Vom glücklichen Leben | Von der Seelenruhe | Von der Muße | Von der Kürze des Lebens - Lucius Annaeus Seneca - E-Book

Vom glücklichen Leben | Von der Seelenruhe | Von der Muße | Von der Kürze des Lebens E-Book

Lucius Annaeus Seneca

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Beschreibung

Wie findet man das Glück? Dieser Lebensfrage gehen heute hunderte von »Ratgeberbüchern« nach. Diese existenzielle Suche ist keine Erfindung der Neuzeit. Sie beschäftigt schon immer Philosophen und Denker. Lebensnah beschreibt Lucius Annaeus Seneca (1-65 n. Chr.), einer der bedeutendsten Philosophen des alten Rom, wie wir Menschen zum Glück finden können. Sein Werk »Vom glücklichen Leben« gehört zum Erhellendsten, das zu diesem Thema je geschrieben wurde. - Senecas Werk gibt viele Handlungsanweisungen, wie man dem Ziel nahe kommen kann, besonders in Hinsicht auf den Umgang mit Geld und materiellen Besitztümern. | Dieses Buch versammelt Senecas einflussreichste philosophische Schriften:Vom glücklichen Leben | Von der Seelenruhe | Von der Muße | Von der Kürze des Lebens| Vom glücklichen Leben | Von der Seelenruhe | Von der Muße | Von der Kürze des Lebens|Vom glücklichen Leben | Von der Seelenruhe | Von der Muße | Von der Kürze des Lebens|Vom glücklichen Leben | Von der Seelenruhe | Von der Muße | Von der Kürze des Lebens

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INHALT

Vorwort des Herausgebers

Vom glücklichen Leben

Von der Seelenruhe

Von der Muβe

Von der Kürze des Lebens

Über den Autor

Vorwort des Herausgebers

WIE FINDET MAN DAS GLÜCK? Dieser Lebensfrage gehen heute Tausende von ›Ratgeberbüchern‹ nach. Doch diese existenzielle Suche ist keine Erfindung der Neuzeit. Sie beschäftigt schon immer Philosophen und Denker. Lebensnah beschreibt Lucius Annaeus Seneca (ca. 1–65 n. Chr.), einer der bedeutendsten Philosophen des alten Rom, wie wir Menschen zum glücklichen Leben finden können. Sein Werk ›Vom glücklichen Leben‹ gehört zum Erhellendsten, das zu diesem Thema je geschrieben wurde.

Eine gute Ausgangsposition um das Glück zu finden, ist für Seneca Bedachtsamkeit – im Umgang mit sich selbst, und im Umgang mit anderen. Ein ruhiges Voranschreiten im Leben, eine gefestigte Seele, Geistesgesundheit, und auch ein gerüttelt Maß an Planung. Vom Zufall sollte man sich frei machen, denn: Glück muss aus dem Inneren kommen, äußeres Glück ist nur Zufall.

All das bündelt sich bei Seneca im Begriff der ›Tugend‹. Bei ihm ein Schlüsselwort, nicht zu verstehen als ein pedantisches Festhalten an alten Regeln, wie es heute oft gemeint ist, sondern als Freiheit des Geistes, basierend auf festen Überzeugungen und Klarheit im Denken.

Senecas Werk gibt viele Handlungsanweisungen, wie man dem Ziel nahe kommen kann, besonders in Hinsicht auf den Umgang mit Geld und materiellen Besitztümern. Er warnt eindringlich vor der korrumpierenden Kraft des Besitzes, des Reichtums. Der Text, der etwa im Jahr 58 n. Chr. geschrieben wurde, also vor beinahe 2000 Jahren, ist heute so aktuell wir damals, mit glasklaren und rhetorisch glänzend formulierten Argumenten.

Kritiker, von denen er zuhauf hatte, nahmen Senecas skeptische Einstellung, betreffend den Besitz, aufs Korn. Suilius, einer seiner Gegner, nannte es scheinheilig, über den Reichtum zu wettern, wenn man selbst »500 Speisetische aus Zedernholz und Elfenbein« sein Eigen nenne. Senecas Antwort: »Bei mir hat der Reichtum nur irgendeinen Stellenwert, bei dir dagegen den höchsten.«

Als Berater und Ausbilder des späteren Kaisers Nero war Seneca tatsächlich zu einem der reichsten Männer Roms geworden. Eine Bekanntschaft, die ihn später allerdings auch das Leben kostete. Des Verrats bezichtigt, wurde er gezwungen, sich durch Aufschneiden der Pulsadern das Leben zu nehmen. Weil sich der Tod nicht einstellen wollte, wurde Seneca schließlich von Neros Soldaten erstickt.

Senecas Handlungsanweisung zum Aufspüren des Glücks wird in diesem Band ergänzt durch seine nicht minder erhellenden Schriften ›Von der Seelenruhe‹, ›Von der Muße‹ und ›Von der Kürze des Lebens‹.

Vom glücklichen Leben

Seneca an seinen Bruder Gallio

I

WER, MEIN BRUDER GALLIO, wünschte sich nicht ein glückliches Leben? Aber um zu erkennen, was uns zum Lebensglück verhelfen kann, dazu fehlt uns der richtige Blick. Nichts ist schwerer, als sich des glücklichen Lebens teilhaftig zu machen. Ja, je stürmischer man ihm zueilt, um so mehr entfernt man sich von ihm, wenn man den Weg verfehlt hat; führt dieser nach der entgegengesetzten Seite, so wird gerade die Eile der Grund, den Abstand zu vergrößern. Wir müssen uns also zunächst Klarheit verschaffen über Wesen und Beschaffenheit des Zieles; sodann gilt, es, Umschau zu halten nach dem Wege, auf dem wir am schnellsten zu ihm gelangen können, wobei der Weg selbst, wenn er nur der rechte ist, uns zu der Erkenntnis verhelfen wird, wie viel wir täglich vor uns bringen und in welchem Maße wir dem Punkte näher kommen, nach dem uns unser natürliches Verlangen hintreibt.

Solange wir kreuz und quer umherschweifen und uns nicht von einem Führer leiten lassen, sondern lediglich von dem einander heillos widersprechenden Geschnatter und Stimmengewirr der Menge, schwindet das kurze Leben unter lauter Fehltritten dahin, mag man sich auch Tag und Nacht um vernünftige Einsicht bemühen. Daher entscheide man sich über das Ziel und den Weg nicht ohne einen bestimmten Sachkundigen, der genau Bescheid weiß über die Richtung, in der wir uns vorwärts bewegen. Denn hier steht es nicht so wie bei sonstigen Wanderungen: Bei diesen sichert uns irgendein Grenzweg, auf den man trifft, nebst der Nachfrage bei den dort Ansässigen, vor Irregehen, während hier gerade der betretenste und menschenreichste Weg am leichtesten täuscht.

Auf nichts also müssen wir mehr achten als darauf, nicht nach Art des Herdenviehs der vorauslaufenden Schar zu folgen: Wir würden dann nur den meist betretenen, nicht aber den richtigen Weg wählen. Und doch verwickelt uns nichts in größeres Unheil, als dass wir uns nach dem Gerede der Menge richten, in dem Wahn, das sei das Beste, was sich allgemeinen Beifalls erfreut und wofür sich uns viele Beispiele bieten, und dass wir nicht nach Maßgabe vernünftiger Einsicht, sondern des Vorganges anderer leben. Daher jene gewaltige Anhäufung stürzender Menschen, die einer über den anderen fallen. Was man bei tödlichem Menschengedränge sieht, wo die Menge sich staut und sich selbst zerquetscht – niemand stürzt, ohne zugleich einen anderen mit zu Fall zu bringen, und die Vordersten ziehen die Folgenden mit sich –, das kann man durchgängig im Leben beobachten. Keiner irrt nur für sich, sondern gibt zugleich Grund und Veranlassung zum Irrtum anderer.

Der blinde Anschluss an die Vorhergehenden wirkt aber schädlich, und während jedermann lieber glauben als selbst denken will, kommt es nie zu einem klaren eigenen Urteil über das Leben; immer hält man es nur mit dem Glauben an andere, und so treibt denn der von Hand zu Hand weitergegebene Irrtum mit uns sein Spiel und bringt uns zum Absturz: Die Beispiele anderer werden uns zum Verderben. Wir können Heilung finden; nur müssen wir uns absondern von der großen Masse. Allein wie die Sache jetzt liegt, wirft sich die Volksmenge zur Verteidigerin ihres eigenen Unheils gegen die Vernunft auf. Daher erlebt man Ähnliches wie in den Wahlversammlungen (Komitien), wo sich die eigentlichen Macher der Wahl selbst wundern, wenn infolge des Umschwunges der wandelbaren Volksgunst ihre eigenen Kandidaten zu Prätoren gewählt worden sind. Ein und dieselbe Sache erhält unsere Billigung, erhält unseren Tadel. Das ist der Ausgang jedes Gerichtes, wo nach dem Gutdünken der Menge entschieden wird.

II

Wenn es sich um das Lebensglück handelt, darfst du mir nicht mit einer Antwort kommen, wie sie bei den Abstimmungen im Senat üblich ist: »auf dieser Seite scheint die Majorität zu sein.« Denn eben darum ist sie die schlimmere. Wo es sich um Tragen der Menschheit handelt, sind wir nicht in der glücklichen Lage, sagen zu können, dass der Mehrzahl das Bessere gefalle: Der Standpunkt der großen Masse lässt gerade den Schluss auf das Schlimmste zu. Wir müssen also fragen, was zu tun das Beste, nicht was das Gebräuchlichste ist, und was uns den Besitz ununterbrochen dauernden Glückes sichert, nicht was dem großen Haufen, diesem verwerflichsten Ausleger der Wahrheit, genehm ist.

Zur großen Masse rechne ich aber ebenso gut gekrönte Häupter wie Menschen im Kittel. Denn ich blicke nicht auf die Farbenpracht der Kleider, die dem Körper ein stattliches Aussehen verleihen; ich traue nicht den Augen, wo es sich um den Menschen handelt; ich habe eine bessere und zuverlässigere Leuchte, um Wahres und Falsches zu unterscheiden: Es ist des Geistes Wert, den der Geist auffinden soll. Ist er – der Geist – einmal dazu gekommen, ruhig aufzuatmen und Einkehr in sich zu halten, wie wird er sich dann unter dem selbstbereiteten Druck der Folterqualen die Wahrheit gestehen!

»Alles«, wird er sagen: »was ich bisher getan, o möchte es doch ungetan sein; überschlage ich im Geiste alles, was ich gesagt habe, so beneide ich die Stummen; alles, was ich mir gewünscht habe, erscheint mir wie ein Fluch aus dem Munde der Feinde; alles, was ich gefürchtet habe, gute Götter, wie viel geringer war das anzuschlagen als das, was ich mit heißem Verlangen mir vergebens herbeiwünschte! Mit vielen habe ich in Feindschaft gestanden und habe mich, dem Hasse entsagend, wieder mit ihnen versöhnt, sofern überhaupt unter Übeltätern von Versöhnung die Rede sein kann: Meine Freundschaft mit mir selbst steht noch auf schwachen Füßen. Ich habe mir redlich Mühe gegeben, mich aus der großen Menge herauszuheben und durch irgendwelchen Geistesvorzug die Augen auf mich zu lenken.

Und der Erfolg? Er war kein anderer als der, dass ich mich wohlgezielten Angriffen ausgesetzt sah und den Böswilligen die Blößen zeigte, wo sie mich packen konnten. Siehst du sie, die meine Beredsamkeit preisen, meinem Reichtum nachlaufen, um meine Gunst buhlen, meine Macht in den Himmel heben? Sie alle sind nichts anderes als entweder meine Feinde oder, was dasselbe besagt, sie können es sein: Die Schar der Bewunderer ist nicht größer oder kleiner als die der Neider. Warum richte ich mein Sinnen und Trachten nicht vielmehr auf etwas als gut Erprobtes, dessen ich mir innerlich gewiss bin, statt auf etwas, womit ich nach außen hin Staat mache? All das, was die Augen auf sich zieht, was die Vorübergehenden haltmachen lässt, was der eine dem anderen staunend zeigt – es ist nichts als äußerer Glanz ohne jeden inneren Wert.«

III

Schauen wir also aus nach einem nicht äußerlich glänzenden Gut, sondern einem solchen, das in sich gefestigt und gleichmäßig ist und seine höhere Schönheit von weniger bemerkbarer Seite zeigt! Das lasst uns ausfindig machen. Und es liegt nicht in der Ferne; man muss nur wissen, wohin man die Hand strecken soll. Jetzt tappen wir gleichsam im Finsteren, haben das sehnsüchtig Gesuchte unmittelbar vor uns und gehen dicht daran vorüber. Doch um dir lange Umwege zu ersparen, will ich mich nicht auf die Meinungen anderer einlassen – denn es wäre eine zeitraubende Sache, sie aufzuzählen und zu widerlegen –: Lass dir meine Ansicht genügen. Wenn ich aber sage: Meine Ansicht, so binde ich mich damit nicht an irgendeinen einzelnen Meister der Stoa: auch ich habe das Recht der eigenen Meinung.

Daher werde ich mich an diesen oder jenen anschließen, werde einen anderen auffordern, einzelne Punkte seiner Meinung bestimmt hervorzuheben, und werde, wenn ich etwa erst zuletzt aufgerufen werde, nichts von dem, wofür sich meine Vorgänger ausgesprochen haben, verwerfen und nur erklären: »Ich stimme dafür, nur mit folgendem Zusatz.«

Dabei halte ich mich, worin die Stoiker alle übereinstimmen, an die Natur. Von ihr nicht abzuirren, nach ihrem Gesetz und Beispiel sich zu bilden, das ist Weisheit. Glücklich also ist dasjenige Leben, das mit seiner Natur in vollem Einklang steht. Dies Ziel zu erreichen ist aber nicht anders möglich als wenn zuvörderst der Geist gesund und im dauernden Besitz dieser seiner Gesundheit ist, wenn er ferner tapfer und voll Feuer ist, sodann auch im Leiden ein schönes Muster von Ergebenheit, in die Umstände sich schickend, achtsam auf den Körper und seine Bedürfnisse, doch nicht bis zur Ängstlichkeit, voll Bedacht auch für alles, was sonst zum Leben gehört, ohne die mindeste Überschätzung, bereit, des Schicksals Gaben zu nutzen, nicht aber, um sich zu ihrem Sklaven zu machen.

Als Folge davon stellt sich – das ist dir auch ohne ausdrücklichen Hinweis darauf klar – andauernde Ruhe verbunden mit dem Gefühl der Freiheit ein unter Fernhaltung von allem, was uns reizt oder in Schrecken versetzt. Denn ist der Reiz der Sinnengenüsse geschwunden, so stellt sich statt dessen, was kleinlich, hinfällig und eben durch seine Lasterhaftigkeit schädlich ist, eine erstaunlich frohe Stimmung ein, unerschütterlich und sich immer gleichbleibend, sodann Friede und Eintracht der Seele, sowie hochherzige Gesinnung verbunden mit Sanftmut; denn wilde Rohheit hat ihren Ursprung immer nur in der Schwäche.

IV

Man kann den Begriff des höchsten Gutes auch noch anders bestimmen, nämlich so, dass man denselben Inhalt mit anderen Worten umschreibt. Wird doch das nämliche Heer bald in gedehnterer, bald in mehr gedrängter Front aufgestellt, und entweder in einer von den Flügeln nach dem Zentrum eingebogenen oder in gerader Linie formiert, wobei, gleichviel wie es geordnet ist, seine Kraft sowie seine Bereitschaft, für dieselbe Sache einzutreten, die nämliche bleibt.

Ähnlich steht es mit der Bestimmung des höchsten Gutes: Das eine Mal kann sie in gegliederter und weitläufiger, das andere Mal in kurzer und gedrängter Form gegeben werden. Es kommt also auf dasselbe hinaus, wenn ich sage: »Das höchste Gut ist eine alles Zufällige gering achtende, nur an der Tugend sich erfreuende Sinnesart« oder: »Eine unbeugsame Seelenkraft, kundig der Dinge, bedächtig und ruhig im Handeln, voll Menschenliebe und fürsorgender Teilnahme für die Umgebung.«

Man kann auch so definieren, dass man sagt: »Glücklich ist derjenige Mensch, für den es nichts Gutes und Übles gibt als die gute und die schlechte Gesinnung, der der edlen Sitte huldigt, dem nichts über die Tugend geht, den Schicksalsfügungen nicht stolz aber auch nicht verzagt machen, der kein größeres Gut kennt als das, welches er sich selbst geben kann, dem die wahre Lust die Verachtung der Lüste ist.« Will man sich gehen lassen, so kann man das Nämliche ohne jede Schädigung oder Beeinträchtigung des Sinnes noch in diese und jene Form umgießen. Denn was hindert uns zu sagen, ein glückliches Leben habe seinen Bestand in einer freimütigen, aufrechten, unerschrockenen und standhaften Sinnesart, die, jeder Furcht, jeder Begierde enthoben, begeistert ist für die Ehre als einziges Gut, voll Abscheu gegen die Schande als einziges Übel, während alles übrige nichts ist als eitel Tand, das Lebensglück weder beeinträchtigend noch erhöhend, kommend und gehend ohne Vermehrung oder Verminderung des höchsten Gutes?

Ihm, der auf so festem Grund steht, muss notwendig, mag er wollen oder nicht, heitere Stimmung beständige Gefährtin sein sowie auch ein herzlicher, weil aus dem Herzen kommender Frohmut; denn worüber er sich freut, das darf er sein Eigentum nennen, und seine Wünsche gehen nicht hinaus über das, worüber er zu gebieten hat. Sollte solcher Besitz nicht in vollem Maße aufwiegen die kümmerlichen, verächtlichen und rasch vorüber schwindenden Reizungen unseres armseligen Körpers? Der nämliche Tag, an dem er die Lust zu seinem Gebieter macht, macht auch den Schmerz zu seinem Herrn.

Du hast ja doch ein offenes Auge für das Üble und Schädliche der Knechtschaft, in die derjenige sich begibt, den Lust und Schmerz, diese unbeständigsten und zügellosesten Herrscher, abwechselnd in Beschlag nehmen. Also gilt es sich los zu ringen, um den Weg zur Freiheit zu gewinnen. Sie zu erlangen gelingt nur durch die Gleichgültigkeit gegen das Schicksal: Dann wird sich jenes unschätzbare Gut einstellen, jene fest in sich gegründete Seelenruhe und Geisteshoheit, jene erhabene und unerschütterliche Freude, die nach Austreibung des Irrtums aus der Erkenntnis der Wahrheit entspringt, jene Herzlichkeit und Gemütsheiterkeit, an der er seine Freude hat nicht als an Gütern an sich, sondern als an Früchten des ihm als Eigentum zugehörigen Gutes.

V

Da ich mit Begriffsbestimmungen einmal im Zuge bin, so sei noch folgendes hinzugefügt: Glücklich kann derjenige genannt werden, der weder von Begierden, noch von Furcht erregt wird, – wohlverstanden dank seiner vernünftigen Einsicht. Denn auch das Felsgestein ist frei von Furcht und Traurigkeit und ebenso das Vieh; doch wird sie niemand glücklich nennen, sie, denen jedes Bewusstsein des Glückes fehlt.

Ebenso steht es mit denjenigen Menschen, die ihr Stumpfsinn und der Mangel an Selbstbewusstsein auf die Stufe des Viehs und der leblosen Dinge gesetzt hat. Es ist kein Unterschied zwischen jenen und diesen; denn haben letztere überhaupt keine Vernunft, so haben zwar jene so etwas wie Vernunft, aber eine verkehrte, unheilvolle und widersinnig wirkende; kann doch niemand glücklich genannt werden, der von Wahrheit nicht die mindeste Ahnung hat.

Das glückliche Leben gründet sich also auf ein richtiges und sicheres und keinen Schwankungen unterliegendes Urteil. Nur dann nämlich ist der Geist rein und aller Übel ledig, wenn er nicht nur gegen Lästerungen gefeit ist, sondern auch gegen Nadelstiche, fest entschlossen, nicht zu weichen von der Stelle, wo er einmal Fuß gefasst hat, und seinen Platz gegen jede Wut und Feindseligkeit des Schicksals zu verteidigen; denn was die Sinnenlust anlangt, mag sie auch von allen Seiten sich uns aufdrängen und keinen Zugang unbenutzt lassen und die Seele mit ihren Reizmitteln umschmeicheln und bald dies bald jenes Register ziehen, um uns, sei es den Menschen im ganzen oder nach seinen einzelnen Organen, in begehrliche Unruhe zu versetzen, so frage ich doch:

Welcher Sterbliche, in dem auch nur eine Spur von Menschentum sich noch findet, möchte sich wohl Tag und Nacht kitzeln lassen und unter völliger Preisgabe der Seele all sein Denken und Trachten in den Dienst des Leibes stellen?

VI

»Aber auch die Seele«, sagt man, »wird doch ihre Vergnügungen haben.« Ja, mag sie sie haben und über Schwelgerei und Sinnengenuss entscheiden, mag sie sich anfüllen mit alle dem, was gemeinhin der Sinnenlust dient, mag sie zurückschauen auf die Vergangenheit und schwelgen in der Erinnerung an geschwundene Lusterregungen und schon auf der Lauer liegen für weiterhin kommende, mag sie Hoffnung an Hoffnung reihen und, während der Leib noch nicht fertig ist mit Verdauung der jetzigen Überfütterung, mit ihren Gedanken der weiterhin kommenden vorgreifen: In meinen Augen wird sie nur um so bedauernswerter sein; denn das Schlechte zu wählen statt des Guten ist nichts als Torheit.

Ohne gesunde Vernunft kann niemand glücklich sein, und geistig gesund ist niemand, der das Schädliche erstrebt statt des Besten. Glücklich ist also nur, wer im Besitze gesunden Urteils ist; glücklich ist nur, wer mit seiner Lage, welcher Art sie auch sein mag, zufrieden ist und in Eintracht mit seinen Verhältnissen lebt; glücklich ist nur der, dessen ganze Lebenslage sich der Billigung der Vernunft erfreut.

VII

Haben doch selbst diejenigen, die das höchste Gut in die Gedärme verlegt haben, ein Einsehen dafür, welche schimpfliche Stellung sie ihm angewiesen haben. Sie behaupten daher, die Lust könne von der Tugend nicht getrennt werden, und versichern, niemand könne tugendhaft leben, ohne zugleich lustvoll zu leben, und niemand lustvoll, ohne zugleich tugendhaft. Ich wüsste nicht, wie es möglich sei, so verschiedene Dinge zusammenzukoppeln. Lasst, ich bitte euch, den Grund hören für die angebliche Untrennbarkeit von Lust und Tugend! Wurzelt denn etwa, weil das Gute in der Tugend seine Quelle hat, in dieser auch das, worauf euer Sinnen und Trachten gerichtet ist?

Allein, wären Lust und Tugend wirklich untrennbar, so würden wir im Leben nicht so manches zu sehen bekommen, was angenehm, aber nicht tugendhaft, so manches hinwiederum, was in höchstem Maße tugendhaft, dabei aber voll Ungemach und nur unter Schmerzen zu erringen ist. Dazu kommt noch folgendes: Die Lust gesellt sich auch dem schimpflichsten Leben zu; die Tugend dagegen hat mit schlechtem Leben nichts gemein; und es gibt Leute, die unglücklich sind nicht aus Verzicht auf die Lust, sondern gerade um der Lust willen, was nicht der Fall wäre, wenn mit der Tugend die Lust untrennbar vereinigt wäre, auf welch letztere die Tugend oft verzichten muss, ohne sie indes jemals nötig zu haben. Warum stellt ihr Dinge zusammen, die einander nicht ähnlich, ja geradezu entgegengesetzt sind? Die Tugend ist etwas Hohes, Erhabenes und Königliches, unüberwindbar, nicht mürbe zu machen: Die Lust etwas Niedriges, Sklavisches, Schwächliches, Einfältiges, dessen Heimstätte und Wohnort Bordelle und Garküchen sind.

Der Tugend wirst du begegnen im Tempel, auf dem Forum, in der Kurie; sie steht als Wächterin vor den Mauern, staubbedeckt, mit gerötetem Antlitz, mit schwieligen Händen: Die Lust dagegen versteckt sich häufiger in der Nähe von Bädern, Schwitzstuben und Bezirken, wo man vor der Polizei Angst hat, weichlich, kraftlos, von Wein und Salböl triefend, bleich oder geschminkt und durch Arzneien fast zum Leichnam gemacht.

Das höchste Gut trägt den Stempel der Unsterblichkeit; es kennt kein Ende, keinen Überdruss, keine Reue; denn die rechte Sinnesart kennt keinen Wechsel und keinen Widerwillen gegen sich selbst und weicht keinen Finger breit ab von der besten Gestaltung des Lebens. Die Lust dagegen erlischt, sobald sie den Höhepunkt des Entzückens erreicht hat; sie hat keinen weiten Spielraum; daher bringt sie schnelle Sättigung, wird uns zum Ekel und welkt nach der ersten stürmischen Hingabe wieder ab. Es ist kein Verlass auf irgend etwas, das seinen natürlichen Bestand in nichts anderem als in der Bewegung hat. So kann es denn auch durchaus keinen festen Gehalt haben; geht es doch ebenso schnell vorüber, wie es kommt, zum Untergang bestimmt durch die Art, wie es mit sich selbst verfährt; es eilt dem Ende zu, und der Anfang weist schon auf den Schluss hin.

VIII

Ist das Lustgefühl nicht ebenso wohl eine Mitgabe für die Bösen wie für die Guten, und haben die Schurken etwa weniger Wohlgefallen an ihrer Schändlichkeit als die Tugendhaften an den sie auszeichnenden Vorzügen? Daher das alte Mahnwort, man müsse nach dem besten Leben streben, nicht nach dem lustvollsten; denn die Lust soll sich nicht zum Anführer des rechten und guten Willens aufschwingen, sondern soll nur sein Begleiter sein. Soll doch unser Führer die Natur sein: Sie ist es, auf welche die Vernunft achtet und deren Rat sie einholt. Glücklich leben und naturgemäß leben kommt also auf dasselbe hinaus.

Was das besagen will, darüber sei folgende Auskunft erteilt: Wir müssen uns an unsere körperlichen Anlagen und das, was unserer Natur entspricht, achtsam und ohne Zagen als an vergängliche und flüchtige Dinge halten, dürfen uns nicht in ihre Knechtschaft begeben und sie, die nicht unser eigentliches Ich sind, nicht zu Herren über uns werden lassen, müssen vielmehr, was dem Körper erwünscht ist und was uns von außen her zukommt, so betrachten, als wären es Hilfstruppen und Leichtbewaffnete im Heereslager – uns zu dienen sind sie bestimmt, nicht uns zu beherrschen –; nur dann sind sie unserem Geiste als unserem eigentlichen Wesen nützlich. Unzugänglich und unüberwindlich für äußere verderbliche Einflüsse sei der Mann, sei ein Bewunderer nicht anderer, sondern seiner selbst, habe Zutrauen zu sich und sei auf alles gefasst, ein Selbstgestalter seines Lebens.

Sein Selbstvertrauen sei nicht ohne Einsicht, seine Einsicht nicht ohne Beharrlichkeit: Was er einmal beschlossen, das soll auch Bestand haben, und seine Entscheidungen sollen nicht rückgängig gemacht werden. Selbstverständlich wird ein solcher Mann ein Meister tadelloser Haltung sein und in allen seinen Handlungen Zeugnis ablegen von Hochherzigkeit verbunden mit Menschenfreundlichkeit. Die Außenwelt soll er erforschen mit dem durch die Sinnesorgane erregten Verstand, und diese Anregung soll er zum Ausgangspunkt nehmen – denn er hat keinen anderen Anhalt für sein Beginnen und für Befriedigung seines Bedürfnisses, der Wahrheit auf die Spur zu kommen – aber er soll in sich selbst zurückkehren. Denn auch die alles umfassende Welt und ihr Leiter, die Gottheit, hat zwar ein Streben nach außen, kehrt aber von allen Richtungen her in sich selbst zurück. Ebenso soll es unser Geist halten: hat er sich, der Anregung seiner Sinnesorgane folgend, mit der Außenwelt beschäftigt, so zeige er sich ihrer wie seiner selbst mächtig.

Auf diese Weise wird sich jene einheitliche Kraft und Macht bilden, die mit sich in Einklang steht und deren Frucht jene unerschütterliche Einsicht ist, die keinen Zwiespalt kennt und sich nicht verfängt in blossen Meinungen, Vorstellungen und Einbildungen. Wenn sie zu ihrer rechten Gliederung und zu allseitigem Zusammenschluss und, so zu sagen, zu harmonischem Zusammenklang gelangt ist, dann hat sie die Schwelle des höchsten Gutes erreicht. Denn da findet sich nichts Verkehrtes, nichts Unsicheres mehr, nichts, woran sie straucheln und zu Fall kommen könnte. Alles wird da der Mensch auf eigenen Befehl tun, und nichts wird sich ereignen, worauf er nicht gefasst wäre, wenn er mit Leichtigkeit und Entschlossenheit und ohne zu zögern zum Handeln schreitet. Denn Trägheit und Unentschlossenheit ist ein Zeichen von innerem Kampf und Unbeständigkeit. Darum kann man kühn behaupten, das höchste Gut sei Seeleneintracht. Denn da kann es wohl an Tugenden nicht fehlen, wo Übereinstimmung und Einheit sich findet: Zwietracht hat ihren Sitz bei den Lastern.

IX

»Indes auch du«, wendet man ein, »huldigst der Tugend aus keinem anderen Grunde, als weil du von ihr irgendwelche Lust erwartest.« Erstens, wenn die Tugend irgendwelche Lust gewähren sollte, so folgt daraus nicht, dass sie um dieser willen erstrebt werde; denn sie gewährt nicht schlechtweg Lust, sondern gewährt diese nur zugleich mit, und sie strengt sich nicht für diese an, sondern ihre Anstrengung wird, wenn sie auch auf etwas anderes abzielt, doch diese zugleich mit erlangen.