WalkürenWelten - Augusta Magnolia - E-Book

WalkürenWelten E-Book

Augusta Magnolia

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Beschreibung

Ragna, ein junges Mädchen wird vom Hauptgott der nordischen Mythologie auserwählt, seine Walküre, sprich Dienerin, zu sein und fortan als solche zu leben. Eine wirkliche Wahl hat Ragna nicht, doch trotz offensichtlicher Anzeichen möchte sie auch ihren neuen Vater nicht hintergehen. Leichte Bedenken bleiben jedoch, denn auch die Götter tun nicht nur Gutes, doch ihre Zweifel währen nicht lange: Allzu schnell waschen die Zauber Odins die Erinnerungen der Walküren rein und befreien sie von jeglicher Skepsis gegenüber den Göttern. Misstrauen würde sich allerdings in diesen Zeiten mehr als bezahlt machen, denn es treibt ein Spion aus den Reihen seiner Bewohner in Walhalla sein Unwesen und berichtet dem sadistischen Halbgott Loki alles, was ihm nützt, die Götterdämmerung einzuleiten. Schlechte Nachrichten auch für Ragna selbst, denn schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft in der nordischen Mythologie schickt Odin sie auf eine schier unmögliche Mission: Die Jugendgöttin Idun zurückzuholen, ohne deren kraftspendende Magie alle Götter verloren sind. Zunächst allein in der furchtbar ungastlichen Welt der Eis- und Bergriesen muss sich Ragna mit Monstern, der Kälte, allwissenden Riesenfürsten und der drohenden Dunkelheit herumschlagen, doch auch zuhause in Asgard ist der Verräter derweil nicht untätig. Ein Buch über unklare Vertrauensverhältnisse, Kämpfe mit Riesen, düstere Vergangenheiten, stürzenswerte Herrscher und das kleinere Übel. Mit viel Liebe fürs Detail und bewundernswert geschmackvoll geschrieben von Augusta Magnolia.

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Seitenzahl: 370

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Eine kurze Erklärung zur nordischen Mythologie

Der folgende Abschnitt ist nicht essenziell wichtig für die Lektüre, aber doch zum besseren Verständnis des Buches und aller, die darauf folgen. Solltest du dich aber mit der nordischen Sagenwelt schon zumindest grundlegend auskennen, kannst du diesen Text überspringen.

Die Nordmänner (gerne als Wikinger bezeichnet) glaubten, dass die Wirklichkeit ein Baum sei, der im leeren Kosmos schwebte, dem Ginungagap. Insgesamt gibt es neun Welten, auf drei davon stützt sich die Weltenesche, zwei sind im Stamm verbaut und vier liegen oben in der Krone. In Niflheim, Muspelheim und Jotunheim wohnen die Riesen und ähnliches Gesocks. Das sind die Bösen, was sie aber nicht so sehen. Und wie das nun mal so ist, bekämpfen die Bösen die Guten und umgekehrt, zumindest im Groben. Eines Tages wird der Oberböse, der abtrünnige Halbgott Loki, die Götter fast sämtlich in einer gewaltigen Schlacht, genannt Ragnarök, vernichten, und so ziemlich alles andere gleich mit. Das ist klischeehaft, ich weiß. So ganz stimmt es aber dann doch nicht. Und außerdem haben sich das die Wikinger ausgedacht, nicht ich, weshalb ihre gedachte Welt auch ziemlich der unseren ähnelt. Es gibt Schwerkraft, ein Tag dauert 24 Stunden und die Sonne geht im Osten auf, es gibt dafür bloß andere Gründe. So kreativ waren die Nordmänner also nicht. Ihr werdet euch zurechtfinden, und bei Fragen findet ihr vielleicht im Glossar Antwort.

Augusta Magnolia

Im Übrigen ist dieses Werk Fiktion. Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen, Orten, Ereignissen oder Gedanken, die nicht der nordischen Mythologie entliehen wurden, sind nicht beabsichtigt und auf keinen Fall beleidigend zu verstehen.

Dies ist die 2., verbesserte Auflage mit etlichen Änderungen

Das Buch ist mein geistiges Eigentum und kopieren, verbreiten und abschreiben ohne Erlaubnis ist verboten.

Prolog

Dunkel senkte sich die Nacht über Asgard. Lediglich schemenhaft ließ sich im Licht einer schmalen, bleichen Mondsichel und dem Funkeln der vielen Tausend Sterne ein kleines, geflügeltes Tier ausmachen. Rasch kam es näher, umflog dabei aber die Stadt der Götter mit ihren Feuern und Laternen, ein geselliger, prächtiger, sehnsuchtsvoller Ort in den verträumten Hügeln, die jetzt, in der Finsternis, etwas Bedrohliches an sich hatten. Das Wesen, ein Rabe geschaffen aus Lehm, schwarzer Erde, dunklen Zaubern und Federn, kam von einem hohen Gebäude außerhalb der Stadt. Walhalla, wie es von den Asgardianern genannt wurde, besaß riesige Tore, die sogar in andere Welten führen konnten, ebenso wie kleine Pforten, aus denen man sich leicht heimlich davonstehlen konnte, doch aus keinem dieser kam das Geschöpf, nein, es schien geradewegs aus der Mauer eines der unteren Stockwerke geflogen zu sein. Es stieg in den Himmel auf und setzte seinen Weg in Richtung Süden zum Ginungagap fort. Angekommen stürzte es sich in die Leere, ließ sich fallen und bremste seinen Sturz nicht ab, bis es von den eisigen Winden Jotunheims, der Welt der Eis- und Bergriesen, erfasst wurde. Dann flog es zügig weiter nach Süden, durchquerte einen verschneiten Gebirgszug und hielt, fast schon am Ende dieser Welt, auf eine Festung zu, die sich an einen Berggipfel lehnte. Das monströse Gebilde blickte auf die graue Nebelsuppe, die schwarzen Fenster dunkel und geistesmüde wie die erloschenen Augen eines Wahnsinnigen. Das Schattengeschöpf flog durch eine der im Stein klaffenden Öffnungen in eine dunkle Halle und ließ sich ausgezehrt auf den Schoß eines Mannes fallen, der in den Schatten auf einem Thron saß und wartete. Die Halle lag halb im Dunkeln, doch ließen sich im schwachen Schein einiger beinahe erloschener Feuer kostbare Wandbehänge zwischen steinernen Möbeln erahnen. Der Mann beugte sich vor, packte das Tier mit grausam vernarbten Händen und löste eine Nachricht von seinem Bein. Er wusste, von wem sie kam, und dass sie für ihn bestimmt war, obgleich sie nicht adressiert war. Er wischte die Kreatur von seiner grünen Tunika, die zu gespensterhaftem Staub zerfiel, und entfaltete ungeduldig den Brief. Während er zu lesen begann, verzogen sich seine Lippen, vernarbt wie seine Hände, zu einem zufriedenen Lächeln.

Kapitel 1

Blitze zuckten grell über den Himmel. Donner grollte. Es war eine stürmische Nacht. Ragna verabscheute Gewitter, sehr sogar. Dennoch faszinierte es sie immer wieder aufs neue. Das Mädchen saß zusammengekauert am Fenster der ärmlichen kleinen Hütte, in der sie nun schon gute sechs Jahre lebte, und starrte nach draußen. Regentropfen klatschten gegen die Scheibe, dicke Tropfen, die die gesamte Insel verschwimmen ließen und es schien, als würde der kalte Ozean um sie herum plötzlich auf sie herabregnen.

Wie durch einen Tränenschleier sah sie zum Meer hinüber. Grau und stürmisch umgab es sie, schon seit sie denken konnte. Heute war es besonders schlimm. Seine eisigen Wellen brachen sich am Kai und überschwemmten die Straßen von Inga. Zum Glück lag ihr Haus, wenn man es als eines bezeichnen konnte, auf einer der niedrigeren Klippen der Insel, die zum Hafen hin mal sanft, mal etwas steiler abfiel.

Noch während sie in Gedanken versunken aus dem Fenster starrte, ertönte plötzlich eine herrische Stimme: „Ragnhild!“

Es war ihre Großmutter, die bis dahin ruhig und vollends in ihre Zeitung vertieft auf ihrem Lehnstuhl vor dem Feuer gesessen hatte. Und dann sprach sie Ragna auch noch mit ihrem vollen Namen an, wie es sonst niemand tat.

Widerwillig löste Ragna den Blick vom düsteren Himmel, um sich ihrer Oma zuzuwenden. Diese war eine stolze, unbeugsame Frau. Das Leben hatte sie hart und unnachgiebig wie Stein gemacht, aus dem auch ihre Haut zu bestehen schien. Tiefe Furchen prägten ihre Stirn und ihre knochigen Hände mussten der Traum einer jeden Hexe sein. Trotz ihres hohen Alters saß sie gerade, wie es eigentlich nur eine Königin konnte. Ragna hatte großen Respekt vor ihr. Sie war ihr dankbar, für alles, was sie ihr gegeben hatte.

„Ja, Großmutter?“ Die Augen der alten Frau, grün, wie sie auch die ihren waren, und die ihrer Mutter vor ihr, bohrten sich in ihre Brust.

„Hast du die Mülltonnen hinter dem Haus befestigt?“

Ragna hörte zum ersten Mal, dass sie dies hatte tun sollen. „Nein, Großmutter.“

Ihre Oma musterte sie mit Missbilligung. „Dann sieh zu, dass du dieses Versäumnis wiedergutmachst. Sie deutete mit dem spitzen Kinn zur Tür.

Ragna wurde kalt. „Ich..., ich…“

„Nicht stottern, Kind. Ist nicht meine Schuld, dass du es bisher nicht gemacht hast.“ Die alte Frau wandte sich wieder ihrer Zeitung zu. Ragna wusste, dass sie ihr nichts Böses wollte, doch die zuweilen etwas raue Brynhild Skarsgard wusste genau um ihre Angst vor Stürmen. Dass sie auf keinen Fall hinaus wollte in den Regen und den Wind. Nicht um alles in der Welt, daran trugen ihre Eltern die Schuld.

Marlene und Erki Skarsgard waren beide bei einem Sturm ums Leben gekommen. Ihre Mutter war Fährfrau gewesen, bis sie mitsamt ihrem Schiff, der Sturmrabe, unterging, als der Wind und die Wellen sie auf die Klippen zugetrieben hatten. Ragna erinnerte sich noch an die Nacht, als der Leuchtturmwärter zu ihnen gekommen war, um ihnen die Nachricht zu überbringen.

Sie war sieben gewesen, als sich eines Abends ein heftiges Gewitter von draußen gegen die Scheiben drückte. Ihr Vater hatte gerade den Osterzopf gebacken, den Ragna so liebte, und sie hatten ein Brettspiel gespielt, während sie auf Marlenes Rückkehr warteten. Sie hatten sich nicht eine Sekunde gesorgt. Ihre Mutter war eine so gute Kapitänin gewesen, dass ihr Vater manchmal sagte, dass sie eigentlich eine Meerjungfrau sei. Manchmal hatte Erki sich Geschichten darüber für seine Tochter ausgedacht.

Doch nicht ihre Mutter kam heim, sondern es flog die Tür auf und draußen stand ein Mann, so nass vom Regen und mit verzerrtem Gesicht, dass Ragna ihn für einen Meeresdämon gehalten hatte. Eine Nachricht hatte er gebracht, die ebenfalls aus den Untiefen stammte: Den Tod der Marlene Skarsgard. Mehr wusste Ragna nicht über die Umstände.

Ein bisschen erinnerte sie sich noch an sie, vor allem ihre Augen waren ihr im Gedächtnis geblieben, weil sie so schön waren. So grün wie die Haut einer Baumpython, aber warm und herzlich. Dazu hatte sie schwarze, lockige Haare besessen, manchmal rot gefärbt. Als Ragna noch sehr klein war, hatten sie oft zusammen auf dem Sofa gelegen, ihre Mutter hatte gehäkelt und sie hatte gedöst. Dann, wenn ihr Vater in der Bäckerei fertig war, war er zusammen mit einem duftenden Luftschwall durch die Verbindungstür gekommen und hatte gelacht, wenn er sie so sah. Er hatte sie geneckt und Marlene gefragt, ob sie den Kaffee schwarz wollte. Und die hatte Genau so und nicht anders gesagt, wie sie es immer tat.

Ihr Vater war nach dem Tod seiner Frau sehr in sich selbst versunken gewesen. Er war oft spazieren gegangen, so, wie sie es nun auch tat. Auf den Steilklippen der Insel, an die das salzige, kalte Polarmeer brandete. Eines Tages war er abends nicht wieder nach Hause zurückgekehrt. Ragna tröstete sich gerne mit dem Glauben, er war, weil er ihre Mutter, die Meerjungfrau, im Wasser gesehen hatte, zu ihr hinuntergesprungen. Vielleicht würde auch sie sie sehen, in ferner Zukunft, und dann könnten sie wieder zu dritt sein, einer der Gründe, warum sie so oft spazieren ging und aufs Meer hinaussah. Aber sicher nicht in diesem Sturm.

„Großmutter...“, sagte sie verzweifelt.

Die alte Dame sah nicht einmal auf. „Es wird Zeit, Kind, dass du diese lächerliche Angst überwindest. Solange du nicht im Meer schwimmen gehst, wird dir nichts passieren, außer natürlich, du springst von den Klippen.“ Etwas Bitterkeit hatte sich in ihre liebenswerte, harsche Stimme geschlichen. Sie hatte keine hohe Meinung von Ragnas Vater gehabt, sie war von Anfang an dagegen gewesen, dass ihre Tochter ihn heiratete. Doch seit sie der festen Überzeugung war, dass er sich absichtlich in den Tod gestürzt und sie mit seiner Tochter allein gelassen hatte, hasste sie ihn beinahe.

„Bitte Großmutter!“, versuchte Ragna es noch einmal.

„Dir kann absolut nichts geschehen. Und jetzt raus mit dir.“

Sobald Ragna einen Schritt auf die Tür zu machte, schien der Sturm lauter zu heulen. Sie kaute auf ihrer Lippe. Ihre Oma hatte ja recht. Dennoch, was sie fühlte, war mehr als bloßes Unbehagen. Alles in ihr sträubte sich gegen die Vorstellung, auch nur einen Finger hinaus in diesen kalten, windigen Tanz aus Wind und Wasser draußen vor ihrer Tür zu strecken. Sie sollte es hinter sich bringen, das wäre am vernünftigsten, versuchte sie sich einzureden.

Sobald sie die Tür geöffnet hatte und halb hindurchgetreten war, fühlte sie auch schon die dicken, platschenden Tropfen, die sie in Sekunden durchtränkten.DerWind zerrte an ihrem dunkelgrünen Wollkleid, eines der vielen Kleidungsstücke, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, und an ihren schwarzen Haaren, die in sanfteren Winden elegant durch die Luft schwebten.Prompt löste sich ihre Frisur, ein einfacher, ziemlich loser Knoten im Nacken, was ihr Haarband auf der Stelle zum Anlass nahm, ein ganzes Stück den vom Regen glitschigen Hügel hinunter zu segeln. Reflexartig sprang sie hinterher, rutschte aus auf dem nassen Gras und dem Schlamm und schlitterte den Hügel hinab. Hier war der Boden knöcheltief überschwemmt, nicht ganz so schlimm wie direkt am Hafen, nass war sie aber trotzdem. Fluchend, kaum zu hören im Donnergrollen, rappelte sie sich auf. Kolossale Wellen brandeten gegen die Kaimauern, während die Winde, die durch die Luft peitschten, immer wütender zu werden schienen. Ragna sah hinter sich. Im Dunkeln den glitschigen Hügel wieder hochzuklettern, würde ein Problem darstellen und der Schotterweg hatte sich in einen Sturzbach verwandelt. Nichtsdestotrotz machte sie sich an den Aufstieg, ihr Haarband war sowieso verloren und sie hatte nicht die Absicht, länger als nötig von der Wärme und Sicherheit der Hütte fernzubleiben. Kurz sah sie zu den anderen Häusern hinüber, deren Fenster auf der anderen Seite des Hafens golden durch den Regen blinkten. In einem davon wohnte ihre Cousine Elly, doch bei ihr und ihrer Mutter wollte sie nicht um Unterschlupf bitten.

Sie war kaum ein paar Meter vorangekommen, immer wieder abgerutscht und hingefallen, als sie sich noch ein letztes Mal zum Wasser umdrehen wollte. Vielleicht würde sie ihre Mutter sehen. Mehr aus Gewohnheit suchte sie mit den Augen das Meer ab. Algenbüschel könnten Haare sein. Oder einfach nur Algen. Sie schüttelte den Kopf. Dieser lächerliche, naive Glaube aus ihrer Kindheit musste und würde bald ein Ende haben.

Aber da... entdeckte sie etwas im Hafenbecken, weit draußen, noch vor den Holzstegen mit den ramponierten Schiffen. Eine Säule, stahlgrau und lang wie ein Strommast vom Festland, stand aufrecht inmitten von Wellen und Wind. Ragna kniff die Augen zusammen. Da sollte nichts stehen. Der Mast eines gesunkenen Schiffes vielleicht? Dafür war es zu dick, außerdem sah sie jetzt, dass das Ding sich langsam auf das Land zubewegte. Einzelheiten wurden sichtbar. Ragna erkannte zwei dicke, muskulöse Arme, der Rechte umgürtet von einem breiten Thanenring, steingrau, einen Kopf mit langen Strähnen aus lilafarbenem und schwarzem Haar, der selben Hautfarbe und stechenden, dunkeln Augen. Der Riese, denn er war riesig, trug nichts als einen ledernen Lendenschurz und Gürtel, die ein wenig im Wasser schleiften. Seine ebenfalls graue Brust war bedeckt von schwarzen, wirbelnden Mustern. Er watete auf den Hafen zu.

Ragna starrte ihn an. Sie wusste nicht, was sie denken sollte, ihr Gehirn stand für einige Sekunden stillund sie brachte nichts anderes zustande, als auf ihr Zuhause zuzustürzen. Der sich zum Bach transformierende Weg war unbegehbar,doch versuchte sie, darauf zur Hütte zu gelangen, wobei sie immer wieder hinfiel und sich an den spitzen Steinen die Hände aufschürfte. Ängstlich blickte sie zurück. Der Riese hatte den Hafen erreicht und kletterte an Land. Sein Kopf überragte den Hügel und die Häuser sowieso. Das brachte sie wieder zum Laufen, doch die Nässe ließ sie abrutschen und abermals sah sie zurück. Panik, hell und blendend, durchschoss sie, als sie sah, wie das Monster die Arme ausbreitete, den Kopf zum Himmel hob und brüllte. Statt eines menschlichen Lautes hallte Donner, in der Umgebung wider. Der Riese stand kaum 20 Meter von ihr entfernt und ließ seine Arme auf die Erde niedergehen. Unmöglich viel Wind entstand, gewaltige Böen, die nicht wenige Ziegeln von den Dächern rissen. Ragna lag im Wasser, das kalt ihre Kleidung durchtränkte und wagte nicht, sich zu rühren. Mit tauben Fingern krallte sie sich an Grasbüscheln fest und beobachtete. Sie sah, wie der Riese sich auf die Knie, die einen großen Teil des unteren Hafens einnahmen, niederließ und sich die Häuser besah.

Sieht denn da keiner was fragte sie sich verzweifelt in Gedanken. Kann da keiner was machen? Doch niemand schien etwas zu bemerken. Dabei war der Riese nicht unauffällig, seine Silhouette zeichnete sich deutlich auf dem wolkenverhangenen Himmel ab. Was sollte sie bloß tun, was war dieses Wesen überhaupt? Es sah wie ein Riese aus den Sagen aus, die sich Wikinger vor vielen hundert Jahren überlegt hatten, doch... das waren Sagen! Vielleichthatte sie als Kind Geschichten geglaubt, sei es, ob von Meerjungfrauen, Drachen oder Seemonstern, aber das war vorbei. Es waren Geschichten. Und doch kniete ein leibhaftiger Riese unmittelbar vor ihr. Er hatte seine Inspektion der Häuser bereits abgeschlossen. Gurgelnd beugte er sich hinunter zu einem der Gebäude. Wie Ragna mit Schrecken feststellte war es Ellys Haus, und er hob das Dach an. Leicht wie das eines Spielzeuges ließ es sich lösen, Geräusche von brechenden Holzbalken, fallenden Trümmerteilen und Ziegeln ertranken in Regen und Donner, der weiterhin anhielt. Zwei Menschen kamen aus dem Haus gerannt, in Panik und Entsetzen, genau dem, was auch Ragna fühlte. Der Riese grinste. Die Frau, die Größere von beiden, sah Ragna nur sehr kurz, dann verschwand sie hinter dem Gebäude, das Mädchen, das ihr folgte, kam jedoch gleich darauf wieder hervor. Sie schien den Riesen zu bemerken und blieb direkt vor ihm wie versteinert stehen. Ragna fand sich den Hügel hinabstrauchelnd wieder. Sie eilte Elly zur Hilfe, auch wenn sie nicht wusste, wie sie das anstellen sollte. Sie wollte umkehren und fliehen, sie sagte sich, dass sie Elly nicht mochte und diese sehen sollte, wie sie allein klarkam. Konnte sie ja angeblich so gut. Sie hatte ja alles, was Ragna nicht gegeben war. Trotzdem watete sie weiter angestrengt über den überschwemmten Hafen auf das Monster zu, ohne auch nur eine Idee zu haben, wie sie überhaupt helfen könnte. Ihr Knie stieß gegen eines der herumtreibenden Holzstücke, als sie die drei Stufen hinunter in den unteren Hafen sprang. Dort saß der Riese noch immer vor dem Mädchen. Ragna hatte keine Ahnung wieso er das tat, ihm stand nichts im Wege. Außer sie, in ein paar Sekunden. Ragna nahm ein spitzes Stück Holz auf, das die Wellen einem Schiff entrissen hatten. In einem Anfall von wütender, unüberlegter Tapferkeit stach sie dem Giganten in die Wade. Sie war überrascht, als sie merkte, wie das spreiselige Stück Ruder mit einem ekligen Geräusch seine Haut zerfetzte und sich in das Fleisch des Monster bohrte. Sie hatte nicht viel erwartet, wie sollte sie so einem Wesen Schaden zufügen?, doch das Monster richtete ich auf und brüllte ohrenbetäubend. Seine erbarmungslosen Augen richteten sich auf Ragna, die gelähmt und mit blutigen Händen dastand und nicht wusste, was sie jetzt denken, geschweige denn tun sollte. Elly hingegen, jetzt, wo das Monster sie nicht mehr mit den Augen in den Boden rammte, rannte und war schon bald nicht mehr zu sehen. Der Riese derweil hob ohne zu Zögern seinen müllwagengroßen Fuß und senkte ihn auf Ragna herab. Sie konnte nicht mehr tun als anzustarren, was sie gleich zerquetschen würde, bis sie von einer der Wellen, die gegen ihre Beine brandeten, aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und zur Seite taumelte. Der monströse Fuß verpasste sie knapp, löste jedoch noch größere Wellen aus und Ragna, die direkt daneben saß, schluckte Salzwasser. Sie versuchte, auf die Beine zu kommen, würgte und spuckte, während schwarze Flocken vor ihren Augen tanzten. Irgendwie versuchend, aus dem lähmend kalten Wasser zu kommen, stemmte sie sich mit zitternden Armen hoch. Wo eben noch ihre Sicht beeinträchtigt worden war, war sie jetzt durch Tränen der Frustration und Angst verschleiert. Heiße Tropfen rannen über Ragnas Wangen, fielen ins aufgewirbelte Wasser und verloren sich. Noch einmal versuchte sie sich hochzustemmen und scheiterte. Der Riese sah sie mit berechnenden Augen an, die wie zwei blitzende, schwarze Sterne über ihr hingen, und brummte. Aber seltsam – er machte keinen neuerlichen Versuch, sie zu töten, wartete eher ab, als sei er neugierig darauf, was sie als Nächstes tun würde. Dumm nur, dass sie nichts anderes tun konnte, als dazuliegen und zu weinen. Das Monster beugte sich zu ihr herunter wie ein Kind zu einem zuvor gepiesackten Tier, um zu sehen, was es machte. Und schließlich kam es zu dem Ergebnis, dass ein zitterndes menschliches Ding sehr interessant sei. Er klaubte sie mit seiner riesenhaften Hand aus dem Wasser und wollte wer-weiß-was mit ihr anstellen, doch Ragna, in Todesangst, biss und zappelte. Das Ungeheuer jaulte einmal mehr auf, vermutlich mehr wegen des Holzstücks, das immer noch in seiner Wade steckte und ihn beim Aufstehen quälte, als wegen ihr. Es ließ sie fallen und trat den Rückzug ins Meer an, das noch immer stürmisch in den Hafen rollte, Welle für Welle für Welle, und anstieg, wie um die gesamte Insel zu verschlingen. Es war das letzte, was Ragna mitbekam, bevor ihr schwindelig wurde und Dunkelheit ihr Sichtfeld trübte. Der Gedanke an Tod hatte kaum ihr Bewusstsein berührt, da war sie der munteren Welt entglitten. Die Wellen spielten mit ihren verdrehten Haaren und langsam, Wellengang für Wellengang, bedeckten sie ihr Gesicht, Mund und Nase, mit eiskaltem Wasser.

Kapitel 2

Als Ragna erwachte, registrierte sie als Erstes nur eines: Schmerz. Ihr Kopf pochte, ihre Glieder taten weh und sie war von einer so bleiernen Müdigkeit befallen, dass sie dachte, sie sei gelähmt. Als das Rot vor ihren Augen verblasste, wunderte sie sich. Über sie gebeugt standen zwei Personen, die sicher nicht der Dorfarzt oder ihre Oma waren.

„Wo bin ich?“, murmelte sie. Einer ihrer Gegenüber setzte zu einer Antwort an, doch Ragnas Blick stellte auf scharf und sie schrie auf. Der alte Mann vor ihr trug einen langen weißen Bart und eine goldene Augenklappe. Er trug eine edle, große Rüstung, dazu viel zu warme Felle. Die Wand hinter ihm war mit allerlei Waffen und Schilden geschmückt, die wie sein Harnisch allerlei Runen aufwiesen. Neben ihm stand eine junge Frau, ebenfalls in einer Rüstung. Ihre war, so sah es für Ragna zumindest aus, aus Silber gefertigt, darunter trug sie Kleider von weinroter Farbe. Ihr Umhang leuchtete wie in Blut getaucht. Auf ihren langen blonden Haaren saß eine Art Krone mit seitlich angebrachten Flügeln. Und, was Ragna so beunruhigte, sie schwang eine Streitaxt. Eine echte, scharf aussehende, mit Runen geschmückte Streitaxt.

Der Alte mit der Augenklappe räusperte sich. „Valdis, du kannst die Axt jetzt wegstecken.“ Die Frau tat wie ihr geheißen und der Mann wandte sich an Ragna: „Willkommen, Ragna. Lass mich dir erklären, wo und warum du hier bist. Ich bin Odin. Der Allvater, das Oberhaupt der nordischen Götter. Du wirst das jetzt erst mal nicht glauben wollen, doch diese existieren noch.”

Ragna hörte gar nicht richtig hin. Sie tat überhaupt nichts, saß nur da und versuchte, sich einen Reim auf irgendetwas zu machen.

Der Alte fuhr trotzdem fort. “Du bist hier in Walhalla, in Asgard. Ich habe dich auserwählt, meine Walküre zu sein und mir zu dienen. Aufgrund deiner Tapferkeit, deines Urteilsvermögens und deiner Heldenhaftigkeit hast du dich dieses Amtes würdig erwiesen. Dies…“, er deutete auf Valdis. „ist deine Vorgesetzte, die Walkürenoberkommandantin. Sie wird dir erklären, was du hier machen wirst und was eine Walküre ist. Überdies wird sie dich herumführen und dir Antworten auf deine Fragen geben.“ Das alles klang, als hätte er es schon vielmals aufgesagt, doch Ragna achtete nicht darauf. Sie war verwirrt.

Während sie wie in Trance von ihrer Liege aufstand und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, verbeugte sich Valdis vor Odin und verabschiedete sich mit einem „Seid unbesorgt, Herr. Ich werde mich um sie kümmern“ vom Herrn Asgards.

Kaum hatten sie den Raum verlassen, fiel alles Starre und Vorschriftsmäßige von Valdis ab und sie lächelte Ragna an. „Hallo, Ragna. Freut mich sehr, dich kennenzulernen. Ich heiße Valdis.“ Die frisch gekürte Walküre grüßte noch unter Schock zurück. Die beiden standen in einem langen, jedoch hohen und luftigen eichengetäfelten Gang, von dem mehrere breite Türen abgingen. Die Anführerin stieß eine auf und sie traten hindurch. Dahinter wartete ein sich scheinbar bis in die Unendlichkeit hinziehendes Treppenhaus mit Fackeln an den Wänden.

„Du hast sicher viele Fragen, das kann ich spüren. Ich war selbst auch mal neu hier.“

Ragna fand Valdis ja ganz nett, doch sie wollte nun endlich erfahren, was das alles auf sich hatte und nicht länger herumschwafeln. Sie war so verwirrt und wusste nicht, wo sie war und... eigentlich wusste sie gar nichts. Gemeinsam stiegen sie die ersten Stufen hinauf.

„Hab keine Angst. Du wirst dich schnell eingewöhnen und dich hier schon bald ganz wie zuhause fühlen. Odin ist ein sehr machtvoller Gott.”

“Aha”, sagte Ragna.

“Möchtest du wissen, warum ich hier bin?” Die junge Frau sah sie erwartungsvoll an und schaffte es dabei auch noch, die Stufen ohne das geringste bisschen Anstrengung hinaufzusteigen.

“Eigentlich möchte ich wissen, warum ich hier bin.”

“Verständlich. Ich möchte es dir an meinem Beispiel verdeutlichen.

Mein Vater war Erik der Rote, mein Bruder ist als Leif Eriksson bekannt. Nur meine anderen Brüder, meine Schwester Freydís, und mich, uns kennt man nicht wirklich. Nachdem mein Bruder das Vinland, also Amerika entdeckt hatte, baute er dort eine Siedlung und fuhr einfach wieder zurück, der Idiot. Er brachte ein paar Früchte und Steine mit, als Beleg für seine Entdeckung.”

“Soweit ich weiß, habe ich keine Wikinger als Verwandten.” Komm endlich zum Punkt, bitte! Verschreckt zuckte Ragna zusammen, als einige bewaffnete Männer an ihr vorbeiliefen.

“Nein, natürlich nicht. Also, Freydís und ich unternahmen zu späterem Zeitpunkt eine Fahrt nach Vinland, jedoch hielt sie einige Absprachen nicht ein. Sie brachte doppelt so viele Männer mit sich wie ausgemacht, es kam zu einigen anderen Zankereien, an denen sie auch nicht ganz unschuldig ist und schließlich hat sie alle, die ihr im Weg standen, gefangen nehmen lassen. Die Männer wurden in Eriks alte Siedlung gebracht und hingerichtet.”

“Keine nette Schwester”, befand Ragna. Erinnerte sie an Elly.

“Ich würde sie eher mit Metze titulieren. Am Schluss hat sie jede einzelne Frau umgebracht, ich glaube, wir waren sieben. Mich auch, aber ich habe sie zumindest noch zum Kampf aufgefordert, als sie das abgelehnt hat, habe ich ihr geschworen, niemandem von ihren Gräueltaten zu berichten, habe ihr Geld, Macht, meine Dienste geboten, aber dieses dumme Ding hat alles abgelehnt. Alles, was ich von ihr verlangt hätte, war, die anderen Frauen leben zu lassen. Ich hatte sowieso keine Lust, nach Grönland zurückzukehren, wo ich verheiratet werden sollte.”

“Aber ich verstehe es immer noch nicht. Das hat doch nichts mit mir zu tun, nichts davon kommt mir auch nur bekannt vor!”

“Dazu komme ich gleich. Jedenfalls war mir noch ein kurzer Kampf vergönnt, bei dem ich aber durch meine vorherigen Verletzungen unterlag. Und jetzt kommt der entscheidende Teil:”

Valdis stieß eine Tür auf und führte Ragna hindurch. Ein großer Raum mit einer Glasfront zur einen Seite und einer Menge Tischen empfing sie. Die Sitzbänke waren mit Fellen gepolstert, auf einigen saßen Frauen. Junge Mädchen rannten zwischen den Reihen herum, Greisinnen sahen ihnen zu. Alle waren auf dieselbe Art gekleidet, in die silberne Rüstung. Nur in ihren präferierten Umhangfarben unterschieden sich die Uniformen. Eine Krone wie Valdis trug keine von ihnen, wohl aber hatten manche Helme auf oder neben sich stehen. Sie alle schienen Walküren zu sein und nickten Valdis und Ragna zu, als diese an ihnen vorbeigingen und an einem Tisch an der Fensterfront Platz nahmen.

Valdis sah Ragna ernst an. “Ich bin für eine gute Sache eingetreten: Das Leben meiner Kameradinnen zu treffen. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen und danach gehandelt. Ich habe sogar mein Leben dafür geopfert. Das ist der Grund, warum Odin mich nach Walhalla geholt hat. Ich soll seine Walküre sein. Ich soll seine Einherjer befehligen, seine Krieger.”

“Und wer sind die jetzt nochmal?”

“Ganz normale Menschen, die mit der Waffe in der Hand selbstlos gestorben sind. Walküren wie ich und du und all die anderen in diesem Raum, wir suchen sie aus und bringen sie hierher, wo sie ausgebildet werden. Das wichtigste Kriterium für Einherjer ist ihre Selbstlosigkeit, für die Walküren ihr Urteilsvermögen. Deshalb befehligen die Walküren die Einherjer.”

“Und ich tue das jetzt.”

“Ja.”

“Ich... weiß nicht, was ich sagen soll.”

“Du brauchst keine Angst zu haben. Dein Geist wird sich weiten, das braucht Kraft und Zeit. Du musst die neun Welten erfassen können. Am besten hörst du erstmal nur zu.”

Valdis wies auf die Landschaft vor dem Fenster. „Was du dort draußen siehst, das ist Asgard. Dort hinten sind die Paläste der Götter.“ Ragna sah sie.

Es waren die größten, wunderbarsten Gebäude, die sie je gesehen hatte. Viele waren ganz aus Gold, Marmor, Porzellan, Glas oder Silber gebaut, hatten riesige Gärten, fast schon Parks, die vor Rosen überquollen. Alles war blitzblank geputzt, sauber und ordentlich, so herrschaftlich, dass man gut glauben konnte, dass diese herrlichen Villen von Göttern bewohnt waren. Der größte Palast war mit Abstand eine neunseitige Glaspyramide, in der, wie Valdis erklärte, die Göttin Sif wohnte, die wunderbares rot-güldenes Haar hatte.

„Gibt es nicht hunderte Götter?“, fragte Ragna.

„Du kennst dich schon ein wenig aus? Sehr gut. Ja, gibt es auch“, erklärte die Walküre, „Hier liegt der Hauptwohnsitz der Asen, das ist eines der beiden Göttergeschlechter. Die Wannengötter wohnen in Wannenheim, einer anderen Welt.“

„Einer anderen Welt…“, wiederholte das Mädchen.

„Ja, einer der neun Welten, die in Yggdrasil, dem Weltenbaum miteinander verbunden sind. Dieser schwebt im Kosmos, dem Ginungagap herum. Du siehst ihn da draußen.”

Tatsächlich brach das beschauliche Hügelland nach einigen dutzenden Kilometern ab und ein grauer Himmel wölbte sich vom Horizont aus über allem. Schon beim Ansehen befielen Ragna Gedanken über Tod und Wahnsinn.

Valdis fuhr unbeschwert fort: “Einer Art Ursuppe. Die Reiche sind durch die Äste untendrunter verbunden, obwohl man den Baum nie sieht. Manche liegen auch an den Wurzeln, und zwar Jotunheim, Niflheim und Asgard. Dort sprudeln die Quellen, die den Baum nähren. Wir befinden uns ebenfalls in Asgard, dem Reich der Asengötter. Du bist in Midgard aufgewachsen, der Menschenwelt. Dann gibt es noch die Ursprungswelten Muspelheim, die Welt des Feuers, und Niflheim, bestehend aus Eis und Nebel. Es gibt die Welt der Riesen, Jotunheim und das Elbenkönigreich Albenheim. Außerdem Nidavellir, die unterirdische Welt der Zwerge. Helheim, das Reich der Toten. Und eben Wannenheim. Während in dieser Welt Odin und Frigga das Sagen haben, herrscht in Wannenheim Freya, die erste unter den Walküren.“ Eine Walküre lief vorbei und reichte Valdis zwei Krüge Met, die sie in Empfang nahm.

“Valdis”, nutzte Ragna die Gelegenheit, sie zu unterbrechen und rührte den Krug vor ihr nicht an. “Wo sind wir hier?”

“Wie ich gesagt hatte, in Walhalla, in...”

“Nein”, sagte Ragna lauter. Die Geschehnisse holten sie ein. “Was mache ich hier?”

Valdis lächelte beruhigend. “Keine Sorge. Es wird dir gut gehen. Du bist jetzt eine Walküre.”

“Aber warum?! Da war ein Gott, und ein Riese, und er hat mich getötet!”

“Das...kann man jetzt nicht so genau sagen, es könnte doch auch sein, dass...”

“Ich bin tot!” Ragna begann zu weinen.

“Das ist schwierig, ich weiß”, versuchte Valdis sie zu trösten. “Sehr schwer anzunehmen und das alles. Du weißt nicht, wo du bist, was du hier machst... aber du wirst dich daran gewöhnen. Die Götter werden dir vorkommen wie Menschen, du brauchst keine Angst zu haben.”

“Aber wo bin ich?” Der Schock wich und Ragna kam sich so hilflos vor, dass sie noch mehr weinen musste.

Valdis legte eine Hand auf ihre. “In deinem neuen Zuhause.” Und Ragna beruhigte sich langsam, getröstet von der mitfühlenden Stimme ihrer Kommandantin. Sie hatte kaum eine andere Möglichkeit, als alles über sich ergehen zu lassen.

Valdis ließ ihr eine Minute, dann redete sie weiter. Sicher hatte sie auch noch anderes zu tun als sie hier zu betreuen. „Wo war ich? Ach ja, Freya. Genau wie es nämlich hier Walhalla gibt, gibt es dort Sessrumnir. Die Hälfte aller gefallenen Krieger kommt hierhin, die andere dorthin. Mitunter sucht Freya Sessrumnirs Krieger selbst aus, also gilt sie als Walküre.“

„Aber… ist es in der modernen Zeit nicht ein bisschen schwierig, gefallene Wikinger zu finden?“, fragte Ragna.

Valdis zog ein finsteres Gesicht. „Es zählen nicht bloß Wikinger. Jeder tapfere, selbstlose, mit einer Waffe in der Hand Sterbende gilt als Einherjer und kann von den Walküren ausgesucht werden. In den alten Zeiten war das einfach. Jede Menge Kriege und tapfere Berserker und so. Jetzt ist das schon schwerer. Es sterben nicht mehr viele Menschen einen ungeplanten Heldentod. Schon gar nicht mit der Streitaxt in der Hand.“ Sie tätschelte die Waffe an ihrem Gürtel. „Wir haben nicht viele Neuzugänge. Auch wenn die Walküren sich alle Mühe geben.“

Während sie weitergingen, durch einen der vielen, vielen Flure Walhallas, die alle irgendwie gleich aussahen, kam Ragna plötzlich ein Gedanke. „Moment… heißt das alles hier, dass ich mein altes Leben aufgeben muss?“ Sie liebte ihre Oma, auch wenn sie ihr nicht nahestand, und glaubte auch, dass diese sie vermissen würde. Sie war zwar ruppig und gemein, doch im Herzen durchaus besorgt um sie.

„Das heißt es“, sagte Valdis, „Du musst dein altes Leben ganz und gar aufgeben, um eine neue Schwesternschaft empfangen zu können. Es werden alle denken, dass du tot bist, ertrunken oder so, also keine Sorge, sie suchen nicht nach dir.“ Jetzt machte sich Ragna wirklich Sorgen. Was, wenn Oma einen Unfall hat, und niemand ist da? Was, wenn sie von der Klippe springt, weil sie glaubt, dass all ihre Verwandten ertrunken sind? Wer kümmert sich überhaupt um sie? Kocht, kauft ein, putzt, bringt den Müll raus, holt Zeitungen? Kann sie ihren kleinen Job im Lebensmittelladen behalten? Solche und andere Gedankenfetzen schossen ihr durch den Kopf.

„Aber meine Großmutter, wer soll sich um sie kümmern?“, fragte sie, nicht sicher, ob sie die Antwort hören wollte. „Der Allvater wird ihr schon Hilfe schicken“, entgegnete Valdis schulterzuckend.

Ragna seufzte. „Die Götter sind so, ja? So wie in den Geschichten? Sie kämpfen gegen das Leid und die Riesen und kümmern sich um die Menschen?“

„Nicht einzeln“, sagte Valdis leise. „Sie können sich nicht um jeden Menschen kümmern und auch sie müssen sich der Natur und dem Universum beugen. Es gibt Linien, Grenzen, die sie nicht überschreiten dürfen. Trotzdem helfen sie auch den Einzelnen, indem sie gegen die Dunkelheit der Riesen stehen. Du kannst sie dir wie ein Lagerfeuer vorstellen, das von Schatten bedroht ist. Es kann diejenigen vor ihnen retten, die zu ihnen kommen, doch seinen angestammten Ort verlassen, um Außenstehenden zur Hilfe zu eilen kann es nicht. Und wie bei allen Feuern sind dem Brennstoff Grenzen gesetzt.“

„Meinst du damit Ragnarök?“ Davon hatte Ragna schon einmal etwas gehört.

„Die Götterdämmerung“, stimmte Valdis zu. „Aber ich meinte auch, dass ihre Kapazität begrenzt ist. Sie können nicht mit den Fingern schnippen und alle Probleme lösen.“ Sie rang einen kurzen Moment mit sich. „Ich möchte dich nicht anlügen. Manche wollen auch gar keine Probleme lösen.“

Ragna sah sie abwartend an.

„Es gibt ein paar schwarze Schafe unter den Göttern, aber hab keine Angst, sie alle unterstehen Odin und werden keinen Ärger machen. So schlimm sind sie auch nicht.“

Wenige Minuten darauf betraten sie einen riesigen Saal. Edle, weinrote Teppiche hingen an mit dunklem Holz verkleideten Wänden, die so hoch reichten, dass sie sich im Himmel verlieren zu schienen. Auch ein Ende des Raumes war nicht abzusehen.

Valdis rief feierlich: „Dies ist die Festhalle der Erschlagenen! Die große Halle ist so riesig, dass es einen halben Tag braucht, einmal ihren Umfang abzuschreiten.“

In der Mitte, gerade noch zu sehen, Ragna schätzte einfach mal, dass es die Mitte war, stand ein riesiger Baum, so dick, dass nicht einmal die Arme der Leute aus Ragnas ganzem Dorf ihn hätten umspannen können. Seine Krone füllte die gesamte Breite des Saales aus. Mächtige Äste gingen vom Stamm ab, die die Wände berührten. Endlose Reihen an Holztischen und Bänken führten auf ihn zu. Staunend legte Ragna den Kopf in den Nacken.

„Komm, wir müssen weiter. Bald versammeln sich die Walküren, so, wie sie das jede Woche tun. Da werde ich dich vorstellen“, sagte Valdis. Ein bisschen nervös folgte das Mädchen ihr durch den Saal, den sie nicht durchquerten, sondern einfach durch eine Tür ein paar Meter entfernt verließen, und durch die anschließenden Gänge. Sie erreichten ein weiteres Treppenhaus, das sie aufwärtsstiegen. Diesmal war es anders konstruiert. Der Raum war sehr hoch, rund und an den Wänden kringelten sich die Stufen empor, ringelten sich wie eine Spirale scheinbar bis in die Unendlichkeit. Die Mitte des Raumes war freigelassen worden und an den Türen, an denen sie vorbeikamen, war das Geländer unterbrochen. Ragna fragte sich wozu das gut sein konnte. Vielleicht ein offener Aufzugschacht?

Nervös stand sie schließlich vor einer weiteren Tür, aus dunklem Holz gefertigt. Auf einem kleinen Messingschild war folgende Aufschrift zu lesen:

Wöchentlicher Treffpunkt

der Walküren

Zutritt nur für die Erwählerinnen

Unbefugte werden ohne Vorwarnung

eingeäschert

Die Walkürenoberkommandantin lächelte ihr noch einmal ermutigend zu.

Kapitel 3

Valdis öffnete die Tür, schritt in den Raum, marschierte um den riesigen Tisch herum und ließ sich auf ihren Sessel fallen, die dreckigen Stiefel auf dem Tisch abgelegt. Die quasselnden Frauen, wieder einige jung, einige alt und einige mittel, schien das nicht zu stören. Da sie größtenteils silberne Rüstungen trugen, vermutete Ragna, dass es weitere Walküren waren. Auf Valdis Winken hin trat Ragna aus der Tür und ging ebenfalls um den Tisch herum.

Valdis ließ verlauten: „Wir begrüßen unsere neue Schwester Ragna. Wie wir alle wissen, bedeutet Ragnhild Kampf und Rat, ein sehr schöner und kraftvoller Name. Heißt sie in unseren Reihen willkommen!“ Die versammelten Walküren erhoben sich, streckten die Arme aus und plötzlich glomm in ihren Händen ein Funke, der sich zu einem Strahl aus gleißendem Licht entwickelte, dann neigten sie erst vor ihr, dann vor Valdis die Köpfe. Die Walkürenanführerin bedeutete ihr, sich neben sie zu setzten. Das tat Ragna, und nachdem sie ihre Geschichte erzählt und Applaus geerntet hatte, gingen die Walküren rasch und ohne weiteres zu ihrem normalen Tagesplan über.

„Erster Punkt: Der Verräter.“ Ein Raunen ging durch die Reihen der Kriegerinnen. Der Saal war plötzlich angefüllt von Nervosität und Getuschel. Valdis fuhr fort: „Die folgenden Informationen werden bitte nur innerhalb dieses Raumes geteilt. Ihr alle wisst, dass es keine Walküre sein kann, da wir alle Odin Treue schwören, doch kein einziger noch so kleiner Hinweis wird mit jemandem außerhalb der Schwesternschaft besprochen. Ist das klar?“ Sie sah den vielen Anwesenden in die Augen und eine jede erwiderte den Blick ihrer Anführerin. „Gut. Schon seit einigen Tagen spielt jemand den Riesen Informationen zu. Ein Einherjer, vermutlich. Solange wir nicht wissen, wer es ist…“, die Walküren brüllten Namen durcheinander, „bitte ich um verschärfte Aufmerksamkeit und Hinweise, aber…“, sie blickte zu den Herumschreienden, „gesittet und in meinen Kammern!“

Sofort war es ruhig. Nur eine Gestalt, die in ihren Designerklamotten so gar nicht zu den anderen passte, richtete sich auf.

„Wer sagt, dass es nicht die Neue ist? Ist es nicht seltsam, dass sie gerade jetzt auftaucht, wo Gerüchte über komische Dinge uns erreichen? Und dass, angeblich, Utgardloki vor ihr geflohen ist. Ausgerechnet der? Und dass sie die Odinstochter gerettet hat und ihm dafür krass in die Arme gelaufen ist, obwohl sie sie angeblich nicht leiden kann? Ganz schön krasse Story, oder? Das wär schon echt voll der krasse Zufall…“

Der Großteil der Versammelten verdrehte genervt die Augen, das Mädchen in weiß und pink war augenscheinlich nicht sehr beliebt. Trotzdem sagte niemand etwas, es war offensichtlich, dass sie erwarteten, dass Ragna sich verteidigte. Nur wusste sie nicht wie.

Einige Sekunden verstrichen. Eine andere Walküre erhob sich, gar nicht weit von den Ehrenplätzen um Valdis herum entfernt.

Sie war mittelgroß, schien stark, aber nicht auffällig, schlank und von einer Eleganz und Ausstrahlung, die jeglicher Beschreibung spottete. Ihre Haltung, ihr aristokratisch-blasses Gesicht, ihre blitzenden, dunklen Augen, all das ließ sie älter erscheinen, weiser und klüger als die 16 oder 17, die sie war. Wie sie da stand, in der klassischen, silbernen Walkürenrüstung mit dem königsblauen Umhang, das dunkle, fast schwarze Haar offen über die Schultern gelegt, sah sie aus wie eine Heldin aus anderer Zeit. Sie hatte sich lässig, aber bestimmt auf den Tisch gestützt, und Ragna hätte sofort gemacht, was sie sagte, einfach nur, weil dieses Mädchen es gewohnt war, da fing sie mit einer spöttischen Stimme an zu sprechen: „Hast du nicht aufgepasst, was Valdis gesagt hat, Trisha? Sie ist erst seit heute hier, hat heute erst von Walhalla erfahren! Wie sollte sie der Spion sein?Wie soll sie unsere Geheimnisse verraten haben, wenn sie nicht wusste, dass diese existieren? Denkst du überhaupt mal nach? Und es war eine gute Tat, ihre Cousine zu retten. Deshalb ist sie ja nach Walhalla gekommen. Willst du Odins Weisheit etwa in Frage stellen? Du bist nicht satisfaktionsfähig. Oder wie bist du noch mal hierhergekommen? Hast du nicht ein paar Handtäschchen gestohlen?“ Die Versammelten stimmten mit einem Schmunzeln zu und sahen Trisha an. Diese schien, mit hochrot leuchtendem Gesicht, eine Erwiderung zu suchen, die sie nicht hatte. So weit hatte sie jedoch scheinbar nicht gedacht, und so setzte sie sich wieder. Auch sie kam Ragna vor wie Elly. Aufmerksamkeit um jeden Preis. Sie lächelte die fremde Walküre dankbar an. Diese zwinkerte zurück.

„Gut. Wie schon gesagt, ich bin dankbar für ernsthafte Hinweise“, sagte Valdis mit dem Anflug eines Lächelns. „Bitte, Zora, geh mit ihr zum Rüstungsmeister und zeige ihr anschließend ihr Quartier. Würde dir Ebene 22 Trakt D passen?“ Die Walküre, die anscheinend Zora hieß, nickte und winkte Ragna mit ihr zu kommen.

Kapitel 4

Gemeinsam gingen sie durch die Gänge Walhallas.

„Danke!“, sagte Ragna erleichtert, sobald sie außer Hörweite waren.

Zora lächelte vergnügt. „Gern geschehen. Und mach dir nichts draus. Ihre Verbohrtheit und Sozialinkompetenz haben schon vielen die Sprache verschlagen. Ach, na ja, sie ist eben eine Zicke. Ich denke nicht, möge Odin mir dies verzeihen, dass Trisha es verdient hat, eine Walküre zu sein.“

„Wie meintest du das mit den Handtaschen?“, fragte Ragna neugierig.

„Sie wollte sie eigentlich stehlen, als der Laden Feuer fing. Ich könnte mir, wenn ich genau darüber nachdenke, auch vorstellen, dass sie die Verursacherin war. Vielleicht war es mutig, in das Feuer zu gehen, aber sie tat es aus Eigennutz. Wegen des Rauches konnte sie nicht sehen, was genau sie packte, und glaubte, eine Krokodillederhandtasche zu erwischen. In Wirklichkeit aber hatte sie ein echtes Tier gepackt, ein Krokodiljunges. Als sie wieder nach draußen kam, glaubten die Menschen, sie habe es gerettet. Die Polizei forschte nach und fand heraus, dass das Tier zu einer illegalen Privatsammlung gehörte, aus der es ausgerissen war. Es hieß, sie habe dabei geholfen Artenschmuggel zum Erliegen zu bringen und dafür machte Odin sie zur Walküre, ziemlich unbegründet, wenn du mich fragst. Seitdem geht sie allen auf die Nerven. Ehrlich gesagt denke ich, dass der Allvater dieses eine Mal falsch entschieden hat.“

Ragna dachte über ihre Worte nach. Zweifelte sie den Allvater an oder Trisha?

Sie legten einen langen Weg durch endlose Gänge zurück. Die Flure wanden sich mal hierhin mal dorthin und schienen kein Ende zu haben. Die ganze Zeit über sahen sie kein Fenster und kein Tageslicht, nur die rauchlosen Fackeln erleuchteten ihren Weg. Doch war der Gang keineswegs düster oder bedrohlich, die Vertäfelung an den Wänden wies interessante Muster auf, teilweise von Wandteppichen, Fellen oder bemalten Schilden bedeckt, auf denen Ragna immer neue Motive entdeckte. Meistens Wölfe, Raben oder Schlangen. Nach einer Weile wurde es aber doch langweilig, dieser ewige Marsch die Treppen hinauf und hinunter, durch die Gänge und Flure, bald nach Süden, bald nach Norden sich wendend. Ein paar Mal kamen sie an Einherjern oder Walküren vorbei, diese hasteten durch die Gänge ohne groß stehen zu bleiben oder zu plaudern, aber einige nickten oder hoben die Hand zum Gruß. Oft standen die Türen, die sie passierten, offen und Ragna erhaschte im Vorbeigehen einen Blick auf das, was hinter ihnen lag.

Ein Rabenhorst, zugänglich für die Tiere über eine Außentür, mit hunderten von Geschöpfen, die auf den hölzernen Stangen saßen oder in Nestern brüteten, gefüttert und umsorgt von einigen Einherjern, die zusätzlich zur typischen Wikingerrüstung auch Handschuhe und Visierhelme trugen. Eine Stallung, durch ein Tor vom freien Himmel abgeriegelt, beherbergte dutzende von hundegroßen, in prächtigen Farben schillernden Drachen. Walküren beschäftigten sich mit ihnen, pflegten sie und streichelten sie auch, dennoch war klar, dass es sich um intelligente, selbstbestimmte Wesen handelte. Sie waren nicht süß und auch nicht furchteinflößend, sie wurden respektiert und bewundert. Ragna war so von ihrer Eleganz verzaubert, dass sie nicht anders konnte, als stehen zu bleiben. Selbst nach Riesen und Göttern waren diese Wesen etwas ganz Besonderes.

“Komm, wir müssen weiter”, drängte Zora. “Was ist? Ach die. Nichts Besonderes, die sind gegen sie wannischen Drachen doch gar nichts.”

Ragna versuchte erfolglos, sich noch prächtigere Wesen vorzustellen.

Mit dieser Aufgabe war sie eine Weile beschäftigt, bis sie endlich eine kleine Schmiede in einem Raum voller Tische mit Waffen und Rüstungen erreichten. Schilde hingen an den Wänden, mit Winkinger-Mustern verziert, überall standen halbleere Trinkhörner herum und Ragna sah mehr Hämmer, als sie zählen konnte. Gemeinsam gingen sie durch das Chaos hindurch zu einem Typen, der am Amboss stand.

Zora räusperte sich: „Siegfried? Das ist Ragna.“ Der Typ drehte sich um und grinste.

„Hi“, sagte er. Dann musterte er Ragna. „Walküre?“

Ragna nickte verlegen. „Ja.“

„Und neu?“

„Ja, genau.“

„Dann wirst du eine Rüstung brauchen. Umhangfarbe kannste selbst bestimmen, ansonsten Silber.“

„Öh…“

„Aber kein Schwarz“, warf Zora ein. „Und Rot auch nicht, das ist an Valdis vergeben. Es sollte was individuelles sein. Etwas, was du magst.“

Ragna wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte eigentlich keine Lieblingsfarbe und trug auch keine Rüstungen.

„Hellgrün“, antwortete sie schließlich, einfach weil ihr nichts anderes einfiel und sie den Frühling mit seinen hellgrünen Blättern gerne mochte.

Der Typ nickte. „Eine gute Wahl. Eine der besten Tarnfarben.“ Dann drehte er sich um und winkte ihr, ihm zu folgen.

Zora flüsterte ihr etwas zu, bevor sie ihm folgen konnte: „Ich muss kurz weg, noch ein paar Sachen erledigen. Bin gleich wieder da, solange kann Siegfried dir die Rüstung anpassen und dir die übrigen Dinge zeigen. Er ist vor etwa 600 Jahren gestorben, als Einherjer. Er ist der beste Schmied von ganz Walhalla, obwohl er so jung aussieht, aber behandle ihn einfach ganz normal.“

Das stimmte, Siegfried sah wirklich jung aus, vielleicht wie 10 oder so. Dafür, dass er vor 600 Jahren gestorben war, trug er zudem überraschend moderne Klamotten. Klar, einen schmierigen Kittel, aber darunter zerfetzte Jeans und ein T-Shirt mit einem Mann darauf, den Ragna als Boba Fett zu erkennen glaubte.