Von der Erde zum Mond - Jules Verne - E-Book

Von der Erde zum Mond E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

50 Jahre Mondlandung - Wo waren Sie, als Neil Armstrong und Buzz Aldrin am 21. Juli 1969 um 3.45 Uhr MEZ als erste Menschen den Mond betraten? Reisen in ferne Galaxien haben die Phantasie der Menschen seit jeher beflügelt. Auch Jules Verne, der Meister der Reise- und Abenteuerromane, war fasziniert davon und nahm in seinen Romanen literarisch schon vieles vorweg, das mit der Mondlandung 1969 Realität werden sollte. Nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs kommen zwei geniale Wissenschaftler, Mitglieder eines Kanonenclubs, auf die wahnwitzige Idee, ein riesiges Geschoss Von der Erde zum Mond zu schicken. Aber wie soll das gelingen? Und kann man nicht sogar eine Kapsel bauen, in der Menschen mitfliegen können? »Von der Erde zum Mond« (1865) erzählt von den Vorbereitungen dieser aberwitzigen und kostspieligen Reise, die trotz aller Widrigkeiten gelingt: Drei Menschen und zwei Hunde werden mit einer Riesenkanone in das Weltall geschossen. In dem Folgeroman »Reise um den Mond« (1869) erleben die drei Abenteurer eine turbulente Reise durch Raum und Zeit, bis sie von der Anziehungskraft des Mondes eingefangen werden. Fasziniert beobachten sie diese «Neue Welt», müssen aber auch große Gefahren wie Kälte und Meteoriteneinschläge bestehen. Werden sie je von dort entkommen? Neben den akribisch genau recherchierten wissenschaftlichen Fakten bestechen beide Romane auch durch feine Satire und beißenden Spott.

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Seitenzahl: 249

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Jules Verne

Von der Erde zum Mond

Roman

Ungekürzte Übersetzung aus dem Französischen von Manfred Kottmann

FISCHER E-Books

Inhalt

I – Der KanonenclubII – Die Rede von Präsident BarbicaneIII – Die Wirkung der Rede von Präsident BarbicaneIV – Die Antwort der Sternwarte von CambridgeV – Die Geschichte des MondesVI – Was in den Vereinigten Staaten nicht mehr ignoriert und was nicht mehr geglaubt werden darfVII – Das Lob der KanonenkugelVIII – Die Geschichte der KanoneIX – Die Frage des SchießpulversX – Auf fünfundzwanzig Millionen Freunde kommt ein FeindXI – Florida und TexasXII – Urbi et orbi, für die Stadt und den ErdkreisXIII – Stone’s HillXIV – Hacke und KelleXV – Der Guss wird gefeiertXVI – Die KolumbiadeXVII – Ein Telegramm aus ParisXVIII – Der Passagier der AtlantaXIX – Ein MeetingXX – Argument und GegenargumentXXI – Wie ein Franzose einen Streit schlichtetXXII – Ein neuer Bürger der Vereinigten StaatenXXIII – Vom Geschoss zum GefährtXXIV – Das Teleskop in den Rocky MountainsXXV – Die letzten EinzelheitenXXVI – Feuer!XXVII – Bedeckter HimmelXXVIII – Ein neuer Himmelskörper

IDer Kanonenclub

Während des amerikanischen Bürgerkriegs wurde in Baltimore, im US-Bundesstaat Maryland, ein sehr einflussreicher neuer Club gegründet. Es ist bekannt, welchen starken Sinn die Amerikaner, ein Volk von Reedern, Händlern und Ingenieuren, fürs Militärische entwickelt haben und mit welcher Tatkraft und mit welchem Erfindungsreichtum sie die Entwicklung auf diesem Gebiet vorangetrieben haben. Die einfachen Krämer sprangen über ihre Ladentische und meldeten sich als Hauptleute, Oberste oder Generäle zu den Waffen, ohne sich lange mit einer gründlichen Ausbildung in der Militärakademie von West Point aufzuhalten. Und tatsächlich waren sie schon bald in der »Kriegskunst« ebenso gut beschlagen wie ihre Kollegen im alten Europa, und wie diese errangen sie ihre Siege, indem sie ungeheure Mengen von Geschossen, Geld und Menschen verpulverten.

Worin die Amerikaner die Europäer aber ganz schnell auf einzigartige Weise überflügelten, war die Ballistik. Ihre Geschosse und Kanonen waren vielleicht nicht völlig perfekt, aber sie hatten so riesenhafte Ausmaße, dass sie eine bis dahin unbekannte Reichweite erzielten. Was Flach-, Bogen- oder Direktschüsse, Seiten-, Längs- oder Rückenbestreichung angeht, brauchen Engländer, Franzosen oder Preußen nichts dazuzulernen. Aber ihre Kanonen, Haubitzen und Mörser sind Kinderspielzeuge im Vergleich zu den furchtbaren Geschützen der amerikanischen Artillerie.

Das ist nicht weiter verwunderlich. Denn, wie die Italiener geborene Musiker und die Deutschen geborene Philosophen sind, sind die Yankees die besten Maschinenkonstrukteure der Welt, die geborenen Ingenieure. Es ist also ganz normal, dass sie sich auch wagemutig und findig, wie sie waren, mit der Wissenschaft der Ballistik beschäftigten. Also bauten sie ihre Riesenkanonen, die vielleicht nicht so nützlich waren wie Nähmaschinen, aber ebenso bestaunt und bewundert werden. Man kennt inzwischen die Wunderwerke von Parrot, Dahlgreen und Rodman, vor denen die Geschütze der europäischen Waffenschmieden Armstrong, Pallisser und Treuille de Beaulieu nicht bestehen können.

Im schrecklichen Kampf zwischen Nord- und Südstaaten spielten die Geschützbauer folglich eine wichtige Rolle. In den Zeitungen der Union wurden ihre Erfindungen enthusiastisch gefeiert, und jeder kleine Kaufmann und jeder einfältige Tölpel zerbrach sich Tag und Nacht den Kopf über die unsinnigsten Flugbahnberechnungen.

Wenn ein Amerikaner eine Idee hat, sucht er einen zweiten Amerikaner, der sie mit ihm teilt. Wenn sie zu dritt sind, wählen sie einen Präsidenten, dem zwei Sekretäre zur Seite stehen. Zu viert ernennen sie einen zum Archivar, dann ist das Komitee komplett. Und zu fünft berufen sie eine Generalversammlung, und der Club ist gegründet. So geschah es in Baltimore. Der erste Erfinder einer neuen Kanone tat sich mit dem ersten Kanonengießer und dem ersten, der sie bohrte, zusammen. Und schon hatte sich der Kern des Kanonenclubs gebildet. Einen Monat nach seiner Gründung zählte er bereits 1830 aktive und 30575 korrespondierende Mitglieder.

Beitreten konnte dem Club aber nur, wer ein Geschütz, oder zumindest irgendeine Schusswaffe, erfunden oder verbessert hatte. Allerdings genossen die Erfinder von fünfzehnschüssigen Revolvern, von Trommelkarabinern oder von Seitengewehren kein besonderes Ansehen. Die Geschützbauer gaben in jeder Hinsicht den Ton an.

»Das Ansehen der Geschützbauer«, erklärte einmal einer der klügsten Köpfe des Clubs, »wächst proportional zum Umfang ihrer Kanonen und lässt sich absolut an deren Reichweite bemessen!« Es fehlte nicht viel, dass das Newton’sche Gravitationsgesetz auf die sittliche Grundordnung übertragen wurde.

Man kann sich leicht vorstellen, was der amerikanische Erfindergeist nach der Gründung des Kanonenclubs in dieser Richtung hervorbrachte. Die Kriegsmaschinen entwickelten sich zu Kolossen, und die Geschosse flogen oft über die Sperrzonen hinaus und zerfetzten harmlose Spaziergänger. Und in jeder Hinsicht ließen sie das kümmerliche Artilleriegerät der Europäer weit hinter sich. Das machen die folgenden Zahlen deutlich.

In der »guten, alten Zeit« durchschlug eine Sechsunddreißigpfundkugel auf hundert Meter Entfernung sechsunddreißig Pferde und achtundsechzig Mann. Das waren die Anfänge der Artillerie. Seither hat sich viel verändert. Die Rodman-Kanonen hätten mit ihren fünfhundert Kilo schweren Geschossen, die fast zwölf Kilometer weit flogen, mühelos hundertfünfzig Pferde und dreihundert Mann umgehauen. Im Kanonenclub wurde sogar ernstlich eine Probe aufs Exempel diskutiert. Die Pferde hätten schon mitgemacht, aber den Soldaten fehlte leider der Mumm.

Jedenfalls waren diese Geschütze mörderische Waffen, und bei jedem Treffer fielen die Gegner wie Getreide unter einem Sensenhieb. Was war gegen solche Geschosse schon die berühmte Kugel, die 1587 bei Coutras fünfundzwanzig Mann außer Gefecht setzte? Oder die andere, die 1758 bei Zorndorf vierzig Infanteristen tötete? Oder die österreichische Kanone von Kesseldorf, die 1742 bei jedem Schuss siebzig feindliche Soldaten zu Boden warf? Und was waren dagegen die Kanonaden von Jena und Austerlitz, die über den Ausgang dieser Schlachten entschieden? Im amerikanischen Bürgerkrieg hatte man andere Dinge gesehen. In der Schlacht von Gettysburg traf ein kegelförmiges Geschoss aus einer gezogenen Kanone hundertdreiundsiebzig Konföderierte. Und als die Yankees den Potomac überquerten, schoss eine Rodman-Kanone zweihundertfünfzehn Südstaatler in eine zweifellos bessere Welt. Erwähnenswert ist auch der fürchterliche Mörser, den J.-T. Maston erfunden hat, ehrenwertes Mitglied und Generalsekretär des Kanonenclubs: Auch dieser Mörser war eine tödliche Waffe, denn bei seiner Erprobung tötete er dreihundertsiebenunddreißig Menschen – weil er schlicht und einfach explodierte!

Diese Zahlen sprechen für sich. Und man muss auch die Rechnung des Statistikers Pitcairn gelten lassen, der die Zahl der im Geschosshagel Gefallenen durch die Mitgliederzahl des Kanonenclubs teilte und errechnete, dass jeder von diesen durchschnittlich 2375 Mann ins Jenseits befördert hat. Offenbar war also das Hauptanliegen dieser gelehrten Vereinigung die Ausrottung der Menschheit in menschenfreundlicher Absicht und die Perfektionierung der Kriegswaffen, die sie als Instrumente des Zivilisationsprozesses ansah. Der Kanonenclub war eine Vereinigung von Würgeengeln, die im Grunde die besten Menschen der Welt waren.

Erwähnen muss man auch noch, dass diese Yankees in allen Dingen tapfere Burschen waren, nicht nur in der Theorie, sondern auch an der Front. Unter ihnen befanden sich Offiziere vom Leutnant bis zum General und vom Grünschnabel bis zum alten Haudegen. Viele von ihnen ließen ihr Leben auf dem Schlachtfeld; ihre Namen stehen im Ehrenbuch des Clubs. Und die meisten Überlebenden trugen die Spuren ihrer unbestreitbaren Tapferkeit: Krücken, Holzbeine, künstliche Armgelenke und Hände, Kiefer aus Kautschuk, Silberplatten in der Schädeldecke, Nasen aus Platin. Es gab kaum etwas, was es nicht gab. Der erwähnte Pitcairn errechnete auch, dass im Kanonenclub nach dem amerikanischen Bürgerkrieg ein Arm auf vier und nur zwei Beine auf sechs Personen kamen.

Aber die wackeren Kanonenexperten schauten nicht so genau hin. Sie waren vielmehr stolz, wenn ein Schlachtenbericht zehnmal mehr Opfer als Geschosse verzeichnete.

Doch dann kam für sie der traurige Tag, an dem die Überlebenden des Krieges Frieden schlossen. Die Detonationen verebbten nach und nach, die Mörser verstummten, die Haubitzen wurden abgedeckt. Die Kanonen kehrten mit hängenden Köpfen in die Arsenale zurück, in denen sich die Kugeln türmten. Die Erinnerungen an das geflossene Blut verblassten: Die Baumwollfelder, die damit getränkt waren, trugen eine neue üppige Saat. Mit der Trauerkleidung legt man auch den Schmerz ab. Und im Kanonenclub breitete sich Untätigkeit aus.

Ein paar Übereifrige stellten immer noch ballistische Berechnungen an und träumten von riesigen Granaten und unvergleichlichen Geschossen. Aber was nützten die blassen Theorien ohne die blutige Praxis? Und so leerten sich die Räume des Clubs, die Dienstboten dösten in den Vorzimmern, auf den Tischen vergilbten die Zeitungen, und aus den dunklen Ecken erklang trauriges Schnarchen. Die Mitglieder des Kanonenclubs, die einen solchen Kriegslärm veranstaltet hatten, waren durch den vernichtenden Frieden zum Schweigen gebracht und verloren sich in Träumereien von einer rein imaginären Artillerie!

»Das ist ja trostlos!«, sagte eines Abends der gute Tom Hunter, während seine Holzbeine am Kamin des Rauchsalons noch rußgeschwärzter wurden. »Keine Aufgaben! Keine Zukunft! Das ist doch kein Leben! Wo sind nur die Zeiten hin, als wir jeden Morgen durch den fröhlichen Donner der Kanonen geweckt wurden?«

Am Kamin des Kanonenclubs

»Aus und vorbei«, erwiderte der muntere Bilsby und versuchte die Arme zu recken, die ihm fehlten. »Damals hat es noch Spaß gemacht, einen neuen Mörser zu erfinden! Der war kaum gegossen, da konnte man ihn schon an der Front ausprobieren. Dann kehrte man ins Lager zurück, Sherman klopfte einem aufmunternd auf die Schulter, MacClellan drückte einem anerkennend die Hand. Jetzt sind die Generäle alle an ihren Ladentisch zurückgekehrt, und statt Kanonenkugeln transportieren sie Baumwollballen! Friedenswirtschaft, pah! Die Artillerie hat keine Zukunft mehr in Amerika!«

»Richtig, Bilsby!«, rief Oberst Blomsberry. »Das Leben hat uns grausam enttäuscht! Da gibt man seinen ruhigen Alltag auf, lernt das Waffenhandwerk, verlässt Baltimore, zieht ins Feld und handelt wie ein Held. Und zwei, drei Jahre später sind die Früchte von so viel Mühe verloren, man ist zu einer jämmerlichen Untätigkeit verdammt und muss die Hände in die Taschen stecken.«

Seine erzwungene Untätigkeit so zur Schau zu stellen, wäre dem tapferen Oberst allerdings schwergefallen, wobei es nicht die Taschen waren, die ihm fehlten.

»Und kein Krieg in Sicht!«, fügte der berühmte J.-T. Maston hinzu, während er sich mit dem eisernen Haken an seinem Armstumpf die Kautschukplatte in der Schädeldecke kratzte. »Nicht das kleinste Wölkchen am Friedenshimmel, wo es doch in der Artilleriekunst noch so viel zu tun gäbe! Ich, zum Beispiel, habe heute morgen den kompletten Plan für einen Mörser fertiggestellt, der die gesamte Kriegsführung revolutionieren würde!«

»Wirklich?«, erwiderte Tom Hunter, der unwillkürlich an die letzte Erfindung des ehrenwerten J.-T. Maston denken musste.

»Ja, wirklich«, antwortete der. »Aber was nützen all die einwandfreien Pläne, all die Schwierigkeiten, mit denen man kämpfen muss, um sie in die Tat umzusetzen, wenn am Ende doch alles vergeblich ist? In der Neuen Welt scheinen die Menschen in Frieden leben zu wollen. Unsere kämpferische Tribune sagt bereits voraus, dass die nächsten Katastrophen eine Folge des skandalösen Bevölkerungswachstums sein werden!«

»Währenddessen führen die Nationen in Europa immer noch Kriege gegeneinander«, sagte Oberst Blomsberry.

»Na und?«

»Na, vielleicht könnten wir unser Glück dort versuchen. Wenn man unsere Dienste annimmt …«

»Wie?«, rief Bilsby. »Unsere Ballistik in den Dienst des Auslands stellen?«

»Besser, als gar nichts damit zu machen«, erwiderte der Oberst.

»Sicher wäre das besser«, sagte J.-T. Maston, »aber an eine solche Notlösung sollte man nicht einmal denken.«

»Und warum nicht?«, fragte der Oberst.

»Weil man in der Alten Welt Vorstellungen über die militärische Laufbahn hat, die den unsren ganz und gar zuwiderlaufen. Diese Leute können sich nicht vorstellen, dass man Kommandierender General wird, ohne zuvor als Unterleutnant gedient zu haben. Und genauso wenig können sie sich vorstellen, dass man eine Kanone richten kann, wenn man sie nicht zuvor selbst gegossen hat! Das ist ganz einfach …«

»Grotesk!«, ergänzte Tom Hunter, der mit einem Bowiemesser die Armlehne seines Stuhles attackierte. »Unter diesen Umständen bleibt uns nichts anderes übrig, als Tabak anzupflanzen oder Tran zu sieden.«

»Soll das heißen«, rief J.-T. Maston mit dröhnender Stimme, »dass wir die letzten Lebensjahre nicht mehr der Perfektionierung von Waffen widmen werden? Und dass wir keine Gelegenheit mehr bekommen, die Reichweite unserer Geschosse zu erproben? Werden wir nie mehr den Himmel mit den Blitzen unserer Kanonen erleuchten? Ja, gibt es denn keine internationalen politischen Verwicklungen mehr, aufgrund deren wir einer transatlantischen Macht den Krieg erklären könnten? Werden die Franzosen keines unserer Dampfschiffe mehr versenken? Und die Engländer hängen unter Missachtung der Menschenrechte nie mehr einen unserer Landsleute auf?«

»Nein, Maston«, antwortete Oberst Blomsberry, »dieses Glück haben wir nicht. Nicht einer dieser Umstände wird eintreten. Und wenn es der Fall wäre, hätten wir dennoch nichts davon, da die Amerikaner immer mehr zu Memmen werden!«

»Das stimmt! Wir demütigen uns geradezu!«, erwiderte Bilsby.

»Und wir werden gedemütigt«, bemerkte Tom Hunter.

»Das ist leider allzu wahr«, sagte J.-T. Maston, erneut aufbrausend. »Tausend Gründe, sich zu schlagen, liegen in der Luft. Aber es gibt keinen Krieg. Arme und Beine werden geschont, aber die Leute wissen nichts damit anzufangen. Dabei brauchte man gar nicht lange nach einem Kriegsgrund zu suchen … Nordamerika hat doch früher den Engländern gehört, oder?«

»Na, sicher«, antwortete Tom Hunter und stocherte wütend mit seiner Krücke im Feuer.

»Sehen Sie? Warum sollte dann heute England nicht den Amerikanern gehören?«

»Das wäre nur recht und billig!«, stimmte Oberst Blomsberry zu.

»Aber der Präsident der Vereinigten Staaten«, sagte J.-T. Maston, »wäre von diesem Vorschlag nicht begeistert.«

»Nicht besonders«, murmelte Bilsby zwischen den vier Zähnen, die ihm nach dem Krieg geblieben waren.

»Verdammt«, rief J.-T. Maston, »bei den nächsten Wahlen kann er mit meiner Stimme nicht rechnen!«

»Mit unserer auch nicht!«, stimmten die anderen kriegerischen Invaliden zu.

»Aber wenn man mir bis dahin, und das will ich zum Abschluss noch sagen«, fügte J.-T. Maston hinzu, »keine Gelegenheit gibt, meinen neuen Mörser auf einem richtigen Schlachtfeld zu erproben, scheide ich aus dem Kanonenclub aus und vergrabe mich in der Prärie von Arkansas.«

»Da kommen wir mit!«, versprachen die Gefährten des kühnen J.-T. Maston.

So stand es um die Mitglieder und den Club, dessen baldige Schließung drohte, als ein unvorhergesehenes Ereignis diese Katastrophe gerade noch verhinderte. Am Morgen nach dieser Unterhaltung erhielt nämlich jedes Clubmitglied ein Rundschreiben mit dem folgenden Wortlaut:

Baltimore, den 3. Oktober

Der Präsident des Kanonenclubs beehrt sich, seine Kollegen zu unterrichten, dass er auf der Versammlung am 5. des Monats eine Mitteilung zu machen hat, die ihr lebhaftestes Interesse finden wird. Deshalb bittet er alle Mitglieder, der Einladung, die hiermit ausgesprochen ist, unbedingt Folge zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Impey Barbicane

Präsident des Kanonenclubs

IIDie Rede von Präsident Barbicane

Am 5. Oktober, um acht Uhr abends, drängte sich eine große Menschenmenge in den Räumen des Kanonenclubs am Union Square Nr. 21. Alle in Baltimore ansässigen Mitglieder des Clubs waren der Einladung ihres Präsidenten gefolgt. Die korrespondierenden Mitglieder waren zu Hunderten mit Schnellzügen in die Stadt gekommen, und so groß der »Große Saal« des Clubs auch war, er bot doch nicht allen Platz. Die Menge wich in die benachbarten Räume aus, drängte sich auf den Fluren und vermischte sich auf dem Hof vor dem Gebäude mit den Neugierigen aus der Bevölkerung, die sich um die Türen scharten und auch mit dabei sein wollten, wenn Präsident Barbicane seine bedeutsame Mitteilung machte. Die Menschen drängten und stießen sich und erdrückten sich fast mit jener Handlungsfreiheit, die den Massen in einer sich selbst regierenden, demokratischen Gesellschaft zugestanden wird.

An diesem Abend hätte sich ein Fremder in Baltimore auch nicht mit Geld und Gold einen Platz im Großen Saal ergattern können. Nur ordentliche und korrespondierende Mitglieder durften ihn betreten, und die Honoratioren und die gewählten Volksvertreter der Stadt mussten sich unter ihr Wahlvolk mischen in der Hoffnung, die angekündigten Informationen aus dem Inneren des Gebäudes erhaschen zu können.

Der Große Saal bot indessen einen eigenartigen Anblick, der seiner Bestimmung aber hervorragend entsprach. Hohe Säulen aus aufeinandergestapelten Kanonenrohren ruhten auf Fundamenten aus Mörsern und trugen das feine, wie gehäkelt wirkende Gewölbe aus gusseisernen Lochmasken. Eine Sammlung von Stutzen, Musketonen, Hakenbüchsen, Karabinern und allen möglichen alten und modernen Feuerwaffen diente als Dekoration der Wände in einem vielfältigen Ineinander und Übereinander. Aus unzähligen Revolvern, die zu Kronleuchtern angeordnet waren, züngelten Gasflammen ebenso wie aus Revolvergirlanden und aus gebündelten Gewehrläufen, so dass der Saal hell erleuchtet war. Die Kanonenmodelle, die Legierungsproben aus Bronze, die durchlöcherten Zielscheiben und Panzerplatten, die Sammlung von Setzern und Wischern, die Colliers und Girlanden aus Granatsplittern und Patronen, all diese Artilleriematerialien boten dem Auge einen überraschenden Anblick, weil sie so angeordnet waren, dass man meinen konnte, sie seien als Schmuckwerk und nicht als tödliche Waffen gedacht und gemacht worden.

Den Ehrenplatz in einer herrlichen Vitrine nahm ein Verschlussstück ein, das vom Sprengpulver zerrissen und verbogen war und von der explodierten Kanone von J.-T. Maston stammte.

Auf einem Podium an der Kopfseite des Saales saß der Präsident, flankiert von vier Sekretären. Sein Sessel war aus einem Lafettenstück hergestellt, das im rechten Winkel nach oben wies und an Zapfen auf einem Gestell hing, so dass das Ganze wie ein 800-mm-Mörser wirkte, in dem sich der Präsident wie in einem Schaukelstuhl wiegen konnte. Auf der eisernen Tischplatte vor ihm, die sechs Kanonenrohre als Füße hatte, sah man ein besonders exquisites Tintenfass, das aus einem Kartätschenschloss gefertigt war. Daneben stand eine Schlagglocke. Wenn sie betätigt wurde, knallte es wie ein Revolverschuss. Doch übertönte ihr Knall kaum die hitzig diskutierenden Artilleristen.

Vor dem Podium waren Bänke im Zickzack aufgestellt, deren Anordnung einer Verteidigungslinie mit Schanzanlagen glich und auf denen sich die Mitglieder des Kanonenclubs dichtgedrängt nebeneinander niederließen, so dass man sagen konnte, dass an diesem Abend »die Wälle gut besetzt waren«. Man kannte den Präsidenten gut genug, um zu wissen, dass er die Versammlung nicht ohne triftigen Grund einberufen hatte.

Der vierzigjährige Impey Barbicane trat ruhig, beherrscht und streng auf; sein Verstand arbeitete gewissenhaft, konzentriert und exakt wie ein Uhrwerk; er unterlag keinen Stimmungsschwankungen und besaß einen grundsoliden Charakter; Ritterlichkeit zeichnete ihn nicht aus, dafür aber Wagemut, gepaart mit einem Realitätssinn, der ihn auch bei den kühnsten Unternehmungen nicht im Stich ließ. Barbicane war der typische Neuengländer und Nordstaatenpionier, ein Abkömmling der Gegner der katholischen Stuarts im Vereinigten Königreich und ein Erzfeind der Herren Südstaatler, dieser ehemaligen Kavalleristen aus dem ehemaligen Mutterland. Mit einem Wort: Er war von Kopf bis Fuß ein Yankee.

Präsident Barbicane war von Kopf bis Fuß ein Yankee

Barbicane hatte als Holzhändler ein großes Vermögen erworben. Im Krieg hatte man ihm das Oberkommando über die Artillerie übertragen. Er hatte Innovationen angeregt und mit seinen kühnen Ideen für die großen Fortschritte dieser Waffengattung gesorgt, der er ein nie gekanntes praktisches Erprobungsfeld verschafft hatte. Er war von mittlerem Wuchs und stellte insofern eine Ausnahmeerscheinung unter den Clubmitgliedern dar, als er noch alle Gliedmaßen besaß. Seine ausgeprägten Gesichtszüge schienen mit Lineal und Winkelmaß gezogen. Und wenn es wahr ist, dass man die Charakterzüge eines Menschen an seinem Profil erkennt, konnte man aus dem seinen Tatkraft, Mut und Kaltblütigkeit ablesen.

Im Augenblick saß er unbeweglich und stumm und ganz nach innen gekehrt in seinem Sessel, den Blick unter dem hohen, seidenglänzenden schwarzen Zylinder verborgen, den die Amerikaner so tragen, als sei er ihnen auf den Kopf geschraubt.

Er achtete nicht auf die lärmende Unterhaltung seiner Kollegen, die sich gegenseitig mit Fragen und Mutmaßungen bombardierten und immer wieder vergeblich im unbeweglichen Gesichtsausdruck ihres Präsidenten das Geheimnis auszukundschaften versuchten, das er ihnen mitteilen wollte.

Als die Uhr im großen Saal acht schlug, dass es wie Salutschüsse krachte, schnellte Impey Barbicane, wie von einer Sprungfeder getrieben, hoch. Sofort kehrte Ruhe ein, und er begann mit großem Nachdruck zu sprechen.

»Werte Kollegen! Schon allzu lange hat ein unfruchtbarer Frieden die Mitglieder des Kanonenclubs in eine bedauerliche Untätigkeit gestürzt. Nach wenigen Jahren voller Aktivität mussten wir unsere Arbeit liegenlassen und mitten auf dem Weg des Fortschritts haltmachen. Ich habe keine Bedenken, laut zu sagen, dass jeder Krieg, der uns wieder die Waffen in die Hand geben würde, willkommen wäre …«

»Ja, Krieg!«, rief J.-T. Maston mit dröhnender Stimme.

»Hört, hört!«, ertönte es von allen Seiten.

»Aber Krieg«, fuhr Barbicane fort, »ist gegenwärtig ausgeschlossen. Der Hoffnung des ehrenwerten Zwischenrufers steht entgegen, dass noch viele Jahre vergehen werden, bis unsere Kanonen wieder über ein Schlachtfeld donnern. Das muss man akzeptieren, und dann muss man umdenken, damit für unseren Tatendrang ein neues Betätigungsfeld gefunden werden kann!«

Die Versammelten spürten, dass ihr Präsident zum Kern seiner Botschaft gelangte, und sie lauschten ihm noch angespannter.

»Seit einigen Monaten, verehrte Kollegen«, sagte Barbicane, »habe ich mich gefragt, ob wir nicht mit unserer ganz besonderen Erfahrung ein großes Projekt in Angriff nehmen könnten, das dem neunzehnten Jahrhundert angemessen wäre, und ob uns nicht die bisherigen Fortschritte in der Ballistik helfen könnten, es erfolgreich zu Ende zu führen. Ich habe geforscht, studiert, berechnet, und das Ergebnis meiner Arbeit ist die Überzeugung, dass wir dieses Projekt erfolgreich durchführen können, auch wenn es in jedem anderen Land unmöglich wäre. Über dieses Projekt, das bereits reiflich durchdacht ist, möchte ich zu Ihnen sprechen. Es ist Ihrer wert, es ist der Tradition des Kanonenclubs wert, und es wird für Aufsehen in der ganzen Welt sorgen!«

»Viel Aufsehen?«, rief ein Clubmitglied erregt.

»Viel Aufsehen und viel Lärm, im wahrsten Sinne des Wortes«, antwortete Barbicane.

»Keine Zwischenrufe mehr!«, riefen einige andere Clubmitglieder.

»Ich bitte nun um Ihre volle Aufmerksamkeit, werte Kollegen«, sagte Barbicane. Eine Welle der Erregung ging durch die Zuhörerschaft. Impey Barbicane rückte mit einer raschen Bewegung seinen Zylinder zurecht und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Sie alle, verehrte Kollegen, haben schon oft den Mond gesehen oder über den Mond gesprochen. Ich rede von diesem Gestirn der Nacht, weil es uns vorbehalten sein kann, die Rolle des Kolumbus auf diesem unerforschten Weltteil zu spielen. Mit Ihrer verständigen und kraftvollen Unterstützung werde ich Sie zur Eroberung des Mondes führen, dessen Name für immer mit den sechsunddreißig vereinigten Staaten von Nordamerika verbunden bleiben wird!«

»Es lebe der Mond!«, riefen die Versammelten wie aus einer Kehle.

»Man hat den Mond beobachtet«, fuhr Präsident Barbicane fort, »und seine Masse und Dichte, sein Volumen und Gewicht, seine Entfernung und Umlaufbahn berechnet. Man hat Mondkarten angefertigt, die womöglich genauer als Erdkarten sind. Es wurden bereits fotografische Aufnahmen von unvergleichlicher Schönheit vom Mond gemacht. Kurz: Alles, was von seiten der Mathematik, Astronomie, Geologie und Optik wissenschaftlich beigetragen werden konnte, ist geschehen. Aber bis heute haben wir noch nie mit dem Mond eine direkte Verbindung aufgenommen.«

Die heftige Bewegung im Saal machte die Betroffenheit und das Interesse der Zuhörer spürbar.

»Gestatten Sie«, fuhr der Präsident fort, »dass ich Ihnen in Erinnerung rufe, wie einige Hitzköpfe vorgaben, durch Reisen in ihrer Phantasie die Geheimnisse unseres Erdtrabanten enthüllt zu haben. Im siebzehnten Jahrhundert brüstete sich ein gewisser David Fabricius damit, er habe mit eigenen Augen Bewohner des Mondes gesehen. 1649 veröffentlichte der Franzose Jean Baudoin »Die Reise des spanischen Abenteurers Domenico Gonzales zum Mond«. Zur selben Zeit brachte Cyrano de Bergerac seinen berühmten Expeditionsbericht heraus, der in Frankreich ein großer Erfolg wurde. Später verfasste ein weiterer Autor aus Frankreich, wo man sich viel mit dem Mond zu beschäftigen scheint, »Die Vielzahl der Welten«. Er hieß Fontenelle, und sein Buch war ein Meisterwerk, aber der Fortschritt der Wissenschaft überrollt auch die Meisterwerke! Ums Jahr 1835 schilderte ein Aufsatz aus dem New York American, dass Sir John Herschel zum Kap der Guten Hoffnung gesandt worden sei, wo er mit einem lichtverstärkten Teleskop den Mond wie aus einer Entfernung von fünfundsiebzig Metern beobachten konnte! Dabei hätte er Höhlen erkennen können, in denen Nilpferde lebten, und hätte grüne, goldgeränderte Hügel, elfenbeingehörnte Schafe, weiße Rehe und mit Fledermausflügeln ausgestattete Mondbewohner gesehen. Der Amerikaner Locke hatte den Aufsatz als schmales Bändchen in Buchform herausgegeben, der Republikaner Laviron übersetzte es ins Französische. Aber bald wurde klar, dass die Geschichte ein Scherz unter Gelehrten war, und die Franzosen lachten als Erste darüber.«

»Einen Amerikaner auslachen!«, rief J.-T. Maston. »Wenn das kein Grund zum Krieg ist! …«

»Beruhigen Sie sich, werter Freund! Ehe sie lachten, waren die Franzosen von unserem Landsmann glänzend aufs Eis geführt worden. Zum Schluss meines kurzen Ausflugs in die Geschichte möchte ich anführen, dass ein gewisser Hans Pfaal aus Rotterdam in einem mit einem extrem leichten Stickstoffderivat gefüllten Ballon zum Mond aufstieg und nach neunzehn Tagen ankam. Doch fand diese Reise, wie alle bereits erwähnten, nur in der Phantasie eines Schriftstellers statt. Ganz Amerika kennt dieses eigenwillige und tiefsinnige Genie. Ich spreche von Edgar Allen Poe!«

»Poe lebe hoch!«, rief die Versammlung, die unter dem Bann des Redners stand.

»Damit habe ich diese rein literarischen und völlig unzureichenden Versuche erschöpfend behandelt. Praktisch veranlagte Individuen haben jedoch versucht, ernsthaft mit unserem Nachtgestirn Kontakt aufzunehmen. Zum Beispiel hat ein deutscher Vermessungsingenieur vor ein paar Jahren vorgeschlagen, eine Expertenkommission in die Steppen Sibiriens zu schicken, um in den endlosen Ebenen dort geometrische Figuren mit Hilfe von Leuchtreflektoren zu installieren, die meinetwegen den Satz des Pythagoras veranschaulichen. Jedes intelligente Wesen, so argumentierte der Ingenieur, müsse die Bedeutung dieser Figuren verstehen. Wenn die Mondleute existierten, würden sie mit ähnlichen Figuren antworten. Wäre auf diese Weise die Verbindung einmal hergestellt, könnte man einfach ein Alphabet entwickeln, mit dem man sich mit den Bewohnern des Mondes verständigen könnte. Aber der Vorschlag des Deutschen wurde nie ausgeführt, und bis heute gibt es keine direkte Verbindung zwischen der Erde und ihrem Trabanten. So ist die Kontaktaufnahme mit der Mondwelt dem praktischen Genie der Amerikaner vorbehalten. Das Mittel hierfür ist einfach, sicher, tadellos und der Gegenstand meines nun folgenden Vorschlags.«

Der Saal war in Aufruhr. Es gab reichlich Beifall. Alle Anwesenden waren von den Worten des Redners beeindruckt, mitgerissen, begeistert.

Der Saal war in Aufruhr

»Hört, hört! Ruhe!«, schallte es von allen Seiten.

Als sich die Aufregung gelegt hatte, fuhr Barbicane mit ernster Stimme fort: »Sie alle wissen, welche Fortschritte die Ballistik im Krieg gemacht hatte und welche Perfektion der Waffensysteme hätte erreicht werden können, wenn nicht der Frieden dazwischengekommen wäre. Sie wissen auch, dass die Widerstandskraft der Kanonen und die Explosivkraft des Schießpulvers im Prinzip unbegrenzt sind. Und von diesen Gegebenheiten ausgehend, habe ich mich gefragt, ob es nicht möglich wäre, ein geeignetes, entsprechend widerstandsfähiges Geschoss auf den Mond zu katapultieren!«

Der letzte Satz entlockte tausend Kehlen ein langes »Aaah!« und »Oooh!«, und dann entlud sich die aufgestaute Spannung in einem donnernden Applaus, in Schreien und Zurufen, die den Saal erzittern ließen. Der Präsident kam nicht mehr zu Wort. Erst nach zehn Minuten konnte er weitersprechen.

»Lassen Sie mich zum Ende kommen«, sagte er kühl. »Ich habe das Projekt gründlich durchdacht und durchgerechnet und bin zu dem unbezweifelbaren Ergebnis gekommen, dass ein Geschoss, das mit einer Anfangsgeschwindigkeit von rund elftausend Metern in der Sekunde in Richtung Mond abgeschossen wird, diesen auch erreichen wird. Ich habe also die Ehre, verehrte Kollegen, Ihnen vorzuschlagen, dieses kleine Experiment zu wagen!«

IIIDie Wirkung der Rede von Präsident Barbicane

Der unmittelbare Effekt von Barbicanes Schlussworten war unbeschreiblich. Diese Schreie! Dieses Durcheinander! Diese »Hip! Hip! Hip!«-Rufe! Diese Urlaute, zu denen die Amerikaner fähig sind! Es war ein unglaublicher Tumult! Schreiende Münder, gestikulierende Hände, stampfende Füße veranstalteten mehr Lärm, als alle Waffen gemacht hätten, die in diesen Räumen zusammengetragen worden waren. Verwunderlich ist das nicht, wenn man weiß, dass die Kanoniere fast so viel Krach machen wie ihre Kanonen.

Barbicane blieb inmitten dieses Begeisterungssturms ganz gelassen. Vielleicht wollte er noch einmal das Wort an die Versammelten richten? Er winkte, sie sollten ruhig sein. Er ließ die Schlagglocke wie wild knallen. Niemand bemerkte es. Vielmehr wurde er bald von seinem Platz gerissen, sein Triumphzug begann. Die Kollegen trugen ihn auf den Schultern, die Menge schloss ihn in die Arme.

In Amerika staunt man nicht über Wunder, dort macht man sie. Man hat gesagt, dass es das Wort »unmöglich« im Französischen nicht gäbe. Da hat man sich offenbar im Wörterbuch geirrt: Das gilt für Amerika, wo alles leicht und einfach ist, wo technische Schwierigkeiten behoben sind, ehe sie bemerkt werden. Und so kam kein Einziger auf die Idee, zwischen dem Vorschlag von Barbicane und der Ausführung des Projekts auch nur die Spur einer Schwierigkeit zu entdecken. Gesagt, getan, lautete die Devise.

Der Triumphzug des Präsidenten dauerte bis spät in die Nacht. Man machte einen Fackelzug daraus. Iren, Deutsche, Franzosen, Schotten, die ganze gemischtstämmige Bevölkerung von Maryland begleitete ihn in ihren alten Landessprachen, und ihre Hoch-, Hurra- und Bravorufe mischten sich mit unbeschreiblichem Enthusiasmus.

Der Triumphzug des Präsidenten dauerte bis spät in die Nacht

Und als ahne er, dass die Show ihm galt, leuchtete der Mond in heiterem Glanz und überstrahlte alle anderen Lichter. Alle Augen der Yankees richteten sich auf seine helle Scheibe. Man winkte, man rief ihm Kosenamen zu, man maß ihn abschätzend, man drohte mit der Faust. Von acht Uhr abends bis Mitternacht machte ein Optiker aus der Jones’ Fall Street ein Vermögen mit dem Verkauf von Brillen. Das Nachtgestirn wurde durch die Lorgnons anvisiert wie eine Dame der besseren Gesellschaft.

Die Amerikaner fühlten sich ganz ungezwungen schon als Besitzer: Die blonde Phöbe schien den kühnen Eroberern bereits zu gehören, der Mond war schon so gut wie sicher ein neuer Bundesstaat der USA. Dabei ging es eigentlich darum, dass man mit einer Kanone auf ihn schoss, was eine ziemlich brutale Art der Kontaktaufnahme darstellte, die jedoch durchaus zu den üblichen Umgangsformen von zivilisierten Nationen untereinander passte.

Als es Mitternacht geschlagen hatte, ebbte die Begeisterung keineswegs ab, sondern blieb vielmehr in allen Bevölkerungsschichten erhalten. Der Beamte, der Gelehrte, der Großhändler, der Krämer, der Gepäckträger, der Mann mit Köpfchen ebenso wie der Einfaltspinsel fühlten sich im Nerv getroffen, und so geriet das Projekt zu einer nationalen Aufgabe. Durch die Ober- und durch die Unterstadt, in den billigen Hafenkneipen und auf den Schiffen an den Kais wogte die Menge, trunken von Freude, Whisky und Gin. Und alle redeten, schwätzten, diskutierten, stritten, stimmten zu, applaudierten – vom Gentleman, der sich in der Bar lässig auf dem Sofa ausgestreckt hatte und seinen Rum-Orange-Cocktail trank, bis zum Seemann, der sich in einer Spelunke von Fells Point mit Starkbier volllaufen ließ.

Gegen zwei Uhr früh ließ die Aufregung nach. Präsident Barbicane gelangte endlich nach Hause. Er war erschöpft und fühlte sich wie gerädert. Selbst ein Herkules hätte sich diesem Enthusiasmus der Massen nicht entziehen können, die nach und nach von den Plätzen und aus den Straßen verschwanden. Die vier Eisenbahnlinien, die vom Ohio, vom Susquehanna, von Philadephia und Washington nach Baltimore