Von den Elefanten sprechen wir später - Nils Mohl - E-Book

Von den Elefanten sprechen wir später E-Book

Nils Mohl

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Beschreibung

Lou sieht aus wie ein Engel, sagt Mama. Mit Engeln habe ich keine Erfahrung, aber ich glaube, es stimmt, und ich würde Lou gerne fotografieren, aber Engel kann man nicht fotografieren, und Lou ist tot. Zucker auch. Die Wirklichkeit verschiebt Nils Mohl um eine Winzigkeit, und plötzlich liegt man mit dem Wolkenknipser auf einer Wiese am See. Oder steht im Stau auf der Autobahn – eine entlaufene Giraffe hat ihn ausgelöst, die Wartenden schliddern unversehens in Katastrophen. Vier preisgekrönte Geschichten: - Von den Elefanten sprechen wir später - Ihr zuschauen - Was dann passiert - Ich wäre tendenziell für ein Happy End «Nils Mohl beherrscht den Ton, und nicht nur einen. Seine Geschichten sind schnell, präzise, leicht surreal und sehr sinnlich ...» Dorothea Dieckmann, Laudatio Hamburger Literaturförderpreis

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Seitenzahl: 46

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Nils Mohl

Von den Elefanten sprechen wir später

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Von den Elefanten sprechen wir späterIhr zuschauenWas dann passiertIch wäre tendenziell für ein Happy EndWeitere Werke des AutorsSchön, dass du da warstBirth. School. Work. Death.Es war einmal IndianerlandStadtrandritter
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Von den Elefanten sprechen wir später

Ich bin der Wolkenknipser. Am liebsten sitze ich auf der Wiese unten beim See. Praktisch jeden Tag gehe ich mit meiner Kamera in den Park. Ich lege mich ins Gras und beobachte durch den Sucher den Himmel. Oft bleibe ich stundenlang. Die Wolken sehen immer wieder anders aus, verändern sich ständig. Manchmal höre ich Musik. Keine Ahnung, woher sie kommt. Sie ist einfach da, in meinem Kopf. Vielleicht hören alle Menschen Musik, wenn sie auf dem Rücken liegen und nach oben in den Himmel sehen. Ich weiß es nicht. Mama sagt, wir sind alle verschieden. Wahrscheinlich hat sie recht.

 

Zucker meint, ich sei ein netter Kerl, aber manchmal auch irgendwie seltsam.

Man muss einen Film in den Apparat einlegen, sagt er.

Aber die Kamera ist doch kaputt, sage ich.

Du willst mich verkaspern.

Nein, sage ich.

Zucker schüttelt den Kopf.

Du hast doch gesagt, du machst jeden Tag ein Foto von den Wolken.

Ja, sage ich.

Ohne Film?

Ja.

Mit einer kaputten Kamera?

Ja.

Tut mir leid, da komme ich nicht mit.

Dabei ist es ganz einfach. Man muss nur scharf stellen und im richtigen Moment auslösen.

 

Lou sieht aus wie ein Engel, sagt Mama. Mit Engeln habe ich keine Erfahrung, aber ich glaube, es stimmt, und ich würde Lou gerne fotografieren, aber Engel kann man nicht fotografieren, und Lou ist tot. Zucker auch. Alle haben gesagt, sie würden gut zusammenpassen. Vielleicht sind sie jetzt wirklich Engel, richtige Engel. Es heißt doch, wenn man stirbt, dann kommt man in den Himmel. Der Himmel ist wunderschön. Wie Lou. Ich weiß das. Ich bin der Wolkenknipser. Lou und Zucker sind tot.

 

Ich liebe dich, sage ich zu Lou.

Lou lacht.

Von den Elefanten sprechen wir später, sagt sie.

Der Mond scheint hell. Lou geht runter zum See.

Lou, rufe ich ihr hinterher, ich liebe dich.

Sie dreht sich nicht um. Ich sehe, wie Lou sich vom Ufer entfernt. Sie watet raus in die Dunkelheit, bis die Hände ihrer ausgestreckten Arme die glitzernde Wasseroberfläche berühren.

Von den Elefanten sprechen wir später.

Das sagt sie immer, wenn sie nicht weiterweiß.

 

Meine Mama mag Zucker. Alle mögen Zucker. Er ist mein bester Freund. Manchmal gehe ich mit ihm zum Training. Zucker ist Boxer. Ein wirklich guter Boxer. Rechtsausleger. Wenn Zucker einen Wettkampf hat, binde ich ihm die Handschuhe und stehe am Ring. Ich bin sein Maskottchen, sagt er, und Zucker hat noch nie einen Kampf verloren. Ein guter Boxer muss schnell sein, meint Zucker, er braucht Herz und Verstand. Wir verbringen viel Zeit miteinander. Meist bin ich bei ihm in der Garage. Zucker repariert Autos. Damit verdient er sein Geld.

 

Meine Augen sind müde, sagt Lou.

Du bist müde?, frage ich.

Nein, meine Augen sind müde.

Ich halte Lou im Arm.

Frierst du?, frage ich.

Ihr Haar tropft. Sie ist bis zur Mitte des Sees geschwommen und wieder zurück.

Ein bisschen, sagt sie.

Sie hat Gänsehaut. Ich drücke Lous Körper fest an meinen. Sie ist nackt.

 

Zucker und ich stehen draußen vor der Garage und blicken ins Abendrot. Zerfetzte Wolkenstreifen verteilen sich über den Horizont. Die tiefstehende Sonne blendet. Ich kneife die Augen zusammen. Zucker zündet sich eine Zigarette an. Sie knistert, wenn er daran zieht. Wir schweigen. Ich höre, wie die Glut sich langsam nach unten frisst, und denke an Lou.

 

Lou?

Ja.

Ich habe Angst zu fragen, sage ich.

Frag, sagt sie.

Gibt es nur dies eine Mal?

Es gibt immer nur dies eine Mal, sagt Lou.

Sie hat aufgehört zu zittern. Ich sage: Tut mir leid.

Ist schon okay, sagt sie.

 

Lou hat einen Kopfkissenbezug voller Haare. Sie geht nie zum Friseur. Lou schneidet sich die Haare selbst und hebt sie auf. Sie ist die Einzige, die die Sache mit dem Wolkenknipsen wirklich versteht. Niemand sonst. Nicht einmal Mama. Da bin ich mir sicher. Zu meinem siebzehnten Geburtstag hat Lou mir eine ihrer Locken geschenkt. Sie hat sie auf eine Postkarte mit Sternenhimmelmotiv geklebt und gerahmt. Wenn ich das Bild lange angucke, kommt es oft vor, dass ich in dem Schwarz um Lous Haar ganz viele Dinge sehe, die wirklich passiert sind oder richtig echt wirken, so als wären sie wirklich passiert.

 

Gehen wir?, fragt Lou.

Ja, gehen wir, sage ich.

Sie zieht sich ihr Kleid an. Wortlos schaue ich zu.

Denk an etwas anderes, sagt Lou.

Woher weißt du, woran ich denke?, frage ich.

Man sieht es dir an.

Ich denke an Zucker. Lou sagt: Drück mich noch mal.

 

Ich verstehe Zucker nicht. Er könnte mit Lou im Regen tanzen, Lou beim Licht von tausend Kerzen in Champagner baden lassen, sie nach den Elefanten fragen. Er tut es nicht. Er holt sie meist mit dem Auto ab und fährt mit Lou einfach durch die Gegend. In meinen Kopf will das nicht rein, und mir ist auch nicht klar, warum Zucker so oft, statt bei Lou zu sein, Zeit mit mir verbringt. Mit jemandem, der noch zur Schule geht, der zehn Jahre jünger ist als er, mit jemandem, der nachmittags mit einem kaputten Fotoapparat herumläuft. Lou wird ihn niemals verlassen. Nicht meinetwegen.