Wanderjahre in Italien - Ferdinand Gregorovius - E-Book

Wanderjahre in Italien E-Book

Ferdinand Gregorovius

0,0

Beschreibung

Die "Römischen Figuren" legten den Grund zu den "Wanderjahren in Italien", der köstlichen Frucht jener glücklichen Tage, wo er "entzückt den wechselvollen Eindrücken der Natur und der Kunst sich hingebend" die ganze Halbinsel durchwanderte, später dabei ganz erfüllt von dem großen Stoff, den er sich inzwischen als Lebensaufgabe erwählt hatte. Inhalt: Ravenna Die öffentlichen Monumente von Florenz San Marco in Florenz Die Insel Elba Streifzug durch die Sabina und Umbrien Das Schloß der Orsini in Bracciano Römische Figuren Der Ghetto und die Juden in Rom Die Villa Malta in Rom und ihre deutschen Erinnerungen Aus der Campagna von Rom Subiaco, das älteste Benediktinerkloster des Abendlandes Aus den Bergen der Herniker Aus den Bergen der Volsker Eine Pfingstwoche in den Abruzzen Von den Ufern des Liris Idyllen vom lateinischen Ufer Das Kap der Circe Circe Das Bourbonenschloß Caserta Neapel Die Insel Capri Benevent Lucera, die Sarazenenkolonie der Hohenstaufen in Apulien Manfredonia Der Erzengel auf dem Berge Garganus Andria Castel del Monte, Schloß der Hohenstaufen in Apulien Lecce Tarent Palermo Agrigent Segesta, Selinunt und der Mons Eryx Syrakus

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 1651

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wanderjahre in Italien

Ferdinand Gregorovius

Inhalt:

Ferdinand Gregorovius – Biographie und Bibliographie

Wanderjahre in Italien

Ravenna

Die öffentlichen Monumente von Florenz

San Marco in Florenz

Die Insel Elba

Streifzug durch die Sabina und Umbrien

Das Schloß der Orsini in Bracciano

Römische Figuren

Der Ghetto und die Juden in Rom

Die Villa Malta in Rom und ihre deutschen Erinnerungen

Aus der Campagna von Rom

Subiaco, das älteste Benediktinerkloster des Abendlandes

Aus den Bergen der Herniker

Aus den Bergen der Volsker

Eine Pfingstwoche in den Abruzzen

Von den Ufern des Liris

Idyllen vom lateinischen Ufer

Das Kap der Circe

Circe

Das Bourbonenschloß Caserta

Neapel

Die Insel Capri

Benevent

Lucera, die Sarazenenkolonie der Hohenstaufen in Apulien

Manfredonia

Der Erzengel auf dem Berge Garganus

Andria

Castel del Monte, Schloß der Hohenstaufen in Apulien

Lecce

Tarent

Palermo

Agrigent

Segesta, Selinunt und der Mons Eryx

Syrakus

Wanderjahre in Italien, F. Gregorovius

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849640804

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Ferdinand Gregorovius – Biographie und Bibliographie

Deutscher Geschichtschreiber und Dichter, geb. 19. Jan. 1821 zu Neidenburg in Ostpreußen, gest. 1. Mai 1891 in München, studierte in Königsberg Theologie und Philosophie, trieb aber dann poetische und historische Studien, veröffentlichte seit 1841 mehrere belletristische Werke, unter andern »Werdomar und Wladislaw, aus der Wüste Romantik« (Königsb. 1845, 2 Tle.), dann die bedeutendere Arbeit: »Goethes Wilhelm Meister in seinen sozialistischen Elementen« (das. 1849), der die kleineren Schriften: »Die Idee des Polentums« (das. 1848) und »Die Polen- und Magyarenlieder« (das. 1849), folgten. Die Frucht gründlicher historischer Studien waren die Tragödie »Der Tod des Tiberius« (Hamb. 1851) und die »Geschichte des römischen Kaisers Hadrian und seiner Zeit« (das. 1851, 3. Aufl. 1884; engl., Lond. 1898). Im Frühjahr 1852 begab sich G. nach Italien, das er seitdem vielfach durchwanderte, und wo er sich bis 1874 aufhielt. 1880 unternahm er eine Reise nach Griechenland, 1872 nach Ägypten, Syrien und Konstantinopel. Seitdem lebte er abwechselnd in Rom und in München. Interessante Ergebnisse seiner Beobachtungen und Studien in Italien enthalten das treffliche Werk über »Corsica« (Stuttg. 1854, 2 Bde.; 3. Aufl. 1878; auch ins Englische übersetzt) und die u. d. T. »Wanderjahre in Italien« (5 Bde.) gesammelten, in wiederholten Auflagen erschienenen Schriften: »Figuren. Geschichte, Leben und Szenerie aus Italien« (Leipz. 1856), »Siciliana, Wanderungen in Neapel und Sizilien« (1860), »Lateinische Sommer« (1863), »Von Ravenna bis Mentana« (1871) und »Apulische Landschaften« (1877). Daran schloss sich »Die Insel Capri« (Leipz. 1868, mit Bildern von K. Lindemann-Frommel; 3. Aufl. 1897). Auch sein idyllisches Epos »Euphorion« (Leipz. 1858, 6. Aufl. 1891; von Th. Grosse illustriert, 1872) atmet südliche Luft und klassischen Geist. Er lieferte auch eine gelungene Übersetzung der »Lieder des Giovanni Meli von Palermo« (Leipz. 1856, 2. Aufl. 1886). »Die Grabdenkmäler der römischen Päpste« (Leipz. 1857, 2. Aufl. 1881; engl., Lond. 1903) sind eine Vorstudie zu seinem Hauptwerke, der »Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter« (Stuttg. 1859–73, 8 Bde.; 5. Aufl. 1903 ff.), worin er Rom als Residenz der Päpste und als Mittelpunkt der mittelalterlichen Geschichte mit geschichtlichem Verständnis und unter Würdigung seiner Bau- und Kunstdenkmäler behandelt. Die Stadt Rom beschloss die Übersetzung des Werkes ins Italienische (»Storia della città di Roma nel medio evo«, Vened. 1874–1876, 8 Bde.) und ernannte G. zum Ehrenbürger. Auch ins Englische wurde das Werk übersetzt. Später erschienen von ihm: »Lucrezia Borgia« (Stuttg. 1874, 2 Bde.; 4. Aufl. 1906; franz., Par. 1876; engl., Lond. 1904), eine Ehrenrettung der berüchtigten Frau; »Urban VIII. im Widerspruch zu Spanien und dem Kaiser« (Stuttg. 1879, von G. selbst ins Italienische übersetzt, Rom 1879); »Athenais, Geschichte einer byzantinischen Kaiserin« (Leipz. 1882, 3. Aufl. 1891); »Korfu, eine ionische Idylle« (das. 1882); »Kleine Schriften zur Geschichte der Kultur« (das. 1887–92, 3 Bde.) und »Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter« (Stuttg. 1889, 2 Bde.). Auch gab er die »Briefe Alexanders v. Humboldt an seinen Bruder Wilhelm« (Stuttg. 1880) und einen von ihm aufgefundenen Stadtplan Roms (»Una pianta di Roma delineata da Leonardo da Besozzo Milanese«, Rom 1883) heraus. Nach seinem Tod erschienen: »Gedichte« (hrsg. vom Grafen Schack, Leipz. 1891), »Römische Tagebücher« (hrsg. von Althaus, Stuttg. 1892; 2. Aufl. 1894), »Briefe von Ferd. G. an den Staatssekretär Herm. v. Thile« (hrsg. von H. v. Petersdorff, Berl. 1894), »Ferdinand G. und seine Briefe an Gräfin Ersilia Caetani Lovatelli« (hrsg. von Siegmund Münz, das. 1896, die Zeit 1866–91 umfassend, nebst kurzer Biographie). Nach dem Tode seines Bruders vermachte G. seiner Vaterstadt sein Vermögen.

Wanderjahre in Italien

Ravenna

1863

Seit dem August des Jahres 1863 geht die adriatische Zweigbahn von Castel Bolognese nach Ravenna. Man gelangt jetzt in diese berühmte Stadt von Bologna aus über Imola, Lugo und Bagnacavallo in wenig mehr als drei Stunden; und so ist eine der merkwürdigsten Städte des Altertums und Mittelalters, die bisher vom Menschenverkehr abgelegen und in einer nur mühsam erreichten Einsamkeit halb verschollen war, mit dem allgemeinen Leben neu verbunden worden.

Die Städte Italiens stellen fast durchweg die zwei großen Epochen der Geschichte dieses Landes in ihren Denkmälern dar: das römische Altertum und das christliche Mittelalter. Nur Ravenna ist das Monument des Überganges aus der einen Epoche in die andere, und deshalb von unvergleichlichem Wert. Das römische Kaisertum in der Zeit seines Falles unter die Germanen, die erste Gründung des germanischen Königtums in Italien auf den Trümmern jenes Römerreiches, die sechzigjährige Herrschaft der Ostgoten und die ihr folgende, zwei Jahrhunderte umfassende Despotie der Byzantiner, alle diese Epochen haben in jener einen Stadt ihr Theater gehabt und noch zahlreiche Denkmäler ihrer Geschichte in ihr zurückgelassen. Wer nach Ravenna kommt und diese Monumente so alter Zeit sieht, Grabmäler des fünften und sechsten Jahrhunderts, Kirchen strahlend von Musiven ebenderselben Zeit, wird von ihnen fast so ergriffen wie von den Resten Pompejis. Und in der Tat, Ravenna ist das Pompeji der gotischen und byzantinischen Epoche.

Die oft fast unversehrte Erhaltung dieser Denkmäler ist einem Wunder gleich zu achten, wenn man sich vorstellt, welche wilde, verwüstende Jahrhunderte darüber hinweggegangen sind. Sie erklärt sich für das frühere Mittelalter aus dem glücklichen Umstande, daß es den Langobarden nicht gelang, Ravenna den byzantinischen Exarchen zu entreißen. Erst im Jahre 727 oder 728 vermochte der König Liutprand dort einzuziehen, in einer Zeit, wo jene furchtbaren Krieger bereits von der Kultur gezähmt waren. Weder er noch sein zweiter Nachfolger auf dem langobardischen Thron, Aistulf, vergriffen sich an den Monumenten dieser berühmten Stadt. Nur Classe, eine Vorstadt, mochte durch Liutprand zerstört worden sein.

Lange Zeit war Ravenna Sitz der byzantinischen Verwaltung Italiens, von wo aus das tief herabgekommene Rom wie eine Provinzialstadt regiert wurde. Sie genoß daher ab und zu der Fürsorge selbst byzantinischer Kaiser, welche dies Kleinod ihrer italienischen Länder anfangs mit Eifersucht hüteten. Als später mit dem Falle des Langobardenreiches und des Exarchats der Papst in Rom ihren Besitz auf Grund der Pippinischen Schenkungen beanspruchte, erhoben sich gegen diese Ansprüche die Patriarchen oder Erzbischöfe der Stadt. Sie machten sich zu Herren der Romagna, setzten sich an die Stelle der Exarchen und behaupteten, in hartnäckigem Widerstande gegen den Primat der römischen Kirche und unter den Privilegien der Kaiser, lange Zeit die Herrschaft über Ravenna. Sie wetteiferten mit den Päpsten und mit Rom, indem sie die ehemalige Kaiserresidenz vor dem Verfalle schützten und mit immer neuem Schmuck versahen. Diese noch durch Handel mächtige und volkreiche Stadt war daher zweimal die Nebenbuhlerin Roms, nämlich in der letzten römischen Kaiserzeit und der ersten Epoche des sich bildenden Papsttums im Sinne der kirchlichen Suprematie.

Die Erinnerungen an so große und tragische Ereignisse des römischen Verfalls und der Völkerwanderung, an die Epoche des Stilicho, Attila, Alarich und Genserich, oder an die Gotenherrschaft, deren unsterbliche Charaktergestalt Theoderich noch das heutige Ravenna zu beherrschen scheint, die Vorstellung ferner von dem Untergange dieser Goten und ihren gigantischen Todeskämpfen, aus denen Totila und Belisar, Tejas und Narses heldenhaft emporsteigen, sodann das fast mythisch gewordene Dunkel der byzantinischen Epoche unter den Exarchen, welches nur sparsam durch einige Chronisten erhellt wird: alles dies verleiht Ravenna einen Reiz, der mächtig aufregt, wenn man sich der Stadt nähert und ihre braunen Türme aus der stillen, sumpfigen Ebene hervorragen sieht.

Wie wird eine Stadt aussehen, welche das Denkmal solcher Zeiten und Taten ist? Sie wird finsterer und melancholischer erscheinen als das hochgetürmte Bologna, welches wir nur eben verlassen haben. Aber auch hier erfahren wir, daß die Wirklichkeit sich zur eingebildeten Vorstellung immer ironisch verhält, und daß diese eine gewisse Zeit braucht, um sich zu reinigen und der reellen Gestalt der Dinge ganz mächtig zu werden. Die Enttäuschung ist groß. Hundert andere Städte des historischen Italiens, selbst kleine Kastelle in den Gebirgen sehen auf den ersten Blick geschichtlicher, mittelalterlicher und überhaupt monumentaler aus als dies gotische und byzantinische Ravenna. Erst wenn man dessen Denkmäler aufsucht und darin umherwandert, fühlt man das Wehen des Hauchs alter Vergangenheit in solcher Macht, wie etwa nur in Rom allein, wo der geschichtliche Geist freilich ein universaler ist, während er in Ravenna nur einer Periode angehört, aber diese ist hier einzig vertreten und ausgedrückt.

Hier sind überall totenstille Straßen, meist von kleinen Häusern aus moderner Zeit, doch geräumig und in der Regel geradlinig gebaut, weil die Stadt auf einer Fläche liegt. Eine träumerische Versunkenheit in sich selbst, eine melancholische Verkommenheit. Auf den Plätzen hie und da wunderliche Säulen des Mittelalters, Schutzpatrone tragend; hie und da das sitzende Standbild eines um die Stadt verdienten Papstes, nachdenklich in sich versunken, vom Alter geschwärzt. Jede Spur der großen Epoche des guelfischen Mittelalters in Palästen oder bedeutenden Kirchen, wie sie andere Städte in so großer Fülle darbieten, ist verschwunden. Nur dann und wann ein stumpfer und gesenkter Turm oder Paläste verödeten Ansehens, doch erst aus dem fünfzehnten und späteren Jahrhunderten. In dieser Stille zahlreiche Kirchen, äußerlich in halbverfallenem Zustande, mit uralten ihnen getrennt zur Seite stehenden Glockentürmen aus einfachem und rohem Ziegelbau. Einige modern restauriert, andere in unversehrtem, eigentümlichem Stile der Gotenzeit. Alle eher von kleinen als von großen Verhältnissen; keine durch Gestalt imponierend, wie ein Dom von Pisa, Siena oder Orvieto; aber innen mit byzantinischen Mosaiken bekleidet und mit figurenreichen Kompositionen geschmückt, welche einer Kunst angehören, die sonst in aller Welt nur wenige Denkmäler aufzuweisen hat. Diese uralten Kirchen scheinen wie verzaubert in unserer Gegenwart dazustehen. Sie sind es, welche die Geschichte jener Vergangenheit festhalten, und die heutige Stadt Ravenna ist kaum mehr als ihr musivisch ausgelegtes Grab.

Die Überreste des alten Ravenna der Römer sind auffallenderweise ganz verschwunden. Classe und Cäsarea, einst bedeutende Vorstädte, welche mit großen Bauwerken erfüllt waren, liegen im Sumpf versenkt, und kaum eine Spur gibt von ihrem Dasein Kunde. Ravenna war einst das Avignon der römischen Kaiser. Als Honorius im Jahre 404 aus Furcht vor den andringenden Goten seine Residenz von Rom in diese Stadt verlegte, welcher damals Sümpfe, Flüsse und das Meer eine große Festigkeit gaben, verstärkte er ihre Mauern und baute sich vielleicht selbst eine kaiserliche Residenz. Wo diese oder wo der Palast der Galla Placidia und jener Valentinians III. standen, weiß man nicht mehr, obwohl man ihren Ort bezeichnen will. Antonio Zirardini, ein Rechtsgelehrter Ravennas und Archäolog ersten Ranges, schrieb im Jahre 1762 sein treffliches Buch über die antiken Bauwerke seiner Vaterstadt (degli antichi edifizi profani di Ravenna), welches noch heute das beste Werk über diesen Gegenstand ist; aber seine mühsamen Forschungen vermögen nur wenig Licht über das alte Ravenna zu verbreiten. Honorius erlebte im dortigen Kaiserpalast den ersten Fall und die Plünderung Roms durch die Westgoten Alarichs, und starb dort auch im August 423. Er wurde indes neben dem S. Peter in Rom begraben. Für uns beginnen die historischen Monumente Ravennas mit dem Mausoleum seiner Schwester Galla Placidia, einer der merkwürdigsten Frauengestalten aus der Epoche des Falls des römischen Kaiserreichs, deren Schicksale mit diesem selbst tief und tragisch verflochten sind. Die Tochter Theodosius' des Großen lebte im Cäsarenpalast von Rom als ein Mädchen von 21 Jahren, während Alarich die Hauptstadt der Welt belagerte, eroberte und plünderte. Er führte sie gefangen mit sich nach Kalabrien, und bald darauf mußte die Tochter und Schwester von römischen Kaisern sich in Narbonne mit Alarichs Nachfolger Ataulf vermählen. Sie folgte ihrem germanischen Gemahl nach Spanien, erlebte dort dessen und ihres Sohnes Theodosius Tod, und wurde darauf unter Mißhandlungen empörender Art ihrem Bruder Honorius nach Ravenna zurückgeschickt. Er zwang sie hier, dem General Constantius ihre Hand zu geben, welchem sie zwei Kinder, Valentinian und Honoria, gebar. Als auch Constantius gestorben war, wurde Placidia von ihrem Bruder nach Byzanz verbannt, von wo sie nach des Honorius Tod mit einer griechischen Flotte wiederkehrte, um ihren jungen Sohn Valentinian III. auf den Thron des Abendlandes zu setzen und als seine Vormünderin lange und unglücklich das Reich zu regieren. Sie starb in Rom im 61. Jahre ihres vielbewegten Lebens am 27. November 450. Mit ihrem Sohne Valentinian III., welcher fünf Jahre später in Rom ermordet wurde, erlosch der kaiserliche Stamm des großen Theodosius überhaupt. So ist die Geschichte des Unterganges der Familie des Theodosius zugleich die vom Fall des römischen Reichs und das Grabmal der Placidia, eins der merkwürdigsten Monumente der Welt, gleichsam das Mausoleum des römischen Reichs der alten Imperatoren. Man betritt diese kleine, düstere, von schönen Mosaiken bedeckte Gruft mit einem Gefühl historischer Pietät, welches in solcher Stärke weder das Mausoleum des Augustus noch das Grabmal Hadrians in Rom erwecken kann. Die unglückliche Fürstin wollte in Ravenna begraben sein, welches sie liebte und mit vielen Kirchen geschmückt hatte, nicht in Rom, wo ihr ganzes Lebensschicksal in der Blüte ihrer Jugend durch die schreckliche Katastrophe der eroberten Stadt eine so düstere Richtung hatte nehmen müssen. Sie hatte sich ein Grabmal bauen lassen und dieses als eine Kapelle den Heiligen Nazarius und Celsus geweiht. Es liegt nicht fern von der berühmten Kirche S. Vitale, in unmittelbarer Nähe von S. Maria Maggiore, in einem Straßenviertel so ärmlichen Aussehens, daß man schwerlich einen so kostbaren Schatz darin erwarten wird. Zur Zeit als Placidia dies Mausoleum baute, lag in jener Gegend wahrscheinlich ihr eigener Palast.

Wenn man diese Gruft der letzten Kaiserdynastie Roms mit den pomphaften Mausoleen früherer römischer Imperatoren oder selbst nur alter Senatorenfamilien vergleicht, so erkennt man an den bescheidenen Dimensionen wie an ihrem Charakter den Unterschied der Zeiten. Sie ist ganz vom christlichen Geist durchdrungen und in der Tat eine Kapelle in lateinischer Kreuzesform, nur 15 Meter lang und 12,6 Meter breit. Eine Kuppel wölbt sich über ihr, mit Mosaiken bedeckt, wie die Nischen und Bogen, und ein mattes Zwielicht fällt durch kleine Fensteröffnungen ein. Fünf Sarkophage stehen im Mausoleum, zwei kleinere sind in die Seitenmauern des Eingangs eingefügt, drei große aus griechischem Marmor, von plumper und bildloser Gestalt, füllen die drei Nischen aus, die durch die Kreuzesform gebildet sind. In der Hauptnische gegenüber dem Eingang steht die größte Urne; sie ist sieben Fuß hoch, sehr einfach und auffallenderweise ohne Schmuck heiliger Darstellungen in Relief. Es ist kein Zweifel, daß in ihr die Schwester des Honorius bestattet war. Die ravennatische Tradition erzählt, daß sie in diesem Sarkophag, auf einem Thron von Zypressenholz in kaiserlichen Gewändern sitzend, sich jahrhundertelang erhielt, und spätere Geschichtschreiber Ravennas berichten, daß erst im Jahre 1577 diese seltsame Gruftgestalt zu Asche ward. Neugierige Kinder hatten eine brennende Kerze in die Öffnung des Sarkophags geschoben, worauf die Grabgewänder in Flammen aufgingen und das Traumgebild der Placidia zerfiel.

Wer in den übrigen Sarkophagen bestattet liegt, weiß man nicht anzugeben; wahrscheinlich umschließen die beiden größeren die Reste des Generals Constantius und seiner und der Placidia Tochter, der unglücklichen Prinzessin Honoria, die sich dem furchtbaren Attila verlobt hatte. Nach einem Leben voll abenteuerlicher Leidenschaft hatte sie in einem Kloster Ravennas verschmachten müssen. Die Meinung, daß Honorius in einem jener Sarkophage bestattet liege, ist sicher irrig, denn dieser Kaiser, welcher in Ravenna starb, wurde im kaiserlichen Mausoleum am S. Peter begraben, wie die Historia Miscella es ausdrücklich erwähnt, und dort hat man noch in später Zeit, als dieses selbst verschwunden war, den Sarkophag seiner Gemahlin Maria, der Tochter Stilichos, aufgefunden. Und auch dieser berühmte Feldherr gehört wenigstens im Tode Ravenna an, denn hier ist er ermordet worden.

Die Musive des Mausoleums sind sehr merkwürdig wegen ihres hohen Alters. Da sie vor das Jahr 450 fallen, gehören sie zu den ältesten der christlichen Kunst überhaupt. Sie stellen, außer gut komponierten Arabesken, Einzelfiguren von Propheten und Evangelisten und die zweimal wiederholte Figur des Heilands dar. An ihr ist sowohl hier als in den ältesten Kirchen Ravennas die schöne, ganz jugendliche und bartlose Gesichtsbildung auffallend. Die jugendliche Vorstellungsweise des Heilands ist das früheste und ursprüngliche Christusideal, denn erst später fixierte sich jener greisenhaft finstere, abschreckende Typus des Christusantlitzes, welches man als byzantinisch zu bezeichnen sich gewöhnt hat. Daß dies irrig sei, kann Ravenna beweisen. Wenn irgendwo in Italien, so mußten hier vor allen andern Städten byzantinische Mosaizisten arbeiten, und namentlich haben sie in der Epoche Justinians ohne Zweifel in Ravenna gearbeitet. Und doch werden wir selbst noch in S. Vitale, dessen Mosaiken etwa 100 Jahre später als jene im Mausoleum der Galla Placidia gefertigt wurden, denselben jugendlichen Typus des Heilands wiedersehen, welcher so wenig byzantinisches Wesen hat, daß er vielmehr dem ursprünglichen Ideal der Katakombenmalerei ähnlich sieht. Der zweite, fast dämonische Typus Christi findet sich aber wunderbarerweise schon auf dem Triumphbogen von Sankt Paul zu Rom, welchen dieselbe Placidia zur Zeit des Papstes Leo I. (440-461) mit Musiven geschmückt hatte, wie es noch heute daselbst die Inschrift besagt (Placidiae pia mens operis decus...). Der Heiland, welcher dort in einem Brustbild übermenschlicher Größe dargestellt ist, trägt schon einen Ausdruck von wahrhaft furchterregender, greisenhafter Düsterheit. In Rom arbeiteten damals keineswegs byzantinische Künstler, sondern Mosaizisten aus der alten Kunstschule, welche bei den Thermen tätig gewesen waren, und dieses abschreckende Christusideal muß daher nicht byzantinischer, sondern römischer Auffassung angehören.

Placidia, die Freundin oder Gönnerin jenes großen Papstes Leo, welcher bald nach ihrem Tod Attila von Rom zurückschreckte, der Liebling der orthodoxen Geistlichkeit jener Zeit, stiftete in Ravenna noch eine große Menge von Kirchen. In diesen Gründungen der Pietät spricht sich der tiefreligiöse Sinn der merkwürdigen Frau aus und auch die Schwermut ihrer Seele. Ihr Lebensende schien sie in frommer Betrachtung ihrer Schicksale dankbar dem Himmel geweiht zu haben. Und wahrlich, wenn uns die Gestalt ihres Bruders Honorius, von dem man sagte, er habe bei der Kunde vom Falle Roms nur den Tod seines Lieblingshuhns Roma beweint, Verachtung einflößt, so zwingt uns das unglückliche, wechselvolle Leben Placidias tiefe Teilnahme ab.

Es ist passend, von ihrem Grabmal an das noch berühmtere Theoderichs zu treten, weil dasselbe neben jenem die zweite Epoche Ravennas und einen denkwürdigen Abschnitt der Geschichte Italiens selber darstellt.

Der germanische Held Odoaker hatte im Jahre 476 dem weströmischen Kaiserreich ein Ende gemacht und sich zum ersten Könige Italiens aufgeworfen. Er herrschte mit Klugheit und Macht in Ravenna, wo er im Palast des Kaisers seine Residenz genommen hatte, dann aber führte Theoderich sein Ostgotenvolk zur Eroberung nach Italien. Odoaker wurde in Ravenna eingeschlossen; er verteidigte sich glänzend drei Jahre lang bis 493, wo er sich ergab und von seinem siegreichen Feinde wider die Artikel der Kapitulation bald darauf in jenem Palast niedergehauen wurde. Dieser Treubruch und die spätere Hinrichtung zweier berühmter Senatoren Roms sind dunkle Flecken, die vom Andenken des großen Gotenkönigs nicht getilgt werden können. Odoaker, ein gewaltiger Krieger und unsterblich durch die Tat, das Römerreich gestürzt zu haben, hat kein Denkmal in Ravenna.

Auch Theoderich regierte Italien, welches unter dem Gotenregiment zum letztenmal als ein Reich vereinigt war, von Ravenna aus. Er baute sich hier einen prachtvollen Palast. Dies würde lehren, daß die Residenz der letzten abendländischen Kaiser in den Stürmen der Zeit bereits untergegangen war, wenn es sich beweisen ließe, daß Theoderich wirklich jenen bewohnt hat. Aber alte Schriftsteller, die von dessen Bau berichten, bemerken zugleich, daß er ihn zwar vollendete, doch nicht einweihte, das heißt also nach dem Sprachgebrauch jener Zeit, daß er nicht in ihn einzog. Wenn dies angenommen werden darf, so charakterisiert es sehr gut das Schicksal der Goten überhaupt, die in Italien nicht Wurzel fassen sollten. Der Gotenkönig fuhr also fort, in dem alten Kaiserpalast zu wohnen, und baute für sich noch einen zweiten. Von ihm haben sich einige Trümmer erhalten. Man findet sie in der Hauptstraße, welche Ravenna von der Porta Serrata bis zur Porta Nuova durchschneidet. Dort steht eine hohe, aus gebranntem Ziegelstein erbaute Mauer, der dürftige Rest von nur irgendeinem Teile des ganzen Palastes. Das obere Wandgeschoß wird von einer großen Nische und acht kleineren römischen, auf Säulen ruhenden Bogen gegliedert; auch die Türen haben römische Bogenformen. In seiner heutigen traurigen Gestalt zeigt dieser Rest schon kleinliche Verhältnisse, die das beginnende Mittelalter ahnen lassen, wo die große römische Anschauung in der Architektur unterging, und überhaupt ist die Verkleinerung der Maßstäbe in allen Bauten Ravennas sichtbar. Man darf freilich aus dem, was von der Gotenresidenz übrigblieb, nicht schließen, daß nicht der ganze Bau groß und prächtig gewesen sei. Die alten Geschichtschreiber berichten, daß Theoderich Säulen und Marmor aus Konstantinopel und Rom nach Ravenna kommen ließ, und namentlich bediente er sich des kostbaren Materials vom zertrümmerten Palast der Pincier in Rom. Dies ist sehr auffallend, weil doch Ravenna selbst eine Fundgrube des schönsten Gesteins sein mußte. Die Residenz Theoderichs scheint mit Portiken umgeben gewesen zu sein, und sie war innen mit Mosaiken überreich verziert. Im Jahre 800 raubte ihrer viele Karl der Große. So ist auch der Untergang musivischer Bilder zu beklagen, welche dort Theoderich selbst darstellten, wie er auch in seinen andern Palästen zu Verona und Pavia, und selbst in Neapel in Mosaik sich hatte abbilden lassen.

Vor der Fassade seines Palastes stand seine Reiterstatue von vergoldeter Bronze, ein Werk, dessen Schönheit, freilich in schon barbarischer Zeit und von Karl dem Großen, der sich auf Kunstkritik sehr wenig verstand, überschwenglich gelobt wurde. Wenn nun Theoderich durch seinen Tod verhindert wurde, in den vollendeten Bau einzuziehen, so bewohnten doch die neue Residenz die folgenden Gotenkönige, nach ihnen aber die Exarchen, während der alte Palast der Kaiser gleich jenem zu Rom in Trümmer fiel. Aber auch das schöne Haus Theoderichs zerfiel in zwei Jahrhunderten. Karl der Große plünderte es zuerst mit Bewilligung des Papstes Hadrian I., um daraus Marmor und Mosaiken nach Aachen zu schaffen, wo er die berühmte Kapelle und seinen eigenen Palast baute. Selbst die Reiterfigur Theoderichs ließ er nach seiner Heimat entführen. Man sieht, wie im Mittelalter die Trümmer wanderten: vom Palast der Pincier in Rom nach Ravenna, vom Palast Theoderichs aus Ravenna nach Aachen, von dort vielleicht nach Skandinavien, als die Normannen die Residenz Karls des Großen zerstörten. Übrigens hat Zirardini aus alten Dokumenten nachgewiesen, daß der Palast des Gotenkönigs noch im elften und einmal sogar im zwölften Jahrhundert genannt wird. Bis auf diese Zeit muß er sich also in noch bedeutenden Resten erhalten haben. Er gab einem ganzen Quartier der Stadt den Namen «Palast des Theoderich». Und noch heute dauert die Benennung eines Stadtviertels vom Gotenkönig fort, so daß es immer überrascht, wenn man an den Straßenecken seinen Namen liest. Es kann nicht bezweifelt werden, daß jene Mauerreste dem gotischen Königshof angehört haben. Die Tradition seines Lokals konnte sich in Ravenna unmöglich verlieren. Außerdem zeigt ein glücklich erhaltenes Abbild der Fronte von Theoderichs Palast in den Mosaiken zu S. Appollinare Nuovo eine ähnliche Architektur. Im Jahre 1564 ließ ein päpstlicher Legat eine porphyrne Urne in jene Palastmauer einfügen. Weil man sie neben dem Grabmal Theoderichs gefunden hatte, schloß er daraus, daß sie die Asche des großen Gotenkönigs bewahrt habe, und dies wurde dreist in der Inschrift ausgesprochen, die man noch heute dort liest.

Der Gotenkönig starb am 30. August 526, in vollem Zerwürfnis mit der römischen Kirche, mit dem italienischen Volk und mit Byzanz. Er wurde in dem Mausoleum bestattet, welches er für sich und sein Haus neben der Stadt hatte errichten lassen. Dies berühmte Grabmal, für die Geschichte der Denkstein der Gotenherrschaft in Italien, für die Kunst das Monument der Übergangsform einer Epoche in die andere, hat sich, wenige und unwesentliche Veränderungen abgerechnet, in wunderbarer Reinheit erhalten, gleich dem Mausoleum der Placidia. Die berühmten Mausoleen Roms gingen entweder fast gänzlich unter, wie das des Augustus und anderer Kaiser, oder das Mittelalter verwandelte sie durch die Benutzung zu Kastellen bis zur Unkenntlichkeit, wie das Grabmal des Hadrian und selbst der Cäcilia Metella. Aber das Monument Theoderichs hat die Zeit im wesentlichen verschont. Sein äußerer Schmuck, vielleicht Arkaden, welche die Terrasse des Obergeschosses umgaben, zerfiel, doch keine Gewalt der Jahrhunderte vermochte das feste Gefüge der Quadersteine zu zerbrechen oder den riesigen Kuppelmonolith niederzuwerfen, der das Grab des nordischen Heldenkönigs umschlossen hat.

Es begrüßt den deutschen Wanderer zuallererst, wenn er auf der Eisenbahn nach Ravenna gelangt, denn der Zug braust ihm auf nur hundert Schritte vorbei. Mitten in Gärten und Weinbergen erhebt es sich als eine Rotunde von hellgrauem Stein. Auf seinen Prospekt führt ein mit Bäumen bepflanzter Weg, dessen dichter Graswuchs dartut, daß nur selten Besucher ihn betreten. Die verwilderte Einsamkeit und das schöne Grün rings umher geziemen dem germanischen Helden, welcher wie sein Volk die frische Natur liebte.

Wenn die fromme Placidia, welche lange in Byzanz gelebt hatte, sich in einer von Mosaiken und Heiligenbildern glänzenden, fast unterirdisch zu nennenden Kapelle bestatten ließ, so wollte der arianische Gotenkönig zugleich wie ein nordischer Held und ein römischer Cäsar begraben sein. Die heroische Ruhe und Kraft des Monuments, welches ein Steinblock bedeckt, den nur Giganten erhoben zu haben scheinen, paßt gut für diesen alten Dietrich von Bern, den Recken des Nibelungenliedes, aber der im ganzen römische Charakter des Baues zeigt den germanischen König doch in römischer Kulturverwandlung; er geziemt dem Freunde des klassisch gebildeten Cassiodor und dem Erben wie Nacheiferer der Imperatoren Roms.

Als Theoderich im Jahre 500 zum erstenmal Rom sah, konnte ihm die Grabrotunde Hadrians den Gedanken eingeben, sich ein ähnliches Mausoleum in Ravenna zu erbauen. Die verringerten Verhältnisse römischer Herrschaft und auch der Mittel der Kunst, wahrscheinlich auch sein eigener Sinn hielten ihn jedoch davon ab, ein so großes Monument aufzutürmen, wie die alten Römer getan hatten. Als ich Theoderichs Grabmal anblickte, war mein erstes Gefühl das der Täuschung, denn ich fand seine Verhältnisse bei weitem kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte; vielleicht deshalb, weil ich an die römischen Dimensionen zu sehr gewöhnt bin. In der Tat, es imponiert durch seine Größe nicht, und selbst weniger als die Pyramide des Cestius und das Grabmal der Cäcilia Metella. Aber es wächst dennoch vor den Augen empor, wenn man seinen schönen harmonischen Bau betrachtet und die gewaltige, aus einem einzigen lebenden Marmorstück gehauene Flachkuppel sieht, durch welche der Gotenheld mit den Riesenbauten selbst der Römer mochte zu wetteifern meinen. Dieser Monolith und der einfache Ernst des architektonischen Stils bringen noch immer einen mächtigen Eindruck hervor, und indem die Tradition römischer Baukunst schon von einem ihr fremden nordischen Wesen durchdrungen zu sein scheint, stellt sich dies merkwürdige Mausoleum als das letzte Monument römischer Formen dar, welches schon leise an den Barbarismus der kommenden Jahrhunderte grenzt. Man versteht es recht und belebt es mit dem eigenen Geist der Regierung jenes Goten, wenn man die Reskripte seines Ministers Cassiodor kennt und weiß, wie Theoderich sich bemühte, die Formen des alten Römerreichs aufrechtzuerhalten.

Im unteren Geschoß öffnet eine römische Bogentür ein Gewölbe von lateinischer Kreuzform; im oberen eine viereckige Türe ein Rundgewölbe, das von der Kuppel bedeckt wird. Die beiden steinernen Treppen, die zum Obergeschoß führen, wurden erst im Jahre 1771 angelegt. Kein Sarkophag steht mehr in den leeren Räumen; keine Inschrift zeigt die Stelle an, wo der große König oder einer seiner Nachfolger begraben lag. Niemand weiß zu sagen, in welcher Zeit die Graburnen verschwunden und wohin sie gebracht worden sind. Nur die Sage berichtet, daß der Porphyrsarg Theoderichs oben auf der Kuppel selber stand; aber dies ist irrig, denn sein Platz muß jene große Nische gewesen sein, welche im Obergeschoß dem Eingange gegenübersteht. Eine andere Sage erzählt, daß sein Sarkophag in der Kirche S. Prassede in Rom sich befindet. Als Belisar Ravenna eroberte, mögen die wilden Griechen und Isaurier das Innere des Mausoleums aus Rache verwüstet und die Asche des edlen Gotenkönigs hinausgeworfen haben; und wenn sein Sarkophag nicht schon damals zerschlagen wurde, so konnte ein späterer Exarch ihn als Trophäe nach Byzanz gesendet haben. Karl der Große fand ihn in Ravenna nicht mehr vor, denn sonst hätten wir wahrscheinlich gehört, daß er ihn nach Aachen bringen ließ, oder wenigstens, daß er ihn voll Ehrfurcht in Augenschein nahm.

Als Theoderich sein Mausoleum baute, hoffte er, daß es seiner Dynastie zum Grabmal dienen und noch zahlreiche Enkel und Urenkel umschließen würde. Er täuschte sich. Sein Haus fand einen schnellen und furchtbaren Untergang, ja das ganze Gotenreich wurde wie vom Sturmwind hinweggeweht. Dieses jähen Zusammenbruchs gedenkt man hier, wenn man im Grabmal zwischen leeren Wänden steht und vergebens eine Spur von seinen Toten sucht. Amalaswintha, Theoderichs berühmte geistvolle Tochter, bestattete darin schon im Jahre 534 ihren Sohn Athalarich, den letzten Erben vom Haus ihres Vaters, den unglücklichen Jüngling, welcher in italienische Schwelgerei so früh ausgeartet war. Sie selbst wurde bald darauf auf einer Insel im See von Bolsena erwürgt, und es ist ungewiß, ob sie in Ravenna ihr Grab fand. Ihr Gemahl und mutmaßlicher Mörder, der entartete Theodat, Sohn von Theoderichs Schwester Amalafrida, wurde schon im Jahre 536 auf der Flucht von Rom nach Ravenna von Bluträchern erstochen; er fand sein Grab schwerlich im Mausoleum Theoderichs. Auch die unglückliche Mataswintha, die Tochter Amalaswinthas, welche Witiges, der Nachfolger des Theodat, gezwungen hatte, sich ihm zu vermählen, wurde dort nicht begraben. Sie endete, wie Witiges, gefangen in Byzanz oder irgendwo im Orient; und auch keinen der letzten Heldenkönige des Gotenvolks hat das Mausoleum aufgenommen. Der hochherzige Totila wurde verscharrt in den Apenninen, und Teja auf dem Gefilde des Vesuv, wo er nach einem heroischen Kampf wie ein homerischer Held gefallen war.

Das Grabmal des Theoderich ist eine Stelle in Italien, auf welcher der Deutsche, wenn er vor ihm in der grünen Wildnis steht, vom Hauche der Geschichte und von schwermütiger Liebe zu seinem großen Vaterlande durchdrungen wird. Die Schatten jenes heldenhaften Jahrhunderts, wo das Epos des griechischen Homer sich mit den deutschen Nibelungen zu verschmelzen scheint, schweben um dies ernste Gotengrab: Belisar, Narses, Totila und Teja, Theoderich und Amalaswintha, Cassidor, Procopius, Boetius, Justinian und so viele andere berühmte Goten, Römer und Griechen, die hier auf der Schwelle zweier Weltalter eines der merkwürdigsten Schauspiele der Geschichte und der miteinander sich mischenden und sich bekämpfenden Nationalitäten und Kulturen darbieten. In Rom bezeichnet der Triumphbogen Constantins die Grenze zwischen der antik-römischen Welt und dem römisch-deutschen Mittelalter, zu welchem es hinüberführt. Es ist aber zugleich das Grabmal der römischen Kunst und Literatur, der Wissenschaft und Kultur überhaupt, welche Theoderich und seine Tochter noch zum letztenmal schätzten und erhielten, denn hinter ihnen folgt die lange Geisteswüste der Barbarei.

Das Grabmal versumpft wieder. Vergebens hat ein wohlgesinnter Papst, ich glaube, es war Gregor XVI., den Sumpf durch einen gemauerten Kanal abzuleiten gesucht. Ich fand selbst in trockenster Jahreszeit Pfuhlwasser umher, welches im Herbst sich in Strömen in das Untergeschoß ergießen muß. Und noch schlimmer, die Quadersteine des oberen Geschosses lösen sich hie und da. Der Graf Alessandro Cappi, ein um die Pflege Ravennas verdienter Mann, beklagte bitter den Verfall des Monuments, für dessen Restauration schon lange nichts geschehen sei, und ich wiederhole auch an diesem Ort den Appell an die Italiener, dies berühmte Denkmal so schnell als möglich vor einem größeren Ruin zu bewahren. Italien mag sich an das Wort des letzten Römers Cassiodor erinnern, des Ministers des unsterblichen Gotenkönigs, welcher den Goten, die einst Unwissenheit oder Fremdenhaß als die Zerstörer der alten Kultur darstellte, freudig nachgerühmt hat, daß sie deren Erhalter gewesen sind: «Gothorum laus est civilitas custodita.» Wir Deutschen haben ein moralisches, die Italiener das historische Recht auf das Denkmal der Goten; wir stellen dasselbe in den Schutz ihrer eigenen großen Vergangenheit, und heute leben wir glücklicherweise nicht mehr in jenen wahrhaft vandalischen Zeiten des Mittelalters, wo man die herrlichsten Denkmäler der Geschichte so gleichgültig verfallen ließ.

Der große Belisar war am Ende des Jahres 539 als Sieger in das noch nie bezwungene Ravenna eingezogen, wo er in Theoderichs verwaistem Palaste Wohnung nahm. Aber nicht ihm, sondern dem gleich kühnen Eunuchen Narses war es vergönnt, den furchtbaren Gotenkrieg zu beendigen. Justinian ernannte ihn zu seinem Patrizius oder Statthalter Italiens, und auch Narses residierte ab und zu im Palast Theoderichs, sooft er in Ravenna war. Seit dieser Zeit überhaupt wurde Ravenna die Hauptstadt Italiens oder fuhr fort, es zu sein, wie in der Gotenzeit.

Als redende Denkmäler jenes Sieges der Byzantiner über die Goten können einige uralte, glücklicherweise völlig erhaltene Basiliken betrachtet werden.

Die berühmteste aller Kirchen Ravennas ist S. Vitale, in der Nähe des Mausoleums der Galla Placidia. Sie wurde im letzten Jahre der Regierung Theoderichs begonnen, während des Gotenkrieges weitergebaut, so daß Belisar sie noch in ihrer Unvollendung betrachtete, als er in Ravenna eingezogen war, und endlich weihte sie der Erzbischof Maximian, im Jahre 547, zur Zeit, als Totila Rom zum zweitenmal bestürmte und Belisar es zum zweitenmal siegreich verteidigte. Der Bau von San Vitale begleitet daher den Fall der Goten und verherrlicht schon den Sieg Konstantinopels, wo Justinian zu gleicher Zeit den Prachtbau der Sophienkirche aufrichtete, welcher sich in der Gestalt S. Vitales abspiegelt. Diese Basilika ist von so reinem byzantinischem Charakter, daß sie in der Geschichte der Kunst um so mehr als das Monument der Architektur und Malerei der justinianischen Periode gelten muß, weil von deren Bauten in Konstantinopel selbst, außer der Sophienkirche, sich so wenig Ursprüngliches erhalten hat. Dies betrifft namentlich die Musive, mit denen die byzantinischen Basiliken in der Zeit Justinians so reich geschmückt waren, die aber dort alle untergegangen sind.

S. Vitale hat die Form eines überkuppelten Achtecks, welches innen Pfeiler tragen und eine Galerie von Arkaden oberhalb umzieht. Die Kuppel war einst mit Mosaik bekleidet, die indes herunterfiel; dagegen haben sich die weltberühmten Musive im Presbyterium in ihrer ganzen Ursprünglichkeit erhalten. Die Einfügung der Pasten ist so fest, daß sie schon 1300 Jahre dauern, ohne eine irgend namhafte Restauration erfahren zu haben, ein seltenes Glück, welches wenigen Musiven zuteil geworden ist. Die Mosaiken in S. Vitale scheinen jedoch zwei Perioden anzugehören, einer früheren und einer späteren, wenn sie auch kaum ein Jahrhundert voneinander trennen mag. Die letztere bemerkt man an den oberen Wänden des Presbyteriums, wo die Bildnisse des Heilands und der Apostel bereits an den sogenannten Byzantinismus streifen. Hier ist Christus schon bärtig, mit lang herabwallendem blondem Haar dargestellt. Dagegen erscheint er in der jugendlicheren Bildung des ersten Typus in der Tribüne, deren figurenreiche Musive die frühesten in dieser Kirche sind. Er sitzt auf der Weltkugel zwischen zwei Engeln und reicht dem Märtyrer Vitalis die Krone, während zur Linken Sankt Ecclesius, der Gründer der Basilika, ihm deren Abbild übergibt. Der Heiland trägt den Nimbus mit dem Kreuzbild und ein schlichtes braunes Gewand. Sein Antlitz von antiker, jugendlicher Idealität ist so anmutig, daß ich nie auf Musiven ein gleich schönes und ansprechendes gesehen habe.

In dieser Tribüne ist es nun, wo man gewagt hat, einen weltlichen Fürsten damaliger Gegenwart, Justinian mit seinem Gefolge, neben Heiligen darzustellen. Ein zweites Beispiel dieser Art ist nicht bekannt, weil das berühmte Musiv im römischen Lateran, welches Karl den Großen darstellt, doch nur einem Triklinium oder Speisesaal angehört hat. Auf der rechten Wand der Tribüne steht Justinian, einen Nimbus um das Haupt (welcher damals also noch keineswegs die spätere dogmatische Bedeutung gehabt haben kann), ein Weihgeschenk in der Hand, bekleidet mit einem einfachen braunen Gewande, worüber die goldene Stola liegt, und mit den byzantinischen Purpurstiefeln. Sein Kopf ist jugendlich, von schönem Oval, seine Gestalt kräftig und schlank. Er trägt einen Schnurrbart, während die Kriegergestalten neben ihm mit Lanzen und Schilden, die das Monogramm Christi bezeichnet, auffallenderweise bartlos sind. Gegen ihn bewegt sich auf der anderen Seite des Bildes Sankt Maximian mit zwei Geistlichen. Er scheint aus Ehrfurcht vor der kaiserlichen Majestät, welche auch die Würde des Pontifex Maximus beanspruchte, sich des Nimbus entäußert zu haben, denn er trägt ihn nicht, und dies ist sehr charakteristisch für das byzantinische Dogma von der unnahbaren und göttergleichen kaiserlichen Gewalt. Im übrigen ist es bekannt, daß der Glorienschein ursprünglich dem Haupt Apollos entlehnt war, und daß ihn schon die Köpfe apotheosierter römischer Kaiser haben. Diesem berühmten Musiv gegenüber erscheint auf der linken Seite der Tribüne die Gemahlin Justinians, Theodora, einst eine öffentliche Dirne in Byzanz, eine durch ihre schamlose Kunst, die unzüchtigsten Szenen auf der Bühne darzustellen, berüchtigte Schauspielerin, dann die erlauchte Kaiserin des Morgen- und Abendlandes, wert erachtet, im Sanktuarium einer Kirche unter frommen Heiligen abgebildet zu sein, ja wie der Heiland selbst einen Nimbus ums Haupt zu tragen. Wenn man die haarsträubenden Geschichten kennt, welche Procopius, der Geheimschreiber Belisars und der letzte klassische Geschichtschreiber des Altertums, von diesem Weibe erzählt, oder wenn man sich erinnert, wie er in der Historia Arcana (den Mysterien von Byzanz) den Charakter Justinians gebrandmarkt hat, so befremdet es, ihre Abbilder in dem schönen, heiligen Raum eines Tempels zu finden. Aber missen möchten wir sie dennoch nicht, denn sie sind für die Anschauung der Geschichte von hohem Wert, und weil die damalige Kunst noch darstellende Kraft genug besaß, so dürfen wir annehmen, daß jene Kaisergestalten mehr als nur einen Anflug von Porträtähnlichkeit besitzen.

Theodora erscheint als ein imposantes, schönes Weib von wahrhaft kaiserlicher Gestalt, in noch jugendlichem Alter. Sie trägt das reiche byzantinische Diadem. Ihr braunes Obergewand ist nach orientalischer Art kostbar mit Gold und Edelsteinen geziert. Auch sie hält eine Vase als Weihgeschenk in den Händen. Die Hofdamen neben ihr sind nicht minder schöne Gestalten in reichen brokatenen Gewändern, von lebhaftem Farbenschmuck und noch antiker Form. Auffallend ist ihre Haartracht, denn sie gleicht durchaus den Frauenperücken aus der Zeit der Flavier und Antonine in Rom. Wenn in diesen Frauen, welche einander ähnlich sehen, auch kein Porträt gesucht werden kann, so betrachtet man doch mit lebhafter Spannung die Gestalten von Griechinnen aus der Epoche der glänzendsten Pracht und der raffiniertesten Üppigkeit des Hofes von Byzanz. Der Künstler verlieh ihnen allen wahrhafte Größe ohne Übertreibung, und er goß einen so feierlichen und doch schönen Ernst selbst über die profanen Weiber aus, daß die Heiligkeit des Orts durch keinen unpassenden Zug gestört werden konnte. Überhaupt ersieht man aus diesen prächtigen, farbenglühenden Musiven, daß die byzantinische Kunst, welche sie schuf, noch auf dem Grunde der Antike stand. Nicht eine Spur von jenem überheiligen, alle weltliche Freude abtötenden Wesen oder jenem späteren verknöcherten Mönchsstil der Malerei, welchen man einmal den byzantinischen zu nennen beliebt hat, ist hier sichtbar.

Die Kirchen Roms, so unschätzbar ihre musivischen Monumente sind, besitzen keine mehr aus jener Epoche des 6. Jahrhunderts, welche dem geschichtlichen oder künstlerischen Werte jener in S. Vitale gleichkämen. Zu derselben Zeit, als man die ravennatische Basilika baute, oder doch höchstens zehn Jahre später wurde in Rom unter Narses die Basilika der zwölf Apostel aufgeführt; aber ihre Musive gingen unter, und sie bieten daher keinen Vergleich mehr mit denen in S. Vitale dar. Nur die berühmten, schönen Musive aus der alten Basilika S. Cosma und Damianus, die von Felix IV. in der Gotenzeit (524-530) auf dem Forum Roms erbaut worden ist, haben sich erhalten. Ihr Stil, äußerst kraftvoll und sehr eigentümlich, kommt an künstlerischer Vollendung den ravennatischen Musiven nicht gleich.

Ich war erfreut, in S. Vitale römische Mosaikarbeiter zu finden, welche dort schon lange arbeiten und noch vom päpstlichen Regiment beauftragt waren, die Musive Ravennas zu restaurieren. Es gab eine Zeit, wo die musivische Kunst in Rom untergegangen war, und wo man dorthin Künstler aus Byzanz oder aus der Mosaikschule holte, welche der berühmte Desiderius in Monte Cassino errichtet hatte. Als mit dem 13. Jahrhundert seit Innocenz III. und Honorius III. die römische Kunst einen neuen Aufschwung nahm, wurde das freilich anders. Die einheimische römische Musivarbeit erhielt sich seither mit geringer Unterbrechung in schöner Blüte bis auf den heutigen Tag. Die Familie, die ich in Ravenna arbeitend fand, Vater und Sohn, hat diese Kunst ererbt, und alle ihre Mitglieder haben sich ihr gewidmet. Herr Kibel war gerade dabei tätig, schadhafte Stellen in einem Nebenmusiv der Tribüne zu ersetzen und andere zu reinigen. Man hat ein chemisches Wasser erfunden, welches die von der Zeit geschwärzten Mosaiken glänzend wiederherstellt. Der Versuch, den der Mosaizist an einem Bilde bereits gemacht hatte, war so vollständig gelungen, daß das Gemälde in der blühendsten Farbenfrische verjüngt worden war. Mit der Zeit werden alle jene Musive die gleiche Reinigung erhalten und dann erst den vollen Genuß ihrer Ursprünglichkeit gewähren.

Diese Herren beschenkten mich mit einer der seltensten Gaben für ein photographisches Album der Gegenwart, mit dem Porträt Justinians in Visitenkartenformat. Sie hatten ein musivisches Brustbild des Kaisers als den Rest von Musiven vorgefunden, welche ehemals die innere Wand über dem Portal von S. Apollinare Nuovo schmückten, sie hatten es gereinigt und von ihm Photographien genommen. Justinian ist darin wie in S. Vitale vorgestellt, doch nur bis zur Büste. Sein Antlitz ähnelt durchaus dem in jener Basilika, nur erscheint es mehr in fast weichlich gewordener Fülle des Alters. Er trägt auch hier die braune Toga mit der diamantenen Agraffe auf der Schulter; sein Diadem ist auch hier von jener doppelten Reihe von Edelsteinen gebildet, wie man es auf byzantinischen Kaisermünzen sieht. Auch hier umgibt sein Haupt ein kreisförmiger Nimbus von purpurroter Farbe und mit weißen Punkten, welche Perlen zu bedeuten scheinen. Das Bild steht auf Goldgrund, über ihm liest man in römischer Schrift den Namen JVSTINIAN. In der Tat ein merkwürdiges Porträt, und eine Photographie, wert, daß man sie ins Ausland sich verschreibe.

Wenn man aus S. Vitale in einen der äußeren Räume tritt, so gelangt man an eine verschlossene Zelle, welche Trümmer von Altertümern bewahrt. Unter ihnen steht ein großer Sarkophag aus griechischem Marmor, dessen Vorderteil mit der Verehrung des Christuskindes durch die drei Magier in Relief geschmückt ist, und auf dessen Deckel eine große griechische Inschrift in den schönsten und saubersten Charakteren zu lesen ist. Ich kannte diese merkwürdige Inschrift lange; sie jetzt wirklich mit Augen zu sehen und zu lesen, machte mir die größte Freude. Sie verherrlicht einen toten Exarchen; die Urne überhaupt ist das einzige Exarchengrab, welches sich erhalten hat, also das geschichtliche Monument jener Epoche, wo diese byzantinischen Patrizier und Höflinge, von denen mehrere, gleich Narses, Eunuchen waren, Italien regierten, als Vampyre aussogen und zugrunde richteten. Es ist der achte Exarch Isaak, der dort im Jahre 641 oder 644 bestattet wurde. Er war Armenier von Geburt. Das Glück wollte ihm wohl, denn er vermochte eine Rebellion in Rom zu unterdrücken, wo sich ein kaiserlicher Beamter zum Tyrannen aufgeworfen hatte. Nun rühmt die pomphafte Inschrift, daß Isaakios, Mitstreiter der Kaiser, der Glanz von ganz Armenien, welcher Rom und den Okzident 18 Jahre lang seinen erlauchten Herren unversehrt bewahrt hatte, von der keuschen Susanna, seiner Gemahlin, die der Turteltaube gleich seinen Verlust beseufzte, nach ruhmvollem Tode als Strateg des Abendlandes und des Orients hier bestattet worden ist. Mit S. Vitale fast gleichzeitig wurde die schöne Basilika S. Apollinare Nuovo vollendet; begonnen hatte sie schon Theoderich, als Hauptkirche seines arianischen Glaubens. Nach dem Falle der Gotenherrschaft wurde sie sodann dem katholischen Ritus geweiht. Das Schisma zwischen Arianern und Katholiken trennte damals Italien in zwei kirchliche Systeme, aber der aufgeklärte Sinn Theoderichs hielt die religiöse Duldung bis gegen sein Ende fest, ehe ihn ein gegen die Arianer erlassenes Edikt des byzantinischen Kaisers von diesem Prinzip abzugehen zwang. Er baute in Rom wie in Ravenna, wo sich noch die gotische Taufkapelle erhalten hat, arianische Kirchen, und diese wurden damals von den Katholiken als ebenso ketzerisch und profan betrachtet wie heute die Kirchen der Waldenser und Protestanten.

Apollinare Nuovo stellt sich äußerlich, wie alle übrigen Basiliken Ravennas, als sehr unscheinbar dar. Ihr zur Seite steht ein Glockenturm von jener auffallenden Gestalt, welche Ravenna eigen zu sein scheint, da sie sich auch bei mehreren andern Kirchen findet. Diese barbarisch aussehenden Türme sind kreisrund und unverjüngt, von nur mäßiger Höhe, aus rohem Ziegelstein gebaut, ohne Gliederung noch sonstiges Ornament, außer jenem, welches durch die Rundbogenfenster mit kleiner Mittelsäule hervorgebracht wird. Ich halte sie für Bauten nicht schon des sechsten, sondern frühestens des achten oder neunten Jahrhunderts. Der innere Raum der Kirche besteht aus drei Schiffen, die auf 24 Säulen von griechischem Marmor ruhen und, wie die meisten alten Basiliken Ravennas, durch edle Einfachheit sich auszeichnen. Was diese Kirchen von den römischen derselben Epoche unterscheidet, ist überhaupt der Eindruck heiterer und idealer Anmut, welche die Genüsse der Welt noch nicht verleugnet hat. Auch bemerkt man bald, daß sie freie Produktionen der damaligen lebenskräftigen Zeit sind, welche ein typisch gewordenes Ideal doch eigenartig durchführte. Obwohl das in Trümmer gehende alte Ravenna den Baumeistern eine reiche Fülle antiker Säulen darbieten mußte, so haben sie es doch verschmäht, sich ihrer zu bedienen. Vielmehr zeigen sich sowohl die Säulen als die schwieriger herzustellenden komponierten Kapitäle als selbständige Arbeiten der Zeit. Anders ist dies in Rom, wo neu entstehende Basiliken meist aus zusammengesuchten Resten des Altertums erbaut wurden, daher ihre Säulen und selbst die Kapitäle ungleichartig sind und den Eindruck eines harmonischen Ganzen beeinträchtigen.

Das Mittelschiff von S. Apollinare Nuovo ist mit schönen Musiven geziert. Wenn jene von S. Vitale durch die Aufnahme wirklicher historischer Persönlichkeiten merkwürdig sind, so sind es diese durch Abbildungen von Bauwerken Ravennas aus jener Zeit. Freilich sind diese Bilder nur andeutend getreu. Auf der rechten Wandfläche des Schiffs erblickt man in lebhaft strahlenden Farben die Stadt Ravenna mit der Kirche S. Vitale, mit andern Gebäuden und dem Palast Theoderichs. Er stellt sich als eine Fassade von Säulenstellungen in Rundbogenform dar; zwischen den Säulen des Portikus hängen Vorhänge von weißer Farbe mit dareingewirkten roten Blumen. Theoderich hat solchen Schmuck der byzantinischen Palastsitte nachgeahmt; auch weiß man, daß im frühesten Mittelalter zwischen den Säulen der Kirchenschiffe wie der Vorhallen kostbare Teppiche ausgespannt wurden. Dieser Gebrauch war vom Tempel Salomons und überhaupt vom Orient entlehnt. Auf dem Frontispiz des Gebäudes steht in goldenen Buchstaben das Wort «Palatium», womit nur die Residenz Theoderichs bezeichnet sein kann. Es folgen fünfundzwanzig Gestalten von Heiligen mit Kronen in den Händen, durch Palmbäume voneinander abgetrennt. Ihre Reihe beschließt Christus auf dem Thron zwischen Engelfiguren in schwarzbraunem Gewande, bärtig, doch ganz jugendlich, und ohne den späteren Ausdruck unnahbarer Majestät.

Auf der linken Wand eine entsprechende Komposition von heiligen Jungfrauen, welche auf der einen Seite die Verehrung der Magier, auf der andern ein architektonisches Abbild beschließt. Die thronende Jungfrau ist eine anmutige Gestalt, mit nonnenhafter Verschleierung um das Haupt. Die Magier tragen bunte, brokatene, sehr kurze Mäntel, Röcke und Hosen, womit ihre barbarische Herkunft aus fremden Landen bezeichnet ist. Ihrer Gestalt nach stellen sie, wie gewöhnlich, drei Lebensalter dar. Die heiligen Frauen erscheinen ohne Individualität in ein und derselben Haltung und Gesichtsbildung, mit reichen byzantinischen Gewändern, weißen Schleiern und griechische Diademe auf dem Haupt. Diese Gestalten, alle noch kunstvoll in Licht und Schatten gemalt, zeichnen sich vor andern Figuren der ältesten Darstellung von Heiligen aus, die man in römischen Basiliken, so in S. Paul und andern Kirchen, meistens auf den Triumphbogen oder den Seitenflächen der Tribünen abgebildet sieht. In ihnen lebt noch die Tradition antiker Kunst; kein Zug späterer Barbarei ist sichtbar, und selbst die immer wiederkehrende Gleichheit ermüdet nicht durch Einförmigkeit, sondern sie verleiht dem Ganzen eine feierliche Ruhe, welche durch die Wohlgestalt reichgeschmückter Erscheinungen angenehm belebt wird.

Dem Abbilde Ravennas entspricht am Ende jener Reihe das Bild der untergegangenen Vorstadt Classe: eine festgemauerte Burg mit Zinnen und Türmen, das blaue Meer, Segelschiffe, welche den Hafen bezeichnen. Dies ist von kräftiger Wirkung.

Ravenna besitzt keine Kirche mehr, welche S. Apollinare Nuovo an edler Pracht und schönen Verhältnissen gleichkäme; aber noch eine Reihe von andern alten und merkwürdigen Basiliken, die ich nur andeuten will. Theoderich ließ dort manche arianische Kirche bauen, wie Spirito Santo, die noch erhalten ist, und S. Maria in Cosmedin, einen achteckigen Bau, die arianische Taufkapelle. Ich werde mich weder hier aufhalten, noch bei älteren Monumenten aus der Zeit der Galla Placidia, wie S. Giovanni Evangelista, S. Agata und S. Franciscus. Nur die Metropolis oder Domkirche der Stadt würde als Sitz der einst mächtigen Patriarchen eine aufmerksame Betrachtung fordern, wenn sie nicht im 18. Jahrhundert gänzlich umgebaut worden wäre.

Sie war der älteste Kirchenbau Ravennas und wenig später gegründet als S. Peter, S. Paul und der Lateran in Rom. Ihre Anlage rührte vom Erzbischof Ursus her, von dem sie auch den Namen Basilika Ursiana erhielt. Sie war ursprünglich, wie der alte S. Peter und S. Paul, eine fünfschiffige Basilika, die auf 56 Säulen ruhte. In ihren Schiffen sah man manches Gemälde, welches Szenen aus der Geschichte Ravennas darstellte. Alles dies ist untergegangen, und der Neubau, so prächtig einzelne Teile in ihm sind, reizt uns nicht. Dagegen hat der erzbischöfliche Palast, welcher mit dem Dom verbunden ist, noch Reste des Altertums bewahrt, namentlich die sogenannte Capella Domestica, die noch mit Musiven des fünften Jahrhunderts bekleidet ist.

Heute ist der größte Schatz des erzbischöflichen Palastes sein berühmtes Archiv. Die Sammlung von Pergamenten (noch jetzt fast 25 000 an der Zahl) und von Papyrusschriften, die bis ins fünfte Jahrhundert hinaufreichen, gehörte, ehe diese letzteren in den Vatikan nach Rom kamen oder in den Stürmen der Zeit untergingen und zerstreut wurden (eine große Anzahl mittelalterlicher Urkunden liegt heute in Forli und wird wahrscheinlich an das Archiv in Bologna kommen), zu den größten Schätzen der diplomatischen Wissenschaft. Wer nur immer mit der Geschichte des Mittelalters bekannt ist, weiß von den Papiri di Ravenna, welche der gelehrte Marini ediert hat, von Rossis Geschichte dieser Stadt, deren urkundlicher Stoff (freilich unkorrekt genug) aus jenem Archiv gezogen ist, und von Fantuzzis großer Urkundensammlung (Monumenti Ravennati). So groß aber ist der Reichtum des in jenem Archiv heute Vorhandenen, daß er noch lange nicht erschöpft ist. Ein diplomatischer Kodex ravennatischer Urkunden nach dem System der heutigen Wissenschaft ist sehr zu wünschen.

Nicht weit vom Dom steht das alte Baptisterium S. Giovanni in Ponte. Auch seine Einrichtung schreibt man dem Erzbischof Ursus zu. Der merkwürdige Bau achteckiger Form hat nur zwei römische Bogenstellungen übereinander von höchst altertümlicher Gestalt. Eine Kuppel umwölbt ihn, ganz und gar mit Musiven bekleidet, welche noch vom antiken Ideal durchdrungen sind. Sie stellen in der Mitte die Taufe Christi im Jordan, ringsumher die zwölf Apostel dar.

Außerhalb der Stadt liegen noch zwei andere alte Basiliken, S. Maria in Porto und S. Apollinare in Classe fuori. Die letztere ist bei weitem die schönste von allen Kirchen, welche Ravenna besitzt, und dorthin wollen wir noch hinübergehen. Man weiß, daß ehemals das Meer nahe an der Stadt lag und im Verein mit Flüssen und Sümpfen dieser eine Festigkeit und merkantile Bedeutung gab, welche dem späteren Venedig gleichkam. Auch Ravenna, dessen Gründung in fabelhafte Zeiten hinaufreicht, war ursprünglich, gleich Venedig, zum Teil auf Inseln gebaut, während die Lagunen des nahen Po im Norden und andere Sümpfe im Westen sich ausbreiteten. Eine so ausgezeichnete Lage bestimmte schon Augustus, Ravenna zu einer Flottenstation des Adriatischen Meeres zu machen, und so entstanden die Vorstädte Cäsarea und der Hafen Classe, welcher letztere von jener Station selbst seinen Namen erhielt. Lange Zeit behauptete Ravenna den Handel auf dem Adriatischen und Ionischen Meer mit dem Orient, bis es teils durch Versandung seines Hafens, teils durch allgemeine politische Verhältnisse herabkam und seine Bedeutung auf Venedig überging.

Das Meer hat sich mit der Zeit sieben Millien weit von der heutigen Stadt zurückgezogen, so daß man seiner dort nirgends ansichtig wird. Nur an der feuchten Seeluft, welche über die Wälder der Küsten herweht, merkt man seine Nähe. Der alte Hafen ist verschwunden; nicht einmal seine Lage kann man heute mit Sicherheit angeben. Der Name einer Kirche vor den Mauern der Stadt, Santa Maria in Porto, und auch S. Apollinare in Classe bezeichnen obenhin die Richtung, wo einst Hafen und Arsenale sich befunden haben. Um nach der Basilika in Classe zu gelangen, muß man etwa drei Millien weit nordostwärts gehen. Man überschreitet zuerst den Ponte Nuovo, die Brücke über den Fluß Ronco. Sodann erblickt man zwei Millien vor sich jene altertümliche Basilika mit dem runden braunen Glockenturm neben ihr in völliger Einsamkeit. Ringsum eine weite, zum Teil sumpfige Ebene von ernst melancholischem Charakter, hie und da mit Reis bepflanzt, welcher das Wasser liebt. Gegen das Meer hin umschließt sie als der schönste Gürtel der meilenweite berühmte Pinienwald, und landwärts steigen am Horizont die blauen Apenninen Bolognas auf.

S. Apollinare in Classe verhält sich zu Ravenna wie S. Paul vor dem Tor zu Rom. Aber während diese große Basilika durch den Brand, der sie verschlang, zerstört wurde und jetzt als ein moderner Luxusbau der Asche entstieg, ist jene unversehrt geblieben. Sie bietet, äußerlich halb verrottet und neben Ruinen ihres ehemaligen Klosters, in einer grenzenlosen Verlassenheit das reizendste Bild des Mittelalters dar.

Sie wurde im Jahre 535 von Julianus Argentinus errichtet (dem man die meisten Basiliken Ravennas jener Zeit zuschreibt) und schon im Jahre 549 von demselben Patriarchen Maximianus geweiht, welcher auch S. Vitale vollendet hatte. Von dem Quadriporticus, der sie umgab, ist nur die vordere Seite stehengeblieben. Sie bildete jetzt die Vorhalle, welche bei allen alten ravennatischen Kirchen mit dem Begriff Ardica (entstanden aus Narthex) bezeichnet wird.

Das Innere ist ein herrlicher Raum von den edelsten und einfachsten Verhältnissen. 24 prächtige Säulen aus griechischem Marmor, nicht alten Tempeln entrafft, sondern zum Bau gehauen und geziert mit komponierten Kapitälen, teilen diese Schiffe, über denen sich, nach dem ursprünglichen Baustil, noch das nackte Sparrendach erhebt. Die schönen Mosaiken der Tribüne, ehrwürdige Werke das sechsten Jahrhunderts, glänzen beim Eintritt dem Blick entgegen. Alles atmet hier den Geist der alten Zeit, und dieser Eindruck wird verstärkt durch den Anblick einer großen Reihe von gewölbten, schwerfälligen Sarkophagen, welche an den Wänden der Nebenschiffe stehen. Ich habe in keiner Stadt so viel alte Sarkophage in Kirchen frei aufgestellt und beisammen gesehen außer in Arles in der Provence, und der Anblick jener in S. Apollinare (auch andere Kirchen Ravennas sind daran reich) rief mir sofort die Erinnerung an die berühmte Gräberstraße von Arles zurück. Die ravennatischen Graburnen unterscheiden sich auf eigentümliche Weise von den römischen der christlichen Epoche. Rom besitzt deren viele und ausgezeichnete in den Grotten des Vatikans oder im Lateranischen Museum, hie und da auch in Kirchen, namentlich aus dem späteren Mittelalter. Es besitzt eine große Menge von Graburnen des frühesten Christentums, welche alle mit Reliefs von heiligen Geschichten bedeckt sind. Die Urnen in Ravenna dagegen gehören der gotischen, byzantinischen und auch barbarischen Zeit an. Sie sind fast durchweg bildlose, sehr massive Sarkophage aus griechischem Marmor von weißgrauer Farbe, mit christlichen Symbolen bezeichnet und mit einer einfachen Inschrift versehen. Keiner von ihnen ist, meines Wissens, dem heidnischen Altertum entlehnt, wie es in Rom selbst einige Grabmäler der Päpste sind, sondern sie wurden selbständig gearbeitet. Ihre seltsame, mächtige Form bringt eine tiefe Wirkung hervor; in solchen hochgewölbten und plumpen Sarkophagen möchte man eher gotische Helden als fromme Patriarchen bestattet glauben. Aber es scheint, daß die Bildhauerkunst in Ravenna schon zur Zeit der Galla Placidia abgestorben war, denn sie ist dort nur wesentlich in ihrer Beziehung auf die Architektur sichtbar. Die bildnerische Kunsttätigkeit vereinigte alle ihre Kraft in der Mosaik, wo sie freilich noch eine schöne Blüte trieb.

Jene Graburnen standen ehemals, christlicher Sitte gemäß, im äußeren Portikus der Kirche. Sie verschließen Patriarchen der Stadt vom fünften bis zum elften Jahrhundert. Die lange Reihe der ravennatischen Erzbischöfe hat man übrigens, doch erst in moderner Zeit, auf den Wänden der Kirchenschiffe in Porträts dargestellt, und dies dem Muster von S. Paul bei Rom nachgeahmt. Wie jene der Päpste mit Petrus, so beginnt diese mit seinem Missionär Apollinaris, dem Stifter des ravennatischen Erzbistums. Der Schutzpatron und das hierarchische Haupt Ravennas war nach der absichtsvollen römischen Tradition von S. Peter in Rom zum Bischof eingesetzt worden, also Schüler und Jünger des Fürsten der Apostel, aber trotzdem machte er lange Zeit dem Schutzpatron Roms den Primat streitig, oder vielmehr die ravennatischen Bischöfe, welche sich seine Nachfolger nannten, sträubten sich jahrhundertelang, die Obergewalt des römischen Stuhles anzuerkennen. Auch das Dominium temporale des Apollinaris war sehr reich. Die Erzbischöfe dort besaßen liegende Güter selbst in dem fernen Sizilien und im Orient, und wir bemerkten schon, daß sie sich zu Gebietern des Exarchats machten, die Ansprüche des Papstes nicht achtend, welche diese schöne Erbschaft seit dem Falle des Langobardenreichs unter die Franken ihnen lange Zeit ohne Erfolg bestritten haben.

Noch im elften Jahrhundert war das Patriarchat in Ravenna so reich und mächtig, daß Heinrich IV. dort seine kräftigste Stütze im Kampf mit Gregor VII. und der Gräfin Mathilde fand; es war Wibert, der Erzbischof Ravennas, welchen er als Clemens III. zum Gegenpapst erhob. Es bezeichnete indes die Grenze der Macht der ravennatischen Kirche, welche seither zerfiel.

In der Blütezeit des Reichs waren mehrere Deutsche von den Kaisern hier zu Erzbischöfen erhoben worden und mit großen Privilegien der Immunität und Jurisdiktion beschenkt. Auch gingen einige Päpste aus der Reihe der ravennatischen Erzbischöfe hervor, wie der kräftige Johann X. und der berühmte Gerbert oder Sylvester II. zur Zeit Ottos III., während große Heilige, Romuald und Pier Damiani, ihrer Kirche Glanz verliehen. So ist die Geschichte der Erzbischöfe von Ravenna (sie verdiente eine gründliche, kritische Durcharbeitung) bis zum 12. und 13. Jahrhundert ein wesentlicher Teil der Geschichte der römischen Kirche selbst wie des italienischen Mittelalters, und von der größten Merkwürdigkeit. Den ersten Versuch, sie zu schreiben, machte in der Mitte des siebenten Jahrhunderts Agnellus von Ravenna, in seinem Liber pontificalis, einem Werk, das den Stempel tiefster Barbarei in der Behandlung der lateinischen Sprache und des Stoffs an sich trägt, aber ehrwürdig ist durch Alter, unschätzbar durch viele historische Nachrichten und anziehend durch seine kindliche Naivität.

Mehrere Erzbischöfe Ravennas sind in den Mosaiken der Tribüne abgebildet; diese ähneln zwar im Charakter noch jenen, die wir in der Stadt gesehen haben, scheinen mir aber doch später als sie. Auch hier ist die Konsekration der Basilika dargestellt durch die Figuren S. Maximians und des zu seiner Rechten stehenden Justinian. Der Kaiser hält Pergamentrollen in der Hand, auf denen man das Wort «Privilegia» liest, und Gestalt wie Gewandung gleicht seinen andern musivischen Porträts. Die Pietät der Geistlichkeit von S. Apollinare hat das Andenken der Wohltäter ihrer Basilika durch Inschriften auf den Wänden geehrt. Wenn sie auch neueren Datums sind, so erfüllen sie doch den schönen Tempel noch mehr mit historischem Geist und rufen die Erinnerung einer langen und großartigen Geschichte ins Gedächtnis zurück. Eine Tafel ist Narses geweiht, von dem sie rühmt, daß er nach Besiegung der Gotenkönige und der Wiederherstellung des Friedens in Italien dieser Kirche ein neues Gebäude hinzugefügt habe. Eine andere preist die Kaiser Justinian, Ludwig II., Otto I., Otto II., Otto III., Heinrich III., Otto IV. und selbst die Hohenstaufen Friedrich I. und Friedrich II. wegen der Privilegien, welche sie dem Tempel und Kloster von Classe reichlich verliehen haben.

Seit Karl dem Großen, der Ravenna eines Teils seiner Zierden beraubt hatte, gab es bis auf die Hohenstaufenzeit nur wenige deutsche Kaiser, welche jene Stadt auf ihren Romfahrten oder während ihrer Kämpfe in Italien nicht besucht hätten. Dies kann man aus den Itinerarien sehen, die ihre Regesten darbieten. Die Hauptstadt des alten Exarchats sicherte ihnen eine bedeutende Stellung in Italien, im Kampfe mit den Städten sowohl als mit den Päpsten; die Besitzestitel, welche diese darauf geltend machten, anerkannten die Kaiser nicht, denn seit der Ottonischen Zeit waren Romagna und Exarchat zweifellos Reichsländer und von kaiserlichen Grafen regiert. Erst Rudolf von Habsburg verzichtete zugunsten des Heiligen Stuhls feierlich auf die uralten Rechte, welche das Reich dort behauptet hatte. Am häufigsten waren die Ottonen in Ravenna, Otto I. sogar fünfmal, in den Jahren 967, 968, 970, 971 und 972. Dieser kräftigste unter den deutschen Herrschern über Italien betrachtete den Papst so wenig als Herrn Ravennas, daß er sich sogar nicht weit von den Mauern dieser Stadt einen neuen Palast erbaute. Wo dieser lag, ist nicht mehr mit Gewißheit anzugeben, aber weder Cäsarea noch Classe waren zu jener Zeit schon ganz und gar verschwunden.

Zweimal wohnte Otto II. in Ravenna, dreimal Otto IV. Dieser jugendliche Fürst ernannte hier im Jahre 996 den ersten Deutschen zum Papst, seinen Vetter Bruno, der ihm bald darauf als Gregor V. in Rom die Kaiserkrone aufsetzte. Er liebte Ravenna und dessen Heilige mit der ihm eigenen schwärmerischen Leidenschaft. Er erhob hier den berühmten Gerbert, seinen Lehrer, vom Erzbischofstuhl auf den päpstlichen in Rom. Wenige Jahre gingen hin, und Otto III. erschien als Flüchtling, von den Römern vertrieben, im Kloster zu Classe, um einige Wochen in der Zelle des berühmten Romuald im Mönchsgewand unter Bußübungen zuzubringen. Dies war die schmerzlichste Epoche im Leben des letzten der Ottonen.