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Laura macht Schluss mit ihrem Freund Stefan. Es ist vorbei, meint sie. Doch Stefan sieht das ganz anders. Er lässt nicht locker und stellt ihr nach. Laura ist dem hilflos ausgesetzt und leidet sehr. Das Team um Hauptkommissar Christian Landau von der Kripo in Klosterhausen weiß von den Attacken gegen Laura und reagiert im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Doch reichen diese letztlich aus, um den Ex-Freund Lauras zu stoppen? Es scheint, als treibe alles auf ein schlimmes Ende zu.
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Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Laura und Stefan sind schon drei Jahre lang zusammen. Sie haben ihre gemeinsame Zukunft fest geplant. Die Zweizimmerwohnung ist gemütlich eingerichtet, soll aber nur so lange für beide das Zuhause sein, bis genug Geld für ein Häuschen zusammengespart ist.
Doch an einem Morgen ist alles anders. Laura kann es kaum glauben, was mit ihr geschieht. Ihr glückliches Leben mit Stefan ist von einem Moment auf den anderen vorbei.
Siegfried Lindhorst, Jahrgang 1953, weiß als ehemaliger langjähriger Leiter einer Mordkommission im Westen Schleswig-Holsteins, dass Gewalttaten sich häufig im engsten Opferumfeld abspielen und allein schon dadurch Unvorstellbares bewirken können.
Der fiktive schleswig-holsteinische Ort Klosterhausen, zwischen Elmshorn und Neumünster gelegen, ist abermals Schauplatz der Ereignisse. Die Handlung und die Personen in diesem Buch sind frei erfunden.
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Er war nicht da. Das war noch nie vorgekommen. War etwas passiert? Laura Köster fuhr erschrocken hoch. Das Bett neben ihr leer, von ihrem Stefan keine Spur. Sie sah durch das Schlafzimmerfenster nach draußen und fand, dass das trübe, regnerische Wetter nicht zu Anfang Mai passte.
Laura überlegte. Er war noch nicht zu Hause gewesen, als sie gestern gegen halb elf zu Bett gegangen war.
Abendtermine, hatte er ihr gestern erzählt. Das war nicht ungewöhnlich, fand sie.
Ihr Freund Stefan Zachert, Versicherungsmakler der großen Elmshorner Versicherung, war in seinem Beruf recht erfolgreich. Sein eigenes Bezirksbüro im Zentrum von Klosterhausen führte Stefan schon seit einem Jahr. Die sechsundzwanzigjährige Laura, immerhin schon drei Jahre mit Stefan zusammen, war stolz auf ihn und vertraute ihm völlig.
Nein, es musste etwas passiert sein, sonst hätte er sich doch gemeldet. Laura sprang aus dem Bett und sauste in den Flur ihrer Zweizimmerwohnung. Stefans Schlüssel steckte von innen in der Wohnungstür, seine schwarze Lederjacke hing an der Garderobe.
Aber wo war ihr Freund?
Sie öffnete die Wohnzimmertür und konnte es nicht glauben. Er lag auf ‚Ektorp‘, dem schicken hellblauen Dreisitzer von Ikea, der neben den beiden gut dazu passenden Sesseln mit dem Ikea-Namen ‚Landskrona‘ die neueste Errungenschaft der beiden war.
„Wo warst du?“ Ihre Stimme überschlug sich fast. „Erzähl‘ schon.“
Stefan öffnete ganz langsam die Augen und blickte an die Zimmerdecke. Dann drehte er seinen Kopf zu Laura, die immer noch mit empörtem Gesicht in der Tür stand. Seine stahlblauen Augen richtete er auf seine Freundin.
Oh, wie oft sonst zeigte sie sich begeistert von diesen Augen, diesen tollen, blauen Augen. Aber jetzt an diesem Morgen? Laura schauderte.
Stefans Blick war kalt, eiskalt. Er sagte kein Wort.
Er wollte nicht erzählen, dass er am Abend zuvor bei einer Kundin schwach geworden war. Eigentlich war es ein ganz gewöhnlicher Kundenbesuch gewesen. Doch irgendwie hatte es sich anders entwickelt, als Stefan sich den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung für die allein lebende junge Pharmaberaterin vorgestellt hatte. Irgendwie verwirrt war er dann mitten in der Nacht nach Hause gekommen, verwirrt von den Worten seiner nächtlichen Eroberung, dass ihr dieses eine Mal mit Stefan durchaus reichen würde, Abwechslung sei ihr im Leben sehr wichtig.
Zwanzig Minuten später am Frühstückstisch schwieg Stefan immer noch. Laura war zuerst ins Bad gegangen, um anschließend den Frühstückstisch zu decken, während Stefan im Bad war. Das gemeinsame Frühstück war sonst immer der gelungene Start in den Tag gewesen. Probleme wurden spätestens hier begraben. Aber heute? Kein Ton von ihm.
„Was ist los?“, durchbrach Laura die marternde Stille und strich sich mit ihrer rechten Hand nervös über ihr kurzes, dunkelbraunes Haar. „Wo warst du? Wann bist du nach Hause gekommen? Warum hast du im Wohnzimmer übernachtet?“
Keine Antwort. Er blickte sie wieder nur schweigend an. Dann erhob er sich, ging in den Flur und zog seine Lederjacke an. Laura hinterher.
Mit ihrem schlanken, sportlichen Körper versperrte sie ihm den Weg zur Wohnungstür. Ihre braunen Augen gifteten ihn an. „Du sagst mir endlich, was los ist! Hast du verstanden?“
Er drängte zur Tür. Sie stand vor ihm, breitete beide Arme aus und ließ ihn nicht weiter. „Los, sag‘ schon, was ist los?
Sein kalter Blick wurde eisig. Seine hohe Stirn mit den für sein Alter von neunundzwanzig Jahren eher auffälligen Geheimratsecken zog Falten. Ein bedrohliches Bild. Und dann passiert etwas, was Laura nie und nimmer erwartet hätte. Der kräftige aktive Hobbyfußballer holte aus und schlug seiner Freundin mit voller Wucht seine flache Rechte ins Gesicht. Dann verließ er die Wohnung.
*
Maike Albers wunderte sich. Als Inhaberin des örtlichen Buchladens „Lesefreude“ kam sie täglich erst gegen neun in ihr Geschäft. Ihre Mitarbeiterin Laura Köster hatte zu dieser Zeit meistens schon die Zeitungsstapel der Nachtlieferung vor dem Geschäft weggenommen und die Zeitungen in die Ständer sortiert. Heute war Maike die erste, und die etwas pummelig wirkende Mittvierzigerin war gar nicht begeistert davon, dass sie nun diese Arbeit machen musste. Sie schnaufte ein wenig, als sie die Stapel in den Laden hievte und blickte mürrisch, als ihre Kollegin kurz darauf erschien. „Du kommst aber spät“, sagte sie, ohne zu Laura aufzusehen. Das tat sie erst, als Laura in der Ladentür stehen blieb und nicht antwortete. Maike sah die verweinten Augen und ging auf sie zu. „Laura, was ist los mit dir? Was ist passiert?“ Laura schluchzte, hielt sich den Kopf und sagte leise: „Stefan, Stefan…“
Maike kannte Stefan Zachert und fand ihn sehr nett. Oft hatte er seine Freundin mittags im Buchladen abgeholt, um gemeinsam mit ihr die Mittagspause zu verbringen. Dabei war er immer sehr charmant aufgetreten, hatte sich an der Arbeit im Buchgeschäft sehr interessiert gezeigt. Maike war erschrocken. „Oh Gott, was ist mit ihm?“
Laura schluchzte lauter.
„Hatte er einen Unfall?“ Laura schüttelte den Kopf.
„Ist es schlimm?“ Laura jammerte lauter, dann würgte sie es heraus: „Geschlagen, er hat mich geschlagen.“
Maike nahm ihre randlose Brille, die ihr ein eher lehrerhaftes Aussehen verlieh, ab und hielt sie in der linken Hand, als sie ihre Kollegin in den Arm nahm und tröstend drückte. „Oh ja, das ist schlimm, sehr schlimm sogar.“
Laura Köster wurde mehrfach vom Weinen geschüttelt, als sie die ganze Geschichte in allen Einzelheiten erzählte. An diesem Morgen war es sehr ruhig in der „Lesefreude“. Nur ein Kunde kam herein, während Laura berichtete. Laura stockte ihre Erzählung, während der Kunde kurz die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ aus dem Zeitungsregal nahm und das Geld dafür passend auf den Verkaufstresen legte. Maike Albers nickte dankend. Der Kunde verließ den Laden zügig, offensichtlich ahnend, dass er hier eine besondere Situation störte.
„Wenn ein Partner zuschlägt, dann ist die Beziehung am Ende“, sagte Maike, als Laura Köster alles erzählt hatte.
Sie wusste nur zu gut, was sie gerade sagte, denn diese Erkenntnis war über einen Zeitraum von fast fünf Jahren bei ihr gewachsen. So lange hatte es gedauert, bis sie sich von ihrem Ehemann Jan Kosseck im vorletzten Jahr endlich scheiden ließ. Jan war ein herzensguter Partner, aber seine Eifersucht war krankhaft. Maike hatte ihm nie einen Anlass dafür geboten, aber Jan interpretierte nahezu jeden Kontakt seiner Maike zu anderen Männern als einen bevorstehenden oder schon begangenen Ehebruch. Und in ihrem Traumberuf als Buchhändlerin war der Kontakt mit männlichen Kunden unvermeidlich. Die anfänglichen Erklärungen, die Maike ihrem Jan zunächst gab, nützten nichts. Nein, Jan glaubte ihr nicht, nie. Wut kam in ihm auf, die dazu führte, dass er Maike schlug. Tags darauf bat er um Verzeihung, kam mit Geschenken, mit Versprechen, wollte sich ändern, in Therapie gehen. Und Maike glaubte ihm. Immer wieder. Viermal hatte sie sich von Jan nach solchen Attacken getrennt, und sich wieder mit ihm versöhnt. Dann hatte sie es begriffen, die Scheidung gewollt und später ihren alten Namen wieder angenommen. Nichts sollte sie noch an die schlimme Zeit mit Jan Kosseck erinnern.
„Wenn ein Partner Gewalt anwendet, dann gibt es nichts mehr zu heilen. Dann ist alles kaputt.“ Maike sagte diese bitteren Worte sehr überzeugend, Laura nickte schweigend.
Der Tag verlief ruhig im Buchladen. Laura hatte sich einigermaßen gefasst, als sie abends um halb sieben nach Hause fuhr. „Denk‘ dran“, mahnte Maike Albers zum Feierabend, „lass Stefan nicht mehr in deine Wohnung. Gib ja nicht nach. Auch wenn er bittet und bettelt. Das nützt alles nichts. Wer einmal schlägt, der tut es wieder.“
Diese Worte wirkten nach, als Laura mit ihrem weißen Polo durch ihre Stadt Klosterhausen fuhr. Hier, in dieser zwanzigtausend Einwohner zählenden Stadt im Westen von Schleswig-Holstein, war sie aufgewachsen. Hier wohnten ihre Eltern in der Ostlandsiedlung, genauer gesagt in der Memeler Straße 17. Hier hatte sie alles erlebt, was ihr wichtig zu sein schien. Nur zur Ausbildung war sie in das dreißig Kilometer entfernte Elmshorn gefahren, hatte dort ein möbliertes Zimmer bei einer älteren Dame gemietet, um nicht täglich nach Klosterhausen zurück zu müssen. Hier in Klosterhausen bezog sie dann ihre erste eigene Wohnung. Die Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses in der Kantstraße 22, in die nach kurzer Zeit auch ihr Freund Stefan einzog. Pläne hatte sie mit Stefan gemacht. Pläne, in den nächsten fünf Jahren ein eigenes Haus zu bauen. Pläne, mindestens zwei Kinder zu haben. Pläne, Ziele, Wünsche…
Aber jetzt? Alles aus. Geplatzt. Vorbei. Stefan hatte sie geschlagen! Sie wollte nichts mehr von Stefan. Das würde sich auch nicht ändern. Das wusste sie ganz genau. Ihre Chefin Maike hatte es auch klar ausgesprochen. Genauso dachte Laura. Sie würde Stefan nicht mehr in ihre Wohnung lassen.
Laura stellte ihren Polo auf den Stellplatz neben dem modernen roten Backsteinbau und ging zielstrebig in ihre Wohnung. Sie schloss die Wohnungstür ab und legte die Kette vor. Danach hatte sie noch einiges in der Wohnung zu tun. Gegen halb acht hörte sie, wie die Haustür aufgeschlossen wurde. Danach ihre Wohnungstür. Sie ging leise vom Wohnzimmer in den Flur und bekam mit, wie die Sicherungskette das weitere Öffnen der Tür stoppte. Stille. Aber nur einige Momente.
„Laura? Laura, ich bin’s, Stefan. Laura mach‘ bitte auf.“
Laura wartete still. Ihr Herz klopfte mächtig. Sie war aufgeregt.
„Laura, bitte! Das war nicht so gemeint, alles wird wieder gut.“
„Nichts wird wieder“, rief sie mit sich fast überschlagender Stimme. „Du kommst hier nicht mehr rein. Du hast mich geschlagen.“
„Das tut mir wirklich leid, Laura. Das passiert nie wieder. Das verspreche ich dir. Nie wieder, glaub‘ mir“, flehte Stefan weinerlich.
„Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen! Nie mehr! Hau ab!“
Stefans Ton änderte sich, wurde fordernder. „Das ist auch meine Wohnung, also mach‘ endlich auf!“
„Du irrst, es ist meine Wohnung. Ich habe den Mietvertrag abgeschlossen, ich allein. Wirf den Schlüssel in den Briefkasten und lass Dich nie wieder sehen.“
„Aber, aber, meine Sachen…“, stotterte Stefan, völlig überrascht von der konsequenten Vorgehensweise seiner Freundin.
„Deine Sachen stehen gepackt auf der Terrasse“, sagte Laura mit deutlicher Stimme. Das anfängliche aufgeregte Vibrieren war weg.
Es dauerte einige Momente, dann schlug Stefan seine Faust mit voller Wucht gegen die Wohnungstür. Es knallte durch den gesamten Wohnblock. In der Wohnung gegenüber öffnete sich die Tür und Laura hörte ihren Nachbarn Helmfried Mannert mit lauter Stimme rufen: „Jetzt ist Ruhe hier im Bau. Verstanden?“
Helmfried Mannert, eigentlich ein herzensguter und friedliebender Einzelgänger von Anfang vierzig, hatte sich in seiner verdienten Feierabendruhe gestört gefühlt und den Wetterbericht im Schleswig-Holstein Magazin nicht richtig mitbekommen. Wer den hünenhaften Zweimeter-Mann mit ernstem Gesichtsausdruck dann im Hausflur gesehen hatte, der wäre nie auf die Idee gekommen, der eindeutigen Aufforderung des kräftigen Gerüstbauers auch nur im Ansatz zu widersprechen. Stefan Zachert auch nicht. Wortlos verließ er das Haus. Laura hörte noch, wie etwas in den Briefkasten gesteckt wurde und wartete im Wohnungsflur, bis Stefan die drei von ihr gepackten Reisetaschen von der Terrasse geholt hatte.
Sie verließ die Wohnung nicht mehr, ging ganz früh zu Bett und konnte kaum schlafen. Immer wieder waren ihre Gedanken bei dem Unfassbaren. Immer wieder sah sie Stefans Gesicht, das sich zu einer hässlichen Fratze verzogen hatte, als er sie schlug. Dann war sie wieder völlig wach und meinte, dass sich jemand auf der Terrasse zu schaffen machte. Sie traute sich nicht, ins Wohnzimmer zu gehen um nachzusehen. Morgens um drei klingelte ihr Telefon mehrfach bis der Anrufbeantworter ansprang. Um vier und um fünf Uhr wieder. Auf den Anrufbeantworter sprach niemand.
„Wo ist Stefan? Warum kommt er nicht mit?“ Maren Köster wunderte sich, dass Laura abends alleine erschien. Laura war meistens mit Stefan zusammen zu Besuch bei ihren Eltern.
Laura hatte sich vorgenommen, stark zu sein, als sie ihrer Mutter antwortete. „Der kommt nie mehr. Es ist aus. Wir haben uns getrennt.“ Dann weinte sie doch. „Er hat mich geschlagen.“
Maren Köster war entsetzt. Die sechzig Jahre alte Sekretärin der Gesamtschule Klosterhausen ging auf ihre einzige Tochter zu. Laura stand in der Tür zur Küche, wo Maren Köster gerade den Geschirrspüler mit dem Abendbrot-geschirr gefüllt hatte. In diese Situation platzte Sören Köster, der sich gerade aus dem Keller seines schmucken Einfamilienhauses eine Flasche Feierabendbier geholt hatte. Er sah, wie seine Frau die Tochter in den Arm nahm und runzelte ahnungslos die Stirn.
„Stell dir vor, Stefan hat Laura geschlagen“, klärte Maren Köster ihren Mann auf. „Der gehört angezeigt“, sagte sie voller Mitgefühl und ihr Gesicht zeigte deutlich Wut und Empörung.
Sören Köster stellte die Bierflasche auf den Küchentisch, ging zu seiner Tochter, legte ihr seine rechte Hand auf die Schulter und fragte ruhig: „Willst du uns erzählen, was passiert ist?“
Laura berichtete ganz ausführlich und ließ keine Zweifel daran, dass die Trennung von Stefan das einzig Richtige war. Darin wurde sie auch von ihren Eltern bestärkt. Als ihre Mutter aber noch einmal davon anfing, dass Stefan Zachert wegen Körperverletzung angezeigt werden müsse, war es ihr ein Jahr älterer Ehemann, der davon abriet. „Maren, du musst es doch von der Schule wissen, was so eine Anzeige bewirkt. Da kommt meistens nichts nach.“
Sören Köster war Hausmeister an der Gesamtschule Klosterhausen und somit wie seine Ehefrau über außergewöhnliche Dinge in der Schule auf dem Laufenden. Wenn sich dort, was immer mal wieder vorkam, Schüler untereinander prügelten und überbesorgte Eltern das Geschehen bei der Polizei anzeigten, dann war das so gut wie immer sinnlos, weil Wochen später die Sache eingestellt werden musste. Die Gemüter hingegen waren allerdings mehr als erhitzt.
„Wie soll man Stefan denn beweisen, dass er Laura geschlagen hat?“ fragte er mahnend und erntete von seiner Tochter ein anerkennendes Nicken. Sören Köster schüttelte seinen Kopf und sagte: „Ist schon richtig, Laura, dass du ihn rausgeworfen hast.“
Laura hatte auch von Helmfried Mannert erzählt. Sören fand es schade, dass Nachbar Helmfried nicht deutlicher seine Verärgerung zum Ausdruck gebracht hatte. „Die Sprache hätte Stefan sofort verstanden“, meinte der Vater.
Um Laura auf andere Gedanken zu bringen, schalteten ihre Eltern noch den PC ein, um ihr die erst kürzlich von Sören digitalisierten alten Fotoaufnahmen zu zeigen. Laura war ganz angetan von der rührenden Art, wie sich ihre Eltern an diesem Abend um sie kümmerten. Gern schaute sie sich die alten Bilder an, die ihr Vater nun mit Untertiteln beschriftet hatte. Aufnahmen vom Urlaub auf Rügen vor fünfzehn Jahren und von einer gemeinsamen Reise nach Paris im Jahre 2000 heiterten die junge Frau auf. Sie vergaß für einige Zeit ihren Schmerz. Auch als sie gegen halb elf nach Hause fuhr, dachte sie nicht an Stefan Zachert. Den schwarzen Opel Mokka, der ein Stück weiter in der Kantstraße parkte, nahm Laura nicht wahr, als sie ihren Polo auf den Stellplatz fuhr. Sie stellte den Motor ab, zog den Zündschlüssel und wollte gerade aussteigen, als ganz plötzlich die Beifahrertür geöffnet wurde. Stefan sprang ins Auto, und Laura schrie so laut sie nur konnte. Stefan hielt sie am Arm fest und hinderte sie daran, das Fahrzeug zu verlassen. Die Fahrertür stand offen und Laura schrie.
„Sei still, ich will nur mit dir reden“, fauchte Stefan und hielt sie weiter fest. Laura zappelte und schrie. Sie sah, wie nach und nach in ihrem Wohnblock Lichter eingeschaltet wurden. Auch ein Licht in der Wohnung von Nachbar Mannert. Der öffnete das Fenster und brüllte: „Was ist da los. Pass auf, ich komme gleich.“
Stefan erkannte ihn und ließ unverzüglich von Laura ab. „Ich krieg‘ dich doch“, zischte er Laura zu, verließ den Polo, rannte zu seinem Auto und brauste schleunigst davon. „Was war denn?“ fragte Mannert besorgt, als er keuchend bei Lauras Polo ankam. „War er das wieder?“ Laura nickte stumm.
In der Nacht klingelte zweimal das Telefon.
*
„Oh, das sieht gar nicht so gut aus“, kommentierte Maike Albers besorgt die Erlebnisse ihrer Mitarbeiterin am nächsten Morgen in ihrem Buchladen.
„Auch der Herr Kossek wollte nicht loslassen.“
Maike redete über ihren Ex-Ehemann immer so distanziert, vermied Ausdrücke wie „mein Ex“ oder auch den Vornamen Jan. Sie hatte gemerkt, dass sie dann leichter über ihr schlimmstes Lebenskapitel sprechen konnte.
„Herr Kossek hat mich erst in Ruhe gelassen, nachdem er richtig vermöbelt worden war.“
„Wie? Vermöbelt? Hast Du ihn geschlagen? Oder hat das jemand für dich getan?“ Laura war irritiert. Gewalt traute sie Maike nicht zu.
„Nein, so nicht“, antwortete Maike und schüttelte ihren Kopf, „Herr Kossek war trotz Verbots vom Gericht in meine Wohnung eingedrungen und spitzte die Möbel an.“ „Was ist das?“ Laura konnte nichts mit dem Ausdruck anfangen.
„Das sagt man, wenn jemand eine Wohnung regelrecht auseinander nimmt, die Stühle zertrümmert und so.“
„Ach, und das hat der… der Herr Kossek gemacht?“ Laura passte sich der Ausdrucksweise von Maike an.
„Genau. Er wütete wie ein Verrückter. Den Krach haben meine Nachbarn mitbekommen und die Polizei angerufen. Als Herr Kossek die Beamten sah, da drehte er erst richtig auf, pöbelte sie an und warf mit meinem guten Essgeschirr nach ihnen. Einen Polizisten traf er mit meiner Kaffeekanne. Das hätte er nicht machen sollen.
Es kam Verstärkung, und bis die Polizisten den Wüterich endlich fesseln und abführen konnten, kriegte er eine gehörige, schmerzhafte Tracht mit dem Prügelstock.
Aber erst das Pfefferspray stoppte ihn. Seitdem hat Herr Kossek nichts mehr gegen mich unternommen.“
„Meinst du, dass ich das mit Stefan auch erlebe?“ Laura war jetzt noch mehr verunsichert.
„Das wollen wir doch nicht hoffen“, meinte ihre Chefin, die Laura nicht verängstigen wollte. „Ich glaube, Stefan hat noch nicht richtig realisiert, dass Schluss ist.“
Beschwichtigend fügte sie an: „Das gibt sich. Bestimmt.“ Nach diesen Worten zeigte Maike auf einen Stapel von Neuerscheinungen. Um Laura auf andere Gedanken zu bringen, sagte sie: „ Das sind die neuen Bücher von der Buchmesse. Würdest du sie ins Schaufenster stellen?“
Laura machte sich sofort an die Arbeit. Mit großem Eifer dekorierte sie die Auslagen um, so dass die neuen Buchangebote im Fenster gut zu sehen war. Die kleinen Preisschilder stellte sie sorgsam neben die angebotenen Romane und war dabei so vertieft in ihre Tätigkeit, dass sie gar nicht bemerkte, wie sie jemand von draußen beobachtete. Erst als ein Schatten in das Schaufenster fiel, schaute sie hoch und erschrak so sehr, dass sie zusammenzuckte. Die kleinen Preisschilder fielen ihr dabei aus der Hand. Draußen stand Stefan. Sein düsterer Blick passte zu seiner Kleidung. Schwarze Lederjacke, schwarze Jeans. Stefan starrte Laura an, sekundenlang. Seine stahlblauen Augen funkelten böse. Dann ging er rückwärts ganz langsam zu seinem Opel Mokka, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte. Dort führte er seinen rechten Zeigefinger von links nach rechts über den Hals und signalisierte Laura die ,Kopf-ab-Geste‘. Dann zeigte er ein widerliches Grinsen und nickte langsam, bevor er in seinen Mokka stieg und davonbrauste.
Laura kam erst langsam aus ihrer Schockstarre heraus, verließ das Schaufenster und versuchte, sich bei ihrer Chefin mit einem Cappuccino von diesem schauerlichen Erlebnis zu erholen.
*
Im 1. Kommissariat der Kripo Klosterhausen roch es sehr auffällig nach Zwiebelmett und Käse. Christian Landau, der Kommissariatsleiter hatte zu seinem achtundfünfzigsten Geburtstag einen Imbiss ausgegeben. Gegen halb zwölf mittags begann die kleine Party im Besprechungsraum, alle Mitarbeiter des 1. K waren dabei und langten richtig zu.