Warrior of Light 2: Gezeichnete der Dämmerung - Jessica Wismar - E-Book

Warrior of Light 2: Gezeichnete der Dämmerung E-Book

Jessica Wismar

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Beschreibung

Akzeptiere dein Schicksal und werde zu einer der stärksten Kriegerinnen deiner Zeit!  Nie hätte Miko gedacht, dass sie einmal zu den erfolgreichsten Absolventen der St. Mountain Academy of Fighters zählen würde. Doch im Kampf um das Leben unzähliger Krieger hat sie nicht nur ihre geheime Gabe offenbart, sondern auch ihre Fähigkeiten als Anführerin unter Beweis gestellt. Als solche soll sie nun von den Roten Zehn ausgebildet werden, den legendärsten Kriegern ihrer Zeit. Zusammen mit Luca, dem Mann, den sie liebt, stellt sie sich der neuen Herausforderung und den inneren Dämonen, die sie seit der Abschlussprüfung verfolgen. Viel Zeit bleibt ihr jedoch nicht, denn schon sieht sie sich einer neuen Prüfung gegenüber, die sie direkt mitten ins Herz der Dunkelheit führt … Nervenaufreibende Romantasy voll magischem Knistern!  Tauch ab in Jessica Wismars neuer Fantasy-Trilogie und werde zur Kriegerin zwischen Licht und Dunkelheit. //Dies ist der zweite Band von Jessica Wismars Buchserie »Warrior of Light«. Alle Bände der Reihe bei Impress: -- Warrior of Light 1: Gesandte des Lichts -- Warrior of Light 2: Gezeichnete der Dämmerung -- Warrior of Light 3: Gejagte der Finsternis Diese Reihe ist abgeschlossen.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

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Jessica Wismar

Warrior of Light 2: Gezeichnete der Dämmerung

Akzeptiere dein Schicksal und werde zu einer der stärksten Kriegerinnen deiner Zeit!

Nie hätte Miko gedacht, dass sie einmal zu den erfolgreichsten Absolventen der St. Mountain Academy of Fighters zählen würde. Doch im Kampf um das Leben unzähliger Krieger hat sie nicht nur ihre geheime Gabe offenbart, sondern auch ihre Fähigkeiten als Anführerin unter Beweis gestellt. Als solche soll sie nun von den Roten Zehn ausgebildet werden, den legendärsten Kriegern ihrer Zeit. Zusammen mit Luca, dem Mann, den sie liebt, stellt sie sich der neuen Herausforderung und den inneren Dämonen, die sie seit der Abschlussprüfung verfolgen. Viel Zeit bleibt ihr jedoch nicht, denn schon sieht sie sich einer neuen Prüfung gegenüber, die sie direkt mitten ins Herz der Dunkelheit führt …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Nachwort

© Annika Kitzmann

Neujahr 1990 wurde Jessica Wismar als zweite von vier Töchtern geboren. Was mit dreizehn Jahren als emotionales Ventil diente, wurde über die Jahre zu einer Leidenschaft und Texte, die zunächst nur für sie selbst bestimmt waren, dürfen jetzt auch andere begeistern. Als Mittlere war es für Jessica schon immer wichtig auch die andere Seite zu verstehen, was sie in ihre Charaktere einfließen lässt. Dadurch werden die Figuren facettenreich, was einen bis zum letzten Wort mitfiebern lässt.

Dieses Buch ist für Jacqueline, weil in jedem von uns mehr steckt als das Offensichtliche.

PROLOG

Auf leisen Sohlen schlich Fia durch die dunklen Steingänge. Natürlich musste es ein verdammtes Höhlensystem sein. Der kalte schwarze Stein unter ihren Fingern war feucht und der muffige Geruch ließ sie die Nase rümpfen. Fia unterdrückte einen Schauer, als ihre Kuppen über etwas Glitschiges strichen, doch die Wände waren ihre einzige Orientierung, um sich von Höhle zu Höhle voranzutasten. So ganz ohne Licht war es schwer, ihr Ziel zu finden, und noch schwerer, keine Geräusche zu machen, aber das Armband der Meera verlieh ihr Unsichtbarkeit und die war an diesem düsteren Ort tausendmal wichtiger, als dass sie Licht hatte.

Das leise, so verhasste Röcheln erklang vor ihr. Fia erstarrte in der Bewegung und lauschte.

»Wach auf«, erklang eine raue, tiefe Stimme, die einem Zweiten gehören musste. Jene von ihnen, die so animalisch röchelten, sprachen nie deutlich Worte aus.

Ein schnarrender Laut ertönte.

»Reiß dich zusammen. Man ruft uns.«

Zur Antwort bekam der ungeduldige Sprecher ein gähnendes Schmatzen und ein Geräusch, das vor Fias Augen direkt das Bild eines trägen Kerls entstehen ließ, der sich kratzte.

»Los!«, bellte der Erste und Fia lief eine Gänsehaut über den Rücken. Manchmal klangen ihre Stimmen so normal. Wüsste sie nicht, wer oder besser was hinter der Biegung des Ganges lauerte, würde sie es nach der Stimme des Sprechers kaum vermuten.

»Chromme.«

Die zweite Stimme hingegen … Fia schüttelte sich. Sie klang überhaupt nicht mehr menschlich. Kehlig, kratzig. Sie hatte bis heute nicht herausgefunden, welche von ihnen normal und welche mit dieser verzerrten Stimme sprachen.

Fia konnte es kaum fassen, als ein Rascheln zu hören war und Schritte folgten, die immer leiser wurden. Sie dachte an Traian, den Kriegsmeister, für den sie Aufträge erfüllte und der inzwischen zu etwas wie einem Freund geworden war. Tja, manchmal konnte man eben doch Glück haben. Sie grinste zufrieden. Das musste sie diesem Pessimisten unbedingt erzählen.

Als der Gang still vor ihr lag, huschte Fia den erdig riechenden Tunnel weiter entlang. Dieser Auftrag gestaltete sich gerade leichter, als sie erwartet hätte. Wenn das so weiterging, konnte sie zum Ende der Prüfung wieder daheim sein und sehen, wer alles einmal ihrem Team zugeordnet werden würde. Sie dachte daran, wie Traian geplant hatte, den diesjährigen Abschlussjahrgang zu fordern. Eine Gänsehaut kroch ihre Arme hinauf und sie bekam Mitleid mit den unvorbereiteten Kindern. Nur gut, dass Traian Leben konservieren konnte und nicht wirklich jemand sterben musste. Dessen ungeachtet würde sein Vorgehen einige Traumata hinterlassen, da war sie sich sicher. Auch bei Traian. Er hasste es, andere zu quälen, und war trotzdem gezwungen, so zu handeln, um sie über sich hinauswachsen zu lassen. Eine Ansicht, die sie mit ihm nicht unbedingt teilte, aber sie verstand die Logik dahinter, denn die Ergebnisse sprachen für sich. Dennoch musste es einen anderen Weg geben, einen, der weniger Narben hinterließ, bei ihm und diesen Kids.

Auf Zehenspitzen schlich sie um die Ecke, an der Kreuzung vorbei, die gerade noch bewacht gewesen war, und weiter durch einen schmalen Gang hindurch, der so feucht war, dass das Wasser darin stand und die schmalen Lederschlappen, die sich perfekt an ihre Füße schmiegten, unangenehm durchtränkte. So wurde es um einiges schwerer, keine patschenden Geräusche zu machen. Ganz vorsichtig setzte sie Schritt um Schritt.

Eine letzte Biegung und endlich war sie am Ziel. Vor ihr öffnete sich eine kleine Höhle, erleuchtet durch drei Fackeln, die leise in ihren Halterungen zischten. In der Mitte, auf einem kleinen Altar, lag er, der Dolch der Wahrheit.

Vorsichtig zog sie den kleinen Samtbeutel aus ihrer Weste. Sie wollte das Metall auf keinen Fall berühren.

Ein letztes Mal ließ sie ihren Blick schweifen. Niemand da. Sie lauschte. Keine Schritte. Jetzt oder nie.

Fia stülpte den Stoff auf links, umgriff damit den Dolch und streifte den Beutel wieder auf rechts. Das Artefakt verschwand vor ihren Augen, ebenso durch die Macht des Armbands geschützt wie Fia selbst.

»Soso. Wen haben wir denn da?«

Fia hielt den Atem an. Sie konnten sie nicht sehen. Nur nicht die Nerven verlieren.

Lautlos drehte Fia sich um, wobei sie sich leise hinter dem Altar in Sicherheit brachte. Was sie jedoch sah, schnürte ihr die Kehle zu. Der gesamte Eingang und auch der schmale Raum dahinter waren vollgestopft mit Schergen.

Unsichtbar oder nicht, wie sollte sie an so vielen vorbeikommen?

Der vorderste Scherge zückte einen Gegenstand und hielt ihn auf der ausgestreckten Handfläche vor sich. Das unscheinbare weiße Salz in der kleinen Glaskugel irritierte sie für einen Moment. Dann musterte sie das Wesen, das im Grundbau menschenähnlich war, aber durch seine verzerrten Proportionen und wulstigen Ausbeulungen ganz deutlich den Schergen zuzuordnen war. Was hatte dieses blassschwarze Monster vor? Doch als der Scherge seine grauenvoll entstellte Fratze zu etwas verzog, das entfernt an ein triumphierendes Lächeln erinnerte, spürte sie den Sog.

Fia keuchte auf. Das war nicht irgendein Salz, sondern das Salz der Reinheit, das jede Täuschung neutralisierte und die reine Wahrheit einer Erscheinung offenbarte.

Schritt für Schritt wich sie zurück, aber der Scherge kam unaufhaltsam näher. Der Sog wurde stärker und schließlich flackerten ihre Hände; Meeras Armband verlor vollkommen seine Wirkung. Wie betäubt starrte sie an ihrem Körper hinab, an ihrem vollkommen sichtbaren Körper.

Der Scherge blieb stehen. »Ah, da haben wir dich ja.«

Fassungslos realisierte Fia, dass sie gewusst hatten, dass sie kommen würde und auch wie. Eine entsetzliche Gewissheit fraß sich durch ihren Verstand: Sie war verraten worden.

KAPITEL 1

Die zweite Phase beginnt

Die mächtigsten Krieger und Kriegerinnen unserer Zeit … Ehrfurcht und Trotz rangen in mir miteinander. Sie hatten dem Kriegsmeister bei der Prüfung geholfen, uns zu quälen. Ein Teil von mir betrachtete die zehn Personen, die vor mir standen, weiterhin als Feind. Ein älterer Teil dagegen erinnerte sich an die geflüsterten Geschichten über diese zehn legendären Kämpferinnen und Kämpfer in ihren roten Roben. Doch die freundlichen Mienen und die teilweise lümmelnden Körper wollten weder zum einen noch zum anderen passen.

Mit den Fingern trommelte ich auf die Tischplatte der langen Tafel, an der wir saßen.

»Willkommen in eurem neuen Heim.« Die rote Eins lächelte uns freundlich entgegen.

Besonders er löste widerstreitende Gefühle in mir aus. Ich spürte das Echo seiner Hand an meiner Kehle, als er mir in der Prüfung erbarmungslos die Luft abgeschnürt hatte. Aber ich wusste auch, dass er mir heute das Leben gerettet hatte. Ich verstand zwar nicht ganz, wie ich den verheerenden Schaden in meinem Körper hatte übersehen können, dennoch stand außer Frage, dass ich ohne ihn inzwischen tot wäre. Denn die Schäden, die das Entziehen der Lebensenergie aus meinen Körperzellen verursacht hatte, waren katastrophal gewesen, dazu das unkontrollierte Sprengen dieser Blockade in mir, die meine Kräfte zurückgehalten hatte. Was er mir dazu erklärt hatte, erschloss sich mir nicht ganz, aber ich hatte begriffen, dass ich wohl sehr rabiat vorgegangen war und mir dabei zahllose Verletzungen zugefügt hatte, für deren Heilung mein Körper einfach nicht mehr genug Energie gehabt hatte.

Nachdem ich in der Krankenstation aufgewacht war, hatte mich die rote Eins mit derselben freundlichen Miene, die er auch gerade trug, gebeten, ihn von nun an Jano zu nennen.

Und dieser stand jetzt vor seinen Leuten, die im vorderen Teil der Baracke an den Wänden oder dem Türrahmen lehnten. Eine Frau mit dickem schwarzem Haar, das sie in einem geflochtenen Zopf trug, hockte sogar zusammen mit der Doppeleisenfaust, die wir im Kampf als Letztes geschlagen hatten, neben der Eingangstür auf dem Boden, die Arme lässig auf den Knien abgestützt. Die Kriegerin war die Walkara, gegen die Raika im Kampf keine Chance gehabt hatte. Ehrfürchtig musterte ich sie. Eine hohe Walkara, diesen Status erreichten nicht viele.

»Hier werdet ihr die kommenden zwei Jahre verbringen.« Die rote Eins deutete in einer umschweifenden Geste auf die Baracke und meinte damit wahrscheinlich auch die warme Insel, auf die man uns nach der Zuteilung mit knuffigen kleinen Booten gebracht hatte. »Eure Ausbildung beginnt morgen und endet, wenn wir beschließen, dass ihr so weit seid, in den Krieg gegen die Dunkelheit einzutreten, um Artefakte zu erbeuten oder Dimensionsportale zu schützen. Ihr seid bereits in der Lage, einen einzelnen Schergen zu bekämpfen, aber es ist etwas vollkommen anderes, einen zu töten oder gar in einer Schlacht gegen eine ganze Armee von ihnen anzutreten. Täuscht euch nicht, gerade toben an zwölf Orten weltweit solche Schlachten, gut verborgen vor den Augen der Menschen. Und einige der anderen Prüflinge werden schon in einem halben Jahr Teil davon sein. Von euch allerdings sollen manche eines Tages einen gefallenen Roten ersetzen. Dafür braucht es deutlich mehr als bloßes Kampfgeschick.«

Ich horchte auf. Manche von uns? Mein Blick glitt über die Gruppe, die an der langen Holztafel versammelt war. Dreizehn Kinder des Lichts. Nicht jeder von uns würde ein Roter werden. Automatisch griff ich nach Lucas Hand, der seine Finger mit meinen verflocht.

»Schaut euch um. Ihr esst, schlaft und trainiert von jetzt an als Einheit zusammen.«

Mein Blick huschte zu den Betten, die rechts und links an den Wänden standen und zu uns in die Raummitte ragten. Moment, wir alle sollten im selben Raum schlafen? Jungs und Mädchen zusammen? Ein eiskalter Klumpen entstand in meinem Bauch und ich presste die Hände in meinen Schoß. In der Prüfung so viel Haut vor anderen zu zeigen war das eine. Hier im Alltag? Meine Scham war nicht einfach weg und ohne die Ausnahmesituation? Ich würde ja so was von in T-Shirt und kurzen Hosen schlafen!

»Im Gegensatz zu anderen Auszubildenden habt ihr das Privileg, zu Roten ausgebildet zu werden. Dies bedeutet härteres Training, weniger Freizeit und einen deutlich höheren Anspruch, den wir an euch stellen«, verkündete er und mir sank das Herz in die Hose.

Wieso genau war ich noch mal Teil dieser Gruppe? Ich war die schlechteste Schülerin an der Saint Mountain gewesen. Automatisch dachte ich an die Dinge, die die anderen mir in der Prüfung gesagt hatten. Raika und Mike, Luca und Sascha. Sie alle hatten sich hinter mir versammelt, waren mir gefolgt. Ich war nicht wegen dem, was ich in der Academy gezeigt hatte, eine Auszubildende der Roten, sondern wegen dem, was ich in der Prüfung geleistet hatte. Bloß klang das, was die rote Eins gerade beschrieben hatte, nach Unterricht und darin war ich nun mal eine Niete!

»Ähm, hi, kurze Frage!«, meldete sich ein Junge, der mir schräg gegenübersaß und die Hand in die Luft streckte. An seinem Handgelenk baumelte ein ledernes Armband mit mehreren Anhängern.

»Ja, Roger?«, meinte die rote Eins.

»Eigentlich sind es sogar mehrere Fragen. Erstens: Haben wir freie Wahl bei den Betten? Und ist es normal, dass drei zu viel hier drin stehen?« Während er sprach, fummelte er gedankenverloren an dem kleinen Lederarmband herum. Dann sickerten seine Worte zu mir durch.

Mein Blick flog durch den Raum. Er hatte recht. Auf jeder Raumseite, in der hinteren Hälfte der Baracke, standen acht Betten. Wir waren aber nur dreizehn.

»Ja und ja«, antwortete die rote Eins lediglich … Jano.

»Okay und zweitens: Was heißt weniger Freizeit? Die Meisterin der Heilkunst meinte heute Vormittag bei unserer Zuteilung in der großen Marmorhalle, wir hätten jede Woche einen Tag frei. Wenn wir noch weniger als die anderen frei haben, heißt das nie?«

Ein leises Lachen gluckerte durch die Reihen der zehn rot gewandeten Kriegerinnen und Krieger. Nur ein Mann, der im Hintergrund an der Wand lehnte und älter wirkte als die anderen, behielt seine vollkommen regungslose Miene bei. Ich erkannte ihn vom Plakat in Saschas Zimmer in der Academy. Es war ihr Seher.

»So richtig frei könnt ihr einen Tag im Monat haben, wenn ihr darum bittet. Aber an Sonntagen habt ihr Light-Training«, antwortete ein Mann, der links von der roten Eins stand. Er kämmte sich sein längeres Haupthaar mit den Fingern nach hinten und band es zu einem lockeren Knoten zusammen. An ihn erinnerte ich mich nicht. Aber so richtig hängen geblieben waren auch nur die hohe Walkara, die Bogenschützin, die Doppeleisenfaust und der Heiler, der sie anführte.

Auf Janos anderer Seite trat nun ein Mann mit schwarzen Tätowierungen im Gesicht und schwarzen gelockten Haaren vor. »Der ein oder andere von euch wird eines Tages vielleicht ein Roter. Wir müssen besser sein als alle anderen, wenn wir die Artefakte, die die Dimensionsportale kontrollieren, von den Schergen der Dunkelheit zurückerobern wollen. Das ist nichts, wobei wir versagen dürfen. Gelingt es den Schergen, auch nur für ein einziges Dimensionsportal alle nötigen Artefakte zusammenzutragen, haben wir verloren. Ein einziges Portal in ihren Händen reicht, um die Chaosdimension zu öffnen und Dunkelheit über unsere Welt zu bringen. Das ist kein Spiel, keine Übung. Das ist bitterer Ernst, für den wir zehn auf jeder Mission unser Leben geben könnten.«

»Nun, Murat hat es auf den Punkt gebracht. Genau deshalb verlangen wir euch mehr ab als allen anderen«, schloss die rote Eins. »Und aus diesem Grund wird auch ein Co-Trainer-Team jedes Mal euer Training übernehmen, wenn wir auf Mission sind. Darüber hinaus übernimmt Liam, einer der beiden Anwärter aus dem letzten Jahrgang, das morgendliche Training eurer Fitness, außer wir nehmen ihn zum Training mal mit auf Mission. Ansonsten werden wir eure Lehrer und Lehrerinnen sein und euch auf Herz und Nieren prüfen, was Kampftechniken und die Weiterentwicklung eurer individuellen Fähigkeiten angeht.«

Ich seufzte innerlich auf. Das klang wie eine Fortführung des Schulalltags, den ich geglaubt hatte, für immer hinter mir gelassen zu haben. Das hatte ich jetzt davon, in der Prüfung von meiner eigentlichen Absicht, nur im Büro zu arbeiten, abgewichen zu sein. Aber meine Freunde hatten mich gebraucht, ich würde jederzeit wieder so entscheiden.

»Mach dir keine Sorgen, wir sind bei dir«, flüsterte Luca und drückte meine Hand. Er saß dicht bei mir und allein seine Wärme half mir, die Panik bei der Aussicht auf erneutes Kämpfen halbwegs niederzuringen. Ich lehnte mich an ihn und schloss für einen winzigen Moment die Augen. Er bedeutete Sicherheit und Geborgenheit, zwei Dinge, die ich im Moment dringend brauchte.

»Für heute steht nur noch Abendessen auf dem Programm. Lernt euch kennen. Die Personen in diesem Raum sind für die nächsten zwei Jahre eure Partner. Morgen früh nach dem Frühstück beginnt euer Alltag und wir stoßen nach dem Mittagssnack zu euch. Bis dahin, viel Spaß beim Eingewöhnen und Kennenlernen.«

»Moment, ganz kurz«, platzte ein etwas kleinerer Junge hervor, der am Ende meiner Bank saß. »Mittagssnack? Heißt das, es gibt gar kein richtiges Mittagessen?«

Ein breites Grinsen schlich sich auf Ivans Züge, den ich in der Prüfung schon kennengelernt hatte, als die Russen unserem Zyklus zugeteilt worden waren. Auch einige andere schmunzelten, mich eingeschlossen.

»Ganz richtig. Euer Training ist körperlich so fordernd, dass zu viel oder zu schweres Essen ungeeignet ist.« Damit verließen die Roten die Baracke.

Mein Blick huschte zu dem kleinen Krieger, der sehr sauertöpfisch vor sich hin murrte, was mein Schmunzeln nur vertiefte. Etwas besser gelaunt besah ich mir nun die vordere Hälfte unserer Unterbringung genauer. Während hier hinten die Schlafplätze an den Wänden durch eine Reihe wuchtiger Balken von dem Mittelbereich abgetrennt waren, in dem die große Essenstafel mit den zwei Bänken stand, war die Einrichtung vorne luftiger. Es gab zwei Sitzgruppen und neben der Eingangstür einen abgetrennten Raum, vermutlich das Bad. Auf der anderen Seite der Tür befand sich eine freie Fläche, an deren Rand einige Boxen aufgestapelt worden waren, die mich an Schuhkartons erinnerten.

»Okay, wollen wir erst die Betten beziehen und diese Hütte kennenlernen?«, schlug ein freundlich schauender Junge vor, dessen braune Haare wild in alle Richtungen von seinem Kopf abstanden.

Ich nickte und kurz darauf schnappten wir uns die Klamottenpäckchen, die man uns ausgeteilt hatte, und diejenigen, die auf der linken Seite der langen Holztafel gesessen hatten, wandten sich zu den Betten hinter sich um. Wir auf der rechten Seite taten es ebenso.

»Ich nehme das hier«, verkündete Toni mit einem süffisanten Lächeln, schmiss sich auf das schmale Bett, warf sein Klamottenpäckchen neben sich auf den Boden, drehte sich auf die Seite und klopfte neben sich auf die Matratze. »Kommst du zu mir, kleiner Waschbär?«

Ich rollte mit den Augen, konnte mir aber ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Wovon träumst du nachts?«

»Das will ich gar nicht wissen«, brummte Raika, als sie an mir vorbeiging und das Bett hinter Tonis in Beschlag nahm, während Sascha sich auf Tonis anderer Seite zwei Betten weiter niederließ, wodurch automatisch klar war, welche für Luca und mich übrig blieben.

Kurz betrachtete ich die andere Kriegerin, die es ins Team geschafft hatte. Sie war groß und durchtrainiert, an der Saint Mountain war sie eine der beliebtesten und angesehensten Kriegerinnen gewesen. In der Prüfung hatte sie mir mit ihrer pragmatischen und doch klugen Art, die Dinge anzupacken, gezeigt, dass ihr wunderschönes Äußeres nicht das Bemerkenswerteste an ihr war. Ich mochte sie.

Mein Blick huschte zu Toni und ich musste grinsen. Ob Mr Casanova versuchen würde, sie rumzukriegen?

Mit meinem Klamottenpäckchen in den Armen hockte ich mich im Schneidersitz auf meine Matratze und sah unschlüssig in den Raum. Das hier war es also, mein neues Zuhause. Mein Körper kam zur Ruhe und ich spürte die Ermüdung, die der Kampf gegen die Infektion hinterlassen hatte. Ich wusste, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhalten würde. Noch ein, zwei Mahlzeiten und eine Mütze Schlaf, dann war ich wieder ganz die Alte. Der Gedanke an Schlaf allerdings … Schnell schob ich die Angst vor den Bildern, die mich bestimmt in meinen Träumen heimsuchen würden, beiseite.

Ich sah hinter mich und bemerkte, dass über jedem Bett ein Fenster prangte. Kurz entschlossen krabbelte ich ans Kopfende, öffnete den Fliegennetzvorhang und drückte die Fensterläden auseinander. Heißschwüle Luft schlug mir entgegen. Die gerippten Fensterläden gaben den Blick auf eine schätzungsweise zwanzig Meter breite Wiese frei, die in einen Nadelwald überging. Vereinzelte Laubbäume mischten sich zwischen die sattgrünen Nadeln, die aber vollkommen anders aussahen als unsere daheim in den Alpen. Zumindest passte es zu der Umgebung, die wir auf dem Weg vom kleinen Hafen der Insel bis zur Baracke durchquert hatten. Wir waren in tropischen Gefilden.

Als ein Schweißfilm sich an meinen Schläfen und zwischen meinen Brüsten bildete, vermisste ich prompt die klare, kühle Bergluft. Schnell schloss ich die Läden wieder und war froh, dass es sich sofort etwas weniger heiß anfühlte.

»Waffen, graue Sportkleidung, schwarze und weiße Alltagskleidung … Farben scheinen nicht so ihr Ding zu sein«, meinte Sascha brummelnd.

Toni lachte grollend auf. »Als ob dich das groß einschränken würde!«

Ich schmunzelte. Das Bunteste, was Sascha bisher getragen hatte, war mal ein roter Stein in seinem Ohrring.

»Alles ist eher spärlich. Auch die Hygieneartikel«, bemerkte Raika spitz.

Ich dachte an Duschgels, Bürsten, Haargummis … Tampons! Sofort sprang ich auf und riss meinen Schrank auf, der sich wie bei den anderen zwischen den Betten befand. Ich entdeckte Handtücher und eine Regenjacke. Ein Blick in Lucas Schrank zeigte: Jede Ausstattung war vollkommen identisch und außer einer Zahnbürste gab es keinerlei Badartikel.

»Alles okay?«, fragte Luca.

Nein! Meine Wangen wurden glühend heiß. Das konnten sie doch nicht machen. Zwei Jahre, verdammt noch mal. Siedend heiß fiel mir der separate Raum vorne neben der Tür ein. Sofort eilte ich dorthin und riss die Tür regelrecht auf. Überrascht fand ich mich in einem schmalen, sehr kurzen Flur wieder, von dem zwei weitere Türen abgingen. Hinter Tür eins lag ein Raum, in dem eine Spülmaschine, eine Waschmaschine und ein Trockner standen. Der andere Raum dagegen war ein hochmodernes Bad. Steinerne Kacheln an Wänden und Boden, anthrazitfarben und rund um die zwei Duschen weiß. Hinter einer halbhohen schmalen Mauer entdeckte ich drei abgetrennte Nischen mit je einer Toilette. Beim Licht, keine Toilettentüren. Ihnen gegenüber waren drei Waschbecken an der Wand angebracht. Und unter diesen befanden sich Schränkchen, in denen zu meiner sehr großen Erleichterung tatsächlich Tampons lagerten. Außerdem Rasierer und Rasierschaum sowie Toilettenpapier. Über den Waschbecken waren Spiegelschränke angebracht. In ihnen fand ich kleine Apotheken, Zahnpasta, Nagelsets, Bürsten, Kämme und Kondome? Wie bitte?

»Wow, das ist aber schick«, meldete Raika sich hinter mir.

»Und gut ausgestattet«, bemerkte ich halb erleichtert, halb pikiert.

Sie trat neben mich und begutachtete über meine Schulter hinweg die Artikel. »Es scheint alles hier zu sein, was wir brauchen.« Grinsend sah sie mich an.

Als ich ihr die Tampons, Periodencups und Binden unter den Waschbecken zeigte, nickte Raika und sehr viel entspannter verließen wir das Badezimmer. Das Einzige, was mir noch nachhing, waren die fehlenden Toilettentüren. Das fand ich gar nicht witzig.

Zumindest hatten alle ihre Betten direkt nebeneinander gewählt, sodass die drei leeren Gestelle am Rand standen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass man lieber jemanden neben sich hatte als eine ungeschützte Flanke im Schlaf.

»Sagt mal, sollen wir die drei leeren Betten vielleicht zu einer Sitzecke zusammenstellen?«, schlug ich vor und schaute mich im Raum um. »Hier zum Beispiel.« Ich deutete auf die freie Fläche neben der Tür.

»Gute Idee«, erklärte der Junge, der mir gegenüber die Schlafeinheit bezogen hatte, und sofort packten mehrere mit an. Ein paar Minuten später hatten wir im vorderen Bereich ein U aufgestellt. Jetzt wirkte der vordere Teil gleich viel gemütlicher. Insgesamt war die Baracke ziemlich groß und ich mochte den offenen Raum, wenn da nicht das Problem wäre, dass ich mich vor ihnen allen umziehen musste.

»Was meinst du ist das?«, fragte der Junge mit den verwuschelten Haaren neben mir und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust.

Ich folgte seinem Blick und sah die Kartons, die nun hinter einem der Betten standen. Kurz entschlossen kletterte ich auf die Matratze und öffnete den erstbesten Karton. Ein Paar schwarze Laufschuhe lag ordentlich darin. »Natürlich.« Ich hob den Karton und las die Größe an der Seite: 44.

Den Karton hoch in die Luft erhoben rief ich in den Raum: »Hat jemand Schuhgröße 44 oder in US-Einheiten Größe 10?«

»Ja, hier?«, meinte Ivan und auch ein Zweiter meldete sich.

Sie begriffen schnell, was ich gefunden hatte, und so strömten die Kinder des Lichts alle herbei und wir verteilten die Schuhe. Tatsächlich waren für jeden von uns in passender Größe zwei Paare vorhanden.

»Hallo, Essen!«, bellte ein Mann mit genervter Stimme.

Wir fuhren zur Eingangstür herum. Bei seiner schwarzen Hose, schwarzen Weste und dem weißen Hemd dachte ich prompt an die Bedienungen in den Restaurants, in die meine Tante mich jede Ferien ausgeführt hatte. Allerdings reichte seine Hose nur bis zu den Knien, was den Eindruck ein wenig abschwächte, und auch das Hemd hatte kurze Ärmel. Er stand in der offenen Tür und gab den Blick auf einen Wagen frei, der mit großen Schüsseln beladen war und auf dem Rasen vor der Veranda stand. Aus einigen Schüsseln dampfte es sichtlich. Mein Magen knurrte vernehmlich.

»Was steht ihr da so rum und glotzt? Da hinten in dem Schrank ist Geschirr«, wies er uns mit forderndem Ton an und klatschte ungeduldig in die Hände. Dann murmelte er mürrisch etwas Unverständliches vor sich hin, während er die Hände in die Seiten stemmte.

»Alles klar«, meinte ich sofort und trat zu ihm, um dabei zu helfen, die Schüsseln reinzutragen. Einige andere gingen zu dem breiten Schrank ganz hinten an der kurzen Raumwand und reichten wieder anderen das Geschirr daraus. Luca und auch Toni folgten mir vorbei an einem nun eher überrascht aussehenden Mann, der sich uns schnell als Jared vorstellte. Gemeinsam luden wir die Schüsseln ab und binnen weniger Momente war der Tisch gedeckt. Wir luden uns die Teller voll und plauderten dabei über das leckere Essen und die schlichte, aber gemütliche Einrichtung unseres neuen Zuhauses.

Ich bemerkte, wie die »Bedienung« schmunzelnd über uns den Kopf schüttelte und dann mit deutlich besserer Laune als gerade eben den Raum verließ.

»Düses Curry is un’laublisch jut«, mampfte ein Junge neben Ivan, der dem Russen gerade einmal bis zur Schulter reichte und den Kopf über den Teller gebeugt einen Löffel nach dem nächsten in den Mund schaufelte. Das war doch der Kerl, der vorhin so entsetzt über den Mittagssnack gewesen war.

Ivan zog eine Augenbraue hoch und sah auf ihn herab.

Der Junge schluckte den Bissen hinunter, bleckte in einem breiten Grinsen seine Zähne, tupfte sich im Aufrichten mit einer Serviette die Mundwinkel und meinte dann: »Ich hab nur herzlich wenig Lust, gleich zu spülen.«

Ein Junge mit so dunkler Haut, dass ich versucht war zu behaupten, sie wäre schwarz, warf seinen Kopf zurück und lachte schallend. Das tiefe Grollen war so ausgelassen, dass es mir unaufhaltsam ein Schmunzeln aufs Gesicht trieb. »Musst du nicht, kleiner Chiyo. Wir haben sowohl eine Spülmaschine als auch eine Waschmaschine vorne im Haushaltsraum«, erklärte er und klopfte dem bestimmt zwei Köpfe kleineren Jungen mit einer gigantischen Hand auf die Schulter.

Chiyo funkelte den großen Jungen an und meinte: »Wieso ich? Eher wir, großer Umbele.«

Der erheiterte Junge bleckte die Zähne in einem strahlend weißen Lächeln. Dann sah er auf den leer geputzten Teller vor Chiyo hinab. »Wer am meisten isst, muss auch am meisten spülen.« Er zwinkerte Chiyo zu, der sich vorlehnte, seinen Teller ein weiteres Mal randvoll belud und locker entgegnete: »Zum Glück gibt es ja eine Spülmaschine.«

Wieder lachte Umbele schallend und auch Ivan kicherte leise.

Eine Spülmaschine war ein Luxus, den ich die letzten Tage echt vermisst hatte. Frisch gespültes Geschirr … Na ja, überhaupt Geschirr und Klamotten, die nicht vor Schmutz standen. Das schlichte graue Sportset, das ich seit der Krankenstation trug, glich dem Outfit, das die meisten inzwischen trugen. Individualität war hier vermutlich nicht gerade oberste Priorität, aber es war bequem und das war im Moment alles, was mir wichtig war. Außer vielleicht noch, diejenigen kennenzulernen, die mir bisher unbekannt waren.

Der Junge mit dem verwuschelten Haar hieß Yarek. Er und Roger mit dem Lederarmband stammten aus der nordamerikanischen Academy, wobei Roger ein US-Amerikaner war, Yarek dagegen Kanadier. Umbele stammte als Einziger von der Elfenbeinküste und hatte die Schule in Südafrika besucht. Chiyo kam gebürtig aus Japan und Kenan, der letzte mir noch Unbekannte, aus der Mongolei. Beide hatten die asiatische Academy im Himalaya besucht.

»Wow, dann ist das Einzugsgebiet eurer Schule aber groß«, entschlüpfte es mir.

Kenan zuckte mit den Schultern. »Es ist gar nicht so groß. Eures ist nur sehr klein. Mit der Academy auf Korfu und der im Orient habt ihr flächentechnisch das kleinste Einzugsgebiet.«

Darüber hatte ich nie nachgedacht. Dennoch hatte ich mit zwei Dimensionsportalen, die in Shanghai und Tokyo lagen, irgendwie erwartet, dass es dort viel mehr Krieger des Lichts gab und daher mehr Schulen nötig wären.

Ich ließ meinen Blick über die Truppe schweifen und fühlte mich in ihren Reihen ausgesprochen wohl. Meiner Meinung nach gehörte Juri auch hierher. Er war ein begnadeter Krieger und wie er sich geopfert hatte, damit ich im Eins-gegen-Eins der Anführer gewann und in der Prüfung blieb, das würde ich nie vergessen. Er hatte Weitsicht sowie Größe bewiesen und ich würde das jeden wissen lassen, der an dem Fehler seiner Zuordnung etwas ändern konnte. Sonst aber war die Truppe echt cool. Ich mochte sie alle sehr und langsam konnte ich ihnen auch Eigenheiten zuordnen. Der gefräßige kleine Chiyo, der unflätige große Ivan, der charmante Roger, der ständig mit Raika flirtete, der auffallend ruhige Kenan, dessen kluge Augen verrieten, das mehr in ihm schlummerte. Dann gab es noch Kyrill, der sein rotes Cappy wirklich nie abzulegen schien, und Kilian, der immerzu brummig wirkte. Yarek dagegen war mal laut und voll dabei, mal leise und zurückhaltender. Umbele lachte vor allem viel und laut. Er war ein großer Bär und ich wettete, dass er ein Mora war, aber tatsächlich war das das eine Thema, das alle mieden.

Keiner sprach übers Kämpfen oder seine Gaben. Sie unterhielten sich über kulturelle Unterschiede, über ihre Heimat, ihre Familien und das war mir nur recht. Hier und jetzt war es gut, in diesem Moment konnte ich vollkommen frei atmen.

Irgendwann stellte jemand fest, dass die Sonne untergegangen war. Diese Bemerkung läutete eigentlich die Nacht ein, zumal wir bereits, als Jared mit seinem Wagen wiedergekommen war, den Tisch abgeräumt und die Spülmaschine angestellt hatten. Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass ich nicht die Einzige war, bei der die Prüfung Spuren hinterlassen hatte. Keiner sah so aus, als ob er in sein kuschelig weiches Bett wollte.

»Das ist eine Insel, oder? Wollen wir an den Strand?«, schlug ich vor.

»Tolle Idee!«, pflichtete Yarek sofort bei und schon standen alle auf und wuselten los.

In dieser ersten Nacht schlief ich keine Sekunde. Nein, ich wachte über die elf Krieger und Raika, die im Sand rund um das Lagerfeuer schliefen und nun Teil meines Lebens werden würden. Außergewöhnliche Jungen und Mädchen, begabt und ebenso gezeichnet. Na ja, vielleicht nicht ebenso, aber auch. Im Gegensatz zu mir konnten sie schlafen.

Ich sah hinab auf Lucas Kopf in meinem Schoß und strich durch sein dichtes schwarzes Haar. So recht konnte ich nicht glauben, dass wir zusammen waren. Noch einmal spürte ich das unbändige Glück, als ich begriffen hatte, dass er mich genauso wollte wie ich ihn, doch es wurde überlagert durch das, was seit dem Ende der Prüfung in mir gärte. Ich senkte meine Lippen vorsichtig hinab und hauchte einen Kuss auf seine Stirn. Mit seiner Hand in meiner konnte ich atmen, konnte mit den anderen lachen und tun, als wäre alles okay, aber kaum, dass ich die Augen schloss, kamen die Bilder. Blickleere Augen, das Erlöschen ihrer Lebensflamme und so viel Blut. Auch wenn im Grunde niemand wirklich gestorben war; die Bilder blieben dieselben. Und zum ersten Mal hier auf dieser Insel war ich froh um meine Heilergabe, die mir erlaubte, den Schlaf zu vertreiben. Ironisch, war es doch genau diese Gabe, die schuld daran war, dass ich die Augen nicht schließen konnte …

KAPITEL 2

Narben heilen langsam

Der erste Tag begann genau wie angekündigt mit Fitnesstraining, in dem ich mit Abstand die Schlechteste war. Doch ich trieb mich weit über alles hinaus, was ich je geleistet hatte, nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Panik heraus. Wann immer ich nicht mehr wollte, das Gefühl hatte, nicht mehr zu können, tauchte Milas angstverzerrtes Gesicht vor mir auf und ihre eiskalte Hand griff mit anklagender Härte nach mir. Es zählte nicht, dass sie überlebt hatte, nur, dass ich darin versagt hatte, sie zu retten. Für mich war sie in diesem Moment gestorben, ganz real, und genau das trieb mich an, immer weiter und weiter. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wie ich meinem Verstand klarmachen sollte, dass niemand gestorben war, denn der rationale Teil von mir wusste das ja, bloß änderte das überhaupt nichts.

Als wir schließlich zum Mittagessen entlassen wurden, war ich emotional wie körperlich vollkommen ausgelaugt. Auf der Veranda vor unserer Baracke empfing uns ein buntes Büffet mit kalten Getränken, Früchten, Salaten, Nüssen und Käse. Jeder bediente sich und setzte sich irgendwo ins Gras oder auf die Stufen, Hauptsache, in den spärlichen Schatten des Hauses.

Gedankenverloren musterte ich unsere Umgebung und entdeckte einige Pfade, die zu einem Gelände mit mehreren Trainingsplätzen führten, die durch hohe Hecken voneinander abgetrennt waren. Links davon lag ein schmaler Streifen Wald und dahinter ging es zum Strand. Rechts von uns ging die Wiese in einen dichteren Wald über, den ich noch nicht erkundet hatte. Das Fitnesstraining fand direkt hier vor unserer Veranda auf der großen Grasfläche statt, mitten in der prallen Sonne, die sogar schon am Vormittag höllisch brannte.

Mir war inzwischen so heiß, dass ich in voller Montur erst mal unter die kalte Dusche stieg. Hunger hatte ich sowieso keinen. Tropfnass, aber erfrischt kam ich etwa zehn Minuten später wieder auf die Veranda.

»Du siehst aus wie ein begossener Pudel«, rief Toni lachend und ich pustete stilecht einen Tropfen von meiner Nase, ehe ich dem grinsenden Kerl die Zunge rausstreckte.

Dann nahm ich mir etwas Obst und ein kaltes Getränk und setzte mich zu Luca auf den Rasen. Wir tauschten einen warmen Blick und für diesen Moment vergaß ich den Aufruhr in meinem Inneren und kam zur Ruhe.

»Nehmt mit, was ihr in der Hand habt, ihr werdet jetzt ins individuelle Training eintreten«, verkündete Jano plötzlich, der wie aus dem Nichts auf der Fläche vor unserer Veranda aufgetaucht war.

Ich lehnte mich zurück, raus aus Lucas wohltuender Nähe, und warf dem Typen einen tödlichen Blick zu. Das war doch wohl keine angemessene Pause nach dieser Schufterei.

»Aber ich bin nicht satt«, beschwerte Chiyo sich. »So viel kann ich gar nicht mitnehmen.«

»Du hattest mindestens zwei gigantische Portionen zum Frühstück«, stichelte Ivan.

Chiyo schielte zu ihm hinauf. »Ich muss ja auch noch wachsen, wenn ich mit dir mithalten will.«

Ivan lachte grollend. »Wenn du so weiterfutterst, bist du bald so breit wie hoch.«

Das ließ einige von uns leise lachen und Chiyo streckte Ivan verspielt die Zunge raus. Im nächsten Moment stopfte er sich eine Banane ganz in den Mund und belud sich den Arm mit drei Orangen, auf denen er noch eine Papaya balancierte.

Jetzt lachten noch mehr von uns und ich hörte Jano »Interessant« murmeln. Irritiert sah ich zu ihm, doch er erhob nur die Stimme und verkündete: »Die erste Zuteilung haben wir aufgrund der Talente vorgenommen, die ihr in der Prüfung gezeigt habt. Damit kommen Umbele und Ivan zu David. Luca und Kyrill gehen zu Kjell …«, er teilte Gruppe um Gruppe zu, »… und du, Miko, kommst zu mir.«

Darauf konnte ich gut verzichten. Ich wusste natürlich genau, in was er mich unterrichten wollte.

Alle erhoben sich und gingen, wenn auch zögerlich, mit ihren Roten mit. Luca drückte im Vorbeigehen meine Schulter, wofür ich ihm ein Lächeln schenkte. Dann erhob ich mich, schnappte mir meine Verpflegung und folgte Jano. Die rote Eins führte mich ein paar Pfade entlang auf einen der Trainingsplätze am Waldrand. Der rechteckige Flecken Wiese war von einer mannshohen Hecke umgeben und mit einem Reetdach überspannt. Darunter stand eine Holzliege. Es war ein klassischer Heilertisch. Ich mochte das Gefühl des Holzes auf der Haut … normalerweise. Aber ich war durch damit. Ich würde nicht heilen. Wenn ich nicht mehr heilte, zumindest nicht so, dass man mich im Kampf als Heilerin einsetzen würde, konnte ich auch nie wieder in die Situation kommen, spüren zu müssen, wie die Lebensflamme direkt unter meinen Händen erlosch. Mir kam bittere Galle die Kehle hinauf.

»Also, fangen wir damit an, dass wir herausfinden, was du schon alles kannst. Deine Akte ist diesbezüglich sehr dürftig geführt«, bemerkte er mit einem freundlichen Lächeln.

Ich erwiderten den Blick desinteressiert und schlürfte durch den Strohhalm mein Kaltgetränk. Mmm. Es war lecker. Süß und erfrischend zugleich.

»Also, Wunden schließen kannst du sicher«, versuchte er es weiter. Ich schlürfte nur vernehmlich mein Getränk.

»Zeig es mir, damit ich einschätzen kann, wie viel Energie und Konzentration dich der Heilprozess kostet«, forderte er mich auf und schnitt sich dann in den Unterarm.

Ich musterte den Schnitt. Es quoll nicht viel Blut daraus hervor.

»Miko?« Auffordernd sah er auf die Wunde, als ich mich nicht rührte.

»Heil dich selbst.«

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Wie bitte?«

»Ich bin durch damit. Ich habe genug für ein Leben geheilt. Finito. Basta. Ende aus.« Ich biss in die Blutorange und genoss den bitteren Geschmack.

»Das ist ein Scherz«, brachte er tonlos hervor.

»Eh-Eh«, machte ich mit vollem Mund und unterstrich meine Antwort mit einem Kopfschütteln.

»Du musst aber heilen«, stieß er perplex hervor.

Ich schluckte den Bissen hinunter. »Zwing mich doch.«

»Miko, du bist vor allem wegen deiner Heilergabe hier. Du musst sie trainieren«, versuchte er es vernünftig. Er klang beinahe verzweifelt.

»Hab mir gleich gedacht, dass das ein Fehler war, mich hier einzuteilen«, meinte ich schlicht.

»Miko!«, blaffte er mich an.

»Das ist mein Name, ja?«

Inzwischen sah er zornig aus. »Wenn du nicht heilst, hat das Konsequenzen, mit denen du vielleicht nicht leben willst«, drohte er.

Ich schnaubte. »Ich muss schon mit den Konsequenzen leben, die die Entscheidungen des Kriegsmeisters nach sich ziehen. Das wären ausnahmsweise Konsequenzen, die ich selbst gewählt hätte, oder nicht?« Ob ich da nicht etwas dick auftrug? Sie könnten mich ausschließen und dann wäre ich getrennt von meinen Jungs … von Luca. Ich brauchte einen Plan B. Das würde ich aktuell nicht ertragen!

Jano bekam große Augen. Danach trat Entschlossenheit in seinen Blick. Er holte einen Käfig hervor und zog eine Katze heraus. Der Heiler verpasste ihr einen tiefen Schnitt und das arme Ding stieß einen jaulenden Laut aus.

»Heil sie«, verlangte er.

Das war das übliche Vorgehen, wenn man Angst davor hatte, einen Menschen zu heilen. Man übte an Tieren. Eine Methode, zu der auch Herr Senger, mein alter Lehrer für Heilkunst, übergegangen war.

»Nein«, erklärte ich locker.

»Das ist Tierquälerei«, appellierte er an mein Gewissen und das hätte funktioniert, wenn er nicht selbst Heiler wäre.

»Genau. Also heil die Kleine endlich.«

»Miko«, jetzt sanft und eindringlich. »Was ist denn los?«

Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Hab ich doch gesagt. Ich bin durch damit. Ich habe genug für ein ganzes Leben gesehen. Ich heile nicht mehr. Sind wir dann fertig?«, fragte ich gelangweilt.

»Nein!«, knurrte Jano.

Ich setzte mich auf meine vier Buchstaben, schlürfte die letzten Tropfen des Getränks leer und nagte die Schale der Blutorange aus.

Jano seufzte. Er hob die Katze vorsichtig hoch und setzte sich mir gegenüber. Mit bedachten Bewegungen legte er das jaulende Tier in seinen Schoß und heilte es vor meinen Augen, während er beschrieb, was er fühlte. Die rote Eins erklärte mir jeden Schritt. Alles Dinge, die ich schon wusste. Aber er fuhr fort. Er klapperte die Theorie meines gesamten ersten Schuljahres ab und offenbarte mir absolut nichts Neues.

»Gut. Das war es für heute«, sagte er irgendwann und erhob sich.

Ich stand auch auf und ging einfach, ohne mich zu verabschieden. Sein »Bis morgen« ignorierte ich.

Ich konnte verdammt stur sein und er würde das noch lernen.

Als ich auf den Weg zurück zur Baracke trat, stießen Luca und Kyrill aus einer ähnlich umrandeten Wiesenparzelle zu mir auf den schmalen Trampelpfad. Sie plauderten miteinander und Kyrill drehte sein Cappy gerade mit dem Schirm nach vorne, da entdeckten sie mich.

»Harter Tag, kleiner Waschbär, hm?«, meinte Luca und berührte mich sanft an der Schulter.

»Geht so«, brummte ich.

»Bringt sie zur Vernunft«, meldete Jano sich hinter mir.

Die Jungs blieben stehen. Ich ging noch zwei Schritte, hielt dann aber an, um auf sie zu warten. Kyrill warf mir einen forschenden Blick zu, verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute zu meinem Lehrer. »Zur Vernunft?«

»Sie weigert sich zu heilen.«

Luca lachte. »Wow, du hast es ja richtig verkackt.«

»Luca, im Ernst. Sie muss trainieren.«

»Sie muss gar nichts«, beschied Kyrill ruhig.

Jano zog eine Augenbraue hoch. »Wenn sie das durchzieht, muss ich das irgendwann melden«, zischte er.

»Dann musst du das wohl tun, Mann«, meinte Luca vollkommen gelassen.

»Verarscht ihr mich?«

»Mit unserem kleinen Waschbären ist das so: Sie hasst Unterricht und dich … Na ja, offensichtlich hasst sie dich genauso. Also wird sie sich nicht an deinem Unterricht beteiligen. Sie kann da entsetzlich stur sein«, meinte Luca mit einem Grinsen in der Stimme und ließ Jano mit Kyrill im Schlepptau einfach stehen.

Sobald sie mich erreicht hatten, ergriff Luca meine Hand. Und ließ sie nicht mehr los, bis wir die Baracke erreichten. Sie fragten mich nicht, warum ich mich verweigert hatte, sondern nahmen es als selbstverständlich hin.

Sogar beim Abendessen hing mir die Szene noch nach. Wie aufmüpfig Luca dem Anführer der Roten gegenüber gewesen war und wie bedingungslos auch Kyrill zu mir gehalten hatte, obwohl wir uns erst so kurz kannten. Überrascht stellte ich fest, dass ihr Rückhalt Balsam war. Etwas in mir war noch immer ganz übel zugerichtet und dieses Etwas wurde gerade ein winziges bisschen kleiner, dank dieser simplen Geste, die so viel mehr bedeutete.

Und als ich sie nun alle aufmerksam musterte, wurde mir klar, dass ich ihnen etwas zurückgeben könnte, obwohl ich mir vorgenommen hatte, meine Gabe nicht anzuwenden. Doch das individuelle Training hatte sie körperlich ganz schön gefordert und sie wirkten allesamt ziemlich erschöpft und müde. Außerdem befanden wir uns nicht im Kampfgeschehen.

Wie von selbst stand ich auf und wuselte mal hierhin, mal dorthin, um mir etwas Bestimmtes zu essen zu holen. Eigentlich suchte ich nur einen Vorwand, sie alle zu berühren und im Verborgenen zu heilen. Na ja, nicht direkt zu heilen, aber ihrem Körper zu helfen, schneller abzuheilen, schneller die Anstrengung zu verkraften und kleine Muskelrisse zu schließen.

Irgendwie gab mir das Heilen im Verborgenen sogar ein Gefühl von Normalität. So hatte ich es jahrelang getan, um nicht preisgeben zu müssen, was meine Gabe war, und das konnte ich, wie ich mit einem Lächeln feststellte, ohne all die Bilder hervorzurufen. Jetzt dazu zurückzukehren, half mir das Erlebte zu … zu vergessen. Es zu verdrängen.

***

In dieser Nacht schliefen sie alle in ihren Betten und auch ich legte mich zum Schlafen hin. Ich spielte mit, bis ich sicher war, dass keiner mehr wach war. Dann erhob ich mich, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, und stellte meine nackten Füße vorsichtig auf das warme Holz des Bodens. So dasitzend horchte ich in den Raum. Einer von drüben schnarchte ohrenbetäubend laut. In der Ecke schmatzte ein anderer vernehmlich. Aber niemand schien aufgewacht zu sein.

Mein Blick huschte zu Luca. Ich wollte ihn nicht wecken, nur hätte eine Umarmung von ihm mir jetzt gutgetan. Allerdings wollte ich, dass er sich ausruhte. Er hatte keine Heilergabe, mit der er die Müdigkeit verdrängen konnte. Ich rang die Sehnsucht nieder und erhob mich mucksmäuschenstill, um auf meinen Fußballen durch den Raum zu schleichen. Schritt um Schritt setzte ich auf den warmen Boden und genoss den Lufthauch, der durch die geöffneten Fenster hereinwehte und meine erhitzte Haut kühlte. Selbst das luftige Hemdchen und die kurzen Stoffshorts, die ich zum Schlafen trug, waren mir eigentlich zu warm.

Draußen hüpfte ich mit forscheren Bewegungen die Stufen hinunter. Beinahe hätte ich laut geseufzt. Der Rasen war weich und federte regelrecht. Meine nackten Füße wurden von seiner kühlen Feuchtigkeit umschlossen.

Mein Weg führte mich durch das schmale Waldstück links und hinunter zum Strand. Der Sand kitzelte an meinen Sohlen. Dann blieb er, feucht wie er war, an meinen Füßen kleben und rieb zwischen den Zehen. Was sollte ich jetzt tun? Laufen! Es war immer schon dieselbe Antwort gewesen. Wieder vermied ich einen Fehler, den ich in der Prüfung gemacht hatte, ich erkundete die Umgebung. Ich lief und lief und lief.

Unsere Baracke war Teil einer Siedlung, die weit verstreut lag. Ich joggte stetig in dieselbe Richtung den Strand entlang und entdeckte weitere Baracken und Holzbauten. Irgendwann fragte ich mich, ob ich nicht zurück sollte. Inzwischen lief ich an einem unbesiedelten Teil der Insel vorbei. Allerdings glaubte ich in dem Wald, der auf dieser Seite der Insel stand, einige Bauten zu erkennen. Vielleicht eine Trainingsstätte wie ein Parcours oder so etwas.

Ich war unsicher, in welche Richtung ich weitergehen sollte, einfach zurück oder die Insel einmal umrunden? Ich hatte nicht die beste Orientierung.

Gerade als ich umdrehen wollte, entdeckte ich weiter vor mir Siedlungen. In diesem Moment wurde der Himmel heller und die Sonne begann aufzugehen. Da ich nicht wollte, dass sich jemand sorgte, zog ich mein Tempo an und kam tatsächlich am anderen Ende der Siedlungslandschaft heraus. Die Insel war also nicht so groß. Ich brauchte dennoch einige Minuten, bis ich wieder an dem Strandstück ankam, an dem ich losgelaufen war. Ich joggte den Sandhang hinauf, durch das Nadelwäldchen und dann über den wundervollen Rasen vor unserem Haus.

Meine Jungs standen auf der Veranda und warteten eindeutig auf mich. Sascha saß auf der Kante der Veranda und ließ die Beine baumeln. Toni stand an die Wand der Baracke gelehnt da und Luca vor der Treppe auf dem Rasen. Ich lächelte sie an.

»Laufen, kleiner Waschbär?«, fragte mein Freund ruhig.

Ich nickte.

»Hat es geholfen?«

Ich trat zu ihm und nahm seine Hand. Sofort senkte er seine Lippen zu einem zarten Kuss auf meine und ich seufzte erleichtert auf. »Das hilft mehr«, flüsterte ich, woraufhin Luca liebevoll lächelte und mich noch einmal küsste.

Als er seine Lippen von meinen löste, schmiegte ich mich eng an ihn und sog die Sicherheit und Geborgenheit in mich auf. Kein Laufen der Welt könnte das bewirken, dieses Gefühl, loslassen zu können.

Luca lehnte sich zurück und strich mit gerunzelter Stirn unter meinen Augen entlang. Bestimmt hatte ich nach zwei durchwachten Nächten dunkle Ringe darunter. Er sagte nichts, aber er furchte besorgt die Stirn. Wir beide wussten, dass ich nicht schlief und dass das nicht gut war. Für den Moment ließ er es mir noch durchgehen.

»Frühstück steht schon bereit«, meinte Sascha.

Mit einem verschämten Lachen löste ich mich von Luca und ging mit allen zusammen rein.

»Füße«, bemerkte Toni und nickte hinunter.

Schnell versuchte ich mit den Händen den Sand und Schmutz abzureiben. Sie alle sahen sicher, dass ich trotz des langen Marschs keine Wunden hatte. Ich hatte mich selbst geheilt. Früher wäre ich vermutlich vorsichtiger gewesen, aber sie kannten mein Geheimnis inzwischen, also warum sollte ich unnötig eine Entzündung riskieren? Und auch diese Nutzung meiner Gabe ging mir wie von selbst von der Hand.

Die anderen hatten auf uns gewartet.

»Schickes Outfit.« Kyrill grinste und wackelte mit den Augenbrauen.

Ich schaute an mir herunter und errötete. Ach ja, ich war in meinen Schlafsachen hinausgegangen. Mist. Ich eilte zum Schrank und streifte eine Freizeithose und ein T-Shirt über. Das war zwar nicht ganz bequem, aber es verdeckte alles angemessen. Nach dem Frühstück würde ich ins Bad verschwinden und mich umziehen. Raika hatte die geniale Idee gehabt, ein Schild an der Badezimmertür anzubringen, das man von »Offen« auf »Geschlossen« drehen konnte, wenn man allein im Bad sein wollte. Das löste auch mein Umziehproblem. Bis auf das Heilertraining mit Jano war das hier gar nicht so übel.

KAPITEL 3

Bogenschießen

Die nächsten drei Tage liefen nach dem exakt selben Schema ab, zumindest bis Luca mich in der letzten Nacht zu sich in sein Bett zog und mir zuflüsterte: »Du musst endlich mal schlafen, kleiner Waschbär.«

In seinen sicheren Armen, an seinen warmen Körper geschmiegt, konnte ich das tatsächlich. Mein ganzer Körper hatte loslassen, mein Kopf ausschalten können. Und so war ich heute so ausgeruht und erfrischt wie lange nicht mehr. Das Lagerfeuer, um das wir an diesem Samstagabend herumsaßen, tat sein Übriges dazu.

Genüsslich kuschelte ich mich noch enger an Luca und sah in die Flammen. Es wurden wieder viele Geschichten mit lustigen Pointen erzählt, aber sie sprachen jetzt auch über das Training.

»Diese Melek ist heiß«, feixte Roger plötzlich und ich sah überrascht auf.

»Die ist viel zu alt für dich«, brummte Kilian.

»Für dich vielleicht. Die ist der absolute Oberhammer.«

»Sie ist eine hohe Walkara. Das schaffst du nie, dass du bei der landest«, meinte Kyrill amüsiert.

»Was soll das denn heißen?«

»Walkara sind eher … schwer zu erreichen«, umschiffte Kyrill es mit einem flüchtigen Seitenblick auf Raika.

»Arrogant meinst du«, schnaubte Kilian.

Raika zog eine Augenbraue hoch. »Wählerisch«, präzisierte sie und alle prusteten los, auch sie.

»Du trainierst doch mit ihr, oder? Arbeitet ihr an den Illusionen?«, wollte Umbele wissen.

»Nein. Wir machen Grundlagen«, motzte Raika.

»Wie jeder von uns«, maulte Yarek und schlüpfte in den Pulli, den er sich mitgenommen hatte. »Dabei dachte ich, wir würden neue Kampfstile lernen.«

Sie alle brummten zustimmend.

Ich bekam nicht mit, worüber Roger sich mit seinem nächsten Kommentar aufregte, denn Sascha setzte sich in diesem Moment neben mich und berührte mich an der Schulter. »Hey, kleiner Waschbär«, sprach er mit sanfter Stimme.

Überrascht sah ich in warme Augen und ein besorgtes Gesicht.

»Hey, großer Seher.«

»Melek hat mich heute angesprochen. Die Roten machen sich offenbar Sorgen um dich. Sie denken, du schläfst nicht, weil dein Bett unbenutzt ist, und dass du dich deiner Gabe gegenüber verschließt. Außerdem haben sie beobachtet, wie wenig du isst«, berichtete er mir.

Ich starrte ins Feuer. Luca strich sofort sanft über meine Arme und ich spürte, wie meine Schultern sich entspannten. Erst dann fuhr Sascha fort.

»Ich habe ihr erklärt, dass nicht alles ist, wie es scheint. Leider ist sie sehr stur und so musste ich konkreter werden. Das Essen ist ja tatsächlich ein Problem, alles andere ist aber nicht so dramatisch, wie du sie glauben lässt.«

Mein Kopf ruckte hoch und ich sah ihn aus großen Augen an.

Sascha lächelte. »Wir beide wissen, du schläfst bei Luca. Dem Licht sei Dank findest du bei ihm endlich Schlaf.«

»Sascha«, ermahnte ich ihn. So viel Erleichterung in seiner Stimme?

Er strich mir eine Strähne aus der Stirn und betrachtete mich beinahe entschuldigend. »Ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich meine Augen bewusster benutze als andere. Und was das Heilen angeht, ich bemerke die Kleinigkeiten, die dich verraten. Keiner kann so schnell so viel stärker werden wie wir gerade. Seltsam, dass es uns dreizehn allesamt gelingt, meist ohne Muskelkater oder größere Ermüdung, findest du nicht auch?«

Herausfordernd begegnete er meinem fassungslosen Blick, den ich schnell abwandte, als mir klar wurde, dass er die Antwort sicher in meinen Zügen erkennen konnte.

»Du machst es beim Abendessen, nicht wahr?«

Ich streckte ihm nur die Zunge heraus und er lachte. Sanft drückte er meinen Kopf an seine Schulter und legte einen Kuss auf meinen Scheitel, ehe er mich wieder freigab, sodass ich mich zurück an Lucas Brust lehnen konnte. So viel Wärme, so viel Nähe, das kannte ich nicht von ihm. Dann etwas zeitverzögert wurde mir klar, dass ich es mir längst selbst erklärt hatte. Die Prüfung hatte uns alle verändert, uns zusammengeschweißt. Sascha und ich … Das fühlte sich gerade viel näher und tiefer an als jemals zuvor.

»Aber du isst wirklich zu wenig, kleiner Waschbär«, beharrte er leichthin, doch ich hörte die Sorge in seiner Stimme lauern.

»Ich esse genug«, schnaubte ich.

»Nein«, meldete Toni sich neben Sascha zu Wort.

Ich sah ihn überrascht an.

»Deine Wangen fallen schon ein«, brummte er so gar nicht fröhlich und warf ein Stöckchen ins Feuer. Es knackte und zischte leise, als es in Flammen aufging.

»Außerdem trainierst du zu hart. Dein Körper besteht bald nur noch aus Muskeln und Knochen«, mischte sich jetzt auch Kyrill ein.

»Das stimmt doch gar nicht«, beschwerte ich mich und zog an Lucas Ärmel, während ich mich in seinen Armen leicht drehte. »Sag ihnen, dass das nicht stimmt.«

Luca strich über meine Wange. Ich drehte mich ganz zu ihm um und er sah mir direkt in die Augen. »Denk mal darüber nach, was du heute gegessen hast«, bat er mich sanft.

Mein Gehirn ratterte und ich ging die Lebensmittel durch, die ich heute zu mir genommen hatte. Oh … Oh!

Ich schwieg. Dann senkte ich meinen Blick.

»Warum, kleiner Waschbär?«, fragte Luca sehr sanft.

Ich war irritiert. Aus einem unerfindlichen Grund wollte ich nicht über das Warum nachdenken. Mein Freund zog mich auf seinen Schoß. Ich schmiegte mich an ihn und sog die Wärme und Geborgenheit in mich auf, während ich meine Wange an seiner Brust bettete. Also, warum?

»Wenn ich eines der Bilder sehe, kann ich einfach nichts mehr essen«, murmelte ich.

Er drückte mich an sich. »Also ist es in Ordnung, wenn ich über den Tag verteilt aufpasse, dass du genug isst. Wenn ich dir zum Beispiel einen Apfel zum Lagerfeuer mitbringe?«, fragte er und zauberte einen hervor.

Ich lachte leise und Tränen kullerten mir die Wangen hinunter. Er war das pure Glück. Womit hatte ich ihn nur verdient? Ich schmiegte mich an seine Schulter, wischte die Tränen weg und nahm den Apfel entgegen. Schnell biss ich hinein und spürte sofort, dass ich tatsächlich Hunger hatte.

»Kann sein, dass die Jungs mir helfen, darauf aufzupassen.«

Genüsslich kaute ich den saftigen Bissen. »Ist okay«, flüsterte ich. Und weil die Woche so anstrengend gewesen war und die anderen so ausgelassen lachten, konnte ich einfach einschlafen. In Lucas Armen, in Sicherheit.

***

»Aufstehen, ihr Schlafmützen«, weckte uns unser Konditionsmonster, wie ich Liam liebevoll nannte. Mit den kurz geschorenen Haaren erinnerte er sehr an einen Drillmaster, wie sie in diesen Army-Militärstreifen immer dargestellt wurden. Und ehrlich gesagt passte sein Körperbau auch in so eine Rolle.

»Hopp, hopp. Heute bekommt ihr ein etwas anderes Training. Sonntag ist Kraftpause. Ihr müsst nur euren Intervalllauf machen und dann kommt ihr zu drei Co-Trainern ins Bogenschießtraining. Die Roten sind auf Mission«, erklärte Liam uns.

Yes. Ein Tag ohne Zeitverschwendung im Heiler-Sturheitsstreit. Voller Tatendrang stand ich auf, klopfte den Sand des Strandes von meinen Beinen und ging zur Baracke. Keine Kraftübungen und einen ganzen Tag ohne Jano. Das würde mein Lieblingstag werden.

Die Trainer erwarteten uns nach unseren Intervallläufen auf einem relativ großen Feld, das ebenso von Hecken umrahmt war, allerdings ohne das Dach, das mein Heiler-Trainingsplatz hatte. An der schmalen Seite standen drei Zielscheiben.

Kaum, dass wir uns versammelt hatten, trat einer der drei Männer in Grau, die auf uns warteten, vor, drehte sich um, spannte den Bogen in seiner Hand und ließ einen Pfeil in den Mittelkreis der linken Zielscheibe einschlagen.

Wow.

»So ein Angeber«, schnaubte Kilian neben mir und verschränkte die Arme vor der Brust. Hm, vermutlich war ich die Einzige von uns, die nicht gut im Bogenschießen war.

»Ich bin Ben und heute der leitende Co-Trainer. Wir fangen mit den Grundlagen an –«

Einvernehmliches Stöhnen erklang um mich herum, doch der Typ in Grau ignorierte es und begann eine lange Laier über das Bogenschießen. Wie üblich hörte ich nicht zu, sondern beschäftigte mich mit meinen Gedanken. Mir hing Saschas Offenbarung von gestern Abend noch nach. Sie sorgten sich um mich? Ich hätte nicht gedacht, dass Jano etwas anderes als Enttäuschung oder Wut empfand, wenn er an mich dachte. Wobei, Melek hatte Sascha angesprochen. Wahrscheinlich wusste dieser sture Kerl nicht einmal etwas davon.

»Alles klar?«, fragte Ben in dem Ton, den Lehrende immer hatten, wenn sie eigentlich keine Antwort erwarteten. Niemand reagierte.

»Dann mal los!«, wies er uns an und sofort bildeten sich drei Reihen vor den Zielscheiben. Ich stand zwischen zweien und betrachtete das Schauspiel aus Eleganz und Perfektion. Es war atemberaubend, kraftvoll und so präzise. Außerdem musste man bei diesem Distanzangriff nicht zusehen und schon gar nicht fühlen, wie die Waffe in den Feind eindrang. Man griff aus sicherer Entfernung an. Idealerweise von so weit weg, dass man nicht eben hinüberlaufen konnte, um den Mistkerl zu heilen, den man abgeschossen hatte.

Plötzlich wurde mir ein Bogen vor die Nase gehalten.

»Jetzt du«, entschied Raika.

»Spinnst du? Ich kann das nicht«, beschwerte ich mich.

Raika lachte herzhaft. »Deshalb musst du es üben.«

Ich schaute sie verwirrt an. Ein kurzer Blick zu meinen Jungs zeigte mir drei auffordernd wartende Gesichter.

»Gut, okay. Erklär’s mir. Aber ganz genau, ja?«, bat ich.

»Raika, geh ruhig üben. Wir übernehmen das«, mischte einer der Co-Trainer sich ein. Ron oder so. Reggi? Reinhard? Ach, egal. Keine Ahnung.

Raika ignorierte ihn und begann mir haarklein zu erklären, wie ich den Bogen halten musste, wie meine Beine zu stehen hatten, wann ich atmen sollte und wie ich zielte.

»Alles klar?«, fragte sie und ich nickte.

Sie reichte mir den Bogen und ich war überrascht über sein unerwartetes Gewicht. Dann erspürte ich die Sehne zwischen meinen Fingern und maß den Abstand zwischen Bogen und Sehne. Meine Arme waren zu kurz, hatte ich das Gefühl, aber für den Anfang würde es schon klappen. Ich atmete ein und spannte die Sehne, brachte meine Füße in den seitlichen Stand und atmete aus, um den Bogen in den genau richtigen Winkel zu bringen. Meine Stirn und meine Wange berührten die Sehne und ich fühlte meinen Daumen ganz leicht an meiner Wange.

Raika musterte kritisch meine Haltung. »Du willst nicht mit dem Bogen kuscheln.«

Sofort nahm ich meinen Kopf hoch, besserte meine Haltung nach.

»Sehr gut«, murmelte sie leise. »Hier etwas weicher, nicht so verkrampft«, erklärte sie und berührte meine Schulter.

Ich versuchte sie zu entspannen, also atmete ich. Es gelang mir so halb.

»Gut. Jetzt noch mal mit Pfeil«, verlangte sie.