung. Das bedeutet, dass Klaus über zwei Dinge verfügt: Zeit und eine sichere Pension. Großmutter kann es bis heute nicht fassen, wie man über Jahre hinweg in wilder Ehe zusammenleben kann. Dabei geht es ihr gar nicht um die Moral von der Geschicht’, nein, Oma macht sich eher darüber Sorgen, wer Klaus’ tolle Rente bekommt, wenn er vorzeitig sterben sollte. Oma neigt gerne mal zu gnadenloser Direktheit, mit der Betonung auf «gnadenlos». Klaus fängt in solchen Situationen immer an, nervös an seinem Pullover herumzunesteln. Ihm ist das Thema peinlich, zumal es ja eigentlich an mir liegt, dass wir bis heute nicht verheiratet sind.

Das soll jetzt nicht heißen, dass wir nicht glücklich miteinander wären. Ich warte einfach auf den richtigen Moment in unserer Beziehung. Den Aha-Effekt. Es ist doch so: Wenn man lange genug auf einen Wasserfall starrt, dann verlangsamen sich irgendwann die Wassermassen, und es scheint, als könne man jeden Tropfen einzeln wahrnehmen. Das laute Rauschen wird zu einem sanften Plätschern, und alles um einen herum erscheint plötzlich ganz einfach. Genauso stelle ich mir den Moment vor, in dem ich erkenne, dass ich mit Klaus den Rest meines Lebens verbringen möchte.

Johannes Grundbach, der Studiogast, den ich nun barfuß heimsuche, ist übrigens ebenfalls nicht verheiratet. Er ist alleinerziehender Vater. Man muss immer noch lange suchen, bis man so einen Exoten findet. Aber wir arbeiten ja für eine seriöse Talkshow mit Hang zum Anspruchsvollen, da kann man sich schon mal Mühe geben. Wer die Sendung regelmäßig verfolgt, wird das vielleicht an der ein oder anderen Stelle sogar bemerkt haben. Vorzugsweise enden unsere Aufzeichnungen jedoch in einer verbalen Schlammschlacht der verschiedenen Parteien. Das erinnert mich immer an die Abendessen bei uns zu Hause, wenn meine Brüder sich mal wieder nicht einigen konnten, wer den letzten Hähnchenschenkel bekommen sollte. Mich hat das immer ziemlich genervt, aber im Fernsehen steigt die Quote spontan um ein paar Prozentpunkte.

Mit 20-minütiger Verspätung klingele ich endlich an der Wohnungstür. Bevor ich meinen Rock wieder in die richtige Position rücken kann, öffnet sich schon die Tür, und ein Geruchscocktail aus Essen und Staub strömt mir entgegen.

«Guten Tag, Rückad mein Name, wie Rückgrat, nur ohne ‹g›, ‹r› und hinten mit ‹d›, bitte entschuldigen Sie die Verspätung…»

«Schon gut, kommen Sie rein.» Johannes Grundbach schaut mich kaum an und macht auf dem Absatz kehrt. Immerhin hat er noch einen. Er schlurft vor mir her ins Wohnzimmer, sodass ich auf seinen extrem flachen Hintern starren muss. Viele Männer haben flache Hinterteile, was ihre Chancen auf dem freien Markt nicht mindert, denn die meisten Frauen schauen in Wirklichkeit doch lieber zuerst in die Augen und dann erst auf den Po. Herr Grundbach hat zwei besonders hübsche Augen. Dunkelbraun sind sie und ungeheuer melancholisch im Ausdruck. Abgesehen von seinem mickrigen Hinterteil ist er groß gewachsen und verfügt über eine Art natürlichen Holzfällercharme. Unser weibliches Publikum wird begeistert sein! Wir nehmen auf seiner braunen Kunstledercouch Platz. Jetzt wäre eigentlich der Augenblick, mir Tee oder Kaffee anzubieten. Tut er aber nicht. Stattdessen fummelt er nervös an einem Zettel herum, bis er ihn in winzige Fitzchen zerlegt hat. Er ist 29Jahre alt, wirkt aber wesentlich älter. Gerade hat er die Überreste des zerfetzten Zettels aufgegeben, da brüllt im Nebenzimmer Jakob, sein vierjähriger Sohn. «Seit drei Jahren kümmere ich mich allein um Jakob. Das ist manchmal hart, aber meine Mutter greift mir unter die Arme. Ohne sie würde ich es sicher nicht schaffen.» Er kratzt sich verlegen seinen Dreitagebart, steht auf und geht zum Fenster. In seinen Jeans klafft ein fettes Loch an der Innenseite des rechten Hosenbeines. Das ist sicher nicht absichtlich dort, er hat es einfach bisher noch nicht bemerkt. Phantastisch! Unsere Zuschauerinnen werden ihn lieben. Jakob, Johannes’ Sohn, ist inzwischen aus dem Spielzimmer zu uns gekommen und krabbelt nun so unbefangen auf seinem Vater herum, als sei er die Zugspitze. Unbeeindruckt davon, erzählt Johannes weiter. «Biggi und ich waren damals so glücklich. Ich hätte niemals auch nur im Leisesten geahnt, dass sie lesbisch sein könnte!» Das wird ja immer besser! Sie hat ihn also nicht verlassen, weil er ein Schwein ist, sondern wegen anderweitiger Interessen. Ich versuche meine Begeisterung zu verbergen und mache ein betroffenes Gesicht. Als Johannes sich wieder zu mir aufs Sofa gesellt, frage ich mit zitternder Stimme: «Wie konnte Sie Ihnen das nur antun?» und blicke ihm tief in seine traurigen braunen Augen. Johannes starrt interessiert auf meine nackten Füße, traut sich aber offenbar nicht nachzufragen. Stattdessen widmet er sich wieder den Überresten des Zettels. Kleine Flocken rieseln auf den Tisch. «Ich kann es mir bis heute nicht erklären, warum Biggi so urplötzlich… Mein Psychiater hat gesagt, es läge mit Sicherheit nicht an mir. Wir arbeiten momentan daran, dass ich bald wieder mit anderen Frauen ausgehen kann. Jakob hätte ja auch so gerne eine neue Mami, stimmt’s, mein Hasenpups?» Wie auf Kommando hüpft Jakob in meine Richtung und schlingt seine kleinen dicken Ärmchen um meinen Hals. «Mami!», ruft er zärtlich. Reflexartig zucke ich zurück, Jakob rutscht ab und baumelt mir jetzt an der Schulter. «Oh, das ist mir jetzt aber unangenehm.» Johannes greift entschlossen nach seinem Sohn und nickt mir schuldbewusst zu. Bevor die Situation für alle Parteien noch peinlicher wird, greife ich schnell nach meinem Notizblock und reiche Herrn Grundbach die Hand. «Ja, Kinder… hahaha… ich werd’ dann mal… Herr Grundbach… hat mich sehr gefreut… und wir sehen uns dann nächste Woche im Studio. Wegen der organisatorischen Dinge meldet sich dann noch jemand bei Ihnen. Und vielen Dank für den Kaffee!», stammele ich.

In der Hektik habe ich ganz vergessen, dass er mir gar keinen Kaffee angeboten hat, aber Herr Grundbach hat das auch nicht gemerkt. Er und sein Sohnemann begleiten mich noch zur Wohnungstür, wobei sie mir nun zu zweit auf die bloßen Füße starren, und winken mir nach, bis ich im Lift verschwinde. Geschafft. Jetzt aber ab in die Redaktion und das Material zusammenkloppen!

Am Eingang des Verlagshauses begrüßt mich derselbe Typ, der schon bei meinem Einstellungsgespräch die Tür bewacht hatte. «Na? Hat wohl geklappt mit dem Job, junge Frau. Dann werden wir uns künftig ja öfter zu Gesicht bekommen. Aber das muss Ihnen nicht gleich die Schuhe ausziehen. Hö hö hö…!» Er deutet auf meine nackten Füße und hält sich den dicken Bauch vor Lachen. Er sieht aus wie der Nikolaus, der früher immer zu uns in den Kindergarten kam, als Bertha noch nicht den Grießtod gestorben war. «Arbeitsunfall», sage ich betont lässig. «Mein Name ist übrigens Hanna, Hanna Rückad. So wie Rückgrat, nur ohne ‹g›, ‹r› und hinten mit ‹d›.» Ich strecke ihm die Hand entgegen. «Angenehm. Josef Meier. Ich bin hier der Hausmeister und Pförtner. Gewissermaßen. Seit dreißig Jahren schon. Da sieht man viele kommen und gehen.» Er greift beherzt nach meiner Hand und drückt sie ein bisschen zu fest. Ich kneife vor Schmerzen die Augen zusammen, was er allerdings als Zwinkern zu interpretieren scheint, denn er zwinkert zurück. Im Hintergrund läuft ein Fernseher oder ein Radio, ich höre das typische Tröten und Grölen, das Fußballspiele begleitet. Meier schlurft wieder an seinen Platz und greift tatsächlich nach einem winzigen Schwarz-Weiß-Fernsehgerät. Die Antenne ist ungefähr 1,50 lang und der Bildschirm nur etwa so groß wie eine Handfläche. Immerhin gibt es ordentlich Ton dazu, denn ich kann ihn kaum noch verstehen, als er sich mit einem Ächzen auf den Stuhl sinken lässt, mir zuzwinkert und «Toi, toi, toi» hinterherruft.

Ich nehme den Fahrstuhl in den sechsten Stock und sortiere während der Fahrt mein Outfit. Der Saum meines T-Shirts beginnt sich aufzulösen, also stopfe ich ihn kurzerhand in den Rock. Mehr ist nicht zu retten. Schnell kämme ich mir mit den Fingern durchs Haar und binde meinen Pferdeschwanz neu. Noch etwas Lipgloss auf die Lippen, da öffnet sich schon die Fahrstuhltür mit einem hellen «Pling!». Ich atme einmal kurz durch und trete vor das Empfangspult. Dahinter thront eine ältere Dame, ziemlich stark geschminkt und mit einer aufwendigen Hochsteckfrisur. Gerade wühlt sie sich durch einen Stapel Akten. Ich räuspere mich und sage meinen Spruch auf: «Guten Tag, Rückad mein Name.» Keine Reaktion. Stattdessen rollen Empfangsfrau und Stuhl in Richtung Regal, um dort einen weiteren Stapel Ordner herauszuholen. «Ha-Hallo?!», stottere ich irritiert. Noch immer keine Reaktion. Ich versuche es noch einmal. «Entschuldigung?» Aha, ihre rechte Augenbraue zuckt. Jetzt muss sie mich gehört haben. Aber immer noch keine Antwort. Also sage ich: «Ich bin die Neue. Sicher wissen Sie das bereits.» Der Willkommensdrachen hält kurz inne. «Endlich!», denke ich. Doch anstatt mir die Tür zu öffnen, steht sie seelenruhig auf, um sich eine Tasse Kaffee einzugießen. Zurück an ihrem Pult, nimmt sie einen kräftigen Schluck, leider ohne sich zu verschlucken. Und dann endlich schaut sie mich über ihre Lesebrille hinweg an. «Ja, bitte?», schnarrt sie und mustert mich genervt von oben bis unten. Natürlich bleibt ihr Blick an meinen nackten Füßen hängen, und ich komme mir vor wie ein kleines Mädchen beim Schulreferat. «Guten Tag, mein Name ist Hanna Rückad. Ich fange heute hier an.» Ich versuche zu lächeln, um meinen guten Willen zu unterstreichen. Sie soll nicht denken, ich wäre eine von diesen zickigen Pseudoredakteurinnen, die keine Ahnung vom Fach haben. Ich habe schließlich volontiert und sogar sechs Semester Kommunikationswissenschaften studiert. Aber keine Chance beim Empfangsdrachen. «Sie kommen spät. Konferenz is immer um zehn. Jetzt isses halb zwölf!», bürstet sie mich ab. Das fängt ja gut an. Der Drachen und ich liegen genau auf einer Wellenlänge. Ich lächle trotzdem tapfer weiter und sage: «Auswärtstermin. Sorry. Kann ich jetzt rein?» Wortlos drückt sie auf den Summer, um sich sofort wieder ihren Unterlagen zu widmen. Die Tür macht einen kurzen Klick und öffnet sich. «Konferenz is zweite Tür links!», blökt es noch hinter mir her. Ich flitze durch den Gang, klopfe kurz an der Tür, so wie es mir meine Eltern beigebracht haben, und trete ein.

Zwölf Augenpaare sind auf mich gerichtet. «Ah, da bist du ja. Darf ich euch eure neue Kollegin vorstellen. Das ist Hanna!» Der Typ, der mich so freundlich begrüßt, heißt Gerhard und ist der Redaktionsleiter. Ein kleiner, leicht untersetzter Mittvierziger mit schütterem Haar und Glubschaugen. Er klopft auf den Stuhl neben sich. «Mein rechter rechter Platz ist leer, da wünsch’ ich mir die Hanna her.» Die Kollegen werfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, während ich mich an ihnen vorbeischlängele. Das ist gar nicht so einfach. Ich muss meinen Bauch einziehen und auf Zehenspitzen an den Stuhlreihen entlanggehen. Ein junger hagerer Typ mit dunklen fettigen Haaren und Aknenarben im Gesicht streckt mir seine Hand entgegen. «Hallo, Hanna, freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin der Thorsten.» Derthorsten müffelt ein bisschen in seinem Synthetikrolli. Er ist der Typ Mann, der in seiner Freizeit gerne Rentierpullis klöppelt oder die Männertöpfergruppe der Volkshochschule besucht. «Hi, Hanna, ich bin Jessica.» Eine zierliche Rothaarige mit Sommersprossen nickt mir aufmunternd zu. Sie trägt ein schickes grünes Strickkleid, das ihre schlanke Figur betont. Ihre Füße stecken in lässigen braunen Lederboots, 300Euro bei «Shoedreams» in der Pestalozzistraße. Konnte ich mir nicht leisten, weil ich mal wieder knapp bei Kasse bin. Jessica knallt ihre Füße mitsamt den Boots mit einem solchen Schwung auf den Stuhl neben sich, dass Thorsten vor Schreck zusammenzuckt. Darauf beginnt ein brünettes Busenwunder mit Rehaugen und einem Riesenausschnitt, der mehr zeigt als verdeckt, hysterisch zu kichern. «Vanessa, ich mach hier ’n Prakti.» Sie klimpert mit ihren langen Wimpern und blickt ein wenig unsicher zu Gerhard. Der grinst über beide Backen und zwinkert ihr wohlwollend zu. Prakti… so nennt man das also. «Jens.» – «Paula.» Zwei weitere Gestalten grüßen mich vom Tischende aus. Gerhard lehnt sich zurück und sagt: «So, dann können wir ja weitermachen. Thorsten, fass du doch noch einmal kurz zusammen, was wir bisher haben?» Thorsten richtet sich kerzengerade auf seinem Stuhl auf wie ein Erdmännchen auf der Pirsch und hält mir einen perfekten Vortrag über die kommende Sendung. Ich räuspere mich vorsichtig, als ich den Eindruck habe, dass sich seine Ausführungen dem Ende zuneigen. «Eine Frage hätte ich da allerdings noch», sage ich. Wieder richten sich zwölf Augenpaare auf mich. «Wo ist eigentlich die Moderatorin? Muss sie nicht auch wissen, wer so alles in die Sendung kommt?» Es folgt ein betretenes Schweigen, bis sich Jessica endlich meiner erbarmt und mich aufklärt. «Cordula Reiss zieht es vor, sich überraschen zu lassen, liebe Hanna. Sie möchte in ihrer Moderationskunst nicht durch schnöde weltliche Informationen beeinflusst werden.» Jessica rollt während ihres Vortrages mit den Augen und unterstützt ihre Worte mit einer beeindruckenden Arm-Choreographie. Ich hätte ihr gerne noch ein bisschen länger gelauscht, sie ist wirklich witzig, doch Gerhard unterbricht sie harsch. «So ein Quatsch. Cordy bekommt ihr persönliches Briefing von mir am Vormittag vor der Sendung. Das reicht ihr. Cordy ist eine sehr gute und erfahrene Moderatorin, und wir sind stolz darauf, dass sie unsere Sendung präsentiert. Nicht wahr, Jessica.» Jessica tippt sich mit zwei Fingern an die Schläfe. «Aye-aye, Sir!», sagt sie und zwinkert mir zu. «Sind wir dann fertig?» Wir sind tatsächlich fertig und begeben uns zu unseren Schreibtischen. Bald darauf durchzieht den Raum ein gleichmäßiges Tastenklappern. Ich bin angekommen.

Zwei

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, sagt meine Großmutter immer. Jetzt ist es Abend, da kann ich ja loslegen mit den Lobpreisungen. Ich fühle mich einfach herrlich. Ich bin zwar völlig erschöpft, und mein Kopf raucht, aber ich habe meinen ersten Arbeitstag mit Bravour gemeistert. Mein Recherchegespräch lief trotz schuhbedingter Verspätung prima, und in der Redaktion war man ebenfalls zufrieden. Zum Abschluss hab ich noch ein paar Fläschchen Sekt spendiert, um mit meinen neuen Kollegen anzustoßen.

Dementsprechend beschwingt schließe ich meine Wohnungstür auf. Sicher hat mein Schatz schon ein Willkommens-Abendessen für mich zubereitet und brennt darauf, zu erfahren, wie mein erster Arbeitstag gelaufen ist. «Schaahhhhaatzi! Ich bin zu Hause!», flöte ich durch den Flur. Doch Schatzi antwortet nicht. Immer noch gut gelaunt, springe ich durch die Wohnung. Hm. Ausgeflogen. Wahrscheinlich musste er im Sauseschritt nochmal zum Supermarkt, weil er was vergessen hat, der süße kleine Schussel. Dabei ist das eigentlich mein Part in unserer Beziehung, Klaus ist eher der durchgeplante Pragmatiker. Bei unserem letzten Urlaub in Griechenland hatte er doch glatt drei Paar Wollsocken mit dabei, weil er berechnet hatte, dass die Wahrscheinlichkeit eines Hagelsturms im August dort bei immerhin acht Prozent lag. Dazu kam noch ein Paar Reservesocken. Schließlich liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Strickstrümpfe spielenden Katzen zum Opfer fallen in Griechenland mit Sicherheit bei 20Prozent. Die Zeit, die er dafür gebraucht hat, das alles auszurechnen, hätte man zwar mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit sinnvoller nutzen können, aber so ist mein Klaus eben. Für alle Gefahren gerüstet. Viele werden jetzt denken, dass Klaus auch im Bett eher unwahrscheinlich als sensationell ist, das stimmt aber zum Glück nicht. Es lässt sich eben doch nicht alles im Leben berechnen. Außerdem kann eine gewisse beamtoide Zerstreutheit extrem sexy sein.

Seit Klaus und ich unsere Dachgeschosswohnung in der Innenstadt bezogen haben, freue ich mich jeden Abend, nach Hause zu kommen. Nach Hause in meine Traumwohnung zu meinem Traummann. Als Schatzi und ich uns vor knapp fünf Jahren kennenlernten, war er eher eine Art Übergangsmann für mich. Sascha, meine erste große Liebe, hatte mich nach sieben Jahren Beziehung mit so einem dahergelaufenen Discoblondchen betrogen. Nein, er hat mir damals den Seitensprung nicht gebeichtet. Ich habe die beiden in flagranti beim Poppen erwischt, Coitus interruptus quasi. Mein Männerbild war erst einmal komplett zerstört. Und meine Freizeitplanung reduzierte sich auf Schokolade kaufen, Schokolade essen und wiederum Schokolade kaufen. Erst nach dreimonatiger Trauerzeit konnte mich meine beste Freundin Margot zu einer Obst- und Sportkur überreden. Weitere drei Monate später und um zirka tausend Bewegungsvokabeln aus dem Bereich Cardio und Muskelaufbau reicher, hatte ich mir wieder die Figur zugelegt, mit der man es sich leisten kann, seinem Verflossenen erhobenen Hauptes unter die Augen zu treten. Der Gedanke lässt einen die Höllenqualen jeder Diät vergessen: Eine Stunde Bauch-Beine-Po und danach einen Karottensaft, extrem sinnenfreudig. Wahrscheinlich nehmen die meisten Dünnen aus lauter Angst vor diesen grauenvollen Fitnesskursen nicht zu. Mal abgesehen davon ändert sich auch mit viel Sport ohne Diät am Körperumfang rein gar nichts. Der Inhalt wird einfach nur ausgetauscht. Fett wird zu Muskeln, und die sind auch noch schwerer. Ich sage nur, Jennifer Lopez und Beyoncé Knowles: kleiner Busen, runder Po! So wie bei mir. Vielleicht habe ich ja auch exotische Vorfahren.

Margot und ich gingen also wieder auf Männerjagd. Statt Sascha lief mir Klaus über den Weg. Er war für mich in dem Moment die beste Ablenkung, die man sich vorstellen konnte: Knackpo zum Anfassen, eine starke Schulter zum Anlehnen und wunderschöne Augen zum Darinversinken. Sechs Wochen später waren wir ein Paar, nach einem halben Jahr zogen wir zusammen. Der Vorteil einer festen Beziehung ist doch, dass man weiß, was man am anderen hat. Natürlich verändern sich die Gefühle im Laufe der Zeit. Der anfängliche Hormonrausch weicht einer angenehmen Gelassenheit. Man verwächst zu einer Einheit, entwickelt ein nonverbales Kommunikationssystem, und ein gewisses Sicherheitsgefühl stellt sich ein. Das ist wie mit einer Playstation: Das anfängliche Herzrasen beim Bedienen des Joysticks weicht routiniertem Können. Und trotzdem kann es zwischendurch immer mal wieder so richtig aufregend sein: Wenn man sich streitet und sich hinterher leidenschaftlich in den Armen liegt. Oder wenn man einfach so, zwischendurch, spürt, dass man sich liebt und zusammengehört.

Schon in unserem Treppenhaus mit den antiken Holzgeländern und den roten Läufern überkommt mich immer so ein heimeliges Gefühl. Wir hatten wochenlang nach einer gemeinsamen Bleibe gesucht und konnten uns anfangs gar nicht einigen. Klaus wollte einen modernen Neubau mit offener Küche, ich einen kuscheligen Altbau mit großem Bad.

«Aber Hanna, Altbau ist doch nicht gut. Da müssen wir sicher viel Geld reinstecken. Bei Altbau fällt immer noch eine Renovierung mit an.»

Damit hatte er natürlich recht, aber bei dem von mir ausgewählten Prachtstück stimmte einfach alles. «Schau, Schatz, sie hat sogar einen Lift! Und dieser perfekte Grundriss!»

«So ein großes Badezimmer lässt sich doch sicher ganz schwer lüften. Da kriegt man sofort den Schimmel. Und du weißt ja, wie das mit Schimmelpilzen ist. Einmal drin, gehen sie nie wieder weg!»

Meiner Meinung nach sollte das Recht auf ein angemessen großes Badezimmer ins Grundgesetz aufgenommen werden. Es wird für mich immer ein Rätsel bleiben, wie man sich in einer mickrigen Nasszelle straßentauglich zurechtmachen kann. Einige meiner Freundinnen schaffen das sogar in Rekordzeit: In drei Minuten von der unansehnlichen Raupe zum scharfen Falter. Diese Art von Verpuppungstechnik hätte ich auch gerne drauf. Aber bei mir müssen ab und zu Korsett und Wimpernzange herhalten, ganz zu schweigen von Feuchtigkeitscreme, Masken, Bürsten, Tuschen, Konturenstiften, Abdeckcremes, Falten-Füller, Puderquasten. Dafür braucht man eben Platz. Also musste ich mich schwer ins Zeug legen, um Klausi zu überzeugen. «Aber Schatzi, der Raum hat sogar einen integrierten Abzug, schön modernisiert!» Das müsste ziehen, dachte ich.

Aber Klaus, der ewige Pragmatiker, hatte noch einen Trumpf im Ärmel: «Ich müsste meine Hausratversicherung umschreiben lassen, die gilt nämlich nur für Neubauten.» «Kein Problem, Liebling, wir nehmen dich einfach mit in meine Versicherung auf. Das ist dann auch billiger!» Dieser Logik konnte sich Klaus nicht verschließen. Letzten Endes hatte ich gewonnen.

Und jetzt schnuppere ich neugierig in Richtung Küche, kann aber leider keinen spezifischen Essensgeruch ausmachen. Mit Schwung werfe ich meine Tasche auf unsere antike Kommode, ein Geschenk meiner Großmutter zum Einzug, und schlurfe erst einmal in mein geliebtes Bad unter die Dusche, um mir den langen Arbeitstag abzuwaschen. Meine zarten Füße bekommen eine Spezialbehandlung, denn inzwischen ähneln sie wegen der langen Barfuß-Lauferei denen eines südafrikanischen Plantagenbauern. Ich gönne mir ein Körperpeeling mit Erdbeergeruch und lege summend eine Feuchtigkeitsmaske auf, um mich dann trällernd einzuschäumen. Der Duschkopf wird zu meinem Mikrophon. Ich trage ein hautenges silbernes Pailettenensemble mit extrahohen Plateauschuhen, der Vorhang geht auf, die Menge tobt. «Ladys and Gentlemen! We proudly present Hannaaaaaaa!» Schwungvoll verbeuge ich mich, mein Drummer schlägt den Beat, und wir legen los. Voller Ekstase schüttele ich meinen Kopf im Takt der Musik, da holt mich der glatte Badewannenboden erbarmungslos wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Oje, das tut weh und gibt blaue Flecke. Ich verfärbe mich sowieso ziemlich schnell. Mein Bindegewebe ist extrem schwach. Sobald ich auch nur in die Nähe einer Ecke oder Kante komme, pamm! Sofort blau wie Schlumpfinchen!

Zum Glück ist nichts Schlimmes passiert. Genussvoll lasse ich das warme Wasser über meinen Körper laufen und rubbele mich im Anschluss mit einem frischen Handtuch ab. Da ertönt ein Knurren wie von einer wildgewordenen Frischlingsmutter. Ich zucke zusammen. Mein Magen! Er will dringend gefüttert werden. Das ist der Nachteil an einer geregelten Arbeit: Die ungeregelte Nahrungszufuhr, zumindest, wenn es keine Kantine gibt. Ich schlinge das Handtuch um mich herum und tappe in die Küche, eigentlich Klaus’ Zuständigkeitsbereich. Granitfußboden, Gasherd, unzählige Regale und Schränke aus Edelstahl, in denen er noch mehr Gewürze, Kräuter, Kochbücher und allerlei Schnickschnack aufbewahrt. Die Messer hat Klaus wie Chirurgenbesteck in der obersten Schublade seines Arbeitschrankes aufgebahrt. Unterm Fenster steht ein kleiner Tisch mit vier bunten Stühlen für unser ausgiebiges Sonntagsfrühstück. Ich war ja, bis ich Klaus kennenlernte, ein großer Fan von Fertiggerichten und Lieferservicen. Doch mein Freund und Lebensgefährte ist ein hervorragender Hobbykoch, und zum Glück ist er immer früh zu Hause, sodass er ein leckeres Mahl für uns zwei zubereiten kann. An meiner Vitaminzufuhr in Form von Frischnahrung kann jedenfalls keiner mehr herummeckern. Nicht einmal meine Mutter, auch wenn sie es lieber sähe, wenn ich meine Zeit ausschließlich in der Küche verbringen würde. Sie selbst ist schließlich eine perfekte Köchin. Sie kann einfach alles, sogar Konfitüre, Silberzwiebeln und Essiggurken. Alles fein säuberlich beschriftet und sortiert, nach Kochdatum, Anfangsbuchstabe und verwendeten Gewürzen, aufbewahrt in einem kühlen Kämmerlein des heimeligen Landhauses, in dem ich aufgewachsen bin. Das glückliche Händchen im Haushalt ist übrigens nur eine der vielen Eigenschaften, die sie mir nicht vererbt hat. Unter anderem würde ich den Stadtsmog jederzeit der frischen Landluft vorziehen. Doch das wird Mutti wohl nie begreifen.

«Ochrrhmrr!!» Mein Magen meldet sich erneut, und ich eile zum Kühlschrank und öffne die schwere Tür. Vielleicht könnte ich ja vor dem Essen schon mal ein Becherchen Joghurt…? Ich finde zwei, Erdbeer und Haselnuss, allerdings ist der Nussjoghurt schon angegessen und dann wieder zurückgestellt worden. Nicht von mir, wie ich an dieser Stelle betonen möchte. Ich neige mehr zum Prinzip: «Was auf den Tisch kommt, wird aufgegessen, und zwar restlos.» Ich entdecke einen Kopfsalat, eine Dose Tomaten, die Karottensuppe von vorgestern, die ich lieber nicht anrühre, und eine geheimnisvolle graue Pappschachtel. In den Deckel sind einige Löcher hineingestochen, und es riecht daraus ein bisschen nach Käse. Ich schnappe sie mir, während ich weiter nach Essbarem fahnde. Irgendetwas in mir sagt, ich solle die Schachtel wieder in den Kühlschrank zurückstellen, aber meine Neugierde ist größer. Ein leckerer Käse? Oder wer weiß, vielleicht hat Klaus mir ja ein Geschenk gekauft, etwas, was gekühlt werden muss. Ein Was-weiß-ich, ein exotisches Dings, oder vielleicht Schmuck, ja, vielleicht ist es dieser Schmuck, der mit der Temperatur die Farbe wechselt. Das fände ich nicht so toll. Dann ist es umso besser, wenn ich mir das Teil vorher anschaue und ein begeistertes Gesicht übe. Männer sind ja bekanntlich eher schlecht darin, den Geschmack der Liebsten zu treffen. Dabei ist es im Prinzip so einfach: Schenkt uns Diamanten! Es gibt schließlich Tausende von Songs zu dem Thema. Ich habe leider den richtigen Zeitpunkt in unserer Beziehung verpasst, an dem ich meinen Klaus darauf hätte konditionieren können. Anfangs war ich viel zu verliebt und fernab von so weltlichen Dingen wie Schmuck. Ist ja auch schwierig, in dieser Zeit das Thema auf Diamanten zu bringen. Man stelle sich nur mal vor, man liegt frisch verguckt im Bett neben dem Liebsten, und er fragt sensibel: «Du Schatz, wie hast du es denn am liebsten?», und man antwortet: «Och, weißt du, ab drei Karat ist es mir wirklich egal, ob Ring, Kette oder Brosche…» Später, als sich die ersten Gelegenheiten boten, zu denen wir uns eine Kleinigkeit überreichten, hat es auch irgendwie nicht gepasst. Das erste Geschenk in einer Beziehung ist sowieso besonderes schwierig. Es darf nicht zu persönlich sein, aber auch nicht zu unverbindlich. Nicht zu übertrieben, aber auf keinen Fall zu billig. Es soll später an die romantische Anfangszeit erinnern, aber noch nicht zu viel über die aktuelle Gefühlslage verraten. Klaus schenkte mir zu unserem dritten Kennenlernmonat ein Schreibset. Ich bin sicher, dass an solchen Präsenten schon Ehen zerbrochen sind, doch er überreichte es mir mit einer langstieligen roten Rose. Außerdem war ich damals schon so hin und weg, dass ich gar nicht auf den Inhalt geachtet, sondern den restlichen Abend einfach nur wild mit ihm rumgeknutscht habe. Gut, ich gebe es zu, nicht nur rumgeknutscht, schließlich waren wir frisch verliebt, da hat man noch Besseres zu tun.

Während ich mich gerührt an die Anfänge unserer Liebe erinnere, beginnt mein Knöchel zu jucken, und ich versuche mich mit dem anderen Fuß zu kratzen. Komisch, das Jucken hört nicht auf. Es hört nicht nur nicht auf, sondern wandert langsam mein Bein hinauf Richtung Handtuchzipfel. Besser gesagt, es krabbelt, wie mir siedendheiß klar wird, als mich etwas in den Oberschenkel kneift. Ich hebe das Handtuch mit der einen Hand, da entdecke ich, was mich da so kribbelt. Eine hässliche fette braune Heuschrecke hangelt sich frech an meinem Oberschenkel entlang. «Ahigitt!!!» Spätestens jetzt müsste die Heuschrecke eigentlich taub und tot zu Boden fallen. Mein Herz jedenfalls bleibt für einen Augenblick stehen und rutscht mir dann in einem Affenzahn in den Magen, und ich stoße zur Sicherheit noch einmal einen spitzen langen Schrei aus. Hektisch versuche ich das Riesenviech von meinem Körper zu wischen, instinktiv mit beiden Händen. Leider vergesse ich in meiner Panik, dass ich in der anderen Hand ja noch die Schachtel halte. Die fliegt natürlich mit einem Knall zu Boden und springt auf. Aus ihrem Gefängnis befreit, schwirren etwa hundert Heuschrecken durch die Küche. (Später werde ich natürlich von mindestens tausend erzählen.) Binnen Sekunden herrscht ein Treiben wie auf der Walpurgisnacht, ein Schwirren und Surren, Zirpen und Hüpfen, dass mir ganz schwindlig wird. Doch ich reiße mich zusammen und stelle mich dem Feind, indem ich die braunen Megahüpfer anschreie: «Haut ab! Verschwindet! Weg, weg, weg, weg!! Ah!»

Leider ist der Angreiferpulk in der Überzahl. Selbst Lara Croft wäre gegen ein solches Heer machtlos. Gut, vielleicht wäre sie nicht ganz so hysterisch wie ich, dafür sähe sie aber auch besser aus. Ich bin mit der Situation einfach maßlos überfordert. Als mir ein besonders dicker Kumpel direkt ins Gesicht hopst, halte ich jedoch lieber meine Klappe. Gesunde Ernährung hin, Rüdiger Nehberg her – auf diese Art von Eiweißspender möchte ich doch lieber verzichten.

Sie scheinen wirklich überall zu sein, diese miesen kleinen Krabbelmonster. Sie klettern meine Beine hoch, schwirren mir in die Haare und versuchen, mich zu Boden zu ringen. Ich führe einen Veitstanz auf und springe von einem Bein auf das andere. Überall herrscht ein Strampeln und Kreuchen und Fleuchen. Nach gefühlten drei Stunden gelingt es mir endlich, aus der Küche zu fliehen und die Tür hinter mir zu verriegeln. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, und ich kann immer noch nicht aufhören, mich zu schütteln. In dem Moment sperrt Klaus die Wohnungstür auf. Ich falle ihm erleichert in die Arme. «Wasn los?», fragt er verwirrt, denn in meinen Augen steht das blanke Entsetzen. Klaus wird spontan etwas blass um die Nase. «Küche, Küche, Monster…», keuche ich. Einen anständigen Satz bringe ich nicht zustande. Klaus nimmt mich begütigend in die Arme und versucht mich zu beruhigen. «Heu… Heu… Heu…», stammele ich. Klaus kann ein kleines Grinsen nicht verbergen. Ein folgenschwerer Fehler, schließlich befinde ich mich in einem Zustand höchster emotionaler Instabilität. Das bedeutet: Eine frischgebackene Nilpferdmutter, die ihr Junges beschützen muss, ist Mahatma Gandhi im Vergleich zu mir. Die einzige Möglichkeit für ein männliches Wesen, aus einer solchen Situation lebend herauszukommen, ist, einfach nur lieb zu lächeln und vor allen Dingen die Klappe zu halten. Dies gilt übrigens auch für die Tage nach Weihnachten, wenn die Hosen nicht mehr passen, im Schlussverkauf, wenn einem eine blöde Kuh die reduzierten Jimmy Choos vor der Nase weggeschnappt, oder der Chef die Beförderung abgelehnt hat, außerdem an Tagen der Gehaltsabrechnung und ganz besonders in Ausnahmekatastrophen wie dieser hier, in der der Mann zusätzlich auch noch der Hauptangeklagte der Verhandlung ist. Das Urteil ist eindeutig, doch Klaus scheint das nicht zu interessieren, denn er tut ganz unschuldig.

«Ach, du hast die Heuschrecken entdeckt. Liebes, da musst du doch keine Angst haben! Die werden nun für immer bei uns bleiben.»

Er nimmt meine zittrige Hand und führt mich in unser Wohnzimmer, wo ein großes Terrarium mit allerlei Grünzeug aufgebaut ist. Wie eine Hostess auf der Automesse posiert mein Freund vor dem blankpolierten Glaskasten. «Sieh mal, was mir Werner, der Onkel eines Kollegen, verkauft hat. Zwei Leguane! Sind die nicht hübsch? Ich habe jetzt schon so viel über sie gelesen, dass ich gleich zugeschlagen habe, als er mir die beiden angeboten hat. Es sind Chuckwallas, ein Männchen und ein Weibchen, und wenn wir Glück haben, können wir sie sogar züchten. Ich habe sie Charles und Camilla genannt, weil sie schon etwas älter sind und jetzt erst zueinandergefunden haben. Durch mich. Ist das nicht toll?» Unwillkürlich überlege ich, wie Camilla, ein besonders warziges und faltiges Exemplar, wohl mit einem wagenradgroßen Hut aussehen würde. Ob Klaus mit den beiden auch nach Ascot zum Pferderennen will? Am liebsten würde ich die beiden Viecher zu Handtaschen verarbeiten, die man ja zum Polo tragen könnte, und das Terrarium aus dem Fenster kippen. Die Leguane glotzen mich stumpf durch die Glasscheibe des Terrariums an. Der eine von den beiden hat tatsächlich zwei etwas größere Hautfalten am Hinterkopf, die aussehen wie Segelohren. Ich verkneife mir ein Grinsen, schließlich stehe ich nach dem Angriff der Killerheuschrecken offiziell noch immer unter Schock. Ich entscheide mich für eine abrupte Kehrtwende und die überstürzte Flucht ins Schlafzimmer. Mit einem gekonnten Hüftschwung knalle ich die Tür hinter mir zu und verkrieche mich schmollend unter der Bettdecke. Ich spüre immer noch das Krabbeln dieser Insekten an meinem Körper.

Exakt eine halbe Stunde später – ich hätte die Uhr danach stellen können – klopft es an unserer Schlafzimmertür. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Durch einen Spalt kann ich erkennen, dass Klaus einen riesengroßen Blumenstrauß besorgt hat. Angestrengt blinzele ich unter der Decke hervor und zähle etwa 50 rote Rosen. Wahnsinn. Er weiß also, dass er diesmal eindeutig zu weit gegangen ist. Schuldbewusst klimpert er mich an und überreicht mir die langstieligen Prachtexemplare in einer Vase. Damit rückt er etwa zehn Punkte auf der «Ich-verzeihe-dir-Skala» nach oben. Irgendwie niedlich, wie er da im Türrahmen steht. Wie ein begossener Pudel. «Hanna, meine Liebste, es tut mir leid. Ich bin ein Trottel!» Der beste Satz des Abends! Das macht weitere zehn Punkte aufwärts. Trotzdem lasse ich ihn weiter zappeln. «Dabei wollte ich dich doch mit einem tollen Essen überraschen, an deinem ersten Arbeitstag!», versucht er es nochmal. Er hat es also nicht vergessen! Nochmal zehn Punkte. Fast habe ich ihm verziehen. Ich grummele leise in den Bettbezug, um ihm zu signalisieren, dass er weitermachen darf. «Hannamausi. Wie kann ich das nur wieder gutmachen?» Oh, oh. Unsicherheit ist ein klares Zeichen dafür, dass er seinen Fehler noch nicht begriffen hat. Das gibt definitiv Punktabzug. Da muss man hart bleiben und darf nicht nachgeben. Sonst tanzt einem der Kerl irgendwann auf der Nase herum. Von der Schwelle zum Schlafzimmer dringt kein Laut zu mir. Klaus schweigt minutenlang. Dann räuspert er sich und sagt ernst: «Hanna, ich werde die Leguane auf keinen Fall zurückgeben.» Ich gebe ein unwirsches Knurren von mir und drehe mich zur Wand. Ich bin schockiert. Klaus will offenbar seine Chancen auf den Beziehungsfrieden für zwei hässliche Kaltblüter riskieren! «Okay, Schatzi, ich hätte dich vorwarnen sollen. Aber du weißt, wie viel mir an den Tieren liegt…»

«Ja, und wie viel dir an mir liegt, das sieht man ja», schluchze ich hinter meiner Decke hervor. «Hanna…!», sagt er begütigend und macht ein paar Schritte aufs Bett zu. Er wagt es sogar, auf der Kante Platz zu nehmen. Vorsichtig, wie bei der Zähmung eines Raubtieres, streicht er mit seiner Hand über die Decke und zieht sie mir vorsichtig weg. Ich werfe grimmig meine Stirn in Falten, und da er das nicht sehen kann, drücke ich meine Bestürzung mit einem lauten Schniefen aus.

«Hast du denn solche Angst vor den Viechern? Sieh sie dir doch noch einmal richtig an. Sie sind im Grunde wunderschön, mein Herz. Wirklich.» Ich blicke Klaus durch zwei tränenverquollene Schlitze böse an. Er hat es immer noch nicht begriffen. Da muss ich wohl deutlich werden. «Hör mir mal gut zu», sage ich, «deine Miniaturhandtaschen sind nicht das Problem, sondern ihre Speisekarte! Ich habe keine Lust, unsere Wohnung mit Insekten zu teilen. Abgesehen davon verdiene ich etwas mehr Respekt und möchte bitte schön gefragt werden, wenn hier ein blaublütiges Liebespaar einzieht.» In diesem Moment stelle ich mir Charles und Camilla, die Leguane, vor, wie sie mit Sack und Pack vor unserer Haustür stehen und um Einlass betteln. Wider Willen muss ich lachen. Klaus’ Gesicht leuchtet auf. «Heißt das, ich kann sie behalten?», jubelt er, fällt mir um den Hals und küsst mich zärtlich. In einer solchen Situation bin ich grundsätzlich machtlos. Ich bekomme weiche Knie. Und das nach fast fünf Jahren Beziehung! Er ist und bleibt eben doch mein Klausi, auch wenn er sich manchmal wie ein ignoranter Volltrottel benimmt. Ich verzeihe ihm etwas zögerlich, schließlich muss man als Frau wissen, wann es einfach keinen Sinn macht, sinnvoll und logisch zu argumentieren. Männern fehlt einfach die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften, die uns Frauen dabei hilft, Verständnis für andere Menschen zu haben und neues Toilettenpapier zu kaufen, wenn keines mehr da ist. Die Verbindung, die uns zum eigentlichen starken Geschlecht macht, das sogar mit engem Rock und auf Highheels laufen kann.

Inzwischen finde ich mein hysterisches Verhalten selbst ein bisschen albern. Himmel, es waren doch nur Heuschrecken! Trotzdem höre ich mir Klausis Entschuldigungsrede noch bis zum Ende an. Man weiß ja nie, wozu man die nochmal gebrauchen kann. Er nennt sich selbst unsensibel, ich gebe ihm recht, und wir einigen uns darauf, dass er in den nächsten drei Wochen den Spüldienst übernimmt und gleich morgen einen separaten Kühlschrank für das Lebendfutter anschafft. Eigentlich mag ich Tiere, und vielleicht sind diese Mini-Reptilien eine Bereicherung für unsere Wohngemeinschaft, aber mir wäre ein schmuseweiches Kaninchen doch lieber gewesen als zwei warzige Echsen, seien sie auch noch so wohlgeboren. Aber gut, man kann eben nicht alles haben im Leben.

Drei

Großmutter sagt immer: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Deshalb sieht es bei ihr in der Wohnung auch immer so sauber und gepflegt aus. Zumindest auf den ersten Blick. Eigentlich lässt Oma nämlich genau wie ich auch gerne mal fünfe gerade sein und pfeift auf einen frischgebohnerten Fußboden. Mal ehrlich und ganz unter uns Betschwestern: Wer putzt schon gerne in seiner Freizeit, wenn er den ganzen Tag für die Monatsmiete geackert hat? Männer tun das bestimmt nicht, und wenn sie es doch tun, dann stellen sie sich dabei so bescheuert an, dass wir uns früher oder später doch ihrer erbarmen und den Feudel selbst in die Hand nehmen. Männliche Strategie, die in den meisten Fällen Erfolg hat. Und es geht noch weiter: Sie haben sich Studien ausgedacht, in denen es heißt, Staubsaugen, Fußbodenwischen oder Fensterputzen sei gut für die Figur, natürlich nur für die weibliche. Pro Stunde verliert man angeblich ganze 360Kalorien. Beim Bügeln verbraucht man genauso viel und trainiert gleichzeitig noch die Brustmuskulatur. Ich persönlich halte das Ganze für ein hinterhältiges Märchen der erzkonservativen Mafia, die uns Frauen wieder an den Herd schicken will. Deshalb muss Klaus bei mir seine Hemden auch selbst bügeln. Und Klaus ist ja nicht dumm: Er bügelt immer nur rechts und links der Knopfleiste. «Rückseite und Ärmel sieht man doch sowieso nicht», sagt er. Stimmt, wenn man immer Jacketts trägt.

Ich verzichte heute auf mein tägliches Homezone-Workout und verabrede mich mit Karina und Margot, meinen besten Freundinnen, auf einen Prosecco bei «Don Giovanni». Natürlich muss ich mich vorher für das richtige Outfit entscheiden. Es ist nämlich neben dem sensationell hohen Eisengehalt von Spinat einer der größten Irrtümer überhaupt, anzunehmen, wir würden uns nur für die Kerle anhübschen. Weit gefehlt: Wenn bei uns Mädelsabend angesagt ist, werden die heißesten Klamotten aus dem Schrank gezaubert, vorausgesetzt, sie passen noch. Ich muss da heute etwas tricksen. Letzte Woche hatte ich dreimal Tiramisu zum Nachtisch, und zwar ehrlich gesagt in der Hauptspeisen-Dosis. Für Tiramisu würde ich sogar meine heißgeliebte Oma verkaufen. Eigentlich sollte man wegen dieser einzigartigen Komposition aus Zucker und Fett sämtliche Italiener des Landes verweisen, denn die Folgen übermäßigen Tiramisu-Genusses sind brutal: Ich bekomme doch glatt meine neuen Jeans nicht mehr zu. Sie sind auch noch frisch gewaschen, das heißt, sie liegen sowieso eng an. Ich lege mich also flach auf unser Himmelbett und quetsche mich in meine Blauen. Pfff… tief ausatmen. Einen Zentimeter habe ich bereits. Hchrpfff… nochmal zwei. Ich bin schon fast drin. Ratsch! Der Reißverschluss ist zu. Meine Finger sind rot und etwas angeschwollen, und ich bekomme einen Schweißausbruch. Nächste Woche muss ich auf Wein und Süßes verzichten, nur ein oder zwei Stückchen Schokolade zum Kaffee. So ganz ohne kann ich einfach nicht. Und vielleicht sollte ich doch öfters Staub wischen. Umpf. Der Knopf ist zu, und mit einem etwas bemühten Satz bringe ich mich in Stehposition. Leider verrät mir mein Spiegelbild, dass ich mich von der Idee, die neue taillierte Bluse anzuziehen, schleunigst verabschieden sollte, denn meine Hüfte hat es nicht mehr bis in die Hose geschafft und quillt neugierig daraus hervor. In arabischen Ländern mag das als sexy gelten, aber leider nicht in einem Mitgliedsland der Europäischen Union. Ich tauche tief in meinen Kleiderschrank hinein und angele nach einem grünen Top mit Wickeltechnik. Leider hat es einen großen Fleck an der Vorderfront, also stopfe ich es schnell wieder zurück zu den T-Shirts