Von der Finsternis ins Licht – Nordische Mythologie - Paul Herrmann - E-Book
SONDERANGEBOT

Von der Finsternis ins Licht – Nordische Mythologie E-Book

Paul Herrmann

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die bunte Welt der nordischen Mythen.

Die Sagen und Märchen der Nordgermanen sind voll von bekannten Namen: Odin, Thor oder Loki sind Charaktere, die uns vertraut sind. Doch was genau hat es mit ihrer Geschichte auf sich? Paul Herrmann eröffnet die vielschichtige Welt der nordischen Mythen und lädt ein auf eine Reise in einen Sagenschatz voller Götter und Göttinnen, Elfen und Geister.

Ein fundierter, leicht verständlicher Einblick in die Welt der Götter von Walhall.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Die bunte Welt der nordischen Mythen.

Die Sagen und Märchen der Nordgermanen sind voll von bekannten Namen: Odin, Thor oder Loki sind Charaktere, die uns vertraut sind. Doch was genau hat es mit ihrer Geschichte auf sich? Paul Herrmann eröffnet die vielschichtige Welt der nordischen Mythen und lädt ein auf eine Reise in einen Sagenschatz voller Götter und Göttinnen, Elfen und Geister.

Ein fundierter, leicht verständlicher Einblick in die Welt der Götter von Walhall

Über Paul Herrmann

Paul Herrmann wurde 1866 in Burg bei Magdeburg geboren. Er studierte an der Universität Straßburg Deutsche Altertumskunde und Alte Sprachen. Zwischen 1904 und 1914 unternahm er mit Unterstützung des Preußischen Unterrichtsministeriums drei Studienreisen nach Island, die vor allem der Erforschung der Kultur- und Sprachgeschichte des Insellandes dienten. 1931 wurde Herrmann zum Mitbegründer der »Vereinigung der Islandfreunde«. Im Ergebnis jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem deutschen Altertum, dem Studium der Mythologie und Sagengeschichte der germanischen Völker sowie der altnordischen Sprache und Literatur veröffentlichte er zwischen 1898 und 1929 eine große Anzahl Bücher zur deutschen und nordischen Mythologie sowie Übersetzungen altnordischer Texte. Für seine Forschungen erhielt Paul Herrmann einen Preis der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Er starb 1930 in Torgau.

Im Aufbau Taschenbuch liegen von ihm vor: »Vom Anfang und Ende der Welt. Deutsche Mythologie« und »Von der Finsternis ins Licht. Nordische Mythologie«.

ABONNIEREN SIE DEN NEWSLETTERDER AUFBAU VERLAGE

Einmal im Monat informieren wir Sie über

die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr

Folgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:

https://www.facebook.com/aufbau.verlag

Registrieren Sie sich jetzt unter:

http://www.aufbau-verlag.de/newsletter

Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir

jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!

Paul Herrmann

Von der Finsternis ins Licht

Nordische Mythologie

Herausgegeben von Thomas Jung

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Newsletter

Vorwort

I Der Seelenglaube

1. Bedeutung des Todes für die Entstehung mythologischer Vorstellungen

2. Bedeutung des Traumes für die Entstehung mythologischer Vorstellungen

3. Hexen

4. Werwolf und Berserker

5. Disen, Hamingja und Fylgja

6. Nornen

7. Walküren

8. Schwanjungfrauen

II Übergang vom Seelenglauben zur Naturverehrung

1. Elfen

2. Zwerge

3. Hausgeister und Landgeister

4. Wassergeister

5. Waldgeister

6. Feldgeister

7. Die Riesen

8. Gestirnmythen

III Der Götterglaube

Die Wanen

1. Nerthus

2. Njörd

3. Frey

4. Freyja

5. Gefjon

Die Asen

1. Ty

2. Forseti

3. Heimdall

4. Höni

5. Odin

6. Thor

7. Baldr

8. Loki

9. Ull

10. Widar

11. Bragi

Die Göttinnen

1. Frigg

2. Hel

3. Skadi

4. Idun

IV Der Götterdienst

Gebet, Gottesdienst und Opfer

V Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt

1. Die Schöpfung der Welt

2. Die Schöpfung der Zwerge und Menschen

3. Die Einrichtung der Welt

4. Der Weltenbaum

5. Untergang und Erneuerung der Welt

Abkürzungen und Erläuterungen

Impressum

Vorwort

Um Gehör bitte ich alle heiligen Menschenkinder,

Hohe und niedere Söhne Heimdalls.

Du willst, daß ich, Walvater, genau erzähle

Die alten Geschichten der Menschen, deren ich von

Anfang an gedenke.

Aus: »Völuspa«

Der Norden. Das fahle Licht der Mittsommernachtssonne und das ferne Leuchten des Nordlichts über den Fjorden, Gletschern und Hochebenen Norwegens, über den unendlichen Wäldern und zahllosen Seen Schwedens, über den Schärengürteln der südlichen Küstenstreifen, über Islands Vulkanen und Geysiren … eine noch immer urwüchsige Natur und deren unbändige Gewalten der winterlichen Stürme, der reißenden Ströme und tosenden Wasserfälle. Hier ist die Heimat der Trolle und Riesen, der Zwerge und Elfen, des Hohen Gottes Odin und der Unterweltsgöttin Hel, hier wuchs einst die Weltesche Yggdrasil, wurden der Fenriswolf gefesselt und die Midgardschlange besiegt, hier wurde Baldr von Loki getötet und hier kam es schließlich zum Weltenbrand, der Götterdämmerung. Die Wikinger verunsicherten von hier aus die nördlichen Weltmeere, in den Tempelstätten wurden Ernte, Tiere und Menschen geopfert, es wurden Kriege geführt gegen die Kelten im Westen, gegen die Lappen im Nordosten und zwischen den einzelnen Stämmen und Königsfamilien. Doch nicht nur ein kriegerisches Volk, sondern auch ein von hohen Ehr- und Gerechtigkeitsbegriffen geprägtes Volk schuf sich unter dem rauhen nordischen Himmel vor vielen Jahrhunderten eine Religion, eine Welt voller heidnisch-mythischer Vorstellungen, sich die Naturgewalten zu erklären und ihr gesellschaftliches Zusammenleben religiös zu ordnen.

Zu einem Zeitpunkt, da andere Kulturkreise der südlichen und südöstlichen Hemisphäre bereits zivilisatorische und kulturelle Höhepunkte erreicht und teilweise überschritten hatten, zu einer Zeit, da in Mittel- und Südeuropa der christliche Glaube gefestigt und institutionalisiert war, entstanden im Norden militärdemokratisch organisierte Gesellschaftsformen mit germanisch-heidnischem Kultus. Mit der Vorstellung vom großen »Weltenbrand« allerdings war der sich immer prachtvoller entwickelnden mythischen Vorstellungswelt der Germanen deren Ende bereits eingeschrieben. Die aus der Götterdämmerung hervorgehenden neuen Götter brauchten sich in den Vorstellungen der nordgermanischen Völker kaum mehr zu entwickeln und dort festzusetzen, da jetzt, am Ende der heidnischen Vor-Zeit, auch hier die christliche Heilslehre Einzug halten würde.

Mit der Wiederentdeckung der »Deutschen Mythologie« von Paul Herrmann versuchte der Aufbau Taschenbuch Verlag einen ersten Schritt in unsere heidnisch-germanische Vorzeit zu tun. Damit war die deutsche, das heißt »südgermanische« Mythologie zunächst von der nordgermanischen abgekoppelt worden. Daß dies durchaus problematisch war, hängt mit den unterschiedlich schwer auffindbaren Quellen zusammen, die nicht immer nur die jeweilige Seite allein abdecken können. Vielfach berief sich der Autor der »Deutschen Mythologie« auf Quellen nordischer Kunde. Und so sind beide Texte als »Komplementärfassungen« zu lesen, sie ergänzen sich gegenseitig, verweisen aufeinander, sind jedoch auch einzeln als eine durchaus umfassende Darstellung des jeweiligen Glaubens und Brauchtums zu betrachten. Eine andere Quellensituation für die nordische Mythologie und die vorwiegend literarisch überlieferten Texte bedürfen einiger erläuternder Worte.

Zu Beginn unserer Zeitrechnung drangen nordgermanische Stämme, die teilweise noch an den Küsten der Nordund Ostsee bzw. in Südschweden siedelten, verstärkt nach Norden vor. Die Goten verließen Skandinavien in Richtung Südeuropa. So stießen die Germanen auf Widerstand einzig bei den Lappen und anderen finnischen Stämmen, die sie aber weiter nach Nordosten bis auf das Gebiet des heutigen Finnlands zurückdrängten.

Runenschriften, entstanden um 400 n. Chr., sowie einige Lehnwörter im Finnischen sind die ältesten Zeugnisse von diesem Kontakt beider Sprachgemeinschaften. Erst bei der Besiedlung Islands durch norwegische »Emigranten«, Ende des 9. Jahrhunderts, galt es nochmals, den Widerstand der ursprünglichen Bevölkerung, diesmal einiger weniger Kelten, zu brechen. Mit Beginn des 8. Jahrhunderts und der Konstitution größerer territorialer Einheiten in Skandinavien, mit denen sich ein zentrales Königtum herauszubilden begann, ging die nordische Geschichte in ihre für unsere Betrachtung entscheidende Phase über. Nordische Geschichte zu dieser Zeit ist weitgehend gleichbedeutend mit norwegischer Geschichte; Norwegen nimmt bald schon und bis ins Mittelalter hinein einen beherrschenden und für die territoriale Einheit wichtigen Platz in ganz Skandinavien ein.

»Unsere« Geschichte beginnt im Jahre 872 mit König HARALD HARFARGI (Haarschön), der nach der gewonnenen Schlacht am Hafsfjord das norwegische Königreich neu begründet, die bisherige Verfassung aufhebt und damit den unabhängigen Volks- und Gaukönigen, den sogenannten Jarlsfamilien, ihre Macht entzieht und sie sich unterordnet. Kurze Zeit zuvor, zwischen 860 und 870, hatten drei beinahe zufällige Entdeckungsfahrten die »nahe« gelegene Insel Island gemacht. So ist es nur allzu verständlich, daß die freien Männer, denen ihre norwegische Heimat durch Haralds Militärmonarchie verleidet war, sich auf den Weg nach Island machten, gefolgt vom Kern der Bauernschaft, eine ruhige und freie Heimat zu finden. An der Spitze der Unzufriedenen stand INGOLF ARNARSON, der 874 nach Island aufbrach und seine Niederlassung durch Zufall in der »Rauchbucht« gründete, dort, wo sich heute die Hauptstadt Reykjavik befindet. Im Verlaufe von 60 Jahren erhielt Islands eine nordische Bevölkerung, welche ihre Kultur aus der alten Heimat mit herüberbrachte. Eine isländische Republik wurde gegründet, die bis heute auf demokratische Weise vom Althing, einem Reichs- und Gerichtstag auf volksdemokratischer Basis, regiert wird. Bereits im Jahre 1000 wurde formal, einfach des Friedens und der Einheit des Landes wegen, die christliche Religion angenommen. Formal bedeutet, daß jedermann sich früher oder später taufen ließ, daß aber zugleich jede Inquisition in Glaubensfragen unterblieb und die alten germanischheidnischen Bräuche ungestört weitergepflegt werden konnten. Schon lange zuvor hatten Bischof Friedrich aus Sachsen und der gewalttätige Priester DANKWART aus Bremen versucht, in Island die christliche Heilslehre zu verbreiten, erst unter dem Einfluß des norwegischen Königs Olaf Tryggwason allerdings breitete sich das Christentum auf Island merklich aus.

Nur zögernd breitete sich zuvor auch in Skandinavien selbst das Christentum aus. Wohl war die neue Religion in Dänemark und Schweden in den zwanziger und dreißiger Jahren des 8. Jahrhunderts durch ANSGAR, einen Mönch des westfälischen Klosters Neu-Corbie, späteren Vorstand des neu gebildeten Erzbistums Hamburg-Bremen, genannt »Apostel des Nordens«, gepredigt worden, wohl hatte König HAKON DER GUTE (935–961) sie zu unterstützen versucht, aber erst OLAF TRYGGWASON (995–1000) und, nach seinem frühzeitigen Tode, OLAF HARALDSON, der Heilige (1015 –1028), beförderten, teilweise mit Gewalt, eine schnellere Ausbreitung. In Dänemark tat KNUD DER GROSSE (1018 – 1035) und in Schweden ERIK DER HEILIGE (1150) ein gleiches. 1104 wurde in Lund in Schweden ein erster Erzbischofssitz für die drei nördlichen Reiche gegründet.

Die relative »Insellage« Skandinaviens, weitab von den geschichtlichen Ereignissen und Einflüssen Süd- und Mitteleuropas, wo sich der christliche Glaube bereits im 5. und 6. Jahrhundert durchzusetzen begann, ermöglichte es, den alten Glauben solange zu bewahren und rituell zu pflegen. Um die Jahrtausendwende, wo sich auch im Norden Macht und neuer Glaube zu arrangieren begannen, fingen die »Hofschreibern« nicht unähnlichen Skalden und zahlreiche Klosterschüler an den Stiftsschulen damit an, die alten Lieder, Sagen und Mythen niederzuschreiben. Gewiß waren diese »Intellektuellen« und Künstler einerseits geprägt von christlicher Bildung und christlichem Glauben, andererseits ließ sie ihr Traditionsbewußtsein gerade auf die »alten« Lieder zurückgreifen. Trotz mancher gegenwärtiger wissenschaftlicher Diskussionen ist weiterhin die Ansicht vorherrschend, daß diese Aufzeichnungen als von den Märchen und Mythen anderer Kulturkreise (mit denen in erster Linie die Wikinger auf ihren Weltreisen in Kontakt kamen), unberührt anzusehen sind. Fest steht, daß die eddische Dichtung ein Erzeugnis der Wikingerzeit ist, daß keines der Lieder vor dem 9. Jahrhundert aufgeschrieben wurde und daß diese Gedichte nicht nur geistige Erzeugnisse des gesamten Nordens sind, sondern auch allein dem norwegisch-isländischen Mythen-Stamm angehören. Lediglich einzelne Stücke der Skaldendichtung sind möglicherweise älter und von noch nicht christianisierten Dichtern aufgeschrieben worden. Zwischen Skaldendichtung und Volksverständnis klafft kein Riß, und die Skalden haben nicht eine neue Mythologie erfunden, gab es doch im 9. und 10. Jahrhundert noch keinen bedeutenden Kulturunterschied zwischen dem König, seiner nächsten Umgebung und dem Volke. Gerade die isländischen Sagas waren volkstümlich und dem Verständnis und Interesse der Bauern und Fischer ohne Einschränkungen zugänglich.

Die Wikingerzeit hat am meisten zur Auflösung des heidnischen Glaubens und zu seinem späteren Untergang beigetragen. Wenn die Nordleute mit anderen Völkern zusammenstießen und besiegt wurden, konnte leicht die Vorstellung entstehen, daß fremde Götter mächtiger wären als die eigenen, andererseits wuchs bei einem Sieg das Gefühl der eigenen Stärke und der eigenen Werte. An den alten Sitten und Gebräuchen, besonders an den Mahlzeiten und den großen Gelagen zu Ehren der Götter, hing man noch mit großer Zähigkeit, die innere Überzeugung, der Glaube an die Götter jedoch, schwand allmählich dahin. Viele der Wikinger, vielleicht die meisten, waren so etwas wie religiös gleichgültige »Freidenker« geworden. Diese isländische Gleichgültigkeit hat sich bis in spätere Zeiten hinein erhalten, und so war die Übernahme des Christenglaubens insgesamt eher ein kühler, vernünftiger Vorgang. Wie anders dagegen flammte der leidenschaftliche Fanatismus auf, als Drontheimer Bauern ihren Bekehrer HAKON I. überfielen, töteten und schließlich heidnisch bestatteten.

Zu den literarischen Quellen jener Zeit zählen neben den nicht sehr umfangreichen, zudem später entstellten und mißverstandenen Liedern der Skaldendichtung vor allem die Eddalieder. Die alte Skaldendichtung war nach Einführung des Christenglaubens zunehmend zur bloßen stilistischen Handwerksarbeit geworden, die früheren poetischen Bilder gerannen zu toten Metaphern. Die neueren Eddalieder hingegen zeichnen sich durch eine volkstümlichere Sprache, freie Metren und einfache, aber nicht unschöne Bilder aus. Auch sie sind das Werk von norwegisch-isländischen, allerdings unbekannten Skalden, zu datieren sind die frühesten unter ihnen in das 9. Jahrhundert. In der uns bekannten Form niedergeschrieben und gesammelt wurden sie jedoch frühestens zwischen 1240 und 1250. Der ursprüngliche Name der Liedersammlung ist nicht mehr bekannt, der Titel »Edda« gebührt nur SNORRIS Buch über die nordische Götterlehre und die Skaldenkunst, und der Titel wird als »Buch von Oddi« erklärt, dem Ort, an dem SNORRI die Stoffgrundlage der Sammlung vorfand. Die ursprüngliche »ältere Edda« besteht aus Götterliedern, gewidmet den Gruppierungen um den älteren Thor und den späteren Odin, sowie Heldenliedern, deren wichtigste die Nibelungenlieder sind. Eine spätere Liedersammlung SNORRIS bezeichnet man als »jüngere Edda«. Im Mittelpunkt des Streits um Herkunft und Reinheit der Eddalieder steht »der Seherin Weissagung« (Völuspa). Zwar ist der Text unter indirekter Beeinflussung durch das Christentum entstanden, der Inhalt versteht sich jedoch aus einem noch lebendigen heidnischen Volksglauben. Als das Verständnis für die alte Dichtung langsam erlosch und die mythologischen Ausdrücke vielfach rein schematisch angewandt wurden, ohne sich ihrer ursprünglichen Bedeutung noch recht bewußt zu sein, verfaßte obengenannter SNORRIS TURLUSON (1178 –1241) seinen Entwurf zu einem Handbuch zur Erklärung skaldischer, heidnischer Umschreibungen, eben die »Edda«. SNORRI war auf dem Gehöft seines Großvaters SÄMUND zu Oddi aufgewachsen und hatte sich in dessen historischer Schule schon in früher Jugendzeit mit dichterischen Versuchen befaßt. Manches aus der alten Götterwelt mag ihm unvertraut gewesen sein und deshalb begann er alles zu sammeln, was er zum Verständnis der alten Dichtung auffinden konnte. Sein skaldisches Handbuch besteht aus drei Teilen, deren erster eine schematische Übersicht in Gesprächsform über den alten Glauben ist, der zweite stellt eine Art Poetik dar, eine Anleitung zur Sprache und Ausdrucksweise des Skalden, bei dem dritten schließlich handelt es sich um ein Lobgedicht auf den norwegischen König HAKON HAKONARSON. Auch die isländische Geschichtsschreibung erlangt durch SNORRI ihren ersten Höhepunkt. Seine Sammlung von Biographien norwegischer Könige hat den Titel »Heimskringla« (Weltkreis), in der SNORRI die Ahnenreihe der norwegischen Könige bis auf Frey führt, sie beginnt mit der Ynglinga-Saga und endet mit dem Jahre 1177.

Ein älterer Zeitgenosse SNORRIS, SAXO GRAMMATICUS (geboren 1150), war Geistlicher und gehörte zur näheren Umgebung des Erzbischofs von Lund, ABSALON. Auf dessen Veranlassung schrieb Saxo die 16 Bücher seiner bis 1187 reichenden »Historia Danica«. Die ersten neun, für die Mythologie wichtigen Bücher sind die wahrscheinlich zuletzt geschriebenen. Außer einer Reihe mittelalterlicher Novellenstoffe und Märchenmotive, die er wohl dem Engländer LUCAS verdankt, sind SAXOS Quellen altdänische Volkssagen und isländische Sagensammlungen, deren Kenntnis ihm der Isländer ARNOLD THORWALDSSON vermittelt hat, der 1168 in Lund weilte.

Neben der Eddasammlung, SNORRIS Edda und SAXOS Chronik sind die isländischen Sagas als einheimische Quelle nordischer Mythologie zu erwähnen. Die ältesten unter ihnen sind gegen Ende des 12. Jahrhunderts, jedenfalls vor SNORRIS Buch, aufgezeichnet worden. Sie stellen Perlen der Erzählkunst dar, die eine Fülle kulturgeschichtlicher Stoffe bieten und ein unverzerrtes Bild nordgermanischen Lebens und Denkens zeichnen.

An ausländischen literarischen Zeugnissen ist wegen der geographischen Abgeschiedenheit Skandinaviens kaum etwas überliefert. Zu nennen wären die zwei Araber IBN DUSTAH und IBN FADHLAN, die zwischen 912 und 921 vom Kalifen MUKTADIR als Gesandte nach Norden geschickt wurden. Unter den Bekehrern verdient vor allem A DA M von Bremen Beachtung. Er schrieb bereits 200 Jahre vor SAXO als »magister scolarum Bremensis« im Auftrage seines Vorgesetzten, des Erzbischofs ADALBERT von Hamburg-Bremen, seine »Gesta pontificum Hamaburgensis« (ca. 1075), eine Geschichte und Geographie der dem Erzbistum untergeordneten Lande. Bremen war zwar seinerzeit das Zentrum deutscher Forschung zu Nordeuropa, da ADAM jedoch die Archivquellen der Bremischen Kirche nicht ausreichten, begab er sich persönlich zum Dänenkönig SWEN ESTRITHSON, der »die ganze Geschichte der Barbaren in seinem Gedächtnisse bewahrte, als wenn sie darin eingeschrieben wäre«. Er erhielt von diesem so ausreichend Kunde, daß er ihn als seinen Hauptgewährsmann bezeichnete.

Archäologische Zeugnisse können kaum ein klares, geschweige denn allseitiges Bild von vorgeschichtlichen religiösen Auffassungen der Nordgermanen geben, jedoch dienen sie als nützliche Ergänzung der kulturgeschichtlichen und sprachhistorischen Forschungen. Älteste Funde aus der Steinzeit sind Kreuz- und Radfiguren, die mit der Sonne in Verbindung gebracht werden, und kleine Streitäxte. Aus der Bronzezeit sind uns Felsenbilder in Schweden und Norwegen bekannt, in denen häufig das Hakenkreuz und die Triskele (ein dreiarmiges Kreuz) auftreten. Deren religiöse Bedeutung ist nach wie vor unklar: sind es Symbole des Blitzgottes oder der Göttertriade Odin, Thor, Frey? 1902 wurde im Trundholmer Moor ein Wagen aus der älteren Bronzezeit (um 1000 v. Chr.) gefunden, eine bronzene Scheibe, teils vergoldet, auf drei Paar Rädern, von einem zehn Zoll langen bronzenen Pferd gezogen: ein Sonnenbildnis, das den eddischen Mythos vom pferdegezogenen Sonnenwagen darstellt?

Erst die Runeninschriften auf Steinen, Metall- und Holzgegenständen sind als sichere Quellen zu bezeichnen. Die Worte der Fyrunga-Inschrift um 700 »Von Göttern stammende Runen schreibe ich … wir zwei Weiber verfertigten das Weihtum zum Andenken« beweisen die »göttliche Herkunft« der germanischen Runen bzw. ihre zunächst ausschließlich religiöse Funktion.

Bekannt sind die zwei, inzwischen leider eingeschmolzenen Goldhörner von Gallehus (gefunden 1639 und 1734), von denen es jedoch genaue Abbildungen gibt. Auf beiden finden sich eine Reihe von Bildern, die unterschiedlich gedeutet werden. Stellen sie Walhall, Hel oder Odin mit seinen Gefährten dar? Eindeutige Zeugnisse der Vermischung von heidnischem und christlichem Glauben mögen dagegen die Kreuzwegmonumente in Northumberland, Cumberland, Schottland, Irland und auf der Insel Man sein. Auf ihnen finden sich nebeneinander oder vermischt Christussymbole und solche heidnischer Art, wie die Weltesche Yggdrasil (oder ist es der Baum des Lebens?) und nordgermanisch-mythische Tiersymbole (Drachen, vierfüßiger Vogel, Wolf, Einhorn u. a.). Das bekannteste Kreuz ist das Gosforthkreuz in Cumberland, auf dem der gefesselte Loki und seine Gemahlin Sigyn zu erkennen sind. Es stammt aus dem 9. Jahrhundert.

Auch Orts- und Personennamen sind sprachliche Zeugnisse. Sie beweisen die Verehrung einzelner Götter an bestimmten Stellen.

Die Volksüberlieferung in Märchen, Sagen und im Brauchtum spielt beim Erschließen alter Lebens- und Denkweisen eine wichtige Rolle, haben sich doch besonders in Skandinavien viele Traditionen bis heute fast vollständig in ihrer ursprünglichen Form erhalten, so zum Beispiel verschiedene Feste zu jahreszeitlichen Anlässen, wie das Sonnenwendfeuer (für uns »Südgermanen« besonders beeindruckend) und bestimmte uralte Sitten und Gebräuche im alltäglichen Leben auf Island, den Färöer- und Orkney-Inseln.

In erster Linie sind es jedoch die großartigen literarischen Überlieferungen, die eine nordische Mythologie vor unseren Augen erstehen lassen und uns in eine Zeit »vor unserer Zeit« zurückversetzen. Dabei sind nordische und gemeingermanische Mythologie keinesfalls so unkritisch zu vermischen, wie dies in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts geschehen ist, von den konservativ-nationalistischen Verklärungsversuchen mehrerer Autorengenerationen um und nach der Jahrhundertwende ganz abgesehen. Bei der Erklärung germanischer Vorgeschichte, die natürlich eine heroische zu sein und nicht im Weltenbrand ohne eine Götterdämmerung zu enden hatte, vermengten sich die Inhalte alter isländischer Sagas, die Eddalieder und bestimmte TACITUS -Episoden, überstrahlt vom Heldenmut deutscher Recken und so Idealbilder germanischen Heroentums schaffend. Allein die Falschübersetzung des Wortes »Ragnarökkr« mit »Götterdämmerung« anstelle des richtigen »Ragnarök« mit »Götterende bzw. schicksal« hat den Hauptteil der Edda über lange Zeit entstellt und bei Generationen deutscher Forscher und Künstler (zum Beispiel RICHARD WAGNER) ein mehr oder minder falsches Bewußtsein ausgelöst.

Natürlich ist jede spätere Lektüre zugleich auch Interpretation durch den Lesenden, doch soll mit dem vorgelegten Text eine möglichst unverfälschte, objektive Darstellung erreicht werden. Textgrundlage ist wiederum die erste Ausgabe einer Veröffentlichung von PAUL HERRMANN. Sie stammt aus dem Jahre 1903 und ist fünf Jahre nach seiner »Deutschen Mythologie« erschienen, mit der er den Grundstein zu einer wissenschaftlich objektivierenden Trennung von nordischer/ nordgermanischer und deutscher/südgermanischer Mythologie vorlegte.

Die Änderungen an der Textvorlage betreffen Passagen, die auf Grund zu großer, ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse nur schwer zu überwindender Fremdheit wie auch aus Gründen der Wiederholung im laufenden Text gestrichen wurden. Das sowie geringfügige Veränderungen in Orthographie und Interpunktion erlauben wir uns der durchgängigen Lesbarkeit und der Allgemeinverständlichkeit wegen, ohne den Text dadurch jedoch seines wissenschaftlichen Anspruchs zu berauben.

Manches, was den Leser auf den folgenden Seiten erwartet, mag ihm bekannt oder sogar vertraut erscheinen, das eine findet er in den Erinnerungen an die Märchen seiner Kindertage wieder, anderes mag ihn staunen machen: wie unsere gemeinsamen Vorfahren, gleich ob südlich oder nördlich der Ostsee lebend, dachten und welchen Göttern sie huldigten. Vergnügen und Erkenntnis möge dieses Buch nach so vielen Jahrzehnten all denen bringen, die sich unserer Vorgeschichte unbefangen und mit Interesse zuwenden.

Thomas Jung

I Der Seelenglaube

1. Bedeutung des Todes für die Entstehung mythologischer Vorstellungen

Aus den reichen archäologischen Funden Skandinaviens kann die Wissenschaft eine Entwicklung der Vorstellungen von dem Leben nach dem Tode geben und die verzweifelten Versuche aufdecken, die man gemacht hat zur Lösung des ersten und letzten großen Problems, den Tod zu verstehen und sich mit dem Beweise seiner Herrschaft abzufinden, dem leblosen Körper. So verschieden wie die Begräbnisbräuche, so mannigfach sind die Anschauungen vom Jenseits. Erklärend und ergänzend treten für die spätere Zeit die literarischen Zeugnisse hinzu.

Das älteste germanische Grab der jüngeren Steinzeit, etwa im Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends, ist eine kleine Stube, aus wenigen Tragsteinen errichtet, auf denen ein einzelner Deckstein ruht; an der Seite befindet sich eine Öffnung. In diesem Raume behielt der Abgeschiedene sitzend oder liegend den bescheidenen Hausrat seiner Wohnung zur Verfügung: irdenes Geschirr, Waffen und Schmucksachen der primitivsten Form. Neben den kleinen Stuben repräsentieren die großen, die sogenannten Riesenstuben die reinen Formen des Grabes in der Steinzeit; es sind Massengräber, die nicht selten 20 –30, 70 und selbst 100 Leichen beherbergen, sehr geräumige Bauwerke, mehr einer Hausanlage als einer Stube vergleichbar, bald ärmlich wie die kleinen Stuben, bald wohlhabend und reich ausgestattet. Der Ruheort der Toten ist eine Nachbildung des Hauses der Lebenden. Der Grabbau soll den Toten schützen, damit er dadurch sein Leben gewissermaßen fortsetzen kann. Wenn der Leib erhalten blieb, ging die Seele nicht zugrunde; sie konnte sich für kürzere Zeit zwar entfernen, aber kehrte doch beständig zurück, und das Grab war ein Haus, in dem sie ihr Dasein fortsetzte. Die Beigaben, mit denen man den Toten für das Jenseits ausstattete, die primitiven Symbole, die die Grabsteine bedecken, bezeugen einen ausgebildeten Seelenglauben; ihn beweisen auch die Spuren von Feuer: an dem Lebenselemente, an Licht und Wärme sollte sich der Tote erfreuen.

Neben der Beerdigung war Verbrennung der Leichen üblich, namentlich in der nordischen Bronzezeit. Diese reicht mit ihren Anfängen bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurück, und ihr Abschluß fällt etwa in das 4. Jahrhundert v. Chr. Die Sprache zeigt, daß Leib (Leben) das »Dauernde« ist, während altgermanisch lik-hamo nur die Umhüllung bedeutet, die für die Existenz des »Dauernden« nicht wesentlich ist. Dieser Gegensatz zwischen dem Leben und der Leiche lehrt, daß der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele wandellos derselbe blieb, ob die »Hülle« verfaulte oder verbrannt wurde. Mit der Sitte, die Leiche zu verbrennen, ändert sich das Grab: es wird in der jüngeren Bronzezeit klein und kleiner, wird zu einem viereckigen Behälter, der gerade zur Aufnahme verbrannter Gebeine ausreicht, oder diese werden in einem Tongefäße niedergelegt. Schließlich sind die Überbleibsel in einem Holzkistchen oder ohne jede Umhüllung der Erde anvertraut. Darum ist das Grab jetzt nicht mehr wie das Wohnhaus ausgestattet, denn es war als solches nicht mehr gedacht und gebaut; darum kommen Arbeitsgerät und Werkzeug in den Gräbern fast gar nicht vor. Man hat den Glauben verloren, daß der eigentliche Körper fortlebt, dafür ist die edlere Vorstellung aufgekommen, daß nur die Seele nach dem Tode fortdauert. Nach der Verbrennung des Leibes und Vernichtung der liebsten Besitztümer des Verstorbenen im Feuer hielt keine Haft die Seele mehr im Diesseits fest: so sorgte man für die Toten, die nun nicht mehr ratlos umherschweifen, aber noch mehr für die Lebenden, denen die Seelen nie mehr begegnen konnten. Trotzdem hielt man an dem altehrwürdigen Brauche fest, auch nachdem er sinnlos geworden war, die Seelen mit Speise und Trank zu laben: aber was früher zum wirklichen Gebrauche des Toten bestimmt war, ward jetzt mehr als Andenken und Liebeszeichen aufgefaßt. Eine neue Stufe des Glaubens bezeichnet dann die Vorstellung, daß die Totengaben, zusammen mit dem Toten verbrannt, diesem ins bessere Jenseits folgten und dort ihm nützlich wären. Diese Behandlung der Grabbeilagen ist im Norden bis zum Ende der heidnischen Zeit festgehalten: ein jeder wird in Walhall besitzen, was auf seinen Scheiterhaufen gelegt wird.

In der Eisenzeit (die ältere reicht vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr., die jüngere von da bis zum 10. Jahrhundert n. Chr.) verbreitet sich zugleich mit den römischen Einflüssen die Sitte der Bestattung unverbrannter Leichen. Obwohl die Leichenverbrennung keineswegs aufhört, nehmen die Begräbnisse doch mehr und mehr überhand. Aber es handelt sich in diesem Falle nur um Aufnahme ausländischer Mode. Neben der Hügelbestattung finden sich unterirdische Begräbnisstätten. Die Gräber liegen meist einzeln, die Leiche ruht in einem Holzsarge, der mit Winkelbändern und Eisennägeln verbunden und mit Tragringen versehen ist. Zuweilen liegen die Leichen in stattlich gezimmerten Holzkammern teils auf gestopften Kissen, teils sitzen sie auf Stühlen. Der Tote wurde bekleidet und geschmückt beigesetzt, umgeben von Speise und Trank, Spielsteinen und Würfeln, wie bei einem Festmahle. Man dachte sich also das Dasein im Jenseits als ein Leben in bloßem Genusse. Von kriegerischem Leben und Siegen, Taten und Ehren war nicht die Rede. Darum legte man dem Toten auch keine Waffen bei.

Erst vom 5. Jahrhundert an bis in die Wikingerzeit hinein gab man ihm seine ganze Waffenrüstung mit ins Grab. Die Gebräuche, die im Walhallglauben ihre Verklärung gefunden haben, gehen also anscheinend nicht über das Jahr 500 hinaus, reichen aber weit über das Jahr 840 zurück, wo zuerst nähere Berührungen zwischen den heidnischen Nordleuten und den Christen in England und Irland stattfanden. Das kriegerische Leben der großen Wanderungen der Nordgermanen, die Heerkönige, die Schildmädchen und ihre Gefolgschaft können darum nicht das Vorbild des Walhallmythos sein. Es ist die bedeutungsvolle Übergangszeit, wo der Norden von den Deutschen die Runenschrift, die Nibelungensage und die Wodansverehrung übernahm, wo der nordische Götterglaube hauptsächlich in Norwegen ausgebildet wurde. Sein kriegerisches Gepräge war ihm durch die Kämpfe mit den Finnen und Lappen aufgedrückt, nicht erst durch die Wikingerzüge: Thors Fahrten nach dem Osten und seine Kämpfe mit den dort hausenden Riesen spiegeln diese Zeiten wider, nicht die Wikingerfahrten nach dem westlichen Europa im neunten Jahrhundert. Die Sitte, den Toten mit Speise und Trank zu bestatten, ist allerdings vom Walhallglauben verschieden, darf aber, da es sich bei diesen neuen Bestattungsgebräuchen nicht um einheimische Bildungen handelt, gegen das Alter von Walhall nicht angezogen werden. Um dieselbe Zeit, spätestens im siebenten bis achten Jahrhundert, ward auch der Seelenwanderungsglaube aus der Fremde im Norden eingeführt.

In der Wikingerzeit traten Speise- und Trankgeräte in der Grabausstattung ganz zurück. Außer dem Streithengst und Pferdegeschirr zum Fahren hat auch der Hund und Falke bisweilen seinen Herrn auf der Reise ins Jenseits begleitet. Wie das kriegerische Leben des Wikings durch den Tod keine Unterbrechung erlitt, so folgte dem kühnen Seehelden auch sein gutes Schiff. Zu der Reise ins Land der Hel mußte der Tote über das Wasser fahren. Von den Schiffsbestattungsfunden ist der von Gokstad nahe am Sandefjord im südlichen Norwegen am berühmtesten, etwa vom Jahre 900. In einer Grabkammer unmittelbar hinter dem Maste ist der tote Häuptling mit seinen Waffen niedergelegt; mit ihm zusammen waren zwölf Pferde, sechs Hunde und ein Pfau begraben. In dem Grabhügel bei Tune nahe Frederiksstad ist ein Mann mit seinen Waffen und zwei Pferden in seinem Schiffe beigesetzt. Nur in Dänemark sind solche von Hügeln bedeckte Schiffsgräber nicht nachgewiesen.

Zum Gedächtnis und zu Ehren des Toten wurden oft Bautasteine (d. h. lange, spitze Steine zum »Stoßen« oder Steine zum Andenken eines »Getöteten«) und Runensteine errichtet; sie vertreten die Leichen- oder Re-Bretter Deutschlands, die Namen, Geburts- und Todestag des Verstorbenen enthalten. Schon die Bronzezeit kannte unbehauene Bautasteine auf dem Gipfel eines Grabhügels. Die Steine mit Runeninschriften scheinen von 500 an aufgekommen zu sein; gegen Ende der heidnischen Zeit begegnen sie zahlreich und sind ausschließlich auf oder bei Gräbern sichtbar aufgestellt.

Die Runeninschriften mit den älteren Runen und die nordischen Königsnamen im Beowulf zeigen, daß vor dem Jahre 500 bei der Namengebung das Variationsprinzip geherrscht hat, d. h. das Bestreben, innerhalb der Familie bereits vorhandene Namen durch Kombination mit anderen, ebenfalls schon vorhandenen, und allenfalls auch mit Benutzung der Alliteration zu individualisieren. Aber mit dem Glauben an die Seelenwanderung kam die Sitte auf, dem Neugeborenen den vollen unveränderten Namen eines verstorbenen Angehörigen und zumal des Vaters beizulegen, wenn dieser bereits gestorben war: mit dem Namen sollte dieser in dem Neugeborenen weiterleben.

Noch jetzt ist in Norwegen die Meinung, wenn eine schwangere Frau von einem Verstorbenen träumt, daß dieser »nach dem Namen gehe«, d. h. sich einen Namensvetter suche. Das Kind wird dann nach ihm genannt, weil es Glück bringt; wenn es ein Mädchen ist und der Tote, von dem sie geträumt hat, ein Mann, so wird der Name verändert: Lars wird Larine, Iver wird Ivrine. – Erst seit dem Übertritte zum Christentum fing man an, dem Kinde allenfalls auch den Namen eines noch lebenden Angehörigen zu geben.

Wichtige und reiche Auskünfte über die Begräbnisgebräuche und die damit verbundenen Vorstellungen der letzten Zeit des Heidentums geben die schriftlich überlieferten Zeugnisse. Den ältesten historischen Bericht verdanken sie dem Araber IBN DUSTAH:

Stirbt ein hervorragender Mann, so machen sie ihm ein Grab in Gestalt eines großen Hauses, legen ihn hinein, und mit ihm zusammen legen sie in dasselbe Grab seine Kleider, sowie die goldenen Armbänder, die er getragen, ferner einen Vorrat Lebensmittel und Gefäße mit Getränken und Geld. Endlich legen sie das Lieblingsweib des Verstorbenen lebendig ins Grab, schließen den Zugang, und die Frau stirbt so darin.

IBN FADHLAN erzählt: Ist ein armer Mann gestorben, so bauen sie für ihn ein kleines Schiff, legen ihn hinein und verbrennen es. Beim Tode eines Reichen aber sammeln sie seine Habe und teilen sie in drei Teile. Das eine Drittel ist für seine Familie, für das zweite schneiden sie ihm Kleider zu, für das dritte kaufen sie berauschend Getränk, um es an dem Tage zu trinken, wo die Sklavin sich dem Tode preisgibt und mit ihrem Herrn verbrannt wird. – IBN FADHLAN beschreibt aus eigener Anschauung die Bestattung eines Häuptlings: Sie brachten eine Ruhebank, stellten sie auf das Schiff und bedeckten sie mit wattierten, gesteppten Tüchern, mit griechischem Goldstoff und mit Kopfkissen von demselben Stoffe. Dann zogen sie den Toten in dem Leichentuche, in dem er gestorben war, aus dem Grabe heraus, wo er bisher gelegen, bekleideten ihn mit Unterbeinkleidern, Oberhosen, Stiefeln, einem Kurtak und Kaftan von Goldstoff mit goldenen Knöpfen und setzten ihm eine goldstoffne Mütze auf, mit Zobel besetzt. Darauf trugen sie ihn in das auf dem Schiffe befindliche Gezelt, setzten ihn auf die mit Watte gesteppte Decke, unterstützten ihn mit Kopfkissen, brachten berauschende Getränk, Früchte und Basilienkraut und legten das alles neben ihn. Auch Brot, Fleisch und Zwiebeln legten sie vor ihm hin. Hierauf brachten sie einen Hund, schnitten ihn in zwei Teile und warfen die ins Schiff, legten des Toten Waffen ihm zur Seite, führten zwei Pferde herbei, die sie so lange jagten, bis sie von Schweiß troffen, zerhieben sie mit ihren Schwertern und warfen das Fleisch ins Schiff. Alsdann wurden zwei Ochsen herbeigeführt, zerhauen und ins Schiff geworfen. Endlich brachten sie einen Hahn und ein Huhn, schlachteten auch die und warfen sie ebenfalls da hinein. Nachdem dann das Mädchen getötet war, das sich dazu erboten hatte, zündete der nächste Anverwandte des Verstorbenen Holz an, ging rückwärts zum Schiff und steckte das ins Schiff gelegte Holz in Brand. Auch alle übrigen schleuderten Holz in die Flammen, bis das Schiff hell loderte. Da blies ein fürchterlicher Sturm, wodurch die Flamme verstärkt und die Lohe noch mehr angefacht wurde. Während die Araber den, der ihnen der geliebteste und geehrteste ist, in die Erde werfen, wo ihn die kriechenden Tiere und Würmer fressen, verbrennen sie ihn in einem Nu, so daß er unverzüglich und sonder Aufenthalt ins Paradies eingeht. Nachdem das Schiff, Holz und Mädchen verbrannt waren, führten sie einen runden Hügel auf, errichteten in dessen Mitte ein großes Holz und schrieben den Namen des Verstorbenen darauf.

Die altnordische Literatur unterscheidet das Brennzeitalter und Hügelzeitalter. Das Brandalter war das älteste, da wurden die Toten verbrannt, und man feierte sie durch Errichtung von Bautasteinen. Das Hügelalter sollte in Dänemark entstanden sein und sich namentlich dort verbreitet haben, während beide Bräuche nebeneinander in Norwegen und Schweden bestanden.

König HRING setzt nach der Brawallaschlacht die Leiche des HARALD HILDETAN auf seinen Wagen, läßt sie den Hügel hineinführen und legt noch seinen eigenen Sattel zu dem Toten, damit dieser nach eigener Wahl nach Walhall reiten oder fahren könne. Nach anderer Überlieferung wird HARALD mit seinem Schiffe verbrannt, während die Edlen um den Scheiterhaufen gehen und Waffen, Gold und das Kostbarste, das sie haben, in die Flammen werfen. König HAKI hatte zwar seine Gegner geschlagen, war aber selbst zum Tode wund. Da ließ er sein Schiff voll Toter und Waffen laden und sich selbst auf einen Scheiterhaufen in die Mitte legen. Als er verschieden, warf man Feuer hinein, richtete das Steuer, zog die Segel auf, und brennend trieb das Schiff mit der Leichenladung in das Meer hinaus.

Dem Toten gebührte von Rechts wegen ein Anteil am eigenen Nachlasse als Ausstattung für das Leben im Jenseits. In dem arabischen Berichte vertritt das Drittel, für das dem Toten Kleider zugeschnitten werden, den Totenteil, das zweite gebührt den Kindern, das dritte der Witwe. Der Totenteil bestand aus der Fahrnis, die mit ihm verbrannt und begraben wurde, nicht nur aus Geld und Gut. Was dem Toten mitgegeben wird, soll ihn nach Walhall begleiten. Als ein Sohn seinem erschlagenen Vater dessen Speer bringen will, bemerkt er: »und er nehme ihn nach Walhall und trage ihn dort am Waffenthinge«. Alles, was der Held im Kampf erobert hatte, wurde nicht vererbt, sondern mit ihm begraben: er nahm dieses eigenste Eigen mit sich in die Unterwelt. Roß und Rind sollten dem Verstorbenen nicht nur im Jenseits dienen, sondern sie sollten ihm, wie Schuhe und Wagen, helfen, daß er bequem und ungefährdet ins Totenreich gelangte.

Der Brauch, daß die Witwe dem Gatten in den Tod folgte, hat sich im Norden lange erhalten. Aber selbst Blutbrüder gelobten, daß nach dem Tode des einen sich der andere mit ihm begraben ließe. Aus dem Mitbegräbnis ward später ein Scheinbegräbnis: der Überlebende soll über dem andern einen Hügel aufwerfen und drei Nächte bei dem Toten sitzen.

Die Ausübung des Totenkults kam zunächst der Verwandtschaft zu, den Personen, denen die Pflicht der Blutrache wie das Recht zu erben zustand.

Erst wenn der Leichnam dem körperlichen Auge sich zu entziehen beginnt, können Spekulation oder Phantasie ihn mit neuem Leben ausstatten. Erst nach dem Begräbnis brach die Grabesnacht an – bis dahin bewahrte der regungslose Körper noch die ihn belebende Seele. Jetzt handelt es sich nicht mehr um die Pflege seines Leibes, sondern darum, den jeder Pflege Entzogenen seinen unheimlichen Weg ins Jenseits ungehindert gehen zu lassen und ihm eine die Lebendigen schädigende Rückkehr abzuschneiden. Je länger den Toten der Rasen bedeckt, desto mehr entfernt er sich begrifflich von uns. Diese begriffliche Entfernung wird als ein räumliches Weiterrücken, eine Reise aufgefaßt. So kommt die Sage von dem Totenwege auf. Begriff und Ausdruck »weite Wege wandeln« für »sterben« ist urgermanisch. Jede sich aufdrängende Erinnerung an den Toten wurde als eine Rückkehr von der Reise, als ein Geisterbesuch apperzipiert. Die Veranlassung dazu konnte der Überlebende geben, oder der Verstorbene fand durch eigene Verschuldung im Grabe keine Ruhe. Die Volksphantasie vermischt vielfach den Toten selbst mit seiner umherirrenden Seele. Eine strenge Unterscheidung zwischen Toten, Seelen und Gespenstern ist auch kaum möglich. Die Hauptzüge des Geisterglaubens sind durch den Anblick eines Schlafenden wie durch die eigenen Traumbeobachtungen hervorgerufen. Beide zeigten, daß der Mensch ein zusammengesetztes Wesen ist: der Körper kann scheinbar leblos daliegen, während die Seele sich frei zu bewegen vermag, und selbst wenn der Körper zerstört wird, existiert sie weiter und zeigt sich den Lebenden hin und wieder, und zwar zumeist da, wo die Erfahrung sie unmittelbar darzubieten schien – im Traume. Dieser Gedanke des Überirdischen, geheimnisvoll die Geschicke des Menschen Umschwebenden mag aus Seelengeistern dann Götter geschaffen haben. Die nordischen Spukgestalten sind nicht orientalische Dämonen, d. h. der Ursprung zu allem Bösen, sondern sie kommen nur ausnahmsweise, werden auf die eine oder andere Weise vertrieben und unterscheiden sich also nur durch ihre Stärke und große Zauberkraft von den Menschen. Sie können durch Waffen besiegt werden, sie weichen vor dem Gesetz, aber ihr Wissen ist größer, ihre Kräfte und Fähigkeiten sind übermenschlich. Um ein ungewöhnliches Maß von Stärke oder einen ungewöhnlich starken Mann zu bezeichnen, gebraucht man die Ausdrücke »Totenstärke«, »Totenmensch«.

Die Totenerscheinungen heißen Draugen oder Wiedergänger.

Tote kommen zu ihrer Leichenfeier. Zuweilen werden sie dem Menschen ohne Grund sichtbar. Der Grabhügel eines erschlagenen Isländers, von dem man annahm, daß er nach Walhall eingegangen sei, zeigte sich einmal offen, und man sah den Toten in heller Mondnacht bei vier Lichtern sitzen, deren keines einen Schatten warf; er war seelenvergnügt und sang eine Weise zum Ruhme seiner eigenen Waffentaten.

Grausig aber ist die Vorstellung, daß die Zähren der Braut den Verstorbenen wie einen fürchterlichen Vampyr aus dem Grabe locken. Die isländische Leonorensage weiß von einem solchen Draug zu erzählen:

Ein junger Mann hatte seiner Geliebten versprochen, sie am Christabend abzuholen. Aber als er über einen heftig angeschwollenen Bach setzen wollte, scheute sein Pferd vor den dahintreibenden Eisschollen, und bei dem Bestreben, sich und sein Tier zu retten, erhielt der Reiter von einer scharfen Eisscholle eine Wunde am Hinterkopfe, die ihm sofort den Tod brachte. Lange wartete das Mädchen auf den Geliebten; endlich in später Nacht kommt der Reiter, hebt sie schweigend hinter sich aufs Pferd und reitet mit ihr der Kirche zu. Unterwegs wendet er sich einmal zu ihr um und spricht:

Der Mond gleitet,

der Tod reitet;

siehst du nicht den weißen Fleck an meinem Nacken,

Garun, Garun?

Das Mädchen hieß nämlich Gudrun; Gud, Gott, kann der Draug nicht aussprechen: daher die Entstellung des Namens. Dem Mädchen wird ängstlich zumute; aber sie reiten fort, bis sie zur Kirche kommen. Hier hält der Reiter vor einem offenen Grabe und spricht:

Warte du hier, Garun, Garun,

bis ich mein Pferd, mein Pferd,

ostwärts über den Zaun hinausbringe.

Die Worte des Gespenstes sind mehrdeutig. Wer auf einem Hofe bleiben will, versorgt sein Pferd außerhalb des Zaunes, der zum Schutz des Grasgartens aufgeführt ist, damit es nicht diesem Schaden tue – aber von einem Zaun ist auch der Kirchhof, die Herberge der Toten, umgeben. Als Gudrun diese Worte hört, fällt sie in Ohnmacht; zu ihrem Glück liegt das Grab, an dem sie abgesetzt worden war, hart am Eingange zum Kirchhofe, über dem sehr häufig die Glocken zu hängen pflegen; sie erreicht noch das Glockenseil und zieht dieses im Zusammenbrechen an: vor dem Geläute verschwindet natürlich das Gespenst, und sie ist gerettet.

Wenn sie von den Lebenden in irgendeiner Weise geplagt werden, zeigen sich die Gespenster; hört dieses aber auf, so verschwinden sie.

Ein Mädchen träumte, es käme ein unheimliches Weib in gewebtem Mantel und sprach: »Sage deiner Großmutter, daß ich es nicht leiden kann, daß sie sich jede Nacht so auf mich stürzt und so heiße Tränen beim Beten über meine Grabstätte vergießt, daß ich ganz davon zu brennen anfange.« Am nächsten Morgen ließ es einige Bretter vom Fußboden der Kirche aufnehmen, dort, wo die Großmutter beim Beten zu knien pflegte: da fand man in der Erde einige blaue, häßliche Knochen, auch Haken und einen großen Zauberstab; man schloß daraus, es sei eine Wölwa oder heidnische Seherin dort begraben worden. Die Knochen wurden weit fort gebracht, wohin wohl kaum ein Mensch kommen würde, und die Wölwa hatte Frieden.

In anderen Fällen zeigen sich die Wiedergänger nur als Vorzeichen, um den Lebenden ein trauriges Ereignis, ihren eigenen oder der Hinterbliebenen Tod oder ähnliches zu verkünden.

Auch solche Leute zeigen sich wieder, die versäumt hatten, eine besondere Pflicht zu erfüllen, z. B. die Ausführung des letzten Willens eines Verstorbenen. Erst wenn sie durch wiederholtes Unglück die Lebenden gezwungen haben, das auszuführen, was sie selbst unterlassen haben, bekommen sie Ruhe. Sie fühlen sich wie die Menschen wohl am wärmenden Feuer, haben aber auch die Achtung der Lebenden vor dem Gesetz bewahrt und werden durch das »Türgericht« vertrieben. Die Wiedergänger, die durch eigene Schuld umgehen, sind meist böse Wesen. Grenzverrücker, d. h. Leute, die den Grenzpfahl zum Schaden ihres Nachbars verrückt haben, wandern um Mitternacht mit einem Licht in der Hand nach der Stelle, wo sie den Pfahl verschoben haben. Ungerechte Landmesser sieht man mit langer Feuerstange in den Furchen auf und ab schweben und gleichsam das Vermessene nachmessen; wer seinem Nachbar abgepflügt, den trifft der Fluch, als Irrwisch umzugehen. Geizhälse – isländische Geldwichte – können sich nicht von ihrem Gelde trennen. Wo ihre Schätze liegen, brennt regelmäßig eine blaue Flamme. Verwandt damit ist die Vorstellung von Feuer über und in Gräbern, zumal von Leuten, die schon bei Lebzeiten gefürchtet waren. Schon in den älteren Quellen ist von solchen Hügelfeuern die Rede. Die Seele, die den toten Leib kalt zurückläßt, konnte leicht als Feuer, Licht aufgefaßt werden. Von solchen leuchtenden Spukgestalten weiß der Volksglaube und die moderne spiritistische Literatur viel zu erzählen; dänisch lygtemand (Leuchtemann), blaasmand (Feuermann), vättelys (Geisterlicht); schwedisch lyseld (Leuchtfeuer), lyktgubbe (Leuchtemann), eldgast (Feuergeist). Nahe Berührung mit den Wichten und Elben zeigen Vättelys und Elflicht.

Die Seele des Toten klammert sich also förmlich an alles, was ihr gehört und vertraut ist. Unzählige allgemeine Volksvorstellungen von dem Umgehen der Geister beruhen auf diesem fetischhaften Zusammenhange der Seele und ihres Eigentums. Beraubung des Toten bildete das unter religiösen Gesichtspunkten geahndete Delikt des Walraubes. Später aber, in dem Wikingertreiben und Seeräuberleben, war es Sache der Bravour oder besonderer unheimlicher Künste, die Schätze der wachenden Seele zu entreißen, an denen sie besonders hing. Aber diese Erbrecher der Grabhügel hatten mit dem Hügelbewohner, der sich nicht gutwillig von seinem Eigentum trennen wollte, einen harten Kampf zu bestehen. Erst wenn sie ihm den Kopf – den Sitz der Seele – abgeschlagen und zwischen die Beine gelegt und die Leiche verbrannt hatten, konnten sie sich der Schätze bemächtigen. Namentlich die Sage Grettis des Starken ist reich an derartigen Taten.

Gretti sieht auf einem Hügel ein starkes Feuer aufleuchten und vermutet, daß dort ein Schatz begraben liegt. Er erfährt, daß der Hügel ein Grab ist und daß dieses Kar, dem Alten, gehört; unter der Erde sind starke Balken eingerammt, die eine Grabkammer umschließen: dort sitzt der tote Kar auf seinem Stuhle, umgeben von seinen Schätzen; durch sein Umgehen hat er die benachbarten Bauern verscheucht, so daß sein Sohn die ganze Insel ankaufen kann. Gretti gräbt einen Schacht in das Grab, bis er auf Holzwerk stößt, haut mit der Axt ein Loch in die Bohlen, groß genug, um einen Menschen durchzulassen, und läßt sich an einem Seile hinab, das sein Gefährte halten soll. Häßlicher Modergeruch schlägt ihm entgegen. Er findet das Gerippe eines Pferdes, stößt an die Kante eines Stuhles und bemerkt, daß ein Mann darauf sitzt, dessen Füße auf einem mit Gold und Silber gefüllten Schrein stehen. Als Gretti den Kasten nach dem Seile hinträgt, packt ihn jemand von hinten an. Ein furchtbarer Ringkampf entsteht; alles zerbricht, woran sie stoßen. Der Hügelbewohner kämpft angriffsweise, Gretti hält sich in der Verteidigung. Endlich sieht er, daß er alle seine Kräfte anwenden muß. Keiner schont mehr den andern. Ringend zerren sie sich hierhin, dorthin. Wo das Pferdegerippe liegt, packen sie sich am schärfsten und fallen wechselseitig in die Knie. Endlich stürzt der Hügelbewohner rücklings über, und unter dem Sturze gibt es einen donnergleichen Krach, so daß der Genosse oben erschreckt flieht. Schnell zieht Gretti sein Schwert, trennt den Kopf des Toten von dem Rumpfe und setzt den Kopf dem Draug an das Ende seines Rückens. An dem Tau steigt er dann wieder aus der Grabkammer empor.

Die Gespenster und Draugen sind also wunderbar lebendig und zäh; sie können noch einmal getötet werden, und dann muß man noch besondere Anstalten treffen, wenn man sicher sein will, sie für immer unschädlich gemacht zu haben.

Ein Isländer war während seines Lebens ein böswilliger und schadenfroher Mensch gewesen, und sein Tod war kein recht natürlicher. Er wird begraben, ist aber so schwer, daß man ihn nicht von der Stelle schaffen kann, und geht sogleich um. Besonders nach Sonnenuntergang wird es draußen unheimlich, und jedermann fürchtet sich. Ein Hirt wird vermißt und später tot aufgefunden. Die Leute flüchten aus der Gegend. Er tötet noch mehrere Menschen; zuletzt wird ein Scheiterhaufen errichtet und der Tote, der blau geschwollen war, darauf durch Verbrennen noch einmal getötet, die Asche wird ins Meer geworfen. Eine Kuh, die die Steine beleckt, an denen etwas von der Asche des Zauberers hängen geblieben war, gebiert davon später ein bösartiges Kalb, das Unheil über das Haus bringt: die Seele des Zauberers war also selbst durch dieses radikale Mittel nicht vernichtet, sondern war in den Körper des Kalbes gefahren.

Zauberer, die als Gespenst umgingen und nach wie vor Unheil stifteten, mußte man ausgraben, ihnen den Kopf abschlagen und einen Pfahl durch die Brust treiben oder sie verbrennen und ihre Asche ins Meer streuen.

Wie man dem Toten den Kopf abschlägt, den Seelensitz, um ihn wirklich tot zu machen, so soll die Pfählung der Leiche den Sitz des nicht völlig entschwundenen Lebens treffen. Es war in Grönland Brauch, daß man die Leute auf dem Hofe begrub, wo sie starben; man sollte dabei dem Toten einen Pfahl auf die Brust setzen.

In Dänemark wurden mit dem Beile hingerichtete Missetäter so begraben, daß der Kopf zwischen die Beine oder an die Füße gelegt wurde, dann konnte der Tote nicht als Wiedergänger auf die Erde zurückkehren. Die vielen Sagen von kopflosen, umherspukenden Gespenstern hängen jedenfalls mit diesem Glauben zusammen. In Schweden häuft man Steine auf ein Grab, um das Wiederkommen der bösartigen Seele des Wiedergängers materiell zu verhindern.

Hat aber ein Mensch dem Toten, der keine Ruhe im Grabe findet, diese verschafft, so erweist er sich dankbar.

Pelle Båtsmann landet an einem wüsten Ufer und schläft ein. Durch starkes Geräusch erweckt, sieht er, wie zwei Tote sich heftig balgen; er erfährt von dem unten liegenden, daß er allnächtlich von dem anderen aus dem Grabe gejagt und durchgepeitscht werde, weil er ihm bei Lebzeiten eine Schuld nicht bezahlt hatte. Pelle berichtigt diese und gibt dadurch dem gequälten Geist für immer Ruhe; dieser aber verheißt ihm augenblicklich Hilfe, falls Pelle ihn jemals in der Not anrufe, und erfüllt auch sein Versprechen getreulich. In ANDERSENS Märchen »Der Reisekamerad« ist dieses Motiv schön verwertet: Johannes hat zwei Männern sein ganzes Erbteil gegeben, die einen Toten wie einen Hund vor die Kirchtüre werfen wollen, weil er ihnen Geld schuldig geblieben ist. Der Tote schließt sich ihm später als Reisekamerad an, hilft ihm bei der Bewerbung um die Prinzessin, indem er für ihn die Rätsel rät, und gibt ihm endlich ein Mittel, die in eine Hexe verzauberte Prinzessin zu erlösen.

Die Seelenpflege soll nicht nur dem Toten Befriedigung gewähren, sondern auch dem Pflegenden als Gegengabe Hilfe und Rat. Denn Hilfe befreundeter Geister kann man an allen Dingen erfahren, im Hause, im Felde, bei der Herde, im Kriege; den Rat gewinnt man durch das Seelenorakel. Der Tote in seinem Grabe weiß alles, was auf Erden vorgeht und nimmt ein lebhaftes Interesse und eingehenden Anteil daran. Man kann ihn in wichtigen Dingen um Auskunft ersuchen, und man wird nicht vergeblich bitten. Wenn die Seele vor die Fenster ihres Hauses tritt, also kurz vor dem Tode, ist ihr bereits der Blick in die Zukunft eröffnet.

Es gab verschiedene Möglichkeiten, sich mit dem Verstorbenen in Verbindung zu setzen.

Noch aus dem 12. Jahrhundert wird von einem Norweger auf den Orkaden erzählt, daß er die Nächte auf den Gräbern der Toten zubrachte, um von ihnen Ratschläge und Weissagungen zu erhalten. Verstorbene weise Frauen wie Männer geben aus ihrem Grabe heraus ihr Wissen kund.

Allgemein ist die Sitte, draußen zu sitzen und Unholde oder Hügelbewohner zu wecken, um das Schicksal zu befragen. Auf Island und den Färöern wird das Draußensitzen am Kreuzwege besonders in der Julinacht oder am Sylvesterabend ausgeführt. Wer von Toten die Zukunft erforschen will, muß sich an die Stelle, wo vier Wege kreuzweise gehen, niederlegen, mit einer Kuhhaut bedecken und eine scharfe Axt zur Hand nehmen: gegen Mitternacht kommen dann seine verstorbenen Verwandten aus allen Windrichtungen, sagen ihm alles, was er zu wissen wünscht, Vergangenes und Künftiges über viele Menschenalter hinaus, und schleppen Gold und kostbare Kleinodien herbei.

Der Aufenthaltsort der Toten war das Grab selbst, die Tiefe der Erde. Das Grab hieß hel und wurde seit Urzeiten als Haus eingerichtet. In vorgeschrittener Zeit wurde das Totenhaus Hel als Halle mit hohen Sälen vorgestellt, wo der Met schäumte und die Becher kreisten. Wie Walhall vom Golde glänzt und mit Zieraten und Waffen geschmückt ist, so strahlt die Unterweltshalle im Glanze goldbelegter Dielen, blitzender Schilde und funkelnder Armringe. Aber trotz allen Prunkes ist das Leben dort unheimlich und beschränkt.

Wie die Menschen selbst, so bilden die Geister der Tiefe allmählich politische Verbände, über die besondere Götter oder Göttinnen als Könige oder Königinnen herrschen. Der griechische Hades und die germanische Hel haben von der Örtlichkeit des Totenreiches ihren Ausgang genommen; hades ist Ort der Unsichtbarkeit, hel Ort der Verbergung, Grab. In der Urzeit lebten die Toten zunächst »Jenseits von Gut und Böse«: besondere Lustörter für die Guten wie Elysium und Walhall, und besondere Straförter wie Tartaros und Niflhel sind verhältnismäßig spät aufgekommen.

Das altnordische Wort für Seele õnd gehört zu anan und sagt dasselbe aus wie anima: Seele und Wind gehört also zusammen. Floh der Lebenshauch aus dem erstarrten Körper, so schwebte er in die Luft empor, und die Seelen flogen im Sturme daher. Beim Sturme fährt die wilde Jagd, in Norwegen die Aasgaardsreia (eigentlich Aaskereia; schwedisch åska Blitz, reid Donner) durch die Luft, Seelen, die nicht so viel Gutes taten, daß sie den Himmel, nicht so viel Böses, daß sie die Hölle verdienten. An der Spitze des gespenstischen Zuges fährt die Gurorysse oder Reisarova d. i. Guroschwanz (altnordisch gygr Riesin) und Sigurd Snarenswend. Der Zug reitet über Wasser wie über Land, nimmt Vieh und Menschen mit sich, und sein Erscheinen bedeutet Kampf und Tod. Hört man den Zug nahen, so muß man aus dem Wege weichen oder sich platt auf den Boden werfen. Wo sie ihre Sättel auf ein Dach werfen, muß augenblicklich ein Mensch sterben. Man setzt für die Aasgardsreia etwas vom Weihnachtsessen und einen Krug Bier auf den Hof hinaus; am nächsten Morgen ist alles verzehrt, »und so ist die jährliche Sitte bis weit hinab in unsere Zeit gewesen«.

War der Sturm als die Vereinigung von Seelen gedacht, so mußte den Geistern, während der Wind ruhte, ein bestimmter Ruheort zugeschrieben werden. Aus dem Berge bricht der Wind hervor, in die Berge kehrt der Wind zurück. Berge sind darum das Heim der Toten.

Holger Danske (d. h. Oddgeir der Däne) sitzt unter dem Fels von Kronborg bei Kopenhagen im tiefen, finstern Keller. Er ist in Eisen und Stahl gekleidet und stützt sein Haupt auf die starken Arme; sein langer Bart hängt über den Marmortisch hinaus, in dem er festgewachsen ist; er schläft und träumt, aber im Traume sieht er alles, was oben in Dänemark vorgeht. Gerät Dänemark in Gefahr, so wird sich der alte Holger Danske erheben, so daß der Tisch birst, wenn er den Bart zurückzieht; dann kommt er hervor und schlägt drein, daß es in allen Ländern der Welt gehört wird.

Ähnliches erzählt die bekannte deutsche Sage vom Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser.

Wie die fortschreitende Lebensfürsorge aus Familien Familienverbände mit beginnender Organisation schafft, tritt aus dem in die Breite gehenden Seelenkultus die klarere Einheit des Ahnenkultus heraus. Nicht mehr die nächste Verwandtschaft allein labt die Seelen der Toten durch Speise und Trank, sondern die Mitglieder der einzelnen Familienverbände erweisen den Seelen der Abgeschiedenen der eigenen Sippe oder der eigenen Hausgemeinschaft göttliche Ehren. Dieser Ahnendienst erhebt sich zum Heroenkultus, wenn er sich auf einzelne durch ihre Taten besonders berühmte Vorfahren bezieht: sie werden zunächst als Schutzgeister jener Familienverbände, später als Schirmherren des Landes verehrt, das sie bewohnen. Ödipus wünscht Tod und Grab im Haine der Eumeniden zu finden, um den Thebanern furchtbar zu werden und das attische Land gegen sie zu schirmen, wenn sie dereinst als Feinde entgegentreten sollten. Das Christentum hat an die Stelle der Heroen die Märtyrer und Heiligen gesetzt; ihre Gebeine sind ein gleich sicheres Unterpfand für den Schutz, den sie Stadt und Land angedeihen lassen, wie vordem die Gräber und Denkmäler der Landesheroen. Auch bei den Germanen treten die im Boden der Gemarkung bestatteten Heroen als Schutzgeister des Landes auf.

Ganz deutlich wird ausgesprochen, daß Menschen, die man bei Lebzeiten hochgeschätzt hatte, Opfer gebracht wurden, in der Meinung, daß sie weiter helfen könnten; traten aber unfruchtbare Zeiten ein, so erklärte man sie für Unholde oder üble Wichte.

Der gottähnliche König, der sein Geschlecht von den Göttern selbst ableitet, wird nach seinem Tode zu den Göttern aufgenommen, apotheosiert. Seine Leichenfeier wurde prunkvoll begangen und Ehre dem Verstorbenen erwiesen, nicht wie einem Menschen, sondern als einem Heros, einem Verklärten. Wieder mag eine einfachere Form den Übergang bilden:

Als der nordische Wiking IWAR, Sohn RAGNAR LODBROKS, in England starb, gebot er auf dem Totenbette, ihn dort zu bestatten, wo das Land feindlichen Einfällen ausgesetzt wäre; so, sagte er, würden die dort landenden nicht den Sieg davontragen. Es geschah also, und jeder Versuch, über seinen Grabhügel vorzudringen, mißlang, bis Wilhelm der Bastard, einen Einfall ins Land versuchend, zuerst Iwars Hügel ausgrub und ihn unverwest darinnen fand. Er ließ einen großen Scheiterhaufen errichten und Iwar darauf verbrennen. Danach ging er ans Land und gewann den Sieg.

Die göttlich verehrten Ahnenseelen, die zur Apotheose gelangten Menschen bezeichnet nach der jüngsten Erklärung das Wort Ase, dessen Grundbedeutung Lebenshauch sei, anima, Geist eines Verstorbenen. Die Goten nannten ihre Edlen, deren Glück sie den Sieg verdankten, nicht mehr einfach Menschen, sondern Asen, d. h. Halbgötter. Asen sind also ursprünglich siegreiche zu den Göttern erhobene Helden, heroisierte, nach dem Tode zu göttlichem Leben erhöhte Fürsten. Könige der nordischen Erde wurden zu Asen des nordischen Himmels. Diese sind also nicht Vollgötter, sondern Halbgötter. War schon der leibhaftige König als Göttersohn höherer Ehren und fast göttlicher Verehrung bei seinem Volke teilhaftig, so verehrte dieses in der göttlichen Seele des verstorbenen Königs einen treuen Wächter und Schirmherrn. So entsteht die schöne Vorstellung, daß die alten großen Götter ihre bevorzugten Lieblinge zu sich heimholen. Könige und Prinzen, in deren Adern Götterblut floß, aus den alten Göttern entsprossene Edelinge wurden in Walhall aufgenommen, wenn sie sich selbst dem Odin opferten (wie z. B. Hadding) oder dem Odin geopfert wurden (wie z. B. Helgi) oder auf der Walstatt blutigen Opfertod fanden; denn auch der Krieg und die Schlacht waren religiös geweiht. Diese durch Opfertod geweihten Heroen erhielten den Ehrentitel Einherjer oder Asen und lebten im Kultus als Söhne des Odin fort. Von der Erde entrückt, walteten sie im Himmel schützend und hilfreich über ihren irdischen Kultgemeinden. Wenn auch Asen und Einherjer keineswegs identisch sind, so bleibt doch die Vorstellung von der göttlichen Verehrung der Ahnenseelen zu Recht bestehen. Aber die spätere Zeit hat das Bewußtsein davon verloren, daß die Asen in den religiösen Vorstellungen des Ahnenkultus wurzeln und bezeichnet auch die göttlichen Vertreter der himmlischen Naturgewalten (altnordisch tivar) als Asen.

Der im Grabhügel weilende, alle Zeit mit seinem Wissen umspannende Heros erscheint wie die Seelen Verstorbener als Schlange oder Drache, als das Tier, das in der Nähe der Gräber wie der Wohnungen der Lebenden seine Schlupfwinkel hat, plötzlich und geheimnisvoll erscheint und verschwindet. Die Schatzhöhle des riesigen Drachen Fafni ist die unter dem Hügel sich breitende Grabkammer, wo der Unterirdische mitten in der Fülle des ihn im Lichte der Oberwelt umgebenden Reichtums bestattet ist. Sigurd zwingt das drachengestaltete Orakelwesen zur Aussage. Selbst von dem Blute des Toten geht noch eine zauberhafte Wirkung aus: Sigurds Auge und Ohr werden für ein Vogelorakel empfänglich, für die im Vogelgezwitscher kund werdenden Orakelweisungen. Als die Seele, die zäh bei ihrem Schatze wacht, ist die Schlange die Hüterin des Grabschatzes; als Heros besitzt sie weissagende Kraft.

Höhlen und Totenhaine sind die typischen Grundlagen der Drachensagen. Drache und Gold sind seither so unzertrennlich geblieben, daß auch unser »Geizdrache« noch ein Überbleibsel dieser Vorstellung ist. Auch der Drache Nidhögg am Fuße der Weltesche, wo die Thursen ihre unterirdische Wohnung haben, wird in diesen Zusammenhang gehören.

2. Bedeutung des Traumes für die Entstehung mythologischer Vorstellungen

Die Erscheinungen des Traumlebens sind von höchster Bedeutung für die Vorstellung von der Fortdauer der Seele gewesen; vielleicht sind sie geradezu die Veranlassung zum Glauben an Geister und deren Eingreifen in das Menschenleben. Die Traumbilder werden in einer Zeit, der es an Einsicht in die Gesetze der Natur und des Seelenlebens fehlt, für volle Wirklichkeit genommen, und daraus ergibt sich der Glaube an Geister. Gerade so halbmateriell, so schattenartig verschwommen wie die Traumbilder haben sich die Völker auch zu allen Zeiten die Gestalten der Geister gedacht. Das gemeingermanische Wort Traum (altnordisch draumr, mittelhochdeutsch troum, englisch dream) ist verwandt mit altnordisch draugr, neunordisch Draug, althochdeutsch gi-troc »Gespenst«; der Zustand, in dem die Schlafruhe der Seele von den nächtlichen Besuchern, den dämonischen Wesen, beunruhigt wird, wurde drau(g) wmós genannt: Traum ist also die Toten- oder Gespenstertraumerscheinung. Die ursprüngliche Konstruktion des Verbums »träumen« zeigt, wie fest der Glaube der Germanen an die Objektivität der Traumwelt war. Träumen hieß »in den Zustand versetzen, der durch draumr bezeichnet wird«. Die Person, von der nach unserer Anschauungsweise geträumt wird, galt als die erzeugende Ursache des Traumes; im altnordischen heißt es nicht bloß unpersönlich »mich träumte«, sondern ganz gewöhnlich »der Mann hat mich geträumt«. Nicht die Traumerscheinung ist der Inhalt des Traumes, sondern das, was sie den Schläfer träumen läßt: das Traumbild ist offenbar als ruhestörende, beängstigende Erscheinung gedacht.

Gewöhnlich wird die Deutung eines Traumes, in dem sich lebende Wesen gezeigt haben, mit den Worten eingeleitet: »das müssen die Fylgjen großer Männer gewesen sein«. Diese enge Verbindung zwischen Träumen und Geistern kann kein Zufall sein, sondern muß als ein Beweis für die Entstehung des Geisterglaubens aus den Traumbildern gelten. Da die Nordleute für philosophische Spekulationen wenig veranlagt waren, ist es leicht verständlich, daß sie den Glauben an Geister nicht sonderlich weit und tief entwickelt und sich vielmehr im wesentlichen darauf beschränkt haben, Geister da anzunehmen, wo die Erfahrung sie unmittelbar zu zeigen schien – nämlich in den Träumen.

Die Vorliebe der Nordleute für Träume ist außerordentlich stark. Es gibt kaum eine Sage, in der nicht wiederholt von Träumen und deren Auslegung die Rede ist. Gewisse Menschen haben eine besondere Gabe, zu träumen und Träume zu deuten. Von einem Weibe heißt es: »immer wird sie im Traume solche Dinge gewahr, deren Eintreffen ihr wahrscheinlich dünkt« und von einem Manne: »er deutete Träume besser als andere Leute«. Die Unfähigkeit, zu träumen, galt geradezu als eine Krankheit. König Halfdan, der niemals träumte, wandte sich deshalb um Rat an einen weisen Freund. Traumlosigkeit schlägt für keinen Mann gut aus, denn es ist wider die Natur des Mannes, daß er nie träumt.

Die Traumdeutung erfolgte nicht nach bestimmten Regeln, hatte also kein wissenschaftliches Gepräge, sondern war Sache einer augenblicklichen Inspiration. Denn der Träumende war selten mit der Auslegung zufrieden, sondern erklärte geradezu, daß wohl eine bessere Deutung hätte gefunden werden können.

Gleichwohl war man fest überzeugt, daß der richtig gedeutete Traum sich unweigerlich erfüllen würde. Daher finden wir verschiedene Beispiele dafür, daß man sich scheute, beunruhigende Träume zu erzählen; denn man wünschte sie nicht in ungünstigem Sinne gedeutet zu sehen, und man zieht es oft vor, den Traum eines anderen ungedeutet zu lassen, um sich nicht seinem Zorn oder seiner Ungnade auszusetzen. Hat man aber erkannt, daß das im Traum angekündigte Schicksal unausbleiblich ist, so weiß man sich mit Heldenmut darin zu fügen. Der Fatalismus der Germanen, der so gern eine Frage an das Schicksal frei haben wollte, der den Orakeln in allen Angelegenheiten des Lebens eine so hohe Bedeutung beimaß, ließ ihn auch unerschrocken der Gefahr ins Auge sehen, wenn er sie als unvermeidlich erkannt hatte. Wie er sich jauchzend in das Wetter der Speere stürzte, wie er mit unheimlicher Folgerichtigkeit auch das letzte Schicksal seiner Götter erwog, so ergab er sich stumm und stolz in das vom Traum gewiesene Los. Aus dieser Überzeugung entwickelt sich die trotzige fatalistische Ergebung. Träume können den Helden von dem einmal gefaßten Vorhaben nicht abhalten:

Wieviel die Helden auch warnten, nicht hörten die Recken darauf.

So konsequent wird schließlich der Fatalismus getrieben, daß man dem Traume direkt die Kraft zuschrieb, die Todesgeweihtheit herbeizuführen, den Tod also als eine unmittelbare Folge des Traumes hinstellte.

Häufig erscheinen die Seelen von Menschen dem Träumenden in Tiergestalt, nicht nur als schattenhafte Geister, und zwar besucht die Fylgja ausschließlich den Träumer in Tiergestalt, als Wolf, Bär, Eisbär, Eber, Hirsch, Ochse, Pferd, Hund, Vogel, Adler, Rabe, Schwan, Habicht, Falke, Schlange, Drache usw.