Von der Erde zum Mond - Jules Verne - E-Book

Von der Erde zum Mond E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Nach dem Ende des Bürgerkriegs in den Vereinigten Staaten von Amerika fühlen sich die führenden Mitglieder des »Gun Club« in Baltimore gelangweilt. Man einigt sich schließlich auf den verrückten Vorschlag, eine so große Kanone zu bauen, dass sie ein Geschoss Von der Erde zum Mond schießen kann. Trotz vieler Kritiker will der »Gun Club« diese Herausforderung annehmen – doch dann kommt ein geheimnisvoller Besucher aus Frankreich, der eine interessante Idee hat …

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Jules Verne

Von der Erde zum Mond

Jules Verne

Von der Erde zum Mond

ISBN/EAN: 9783958706576

1. Auflage

Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam Angepasst.

Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2020

www.nexx-verlag.de

Der Gun Club

Während des Bundeskriegs der Vereinigten Staaten bildete sich zu Baltimore in Maryland ein neuer Club von großer Bedeutung. Es ist bekannt, wie energisch sich bei diesem Volk von Reedern, Kaufleuten und Mechanikern der militärische Instinkt entwickelte. Einfache Kaufleute brauchten nur in ihrem Kontor auf- und abzuschreiten, um unversehens Hauptleute, Obristen, Generäle zu werden, ohne die Militärschule zu Westpoint durchzumachen; bald standen sie in der »Kriegskunst« ihren Kollegen der Alten Welt nicht nach und verstanden gleich diesen durch Vergeuden von Kugeln, Millionen und Menschen Siege zu gewinnen.

Aber in der Ballistik übertrafen sie die Europäer ganz außerordentlich. Sie fertigten Geschütze nicht allein von höchster Vollkommenheit, sondern auch von ungewöhnlicher Größe, die folglich eine noch unerhörte Tragweite haben mussten. In Beziehung auf rasante und Breche-Schüsse, Schüsse in schiefer, in gerader Richtung oder vom Rücken her – kann man die Engländer, Franzosen, Preußen nichts mehr lehren; aber ihre Kanonen, Haubitzen und Mörser sind nur Sackpistolen gegen die fürchterlichen Maschinen der amerikanischen Artillerie.

Das ist aber nicht zum Verwundern. Die Yankees, die ersten Mechaniker auf der Welt, sind geborene Ingenieure, wie die Italiener Musiker, die Deutschen Metaphysiker. Ganz natürlich, dass sich ihre kühne Genialität in ihrer Geschützkunde zu erkennen gab. Daher jene Riesenkanonen, die zwar weit weniger nützen, als die Nähmaschinen, doch ebenso viel Staunen, und noch mehr Bewunderung erregen. Bekannt sind von solchen Wunderwerken die Parott, Dahlgreen, Rodman. Die Armstrong, Palliser, Treuille de Beaulieu mussten vor ihren überseeischen Rivalen die Segel streichen.

Daher standen denn auch während des fürchterlichen Kampfes der Nord- und Südstaaten die Artilleristen im allerhöchsten Ansehen; die Journale der Union priesen ihre Erfindungen mit Enthusiasmus, und es gab keinen armseligen Krämer, keinen einfältigen Buben, der sich nicht den Kopf zerbrach mit unsinnigen Schussberechnungen.

Wenn aber einem Amerikaner eine Idee im Kopf steckt, so sucht er sich einen zweiten Amerikaner, um sie zu teilen. Sind ihrer drei, so wählen sie einen Präsidenten und zwei Sekretäre; vier, so ernennen sie einen Archivisten, und das Büro tritt in Wirksamkeit. Bei fünfen berufen sie eine Generalversammlung, und der Club ist fertig. So ging's auch zu Baltimore. Einer erfand eine Kanone, assoziierte sich mit Einem, der sie goss, und einem Anderen, der sie bohrte. Aus einem solchen Kern erwuchs auch der Gun Club. Einen Monat nach seiner Bildung zählte er 1833 wirkliche Mitglieder und 30.575 korrespondierende.

Unerlässliche Bedingung für jedes Mitglied des Clubs war, dass man eine Kanone, oder mindestens irgendeine Feuerwaffe, erfunden, oder doch verbessert hatte. Aber, offen gesagt, die Erfinder von Revolvern zu fünfzehn Schuss, von Pivot-Karabinern oder Säbelpistolen genossen kein großes Ansehen. Die Artilleristen behaupteten in jeder Hinsicht den ersten Rang.

»Die Achtung, welche sie genießen«, sagte einmal einer der gescheitesten Redner des Gun Clubs, »steht im Verhältnis zur Masse ihrer Kanonen, und zwar nach direktem Maßstab des Quadrats der Distanzen, welche ihre Geschosse erreichen!«

Noch etwas mehr, das Newton'sche Gravitationsgesetz verpflanzte sich in die moralische Welt.

Man kann sich leicht vorstellen, was, nachdem der Gun Club einmal gegründet war, das erfinderische Genie der Amerikaner in dieser Gattung zu Tage förderte. Die Kriegsmaschinen nahmen einen kolossalen Maßstab an, und die Geschosse flogen weit über die ihnen gesteckten Schranken hinaus, um harmlose Spaziergänger zu zerreißen. Alle diese Erfindungen ließen die schüchternen Werkzeuge der europäischen Artillerie weit hinter sich. Man urteile aus folgenden Zahlen.

Einst »wenn's gut ging« vermochte ein Sechsunddreißig-Pfünder in einer Entfernung von dreihundert Fuß sechsunddreißig Pferde von der Seite her zu durchbohren, und dazu achtundsechzig Mann. Die Kunst lag damals noch in der Wiege. Seitdem hat sie Fortschritte gemacht. Die Rodman-Kanone, die eine Kugel von einer halben Tonne sieben (engl.) Meilen weit schleuderte, hätte leicht hundertfünfzig Pferde und dreihundert Mann niedergeworfen. Es war im Gun Club gar die Rede davon, eine förmliche Probe damit anzustellen. Aber, ließen sich's auch die Pferde gefallen, das Experiment zu machen, an Menschen fehlte es leider.

Wie dem auch sei, diese Kanonen leisteten Mörderisches, und bei jedem Schuss fielen die Menschen, wie die Ähren unter der Sense. Was wollte neben solchen Geschossen die berühmte Kugel zu Coutras bedeuten, welche im Jahre 1587 fünfundzwanzig Mann kampfunfähig machte, und die andere, welche bei Zorndorf 1758 vierzig Mann tötete, und 1742 bei Kesselsdorf die österreichische, die bei jedem Schuss siebzig Feinde niederwarf? Was war dagegen das erstaunliche Geschützfeuer bei Jena und Austerlitz, das die Schlachten entschied? Da gab's während des Bundeskriegs ganz andere Dinge zu schauen! Bei Gettysburg traf ein kegelförmiges Geschoß aus einer gezogenen Kanone dreiundsiebzig Feinde, und beim Übergang über den Potomac beförderte eine Rodman-Kugel zweihundertfünfzehn Südländer in eine ohne Zweifel bessere Welt. So verdient auch ein fürchterlicher Mörser, den J. T. Maston, ein hervorragendes Mitglied und beständiger Sekretär des Gun Clubs, erfand, erwähnt zu werden; seine Wirkung war noch mörderischer, denn beim Probieren tötete er dreihundertsiebenunddreißig Personen – freilich, beim Zerspringen!

Diese Zahlen sprechen beredt ohne Kommentar. Auch wird man ohne Widerrede die folgende, vom Statistiker Pitcairn aufgestellte Berechnung gelten lassen: dividiert man die Anzahl der durch die Kugeln gefallenen Opfer mit der Zahl der Mitglieder des Gun Clubs, so ergibt sich, dass auf Rechnung jedes Einzelnen des letzteren durchschnittlich 2375 Mann kommen, nebst einem Bruchteil.

Nimmt man diese Ziffern in Erwägung, so ist's augenscheinlich, dass das Trachten dieser gelehrten Gesellschaft einzig auf Menschenvertilgung zu philanthropischem Zweck, und auf Vervollkommnung der Kriegswaffen als Zivilisationsmittel gerichtet war. Es war ein Verein von Würgengeln, sonst die besten Menschenkinder auf der Welt.

Diese Yankees, muss man weiter anführen, von erprobter Tapferkeit, ließen es nicht beim Reden bewenden, und traten persönlich ein. Man zählte unter ihnen Offiziere jedes Grades vom Lieutenant bis zum General, Militärpersonen jedes Alters, Anfänger im Kriegsdienst und bei der Lafette ergraute Männer. Manche fielen auf der Wahlstatt und ihre Namen wurden ins Ehrenbuch des Gun Clubs eingetragen, und von denen, welche davonkamen, trugen die meisten Beweise ihrer unzweifelhaften Unerschrockenheit an sich. Krücken, hölzerne Beine, gegliederte Arme, Hacken statt der Hände, Kinnbacken von Kautschuk, Schädel von Silber, Nasen von Platin, nichts mangelte in der Sammlung, und der obgedachte Pitcairn berechnete ebenfalls, dass im Gun Club nicht völlig ein Arm auf vier Personen kam, und nur zwei Beine auf sechs.

Aber diese wackeren Artilleristen machten sich nicht so viel daraus, und sie waren mit Recht stolz darauf, wenn das Bulletin einer Schlacht zehnmal mehr Opfer anführte, als Geschosse waren abgefeuert worden.

Eines Tags jedoch – ein trauriger, bedauerlicher Tag – unterzeichneten die Überlebenden den Frieden, der Geschützdonner hörte allmählich auf, die Mörser verstummten, die Haubitzen wurden für lange Zeit unschädlich gemacht, und die Kanonen kehrten gesenkten Hauptes in die Arsenale zurück, die Kugeln wurden in den Zeughäusern aufgeschichtet, die blutigen Erinnerungen erblichen, die Baumwollstauden sprossten üppig auf den reich gedüngten Feldern, mit den Trauerkleidern wurde auch der Schmerz abgelegt, und der Gun Club versank in vollständige Untätigkeit.

– Trostlos! sagte eines Abends der tapfere Tom Hunter, während seine hölzernen Beine am Kamin verkohlten: »Nichts mehr zu tun! nichts mehr zu hoffen! Welch langweiliges Leben! Oh goldene Zeit, da einst jeden Morgen lustiger Kanonendonner uns weckte!

– Die Zeit ist hin! erwiderte der muntere Bilsby. Das war eine Lust! Man erfand seinen Mörser, und war er gegossen, so probierte man ihn vorm Feind; dann begab man sich wieder ins Lager mit einer Belobung Sherman's oder einem Handschlag Mac Clellan's! Aber nun sind die Generale wieder auf ihren Kontors und versenden harmlose Baumwollballen! Ja, wahrhaftig, die Artillerie hat in Amerika keine Zukunft mehr!

– Ja, Bilsby, rief der Obrist Blomsberry aus, das sind grausame Täuschungen! Eines Tags verlässt man seine friedlichen Gewohnheiten, übt sich in den Waffen, zieht aus Baltimore ins Feld, tritt da als Held auf, und zwei, drei Jahre später muss man die Frucht seiner Strapazen wieder verlieren, in leidiger Untätigkeit einschlafen.

– Und kein Krieg in Aussicht! sagte darauf der berühmte J. T. Maston, und kratzte dabei mit seinem eisernen Haken seinen Guttapercha-Schädel. Kein Wölkchen am Himmel, und zu einer Zeit, da noch so viel in der Artilleriewissenschaft zu tun ist! Da hab' ich diesen Morgen einen Musterriss fertig gebracht, samt Plan, Durchschnitt und Aufriss, für einen Mörser, der die Kriegsgesetze umzuändern bestimmt ist!

– Wirklich? erwiderte Tom Hunter, und dabei fiel ihm unwillkürlich der letzte Versuch des ehrenwerten J. T. Maston ein.

– Ja, wirklich, entgegnete dieser. Aber wozu nun so viele Studien, das Überwinden so vieler Schwierigkeiten? Ist das nicht verlorene Mühe? Die Bevölkerung der Neuen Welt scheint entschlossen zu sein, nun in Frieden zu leben, und unsere kriegerische Tribüne hat bereits Katastrophen in Folge des Anwachsens der Bevölkerung geweissagt!

– Indessen, Maston, fuhr Obrist Blomsberry fort, in Europa gibt's immer noch Kriege fürs Prinzip der Nationalitäten!

– Nun denn?

– Nun denn! Da könnte man vielleicht einen Versuch machen, und wenn man unsere Dienste annähme? ...

– Was meinen Sie? Ballistik zu Gunsten von Ausländern.

– Besser, als gar nichts damit treiben, entgegnete der Obrist.

– Allerdings, sagte J. T. Maston, es wäre wohl besser, aber an so einen Ausweg darf man nicht einmal denken.

– Und weshalb? fragte der Obrist.

– Weil man in der Alten Welt über das Avancement Ideen hat, die unseren amerikanischen Gewohnheiten schnurstracks zuwider laufen. Die Leute dort meinen, man könne nicht kommandierender General werden, wenn man nicht zuvor Unterleutnant gewesen, was auf dasselbe hinausläuft, als man verstehe nicht, eine Kanone zu richten, wenn man sie nicht selbst gegossen hat! Nun ist aber selbstverständlich ...

– Lächerlich! erwiderte Tom Hunter, indem er mit einem Bowie-Messer Schnitte in die Arme seines Lehnsessels machte; und weil dem so ist, so bleibt uns nichts übrig, als Tabak zu pflanzen oder Tran zu sieden!

– Wie? rief J. T. Maston mit laut hallender Stimme, wir sollen unsere letzten Lebensjahre nicht auf die Vervollkommnung der Feuerwaffen verwenden! Es sollte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, unsere Geschosse zu probieren! Der Blitz von unseren Kanonen sollte nicht mehr die Luft erhellen! Es sollte sich keine internationale Streitfrage ergeben, die Anlass gäbe, einer überseeischen Macht den Krieg zu erklären! Sollten nicht die Franzosen eins unserer Dampfboote in Grund bohren, und die Engländer sollten nicht mit Verachtung des Völkerrechts etliche unserer Landsleute hängen!

– Nein, Maston, entgegnete der Obrist Blomsberry, dies Glück wird uns nicht werden! Nein! Kein einziger dieser Fälle wird eintreten, und geschähe es, so würden wir ihn nicht benützen! Das amerikanische Selbstgefühl schwindet von Tag zu Tag, und wir werden zu Weibern!

– Ja, wir sinken herab! erwiderte Bilsby.

– Und man drückt uns herab! entgegnete Tom Hunter.

– Dies Alles ist nur allzu wahr, erwiderte J. T. Maston mit erneuter Heftigkeit. Tausend Gründe, sich zu schlagen, lassen sich aus der Luft greifen, und man schlägt sich nicht! Man will Arme und Beine schonen, und das zu Gunsten von Leuten, die nichts damit anzufangen wissen! Und, denken Sie, man braucht einen Grund zum Krieg nicht so weit herzuholen: hat nicht Nordamerika einst den Engländern gehört?

– Allerdings, erwiderte Tom Hunter, indem er mit seiner Krücke das Feuer schürte.

– Nun denn! fuhr J. T. Maston fort, warum sollte nicht England einmal an die Reihe kommen, den Amerikanern zu gehören?

– Das wäre nur recht und billig, erwiderte lebhaft der Obrist Blomsberry.

– Machen Sie einmal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten den Vorschlag, rief J. T. Maston, und Sie werden sehen, wie er Sie empfangen wird!

– Gewiss wohl schlecht, brummte Bilsby zwischen den Zähnen, die er noch hatte.

– Meiner Treu! rief J. T. Maston, auf meine Stimme hat er nicht mehr zu rechnen!

– Auch auf die unsrigen nicht, erwiderten einstimmig die kriegerischen Invaliden.

– Unterdessen, erwiderte J. T. Maston zum Schluss, gibt man mir nicht Gelegenheit, meinen neuen Mörser auf einem wirklichen Schlachtfeld zu probieren, so trete ich aus dem Gun Club und vergrabe mich in den Savannen von Arkansas!

– Da gehen wir mit, erwiderten die Genossen des kühnen J. T. Maston.

So standen die Dinge, die Geister erhitzten sich, und der Club war mit naher Auflösung bedroht, als ein unerwartetes Ereignis dazwischen kam. Tags nach dieser Unterredung erhielt jedes Mitglied der Gesellschaft ein folgendermaßen abgefasstes Curricular:

Baltimore, 3, Oktober.

»Der Präsident des Gun Clubs beehrt sich seine Kollegen zu benachrichtigen, dass er in der Sitzung am 5. d. M. eine Mitteilung zu machen hat, welche sie lebhaft interessieren wird. Demnach bittet er sie, ungesäumt der im Gegenwärtigen enthaltenen Einladung zu folgen.

Mit herzlichem GrußImpey Barbicane, Präsident«

Mitteilung des Präsidenten Barbicane

Am 5. Oktober um acht Uhr abends drängte sich eine dichte Menge in den Sälen des Gun Clubs, 21. Union Square. Alle zu Baltimore einheimischen Mitglieder der Gesellschaft hatten sich auf die Einladung ihres Präsidenten dahin begeben. Die korrespondierenden langten mit Express zu Hunderten in der Stadt an, und so groß auch die Sitzungshalle war, so konnte die Menge der Gelehrten darin nicht mehr Platz finden; sie strömte über in die anstoßenden Säle, die Gänge bis mitten in die äußeren Höfe, wo sie mit dem gewöhnlichen Volk zusammentraf, das sich an den Eingängen drängte: indem jeder in die vordersten Reihen zu gelangen trachtete, alle voll Begierde, die wichtige Mitteilung des Präsidenten Barbicane zu vernehmen, stieß und schob man sich herum, zerdrückte sich mit jener Freiheit des Handelns, welche den in den Ideen des Selfgovernment erzogenen Massen eigentümlich ist.

An jenem Abend hätte ein zu Baltimore anwesender Fremder um keinen Preis in den großen Saal gelangen können; derselbe war ausschließlich den einheimischen Mitgliedern oder den Korrespondenten vorbehalten; kein anderer konnte darin einen Platz bekommen; und die Oberschicht der Stadt, die Mitglieder des Rates der »Auserkorenen« hatten sich unter die Menge ihrer Untergebenen mengen müssen, um flüchtig zu erhaschen, was drinnen vorging.

Die unermesslich große Halle bot den Blicken einen merkwürdigen Anblick dar. Das umfassende Lokal war zum Erstaunen für seine Bestimmung geeignet. Hohe Säulen, aus übereinandergesetzten Kanonen gebildet, auf einer dicken Unterlage von Mörsern, trugen die feinen Verzierungen des Gewölbes, gleich Spitzen aus Guss gefertigt. Vollständige Rüstungen von Stutzern, Donnerbüchsen, Büchsen, Karabinern, alle Feuerwaffen alter und neuer Zeit, waren an den Wänden mit malerischen Verschlingungen gruppiert. Das Gas strömte in vollen Flammen aus tausend Revolvern, die in Form von Lüstern zusammengeordnet waren, während Girandolen von Pistolen und Kandelaber, aus Bündeln von Flintenläufen gebildet, die glänzende Beleuchtung vollendeten. – Die Kanonenmodelle, die Probemuster von Bronze, die durchlöcherten Zielscheiben, die von Kugeln des Gun Clubs zerschossenen Platten, die Auswahl von Setzern und Wischern, die Rosenkränze von Bomben, die Halsbänder von Geschossen, die Girlanden von Granaten, kurz alle Werkzeuge des Artilleristen überraschten das Auge durch ihre Staunen erregende Anordnung, und erweckten den Gedanken, dass sie in Wahrheit mehr zum Schmuck, als zum Morden bestimmt seien.

Am Ehrenplatze sah man unter einer glänzenden Glasglocke ein zerbrochenes, vom Pulver verdrehtes Stück von einem Kanonenstoß, kostbares Reststück von der Kanone J. T. Maston.

Am Ende des Saales saß auf einem breiten Sonderplatze der Präsident, umgeben von vier Sekretären. Sein Sitz, der sich auf einer mit Schnitzwerk gezierten Lafette befand, war im Ganzen gleich einem starken Mörser von zweiunddreißig Zoll geformt, unter einem Winkel von neunzig Grad aufgeprotzt und an Zapfen befestigt, so dass der Präsident sich auf demselben, wie auf einem Schaukelstuhl (rocking chair) in angenehmster Weise schaukeln konnte. Auf dem Schreibtisch, einer breiten Platte von Eisenblech auf sechs Karonaden, sah man ein Tintenfass von besonderem Geschmack, das aus einer kostbar gemeißelten Biskayer Büchse gebildet war, und eine Donnerglocke, die bei Gelegenheit wie ein Revolver knallte. Bei heftigem Streit reichte diese neu erfundene Glocke manchmal kaum hin, die Stimmen dieser Legion von erhitzten Artilleristen zu übertönen.

Vor dem Schreibtisch waren kleine Bänke im Zickzack, gleich den Linien einer Verschanzung, aufgestellt und bildeten eine Reihenfolge von Basteien und Kurtinen. Auf diesen saßen die Mitglieder des Gun Clubs, und diesen Abend konnte man sagen, »es fehlte nicht an Mannschaft auf den Wällen«. Man kannte den Präsidenten gut genug um zu wissen, dass er ohne den gewichtigsten Grund seine Kollegen nicht in Bewegung gesetzt hätte.

Impey Barbicane war ein Mann von vierzig Jahren, ruhig, kaltblütig, streng, von außerordentlich ernstem und konzentriertem Geist, pünktlich wie ein Chronometer, von erprobtem Temperament, unerschütterlichem Charakter, wenig ritterlich, doch abenteuerlich, aber voll praktischer Ideen, selbst bei den verwegensten Unternehmungen – er war in hervorragender Weise der Mann Neu-Englands, der nordische Pflanzer, der Abkömmling jener Rundköpfe, die einst den Stuarts so gefährlich wurden, der unversöhnliche Feind der südlichen Gentlemen, jener vormaligen Junker des Mutterlandes. Mit einem Wort, er war ein Yankee reinsten Wassers durch und durch.

Barbicane hatte sich im Holzhandel ein großes Vermögen erworben; während des Krieges zum Artilleriedirektor ernannt, zeigte er sich fruchtbar an Erfindungen, kühn in Ideen, trug viel zu den Fortschritten dieser Waffe bei, und gab den experimentalen Forschungen einen unvergleichlichen Schwung.

Ein Mann von mittlerer Statur hatte er – seltene Ausnahme im Gun Club – ganz wohl erhaltene Glieder. Seine scharf ausgeprägten Gesichtszüge waren wie mit dem Lineal nach dem Winkelmaße geschnitten, und wenn es wahr ist, dass man, um eines Menschen instinktiven Charakter zu erkennen, ihn im Profil ansehen müsse, so konnte man bei ihm darin die deutlichsten Anzeigen von Energie, Kühnheit und Kaltblütigkeit wahrnehmen.

In diesem Augenblick war er in seinem Lehnstuhl unbeweglich, stumm, in Gedanken versenkt, den Blick nach innen gerichtet, mit einem hochgeformten Hut, – schwarzem Seidenzylinder – welcher, scheint es, den amerikanischen Schädeln angeschraubt ist.

Das lärmende Geplauder seiner Kollegen um ihn her störte ihn nicht; sie fragten sich einander, schweiften auf dem Feld der Vermutungen, forschten in den Zügen ihres Präsidenten, und trachteten vergeblich, das X seiner undurchdringlichen Physiognomie heraus zu bekommen.

Als die Uhr des großen Saales mit Donnerschlägen die Stunde verkündete, erhob sich Barbicane plötzlich, als wie von einer Sprungfeder emporgeschnellt. Alles lauschte, und der Redner ließ sich mit etwas emphatischem Ton folgendermaßen vernehmen:

»Tapfere Kollegen, schon allzu lange hat ein unfruchtbarer Friede die Mitglieder des Gun Clubs in bedauerliche Untätigkeit versetzt. Nach vier so ereignisvollen Jahren mussten wir unsere Arbeiten einstellen und auf dem Wege des Fortschritts plötzlich Halt machen. Ich nehme keinen Anstand, es laut auszusprechen, jeder Krieg, der uns wieder die Waffen in die Hand gäbe, würde willkommen sein ...«

– Ja, der Krieg! rief stürmisch J. T. Maston.

– Hört! Hört! vernahm man allerseits.

»Aber der Krieg, sagte Barbicane, »ist unter gegenwärtigen Umständen unmöglich; und was sich auch der ehrenwerte College, welcher mich unterbrach, für Hoffnungen machen mag, es wird eine Reihe von Jahren verfließen, ehe unsere Kanonen wieder auf einem Schlachtfeld donnern. Das muss man sich nun gefallen lassen, und in einem andern Ideenkreise Nachahmung für unseren Tätigkeitstrieb suchen.«

Da die Versammlung merkte, dass ihr Präsident nun auf den Hauptpunkt kam, verdoppelte sie ihre Aufmerksamkeit.

»Seit einigen Monaten, wackere Kollegen, fuhr Barbicane fort, habe ich darüber nachgedacht, ob wir nicht – doch innerhalb unseres Specialfachs – im Stande wären, eine große, des neunzehnten Jahrhunderts würdige Forschung vorzunehmen, und ob nicht die Fortschritte in der Ballistik uns in den Stand setzten, sie glücklich auszuführen. Zu dem Ende habe ich geforscht, gearbeitet, Berechnungen angestellt, und das Ergebnis meiner Studien war die Überzeugung, dass wir bei einer Unternehmung, die in jedem anderen Lande unausführbar sein würde, zu einem glücklichen Ziele gelangen müssen. Über dieses reiflich durchdachte Projekt will ich Ihnen nähere Mitteilung machen; es ist Ihrer würdig, würdig der Vergangenheit des Gun Clubs, und wird unfehlbar großes Aufsehen in der Welt machen!

– Viel Aufsehen? rief ein leidenschaftlicher Artillerist.

»Sehr viel Aufsehen, im echten Sinne des Worts«, erwiderte Barbicane.

– Nicht unterbrechen! rief es von anderen Seiten.

»Ich bitte Sie also, wackere Kollegen, fuhr der Präsident fort, mir Ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.«

Unwillkürliche Bewegung ergriff die Versammlung. Barbicane rückte rasch seinen Hut und drückte ihn fest, dann fuhr er mit ruhiger Stimme fort:

»Es ist keiner unter Ihnen, wackere Kollegen, der nicht den Mond gesehen, oder mindestens von ihm sprechen gehört hätte. Wundern Sie sich nicht, dass ich Sie hier über das Gestirn der Nacht unterhalte. Vielleicht ist's uns vorbehalten, für diese unbekannte Welt die Rolle des Columbus zu spielen. Begreifen Sie mich, unterstützen Sie mich mit allen Kräften, so will ich Sie führen, diese Eroberung zu machen, und der Name des Mondes wird sich denen der sechsunddreißig Staaten anreihen, welche den großen Bund dieses Landes bilden.«

– Hurra dem Mond! rief der Gun Club wie mit einer Stimme.

»Man hat viele Studien über den Mond gemacht, fuhr Barbicane fort. Seine Masse, Dichtigkeit, sein Gewicht und Umfang, seine Beschaffenheit, Bewegungen, Entfernung, seine Rolle in der Sonnenwelt sind nun genau bekannt; man hat Mondkarten gefertigt, welche an vollkommener Ausführung den Erdkarten wenigstens gleich kommen, sofern sie dieselben nicht übertreffen; die Photographie hat von unserem Trabanten Musterbilder von unvergleichlicher Schönheit geliefert. Kurz, man weiß von dem Mond Alles, was die mathematischen Wissenschaften, Astronomie, Geologie, Optik uns lehren können; aber bis jetzt ist noch nie ein direkter Verkehr mit demselben hergestellt worden.«

Bei diesem Satz des Redners gab sich eine heftige Bewegung des Interesses und der Überraschung zu erkennen.

»Gestatten Sie mir, fuhr derselbe fort, mit einigen Worten daran zu erinnern, wie einige glühende Geister in phantasievollen Reisebeschreibungen vorgaben, die Geheimnisse unseres Trabanten ergründet zu haben. Im siebenzehnten Jahrhundert rühmte sich ein gewisser David Fabricius, die Bewohner des Mondes mit eigenen Augen gesehen zu haben. Im Jahre 1649 veröffentlichte ein Franzose I. Beaudoin, eine Reise in den Mond, von dem spanischen Abenteurer Dominico Gonzalez unternommen. Zu derselben Zeit ließ Cyrano de Bergerac die berühmte Expedition, welche in Frankreich so viel Erfolg hatte, erscheinen. Später schrieb ein anderer Franzose, Fontenelle mit Namen, über die Mehrheit der Welten ein Hauptwerk; aber die Wissenschaft überbietet in ihrem Fortschritt auch die Meisterwerke! Ums Jahr 1835 erzählte ein aus dem New York American übersetztes Werkchen, Sir J. Herschel, der zum Zweck der astronomischen Studien ans Cap der guten Hoffnung gesendet worden war, habe vermittelst eines vervollkommneten Teleskops den Mond bis auf eine Entfernung von achtzig Yards [Anm.: 1 Yard entspricht 91,44 cm] nahe gebracht. Da habe er ganz deutlich Höhlen beobachtet, worin Flusspferde hausten, grüne mit Goldsaum befranste Berge, Schöpfe mit Hörnern von Elfenbein, weiße Rehe, Bewohner mit pergamentgleichen Flügeln, wie bei den Fledermäusen. Dieses von einem Amerikaner Namens Locke verfasste Werkchen hatte großen Erfolg. Bald aber erkannte man darin eine Mystifikation der Wissenschaft, und die Franzosen lachten zuerst darüber.«

– Über einen Amerikaner lachen! rief J. T. Maston, da haben wir ja einen Casus belli …

»Beruhigen Sie sich, mein würdiger Freund. Bevor die Franzosen lachten, haben sie sich von unserem Landsmann vollständig anführen lassen. Ich füge bei, dass ein gewisser Hans Pfaal aus Rotterdam in einem Ballon, der mit Stickstoffgas gefüllt war, welches fünfunddreißigmal leichter als Wasserstoffgas ist, in neunzehn Tagen bis zum Mond gelangte. Diese Reise war, gleich der vorausgehenden, nur eine Phantasie-Unternehmung, aber sie hatte einen populären amerikanischen Schriftsteller, der ein Genie von seltenem Tiefsinn war, Poe, zum Verfasser.«

– Hurra dem Edgar Poe! rief die Versammlung voll Begeisterung.

»So viel, fuhr Barbicane fort, von den Versuchen, die als lediglich wissenschaftlich durchaus ungenügend sind, um ernstlich Verbindungen mit dem Gestirn der Nacht einzurichten. Doch muss ich hinzufügen, dass einige praktische Geister den Versuch machten, sich wirklich mit ihm in Verbindung zu setzen. Vor einigen Jahren machte ein deutscher Geometer den Vorschlag, eine Kommission von Gelehrten in die Steppen Sibiriens zu schicken. Dort solle man auf ungeheuer ausgedehnten Ebenen unermessliche geometrische Figuren mit Hilfe beleuchteter Metallspiegel entwerfen, unter anderen das Quadrat der Hypotenuse, das die Franzosen gewöhnlich »Eselsbrücke« nennen. »Jedes intelligente Wesen«, sagt der Geometer, »muss die wissenschaftliche Bedeutung dieser Figur begreifen. Wenn es nun Mondbewohner gibt, so werden sie mit einer ähnlichen Figur antworten, und ist einmal die Verbindung eingerichtet, so ist's keine schwere Sache, ein Alphabet zu schaffen, welches in Stand setzt, sich mit den Bewohnern des Mondes zu unterhalten.« So lautet der Vorschlag des deutschen Geometers, aber er kam nicht zur Ausführung, und bis jetzt ist noch keine direkte Verbindung zwischen der Erde und ihrem Trabanten eingerichtet. Aber es ist dem praktischen Genie der Amerikaner vorbehalten, die Verbindung mit der Sternenwelt ins Leben zu rufen. Das Mittel dafür ist einfach, leicht, sicher, unfehlbar; mein Vorschlag wird's Ihnen auseinandersetzen.«

Lauter Beifall, ein Sturm von Zurufen erfolgte. Es war auch nicht ein Einziger unter den Anwesenden, der nicht von den Worten des Redners bewältigt, hingerissen wurde.

– Hört! Hört! Stille doch! rief man auf allen Seiten.

Als es wieder ruhig geworden, fuhr Barbicane mit ernsterer Stimme fort:

»Sie wissen, welche Fortschritte die Ballistik seit einigen Jahren gemacht hat, und zu welch hohem Grade der Vollkommenheit diese Waffen gelangt wären, wenn der Krieg fortgedauert hätte. Ebenso ist's Ihnen im Allgemeinen nicht unbekannt, dass die Widerstandskraft der Kanonen und die Treibkraft des Pulvers ohne Grenzen sind. Nun! von diesem Grundgedanken ausgehend, habe ich mir die Frage gestellt, ob es nicht, vermittelst hinreichender Vorrichtung innerhalb bestimmter Widerstandsbedingungen, möglich wäre, ein Geschoß bis zum Mond zu entsenden!«

Bei diesen Worten entfuhr ein staunendes »Oh!« aus beklommener Brust von Tausenden; dann nach einer kleinen Pause, gleich der Stille, welche dem Donner vorausgeht, entlud sich ein gewitterartiger Beifallssturm von Schreien und Rufen, dass der Sitzungssaal davon erbebte. Der Präsident versuchte zu sprechen; vergebens. Erst nach zehn Minuten konnte er zum Wort kommen.

»Lassen Sie mich ausreden, fuhr er kalt fort. Ich habe die Frage unter allen Gesichtspunkten betrachtet, habe sie entschlossen angefasst, und aus meinen unbestreitbaren Berechnungen ergibt sich, dass jedes Geschoß, das mit einer anfänglichen Geschwindigkeit von zwölftausend Yards in der Sekunde in der Richtung nach dem Mond hinab geschleudert wird, notwendig dort anlangen muss. Ich habe daher die Ehre, meine wackeren Kollegen, Ihnen dieses kleine Experiment vorzuschlagen!«

Welchen Eindruck Barbicanes Mitteilung machte

Der Eindruck, welchen diese letzten Worte des ehrenwerten Präsidenten machten, lässt sich nicht beschreiben. Das war ein Schreien! ein Grunzen! ein Rufen mit Hurra! Hip! Hip! Hip! und allen den Naturlauten, woran die amerikanische Sprache so reich ist; es war ein Getümmel, ein Lärmen ohne Gleichen! Die Kehlen schrien, die Hände klatschten, die Füße stampften den Boden. Kein Wunder das: es gibt Kanoniere, die im Lärmen mit ihren Kanonen wetteifern.

Barbicane bewahrte mitten in diesem Enthusiasmus seine Kaltblütigkeit; seine Handbewegungen forderten vergebens zur Stille auf, die donnernden Töne seiner Glocke wurden nicht gehört. Man riss ihn von seinem Präsidentenstuhl und trug ihn im Triumph umher.

Ein Amerikaner lässt sich nicht in Bestürzung versetzen. Für den Begriff »unmöglich« findet sich in seinem Wörterbuch kein Ausdruck. In Amerika ist Alles leicht, einfach, die mechanischen Schwierigkeiten sind wie totgeboren. Ein wahrer Yankee war nicht im Stande, nur einen Schein von Schwierigkeit zwischen Barbicanes Vorschlag und seiner Ausführung zu erkennen. Gesagt, getan.

Der Triumphzug des Präsidenten dauerte den ganzen Abend! es war ein echter Fackelzug. Irländer, Franzosen, Schotten, alle die gemischten Nationalitäten, woraus die Bevölkerung Marylands besteht, schrien in ihrer Muttersprache, und es mischten sich die Vivat! Hurra! und Bravo! in einem Schwung, der über alle Beschreibung geht.

Luna, als begriffe sie, dass es sich um sie handle, strahlte in heiterer Pracht, die irdischen Feuer verdunkelnd. Alle Yankees richteten die Blicke nach ihrer glänzenden Scheibe; die Einen grüßten sie mit der Hand, die Anderen mit zärtlichen Worten; diese maßen sie mit den Augen, Andere drohten mit der Faust: ein Optiker hatte bis Mitternacht nur Augengläser zu verkaufen. Frau Luna wurde wie eine Dame der hochvornehmen Welt gemustert, und das mit einer Rücksichtslosigkeit, wie sie amerikanischen Gutsbesitzern eigen ist. Gerade als gehöre die blonde Phöbe bereits ihren kühnen Eroberern an als Gebietsteil der Union. Und doch handelte sich's erst darum, ein Geschoß zu ihr zu schleudern: eine ziemlich brutale Art Verbindungen anzuknüpfen, selbst gegenüber einem Trabanten; doch ist sie unter den zivilisierten Nationen sehr in Gebrauch.

Es war Mitternacht, und der Enthusiasmus war auf seinem Höhepunkt, verbreitete sich gleichmäßig unter allen Klassen der Bevölkerung: die Stadtbehörden, Gelehrten, Großhändler und Kaufleute, Lastträger, verständige Leute und Gelbschnäbel, fühlten sich bis in die zartesten Fasern des Daseins aufgeregt; es handelte sich um eine Nationalunternehmung; so waren denn auch die Ober- und Unterstadt, die Quais an den Ufern des Patapsco, die Fahrzeuge in ihren Bassins dicht voll gedrängt von einer Menge im Rausch der Freude, des Gin und Whisky; jeder plauderte, schwatzte, disputierte, diskutierte, billigte, klatschte, von dem Gentleman, der auf dem Kanapee der Schenkstube vor seinem Schoppen Sherry-Cobbler [Anm.: Eine Mischung von Rum, Orangensaft, Zucker, Zimt und Muskat] flegelhaft hingestreckt lag, bis zu dem Bootsmann, der in den dunkeln Kneipen von Fells-Point sich mit »Knock me down« [Anm.: Eng.: »Schlag mich um«, ein sehr starkes Bier] betrank.

Gegen zwei Uhr legte sich die Aufregung. Nun gelang es dem Präsidenten heim zu kommen, wie ein geräderter Mann. Es gehörte eine Herkulesnatur dazu, solch einen Enthusiasmus zu bestehen. Die Menge auf den Straßen verlief sich allmählich. Die vier Eisenbahnen, welche in Baltimore zusammentreffen, nach dem Ohio, Susquehannah, Philadelphia und Washington, führten das auswärtige Publikum nach den vier Weltgegenden zurück, und die Stadt kam wieder in einen verhältnismäßig ruhigeren Zustand.

Übrigens wäre es ein Irrtum, wenn man glaubte, nur zu Baltimore habe diesen Abend solche Aufregung geherrscht. Die großen Städte der Union, New York, Boston, Albany, Washington, Richmond, Crescent City [Anm.: New Orleans], Charleston, Mobile, von Texas bis Massachusetts, von Michigan bis Florida, nahmen alle Teil an der Schwärmerei der Begeisterung. Die dreißigtausend korrespondierenden Mitglieder des Gun Clubs kannten ja den Brief ihres Präsidenten, und warteten mit gleicher Ungeduld auf die merkwürdige Mitteilung des 5. Oktober. Sowie daher die Worte des Redners seinen Lippen entströmten, wurden sie noch denselben Abend von den Telegrafendrähten durch alle Staaten der Union befördert, mit einer Schnelligkeit von zweihundertachtundvierzigtausendvierhundertsiebenundvierzig (engl.) Meilen in der Sekunde. Man kann also ganz bestimmt sagen, dass die Vereinigten Staaten Amerikas, welche zehnmal so groß als Frankreich sind, in demselben Augenblick in einem einzigen Hurra zusammen stimmten, und dass fünfundzwanzig Millionen Herzen, von Stolz geschwellt, denselben Pulsschlag fühlten.