Von der Kunst des Zuhörens. Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse - Erich Fromm - E-Book

Von der Kunst des Zuhörens. Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse E-Book

Erich Fromm

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Beschreibung

Erich Fromm hat kaum etwas zur sogenannten therapeutischen „Technik“ publiziert. Umso wertvoller ist der nachgelassene Band ‚Von der Kunst des Zuhörens‘, der – aus dem Mitschnitt eines Vortrags und eines Seminars entstanden – zahlreiche Fragen der psychotherapeutischen Praxis erörtert. Die Beiträge dieses Buches geben nicht nur unmittelbar Auskunft über den praktizierenden Psychoanalytiker Fromm (wozu vor allem seine detaillierten Bemerkungen zu einem Fallbericht beitragen), sondern auch über die modernen Charakterneurosen und die speziellen Erfordernisse bei ihrer Behandlung. Für Fromm ist die Kunst des Therapierens eine Kunst des Zuhörens und eine Frage des Bezogenseins. Eine solche therapeutische „Technik“ lässt sich nicht mit Hilfe von störungsspezifischen Behandlungsmanualen erlernen; vielmehr ist sie das Ergebnis eines sehr direkten, urteilsfreien Bezogenseins auf einen anderen Menschen und auf sich selbst. Patienten werden von Fromm nicht als ein fremdes, „gestörtes“ Gegenüber gesehen; vielmehr ist die Beziehung von einer tief reichenden Solidarität bestimmt. Dies setzt voraus, dass der Analytiker und die Analytikerin mit sich selbst umzugehen gelernt haben und noch immer – durch tägliche Selbstanalyse – zu lernen bereit sind. Aus dem Inhalt • Wirkfaktoren der psychoanalytischen Behandlung • Voraussetzungen der psychoanalytischen Therapie • Die prägende Kraft von Gesellschaft und Kultur • Die therapeutische Beziehung im psychoanalytischen Prozess • Die Bearbeitung des Widerstands • Übertragung, Gegenübertragung und reale Beziehung • Besondere Methoden bei der Therapie der modernen Charakterneurosen • Sich selbst analysieren • Psychoanalytische „Technik“ oder die Kunst des Zuhörens

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Seitenzahl: 337

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Von der Kunst des Zuhörens.Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse

(The Art of Listening)

Erich Fromm(1991a)

Als E-Book herausgegeben und kommentiert von Rainer FunkAus dem Amerikanischen von Rainer Funk.

Erstveröffentlichung 1991 in deutscher Übersetzung als Band 5 der „Schriften aus dem Nachlass“ unter dem Titel Von der Kunst des Zuhörens. Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse beim Beltz Verlag, Weinheim. Reprint als Heyne Sachbuch 1995 beim Heyne Taschenbuchverlag in München. Überarbeitet fanden die Beiträge dieses Sammelbandes 1999 Aufnahme in die Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag), Band XII, S. 237-367. – Die Erstpublikation der Schriften dieses Bandes in der englischen Originalsprache erfolgte 1994 unter dem Titel The Art of Listening beim Verlag The Continuum Publishing Corporation in New York.

Die E-Book-Ausgabe der einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes orientiert sich an den von Rainer Funk herausgegebenen und kommentierten Textfassungen der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden, München (Deutsche Verlags-Anstalt und Deutscher Taschenbuch Verlag) 1999, Band XII, S. 237-367.

Die Zahlen in [eckigen Klammern] geben die Seitenwechsel in der Erich Fromm Gesamtausgabe in zwölf Bänden wieder.

Copyright © 1991 by The Estate of Erich Fromm; Copyright © als E-Book 2015 by The Estate of Erich Fromm. Copyright © Edition Erich Fromm 2015 by Rainer Funk.

Inhalt

Von der Kunst des Zuhörens. Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse

Inhalt

Vorwort von Rainer Funk

Wirkfaktoren der psychoanalytischen Behandlung

1. Die therapeutischen Wirkfaktoren nach Sigmund Freud und meine Kritik daran

2. Benigne und maligne Neurosen. Mit einem Fallbeispiel für eine gutartige Neurose

3. Konstitutionelle und andere Wirkfaktoren

Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse

1. Zum Selbstverständnis und zum Menschenbild der Psychoanalyse

a) Welches Ziel hat die Psychoanalyse?

b) Sigmund Freuds therapeutische Zielsetzung und ihre Kritik

c) Das Freudsche Bild vom Kind und seine Kritik

d) Der Stellenwert der Kindheitserfahrungen im therapeutischen Prozess

e) Die Rezeption der Psychoanalyse in der therapeutischen Praxis

f) Der Beitrag Harry Stack Sullivans zum Menschenbild der Psychoanalyse

g) Die Krankheit unserer Zeit als Herausforderung für die Psychoanalyse

2. Voraussetzungen der psychoanalytischen Therapie

a) Die Fähigkeit zu psychischem Wachstum

b) Die Verantwortung jedes Einzelnen für sein psychisches Wachstumspotenzial

c) Die Fähigkeit zur subjektiven Wirklichkeitswahrnehmung

d) Die prägende Kraft von Gesellschaft und Kultur

e) Die Dynamik psychischer Entwicklung und die Freiheit des Menschen

3. Die Wirkfaktoren der psychoanalytischen Therapie

4. Die therapeutische Beziehung im psychoanalytischen Prozess

a) Das Geschehen zwischen Psychoanalytiker und Analysand

b) Voraussetzungen beim Psychoanalytiker

c) Fragen des Umgangs mit dem Analysanden

5. Aufgaben und Methoden des psychoanalytischen Prozesses

a) Die Mobilisierung unbewusster Kräfte und das Aufzeigen von Alternativen

b) Sublimierung, Triebbefriedigung und Triebverzicht am Beispiel sexueller Perversionen

c) Die Bearbeitung des Widerstands

d) Übertragung, Gegenübertragung und reale Beziehung

e) Hinweise zur Arbeit mit Träumen

6. Christiane. Bemerkungen zur therapeutischen Methode und zum Traumverstehen anhand eines Fallberichts

a) Die ersten drei Stunden und der erste Traum

b) Der zweite Therapiemonat und der zweite Traum

c) Der weitere Verlauf der Therapie und der dritte Traum

d) Der vierte Traum und generelle Überlegungen zum Verlauf der Therapie

7. Besondere Methoden bei der Therapie der modernen Charakterneurosen

a) Das eigene Handeln ändern

b) Interesse an der Welt entwickeln

c) Kritisch denken lernen

d) Sich selbst erkennen und seines Unbewussten gewahr werden

e) Des eigenen Körpers gewahr werden

f) Sich konzentrieren und meditieren

g) Den eigenen Narzissmus entdecken

h) Sich selbst analysieren

8. Psychoanalytische „Technik“ oder die Kunst des Zuhörens

Literaturverzeichnis

Der Autor

Der Herausgeber

Impressum

Vorwort von Rainer Funk

Immer wieder hatte Erich Fromm Pläne, das, was er selbst als Psychoanalytiker therapeutisch umsetzte und in den Ausbildungsinstituten in New York und Mexiko-Stadt in klinischen Seminaren lehrte, zu Papier zu bringen. Den letzten großen Anlauf dazu nahm er 1965, als er ein mehrbändiges Werk über Humanistische Psychoanalyse in Theorie und therapeutischer Praxis zu schreiben begann. Was sich davon an Manuskripten im Nachlass fand, habe ich 1990 in dem Band Die Entdeckung des gesellschaftlichen Unbewussten (1990a) veröffentlicht. Nur ab und zu kommt Fromm darin auf klinische Fragen zu sprechen. Der vorliegende Band versucht, diese Lücke in Fromms Werk mit zwei anderen Arbeiten aus dem Nachlass ein wenig zu schließen.

Wirkfaktoren der psychoanalytischen Behandlung lautete der Titel eines Vortrags, den Fromm am 25. September 1964 bei der Harry Stack Sullivan Society anlässlich der Einweihung des neuen Gebäudes des William Alanson White Institute in New York gehalten hat. Der Vortrag zeichnet sich besonders dadurch aus, dass Fromm hier zwischen einer gutartigen und einer bösartigen Neurose unterscheidet und sehr deutlich die Grenzen der psychoanalytischen Behandlung aufzeigt. Vor allem aber ist der Vortrag einer der wenigen Beiträge Fromms, in dem er ein Fallbeispiel bespricht, zwar kein Beispiel aus seiner eigenen therapeutischen Praxis. Eduardo Zajur, damals noch Ausbildungskandidat, in den 1980er Jahren dann Direktor des Mexikanischen Psychoanalytischen Instituts, hatte den Fall als Examensfall im August 1963 Fromm vorgestellt.[1]

Das, was bei psychischen Erkrankungen therapeutisch wirksam ist und zur Heilung beiträgt, ist mittlerweile – auch unter dem Kostendruck im Gesundheitswesen – eine empirisch sehr gut erforschte Frage. Umso interessanter ist, was Fromm auf Grund seiner eigenen therapeutischen Erfahrung als Wirkfaktoren ausgemacht hat. Neben konstitutionellen Wirkfaktoren (zu denen Fromm zum Beispiel die Vitalität zählt) nennt er unter anderem den Leidensdruck („ob ein Patient wirklich den Tiefpunkt seines Leidens erreicht hat“), das Vorhandensein einer Vision von dem, „was jemand mit seinem Leben will“, die Ernsthaftigkeit des Veränderungswunsches und die aktive Teilnahme des Patienten; nicht zuletzt aber ist auch die Persönlichkeit des Psychoanalytikers ein wichtiger Wirkfaktor, weshalb sich Fromm bis zu seinem Lebensende täglich Zeit für die Selbstanalyse nahm. – Hingewiesen sei an dieser Stelle noch, dass sich Fromm später nochmals mit der Frage der Wirkfaktoren der psychoanalytischen Therapie beschäftigt hat, und zwar im Hauptteil dieses Buches über Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse (1991d, GA XII, S. 293–296).

Der Mangel an eigenen Veröffentlichungen zur therapeutischen Praxis wird durch eine weitere Veröffentlichung aus dem Nachlass Fromms ein wenig kompensiert. Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse stellt den Versuch der Wiedergabe eines Seminars dar, das Fromm amerikanischen Psychologiestudenten während eines dreiwöchigen Seminars 1974 in Locarno gab. Die insgesamt 400 Seiten starke Abschrift des Mitschnitts dieses in englischer Sprache geführten Seminars wurde in den folgenden Jahren von Fromms Sekretärin, Joan Hughes, erstellt und von Fromm teilweise noch bearbeitet. Bei der Veröffentlichung des Transkripts wurde versucht, den Charakter des gesprochenen Wortes in der vorliegenden Übersetzung zu erhalten. Allerdings wurde die Reihenfolge der Texte und Themen weitgehend neu bestimmt und wurden die Gliederung und die Überschriften mit Ausnahme des allerletzten Abschnittes von mir als Herausgeber gewählt bzw. hinzugefügt. Ansonsten sind nennenswerte Hinzufügungen durch mich immer durch eckige Klammern gekennzeichnet.

Die hier veröffentlichten Teile des Transkripts des Seminars von 1974 geben nicht nur unmittelbar Auskunft über den Therapeuten Fromm (wozu vor allem seine Bemerkungen anhand eines im Seminar eingebrachten Fallberichts beitragen), sondern auch über seine Wahrnehmung der modernen Charakterneurosen und der Notwendigkeit besonderer Erfordernisse bei ihrer Therapie. Einige Abschnitte des Seminars von 1974 wurden durch Äußerungen, die Fromm 1963 in einem Interview machte, das er Richard Evans gab (Interview with Richard Evans: Dialogue with Erich Fromm, 1966f), erweitert. Der letzte Abschnitt mit dem von Fromm selbst formulierten Titel Psychoanalytische „Technik“ oder die Kunst des Zuhörens wurde von ihm noch kurz vor seinem Tod 1980 verfasst und sollte nach seiner Vorstellung die Veröffentlichung von Teilen des Seminars von 1974 einleiten.

Über das während des Seminars besprochene Fallbeispiel (Christiane) hat der Leiter des Seminars, Bernard Landis, einen eigenen Beitrag publiziert (B. Landis, 1981). Zur Sicherung der Anonymität wurden Namen, Orte und Berufe bei der Fallbesprechung für die Veröffentlichung geändert.

Die umfangreiche Textzusammenstellung Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse vermittelt keine psychoanalytische Technik. Nach Fromms Ansicht und entgegen dem Anspruch der Lehrbücher zur psychoanalytischen Technik ist die Kunst des Therapierens eine Kunst des Zuhörens und eine Frage des Bezogenseins. Deshalb geben die Texte Auskunft über Fromms Art des Umgangs mit dem seelisch leidenden Menschen unserer Zeit. Nicht wortgewaltige Theorien und Abstraktionen und auch keine differential-diagnostischen „Vergewaltigungen“ des „Patientenmaterials“ kennzeichnen seine therapeutische Beziehung; beeindruckend ist vielmehr seine Fähigkeit zu eigenständiger und unabhängiger Wahrnehmung der Grundprobleme des Menschen.

Wie ein roter Faden zieht sich Fromms humanistische Haltung durch sein Verständnis vom Patienten und der Patientin und vom Umgang mit ihnen. Sie werden nicht als Gegenüber gesehen; sie sind keine grundsätzlich verschiedenen Menschen. Zwischen Analytiker und Analysand ist eine tiefe Solidarität spürbar. Sie setzt voraus, dass der Analytiker und die Analytikerin mit sich selbst umzugehen gelernt haben und noch immer zu lernen bereit sind, statt sich hinter einer „psychoanalytischen Technik“ zu verstecken. Der Analytiker ist sich selbst sein nächster Patient, und sein Patient wird ihm zu seinem (Co-)Analytiker. Fromm sieht in der therapeutischen Beziehung zum Patienten und zur Patientin immer auch eine Möglichkeit zur Selbstanalyse sowie die Chance, sich im Umgang mit den beidseitigen Gegenübertragungswahrnehmungen vom Patienten analysieren zu lassen.

Nach dem Gesagten gibt es gute Gründe, warum Fromm kein Lehrbuch der psychoanalytischen Therapie geschrieben und auch keine eigene therapeutische Schule gegründet hat. Auch sind die Ausführungen in diesem Buch nicht als Ersatz für ein Lehrbuch zur psychoanalytischen Technik anzusehen (vgl. M. Bacciagaluppi, 1989). Das Besondere seiner therapeutischen Beziehung lässt sich nämlich nicht in einer „psychoanalytischen Technik“ in den Griff bekommen. Fromm fordert den ganzen Einsatz der eigenen Persönlichkeit und eines produktiv orientierten Charakters des Psychoanalytikers und der Psychoanalytikerin. Nur zu leicht verführt eine ausgefeilte psychoanalytische „Technik“ dazu, sich mit seinem „Know how“ des Therapierens als Mensch hinter störungsspezifischen Manualen verstecken zu können.

Am deutlichsten kommt diese Frommsche Sicht der therapeutischen Beziehung und des therapeutischen Raums in drei Vorträgen zum Ausdruck, die er 1959 am William Alanson White Institute in New York gehalten hat und die ich unter dem Titel Das Unbewusste und die psychoanalytische Praxis (1992g, GA XII, S. 201-236) posthum veröffentlicht habe. Was zählt ist keine „Technik“, sondern ein „center-to-center“- oder „core-to-core“-Bezogensein (vgl. R. Biancoli, 2006d) und die Fähigkeit zu einer „direkten“ Begegnung (vgl. R. Funk, 2009l).

An weiteren Publikationen Fromms zu klinischen Fragen – jenseits der beiden in diesem Band veröffentlichten – sind zu nennen neben dem Buch Märchen, Mythen, Träume (1951a) eine Zusammenfassung seines Verständnisses des Träumens und der Traumdeutung in Das Wesen der Träume (1949a, GA IX, S. 161-168), die Anmerkungen zum Problem der Freien Assoziation (1955d, GA XII, S. 195-200), das Kapitel „Bewusstsein, Verdrängung und Aufhebung der Verdrängung“ in Psychoanalyse und Zen-Buddhismus (1960a, GA VI, S. 320-233, der Beitrag Der Ödipuskomplex. Bemerkungen zum „Fall des kleinen Hans“ (1966k, GA VIII, S. 143-151) sowie der Abschnitt „Zur Revision der psychoanalytischen Therapie“ in Die dialektische Revision der Psychoanalyse (1990f, GA XII, S. 64-71).[2]

Wer noch mehr darüber erfahren möchte, wie Fromm therapeutisch gearbeitet hat und welche Art von therapeutischer Beziehung er praktizierte, sollte die Veröffentlichungen seiner Schülerinnen und Schüler, die bei ihm am William Alanson White Institut in New York und am Psychoanalytischen Institut in Mexiko-Stadt die therapeutische Ausbildung machten, zu Rate ziehen. Fromm hat über 50 Jahre lang mit Patienten therapeutisch gearbeitet; über 40 Jahre lang war er Lehranalytiker, Kontrollanalytiker und Dozent. Wer ihn in diesen Funktionen kennen lernte, war von seiner Direktheit und Unerbittlichkeit als Wahrheitssucher und als gesellschaftskritischer Weggenosse, ebenso aber auch von seinem außerordentlich großen Einfühlungsvermögen und von der Nähe und Unmittelbarkeit seiner Bezogenheit auf den Anderen beeindruckt. Unter den zahlreichen Veröffentlichungen ist an erster Stelle der Sammelband Erich Fromm als Therapeut. Frühere Schüler erinnern sich an seine Praxis der Psychoanalyse (R. Funk (Hg.), 2009) zu nennen. Die amerikanischen Schülerinnen und Schüler, unter ihnen Marianne Horney Eckhart, Clara Thompson, Edward S. Tauber, Bernard Landis und Ruth M. Lesser, haben ihre Beiträge vor allem in der Zeitschrift Contemporary Psychoanalysis veröffentlicht, während die Arbeiten der mexikanischen Schülerinnen und Schüler, unter ihnen Jorge Silva García, Aniceto Aramoni und Eduardo Zajur, in der Zeitschrift Revista de Psicoanálisis, Psiquiatría y Psicología 1965 bis 1975 und den nachfolgenden Publikationsorganen des von Fromm gegründeten Psychoanalytischen Instituts in Mexiko (Memoria, Anuario) erschienen sind.

Jenseits der amerikanischen und mexikanischen Schülerinnen und Schüler Fromms haben sich vor allem die beiden Italiener Marco Bacciagaluppi (vgl. z.B. M. Bacciagaluppi, 2012) und Romano Biancoli (vgl. z.B. R. Biancoli, 1987) mit Fromms Art zu therapieren beschäftigt, während es im deutschen Sprachraum bisher keine nennenswerte größere Rezeption der therapeutischen Praxis von Fromm gibt.

Fromm hat, wie es zu seiner Zeit noch üblich war, die männliche Form als beide Geschlechter betreffende Bezeichnung bevorzugt. So spricht er vom Patienten, meint aber immer die Patientin oder den Patienten. Um nicht zu sehr in die Texte Fromms einzugreifen, wurde diese Schreibweise beibehalten.

Wirkfaktoren der psychoanalytischen Behandlung

(Causes for the Patient’s Change in Analytic Treatment)

(1991c [1964])[3]

1. Die therapeutischen Wirkfaktoren nach Sigmund Freud und meine Kritik daran

Zur Frage, welche Faktoren bei der psychoanalytischen Behandlung ausschlaggebend sind, hat Freud mit seiner Schrift Die endliche und die unendliche Analyse (S. Freud, 1937c) meines Erachtens den wichtigsten Beitrag geleistet. Die Schrift ist nicht nur brillant, sondern auch äußerst couragiert geschrieben, wobei es Freud in keinem seiner Werke an Courage fehlte. Sie entstand kurz vor seinem Tode; in gewisser Weise fasst er in ihr seine eigenen Ansichten über die Wirkung der analytischen Behandlung zusammen. Ich möchte im Folgenden zunächst die wichtigsten Gedanken dieser Schrift kurz darstellen, um dann ausführlich auf sie einzugehen und weiterführende Vorschläge zu machen.

An erster Stelle fällt auf, dass Freud in dieser Schrift eine Theorie der Psychoanalyse vorstellt, die sich seit den frühesten Tagen kaum verändert hat. Die Neurose fasst er als Konflikt zwischen den Trieben und dem Ich auf: Entweder ist das Ich nicht stark genug, oder die Triebstärke ist zu groß; in jedem Fall aber wird das Ich wie ein Damm gesehen, der dem Ansturm der Triebkräfte nicht widerstehen kann, weshalb es zur Ausbildung einer Neurose kommt. Diese Vorstellung liegt in der Konsequenz und auf der Linie seiner frühen Theorie, die er, ohne Verbesserungen und Veränderungen zu machen, im Kern hier wieder aufnimmt. Aus ihr ergibt sich, dass die analytische Kur im wesentlichen in einer Stärkung des Ichs besteht. Dieses Ich war von der Kindheit her zu schwach und wird durch die analytische Kur dazu befähigt, jetzt mit den Triebkräften fertig zu werden. Die Stärkung des Ichs gegen den Ansturm der Triebkräfte ist das Wesen der analytischen Therapie.

Zweitens ist zu fragen, was nach Freud eine erfolgreiche analytische Behandlung ist. In Die endliche und die unendliche Analyse (S. Freud, 1937c, S. 63) nennt Freud als erste Bedingung, dass „der Patient nicht mehr an seinen Symptomen leidet und seine Ängste wie seine Hemmungen überwunden hat“. Es gibt aber noch eine zweite sehr wichtige Bedingung. Freud glaubt nicht, dass die Befreiung von Symptomen, also das Verschwinden der Symptome allein, bereits Heilung bedeutet. Nur wenn der Analytiker davon überzeugt ist, dass ausreichend unbewusstes Material an die Oberfläche gebracht wurde, das erklären kann, warum die Symptome sich aufgelöst haben, kann von einer Heilung gesprochen und davon ausgegangen werden, dass die früheren [XII-240] Symptome nicht mehr wiederkehren. Freud spricht im Zusammenhang mit dem analytischen Prozess von der „Bändigung der Triebe“ und davon, dass „der Trieb (...) allen Beeinflussungen durch die anderen Strebungen im Ich zugänglich ist“ (S. Freud, 1937c, S. 64 und S. 68). Zuerst also werden die Triebe zu Bewusstsein gebracht – denn wie sollten sie sich sonst bändigen lassen? –, dann wird in der analytischen Kur das Ich gestärkt und gewinnt jene Stärke, die es in der Kindheit nicht entwickeln konnte.

Des Weiteren ist nach den Faktoren zu fragen, die Freud in Die endliche und die unendliche Analyse für das Ergebnis einer Analyse – für die Heilung oder für das Scheitern der Analyse – verantwortlich macht. Er erwähnt drei Faktoren: erstens den „Einfluss von Traumen“, zweitens die „konstitutionelle Triebstärke“ und drittens die „Ichveränderung“ im Prozess der Abwehr gegen den Ansturm der Triebe (S. Freud, 1937c, S. 68). Eine ungünstige Prognose ergibt sich nach Freud, wenn eine konstitutionell gegebene Stärke der Triebe auf ein in der Abwehr geschwächtes Ich stößt. Da Freud selbst diese Konstellation in Die endliche und die unendliche Analyse nicht ganz klärt, konzentriere ich mich hier auf die beiden ersten Faktoren, auf den Einfluss der Traumen und auf die konstitutionelle Triebstärke.

Es ist hinlänglich bekannt, dass der konstitutionelle Faktor der Triebstärke für Freud hinsichtlich der Heilung einer Krankheit von entscheidender prognostischer Bedeutung war. Es ist schon sehr seltsam, dass Freud quer durch sein ganzes Werk, von den frühen Schriften bis zu seinen allerletzten, die Bedeutung der konstitutionellen Faktoren unterstrich, und dass Freudianer wie Nicht-Freudianer diesen Faktoren, die Freud so wichtig waren, höchstens Lippenbekenntnisse gezollt haben.

Für Freud war also der eine die Heilung ungünstig beeinflussende Faktor die konstitutionelle Triebstärke, und zwar selbst bei normaler Ichstärke. Aber auch der zweite die Heilung ungünstig beeinflussende Faktor, die Ich-Verschiedenheit, kann konstitutionell sein. Es gibt für Freud deshalb auf beiden Seiten einen konstitutionellen Faktor: auf der Seite der Triebe und auf der Seite des Ichs. Schließlich gibt es einen weiteren Faktor, der sich ungünstig auswirkt, nämlich jenen Teil des Widerstands, der seine Quelle im Todestrieb hat. Dieser zusätzliche Faktor taucht erst mit Freuds späterer Theoriebildung auf. Im Jahre 1937, als Die endliche und die unendliche Analyse entstand, sah Freud auch in diesem Faktor einen die analytische Kur ungünstig beeinflussenden Faktor (vgl. S. Freud, 1937c, S. 88°f.).

Welche Voraussetzung sieht Freud als günstig für die analytische Behandlung an? Eigenartigerweise nehmen die wenigsten wahr, dass Freud in der Schrift Die endliche und die unendliche Analyse die These vertritt, dass die Chancen für die Heilung umso günstiger sind, je größer das Trauma ist. Ich möchte der Frage nachgehen, warum dies so ist und wohl auch von Freud so vertreten wurde, auch wenn er nur wenig darüber schreibt. Der andere für den therapeutischen Erfolg günstige Faktor ist nach Freud die Person des Psychoanalytikers. In dieser letzten Schrift macht Freud eine sehr interessante Bemerkung zur analytischen Situation, die es wert ist, zitiert zu werden: Beim Psychoanalytiker sei zu fordern, „dass er auch eine gewisse Überlegenheit benötigt, um auf den Patienten in gewissen analytischen Situationen als Vorbild, in anderen als Lehrer zu wirken. Und endlich ist nicht zu vergessen, dass die analytische Beziehung auf Wahrheitsliebe, das heißt auf die Anerkennung der Realität gegründet [XII-241] ist und jeden Schein und Trug ausschließt“ (S. Freud, 1937c, S. 94). – Meines Erachtens macht Freud mit dieser wichtigen Feststellung sehr klar, dass der Ausschluss von Schein und Trug ein entscheidender Faktor auf Seiten des Analytikers ist, der dazu beiträgt, dass ein Patient von seinen Symptomen loskommt.

In meiner Kritik an der Freudschen Sicht möchte ich zuerst auf eine Freudsche Vorstellung zu sprechen kommen, die er nicht eigens ausdrückt, die sich aber doch – wenn ich ihn richtig verstehe – unterschwellig durch sein ganzes Werk durchzieht: seine durchgängig mechanistische Betrachtungsweise des therapeutischen Prozesses. Bekanntlich war Freud ursprünglich der Ansicht, dass das Auf- oder Entdecken des verdrängten Affektes die Wirkung habe, dass der Affekt sich sozusagen mit dem Bewusstwerden auflöse. Dieser Vorgang wurde „Abreagieren“ genannt, wobei ein ganz mechanisches Vorstellungsmodell Pate stand, etwa so, wie wenn Eiter aus einem entzündeten Pickel ausfließt, was als natürlicher und automatischer Vorgang angesehen wird.

Freud und viele andere Psychoanalytiker merkten, dass dies nicht wahr sein konnte. Dieser Vorstellung zufolge müssten jene, die ihre Irrationalität am meisten ausleben, die gesündesten Menschen sein. Doch sie sind eben nicht die gesündesten. Deshalb wurde die Theorie aufgegeben und durch eine weniger deutliche ersetzt. Gemäß dieser verschwinden die Symptome einfach, sobald ein Patient Einsicht zeigt oder – um ein anderes Wort zu benutzen – sobald er seiner unbewussten Realität gewahr wird. Der Patient muss sich dabei in Wirklichkeit nicht besonders anstrengen; er muss lediglich kommen und frei assoziieren und die damit notwendigerweise verbundenen Ängste durchstehen. Vorausgesetzt, es gelingt ihm, seine Widerstände zu überwinden und das verdrängte Material zum Vorschein kommen zu lassen, wird es ihm gut gehen. Das Ergebnis ist aber nicht eine Frage der besonderen Anstrengung und des besonderen Willens des Patienten. Diese Sicht ist zweifellos nicht mehr so mechanistisch, wie Freuds ursprüngliche Theorie des „Abreagierens“ es war. Dennoch beinhaltet sie in meinen Augen noch immer mechanistische Vorstellungen. Sie impliziert, dass der Prozess reibungslos verlaufen und es dem Patienten gut ergehen wird, wenn das Material nur aufgedeckt wird.

Nachfolgend möchte ich einige weiterführende Gedanken und einige Revisionen der Ansichten Freuds über die Wirkfaktoren beim therapeutischen Prozess mitteilen. Hinsichtlich der Frage, was eine analytische Behandlung ist, stimme ich mit der allen Psychoanalytikern gemeinsamen Überzeugung überein, dass nach Freud die Psychoanalyse als eine Methode definiert werden kann, die die unbewusste Wirklichkeit eines Menschen aufzudecken versucht und die annimmt, dass ein Mensch bei diesem Aufdeckungsprozess die Chance hat, dass es ihm bessergeht. Dieses Ziel vor Augen, reduziert sich der Streit unter den verschiedenen Schulen beträchtlich. Wer immer dieses Ziel verfolgt, weiß, wie schwierig und trügerisch es ist, die unbewusste Wirklichkeit in einem Menschen aufzuspüren, so dass man sich nicht zu sehr über die verschiedenen Wege, auf denen man dies versucht, ereifern muss. Vielmehr sucht man, welcher Weg, welche Methode, welcher Zugang für dieses Ziel, das für die Psychoanalyse kennzeichnend ist, passender ist. Andererseits behaupte ich, dass jede therapeutische [XII-242] Methode, die dieses Ziel nicht verfolgt, zwar therapeutisch sehr wertvoll sein mag, jedoch nichts mit Psychoanalyse zu tun hat. Ich würde genau an dieser Stelle eine ganz klare Trennungslinie ziehen.

Ich möchte hier nicht gegen die Vorstellung Freuds, dass mit der therapeutischen Arbeit sozusagen der Damm gegen den Ansturm der Triebkräfte verstärkt wird, argumentieren. Es spricht durchaus vieles zugunsten einer solchen Vorstellung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine Abgrenzung wie der zwischen Psychose und Neurose, denn hier geht es wirklich um die Brüchigkeit des Ichs und um die eigenartige Frage, warum der eine unter der Wucht bestimmter Impulse zusammenbricht, der andere aber nicht. Ich verneine deshalb die Gültigkeit der allgemeinen Vorstellung nicht, dass die Ichstärke etwas mit dem therapeutischen Prozess zu tun hat. Trotz dieses Zugeständnisses ist für mich das Hauptproblem der Neurose und ihrer Heilung aber gerade nicht so zu begreifen, dass es auf der einen Seite irrationale Leidenschaften gibt und auf der anderen Seite ein Ich, das den Menschen dagegen schützt, krank zu werden.

Für mich gibt es eine andere Gegenüberstellung, nämlich die zweier Arten von Leidenschaften, die sich bekämpfen: Es gibt archaische, irrationale und regressive Leidenschaften, die im Kampf mit anderen Leidenschaften des Menschen liegen. Unter den archaischen Leidenschaften verstehe ich näherhin eine starke Mutterbindung, intensive Destruktivität und extremen Narzissmus.

Mit starker Bindung meine ich eine symbiotische Fixierung – oder in Freudscher Terminologie: eine prägenitale Fixierung – an die Mutter. Ich verstehe darunter jene tiefe Bindung, deren Ziel die Rückkehr in den Bauch der Mutter oder die Rückkehr ins Tote ist. Freud selbst hat in seinen späteren Schriften gesagt, er habe die Bedeutung der prägenitalen Fixierung unterschätzt, hatte er doch in seinem gesamten Werk die genitale Fixierung betont und dabei das Problem des Mädchens nicht gewürdigt. Für den Jungen konnte er plausibel machen, dass alle Probleme mit der erotisch-sexuellen Bindung an die Mutter beginnen sollten; beim Mädchen gibt dies jedoch keinen rechten Sinn. Freud erkannte schließlich eine starke prägenitale Bindung an die Mutter – also eine nicht-sexuelle Bindung im engeren Sinne des Wortes –, die es beim Jungen und Mädchen gleichermaßen gibt und der er in seinen Schriften grundsätzlich zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Doch auch diese Bemerkung Freuds ist in der psychoanalytischen Literatur irgendwie verlorengegangen. So kommt es, dass die Psychoanalytiker, wenn sie von der ödipalen Phase, dem ödipalen Konflikt und allem, was damit zusammenhängt, sprechen, im allgemeinen in Begriffen der genitalen und nicht der prägenitalen Fixierung oder Bindung an die Mutter denken.

Mit Destruktivität meine ich hier nicht jene Destruktivität, die ihrem Wesen nach defensiv ist und im Dienste des Lebens steht; es geht mir auch nicht einmal um jene Destruktivität, die sekundär in der Verteidigung des Lebens steht wie etwa der Neid oder die Enttäuschung, sondern um jene Destruktivität, bei der der Wunsch zu zerstören Selbstzweck ist. Ich nenne diese Art von Destruktivität „Nekrophilie“. (Vgl. zu den hier genannten Faktoren und Quellen wirklich schwerer Pathologien die Ausführungen, die ich in Die Seele des Menschen (1964a, GA II, S. 179-185] gemacht habe.) [XII-243]

Starke Mutterbindung, nekrophile Destruktivität und extremer Narzissmus sind maligne Leidenschaften, insofern sie bei schweren psychischen Erkrankungen vorkommen und für diese ursächlich sind. Gegen diese bösartigen Leidenschaften gibt es meiner Überzeugung nach auch gegenläufige Leidenschaften im Menschen: die Leidenschaft zu lieben und das leidenschaftliche Interesse an der Welt – also alles, was man mit Eros umschreiben könnte. Zu diesen Leidenschaften gehört nicht nur das leidenschaftliche Interesse an Menschen, sondern auch das leidenschaftliche Interesse an der Natur, an der Wirklichkeit, dazu gehört die Lust am Denken, dazu gehören alle künstlerischen Interessen.

Es ist heute modern geworden, über das, was die Freudianer „Ichfunktionen“ nennen, zu sprechen. Dies kommt mir allerdings so vor, als würde man jetzt Amerika entdecken, obwohl es vor langer Zeit schon entdeckt worden ist. Denn außerhalb der Freudschen Orthodoxie zweifelte niemand im Ernst daran, dass es viele seelische Funktionen gibt, die nicht das Ergebnis von Instinkten im sexuellen Sinne sind. Die neue Betonung des Ichs, wie sie die Ich-Psychologie vertritt, geht auf Kosten der Betonung der Leidenschaften, also des wertvollsten Teils des Freudschen Denkens. Sicherlich ist der Begriff der Ichstärke in gewisser Weise sinnvoll, doch das Ich ist vor allem der Vollstrecker von Leidenschaften, und zwar sowohl von bösartigen als auch von gutartigen Leidenschaften. Worauf es beim Menschen ankommt, was sein Handeln bestimmt, was seine Persönlichkeit ausmacht, dies alles hängt davon ab, welche Leidenschaften ihn bewegen. Um ein Beispiel zu geben: Es kommt alles darauf an, ob ein Mensch von einem leidenschaftlichen Interesse an allem, was tot, zerstörerisch und leblos ist, bestimmt wird, also von dem, was ich „Nekrophilie“ nenne, oder ob er von der „Biophilie“ bewegt wird, also dem leidenschaftlichen Interesse an allem, was lebendig ist. Beide sind Leidenschaften und keine logischen Produkte; beide sind nicht im Ich, sondern Teile der gesamten Persönlichkeit. Sie sind keine Ichfunktionen, sondern vielmehr zwei Arten von Leidenschaften.

Ich schlage deshalb folgende Revision der Freudschen Theorie vor: Das Hauptproblem ist nicht im Kampf des Ichs gegen die Leidenschaften zu sehen, sondern in zwei verschiedenen Arten von Leidenschaften, die sich bekämpfen.

2. Benigne und maligne Neurosen.Mit einem Fallbeispiel für eine gutartige Neurose

Bevor ich mich der Frage zuwende, was ich unter einer psychoanalytischen Behandlung verstehe und welche Wirkfaktoren zur Heilung führen, gilt es, sich der Frage zuzuwenden, welche Arten von Neurosen es gibt. Nun gibt es zahlreiche Klassifikationen der Neurose und viele Änderungen bei den Klassifikationen. Karl Menninger hat bekanntlich vor kurzem die Meinung vertreten, dass die meisten dieser Klassifikationen wertlos sind, ohne allerdings eine neue Klassifikation vorzuschlagen oder ein wesentliches Klassifizierungskonzept zu empfehlen. Ich möchte hiermit eine in gewisser Hinsicht sehr einfache Klassifizierung vorschlagen, indem ich zwischen einer benignen und einer malignen Neurose unterscheide.

Zu einer benignen oder leichten Neurose kommt es bei Menschen, die nicht von einer der genannten malignen Leidenschaften ergriffen sind, sondern deren Neurose Ausdruck ernster Traumata ist. Ich stimme hier ganz mit Freud überein, der einer psychoanalytischen Kur die besten Erfolgschancen bei jenen Neurosen einräumte, bei denen ein Patient an sehr schweren Traumen litt. Wenn nämlich ein Patient ein schweres Trauma überlebt, ohne psychotisch zu werden oder schwere und äußerst alarmierende Erkrankungsformen zu entwickeln, dann zeigt dies, dass er konstitutionell mit einer großen Stärke ausgestattet ist. In diesen Fällen ist das, was ich gerne den „Kern der Charakterstruktur“ nenne, nicht ernsthaft beschädigt. Diese Menschen sind nicht durch ernste regressive Kräfte, durch die schweren Formen maligner Leidenschaften gekennzeichnet, so dass hier eine Psychoanalyse die besten Chancen hat. Natürlich erfordert auch eine solche Analyse intensive Arbeit, und natürlich muss das, was der Patient verdrängt hat, geklärt und zu Bewusstsein gebracht werden: die Natur der traumatischen Faktoren sowie die Reaktionen des Patienten auf diese traumatischen Faktoren, in denen ja häufig deren wahre Eigenart verleugnet wird.

Ich möchte eine benigne Neurose mit folgendem Fallbeispiel einer 25-jährigen Patientin illustrieren: Die Frau ist unverheiratet und kommt wegen ihrer Homosexualität. Seit ihrem 18. Lebensjahr hatte sie nur homosexuelle Beziehungen zu anderen Frauen. Als sie den Psychoanalytiker aufsucht, lebt sie gerade in einer homosexuellen Beziehung zu einer Kabarett-Sängerin, besucht deren Vorstellungen jede Nacht, betrinkt sich und wird depressiv. Sie versucht, aus diesem Teufelskreis [XII-245] herauszukommen, doch sie unterwirft sich ihrer Freundin je neu, obwohl diese sie widerwärtig behandelt. Sie ängstigt sich aber so sehr, diese Freundin zu verlassen, und lässt sich von deren Drohungen so sehr einschüchtern, dass sie bei ihr bleibt.

Das Bild, das sie zeigt, ist ziemlich schlecht: ein Fall von Homosexualität, jedoch charakterisiert durch eine permanente Angst, durch eine leichte Depression, durch eine Ziellosigkeit des Lebens usw. Ihre Lebensgeschichte ist bestimmt durch ihre Mutter, die in einem Land außerhalb der Vereinigten Staaten jahrelang die Geliebte eines reichen Mannes war. Die Mutter blieb immer nur die Geliebte dieses einen Mannes. Die Patientin war das Ergebnis dieser Beziehung, die kleine Tochter. In gewisser Weise war der Mann durchaus vertrauensvoll, unterstützte auch immer Mutter und Kind, doch er trat nie als Vater vor anderen auf, so dass er für die Patientin als Vater nicht präsent war. Die Mutter allerdings war sehr intrigant und benützte das kleine Mädchen nur, um vom Vater der Patientin mehr Geld herauszuholen. Sie schickte die Patientin zum Vater, um ihn zu erpressen; sie nützte die Tochter aus, wann immer sie konnte. Die Schwester der Mutter besaß ein Bordell. Dort wurde versucht, die Patientin in die Prostitution einzuführen; sie war auch in späteren Jahren zweimal dort und trat gegen Geld nackt vor Männern auf. Vermutlich bedurfte es einer Menge Widerstandskraft in ihr, um nicht mehr zu tun. Sie war sehr in Verlegenheit, als sie von den Kindern ihres Viertels mit Namen belegt wurde, die zeigten, dass sie nicht nur ein Mädchen ohne Vater war, sondern auch die Nichte einer Bordellbesitzerin.

Die Patientin hatte sich mit 15 Jahren zu einem verängstigten, zurückgezogenen Mädchen entwickelt, das keinerlei Vertrauen ins Leben hatte. Da sandte sie der Vater in einer seiner Launen in ein College in die Vereinigten Staaten. Man kann sich kaum einen plötzlicheren Wechsel der Szenerie für das Mädchen vorstellen: Sie kam in ein ziemlich vornehmes College, stieß dort auf ein Mädchen, das sie auf eine bestimmte Art mochte und ihr herzlich zugetan war, und begann mit diesem Mädchen eine homosexuelle Beziehung. Daran ist eigentlich nichts Verwunderliches. Ich denke, es ist ganz normal, dass ein so verängstigtes Mädchen mit einer solchen Vorgeschichte eine sexuelle Beziehung mit jedem Wesen, das ihm wirklich herzlich zugetan ist, beginnt, sei dies ein Mann, eine Frau oder ein Tier. Es war das erste Mal, dass sie aus ihrer Hölle herauskam. Danach hatte sie noch andere homosexuelle Beziehungen. Sie kehrte in ihr Heimatland zurück, geriet wieder in das gleiche Elend mit der immer gleichen Ungewissheit und dem gleichen Gefühl der Beschämung. Dann traf sie auf die eingangs erwähnte Frau, die sie in einem Zustand der Hörigkeit festhielt. In dieser Situation kam sie zur Psychoanalyse.

In der etwa zwei Jahre dauernden Psychoanalyse verließ sie zuerst die homosexuelle Freundin und lebte einige Zeit alleine. Dann verabredete sie sich mit Männern, verliebte sich in einen von ihnen und heiratete ihn. In der sexuellen Beziehung zu ihm war sie nicht einmal frigide. – Offensichtlich lag bei der Patientin kein Fall von Homosexualität im echten Sinn des Wortes vor. Ich sage „offensichtlich“, denn manche mögen mir in meiner Einschätzung nicht folgen. Meiner Meinung nach aber war nicht mehr Homosexualität im Spiel, als vermutlich den meisten Menschen als Potenzial zu eigen ist.

In Wirklichkeit ging es darum, dass diese Frau geradezu eine Todesangst vor dem [XII-246] Leben hatte, was sich auch in ihren Träumen zeigte. Sie war wie ein Mädchen aus einem Konzentrationslager, dessen Erwartungen und Ängste völlig von dieser Erfahrung geprägt sind. Verglichen mit der sonst üblichen Dauer von Psychoanalysen entwickelte sich diese Patientin innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu einer völlig normalen Frau mit normalen Reaktionen.

Mit diesem Fallbeispiel möchte ich darauf hinweisen, eine wie mächtige Rolle meiner – und, wie ich glaube, wohl auch Freuds – Meinung nach das Trauma im Unterschied zu den konstitutionellen Faktoren bei der Entstehung von Neurosen spielt. Ich bin mir darüber klar, dass, wenn Freud vom Trauma spricht, er etwas anderes meint als ich; Freud würde nach einem Trauma Ausschau halten, das im wesentlichen sexueller Natur ist; und er würde nach einem Trauma suchen, das sich in früheren Zeiten ereignet hat. Meiner Überzeugung nach ist das Trauma oft ein fortdauernder Prozess, bei dem eine Erfahrung auf die andere folgt, so dass schließlich ein ganzer Turm von aufeinander aufgeschichteten Erfahrungen entsteht und es, vergleichbar in bestimmter Hinsicht mit den Kriegsneurosen, schließlich zu einem Zerreißpunkt kommt und der Patient erkrankt.

In jedem Fall ist die Erkrankung auf Grund eines Traumas etwas, das sich in der Umwelt ereignet und eine echte Lebenserfahrung ist. Bei der beschriebenen Patientin und bei derartigen Patienten gibt es solche Traumatisierungen, doch der Kern ihrer Charakterstruktur wurde durch die Traumen nicht ernsthaft beschädigt. Auch wenn das äußere Bild eine schwere Erkrankung nahelegt, so ist es doch auf Grund des intakt gebliebenen Kerns der Charakterstruktur und der konstitutionellen Gesundheit durchaus möglich, mit Hilfe des therapeutischen Prozesses die reaktive Neurose innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu heilen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang unterstreichen, dass bei einer benignen oder reaktiven Neurose die traumatische Erfahrung immer etwas ganz „Massives“ sein muss, das hinreichend erklärt, warum es zu einer neurotischen Erkrankung kam. Wird das Traumatische zum Beispiel im schwachen Vater und in einer starken Mutter gesehen, dann erklärt dieses Trauma nicht, warum jemand erkrankt, denn es gibt viele Menschen, die einen schwachen Vater und eine starke Mutter haben und doch nicht neurotisch erkranken. Wer also eine Neurose mit einem traumatischen Ereignis erklären möchte, der muss annehmen, dass die traumatischen Ereignisse von so außerordentlicher Natur sind, dass es undenkbar ist, dass Menschen unter den gleichen traumatischen Ereignissen psychisch gesund bleiben. Deshalb ist es in den Fällen, in denen nur ein schwacher Vater und eine starke Mutter aufzuweisen sind, näherliegend, an die Auswirkung konstitutioneller Faktoren zu denken. Diese Faktoren lassen dann einen Menschen zu einer neurotischen Entwicklung geneigt sein, in der ein schwacher Vater und eine starke Mutter nur deshalb traumatisierend werden können, weil die konstitutionellen Faktoren bereits das Neurotische in sich tragen. Unter idealen Bedingungen müsste ein solcher Mensch nicht notwendig neurotisch erkranken.

Es ist deshalb für mich nicht akzeptabel, die schwere Erkrankung eines Menschen mit Gründen plausibel machen zu wollen, die in gleicher Weise auch für viele andere Menschen gelten, ohne dass diese schwer erkranken. Genauso wenig überzeugend ist es für mich, wenn bei einer Familie mit acht Kindern, von denen eines psychisch [XII-247] erkrankt, argumentiert wird, dass die Neurose dieses einen Kindes damit zu erklären ist, dass es das erste oder das zweite oder das mittlere usw. ist und dass es eben diese Erfahrung ist, die das eine von allen anderen unterscheide. Eine solche Argumentation ist für die, die es bequem haben wollen, sehr schön, weil sie glauben, das Trauma entdeckt zu haben; für mich zeigt sich darin nur ein ganz unlogisches Denken.

Natürlich gibt es auch den Fall, dass eine traumatische Erfahrung während der Psychoanalyse nicht zum Vorschein kommt. Und wenn es einem erfahrenen Psychoanalytiker gelingt, eine echte und außerordentlich starke traumatische Erfahrung ausfindig zu machen, und er aufzeigen kann, wie dieses Trauma für die Entwicklung der Neurose entscheidend war, dann ist dies nur gut. Ich möchte hier nur betonen, dass man etwas nicht einfach zu einer traumatischen Erfahrung erklären kann, was sich in vielen anderen Fällen nicht als traumatisch herausstellt. Dies bedeutet nicht, dass es nicht eine große Zahl von wirklich traumatischen Erfahrungen gibt. Der Fallbericht sollte hierfür ein Beispiel sein.

Ich möchte an dieser Stelle noch ein anderes Beispiel erwähnen, das schwierige Fragen aufwirft. Es betrifft den modernen Organisationsmenschen und die Frage, wie krank dieser eigentlich ist, wenn er so entfremdet, narzisstisch, ohne Bezogenheit, ohne wirkliches Interesse für das Leben ist. Wie krank ist ein Mensch, der sich nur für Apparate und Maschinen interessiert und den ein Sportwagen mehr bewegt als eine Frau?

Einerseits kann man sicher einwenden, dass der moderne Mensch sehr krank ist, was sich auch an bestimmten Symptomen zeigt: Er hat Angst, ist unsicher und benötigt eine andauernde Bestätigung seines Narzissmus. Andererseits könnte man sagen, dass nicht eine ganze Gesellschaft in diesem Sinne krank sein kann, denn schließlich funktionieren die Menschen ja. Das Problem für diese Menschen besteht meiner Meinung nach darin, sich erfolgreich an die allgemeine Krankheit – an das, was man die „Pathologie der Normalität“ nennen kann – anzupassen. Das therapeutische Problem ist in diesen Fällen sehr schwierig, denn der moderne Organisationsmensch leidet ja an einem Kernkonflikt, das heißt, an einer tiefen Störung in seinem Persönlichkeitskern, also an einer extremen Form des Narzissmus und an einem Mangel an Liebe zum Leben. Wollte man ihn heilen, bedürfte es in erster Linie einer Veränderung in der gesamten Persönlichkeit; gleichzeitig hätte man fast die gesamte Gesellschaft gegen sich, denn die Gesellschaft begünstigt seine Neurose. So ergibt sich die paradoxe Situation, dass man es theoretisch mit einem kranken Menschen zu tun hat, der aber vom Standpunkt der Gesellschaft aus nicht als krank gilt. Zu bestimmen, was in diesem Fall die Psychoanalyse tun könnte, ist deshalb auch für mich ein sehr schwieriges Problem.

Bei den benignen Neurosen ist die therapeutische Aufgabe vergleichsweise einfach, denn man hat es mit einem intakten Kern der Energiestruktur, der Charakterstruktur zu tun. Man befasst sich mit traumatischen Ereignissen, die die etwas pathologische Deformation erklären. In der psychoanalytischen Atmosphäre, das heißt einerseits durch das Herausarbeiten des Unbewussten und andererseits durch die Hilfe, die die therapeutische Beziehung zum Analytiker darstellt, haben diese Menschen eine gute Chance, wieder gesund zu werden. [XII-248]

Bei den malignen Neurosen hat der Kern der Charakterstruktur Schaden genommen, so dass die Menschen entweder sehr nekrophile oder narzisstische oder muttergebundene Tendenzen zeigen, wobei in besonders schwerwiegenden Fällen gewöhnlich alle drei zugleich auftreten und die Tendenz haben, sich einander anzunähern. Die Aufgabe der psychoanalytischen Behandlung ist hier, die Energieladungen innerhalb der Kernstruktur zu verändern, das heißt, bei der Behandlung müssen der Narzissmus, die Nekrophilie und all die inzesthaften Fixierungen eine Veränderung erfahren. Auch wenn sie sich nicht völlig ändern lassen, so bringt doch schon eine geringe Energiezufuhr bei den – wie die Freudianer sagen – „Besetzungen“ dieser verschiedenen Formen eine spürbare Veränderung für diese Menschen mit sich. Wenn es einem solchen Patienten gelingt, seinen Narzissmus zu reduzieren oder seine Biophilie ein wenig mehr zu entwickeln oder zu einem echten Interesse am Leben zu kommen, dann hat dieser Mensch eine gewisse Chance zur Besserung.

Die Chancen für eine analytische Behandlung von malignen Fällen unterscheiden sich sehr von denen benigner Fälle. Dessen sollte man sich meines Erachtens immer bewusst sein. Es geht beim Unterschied zwischen den benignen und malignen Fällen nicht um den Unterschied zwischen Neurosen und Psychosen, denn viele der hier als maligne bezeichneten Charakterneurosen haben nichts Psychotisches. Mir geht es bei den malignen Neurosen um ein Phänomen, das man bei neurotischen Patienten mit Symptomen und ohne Symptome finden kann, die weder psychotisch noch psychosenah sind, ja vermutlich niemals psychotisch werden, bei denen aber die Frage der psychoanalytischen Behandlung eine gänzlich andere ist.

Ein wichtiger Unterschied in der Behandlung maligner Neurosen betrifft die Eigenart des Widerstands. Bei einer benignen Neurose resultiert der Widerstand im Großen und Ganzen aus einer Unentschlossenheit, aus einer gewissen Angst usw., so dass der Widerstand, eben weil der Kern der Persönlichkeit gesund ist, auch relativ leicht zu überwinden ist. Ganz anders verhält es sich mit dem Widerstand bei den malignen, schweren Neurosen. Hier ist der Widerstand tief verwurzelt, denn ein solcher Mensch müsste sich und vielen anderen bekennen, dass er in Wirklichkeit völlig narzisstisch ist und sich um gar niemand anderen kümmert. Er muss also gegen die Einsicht mit einem viel größeren Nachdruck kämpfen als einer, der an einer benignen Neurose leidet.

Welche therapeutischen Methoden sind bei schweren Neurosen anzuwenden? Ich teile nicht die Auffassung, dass es im Kern nur um eine Stärkung des Ichs geht. Meines Erachtens geht es bei der analytischen Behandlung im wesentlichen darum, dass der Patient den irrationalen, archaischen Teil seiner Persönlichkeit mit den eigenen gesunden, erwachsenen und normalen Teilen konfrontiert. Diese Konfrontation erzeugt einen Konflikt, der seinerseits Kräfte aktiviert, die in jedem Menschen mehr oder weniger stark vorhanden, jedoch konstitutionell gegeben sind und die nach Gesundheit und nach einem besseren Gleichgewicht zwischen dem Einzelnen und der Welt streben. Das Entscheidende der psychoanalytischen Behandlung liegt für mich in eben diesem Konflikt, der durch das Aufeinandertreffen des irrationalen und des rationalen Teils der Persönlichkeit erzeugt wird.

Diese Sicht der Dinge hat natürlich Konsequenzen bezüglich der psychoanalytischen [XII-249]