Vom Glück sich selbst zu lieben - Heinz-Peter Röhr - E-Book + Hörbuch

Vom Glück sich selbst zu lieben E-Book

Heinz-Peter Röhr

4,5

Beschreibung

Viele Menschen meinen, durch Wohlstand, Leistung und Erfolg glücklich zu werden. Doch häufig klagen gerade jene, die nur für diese Form äußeren Glücks leben, über ein Gefühl innerer Leere. Viele von ihnen geraten in Beziehungskrisen, leiden unter Ängsten oder werden depressiv. Andere flüchten sich in die Arbeit oder greifen zu Suchtmitteln. Anhand des Märchens "Der Teufel mit den drei goldenen Haaren" zeigt Heinz-Peter Röhr, wie Ängste, mangelnde Selbstliebe sowie innere Blockaden unser seelisches Wachstum und damit unser wahres Lebensglück verhindern. Gelingt es jedoch, das innere negative Selbstbild zu erkennen, kann es durch ein positives ersetzt werden. Ein ganz anderes, neues Lebensgefühl entsteht.

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Cover

Haupttitel

Inhalt

Anhang

Anmerkungen

Literaturempfehlungen

Bibliografie

Quellennachweise

Über den Autor

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Heinz-Peter Röhr

Vom Glück, sich selbst zu lieben

Wege aus Angst und Depression

Patmos Verlag

INHALT

Vorwort

Der Teufel mit den drei goldenen Haaren

Einleitung

1. Teil Glückskind und König oder wie Glück verloren geht

Das Kind mit der Glückshaut

Der Verkauf des Glückskindes

Der König mit dem bösen Herzen oder das Realitätsprinzip

Die Müllersleute oder das geschenkte Glück

Die Räuber oder die innere Anarchie und das Recht auf Glück

Der König, den man täuschte, oder die Lektionen des Lebens

2. Teil Auf dem Weg zur Hölle oder drei Prüfungen

Die Logik des Leids

Drei Geheimnisse – die jeder kennen sollte

»Ich weiß alles«

Der Brunnen, aus dem kein Wein mehr quillt.

Der Baum, der keine goldenen Äpfel mehr trägt.

Der Fährmann, der endlos hin- und herfahren muss.

Die Großmutter des Teufels und das Verdrängte

Der Teufel als innere Instanz

Die Kröte oder was die Stimmung blockiert

Die Maus oder was die Antriebe blockiert

Der Fährmann oder die Süchte des Lebens

3. Teil Der Weg zurück oder die Befreiung von Blockaden

Das Dilemma des Fährmanns

Die Suche nach der Maus und wie man sie tötet

Phobien

Erwartungsängste

Soziale Ängste

Das Lebensskript oder der persönliche Mythos

Die Suche nach der Kröte

Die Kröte entdecken – Beispiele aus der Psychotherapie

Das Dramadreieck

Die Familien-Perspektive

Das gespaltene Elternbild

Verwöhnung

Die Kröte töten heißt trauern

Frieden mit den Eltern

4. Teil Die Kröte im Alltag

Selbstabwertung, ein beliebtes Spiel

Die Frage nach dem Sinn

Visionen können bei der Lösung der Sinnfrage helfen

Vom Umgang mit Leid

Vom Umgang mit dem Tod

Selbstliebe

5. Teil Die Antwort der Mystiker

Transpersonale Entwicklung

Der innere Zeuge

Der König, der sich selbst bestraft

Schlussbemerkung

Anhang

Wann ist Therapie angezeigt und warum scheitern Therapien?

Angsterkrankungen

Panikerkrankung

Phobie

Generalisierte Angststörung

Therapeutische Hilfe bei Angststörungen

Depressive Störungen

Wie Gefühle entstehen

Der intelligente Umgang mit Gefühlen

Anmerkungen

Literaturempfehlungen

Bibliografie

Quellennachweise

Vorwort

Die Geißeln unserer Zeit sind Angst und Depression. Diese zermürbenden Gefühle zu bewältigen ist eine große Herausforderung. Da es selten schnelle, wirklich wirksame Lösungen gibt, ist es sinnvoll, sich dem Leben umfassender zuzuwenden.

Im Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren spiegelt sich eine Grundbewegung des Menschen: die Suche nach Glück. Doch was ist eigentlich Glück? Wo ist Lebensglück zu finden? Gibt es dauerhaftes Glück, und – wenn ja – wo sollte man mit der Suche beginnen? Welche inneren Kräfte arbeiten mit- und gegeneinander? Wodurch wird Glück blockiert? Welche Antworten finden sich im Märchen, und welche Antworten geben Psychologie und Psychotherapie?

Erfolg, Karriere, Wohlstand sind die Vorgaben der Leistungsgesellschaft, die persönliches Glück verheißen. In der Spaßgesellschaft suchen viele in immer noch extremeren Attraktionen und Events den ultimativen Kick. Für andere ist das wöchentliche Ausfüllen des Lottoscheins die einzige Hoffnung auf Glück. Viele wären froh, wenn sie wenigstens quälende Gefühle wie Angst, Ärger, Hass, Wut, Trauer und Depression verlören. Wie sehr gerade diese unangenehmen Gefühle dazu beitragen können, aus einer tieferen Quelle Lebensglück zu schöpfen, bleibt meist ein unentdecktes Geheimnis.

Der derzeitige Dalai Lama hat als Wanderer zwischen seiner traditionellen tibetischen und der westlichen Kultur beobachtet, dass die Menschen unserer Hemisphäre trotz oder auf Grund des wachsenden Wohlstands immer mehr unter Angstgefühlen, Unzufriedenheit, Frustration, Unsicherheit und Depression leiden. Sie versuchen mit allen Mitteln, Leid zu vermeiden, und müssen doch immer wieder feststellen, dass sie der großen Frage, wie sie glücklich werden, nicht näher kommen. Wo können glaubwürdige Antworten gefunden werden?

Lassen wir die Seele selbst zu Worte kommen! – Wie ist dies möglich? Vor etwa hundert Jahren wurde ein neues Kapitel der Psychotherapie aufgeschlagen. Der Wiener Arzt Sigmund Freud ließ sich von seinen Patienten Träume erzählen. Er hatte erkannt, dass in der Symbolsprache der Träume verschlüsselt Antworten auf die wesentlichen Fragen der Existenz, auf verborgene Konflikte und Blockaden zu finden sind. Im Grunde ist dies uraltes Wissen; die Mythen und Märchen stammen aus der gleichen Seelenschicht. Sie sind noch immer wenig gehobene Schätze, um zentrale Fragen des Menschen zu beantworten.

Märchen beschreiben in der ihnen eigenen Sprache Wege zur Erlösung des Menschen aus seinen Verstrickungen. In ihnen finden wir Antworten, die in ihrer schlichten Wahrheit verblüffen, aber auch überzeugen, weil sie aus einer tieferen Weisheit zu schöpfen wissen. Sie laden geradezu ein, den Umgang mit sich selbst zu reflektieren.

Das Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren ist eines der bekanntesten und schönsten der Grimm’schen Sammlung. Für viele war es das Lieblingsmärchen und damit Begleiter in der Kindheit. Es ist eine Parabel auf das Leben und zeigt in symbolischen Bildern die wesentlichen Elemente des Lebensglücks. Es bietet Gelegenheit, darüber nachzudenken, was uns vom eigentlichen Glück fern hält und wie wir uns nähern können. Der Weg aus Überanpassung und Selbstentfremdung zur Liebe zu sich selbst hin, den ich anhand dieses Märchens aufzeige, ist selbstverständlich nicht der einzig mögliche Weg auf der Suche nach dem inneren Glück.

In der Psychotherapie kommt Märchen die Aufgabe zu, zum Verständnis tiefer liegender Probleme beizutragen. Wie auf einer Projektionsfläche spiegeln sie zentrale Konflikte; wer bereit ist, die Symbolsprache verstehen zu lernen, findet die Lösungen. Nach meiner Erfahrung gewinnt der therapeutische Prozess deutlich an Klarheit. In vielen Fällen kann das Märchen als Richtschnur für eine Therapie gelten.

Als Therapeut in einer großen Klinik für Suchtmittelabhängige begegne ich bestimmten Symptomen, Problemen und Krisen immer wieder. Meine Erfahrungen finden sich in Fallbeispielen und Erläuterungen.

Dieses Buch ist für alle geschrieben, die inneres Glück suchen. Es liefert keine Anhaltspunkte dafür, wie man in der Lotterie gewinnt, sonst wie reich wird oder den Traumpartner findet. Wer dies sucht, findet hier keine Hilfestellungen. Das Problem der inneren Unfreiheit kann nicht mit ›Verreisen‹ gelöst werden.

Immer wieder finden sich Übungen und Anregungen zum Umgang mit Hindernissen, die sich dem Suchenden auf dem Weg zum inneren Lebensglück entgegenstellen; aber Selbsthilfe hat auch Grenzen, daher ist es im Zweifelsfall immer richtig, sich einer Psychotherapeutin bzw. einem Psychotherapeuten anzuvertrauen.

Ich möchte allen herzlich danken, die mir beim Verfassen dieses Buches geholfen haben. Meinen Töchtern Michaela und Melanie danke ich für zahlreiche Anregungen. Meiner lieben Frau Annemie verdanke ich besonders die Überarbeitung des Manuskripts, womit sie wesentlich zum Gelingen beitrug.

Bad Fredeburg, im Frühjahr 2005

Heinz-Peter Röhr

Der Teufel mit den drei goldenen Haaren

Brüder Grimm – Kinder- und Hausmärchen, KHM 29

Es war einmal eine arme Frau, die gebar ein Söhnlein, und weil es eine Glückshaut umhatte, als es zur Welt kam, so ward ihm geweissagt, es werde mit vierzehn Jahren die Tochter des Königs zur Frau haben. Es trug sich zu, dass der König bald darauf ins Dorf kam, und niemand wusste, dass es der König war, und als er die Leute fragte, was es Neues gäbe, so antworteten sie: »Es ist in diesen Tagen ein Kind mit einer Glückshaut geboren. Was so einer unternimmt, das schlägt ihm zum Glück aus. Es ist ihm auch vorausgesagt, in seinem vierzehnten Jahre soll er die Tochter des Königs zur Frau haben.« Der König, der ein böses Herz hatte und über die Weissagung sich ärgerte, ging zu den Eltern, tat ganz freundlich und sagte: »Ihr armen Leute, überlasst mir das Kind, ich will es versorgen.« Anfangs weigerten sie sich, da aber der fremde Mann schweres Gold dafür bot und sie dachten: ›Es ist ein Glückskind, es muss doch zu seinem Besten ausschlagen‹, so willigten sie ein und gaben ihm das Kind.

Der König legte es in eine Schachtel und ritt damit weiter, bis er zu einem tiefen Wasser kam. Da warf er die Schachtel hinein und dachte: ›Von dem unerwarteten Freier habe ich meiner Tochter abgeholfen.‹ Die Schachtel aber ging nicht unter, sondern schwamm wie ein Schiffchen. So schwamm sie bis zwei Meilen von des Königs Hauptstadt, wo eine Mühle war, an dessen Wehr sie hängen blieb. Ein Mahlbursche, der glücklicherweise dastand und sie bemerkte, zog sie mit einem Haken heran und meinte große Schätze zu finden; als er sie aber aufmachte, lag ein schöner Knabe darin, der ganz frisch und munter war. Er brachte ihn zu den Müllersleuten, und weil diese keine Kinder hatten, freuten sie sich und sprachen: »Gott hat es uns beschert.« Sie pflegten den Findling wohl, und er wuchs in voller Tugend heran.

Es trug sich zu, dass der König einmal bei einem Gewitter in die Mühle trat und die Müllersleute fragte, ob der große Junge ihr Sohn wäre. »Nein«, antworteten sie, »es ist ein Findling, er ist vor vierzehn Jahren in einer Schachtel ans Wehr geschwommen, und der Mahlbursche hat ihn aus dem Wasser gezogen.« Da merkte der König, dass es niemand anders als das Glückskind war, das er ins Wasser geworfen hatte, und sprach: »Ihr guten Leute, könnte der Junge nicht einen Brief an die Königin bringen? Ich will ihm zwei Goldstücke zum Lohn geben.« – »Wie der Herr König gebietet«, antworteten die Leute und hießen den Jungen sich bereithalten. Da schrieb der König einen Brief an die Königin, worin stand: »Sobald der Knabe mit diesem Schreiben angelangt ist, soll er getötet und begraben werden, und das alles soll geschehen sein, ehe ich zurückkomme.«

Der Knabe machte sich mit diesem Brief auf den Weg, verirrte sich aber und kam abends in einen großen Wald. In der Dunkelheit sah er ein kleines Licht, ging darauf zu und gelangte zu einem kleinen Häuschen. Als er hineintrat, saß eine alte Frau beim Feuer ganz allein. Sie erschrak, als sie den Knaben erblickte, und sprach: »Wo kommst du her, und wo willst du hin?« – »Ich komme von der Mühle«, antwortete er, »und ich will zur Frau Königin, der ich einen Brief bringen soll. Weil ich mich aber im Walde verirrt habe, so wollte ich hier übernachten.« – »Du armer Junge«, sprach die Frau, »du bist in ein Räuberhaus geraten, und wenn sie heimkommen, bringen sie dich um.« – »Mag kommen, wer will«, sagte der Junge, »ich fürchte mich nicht.« Er streckte sich auf eine Bank und schlief ein. Bald hernach kamen die Räuber und fragten zornig, was da für ein fremder Knabe läge. »Ach«, sagte die Alte, »es ist ein unschuldiges Kind, es hat sich im Wald verirrt, und ich habe ihn aus Barmherzigkeit aufgenommen, er soll einen Brief an die Frau Königin bringen.« Die Räuber erbrachen den Brief und lasen ihn, und es stand darin, dass der Knabe sogleich, wie er ankäme, sollte ums Leben gebracht werden. Da empfanden die hartherzigen Räuber Mitleid, und der Anführer zerriss den Brief und schrieb einen anderen, und es stand darin, sowie der Knabe ankäme, sollte er sogleich mit der Königstochter vermählt werden. Sie ließen ihn dann ruhig bis zum anderen Morgen auf der Bank liegen, und als er aufgewacht war, gaben sie ihm den Brief und zeigten ihm den rechten Weg. Die Königin aber, als sie den Brief empfangen und gelesen hatte, tat, wie darin stand, hieß ein prächtiges Hochzeitsfest anstellen, und die Königstochter ward mit dem Glückskind vermählt; und da der Jüngling schön und freundlich war, so lebte sie vergnügt und zufrieden mit ihm.

Nach einiger Zeit kam der König wieder in sein Schloss und sah, dass die Weissagung erfüllt und das Glückskind mit seiner Tochter vermählt war. »Wie ist das zugegangen?«, sprach er, »ich habe in meinem Brief einen ganz anderen Befehl erteilt.« Da reichte ihm die Königin den Brief und sagte, er möchte selbst sehen, was darin stände. Der König las den Brief und merkte wohl, dass er mit einem anderen war vertauscht worden. Er fragte den Jüngling, wie es mit dem anvertrauten Brief zugegangen wäre, warum er einen anderen gebracht hätte. »Ich weiß von nichts«, antwortete er, »er muss mir in der Nacht vertauscht worden sein, als ich im Wald geschlafen habe.« Voll Zorn sprach der König: »So leicht soll es dir nicht werden! Wer meine Tochter haben will, der muss mir aus der Hölle drei goldene Haare von dem Haupt des Teufels holen; bringst du mir, was ich verlange, so sollst du meine Tochter behalten.« Damit hoffte der König, ihn auf immer loszuwerden. Das Glückskind aber antwortete: »Die goldenen Haare will ich wohl holen, ich fürchte mich vor dem Teufel nicht.« Darauf nahm er Abschied und begann seine Wanderschaft.

Der Weg führte ihn in eine große Stadt, wo ihn die Wächter an dem Tore ausfragten, was für ein Gewerbe er verstünde und was er wüsste. »Ich weiß alles«, antwortete das Glückskind. »So kannst du uns einen Gefallen tun«, sagte der Wächter, »wenn du uns sagst, warum unser Marktbrunnen, aus dem sonst Wein quoll, trocken geworden ist und nicht einmal mehr Wasser gibt.« – »Das sollt ihr erfahren«, antwortete er, »wartet nur, bis ich wiederkomme.« Da ging er weiter und kam vor eine andere Stadt; da fragte der Torwächter wiederum, was für ein Gewerbe er verstünde und was er wüsste. »Ich weiß alles«, antwortete er. »So kannst du uns einen Gefallen tun und uns sagen, warum ein Baum in unserer Stadt, der sonst goldene Äpfel trug, jetzt nicht einmal Blätter hervortreibt.« – »Das sollt ihr erfahren«, antwortete er, »wartet nur, bis ich wiederkomme.« Da ging er weiter und kam an ein großes Wasser, über das er hinüber musste. Der Fährmann fragte ihn, was er für ein Gewerbe verstünde und was er wüsste. »Ich weiß alles«, antwortete er. »So kannst du mir einen Gefallen tun«, sprach der Fährmann, »und mir sagen, warum ich immer hin- und herfahren muss und niemals abgelöst werde.« – »Das sollst du erfahren«, antwortete er, »warte nur, bis ich wiederkomme.«

Als er über das Wasser hinüber war, so fand er den Eingang der Hölle. Es war schwarz und rußig darin, und der Teufel war nicht zu Haus, aber seine Ellermutter saß da in einem breiten Sorgenstuhl. »Was willst du?«, sprach sie zu ihm, sah aber gar nicht böse aus. »Ich wollte gerne drei goldene Haare von des Teufels Kopf«, antwortete er, »sonst kann ich meine Frau nicht behalten.« – »Das ist viel verlangt«, sagte sie, »wenn der Teufel heimkommt und findet dich, so geht dir’s an den Kragen; ich will dir helfen.« Sie verwandelte ihn in eine Ameise und sprach: »Kriech in meine Rockfalten, da bist du sicher.« – »Ja«, antwortete er, »das ist schon gut, aber drei Dinge möchte ich gern noch wissen: Warum ein Brunnen, aus dem sonst Wein quoll, trocken geworden ist, jetzt nicht einmal mehr Wasser gibt, warum ein Baum, der sonst goldene Äpfel trug, nicht einmal mehr Laub treibt, und warum ein Fährmann immer hinüber und herüber fahren muss und nicht abgelöst wird.« – »Das sind schwere Fragen«, antwortete sie, »aber halte dich nur still und ruhig und hab Acht, was der Teufel spricht, wenn ich ihm die drei goldenen Haare ausziehe.«

Als der Abend hereinbrach, kam der Teufel nach Haus. Kaum war er eingetreten, so merkte er, dass die Luft nicht rein war. »Ich rieche, rieche Menschenfleisch«, sagte er, »es ist hier nicht richtig.« Dann guckte er in alle Ecken und suchte, konnte aber nichts finden. Die Ellermutter schalt ihn aus: »Eben ist erst gekehrt«, sprach sie, »und alles in Ordnung gebracht, nun wirfst du mir’s wieder durcheinander; immer hast du Menschenfleisch in der Nase! Setz dich nieder und iss dein Abendbrot.« Als er gegessen und getrunken hatte, war er müde, legte der Ellermutter seinen Kopf in den Schoß und sagte, sie solle ihn ein wenig lausen. Es dauerte nicht lange, so schlummerte er ein, blies und schnarchte. Da fasste die Alte ein goldenes Haar, riss es aus und legte es neben sich. »Autsch!«, schrie der Teufel, »was hast du vor?« – »Ich habe einen schweren Traum gehabt«, antwortete die Ellermutter, »da habe ich dir in die Haare gefasst.« – »Was hat dir denn geträumt?«, fragte der Teufel. »Mir hat geträumt, ein Marktbrunnen, aus dem sonst Wein quoll, sei versiegt, und es habe nicht einmal mehr Wasser daraus quellen wollen, was ist wohl schuld daran?« – »He, wenn sie’s wüssten!« antwortete der Teufel, »es sitzt eineKröteunter dem Stein im Brunnen, wenn sie die töten, so wird der Wein schon wieder fließen.« Die Ellermutter lauste ihn wieder, bis er einschlief und schnarchte, dass die Fenster zitterten. Da riss sie ihm das zweite Haar aus. »Hu! Was machst du?«, schrie der Teufel zornig. »Nimm’s nicht übel«, antwortete sie, »ich habe es im Traum getan.« – »Was hat dir wieder geträumt?«, fragte er. »Mir hat geträumt, in einem Königreich ständ’ ein Obstbaum, der hätte sonst goldene Äpfel getragen und wollte jetzt nicht einmal Laub tragen. Was war wohl die Ursache davon?« – »He, wenn sie’s wüssten!«, antwortete der Teufel, »an der Wurzel nagt eineMaus,wenn sie die töten, so wird er schon wieder goldene Äpfel tragen. Aber lass mich mit deinen Träumen in Ruhe, wenn du mich noch einmal im Schlafe störst, so kriegst du eine Ohrfeige.« Die Ellermutter sprach ihm gut zu und lauste ihn wieder, bis er eingeschlafen war und schnarchte. Da fasste sie das dritte goldene Haar und riss es ihm aus. Der Teufel fuhr in die Höhe, schrie und wollte übel mit ihr wirtschaften, aber sie besänftigte ihn nochmals und sprach: »Wer kann für böse Träume!« – »Was hat dir denn geträumt?«, fragte er und war doch neugierig. »Mir hat von einem Fährmann geträumt, der sich beklagte, dass er immer hin- und herfahren müsste und nicht abgelöst würde. Was ist wohl schuld?« – »He, der Dummbart!« antwortete der Teufel, »wenn einer kommt und will überfahren, so muss er ihm die Stange in die Hand geben; dann muss der andere überfahren, und er ist frei.« Da die Ellermutter ihm die drei goldenen Haare ausgerissen hatte und die drei Fragen beantwortet waren, so ließ sie den alten Drachen in Ruhe, und er schlief, bis der Tag anbrach.

Als der Teufel wieder fortgezogen war, holte die Alte die Ameise aus der Rockfalte und gab dem Glückskind die menschliche Gestalt zurück. »Da hast du die drei goldenen Haare«, sprach sie, »was der Teufel zu deinen drei Fragen gesagt hat, wirst du wohl gehört haben.« – »Ja«, antwortete er, »ich habe es gehört und will’s wohl behalten.« – »So ist dir geholfen«, sagte sie, »und nun kannst du deiner Wege ziehen.« Er bedankte sich bei der Alten für die Hilfe in der Not, verließ die Hölle und war vergnügt, dass ihm alles so wohl geglückt war. Als er zum Fährmann kam, sollte er ihm die versprochene Antwort geben. »Fahr mich erst hinüber«, sprach das Glückskind, »so will ich dir sagen, wie du erlöst wirst«, und als er auf dem jenseitigen Ufer angelangt war, gab er ihm des Teufels Rat: »Wenn wieder einer kommt und will übergefahren sein, so gib ihm nur die Stange in die Hand.« Er ging weiter und kam zu der Stadt, worin der unfruchtbare Baum stand, und wo der Wächter auch Antwort haben wollte. Da sagte er ihm, wie er vom Teufel gehört hatte: »Tötet dieMaus, die an seinen Wurzeln nagt, so wird er wieder goldene Äpfel tragen.« Da dankte ihm der Wächter und gab ihm zur Belohnung zwei mit Gold beladene Esel, die mussten ihm nachfolgen. Zuletzt kam er zu der Stadt, deren Brunnen versiegt war. Da sprach er zu dem Wächter, wie der Teufel gesprochen hatte: »Es sitzt eineKröteim Brunnen unter einem Stein, die müsst ihr aufsuchen und töten, so wird er wieder reichlich Wein geben.« Der Wächter dankte und gab ihm ebenfalls zwei mit Gold beladene Esel.

Endlich langte das Glückskind daheim bei seiner Frau an, die sich herzlich freute, als sie ihn wiedersah und hörte, wie wohl ihm alles gelungen war. Dem König brachte er, was er verlangt hatte, die drei goldenen Haare des Teufels, und als dieser die vier Esel mit Gold sah, war er ganz vergnügt und sprach: »Nun sind alle Bedingungen erfüllt, und du kannst meine Tochter behalten. Aber, lieber Schwiegersohn, sag mir doch: Woher ist das viele Gold? Das sind ja gewaltige Schätze!« – »Ich bin über einen Fluss gefahren«, antwortete er, »und da habe ich es mitgenommen; es liegt dort statt des Sandes am Ufer.« – »Kann ich mir auch davon holen?«, sprach der König und war ganz begierig. »So viel ihr nur wollt«, antwortete er, »es ist ein Fährmann auf dem Fluss, von dem lasst euch überfahren, so könnt ihr drüben eure Säcke füllen.« Der habsüchtige König machte sich in aller Eile auf den Weg, und als er zum Fluss kam, so winkte er dem Fährmann, der sollte ihn übersetzen. Der Fährmann kam und hieß ihn einsteigen, und als sie an das jenseitige Ufer kamen, gab er ihm die Ruderstange in die Hand und sprang davon. Der König aber musste von nun an fahren zur Strafe seiner Sünden.

»Fährt er wohl noch?« – »Was denn? Es wird ihm niemand die Stange abgenommen haben.«

Einleitung

Märchen sind einfach wunderbar! Sie drücken in der ihnen eigenen Bildersprache die Dinge des Lebens unglaublich treffend aus. Sie bilden ab, was wirklich ist, und ihre Bilder bringen stets das Wesentliche auf den Punkt.

Für unsere Überlegungen ist es sinnvoll, vom Traum auszugehen. Träume sind für die seelische Gesundheit von elementarer Bedeutung. Schon immer wurde versucht, sie zu verstehen, sie zu deuten. Die Bildersprache der Träume ist die Sprache des Unbewussten, und alles im Traum ist symbolisch zu verstehen. Die Entschlüsselung der Traumbilder kann auf unterschiedliche Weise erfolgen, als sehr aussagekräftig hat sich die Deutung der Träume als innerseelisches Geschehen herausgestellt: Im Traum erlebte Figuren und Begegnungen werden als bedeutsam für die eigene Person angesehen. Alle vorkommenden Personen, Gegenstände und Handlungen können etwas über die Persönlichkeit aussagen. Es geht darum, ihre Bedeutung zu durchschauen, herauszukristallisieren, welche Botschaft sie vermitteln und welche Rolle sie spielen. So bekommen alle Elemente des Traumes einen Sinn.

Die gleiche Vorgehensweise empfiehlt sich bei Märchen. Wie in einem großen Traum gehören die Bilder und die handelnden Figuren allesamt zu einer Person und bringen jeweils bestimmte Aspekte der Persönlichkeit zum Ausdruck. Die Glückshaut, der König, die Müllersleute, die Ellermutter, der Teufel, der Brunnen, aus dem kein Wein mehr fließt, der Baum, der keine goldenen Äpfel mehr trägt, der Fährmann usw., sie gehören zu einer einzigen Seelenlandschaft und müssen in einem inneren Arrangement betrachtet werden. Das Märchen ist verstanden, wenn alles in einem logischen Zusammenhang steht.

Ein Märchen deuten heißt, die Seele selbst nach dem richtigen Lebensweg zu fragen.

1. TeilGlückskind und König oder wie Glück verloren geht

Das Kind mit der Glückshaut

Märchen sind in der Wahl ihrer Bilder, mit denen sie psychische Zustände zum Ausdruck bringen, von traumwandlerischer Treffsicherheit. Die Glückshaut, mit der das Glückskind in unserem Märchen geboren wird, ist ein solches Bild von großer Sinnhaftigkeit.

Jeder Mensch war einmal umgeben von einer solchen Glückshaut – gemeint ist damit die Fruchtblase –, aber nur bei wenigen Neugeborenen bleibt sie oder zumindest ein Teil davon bei der Geburt haften. Früher glaubte man, dass dieses besondere Ereignis ein gutes Omen sei. Diese Glückshaut umfängt das Ungeborene und schützt es vor Störungen von außen. Bei wohliger Temperatur schwimmt es im Fruchtwasser, und die Nahrung fließt ihm zu wie im Schlaraffenland. Diese vorgeburtliche Zeit erleben vermutlich die meisten Menschen als einen Glückszustand – zumindest weisen Rückschlüsse darauf hin.

Fast jeder Mensch kennt seine Glückshaut. Es sind die Glücksgefühle, die wir alle mehr oder weniger oft erlebt haben und besonders intensiv auf oder unter der Haut spüren. Es ist ein Kribbeln, das durch den ganzen Körper zu gehen und bis in die äußerste Haarspitze hineinzureichen scheint. Das Gefühl durchströmt den gesamten Organismus und macht sich besonders im Bauchraum bemerkbar, dem Ort, wo Gefühle am stärksten wahrgenommen werden.

Das Kind, das mit der Glückshaut zur Welt kommt, ist ein Bild für eine innere Instanz, die zur »Grundausstattung« des Menschen gehört. Wir verstehen das Gemeinte besser, wenn wir kleine Kinder beobachten. Sie haben meist einen wesentlich intensiveren Zugang zu Glücksgefühlen als Erwachsene. Besonders deutlich ist dies zu erkennen, wenn wir wenige Wochen alte Säuglinge beobachten, wie sie in der Wiege strampeln, wie sie Gefühle förmlich mit dem gesamten Körper zum Ausdruck bringen. Ihr Lachen und Krähen ist ansteckend, und wir fühlen uns tief berührt von so viel Gefühl und Energie. Bei gesunden Kindern bleibt die Fähigkeit, sich zu begeistern und zu starkem Enthusiasmus fähig zu sein, in den ersten Lebensjahren fast ungebrochen erhalten. Dies liegt daran, dass Kinder in diesem Alter noch stark mit dem »wahren Selbst« verbunden sind, vorausgesetzt, die Erziehung hat sie nicht zu früh zur Anpassung gezwungen. Ihre Seele ist weit offen für alles, was um sie herum geschieht; die Fantasie ist noch ebenso wirklich wie die äußere Realität: so ist es möglich, dass Puppen lebendig sind, dass Plüschbären beschützen und Plastikautos wirklich fahren.

Karls Onkel ist zu Besuch. Der kann so wunderbare Geschichten erzählen! Karl konnte die Ankunft kaum erwarten; jetzt sitzt er da und lauscht gespannt den Erzählungen des Onkels. Seit einiger Zeit muss er zur Toilette, kann sich aber lange nicht entschließen, dem dringenden Bedürfnis nachzugeben. Selbst auf der Toilette kann er sich vor Freude kaum halten, er reibt sich die Hände vor Vergnügen. Am liebsten würde er einen lauten Jubelschrei ausstoßen. Er beeilt sich sehr, um so schnell wie möglich wieder in das Zimmer zu kommen, in dem der Onkel seine fantastischen Geschichten erzählt.. .

Solch spontane Freude, dieses intensive Glücksgefühl über die einfachen Dinge sind eher der Kindheit zuzuordnen. Die Gefühle der Erwachsenen sind abgeklärter, nüchterner, aber auch flacher. Blicken wir nicht manchmal mit Neid auf die Kinder, die sich so herzlich freuen können und im Ausdruck ihrer Gefühle spontaner, echter und unmittelbarer sind? Viele Erwachsene versuchen daher, an der Freude der Kinder teilzuhaben. Sie freuen sich an den staunenden Kinderaugen, an der Selbstvergessenheit spielender Kinder, an deren Glückseligkeit beim Beschenktwerden . . . Denken wir an die Freude von Eltern oder Großeltern, wenn sie ihren Kindern oder Enkelkindern etwas schenken. Ich selbst konnte, als meine Kinder klein waren, das Weihnachtsfest kaum erwarten, weil ich mich auf ihre leuchtenden Augen freute.

Glück ist für kleine Kinder, wenn sie behütet aufwachsen dürfen, ein selbstverständlicher Zustand. Sie verbleiben darin so lange, bis sie infiziert werden von der Welt der Erwachsenen mit ihren Schablonen, von diesem Virus von oben und unten, gut und böse, besser und schlechter. Offensichtlich fällt, wenn wir uns von der Einheitswelt der frühen Kindheit entfernen, eine Tür zu, die mit unserem wachen Verstand nicht mehr zu durchschreiten ist. Nur nachts während des Traums, in Zuständen der Trance oder für Künstler öffnet sich eventuell ein Spalt dieser Tür.1

Das Wesentlichste, was Kinder besitzen und was mit zunehmendem Erwachsenwerden verloren geht, ist die Fähigkeit, auf tiefe Weise zu lieben: es ist eine völlig selbstlose, anrührende und spontane Liebe, die bei Erwachsenen hinter einer mehr oder weniger starken Gefühlspanzerung verschollen scheint. Es ist eine bedingungslose Liebe, die beide Seiten beglückt.

Viele Menschen vermissen in ihrem Leben das Gefühl von innerem Glück. Glück ist für sie bestenfalls ein Zufallsprodukt. Man kann in der Lotterie spielen, an der Börse spekulieren – und tatsächlich ist dies bei Millionen die einzige Form der Hoffnung auf Glück.

Manche treibt eine Not, oft ein Gefühl der Sinnleere, auf die Suche nach dem wahren Lebensglück. Vielleicht ist es die Erinnerung an kindliche Glückserfahrungen, die eine Ahnung und eine Sehnsucht nach der eigenen Glückshaut weckt. Es gilt, einen Zustand wieder wirksam werden zu lassen, der in jedem Menschen vorhanden ist. Dabei verbietet sich jede Form von Verbissenheit.

Im Märchen ist es eine arme Frau, der dieses besondere Kind geschenkt wird. Dies darf als Hinweis gedeutet werden, dass man Glück nicht auf den Bühnen und Altären der Reichen und Mächtigen suchen sollte. Wer Einblick hat, erkennt hinter glänzenden, prächtigen Fassaden nur zu häufig die tiefe Leere und Langeweile einer übersatten High Society.

Was es heißt, die Glückshaut zu fühlen, wie es dazu kommt, dass das innere Glückskind zum Schweigen gebracht wird, und was man tun kann, um sich von Leere und Sinnlosigkeit zu befreien, davon erzählt das Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren. Bei unseren Überlegungen zu dem, was uns das Märchen über das Lebensglück verrät, gehen wir davon aus, dass jeder Mensch eine Glückshaut in sich trägt und dass sie ihn lebenslang begleitet, auch wenn ihm dies nicht bewusst ist. – Vielleicht fragen Sie sich erst einmal, wann Sie selbst zuletzt Kontakt mit Ihrer Glückshaut hatten! Was hat Sie berührt? War es ein Gefühl von Liebe? War es Freude?

Der Verkauf des Glückskindes

Gehen wir aber zunächst der Frage nach, wie Glück abhanden kommt. Offensichtlich kann man sein Glück verkaufen! In unserem Märchen sind es arme Leute, die in die Falle tappen. Sie verkaufen ihr Glückskind für ein paar Goldstücke und machen sich selbst glauben, dass dies das Beste für ihr Kind sei. Mit dem Weggeben ihres Kindes haben sie jedoch die Anwartschaft auf ein glückliches Leben gegen materielles, unbeständiges Glück eingetauscht. Im weiteren Märchen kommen sie nicht mehr vor. Es ist anzunehmen, dass sie das gleiche Schicksal ereilt wie den König, von dem später noch eingehend die Rede sein wird.