Wal macht Wetter - Frauke Fischer - E-Book

Wal macht Wetter E-Book

Frauke Fischer

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Beschreibung

Die Klimakrise und das Massensterben von Tier- und Pflanzenarten werden oft als zwei voneinander getrennte Probleme behandelt – als ob man sich entscheiden müsste, welche Krise man als Erstes angeht. Ein grober Fehler, sagen Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg: Das heißere Klima und der beängstigende Verlust biologischer Vielfalt bedingen sich nicht nur gegenseitig, es gibt dafür auch gemeinsame Lösungen. Dabei müssen wir das Rad nicht einmal neu erfinden, denn die Natur ist absolute Expertin darin, mit Störungen umzugehen und gefährliche Extreme abzupuffern. Nach dem Motto »What would nature do?« können wir ihr auf die Finger schauen – und ihre Strategien einfach kopieren. Unterhaltsam und leicht verständlich erklären die Autorinnen, wie Wale das Klima kühlen, Korallen Fluten stoppen und Regenwürmer für gutes Trinkwasser sorgen – und warum Koalas von der Klimakrise Bauchschmerzen bekommen.

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Frauke FischerHilke Oberhansberg
WALMACHTWETTER
Warum biologische Vielfaltunser Klima rettet
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2023 oekom verlag, Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Umschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.de
Lektorat: Laura KohlrauschTypografie, Layout, Satz: Ines SwobodaKorrektur: Silvia Stammen
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-98726-216-6
PrologWeise Vielfalt
Noch kurz vorweg ein paar Begriffe
Teil IAuf Spurensuche
1Die Büchse der Pandora – Gestörtes Gleichgewicht
Der Mensch mischt sich ein • The sky is (not) the limit
2Klima, Wetter, Wandel – Was soll das denn heißen?
Da tut sich nix … • … und hier geht’s rund
3Jetzt wird’s heiß – Was der Klimawandel für die Biodiversität bedeutet
Nicht immer alles im grünen Bereich • WG unter Druck • Bleich vor Schreck und abgesoffen • Das stößt sauer auf • Das Ende der Beachparty • Der große Marsch – Arealverschiebungen • Aus dem Takt gekommen • Winterschlaf, Winterruhe, Kältestarre
4Wie lange kann es eigentlich noch 5 vor 12 sein?
Alles so schön ruhig hier – Unser Leben im Holozän • Leben auf der Überholspur – Die große Beschleunigung • Achtung, es kippt! • Die Grenzen kennen
Teil IIZiemlich beste Freunde
5Keiner bindet besser – natürliche Kohlenstoffbindung
Das volle Leben – Biomasse • Boden – Held zu unseren Füßen • Früher war mehr Tier • Apropos: Wie macht der Wal denn nun das Wetter? • Landschaftsarchitekt*innen XXL • Ich mach das – Denkste!
6Nur so lässt sich’s aushalten – Schutz und Anpassung durch Natur
In den Schatten gestellt • Aufsaugen wie ein Schwamm • Dem Ansturm gewachsen • Alles im Griff • Manche mögen’s heiß … und andere eben nicht
7Natur als Lösung
Leichter gesagt als getan • Kann hier einer bitte mal durchzählen? • Zu Risiken und Nebenwirkungen • Und dann ist da noch das lästige Geld … • Die Welt der Klimazertifikate • Dreimal Gold für Kenia! • Wir sind wieder wer! Australische Buckelwale • Jetzt ist mal Erholung angesagt – Regeneration von Böden • Mit Artenvielfalt zu »weniger ist mehr« – Agroforstsysteme • Ich brauche meinen Raum – Deichrückverlegung • Green statt Kokain
Teil IIIDie beste Krisenmanagerin
8Wenn’s knapp wird – Der Kampf um Ressourcen
Brandbeschleuniger • Da bewegt sich was • Wasserdruck und Staugefahr • Friedensstifter Klimawandel?
9Wenn’s einfach nicht mehr geht – Menschen auf der Flucht
Zu Hause fremd • Kein leichter Abschied • Wir schaffen das … natürlich
10Um fair zu sein – Chancen für den Globalen Süden
Die, die den Kopf hinhalten • Die, die immer alles besser wissen • Die, die es schon lange richtig machen • Die, die Recht(e) haben • Die, für die es sich lohnt
EpilogOptimismus ist Pflicht!
Anmerkungen
Bild- und Grafiknachweis
Prolog
Weise Vielfalt
Ganz bescheiden haben wir uns einst selbst den wissenschaftlichen Namen Homo sapiens gegeben: der »weise Mensch«. Dabei kommen wir mit überraschend wenig Wissen oder gar Weisheit auf die Welt und müssen im Unterschied zu allen anderen Tierarten ziemlich viel erst lernen. Schwimmen oder Lesen zum Beispiel, aber auch die Regel »Füße nicht auf den Tisch legen« oder die komplexe Argumentation, warum man auch mit 15 schon die ganze Nacht ausgehen dürfen sollte. Nichts davon können wir von Geburt an, und weil wir als ein so unbeschriebenes Blatt das Licht der Welt erblicken, ist da viel Raum für kreatives Ausprobieren.
Ein wichtiger Treiber für das Sammeln von Erfahrung und Wissen ist die Neugier. Sie kann Neues hervorbringen, ist dann hoch angesehen und wird am Ende vielleicht sogar mit einem Nobelpreis belohnt. Sie ist aber nicht immer von Vernunft getrieben. Manchmal ist der Wunsch, etwas auszuprobieren, stärker als das, was der Verstand oder weise Artgenossen raten. Und dann gehen Dinge auch mal gehörig daneben.
Ein Klassiker dieser »Neugier schlägt Vernunft«-Geschichten ist der Pandora-Mythos aus dem antiken Griechenland. Ein Stoff für Hollywood, voll von Diebstahl, Betrug und Versuchung – nur das Happy End fehlt. Pandora ist eine Dame aus Lehm, erschaffen auf Anweisung des Zeus, um sie, ausgestattet mit einer Büchse des Bösen, auf die Erde zu schicken und sich damit bei Prometheus für den Diebstahl des Feuers zu rächen. Weil auf so eine Lehmfigur keiner reinfallen würde, wird sie von den Göttern mit vielen Talenten, einer wunderbaren Sprache und Schönheit ausgestattet. Prometheus’ Bruder ist entzückt und heiratet die schöne Pandora – im Gepäck ihre gefährliche Büchse, die sie den Menschen schenken soll mit der »allerstrengsten« Anweisung, sie auf gar keinen Fall zu öffnen. Zeus brauchte keinen Bestseller der Erziehungsliteratur zu lesen, um zu wissen, dass das die ideale Einladung war, genau das Gegenteil zu tun. Es dauerte nicht lang, bis die Büchse geöffnet wurde, und so entwich alles Übel der Menschheit. Seitdem schlagen wir uns mit Mühen, Krankheit und »alternativen Fakten« herum.
Beim Klimawandel ist es ein bisschen ähnlich: Getrieben von unserer Neugier und begeistert von den enormen Kräften, die bei der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl frei werden, haben wir die (Kohlenstoff-)Büchse geöffnet, und nun ist viel zu viel vom Kohlenstoff dort, wo er nicht hingehört – als CO2 in unserer Atmosphäre und als Kohlensäure in den Weltmeeren. Was uns anfangs wie ein Segen vorkam, stellt sich nun als echtes Drama heraus. Sicher, wir können uns zugutehalten, dass uns am Anfang niemand gewarnt hat. Wer soll so was denn vorhersehen? Doch seit einiger Zeit schrillen die Alarmglocken und wir müssen die Büchse so schnell wie möglich wieder schließen: Schluss mit dem CO2-Ausstoß, und irgendwie müssen wir einen Teil des bereits »entwichenen« Kohlenstoffs auch wieder einsammeln, wenn wir der Tragödie nicht ihren Lauf lassen wollen.
Aber wie sollen wir das schaffen? Und wer garantiert uns, dass uns unsere Neugier nicht in neue Fallen laufen lässt, die wir jetzt noch nicht absehen können?
Glücklicherweise sind wir nicht die einzigen »Weisen« auf diesem Planeten. Im Gegenteil: Wir haben ein Team sagenhafter Expert*innen unter uns. Ein Team, das nicht nur alle Tricks zum Binden von CO2 kennt, sondern aus diesem »Gefahrstoff« das leckerste Essen, den besten Küstenschutz und die wertvollsten natürlichen Rohstoffe macht. Und das sein jahrmillionenaltes Wissen immer kostenlos anbietet. Sein Name? Natur!
Darum, was Natur mit Klimawandel zu tun hat, wie beides aufeinander wirkt und wie die Vielfalt der Natur, also Biodiversität, uns hilft, den Kohlenstoffhaushalt wieder in Ordnung zu bringen, geht es in diesem Buch – ganz abseits von Sagen, Mythen oder Märchen und stattdessen auf dem festen Fundament von (Neugier getriebener) Wissenschaft und Forschung.
Noch kurz vorweg ein paar Begriffe
Biodiversität
Der Begriff »Biodiversität« lässt sich mit »Vielfalt des Lebens« übersetzen und meint den Dreiklang aus 1. der Vielfalt von Arten (mein Hund gehört zu einer anderen Art als die Nachbarskatze), 2. der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten (Frau Schmidt ist weder Frau Meier noch Herr Müller) sowie 3. der Vielfalt der Ökosysteme, in denen sie leben (ein Regenwald ist keine Wüste).
Arten
Vertreter*innen einer Art können sich miteinander paaren und fruchtbare Nachkommen zeugen. Je niedriger die Zahl an Individuen einer Art ist, desto eher besteht die Gefahr, dass die Art ausstirbt.
Genetische Vielfalt
Unabhängig von der Zahl an Individuen ist der Erhalt einer Art gefährdet, wenn die Vertreter einer Art sich genetisch nur wenig unterscheiden. Eine geringe genetische Vielfalt bedeutet zum Beispiel, dass alle Individuen ein ähnliches Immunsystem haben oder ähnlich empfindlich auf veränderte Umweltbedingungen reagieren. Treten Krankheiten, Nahrungsmangel oder extreme Witterungsbedingungen auf, die genau dieser genetischen Variante Probleme bereiten, sind alle Vertreter einer Art betroffen.
Ökosysteme
Ökosysteme beschreiben Gemeinschaften von Lebewesen unterschiedlicher Arten und die Prozesse, über die sie miteinander verbunden sind. Ökosysteme können ganz klein sein, etwa ein Baumstumpf in einem Wald, oder sehr groß, zum Beispiel der ganze Wald.
Ökosystemleistungen
Ökosysteme erbringen Leistungen, die für den Menschen überlebenswichtig sind. Hierzu zählen zum Beispiel die Erzeugung fruchtbarer Böden, das Filtern von Luft und Wasser, die Bereitstellung von Rohstoffen, der Schutz vor Erosion und Hochwasser, aber auch die Bestäubung von Nutzpflanzen, die Regulation des Klimas oder einfach die Schönheit der Natur.
TIPP
Wer genauer verstehen will, was Biodiversität ist, was sie kann und wieso es ohne Mücken keine Schokolade gäbe, der*die kann einen Blick in unser Buch »Was hat die Mücke je für uns getan?« werfen.
Teil I
Auf Spurensuche
Was ist eigentlich das Problem beim Klimawandel? Wieso stößt Ozeansprudel Korallen sauer auf? Und warum ist ein Kipppunkt nicht einfach nur ein lustiger Moment beim Wippen? Um die Antworten auf diese Fragen zu finden, folgen wir den Spuren der großen, menschengemachten Kohlenstoffschieberei auf der Erde. Wir tauchen ein in die Tiefe der Meere und lassen den Blick schweifen über Moore, Wälder und den Himmel über uns. Denn Kohlenstoff ist überall, nur eben nicht immer da, wo er hingehört.
KAPITEL 1
Die Büchse der Pandora – Gestörtes Gleichgewicht
Bei manchen Dingen wäre es besser, man hätte einfach mal die Finger davon gelassen. Der globale Kohlenstoff-Kreislauf gehört definitiv dazu!
Kohlenstoff ist eines der häufigsten Elemente in unserem Universum. Wir alle bestehen (unter anderem) aus Kohlenstoff, alle unsere Verwandten, Freunde, Haustiere und Zimmerpflanzen bestehen aus Kohlenstoff, unser Zuhause ist aus Kohlenstoff, wir essen jeden Tag Kohlenstoff, unsere Mobilität und Wirtschaft basieren auf Kohlenstoff. Wir brauchen Kohlenstoff also immer, überall und dringend. In Form von Kohlendioxid, also CO2, funktioniert Kohlenstoff in der Atmosphäre allerdings auch als Treibhausgas, das Einfluss auf die globale Temperatur der Erde hat und dessen ansteigende Konzentration die Erderwärmung vorantreibt.
Entscheidend für das Leben aller Organismen auf der Erde ist, wo, wie viel und in welcher Form Kohlenstoff vorhanden ist. Um das besser zu verstehen, verschaffen wir uns erstmal einen Überblick über den globalen Kohlenstoffkreislauf.
Etwa 1,85 Milliarden Gigatonnen Kohlenstoff gibt es auf der Erde – eine Gigatonne (Gt) entspricht einer Milliarde Tonnen. Etwa 99,9 Prozent davon ist in Gesteinen und tiefen Erdschichten gebunden. Das meiste davon spielt weder für den Klimawandel noch für uns oder andere Organismen auf dem Planeten eine Rolle. Dieser Kohlenstoff ist schlicht nicht erreichbar oder jeglicher Nutzung durch seine chemische Verbindung entzogen. Der Rest verteilt sich in unterschiedlichen chemischen Verbindungen auf die Atmosphäre, Ozeane, Böden, Organismen und auf fossile Brennstoffe.
Den Austausch zwischen diesen verschiedenen »Kohlenstofflagern« bezeichnet man als globalen Kohlenstoffkreislauf. Kohlenstoff kann in diesem Kreislauf von einem Reservoir in ein anderes verschoben werden und dabei Bestandteil ganz unterschiedlicher Verbindungen werden – von Rohöl bis zu Rosen. Dabei gibt es Wege, auf denen das Verschieben schnell geht, während andere sehr langsam sind.
König der Elemente: Kohlenstoff
Kohlenstoff (im Deutschen manchmal auch nach dem englischen Wort »Carbon« genannt) kann lange Ketten, geometrische Formen und mit anderen Elementen komplexe Moleküle bilden. Von allen chemischen Elementen weist Kohlenstoff die größte Vielfalt an möglichen chemischen Verbindungen auf. Diese Eigenschaft macht Kohlenstoff zum König der Elemente.
Bei den auf der Erde vorherrschenden Temperaturen kann Kohlenstoff sich mit anderen Elementen zu längeren Ketten oder Netzen zusammensetzen, sogenannten Polymeren. Natürliche Polymere sind zum Beispiel Proteine, Zucker oder die DNA. Kohlenstoff ist in Polymeren Bestandteil aller lebenden Organismen und macht etwa 18,5 Prozent des Körpergewichts eines Menschen aus. Damit bildet er nach Sauerstoff (der in Wasser enthalten ist) den zweitgrößten Masseanteil in unserem Körper.
Reine Kohlenstoffverbindungen können schwarz und weich sein (etwa Graphit) oder durchsichtig und superhart (zum Beispiel in Form von Diamanten).
Im langsamen Kreislauf erfolgt die Verschiebung zwischen Gesteinen, Böden, Weltmeeren und Atmosphäre einerseits über chemische Verwitterung und über tektonische Prozesse, andererseits über Ablagerung und Einbettung in Sedimenten. Diese Prozesse laufen über Zeiträume von 100 bis 200 Millionen Jahren ab. Einige 100 Millionen Tonnen Kohlenstoff werden in diesem Teil des Kreislaufs jedes Jahr bewegt. Der langsame Kohlenstoffkreislauf umfasst auch den Kohlenstoff, der durch Ablagerung in Sedimenten über Jahrmillionen zu Öl, Gas und Kohle geworden ist, sowie den Kohlenstoff, der im ewigen Eis gebunden ist.
Von Kohlenstoff zu Kohlendioxid
Vorsicht: Jetzt wir‘s nüchtern. Alle, die sich nicht für Kohlenstoff-Mathematik interessieren, machen jetzt einfach die Augen zu …
Eine besonders interessante Verbindung, die Kohlenstoff eingehen kann, ist die Verbindung mit zwei Sauerstoffatomen zu Kohlendioxid (CO2) – einem Treibhausgas. Wenn man wissen möchte, wie viel der Kohlenstoff in einem Molekül (oder auch einer Tonne) CO2 wiegt, muss man ein bisschen rechnen, und zwar so: Kohlendioxid hat eine molare Masse von 44 Gramm pro Mol (ein Mol sind definitionsgemäß 602 Trilliarden Teilchen eines Stoffes), die Masse von Kohlenstoff beträgt 12 Gramm pro Mol, die von Sauerstoff 16 Gramm pro Mol. Das Massenverhältnis von CO2 (bestehend aus einem Kohlenstoff und zwei Sauerstoffatomen) zu Kohlenstoff ist also 44:12 = 3,67. Damit enthält eine Tonne CO2 etwa 272,5 Kilogramm Kohlenstoff (1.000 kg geteilt durch 3,67). Verbrennt man eine Tonne Kohlenstoff vollständig, entstehen 3,67 Tonnen CO2.
Der schnelle Kohlenstoffkreislauf dagegen umfasst alle Zeiträume, die innerhalb der Lebensspanne eines Menschen liegen. Hier erfolgt der Austausch zwischen den einzelnen Reservoirs also wesentlich schneller. In diesem Teil des Kohlenstoffkreislaufs werden jährlich mehrere Gigatonnen, also mehrere Milliarden Tonnen, Kohlenstoff bewegt.
Seit Beginn des Holozäns vor mehr als 11.000 Jahren bis zum Jahr 1750 war der globale Kohlenstoffkreislauf in etwa ausgeglichen: Ungefähr genauso viel Kohlenstoff, wie durch die Atmung von Pflanzen und das Absterben und Verrotten von Vegetation an Land in die Atmosphäre entlassen wurde, wurde durch die Photosynthese von Pflanzen an Land auch wieder gebunden. Was Mensch und Tier während ihres Wachstums im Körper banden, wurde nach ihrem Tod wieder freigesetzt. Das Gleiche galt für den Kohlenstoff, der aus den oberen Meeresschichten emittiert und durch die Photosynthese von Vegetation im Meer in der gleichen Größenordnung wieder gebunden wurde. Der Rest des Kohlenstoffs steckte sicher aufbewahrt in terrestrischen Speichern, also den Böden und fossilen Lagerstätten, in denen anorganischer Kohlenstoff zum Beispiel in Kalkstein oder in Form fossiler Energieträger wie Öl vorkam, oder in den Ozeanen, in den tieferen Meeresschichten und in Sedimenten am Meeresboden.
Der globale Kohlenstoffkreislauf. In der Abbildung sind alle Masseangaben in Gigatonnen Kohlenstoff aufgeführt, obwohl beim Austausch von Gasen über dem Meer, der Atmung, der Photosynthese und in der Atmosphäre als CO2 vorliegt. Die Darstellung als Kohlenstoff erleichtert das Verständnis der Grafik – und wie man umrechnet, haben wir im Kasten auf der vorherigen Seite ja gesehen. Die absoluten Zahlen weichen durch diese Darstellung von den zum Teil vertrauteren Zahlen der öffentlichen Klimadebatte ab.
Dieser stabilen Kohlenstoffkonzentration verdanken wir die außergewöhnlich ruhige Klimaphase des Holozäns, die ja den raschen Aufschwung menschlicher Gesellschaften an ganz unterschiedlichen Orten der Erde begründete. Dann aber begann der Mensch, die Büchse der Pandora zu öffnen …

Der Mensch mischt sich ein

Das Jahr 1750 markiert den Beginn der Industriellen Revolution und mit ihr der Einmischung des Menschen in die Kohlenstoffkreisläufe der Erde. Mit der Verbrennung von Kohle und später Öl und Gas begannen wir Menschen, den in fossilen Energieträgern tief in der Erde gebundenen Kohlenstoff aus dem langsamen Kreislauf in den schnellen Kreislauf zu bugsieren. Im Laufe von nur etwa 200 Jahren haben wir durch diese Verbrennung gigantische Mengen Kohlenstoff als CO2 freigesetzt, die über Millionen von Jahren »sicher weggeschlossen« waren. Alleine im Jahr 2021 waren das 36,3 Gigatonnen CO2 – der höchste jemals gemessene Wert.1
Treibhausgase – mehr als nur heiße Luft
Neben Wasserdampf sind die auch natürlicherweise vorkommenden Verbindungen Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und die ausschließlich menschengemachten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) bedeutende Treibhausgase. Sie alle lassen die energiereiche kurzwellige Strahlung der Sonne relativ leicht passieren, reflektieren die langwellige (Wärme-)Strahlung der erhitzten Erdoberfläche dann aber nicht nur in den Weltraum, sondern in alle Richtungen, also auch wieder zurück zur Erdoberfläche.
Der natürliche Treibhausgaseffekt (durch die von intakten Ökosystemen ausgestoßenen Klimagase) machte unser Leben auf der Erde übrigens überhaupt erst möglich. Ohne ihn betrüge die mittlere Temperatur auf der Erde nämlich eisige minus 18 °C statt der jetzt im Mittel gemessenen 15 °C.
Im Vergleich zu CO2 hat Wasserdampf ein 2- bis 3-faches Treibhauspotenzial, Methan ein 28-faches, Lachgas ein 298-faches und Fluorchlorkohlenwasserstoffe sogar ein 5.200-faches. Andere Gase sind also relativ gesehen noch gefährlicher, aber wegen der gigantischen Ausstoßmenge geht der Großteil der Erderwärmung dennoch auf die Emissionen von CO2 zurück.
Wir haben aber nicht nur Kohlenstoff aus dem langsamen Kreislauf freigesetzt, auch in den schnellen Kreislauf greifen wir vermehrt ein. Menschliche Aktivität war zwar schon immer Teil dieses schnellen Kreislaufs, weil Waldstücke gerodet, Feuchtgebiete trockengelegt und Holz und Torf verbrannt wurden und dadurch gespeicherter Kohlenstoff mit Sauerstoff in Kontakt kam und zu CO2 wurde. Unsere Unterschiede zum Neandertaler oder Wikinger sind allerdings sowohl unsere Anzahl als auch unsere technische Ausrüstung, durch die wir heute viel schneller, auf viel größeren Flächen einen viel größeren Abdruck hinterlassen. Wälder und Moore sind dabei die wichtigsten Ökosysteme, die wir beeinflussen.
Noch sind die Wälder der Welt »Kohlenstoffsenken«, sie speichern also mehr, als sie freisetzen. Machen wir aber weiter mit der Rodung, dann ist immer weniger Wald da, der ungestört wachsen und CO2 dauerhaft speichern kann, und irgendwann ist es vorbei mit dieser Kohlenstoffsenke.
Moor machen
Damit ein Moor entsteht, braucht es viel Niederschlag und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Wasser darf nicht leicht abfließen, sondern muss sich im Boden stauen. Durch den Überschuss an Wasser sind die Böden dann sauerstoffarm, Verrottung wird gestoppt. Alles, was drin ist, wird gut konserviert. Übrigens nicht nur die Pflanzenteile, sondern auch alles andere, was reinfällt, wie Tiere oder gar die berühmten Moorleichen. Betrachtet man die Geschwindigkeit des Wachstums der Moorpflanzen (in gemäßigten Breiten meist Sphagnum-Moose, in den Tropen aber auch Gräser und verholzende Pflanzen) verläuft das viel schneller als das Verrotten abgestorbener Pflanzen. Nach und nach bildet sich so ein Torfkörper aus totem Pflanzenmaterial. Ist der dicker als 30 Zentimeter und enthält mindestens 30 Prozent organisches Material, bezeichnet man die Fläche als Moor. Obwohl Moore sehr langsam wachsen (bei uns weniger als 1 Millimeter pro Jahr), konnten Torfkörper von über 30 Metern Mächtigkeit entstehen.
Moore sind Feuchtgebiete, in denen der vollständige Abbau von totem Pflanzenmaterial durch einen ständigen Wasserüberschuss verhindert wird. Vereinfacht kann man sagen, weil in jeder Pore von Pflanzen und Boden Wasser steckt, ist kein Platz für Sauerstoff. Anstatt unter Mitwirkung von Sauerstoff komplett zersetzt zu werden, entsteht aus den abgestorbenen Pflanzen Torf. Nur wenn ein Torfkörper austrocknet, kann Sauerstoff nachrücken und die Zersetzung beginnt.
Moore kommen weltweit vor, mit einem Schwerpunkt in den nördlichen und gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel. Fast 84 Prozent der weltweiten Moorflächen sind noch intakt. Das ist auch ganz gut so, denn Moore sind die größten Kohlenstoffspeicher an Land. Sie binden mehr Kohlenstoff als alle anderen Vegetationstypen der Erde zusammen, obwohl sie weniger als 3 Prozent der Landfläche ausmachen!
Ungestörte Moore trocknen nicht aus, solange sich das Klima nicht grundlegend ändert. Weil sie immer nass sind und man auf ihnen weder Tiere halten noch Getreide, Gemüse oder Obst anbauen kann, haben Menschen diese Ökosysteme lange als nutzlos angesehen. Dass man im Moor einsinken kann und oft Nebel über ihm wabert, hat Menschen eher Angst gemacht, als Sympathien zu wecken. Legt man Moore aber trocken, kann man nicht nur Felder anlegen und Vieh weiden lassen, sondern das abgelagerte Pflanzenmaterial auch nutzen – Torf wurde Brennmaterial, Blumenerde, aber auch Webstoff und Kosmetikgrundstoff. Genau diese Trockenlegung ist allerdings ein Eingriff in den schnellen Kohlenstoffkreislauf: Sobald Moore entwässert werden und Sauerstoff aus der Luft mit dem abgelagerten organischen Material in Verbindung kommt, beginnt dessen Verrottung (Mineralisierung) und es entsteht CO2.
Obwohl die meisten Moore noch intakt sind, trägt die Zerstörung von Mooren schon jetzt etwa 5 Prozent zu den jährlichen CO2-Emissionen weltweit bei, was auch ein Ausdruck ihres ausgesprochen hohen Kohlenstoffgehaltes ist. Neben CO2 werden bei der Mineralisierung von Torf zudem auch Methan und Lachgas freigesetzt: zusammen mit Kohlendioxid das Triumvirat des Klimaschreckens.
Moore bringen einzigartige Landschaften und Lebensräume hervor.
Über die letzten 200 Jahre haben wir also große Mengen zuvor gebundenen Kohlenstoffs »außerplanmäßig« freigesetzt. Immerhin ein Viertel davon haben Vegetation und Böden an Land wieder aufgenommen. Ein knappes Drittel ist in den Weltmeeren untergekommen. Die verbliebenen rund 50 Prozent sind in die Atmosphäre gelangt und verursachen dort den Klimawandel. Weil CO2 – mit einem Volumenanteil an der Luft von unter 0,05 Prozent – ein Spurengas2 ist, wird es nicht in Prozent, sondern in parts per million (ppm) gemessen. Dieser Wert ist von etwa 280 ppm in vorindustrieller Zeit auf etwa 420 ppm im Jahr 2021 angestiegen. Das Atmen dieser veränderten Luft ist für uns kein Problem. Aber der Anstieg reicht für den Klimawandel, den wir schon heute beobachten. Und der ist so dramatisch, dass einem dann doch der Atem stockt.

The sky is (not) the limit

Etwa 30 Prozent des in den letzten 200 Jahren durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre emittierten CO2 sind wie gesagt von dort in ein anderes gigantisches Puffersystem übergetreten: Unsere Weltmeere.
Mit der Aufnahme so großer Mengen CO2 durch die Weltmeere wird der Effekt unserer Treibhausgasemission im Moment quasi maskiert. Irgendwann sind die Weltmeere aber gesättigt und werden kein weiteres CO2 mehr aufnehmen. Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass wir noch etwa 50 Jahre lang auf diesen praktischen Service der Meere vertrauen können.3 Spätestens ab dann machen die Meere dicht. Treibhausgase, die wir dann noch emittieren, wirken sich unmittelbar auf den Klimawandel aus und werden ihn dramatisch verstärken.
Auch jetzt schon ist die massive Aufnahme von CO2 durch die Meere nicht frei von Nebenwirkungen. Dass Kohlensäure entsteht, wenn CO2 eine Verbindung mit Wasser eingeht, führt zu einer Versauerung der Weltmeere.
Ozeansprudel
Durch den Gasaustausch an der Oberfläche der Meere tritt CO2 in den Wasserkörper ein. Ein Teil dieses CO2 löst sich, das heißt, es verbindet sich dort mit Wassermolekülen zu Kohlensäure. Aus »Ozeanwasser still« wird »Ozeansprudel«. Die chemische Formel dazu sieht so aus: CO2 + H2O = H2CO3. Die Kohlensäure löst sich in Wasser allerdings wieder auf. Durch chemische Reaktion entstehen dann Bicarbonat-Ionen (HCO3–) und Wasserstoffionen (H+), die das Wasser saurer machen (siehe nächster Kasten).
Meeresoberfläche und Wasser tauschen ständig Gase aus.
In den letzten 200 Jahren ist der pH-Wert der oberen Schichten der Weltmeere um etwa 0,1 gesunken von 8,2 auf 8,1. Klingt erstmal nicht so schlimm. Stellt man das in einem anderen Zahlenformat dar, erkennt man aber, dass die Veränderung des pH-Wertes von 8,2 (entspricht 6,3 x 10–9 Wasserstoffionen pro Liter) auf 8,1 (entspricht 7,9 x 10–9 Wasserstoffionen pro Liter) einer Zunahme an Wasserstoffionen von 26 Prozent entspricht – und das ist wiederum ganz schön viel. Was dieses viel saurere Meer für Meeresorganismen bedeutet, erklären wir im nächsten Kapitel.
Neben diesem ganzen CO2 puffern Meere auch noch Wärmeenergie ab. In den oberen Metern der Weltmeere ist mehr Wärme gespeichert als in der gesamten Atmosphäre. Die Meere haben so bis heute etwa 90 Prozent der Erderwärmung »abgefangen«. Während Luft schnell warm wird oder wieder abkühlt, dauert beides bei Wasser wesentlich länger. Darum wird die globale Erwärmung zunächst selbst dann weiter bestehen, wenn wir sofort die Emission von Treibhausgasen massiv herunterdrehen würden und die Konzentration in der Atmosphäre sinken würde. Selbst wenn in der Atmosphäre weniger Wärmestrahlung durch Treibhausgase zurückreflektiert wird, werden die Weltmeere noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte Wärme abgeben, bis alles in ein neues Gleichgewicht gefunden hat.
Sauer, aber gar nicht lustig
Der Säuregehalt einer wässrigen Lösung wird durch den pH-Wert angegeben, den Wert des »pondus Hydrogenii«, auf Deutsch »Gewicht des Wasserstoffs«. Der pH-Wert liegt irgendwo zwischen 0 und 14, wobei alles unter 7 als sauer und alles über 7 als basisch bezeichnet wird. Der Wert 7 gilt als neutral. Gemessen wird für den pH-Wert die Konzentration von Wasserstoffionen (H+). Je höher deren Konzentration, umso saurer die Lösung. Der pH-Wert folgt einer logarithmischen Skala. Eine Änderung des Wertes um den Faktor 1 bedeutet also eine 10-fache Veränderung der Wasserstoffionenkonzentration.
Nicht zuletzt führt der Klimawandel auch zu einem Anstieg des Meeresspiegels, weil die Meere immer mehr Platz brauchen. Das kommt zum einen daher, dass steigende Temperaturen die Eisflächen der Erde zum Schmelzen bringen. Schmelzende Polkappen fließen als Wasser in die Meere und vergrößern dort die Wassermassen. Zum anderen braucht warmes Wasser einfach mehr Platz als kaltes, es dehnt sich aus, weswegen der Meeresspiegel seit 1880 stetig steigt – bereits um 21 bis 24 Zentimeter. Auch das klingt erstmal überschaubar. Allerdings beschleunigt sich dieser Trend. Allein zwischen 1993 und 2021 stieg der Meeresspiegel um 97 Millimeter an. Bei dieser Entwicklung werden nicht nur immer mehr Inseln von der Weltkarte verschwinden, auch acht der zehn größten Städte der Welt liegen so nah an der Küste, dass sie bedroht sind und bald gar nicht mehr zu halten sein werden.
Besonders vom Meeresspiegelanstieg bedroht: Inseln wie Tuvalu im Pazifik
Versauerung der Meere, Erwärmung in den Oberflächenwassern, Meeresspiegelanstieg: Alle drei Effekte sind gigantisch, schon alleine deshalb, weil unser Planet zu über 70 Prozent von Wasser bedeckt ist. Da verändern wir einen echten »Big Player« unseres Planeten.
Vor knapp 275 Jahren haben wir also die Büchse der Pandora geöffnet und schlagen uns nun mit dem »entwichenen« Kohlenstoff herum. Der ist zunehmend da, wo er nicht sein soll. Nicht nur als wärmendes Treibhausgas in der Atmosphäre, sondern auch als saure Beigabe in den Weltmeeren. Egal, wie schnell es uns gelingt, die Büchse der Pandora wieder zu schließen: Wir werden uns über einen langen Zeitraum mit dem bereits angestoßenen Klimawandel beschäftigen müssen. Darum fangen wir in den nächsten Kapiteln gleich damit an …
Bitte nicht stehen bleiben
Das Abschmelzen der Polkappen hat übrigens noch einen anderen, ebenfalls beängstigenden Effekt: Süßwasser aus dem immer schneller abschmelzenden Eisschild Grönlands verlangsamt den Golfstrom. Der Golfstrom ist aber für die Stabilisierung unseres Klimas wichtig, und zwar in der Form, wie er gerade jetzt »arbeitet«.
KAPITEL 2