Vollmondfieber - Amanda Carlson - E-Book
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Vollmondfieber E-Book

Amanda Carlson

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Beschreibung

Sie ist die einzige ihrer Art - und wird dadurch zur Gejagten.

Ich verrate dir ein wohl gehütetes Geheimnis: Werwölfe existieren. Du glaubst mir nicht? Nun, vielleicht weil wir ganz normal aussehen — wenn nicht gerade Vollmond ist.

Mein Name ist Jessica. In einer Rasse, in der nur männliche Werwölfe geboren werden, bin ich einzigartig. Und eine Bedrohung. Denn eine Prophezeiung besagt den Untergang unserer Art, sollte jemals eine Werwölfin erscheinen. Und gestern habe ich mich zum ersten Mal verwandelt ...

Tempo, Spannung und Figuren mit feurigem Temperament: Packende Werwolf-Fantasy für Leserinnen von Nalini Singh und Lori Handeland!

Die Abenteuer von Jessica McClain gehen weiter - nächster Band: Halbmondnacht.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


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Seitenzahl: 530

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Widmung

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Danksagung

Interview

Weitere Titel der Autorin

Halbmondnacht

Neumondkälte

Über dieses Buch

Sie ist die einzige ihrer Art – und wird dadurch zur Gejagten.

Ich verrate dir ein wohl gehütetes Geheimnis: Werwölfe existieren. Du glaubst mir nicht? Nun, vielleicht weil wir ganz normal aussehen – wenn nicht gerade Vollmond ist.

Mein Name ist Jessica. In einer Rasse, in der nur männliche Werwölfe geboren werden, bin ich einzigartig. Und eine Bedrohung. Denn eine Prophezeiung besagt den Untergang unserer Art, sollte jemals eine Werwölfin erscheinen. Und gestern habe ich mich zum ersten Mal verwandelt …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Amanda Carlson wurde in Minnesota geboren und begann bereits während ihrer Highschool-Zeit mit dem Schreiben von Geschichten. Richtig ernst wurde es ihr damit erst später, nach der Geburt ihres zweiten Kindes. Sie stürzte sich in die Literaturszene und besuchte diverse Schreibkurse. Ihre Liebe zur Fantasy entdeckte sie durch die Romane von Kresley Cole. Von diesem Moment an wusste sie, dass sie Urban Fantasy schreiben wollte … und tat es. Bei beHEARTBEAT ist ihre Trilogie um Jessica McClain lieferbar, die einzige weibliche Werwölfin der Welt. Homepage der Autorin: www.amandacarlson.com.

Amanda Carlson

Vollmondfieber

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Frauke Meier

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2012 by Amanda Carlson

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Full Blooded«

Originalverlag: Orbit, Hachette Book Group

This edition published by arrangement with Orbit, New York, New York, USA. All rights reserved.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2013/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Beke Ritgen

Covergestaltung: Birgit Gitschier, Augsburg unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/Raisa Kanareva; shutterstock/carlosdelacalle

eBook-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-8908-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Ich war wieder menschlich. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber ich war erleichtert. Ich versuchte, mich zu bewegen. Aber kaum zuckte der erste Muskel in meinem Bein, da riss mich der Schmerz endgültig zurück in die Wirklichkeit.

Mit dem Schmerz kehrte auch alles andere zurück.

Die Wandlung, die Flucht, der arme Kerl, dieser Farmer. Ich schauderte, als sich die Erinnerungen wie ein flackernder Film von einer alten Filmrolle vor mir abspulten, ein Ausschnitt meines Lebens, in dem ein abgeschmacktes widerliches Einzelbild auf das andere folgte. Ich war da gewesen, ich hatte das erlebt. Aber ich hatte keinerlei Kontrolle über das Geschehen gehabt – außer am Schluss. Ich hoffte verzweifelt, dass der Farmer noch am Leben war. Nein zu sagen hatte mich viel Mühe gekostet. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, was danach geschehen war, und ich hatte keine Ahnung, wo ich war.

Nach allem, was ich über Wölfe wusste, war Kontrollverlust ein extrem schlechtes Zeichen. Wenn ich meine Wölfin nicht bändigen konnte – wenn ich nicht imstande wäre, die Herrschaft über die Bestie in mir zu erringen –, würde mir nicht gestattet sein, am Leben zu bleiben.

Heilige Scheiße, ich bin eine Wölfin!

Für Bill, Paige, Nat & Jane

KAPITEL EINS

Ich schnappte nach Luft und gab mir alle Mühe, aus diesem höllischen Albtraum aufzuwachen. »Herrje!«, stöhnte ich. Schweiß rann mir übers Gesicht, und ich fühlte mich benommen. Träumte ich? Sollte das der Fall sein, dann tat dieser Traum scheißweh.

Moment mal … eigentlich sollten Träume nicht wehtun.

Ohne Vorwarnung verkrampfte sich mein Körper erneut. Schmerz brannte in meinen Adern wie ein schlimmer Sonnenbrand nach einem Hitzetag am Strand. Unterwegs entfachte der Schmerz in jeder Zelle ein Feuer. Ich biss die Zähne zusammen und bemühte mich mit aller Kraft, der Welle aus Schmerz zu widerstehen.

Dann, so plötzlich, wie es angefangen hatte, war es vorbei.

Der abrupte Verlust jeder körperlichen Empfindung machte mich schlagartig hellwach. Ich riss in der Dunkelheit die Augen auf. Das war kein verdammter Traum. Rasch überprüfte ich meinen körperlichen Zustand. Die Bestandsaufnahme verriet mir, dass sich mein Körper anfühlte, als stünde er unter Strom. Aber glücklicherweise konnte ich mich wieder ganz normal bewegen. Das schwache, grüne Licht meiner Digitaluhr zeigte 2:07 an. Ich hatte nur ein paar Stunden geschlafen. Ich drehte mich auf die Seite. Schweißfeucht klebte mir eine Haarsträhne auf der Wange. Ich strich sie mir aus dem Gesicht. Aber kaum dass meine Finger in Hautkontakt kamen, keuchte ich auf und riss die Hand zurück wie ein Kind, das gerade einen heißen Ofen angefasst hatte.

Heilige Scheiße, ich brenne!

Das konnte nicht stimmen.

Keine Panik, Jess: Denk logisch!

Ich legte den Handrücken an die Stirn, um mir ein klareres Bild zu machen. Die Stirn war glutheiß; durchgeglühte Kohlen im Ofen hätten sich kühler angefühlt als meine Haut.

Ich muss wirklich krank sein.

Krank zu sein hatte in meinem Leben Seltenheitswert, aber vorkommen konnte es schon. Ich war nicht anfällig für Krankheiten, aber ich war auch nicht immun. Mein Zwillingsbruder wurde nie krank. Trotzdem war ich für Viren empfänglich, sofern sie bösartig genug waren.

Ich setzte mich auf und gestattete meinem Verstand, noch einen kurzen Moment über eine ganz andere Erklärung für meine Symptome zu sinnieren. Die Vorstellung war absurd. Reiß dich zusammen, dachte ich, du bist eine sechsundzwanzigjährige Frau. Das wird nie passieren. Es ist bestimmt nur eine Grippe. Kein Grund zur …

Ich hatte nicht einmal einen Atemzug Zeit, ehe mich ein neuer schmerzhafter Krampf mit voller Wucht erwischte. Es warf mich in die Kissen zurück, als der Schmerz durch mich hindurchpflügte. Mit dem Kopf knallte ich gegen das Kopfteil und zertrümmerte die Holzleisten, als wären es Streichhölzer. Mein Körper bäumte sich auf, das Kreuz durchgedrückt, als wollte ich es mir brechen. Wild schlug ich mit den Armen um mich, stieß gegen den Nachttisch und fegte alles hinunter, was daraufstand. Die Nachttischlampe explodierte beim Aufprall auf dem Boden. Der scharfe Knall ging in einem der Lage höchst angemessenen, jeder gut erzogenen Dame bestens zu Gesicht stehenden Aufschrei unter. »Scheiiiße!«

Die nächste Schmerzwelle mit ihren Krämpfen brach über mich herein und schwappte wie ein heißer Lavastrom tief hinein in meine Seele. Aber dieses Mal verlor ich mich nicht im fahlen Dunst des Unbewussten, dämmerte nicht hinüber. Dieses Mal blieb ich wach. Ich musste dagegen ankämpfen!

Ich war nicht krank.

Ich war mitten in der Wandlung!

Herr im Himmel, Frau, da verbringst du dein ganzes Leben damit, über diesen Augenblick nachzudenken, und wenn er kommt, willst du dir einreden, du hättest Grippe?! Was ist los mit dir? Wenn du am Leben bleiben willst, musst du deine Medizin nehmen, ehe es zu spät ist!

Der Schmerz begrub mich unter sich, starr und steif hingen Arme und Beine an meinem Leib. Ich war nicht imstande, mich zu rühren, während mich die Krämpfe mit unverminderter Kraft schüttelten, eine Welle nach der anderen. Die Erinnerung an die Stimme meines Vaters hallte klar und deutlich durch meinen Kopf: Jessica, widersprich mir nicht! Das ist eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. Du musst es ständig bei dir haben. Ich hatte mich dümmer und sturer verhalten, als gut für mich war, und nun bezahlte ich den Preis dafür. Zu meiner Sicherheit sollte ich das neue Lederetui mit der einsatzbereiten Spritze, die einen ganz besonderen Drogencocktail enthielt, stets in Griffweite behalten. Der Inhalt war dazu gedacht, mir bei Bedarf die Besinnung zu rauben. Du wirst es vielleicht nie brauchen, aber wie du sehr gut weißt, ist das eine der Bedingungen dafür, dass du allein lebst.

Es tut mir so leid, Dad.

Das hätte nicht passieren dürfen. Meine Markergene waren nicht dafür codiert. Es war schlicht eine Unmöglichkeit. In einer Welt voller Unmöglichkeiten.

Ich war ja so dumm gewesen!

Mein Körper krampfte immer noch, meine Muskeln zuckten unentwegt. Ich war gefangen in einem Tanz, aus dem ich mich nicht befreien konnte. Der Schmerz loderte auf und erreichte schließlich seinen zerstörerischen Höhepunkt. Als er die Leiter hoch und höher bis zur höchsten Note hinaufstieg, sie erreichte, zersplitterte mein Bewusstsein wie Glas.

Alles wurde segensreich schwarz.

Viel zu schnell jedoch tanzten stecknadelkopfgroße Lichtpunkte hinter meinen Augenlidern. Ich schlug die Augen auf. Der Schmerz war fort. Nur ein Widerhall davon, ein leises Pochen wie ein steter Strom, war zurückgeblieben. Ich brauchte einen Moment, bis ich es begriff: Ich kauerte auf dem Boden neben meinem Bett auf allen vieren, Knie und Handflächen blutig von den Scherben meiner zerbrochenen Lampe. Mein Nachttischchen lag zertrümmert um mich herum. Es sah aus, als hätte ein Hurrikan in meinem Schlafzimmer gewütet. Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren.

Die Medizin ist jetzt deine einzige Chance! Los doch!

Das Badezimmer war gerade einmal eineinhalb Meter entfernt. Ich zwang mich voran, zog mich mit zittrigen Armen vorwärts und schleifte meinen nutzlosen Körper hinter mir her.

Komm schon, du schaffst das! Es ist gleich da vorn.

Ich kam nicht weit. Wieder schlug der Schmerz zu, hart und heftig. Ich fiel auf die Seite, und die Muskeln unter meiner Haut gerieten heftig in Aufruhr. Himmelherrgott! Der Schmerz, böse und unerbittlich, kam direkt aus einem Märchen, einem sehr bösen, niederträchtigen Märchen.

Ich stöhnte, bebte vor Schmerz, schrie in meinem Kopf auf und suchte nach dem Einzigen, was mir nun noch helfen konnte. Mein Bruder war meine einzige Chance. Tyler, es passiert! Ty, Ty… Bitte! Tyler, kannst du mich hören? TYYY…

Eine neuerliche Wolke aus Dunkelheit zupfte am Rand meines Bewusstseins, und ich hieß sie willkommen. Mir war alles recht, wenn nur diese schrecklichen Qualen aufhörten! Ehe Schmerz mich überwältigte auf diesem schmalen Grat zwischen wirklich und unwirklich streifte etwas ganz zart meine Sinne. Ein Schauder der Erkenntnis erfasste mich. Aber da stimmte etwas nicht. Das war nicht die Stimme meines Bruders.

Dad?

Nichts als Leere erfüllte meinen Geist. In Gedanken beschimpfte ich mich: Du hoffst doch nur auf ein Wunder.

Frauen waren nicht dazu geschaffen, sich zu wandeln. Das hatte ich mein Leben lang gehört. Wie könnten sie sich denn auch wandeln, wenn es sie gar nicht geben sollte? Ich war ein Fehler, ich war immer schon ein Fehler gewesen, und es gab nichts, was mein Vater tun könnte, um mir jetzt noch zu helfen.

Schmerz schwappte hoch, explodierte in meinem Kopf, und sein Zorn riss mich erneut in Stücke.

Jessica. Jessica, kannst du mich hören? Wir sind unterwegs. Bleib bei uns! Nur noch ein paar Minuten! Jessica… Halt durch, Liebling. Jess!

Ich kann nicht, Dad. Ich kann einfach nicht.

Blut.

Furcht durchbohrte mich wie ein eisiger Speer. Ich reckte die Nase empor und kostete die Luft. Kälte strich über meinen Rücken, ließ mir die Haare zu Berge stehen und jagte mir eine Gänsehaut über den Leib. Ich zitterte. Schwerer Atem rauschte viel zu laut in meinen empfindlichen Ohren. Ich lugte in die Finsternis, inhalierte wieder tief die köstliche Luft.

Blut.

Geräusche brodelten unter mir empor, polternde Geräusche. Ich wich in die Ecke zurück und wimmerte. Das Pochen in meiner Brust, laut wie Donnerschlag, umgab mich, hüllte mich ein in meine eigene Furcht.

Raus.

Ich tat einen Satz voran. Ich sah meine Klauen über den Boden schlittern, glitt aus, die Oberfläche war viel zu glatt, um Halt zu finden. Ich raffte mich wieder auf und sprang durch einen dunklen Tunnel in einen größeren Raum. Überall um mich herum zerbrachen und zerbarsten ohrenbetäubend laut Dinge und machten mir Angst. Ich sprang auf etwas Großes, und meine Klauen schlitzten sich mühelos hindurch. Ich segelte davon und landete Zentimeter von einem Lichtfleck entfernt.

Raus.

Meine Ohren kribbelten. Ich senkte die Nase auf den Boden, inhalierte, als die Laute auf mich einstürmten. Bilder schoben sich in mein Bewusstsein. Menschen, Furcht, Lärm… Qual. Tief aus meiner Kehle kaum ein Laut, halb Knurren, halb Maunzen. Ein lautes Geräusch schepperte über meinen Kopf hinweg. Ich tat einen Satz zurück, drehte mich weg, suchte.

Dann sah ich es.

Raus.

Ich stürzte auf den Mondschein zu und prallte hart gegen ein Hindernis. Es gab sofort nach, zerbarst einfach. Ich streckte mich. Kraft strömte durch meinen Körper. Der Boden kam rasch näher; meine Vorderpfoten fanden zu plötzlich festen Halt. Unter der Macht des Aufpralls klappten meine Kiefer heftig zusammen. Das Ding unter mir gab mit einem lauten Krachen nach, und im nächsten Moment kam ich schon auf dem Boden auf.

Laufen.

Ich rannte über harte Oberflächen und entdeckte ein schmales Waldstück, das ich durchquerte, bis die Bäume offenem Land wichen. Ich rannte und rannte. Ich rannte, bis die Gerüche mich nicht länger verwirrten, bis die Geräusche ihre Angriffe auf meine empfindlichen Ohren einstellten.

Verstecken.

Ich schwenkte zu einer dichten Baumgruppe ab. Einmal in ihrem Schutz, tauchte ich ab ins Unterholz. Der Geruch gefiel mir. Ich schlängelte mich unter die niedrigsten Zweige, bis ich ganz und gar verborgen war. Als ich mich etwas beruhigt hatte, blieb ich still liegen und spitzte die Ohren. Ich öffnete den Mund und ließ die feuchte Luft über meine Zunge gleiten, kostete sie, und meine Nasenlöcher bebten. Die Gerüche der Umgebung drängten rasch auf mich ein, und mein Gehirn ordnete sie auf effiziente Weise. Der ätzende Gestank frischer Ausscheidungen hing in der Luft.

Beute.

Ich legte den Kopf schief und lauschte. Das leise Rascheln und Grunzen war kaum wahrnehmbar. Meine Ohren zuckten interessiert hoch, und mein Magen knurrte lange und ausgiebig.

Essen.

Wieder kostete ich die Luft, kontrollierte sie auf verwirrende Gerüche, Gerüche, die ich nicht mochte. Dann ließ ich den Kopf hängen, ließ ihn tief bis hinunter auf den Boden sinken und winselte. Der Hunger, der in meinem Inneren nagte, bereitete mir Krämpfe.

Essen, essen, essen.

Ich konnte es nicht ignorieren. Der Hunger zehrte an mir, tat mir weh. Langsam kroch ich aus meiner Zuflucht unter den Bäumen heraus zu einer mit hohem Gras bestandenen Lichtung. Ich hob den Kopf über die sich sanft wiegenden Halme und inhalierte. Die Beute war nah. Ich schlich durch die Dunkelheit, lautlos und stark. Bald glitt ich mühelos unter dem harten, hölzernen Hindernis hindurch in ihr Gehege und weiter in die Dunkelheit ihres großen Baus. Die Pfoten setzte ich auf altes, muffiges Gras, ohne sonst etwas aufzurühren.

Beute.

Der Wind drehte, kam jetzt aus meiner Richtung. Nun witterten sie mich zum ersten Mal. Mit wütendem Blöken stampften sie mit den Hufen, wütend wegen des Eindringlings. Ich glitt unter einer weiteren, wackeligen Barriere hindurch. Mein Körper fühlte sich geschmeidig und agil an, als ich an dem splittrigen Holz entlangschlich. Ich hatte meine Beute entdeckt.

Essen.

Ich sprang, meine Kiefer arbeiteten, meine Eckzähne fanden den Hals und bohrten sich tief hinein. Süßes Blut floss in meinen Mund. Mein Hunger loderte hoch wie ein unersättliches Feuer, und im Rausch verdrehte ich die Augen. Das Tier brach zusammen, starb noch im selben Moment, in dem es im schmutzigen Heu landete. Ich warf mich darauf, riss wütend an seinem Fleisch, zerrte große Stücke heraus und schlang sie unzerkaut hinunter.

»Gottverdammte Wölfe!«

Mein Kopf zuckte hoch, als ich die Laute hörte. Erkenntnis spiegelte sich in meinen Augen.

Mensch.

»Euch werde ich lehren, herzukommen und in meiner Scheune zu wüten, ihr räudiger Haufen Scheiße!«

Geräusche explodierten, Schmerz flammte auf, als ich zurückfuhr und gegen die Seitenwand des Baus krachte. Ich versuchte, mich aufzurichten, aber meine Klauen glitten in der schlüpfrigen Masse aus. Blut. Ich passte mich an, fand meine Bodenhaftung wieder und katapultierte mich hoch in die Luft. Der beißende Geruch der Furcht drang in meine Nase, und ich erbebte innerlich vor Verlangen.

Töten.

Ein tiefes Knurren löste sich aus meiner Kehle, und meine Reißzähne schnappten zu. Meine Pfoten fanden ihr Ziel, und wir gingen beide geräuschvoll zu Boden.

Meins.

Ich biss zu. Blut sammelte sich auf meiner Zunge.

»Bitte … nicht …«

Nein!

Ich ließ ab.

»Nein!«

Ich wich zurück.

»Bob, ist bei dir da draußen alles in Ordnung?«

Gefahr.

Raus!

Ich hastete weiter, humpelte durch den Schatten. Dann entdeckte ich eine kleine Öffnung, sprang und kam mit einem schmerzerfüllten Fauchen auf. Mein Hinterbein gab unter mir nach, aber ich musste in Bewegung bleiben.

Laufen!

Ich rannte, huschte unter dem Hindernis hindurch. Ein alarmierter Aufschrei zerriss hinter mir die Luft. Ich aber rannte und rannte, bis um mich herum nichts mehr war als Finsternis.

Ausruhen.

Ich kroch unter einen dichten Laubteppich und rollte mich zusammen. Leckte meine Wunde. Sie war groß. Ich schloss die Augen. Sofort flackerten Bilder durch meinen Verstand, immer eines nach dem anderen.

Mann, Junge… Frau.

Ich konzentrierte mich auf sie.

Ich brauchte sie.

Jessica.

Ich rief sie zu mir zurück.

Und sie kam bereitwillig.

Jessica! Jessica! Liebling, kannst du mich hören? Antworte mir!

Jess, ich bin’s, Ty! Du musst auf Dad hören und verdammt noch mal aufwachen!

Mein Gehirn fühlte sich so benebelt an, als wäre es inwendig von einer dicken Moosschicht überwuchert.

Jessica, du musst mir jetzt antworten! Jessica. Jessica!

»Dad?«

Ich blinzelte in den Sonnenschein, der durch einen Vorhang aus Ästen zu mir herabdrang. Die Äste hingen nicht weit über mir. Ich war wieder menschlich. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber ich war erleichtert. Ich versuchte, mich zu bewegen. Aber kaum zuckte der erste Muskel in meinem Bein, da riss mich der Schmerz endgültig zurück in die Wirklichkeit.

Mit dem Schmerz kehrte auch alles andere zurück.

Die Wandlung, die Flucht, der arme Kerl, dieser Farmer. Ich schauderte, als sich die Erinnerungen wie ein flackernder Film von einer alten Filmrolle vor mir abspulten, ein Ausschnitt meines Lebens, in dem ein abgeschmacktes widerliches Einzelbild auf das andere folgte. Ich war da gewesen, ich hatte das erlebt. Aber ich hatte keinerlei Kontrolle über das Geschehen gehabt – außer am Schluss. Ich hoffte verzweifelt, dass der Farmer noch am Leben war. Nein zu sagen hatte mich viel Mühe gekostet. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, was danach geschehen war, und ich hatte keine Ahnung, wo ich war.

Nach allem, was ich über Wölfe wusste, war Kontrollverlust ein extrem schlechtes Zeichen. Wenn ich meine Wölfin nicht bändigen konnte – wenn ich nicht imstande wäre, die Herrschaft über die Bestie in mir zu erringen –, würde mir nicht gestattet sein, am Leben zu bleiben.

Heilige Scheiße, ich bin eine Wölfin!

Ich hob den Kopf und sah an meinem entblößten, sehr nackten Körper herab. Ich konzentrierte mich auf die Verletzung und sah zu, wie sich die Wunde ganz langsam wieder schloss. Unglaublich! Bei anderen hatte ich früher so etwas schon gesehen. Bis jetzt jedoch hatte ich nie in die Kategorie der Superselbstheiler gehört. Junge männliche Wölfe erwerben diese Fähigkeit nach der ersten Verwandlung. Mein Körper musste noch dabei sein, sich anzupassen. Denn meine Hüfte war immer noch abscheulich anzusehen: Getrocknetes Blut befleckte meine ganze rechte Seite, und das Zentrum der Wunde, dort, wo mich der Schuss getroffen hatte, sah aus wie ein Teller mit rohem Hackfleisch.

Glücklicherweise ging die Wunde nicht bis auf den Knochen. Das wäre schlimm gewesen. Aber nun, da ich wach war und mich regte, hatte der Schmerz wieder zugenommen.

Ich schloss die Augen und ließ den Kopf zurücksinken. Der Zusammenstoß der letzten Nacht war hoffentlich nicht typisch für eine normale Jungwerwolfnacht. Aber falls doch, war ich ja so was von im Arsch!

Jessica!

Mein Kopf zuckte so hastig hoch, dass er gegen einen spitzen Ast stieß. Au, verdammt! »Dad?« Also war das doch keine Einbildung gewesen. Ich wusste, dass der Alpha intern mit seinen Wölfen kommunizieren konnte. Aber seine Stimme zu hören, war neu für mich. Ich lauschte konzentriert. Nichts. Zaghaft schickte ich einen Gedanken hinaus, so, wie ich es mit meinem Bruder zu tun pflegte.

Dad?

Oh mein Gott, Jessica! Geht es dir gut? Antworte mir!

Ja! Ich kann dich hören! Mir geht es gut, äh… Na ja, zumindest glaube ich das. Ich habe Schmerzen und kann mich nicht so gut bewegen. Aber ich lebe noch. Meine Hüfte sieht aus, als wäre sie durch einen Fleischwolf gedreht worden. Aber sie flickt sich allmählich von selbst wieder.

Bleib, wo du bist! Wir sind gleich bei dir. Ich habe deine Fährte für ein Weile verloren, aber jetzt sind wir wieder dran.

Okay. Ich liege unter irgendeinem dichten Gestrüpp. Aber ich habe keine Ahnung, wo das ist. Und wegen meines Beins kann ich auch nicht raus.

Schnauben. Es ist also noch nicht verheilt?

Tyler?

Wer sonst?

Die Stimme meines Bruders in meinem Kopf zu hören, setzte eine ganze Flut von Gefühlen frei. Mir war bis zu diesem Moment gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Du kannst davon ausgehen, dass ich nicht damit gerechnet habe, dich wieder in meinem Hirn zu haben. Das konnten wir seit unserer Kindheit nicht mehr. Aber es tut wirklich gut, von dir zu hören.

Tylers Gedanken veränderten sich nun, fühlten sich schwerer an – wie ein leises, schleppendes Flüstern, das durch die Windungen meines Verstandes kroch. Jess, ich habe gehört, dass du mich gestern Nacht gerufen hast. Du weißt schon, als es angefangen hat. Das hat sich fürchterlich angehört, so, als würdest du sterben oder so. Tut mir leid, dass ich es nicht rechtzeitig zu dir geschafft habe. Ich habe es versucht, aber ich kam zu spät.

Schon gut, Tyler. Wir konnten uns so lange nicht mehr auf diese Weise verständigen. Im Grunde habe ich so oder so nicht damit gerechnet, dass es funktioniert. Soweit es mich betrifft, war das ein letzter verzweifelter Versuch, mein Bewusstsein von diesem beängstigenden und schmerzhaften Prozess der Wandlung zu lösen. Mach dir deswegen keine Gedanken! Du hättest so oder so nichts tun können. Es ging irrsinnig schnell. Beinahe zu schnell, um es zu verarbeiten. Bei der Erinnerung setzte mein Herz für einen Moment aus.

Ich hörte – oder fühlte vielleicht – ein Stolpern und einen geknurrten Fluch. Du wirst dich daran gewöhnen, hörte ich Tyler sagen. Die Wandlung fällt leichter, wenn du es erst ein paar Mal erlebt hast. Halte durch, ich glaube, wir sind schon fast bei dir! Wir hatten deine Fährte in der Scheune verloren. Himmel, du hast den Laden ganz schön auseinandergenommen! Überall war Blut.

Mein Verstand projizierte ein hässliches Bild, ehe ich etwas dagegen tun konnte. Hoffentlich hat der Farmer überlebt. Ich bewegte mich vorsichtig und zuckte zusammen, als der Schmerz mein Rückgrat emporschoss. Einen normalen Menschen hätte meine Verletzung umgebracht. Ich würde zweifellos überleben. Trotzdem tat es höllisch weh.

In scharfem Ton gab mein Vater seine Sorge in meinem Verstand kund. Wir sind fast da, Jessica. Als wir deine Spur auf der anderen Seite der Scheune wiedergefunden hatten, mussten wir warten, bis die Polizei und der Rettungswagen weg waren. Aber jetzt dürfte es nicht mehr lange dauern. Bleib, wo du bist, und beweg dich nicht! Dein Geruch wird mit jedem Augenblick intensiver.

Ja, du riechst wie ein Mädchen. Das ist ziemlich seltsam.

Na, vielleicht liegt’s daran, dass ich eins bin. Oder hast du das vergessen, weil wir uns so lange nicht gesehen haben?

Nö, vergessen habe ich es nicht. Aber du riechst eben einfach nicht wie ein gewöhnlicher Wolf, ließ sich Tyler vernehmen. Wölfe riechen, ich weiß nicht, irgendwie derb und erdig. Du riechst zu weiblich, beinahe wie Parfüm. Das liegt mir irgendwie schwer auf der Kehle. Ich spürte, wie er im Zentrum meines Bewusstseins leise hustete, was absolut bizarr war.

Gut, dann dürfte es dir ja nicht schwerfallen, mich zu finden!

Prusten.

Wir sind gleich da, versicherte mir Dad. Keine Sorge, wir haben ganz in der Nähe einen Wagen stehen, mit dem wir dich zurückbringen können.

Die Kommunikation war anstrengend und forderte ihren Tribut: Ich bekam schlimme Kopfschmerzen. Der Schmerz in meiner Hüfte flammte auf, und in meinen Ohren rauschte es. Mir ist plötzlich irgendwie schummrig…

Halte durch…!

KAPITEL ZWEI

Als ich erwachte, war ich umgeben von weißen Wänden und dem Geruch von Desinfektionsmittel, Latex und Kaffee. Der Raum wirkte wie ein typisches Krankenhauszimmer, sauber, hell und steril, nur dass er exklusiv für Werwölfe eingerichtet worden war. Er lag tief unter der Erde, weil Werwölfe nicht gerade für ihre ruhige, besonnene Art bekannt sind. Doch selbst ihnen fällt es, wenn sie völlig von Sinnen sind, verdammt schwer, sich einen Weg durch die Erde zu buddeln.

Niemand außer mir lag in dem Krankenzimmer. Das machte die Dinge einfacher. Neugeborene Wölfe bedeuteten Chaos, und weniger Chaos war eindeutig ein Vorzug. Denn gestern Nacht hatte ich das Unmögliche zustande gebracht: Ich war zum einzigen lebenden reinrassigen Werwolf auf dem ganzen Planeten geworden, der weiblich war. Meine neue Identität würde den übernatürlichen Status quo ins Wanken bringen. Je eher ich mich auf die unerfreulichen Auswirkungen, die es zweifellos geben würde, einstellen konnte, desto besser. Zuerst aber sollte ich vielleicht doch meinen Arsch aus diesem Krankenhausbett hieven. »Hallooo«, rief ich, »jemand da?«

Während ich auf eine Antwort wartete, spannte und dehnte ich das Bein, wartete auf den Schmerz. Es zwickte mich noch leicht in Hüfthöhe, aber davon abgesehen fühlte sich alles völlig normal an. Die Wunde konnte ich nicht sehen. Mein Bein war nämlich in genug Verbandsmull eingewickelt, um damit eines von diesen hübschen Dekokissen fürs Sofa zu stopfen. Als ich mich an das Hackfleisch erinnerte, aus dem mein Bein bestanden hatte, war ich ganz froh darüber, auf den Anblick verzichten zu dürfen. Ich hatte keine Ahnung, ob diese Tortur Narben zurücklassen würde oder nicht. Ich hatte noch eine Menge zu lernen über meinen neuen Körper.

Ein Stockwerk über mir begann eine Unterhaltung. Der tiefe Bariton meines Vaters war unverkennbar. Ich neigte den Kopf. Beinahe erwartete ich, einen bionischen Piepton zu hören, als ich mich auf das Gespräch konzentrierte. Verblüffend, wie klar ich alles hören konnte, gerade so, als wären sie im selben Raum wie ich. Ich probierte mein Sehvermögen an Schächtelchen auf der anderen Seite des Raums aus und konnte die winzigen Buchstaben auf den Etiketten problemlos lesen.

Schritte kamen die Stufen herab, und mein Vater, Callum McClain, der Rudelführer der U.S. Northern Territories, kam in mein Blickfeld. »Das wird auch verdammt Zeit!« Ich schenkte ihm ein breites Grinsen. Es war eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, und ich hatte ihn vermisst. Seit ich das Wolfshabitat vor sieben Jahren verlassen hatte, waren wir uns gerade einmal bei einer Handvoll Gelegenheiten begegnet. Wir mussten hinsichtlich unserer Treffen stets größte Vorsicht walten lassen. Denn hätte man uns zusammen gesehen, hätte das in der Gemeinschaft der Übernatürlichen eine Menge Unruhe ausgelöst. Gerüchte hätten dann meine Tarnidentität auffliegen lassen können. Mit dem unabhängigen Leben, das ich mir so schwer erarbeitet hatte, wäre es dann Essig gewesen.

»Jessica, du hast mich zu Tode erschreckt.« Mein Vater trat an mein Bett. Mit seinem vollen dunklen Haar und dem vollkommen faltenfreien Gesicht sah er keinen Tag älter aus als fünfunddreißig.

»Ich habe mich selbst zu Tode erschreckt.« Ich kicherte. »Du kannst Gift drauf nehmen: Ich hatte für den Abend andere Pläne, als ausgerechnet zur Wölfin zu werden. Außerdem dachte ich, ich würde sterben. Das hat der ganzen Geschichte einen gehörigen Dämpfer verpasst. Es hat sich angefühlt, als würde mir jemand mit stumpfem Blatt Arme und Beine absägen.«

»Das erste Mal ist immer heftig«, sagte mein Vater. »Besonders wenn ich nicht da bin, um den Wandel zu unterstützen. Es ist viel leichter, wenn man sich nicht dagegen wehrt und Ruhe bewahrt. Das Sedativum hätte dir den Schmerz erspart. Warum hast du es nicht genommen?« Mein Vater zog sich einen Stuhl an das Bett heran und nahm Platz. »Auf diese Notfallmaßnahme hatten wir uns doch geeinigt, falls du je in den Wandlungsprozess geraten solltest! Du hättest es dir injizieren und dich selbst ausschalten sollen. Dann hätten wir dich rechtzeitig finden können, damit dir im Zuge der Wandlung nichts zustößt. Wirklich, Jess, du hättest dich beim Sprung aus dem Fenster deiner Wohnung tödlich verletzen können! Und wir können von Glück reden, dass der Schuss dir nicht das Rückenmark durchtrennt hat! Ich habe dir vertraut und darauf, dass du unsere Vereinbarung einhältst. Ich bin davon ausgegangen, dass du sie minutiös befolgst.«

»Es tut mir leid.« Ich zupfte am Laken wie ein schuldbewusstes Kind. »Ich habe versucht, mir die Spritze zu holen, aber ich habe es nicht geschafft. Selbst schuld. Ich habe das Etui vor ein paar Jahren aus meinem Nachttisch genommen und in den Badezimmerschrank gelegt. Ich dachte, das wäre nahe genug. Aber ehrlich, ich habe nicht damit gerechnet, dass ich es je brauchen würde. Ich bin doch schon vor über zehn Jahren in die Pubertät gekommen, und es hieß doch immer, ich wäre genetisch nicht dazu geschaffen, mich zu wandeln.« Ich hielt einen Moment inne. »Es tut mir leid. Ich dachte, du wärest überfürsorglich – so wie immer.«

»Jessica, meine Liebe!« Dr. Jace betrat den Raum. Das vertraute weiße Haar umwehte sein Gesicht wie ein zarter Glorienschein. Unverkennbar amüsierte er sich prächtig, gepaart allerdings mit Verwunderung. »Du hast uns in Angst und Schrecken versetzt! Du bist ein Wunder, junge Dame, ein echtes Wunder!« Er schlurfte zu meinem Bett, ergriff meine Hand und tätschelte sie liebevoll. »Wer hätte das für möglich gehalten? Eine echte Weibliche unter uns. Erstaunlich, wirklich erstaunlich!«

»Doc Jace!« Ich hielt ihm die Wange hin, damit er mir den üblichen flüchtigen Kuss geben konnte. »Schön, Sie wiederzusehen! Es ist schon viel zu lange her. Sie sehen gut aus.« Der Doc kam meiner Vorstellung von einem Großvater näher als alles andere an Mann, was ich kannte. Er war einer der Reinmenschen unseres Rudels. Wie sein Vater und vor ihm sein Großvater kannte er unsere Geheimnisse, arbeitete für uns, war aber selbst kein übernatürliches Wesen. Reinmenschen waren eine Notwendigkeit in jeder übernatürlichen Gemeinschaft, da die Menschheit keine Ahnung von unserer Existenz hatte. Reinmenschen konnten Ärzte sein, Lehrer oder Anwälte; Individuen, die für eine bestimmte Funktion innerhalb der Gemeinde rekrutiert wurden. Doc Jace war ein hervorragender Arzt und ein enormer Pluspunkt für unser Rudel. »Ich bin so froh, dass Sie da sind«, sagte ich und ließ ein Grinsen aufblitzen, »denn Sie sind genau der Mann, der mir die Fragen beantworten kann, die mir auf den Nägeln brennen.«

»Aber gern, Jessica«, sagte er. »Ich werde mein Bestes tun, um deine Fragen zu beantworten.«

»Wie habe ich das überlebt? Ich dachte, ich wäre genetisch nicht zum Wolf geeignet und könnte gar keine vollständige Wandlung erleben. Es hieß doch immer, falls sich meine Körperchemie später, nach der Pubertät, doch noch verändern sollte, würde ich bei der Tortur vermutlich sterben. Aber ich lebe und bin wohlauf.«

Doc strich sich gedankenverloren über den Bart. »Ja, wirklich außergewöhnlich! Männliche Wölfe tragen ihren Wolfsmarker auf dem zweiten Y-Chromosom. Genau da sind sie ganz deutlich kodiert. Ich kann nur mutmaßen, dass dein Körper Träger des Gens ist, das dich als Wolf kennzeichnet, es aber irgendwo anders, in einem nicht kodierten Bereich, trägt.« Er tätschelte meine Hand. »Wirklich interessant! Was für ein Forschungsfeld!« Über unsere Gene zu rätseln, war sein Lebenswerk. »Dass du als Weibliche eine erfolgreiche Wandlung vollbracht hast, kommt einer Revolution gleich. Das ebnet uns auf diesem Forschungsgebiet einen ganz neuen Weg. Wahrhaft fantastisch, sag ich dir!«

Dass die Sache einer Revolution gleichkam, war mir längst klar. Denn es gab in unserer Art keine Weiblichen. Unter den Wölfen hatte schon meine Geburt größtes Missfallen ausgelöst. Besonders weil es da eine Pointe gab: Einer weit verbreiteten Legende nach war ich das pure Böse, eine Gefahr, geschaffen allein dazu, die Wolfsart zu vernichten. Wenn das Rudel erfahren würde, dass ich zum reinrassigen Wolf geworden war, würde es einen Riesenaufstand geben. Alles, was ich mir aufgebaut hatte, würde den Bach runtergehen. Das aber erwähnte ich dem Doktor gegenüber nicht. Stattdessen fragte ich: »Wie spät ist es? Wie lange war ich weg?«

»Es ist sieben Uhr morgens«, antwortete Doc. »Du hast beinahe achtzehn Stunden geschlafen, was nicht ungewöhnlich ist für einen Wolf, der sich von einer schweren Verletzung erholt. Ich nehme an, du bist jetzt bereit für Kaffee und Frühstück? Du musst ja beinahe verhungert sein! Die Wandlung erfordert unglaublich viel Energie, und neugeborene Wölfe sind von Natur aus hungrig.«

»Ja, Kaffee und etwas zu essen hört sich himmlisch an!« Wie aufs Stichwort knurrte mein Magen. »Ich bin wirklich kurz vor dem Verhungern!« Dr. Jace ging hinaus, und ich konzentrierte mich wieder auf meinen Vater. »Achtzehn Stunden? Ich habe achtzehn Stunden geschlafen? Soll das heißen, wir haben bereits Montagmorgen?«

»Ja, es ist Montag.« Mein Vater beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Aber mach dir wegen deiner Arbeit keine Sorgen! Ich habe Nicolas bereits kontaktiert. Er ist schon unterwegs. Tatsächlich hat der Doc sogar ein bisschen nachgeholfen, was deinen Schlaf betrifft. Er wollte sicherstellen, dass du komplikationslos gesund wirst, und in dem Punkt konnte ich ihm nur von ganzem Herzen zustimmen. Wunden wie deine brauchen Zeit, um zu verheilen, ganz besonders bei einem Neugeborenen. Ich bin nur froh, dass wir dich in einem Stück zurückbekommen haben. Du hast uns da wirklich auf einen ganz schönen Höllenritt geschickt!«

Ich war erleichtert, dass mein Geschäftspartner und bester Freund Nick Michaels hierher unterwegs war. Es würde mir guttun, noch einen Verbündeten an meiner Seite zu haben. Denn ich hatte keine Ahnung, wohin das alles noch führen mochte. »Die Wandlung war der reine Wahnsinn. Aber wie es zu der Verletzung gekommen ist, daran erinnere ich mich nicht.« Dann korrigierte ich mich. »Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich habe eine klare Erinnerung an den Schmerz. Aber aus welchem Grund auch immer kann ich mich kaum an die Wiederkehr erinnern.«

Mein Vater lehnte sich zurück. »Es ist nicht ungewöhnlich, wenn man sich bei der ersten Wiederkehr von seinem Wolf abkoppelt. Deine Wandlung war ein unerwartetes, traumatisches Ereignis. Ich sagte es ja schon: Wenn man dagegen ankämpft, kann es wirklich qualvoll werden. Deine Wölfin hat wahrscheinlich die Kontrolle übernommen, während deine menschliche Seite in einem Schockzustand verharrt ist. So was passiert. Es ist nicht gerade der ideale Ablauf, aber es passiert.«

Ein bisschen war ich überrascht von seiner Reaktion. Aber ich war auch unendlich froh, dass er offenbar nicht vorhatte, mich so lange ans Bett zu ketten, bis ich mehr Kontrolle über die Vorgänge hätte. »Es hat sich nicht so angefühlt, als hätte ich einen Schock gehabt. Aber ich schätze, es ist durchaus möglich. Am Ende war es, als würde meine Wölfin einen Schalter zwischen uns umlegen und mir die Kontrolle zurückgeben. Bis dahin war ich sozusagen nur der Beifahrer. Kaum hatte ich das Steuer wieder übernommen, habe ich nur eine Nase von meiner Wunde nehmen müssen, und schon war ich ohnmächtig.« Der erste schwierige Augenblick in meinem Dasein als Werwölfin, und ich verlor die Besinnung, als gäbe es nichts Erstrebenswerteres.

Mein Vater musterte mich einen Moment schweigend. Dann strich er sich mit einer Hand durch das Haar. Das tat er schon mal, wenn er gestresst war – sehr gestresst. Denn Stress so zu zeigen, verbot er sich normalerweise. »Tja.« Er räusperte sich. »Ich weiß nicht so genau, was da passiert ist. Aber es kann viele Jahre dauern, die Herrschaft über seinen Wolf zu erringen. Wenn deine Wölfin dir die Kontrolle freiwillig zurückgegeben hat, dürfen wir hoffen, dass du damit keine Probleme haben wirst.« Er beugte sich vor und musterte mich noch aufmerksamer. »Das ist ein Zeichen dafür, dass deine menschliche Seite stark ist, und das ist eine verdammt gute Sache!«

Von Werwölfen wurde gefordert, dass sie unter Beweis stellten, den inneren Wolf in der Gewalt zu haben. Erst danach durften sie wieder in die Gesellschaft der Menschen zurückkehren. Der innere Wolf wollte, ja, forderte instinktiv die alleinige Vorherrschaft. Die menschliche Seite musste stark genug sein, um die Wolfstriebe zu jeder Zeit im Zaum zu halten. Ausnahmslos.

Ich nagte an meiner Unterlippe.

Ganz so ideal war es ja nun nicht abgelaufen. Ich wusste nur eines: Ich hatte meine Wölfin davon abgehalten, den Farmer zu töten. Aber ich hatte keine Ahnung, was zu tun wäre, sollte es erneut so weit kommen. Dennoch gab ich mich damit zufrieden, das Thema vorerst fallen zu lassen, und fragte stattdessen: »Woher wusstest du, dass ich mich wandle? Wie hast du mich gefunden?« Ich bin im Wolfshabitat aufgewachsen. Also wusste ich auch eine Menge über Wölfe. Aber man hatte mich auch über viele Dinge im Dunkeln gelassen.

Ehe mein Vater antworten konnte, stürmte mein Bruder ins Zimmer. Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er noch ein Stück gewachsen. »Wir haben dich gefunden, weil du stinkst, und Gestank ist leicht zu verfolgen.« Er warf sich neben mich aufs Bett und drängte mich ganz selbstverständlich zur Seite.

»He, schön vorsichtig, du Riesenochse! Ich erhole mich hier von einer schweren Verletzung.« Kichernd zog ich das kaum noch schmerzende Bein an, um ihm Platz zu machen. Aber auch das reichte nicht. Denn er war ein Riesenkerl und das Bett geradezu winzig.

»Dann bist du wohl nicht sonderlich stark, du schwaches Mädchen! Wäre es nämlich mein Bein, dann wäre es jetzt längst wieder so gut wie neu.« Grinsend offenbarte er seine Zähne und Grübchen. Meine ewige Konkurrenz.

»Du hast leicht reden«, erwiderte ich. »Dir wurde nicht gerade von einem wütenden Farmer fast das Bein abgeschossen.« Ich beugte mich zu ihm hinüber und versetzte ihm spielerisch einen Stoß. Tyler rührte sich kein Stück. Mit seinen eins sechsundneunzig und seinen Muskelpaketen sah er aus, als wollte er als Catcher für die WWE in den Ring steigen. Tyler sah unserem Vater ähnlich. Gut, das taten wir beide – nur hatte Tyler blondes Haar, Vater und ich stattdessen dunkles. Außerdem hatte er ein paar hübsch verschämte Grübchen, ein Erbe unserer verstorbenen Mutter. Aber das, was uns unverkennbar als Geschwister auswies, waren unsere himmelblauen Augen.

»Sieh’s ein, Jess: Ich habe mir schon einen Haufen mehr Schrammen geholt als du, und am nächsten Tag ging es mir immer blendend«, behauptete Tyler. »Du bist nur eine halbe Portion – ein Mädchen eben!«

»Ach ja, klar doch! Weißt du noch, damals, als wir mit Danny in den Bergen waren? Dich musste man auf einer Trage wegschleppen! Du warst damals ganze drei Tage ausgeschaltet.«

»Ich hatte einen Schädelbruch, und mir ist das Gehirn ausgelaufen. Das ist wohl kaum eine geringfügige Verletzung!«

»Nun, bisher ging ein abgeschossenes Bein auch nicht als geringfügig durch!«

»Na, mach mal halblang! Das …«, er zeigte auf meine Hüfte, »… ist doch nur eine einfache Fleischwunde!«

Fleischwunde, dass ich nicht lache, kleiner Bruder!

Begreifen spiegelte sich in seinem Gesicht. Unsere mentalen Fähigkeiten waren während unserer Kindheit bestenfalls dürftig gewesen. Wie bei einem Wackelkontakt waren sie mal aufgeflackert, mal nicht. Meistens war sie auf unfair einseitige Weise zutage getreten – von Tyler zu mir. Als Tyler in der Pubertät die Wandlung durchlaufen hatte, waren sie ganz verschwunden.

Nun aber war diese Fähigkeit wieder da.

Du willst es mir heimzahlen, was, Brüderchen?

»Okay, das reicht jetzt!«, herrschte uns Vater an. »Tyler, reiß dich jetzt bloß am Riemen! Deine Schwester wird unsere Hilfe brauchen. Was geschehen ist, ist beispiellos. Gut, bislang haben wir erfolgreich so getan, als sei nichts. Aber nun müssen wir überlegen, wie wir vorgehen wollen, um die Folgen zu minimieren. Die Wölfe sind unruhig, und wir müssen vorsichtig agieren.«

Mein Bruder hörte sofort auf herumzualbern. Angelegenheiten des Rudels nahm er ernst. Das hatte er immer getan. Für einen Sechsundzwanzigjährigen hatte er einen ungewöhnlich hohen Rang innerhalb des Rudels. Der einzige Wolf, der außer Dad im Rang über ihm stand, war Dads Stellvertreter James Graham, der schon seit über einem Jahrhundert an Dads Seite war. Tyler hatte eine Menge blutiger Kämpfe ausfechten müssen, um so schnell so weit aufzusteigen. Er war ein starker Wolf, und ich hoffte, dass das in der Familie lag.

Mein Vater stand auf und ging zum Fußende des Bettes. »Die Wölfe ahnen etwas. Aber noch besteht die Chance, dass ihnen deine Wandlung entgangen ist. Die meisten wissen nicht genau, was sie gestern Nacht gehört haben, weil ich die Verbindung so schnell abgebrochen habe. Diesen Vorteil müssen wir nutzen, Jess, und versuchen, die Neuigkeit über deine Wandlung, solange wir nur können, zurückzuhalten – am besten für immer.«

»Was meinst du mit ›was sie gehört haben‹?«, fragte ich. Das hörte sich nicht gut an.

»Ein neuer Wolf signalisiert seine erste Veränderung dem Rudel. Das läuft automatisch ab, eine Sicherheitsmaßnahme, mehr nicht. Deine Wölfin hat genau diesen Alarm ausgelöst.« Mein Vater drehte sich um und schaute mich an. »Bei der ersten Wandlung zünden die Wölfe eine Art Signalfeuer. Vor Hunderten von Jahren haben wir so überall in Schottland und Wales Wölfe aufgefunden, was wichtig war für ihre Sicherheit. Denn diese Wölfe haben bis zur ihrer ersten Veränderung gar nicht gewusst, was sie sind.«

»Das ganze Rudel hat meine Wandlung gehört?« Der Gedanke, dass ein ganzes Rudel Werwölfe in meinem Kopf war, löste in mir Panik aus, die wie eine Welle über mir zusammenschlug. »Können die mich jetzt auch hören?« Ich gab mir Mühe, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Aber es machte sich doch bemerkbar.

»Nein, können sie nicht«, versicherte mir mein Vater. »Die Verbindung zum Rudel wird grundsätzlich von mir hergestellt, und nur von mir. Wölfe können nicht aus eigener Kraft interne Unterhaltungen führen. Tyler und du, ihr seid eine seltene Ausnahme. Das liegt zweifellos daran, dass zwischen euch so starke Blutsbande bestehen, und ganz sicher nicht an der Zugehörigkeit zum Rudel. Ich bin der Verbindungskanal, weil ich der Alpha bin. Der Alarm, den du ausgelöst hast, war nur für ein paar kurze Augenblicke wahrnehmbar. Als mir klar wurde, dass du es bist, habe ich die Verbindung komplett gekappt. Derzeit weiß im Rudel keiner, dass du dieser neue Wolf bist. Das ist unser Vorteil.« Dad strich sich erneut mit der Hand durch das Haar. »Weil ich dich nicht bei deiner Wandlung beobachtet habe, kann ich halbwegs glaubhaft versichern, ich wüsste von nichts. Niemand hat dich bisher in deiner Wolfsgestalt gesehen, also kann auch niemand sicher wissen, dass du dich gewandelt hast. Wenn wir Glück haben, glauben sie, das Signal stamme von einem Wolf aus den Southern Territories, was immerhin möglich wäre. So etwas gab’s schon einmal. Und genau das, Entfernung hin oder her, können wir für uns nutzen.« Die U.S. Southern Territories kontrollieren alles, was südlich der Mason-Dixon-Linie liegt, bis hinunter nach Mexiko, mein Vater alles, was nördlich davon liegt, bis rauf nach Kanada.

Mein Bruder nickte zustimmend.

Dafür zu sorgen, dass mein Vater das Rudel nicht belügen musste, war wichtig. Wölfe können eine Lüge spüren, weil der Körper dergleichen stets verrät. Das Herz rast, die Pupillen weiten sich, und man transpiriert. Mein Vater, immerhin ein starker Alpha, konnte eine Lüge durch Auslassung etwa verbergen. Aber sollten die Wölfe ihn zu eingehend befragen, würden seine Gefühle auch ihn verraten.

»Ich bin erleichtert, dass sie mich nicht hören können. Aber macht sie nicht schon neugierig, dass ich zurück bin? Sie wissen doch, dass ich hier bin, oder?« Meine Anwesenheit im Habitat geheim zu halten, wäre viel zu kompliziert. Eigentlich hätte ich gar nicht mehr hier sein dürfen, besser noch, ich wäre in Europa geblieben. Nachdem ich vor etlichen Jahren endlich das Rudel verlassen hatte, hatte ich unter dem Namen Molly Hannon ein neues Leben begonnen. Dem Rudel war gesagt worden, dass Jessica nach Europa gegangen sei und nicht mehr zurückkäme. Und tatsächlich hatte ich auch einige Zeit in Übersee verbracht, um mich von den Verletzungen zu erholen, die ich mir bei einem Kampf kurz vor der Abreise aus dem Habitat zugezogen hatte. Also war das nicht ganz unwahr, und mir hatte es Glück gebracht. Als Molly kehrte ich in die Staaten zurück und lebte fortan etwa zwei Stunden südlich vom Habitat in den Twin Citys ein segensreich ereignisloses Leben. Niemand dort wusste, wer ich war, und das wollte ich mir unbedingt bewahren.

»Ich habe ihnen erzählt, du seist für ein paar Nächte in der Stadt, um endlich einmal deinen Bruder zu besuchen. Du seist bei Danny abgestiegen und rein zufällig gestern spätabends hier angekommen.« Danny Walker, der beste Freund meines Bruders und ein weiterer meiner wenigen Verbündeten. Er überwachte die Stadtgrenzen und suchte nach fehlgeleiteten Wölfen. Er war verdammt gut in seinem Job.

»Und das haben sie gefressen?«

»Du warst seit sieben Jahren nicht hier. Es wurde Zeit.«

»Falls die Neuigkeit über meine Wandlung bekannt wird, wird es schwer, sie davon zu überzeugen, dass ich nicht ihr Feind bin. All die Jahre hat sich ja der Kain-Mythos in ihren Köpfen breitgemacht. Sie werden meine Rückkehr für den Beweis halten, auf den sie so lange gewartet haben. Sie werden mich beschuldigen, dass ich das Rudel vernichten will.«

»Dass du gleich nach Erlöschen des Signals hier auftauchst, ist nicht gut, zugegeben.« Mein Vater ging durch den Raum in Richtung Treppe. »Aber alles, was uns an Zeit herauszuschlagen gelingt, gibt mir Gelegenheit, das Rudel auf die Neuigkeit von deiner Wandlung vorzubereiten. Vorbereitet werden sie besser damit umgehen. Einige der Wölfe haben ihre Haltung dir gegenüber während der letzten paar Jahre geändert und stehen dir nun weniger ablehnend gegenüber. Aber wenn sie von deinem neuen Status als reinrassiger Wolf erfahren, wird das ihre Überzeugungen erneut erschüttern.« An der Treppe drehte Dad sich noch einmal um. »Ich gehe zurück, um mit ihnen zu reden. Wenn du gefrühstückt hast und Doc mit deiner Untersuchung fertig ist, treffen wir uns im Haupthaus, um unsere nächsten Schritte zu besprechen.«

Tyler tätschelte mir das Knie, als er sich erhob. »Mach dir keine Sorgen, Jess! Wir kriegen das schon hin. Und nur für die Akten: ich halte dich bestimmt nicht für eine Missgeburt.«

Ähm, danke…?

KAPITEL DREI

Nachdem ich mehr Nahrung auf einmal hinuntergeschlungen hatte als je zuvor in meinem Leben, ließ man mich eine Reihe von Tests durchlaufen. Dabei wurde alles an Gewebeproben genommen, von dem ich mich trennen konnte. »Ich sage doch, es geht mir gut. Das da ist völlig unnötig.« Ich thronte auf der Bettkante und schwang die nutzlosen Krücken. »Meine Beine fühlen sich großartig an.«

Dr. Jace stand neben mir und begutachtete jede meiner Bewegungen.

»Schauen Sie!« Ich beugte mein Bein und streckte es wieder. »Sehen Sie, es funktioniert bestens! Keine Schmerzen.« Ich hatte mir inzwischen eine alte Pyjamahose und ein uraltes Radiohead-T-Shirt angezogen, das sich noch aus meinem alten Zimmer im Haupthaus hatte hervorwühlen lassen. Als das Hosenbein der Pyjamahose hochrutschte, erhaschte ich einen Blick auf das dichte dunkle Haar, das mein einst säuberlich rasiertes Bein bedeckte, und mich überfiel ein Würgereiz. »Und, äh, na ja, abgesehen von all diesen ekelhaften Haaren, geht es mir absolut gut.« Kein Geld der Welt könnte mich dazu bringen, einen Blick in meine Achselhöhlen zu werfen. Fest schloss ich die Augen. Wie es schien, kehrte nach einer vollständigen Wandlung die Körperbehaarung zurück. Jedes einzelne Haar.

»Vorerst wirst du sie benutzen.« Mit einer Kopfbewegung deutete Doc auf die Krücken. »Wenn es dir später besser geht, können wir erneut darüber verhandeln.«

Ein Kopfsalat wäre leichter zu überzeugen gewesen. Also nahm ich die verdammten Dinger und schob sie mir unter die Arme, als ich vom Bett aufstand.

Der Weg von der Krankenstube zu dem Haus, in dem ich aufgewachsen war, führte ein kurzes Stück weit über einen säuberlich manikürten Rasen. Dieses Jahr war der Frühling außergewöhnlich regnerisch, und das Gras zeigte sich in einem überraschend leuchtenden Grün. Außer mir hielt sich niemand draußen auf, vermutlich auf Anweisung meines Vaters.

Die Lodge, wie das Haus liebevoll genannt wurde, war in den späten Dreißigern erbaut worden und hatte seither als Heimatbasis für die Northern Territories gedient. Die ausgetretenen Zedernholzdielen wiederzusehen, hob in dem Augenblick, als ich die Lodge betrat, meine Stimmung. Doc war mir vorausgegangen. Jetzt fragte er: »Jessica, willst du vielleicht noch einen Kaffee? Oder einen Tee?«

»Kaffee wäre toll, danke.« Doc bog in Richtung Küche ab, und ich ging weiter in den gewaltigen, zweigeschossigen Wohnbereich. Der Kamin, gemauert aus Steinen, die aus dem See stammten, nahm die ganze Ostwand ein.

Es war ein schöner Anblick, aber nicht so schön wie das, was mich an Anblick davor erwartete.

»Nick!« Ohne einen Gedanken an Doc zu vergeuden, ließ ich die Krücken fallen und hüpfte Nick direkt in die Arme. »Ich bin so froh, dass du hier bist!«

»Immer mit der Ruhe, Jess!« Nick umfing mich mit einer mächtigen Umarmung, ehe er zurücktrat und mich prüfend beäugte. »Hmm, du siehst tatsächlich recht gut aus. Kein übrig gebliebenes Fell und keine flaumigen Ohren zu sehen. Aber wie geht es dem Bein?«

»Alles verheilt.« Ich schob den Hosenbund ein Stück weit herunter und zeigte Nick den oberen Teil meiner Hüfte. Das Einzige, was von der Wunde noch zu sehen war, war eine leicht rötliche Verfärbung. »Siehst du? Ziemlich cool, was?«

»Oh ja, ziemlich beeindruckend!«

Ich zog Nick mit mir mit und hinüber auf die Couch. Abgesehen davon, dass Nick mein bester Freund war, war er auch ein Werfuchs, kein Wolf. In der Welt der Wandler entsprechen Kraft und Größe der Menschengestalt dem jeweiligen Tier. Also war Nick kein sonderlich großer Kerl, nur ungefähr eins zweiundachtzig. Sein Vater war First Nations Kanadier gewesen, seine Mutter eine Weiße. Nicks Haut hatte daher einen leichten Kupferton; sein dunkles Haar war dicht und zottelig. Nick zu sehen, tat nach all dem Wahnsinn einfach nur gut.

»Ich bin sehr froh, dass du gleich gekommen bist«, gestand ich ihm. Nick besaß die Fähigkeit, mich auf eine Weise zu beruhigen, wie es niemand sonst konnte. So war das schon seit unserer Kindheit. »Diese ganze Geschichte war ein bisschen verrückt. Ich kann kaum glauben, dass das alles wirklich passiert ist.«

»Tja, ich bin nur froh, dass du die Wandlung in einem Stück überstanden hast.« Nicks Augen waren von Natur aus von einem beeindruckend dunklen Gold. Nun blitzten sie für einen Augenblick auf, offenbarten seine Gefühle und wirkten noch strahlender. »Du hättest dabei draufgehen können.«

Ehe ich antworten konnte, marschierten mein Vater und James Graham, sein Stellvertreter, herein. James trug das übliche schwarze T-Shirt und eine Tarnhose, eben die Uniform, in der ich ihn mein ganzes Leben lang gesehen hatte. Das Ensemble passte perfekt zu seinem kurz geschorenen dunklen Haar und der olivfarbenen Haut. Es verlieh seiner hoch gewachsenen Gestalt eine Aura von Gefahr und Stärke. James war ein beeindruckend großer Wolf mit gewaltigen Schultern. Er wäre in jedem Outfit aufgefallen. Ich freute mich, feststellen zu können, dass er sich nicht im Mindesten verändert hatte.

Mein Vater begrüßte Nick mit einem kurzen Nicken. »Nicolas.«

»Guten Tag, Sir«, erwiderte Nick den knappen Gruß und sprang hastig auf.

»Wie geht es dem Bein, Jessica?«, fragte mich mein Vater, als ich mich ebenfalls erhob.

»Alles verheilt.«

Ein paar Sekunden musterte er mich von Kopf bis Fuß, dann nickte er knapp.

James kam auf mich zu. »Schön, dich zu sehen, Jessica«, sagte er, umfasste meine Taille und umarmte mich freundschaftlich. Sein auffälliger irischer Akzent wirkte nach all der Zeit immer noch in seiner launigen Art ansteckend. »Ich bin froh, dass du wohlauf bist.«

Ich erwiderte die Umarmung. »Es ist viel zu viel Zeit vergangen, James.« Ich strahlte ihn an, als er sich von mir löste. »Viel zu viel!« Bei meinem endgültigen Abschied vom Habitat hatte James eine entscheidende Rolle gespielt, und ich freute mich wirklich, ihn zu sehen. Ohne seine Hilfe hätte ich vielleicht nie den Absprung geschafft. Seitdem gab es ein starkes Band der Freundschaft zwischen uns, das vorher überhaupt nicht existiert hatte.

»Gehen wir in mein Büro.« Ohne auf uns zu warten, hielt mein Vater auf einen Durchgang auf der anderen Seite des Wohnbereichs zu und verschwand in dem dahinterliegenden Raum.

Wir anderen folgten ihm. Als wir eintraten, stellte mein Vater zwei Stühle in schiefem Winkel vor das Ledersofa, das den Fenstern gegenüber stand. Sein Büro hatte ursprünglich als Bibliothek gedient. Noch immer säumten mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Bücherschränke die Wände. Außerdem bot es einen herrlichen ungehinderten Blick auf den See.

»Jessica, setz dich bitte auf das Sofa! Nicolas, du setzt dich neben sie!«

Wir gehorchten unverzüglich.

James musste nicht erst gebeten werden, sich auf den Stuhl neben meinem Vater zu setzen. Dort beugte er sich vor, die Arme auf die Oberschenkel gestützt, bereit, sich ins Gespräch zu stürzen.

Mein Vater saß aufrecht da, eine imposante Erscheinung – wie immer. Er war etwas kleiner als James, dafür aber breitschultriger und noch kräftiger gebaut. Seine muskulösen Arme drohten, die hochgekrempelten Ärmel des Anzughemds zu sprengen. Wie stets war er dem Anlass gemäß gekleidet. Ich hatte nie erlebt, dass er zu einer Besprechung von Gewicht in Jeans und T-Shirt erschienen wäre. Mein Vater war ein Anführer, das war unverkennbar.

»Nicolas«, kam er sofort zur Sache, »ich möchte, dass du nach dieser Besprechung herausfindest, welche Gerüchte in Bezug auf Jessica oder eine kürzlich erfolgte erste Wandlung in der Gemeinde zirkulieren. Finde heraus, ob außerhalb des Habitats etwas durchgesickert ist! Sollte dir etwas Außergewöhnliches auffallen, will ich unverzüglich darüber informiert werden. Das«, fuhr mein Vater fort, »ist unsere oberste Priorität. Für den Augenblick beschränken wir uns darauf, noch einmal die Geschehnisse am frühen Samstagmorgen durchzugehen, als du in Jessicas Wohnung eingetroffen bist. Ja, richtig, du hast mich bereits informiert. Aber ich möchte es noch einmal hören, ganz von Anfang an, mit allen Details.« Er nickte mir zu. »Und ich bin überzeugt, auch Jessica würde gern erfahren, was in ihrer Abwesenheit vorgefallen ist.«

»Ja, Sir.« Nick wandte sich mir zu.

»Besser, das wird interessant!«, scherzte ich in der Hoffnung, Nick etwas von seiner Anspannung zu nehmen. Die nämlich stach mir in die Nase wie der Geruch nach verbranntem Toast.

»Tyler hat mich in der Nacht deiner Wandlung gegen zwei Uhr dreißig angerufen«, berichtete Nick. »Er hat sich Sorgen gemacht und befürchtet, dass du in Schwierigkeiten steckst. Ich bin sofort in meinen Wagen gesprungen. Dann habe ich Marcy angerufen und ihr gesagt, dass wir uns bei dir treffen. Ich wusste, wenn es da irgendeinen Tumult gegeben haben sollte, hätten deine Nachbarn wahrscheinlich bereits die Polizei alarmiert. Marcy dabeizuhaben, würde einiges leichter machen.«

»Gute Idee, Kumpel!«, bestätigte ich. Das war die beste Neuigkeit, die ich seit meinem Sprung vom Balkon im zweiten Stock zu hören bekommen hatte. Marcy Talbot, die Sekretärin unserer Firma, war eine talentierte Hexe, auch wenn sie dazu neigte, ihr eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen. Marcy hasste es, unter Druck arbeiten zu müssen. In Stresssituationen nämlich hatte sie das Pech, dass ihre Magie versagte. Deshalb wollte kein Hexenzirkel sie aufnehmen. Aber wenn sie genug Ruhe zum Arbeiten hatte, war das Ergebnis absolut verblüffend.

»Marcy und ich sind ungefähr gleichzeitig bei der Wohnanlage angekommen«, fuhr Nick fort. »Es war ein echtes Wunder, dass wir vor der Polizei dort waren. Es herrschte Chaos, und etliche Leute liefen vor deiner Tür herum. Marcy hat sofort einen Zauber gewirkt – etwas, das die Leute überzeugt hat, sie müssten woanders sein. Kaum waren sie weg, konnten wir ungesehen hineinschlüpfen.«

»Gute Marcy!«, lobte ich. »Wie hat es in der Wohnung ausgesehen? Meine Wölfin hat ziemlich gewütet, um da rauszukommen.«

»›Gewütet‹ ist noch milde ausgedrückt.« Nick ließ ein sardonisches Grinsen aufblitzen. »Es sah eher so aus, als hättest du jede Menge C-4 in der Wohnung verteilt und zur Explosion gebracht. Stapelweise lagen deine zertrümmerten Möbelstücke herum, und im Boden klafften tiefe Furchen. Im Schlafzimmer war es am schlimmsten. Aber wir hatten keine Zeit aufzuräumen, weil die Polizeisirenen immer näher kamen. Marcy hatte die Idee, es so aussehen zu lassen, als wäre jemand ein- und nicht du ausgebrochen. Also hat sie dafür gesorgt, dass die Glastür so aussieht, als wäre sie von außen eingeschlagen worden.«

Ich nickte. »Brillant!«

»Danach war sie ziemlich erledigt.« Hexen mussten auftanken, wenn sie mehrere Zauber nacheinander wirkten. »Wir sind dann schnell zurück in dein Schlafzimmer, weil uns klar war, dass wir dort aufräumen mussten. Sonst gäbe es mit Sicherheit eine umfassende Untersuchung. Das viele Blut hat förmlich nach einer Erklärung geschrien.«

»Habt ihr es geschafft?«

Er nickte. »Ja. Marcy hatte noch genug Kraft, um es so aussehen zu lassen, als wärest du gar nicht zu Hause gewesen. Bett gemacht, alles sauber und ordentlich.«

»Perfekt«, murmelte ich.

»Wir haben es gerade noch nach aus der Wohnung geschafft, ehe die Polizei eingetroffen ist. Aber wir konnten das Haus nicht verlassen, ohne von ihnen gesehen zu werden. Also haben wir uns nebenan in Mr. Stubbards Wohnung verkrochen.« Nick sah sich zu meinem Vater um. »Jess’ direkter Nachbar auf der Ostseite. Da musste ich dann ein bisschen zaubern. Ich habe Mr. Stubbard überzeugt, sich wieder schlafen zu legen, nachdem er uns reingelassen hat. Marcy und ich sind dageblieben und haben ein mieses TV-Programm angeschaut, bis die Polizei abgerückt ist. In kurzen Worten war es das.«

Nick besaß die enorm nützliche Gabe der mentalen Überzeugungskunst. Viele Übernatürliche haben besondere Fähigkeiten, die mit ihrer wahren Natur einhergehen. Eine Gabe wie die Überzeugungskraft wirkte normalerweise nur bei willensschwachen Menschen. Aber nützlich war sie trotzdem. Was zusätzliche Fähigkeiten betrifft, so war mein Bruder imstande, doppelt so schnell zu laufen wie jeder andere Wolf, und James gesundete doppelt so schnell wie alle anderen, was im Übrigen faszinierend zu beobachten war. Es gab keine Garantie dafür, dass man eine besondere Gabe erbte. Das hing ganz davon ab, was in den Genen festgelegt war. Ich hoffte sehr, dass ich auch eine hatte. Aber ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis sie zutage träte.

»Marcy braucht eine Gehaltserhöhung. Hexen arbeiten nicht umsonst«, sagte ich zu Nick. »Ohne sie wäre ich völlig aufgeschmissen. Es wird auch so noch schwer genug, mir eine Geschichte für die Polizei einfallen zu lassen. Aber das ist schon mal eine große Hilfe. Ein Einbruch ist viel leichter zu erklären als ein Ausbruch.«

»Oh, hier ist dein Handy.« Nick zog es aus der Jackentasche hervor und gab es mir. »Das habe ich beim Rausgehen zufällig ganz oben auf einem Trümmerhaufen gefunden. Heutzutage verlässt niemand die Stadt ohne sein Handy.«

»Danke.« Ich nahm es und schob es in den Bund meiner Pyjamahose. »Hast du zufällig auch meine Handtasche gesehen?«

Für einen Moment wirkte Nick regelrecht betroffen. »Nein, ich …«

»Mach dir keine Gedanken!«, fiel ich ihm rasch ins Wort. »Nick, ehrlich, ihr habt mir ganz hervorragend den Rücken freigehalten, wie immer. Kerle haben nun mal kein Radar für Handtaschen.« Marcy hätte sie mitgenommen, hätte sie sie gesehen, da war ich sicher. Aber vermutlich lag die Tasche unter irgendeinem Trümmerhaufen begraben. Ich sah mich zu meinem Vater um. »Haben wir noch Vorrat an Campingausweisen aus dem Hinterland? Ich könnte einen spontanen Campingausflug als Ausrede für meine Abwesenheit nutzen.« Hier oben umgaben uns die dichten Wälder der Nationalforste.

»Das dürfte kein Problem sein«, sagte mein Vater und wandte sich an Nick. »Du hast hervorragende Arbeit geleistet, Nicolas. Du erweist dich immer wieder als eine Bereicherung für unser Rudel.«

Nick senkte den Kopf angesichts dieses Kompliments. Lob verteilte mein Vater nur selten.

»Der Einbruch gibt uns eine Chance, den ersten Schritt im Umgang mit der Menschenpolizei zu regeln«, sagte mein Vater. »Aber nun kommt der schwierige Teil, und James und ich haben bereits einige der möglichen Szenarien durchgesprochen.« Er tauschte einen Blick mit James. »Ob wir dich, Jessica, hierbehalten oder dir gestatten, nach Hause zu gehen, beides ist mit Gefahren verbunden – beides ist Grund genug, mir Sorgen zu machen.«

James griff den Faden auf, und sein singender irischer Tonfall verlieh seinen Worten eine bodenständige Färbung. »Wenn du hierbleibst, Jessica, dürfte das Rudel wohl zu dem Schluss kommen, dass du bereits zu einem reinrassigen Wolf geworden bist. Ich glaube, das ist ein unnötiges Risiko. Die Wölfe sind so oder so schon unruhig. Sie wissen, dass sie letzte Nacht etwas gehört haben. Sie wissen nur nicht so recht, was das war. Falls es eine Chance gibt, deine Wandlung geheim zu halten und dir die Gelegenheit zu geben, in dein normales Leben zurückzukehren, dann sollten wir sie unbedingt nutzen.«