Warum die Liebe den Idioten überlassen? - Frank Maier - E-Book

Warum die Liebe den Idioten überlassen? E-Book

Frank Maier

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Beschreibung

Ein verlassener Music Club der US -Armee wird in den Nachwendejahren zu einer der wichtigsten südwestdeutschen Konzertstätten. Hier, im Wiley Club, kreuzen sich die Fäden von Künstlern wie Shaggy, The Roots, Die Fantastischen Vier und vielen anderen Größen. Und mittendrin der Erzähler, der als Jugendlicher seine Liebe zur Musik entdeckt und später den Club mit aufbaut. Anhand der eigenen Geschichte beschreibt Frank Maier die Glitzerwelt des internationalen Musikbusiness und ihre Mechanismen zwischen Neu-Ulm, Hamburg und New York. Dabei entstehen Bilder voller skurriler und schillernder Typen, unterlegt mit einem bezwingenden Sound. »So suhlte ich mich in der bitteren Gewissheit, meine provinzielle Unschuld verloren zu haben.«

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Frank Maier

Warum die Liebe den Idioten überlassen?

FRANK MAIER

WARUMDIELIEBEDENIDIOTENÜBERLASSEN?

ROMAN

FÜR MEINEN DAD

INHALT

PROLOG

ERSTER TEIL

1 DAS SÜSSE BLUT DES SÜDENS

2 DAS GLASHAUS VOR DER STADT

3 DAS NEST

4 DER CLUB UND DIE VEREHRER

5 DIE GLUT

ZWEITER TEIL

1 DIE SCHLUCHT

2 DIE ABFAHRT

3 DIE TARNUNG

EPILOG

Das, was wir sofort begreifen,das haben wir sofort vergessen.

Navid Kermani

PROLOG

Der alte Mann saß am Times Square an der Bar eines Diners und trank Brandy. Ich setzte mich zu ihm, bestellte mir auch einen und reichte ihm meine Hand mit den Worten, dass ich gerne mit ihm trinken würde, denn am nächsten Tag kam die wieder, auf die ich schon so lange hoffte. »Ruinier dir nicht dein Leben«, meinte er und erzählte mir, dass nach drei beschissenen Ehen bei ihm nichts mehr schiefgehen konnte. Am Vormittag hatte er die letzte Rate für einen Vertrag bezahlt, der ihm garantierte, dass Whitney Houston an seinem Grab The Greatest Love of All singt. Ich überlegte, wer wohl bei meiner Beerdigung für mich singen würde, aber die waren bis dahin sicherlich alle schon tot.

ERSTER TEIL

1

DAS SÜSSE BLUT DES SÜDENS

Während einer Konzertnacht in Montreux fragte mich eine betagte und sehr elegante Dame, ob ich George Clinton kenne und ob es sich lohnen würde, noch so lange zu warten. Astor Piazzolla und Michel Petrucciani hatten schon zwei bemerkenswerte Konzerte gespielt. Der eine an der Ziehharmonika, der andere am Konzertflügel. Natürlich machte ich ihr Mut und schaute zu, wie sie am frühen Morgen auf mehreren übereinandergestapelten Stühlen tanzte und dabei begeistert in die Hände klatschte. Ihr Ehemann johlte dazu das Thema von One Nation Under a Groove und himmelte sie frisch verliebt an. Dann mischten sich die Zuhörer unter die Band, und Claude Knobs, der schon etwas in die Jahre gekommene Macher des Festivals, kam als bunte Torte verkleidet dazu. Es war Clintons Geburtstag.

So wie jedes Meisterwerk ist ein gutes Konzert eine Erfahrung mit uns selbst und hat mit Virtuosität oder Wettbewerb nichts zu tun.

Whatcha Got

Is Whatcha Gettin’.

– The Goats

Ich hab’s im Blut. Mein Onkel war Nachtclubbesitzer und Playboy. Ihm gehörte das 1001 Nacht in Giengen an der Brenz, in dem sich in den Siebzigerjahren Schlagerstars und -sternchen die vergoldete Klinke in die Hand gaben. Am Silvesterabend gestand Peter Maffay meiner Oma, dass er eigentlich viel lieber Rockstar sein wollte. Sie feierte gerne ihre Partys im 1001 Nacht, das auf einem grünen Hügel inmitten eines riesigen Obstgartens lag und von scharfen Schäferhunden und Sicherheitspersonal bewacht wurde.

Der Nachtclub befand sich im lang gezogenen Seitenflügel eines schlichten Landhauses und war in drei Ebenen aufgeteilt. Oben war die großräumige Diskothek mit Bühne im orientalischen Stil, dekoriert mit Plastikpalmen, aus denen, wenn man den Stromstecker einsteckte, fröhliches Vogelgezwitscher erklang. Versteckt ging es nach unten in ein kleines Casino, in dem Blackjack, Poker und Roulette gespielt wurden. Darunter verbarg sich die »Grotte«, eine Bar, in die man über eine enge Wendeltreppe kam und die mit weißem Gips eine Art Tropfsteinhöhle imitierte, inklusive Oben-ohne-Bedienungen, Striptease und ersten Pornoapparaten, die aussahen wie Ferngläser und kurze Hardcorefilme zeigten, wenn man dann einen Nickel einwarf.

Meine Oma wohnte in Laupheim in der Richard-Wagner-Straße, gleich neben unserem einfachen graugrünen Häuserblock, in einer kleinen Dachwohnung und war Quelleagentin. Für ihre Nachbarschaft nahm sie die Katalogbestellungen entgegen. Bei ihr kamen die Pakete an, die sie dann, mit dicker Brille und Formularen bewaffnet, ordentlich an die Kunden verteilte und das Geld einsammelte. Wenn ich zu Besuch war, schlief ich auch bei ihr in ihrem eiskalten Schlafzimmer, unter einer riesigen Bettdecke, die ich mir bis unter die Nase zog. Zwischen uns lag Blacky, ein kleiner schwarzer Pudel, den sie, so wie alle ihre Hunde, von Onkel Manfred geschenkt bekommen hatte. Beim Einschlafen wunderte ich mich über die riesigen Pakete, die allesamt im Schlafzimmer verteilt waren und von denen ich nie wusste, was drin war.

Anfangs wohnte hier auch noch meine Cousine, die mich zum allerersten Mal meine Stimme auf Tonband hören ließ. Das riesige Tonbandgerät war ebenfalls ein Geschenk von Onkel Manfred gewesen. In dieser kleinen gemütlichen Dachwohnung schauten wir amerikanische Filmklassiker, hörten Operettenmusik, und Großmutters geliebter Kosaken Kaffee, ein süßer Mokkalikör, den ich mir zusammen mit meiner Schwester heimlich hinter die Binde kippte, verschaffte mir meinen ersten Rausch, sodass ich kaum noch die Treppen runterkam. Wir machten Kaffeefahrten ins Blaue, bei denen sie mich ans Mikrofon des Busfahrers zitierte, um mit mir anzugeben. Meistens sang ich dann Oh Baby Baby Balla Balla.

Meinen Onkel kannte ich kaum. Über ihn redete man nicht. Wann immer ich nach ihm fragte, war es meinem Vater unangenehm und meiner Mutter zum Heulen. Irgendwann, nachdem er in Stammheim wegen einer Falschgeldaffäre eine kurze Untersuchungshaft abgesessen hatte, beschloss meine Großmutter, dass mein Vater als zuverlässiger Industriekaufmann und Buchhalter sich ab sofort um die Geschäfte seines Bruders zu kümmern hatte. Also schlug auch ich, im Schlepptau meines Vaters, regelmäßig an den Samstagnachmittagen im 1001 Nacht auf. Während mein Onkel oben aus dem Bett stieg und sich hektisch daran machte, Unterlagenhaufen zu sortieren, schaute ich unten den Tänzerinnen zu, die mit aufregenden Schleiern bekleidet förmlich und kichernd um meinen kindlichen Rat buhlten. Ich lächelte breit und machte ihnen musikalische Verbesserungsvorschläge. Dann kam Onkel Manfred, immer eilig, dazu. In einem seidenen orientalischen Morgenmantel und mit versoffenem Kopf steckte er mir Münzgeld zu und erklärte mir, wie Spielautomaten funktionieren. Das Geld steckte ich mir lieber ein. Damals war ich zwölf. Und als ich kurze Zeit später mit Sonnenbrille und hellen Turnschuhen am Rathausplatz saß, lautete der verächtliche, an meinen Vater gerichtete Kommentar meiner Mutter nur:

»Wie dein Bruder.« Der hatte Jahre zuvor schon den Falken betrieben, die schäbigste Zockerkneipe in der Laupheimer Innenstadt.

Zu den runden Geburtstagen seiner Schwester in Weingarten kam er üblicherweise in Begleitung seiner aktuellen Freundin. Das waren meist Tänzerinnen, die sich schnell langweilten und sich, so wie ich, komplett fehl am Platz fühlten. Also luden sie mich ins schicke Cabriolet, für eine Spritztour um den Bodensee oder um ihren Freundinnen in den nahe gelegenen Nachtclubs und Bars einen Gruß auszurichten. Großkotzig ließ ich mir dann den Fahrtwind um die Nase wehen und hörte dabei ihre Kassetten von Chris de Burgh, die ich immer schnell gegen die meinen mit der Musik von Al Stewart, Millie Jackson oder Isaac Hayes auswechselte. Denn neben den Boyfriends meiner älteren Schwester, über deren Taschenkataloge ich mir die reduzierten LPs meiner Lieblingsbands besorgte, versorgte mich auch die Mutter einer Klassenkameradin, deren geschiedener Ehemann G.I. war, mit den LPs, die der nicht in die USA zurückschleppen wollte.

Seeing you again

was almost like the shock of snow in July.

– Millie Jackson

Irgendwann begann Onkel Manfred, mich damit zu beauftragen, meine Großmutter an irgendeine Autobahnzufahrt zu kutschieren, wo er sie dann in den offenen Sportwagen lud, um mit ihr von Stuttgart aus in einen pompösen Urlaub nach Jugoslawien zu fliegen, meistens ins vornehme Hotel Atlas in Dubrovnik, in dem er Stammgast war. Er kam grundsätzlich zu spät, schob die Oma auf den Beifahrersitz, schrie irgendwas und rauschte mit heißem Stiefel davon. Noch ein kurzer Seitenblick, ob ihre Perücke hielt, das war’s. Am Flughafen ließ er dann meistens den Wagen vor dem Eingang zum Terminal stehen und maulte ein »Der Schlüssel steckt« in die Abflughalle. Er ging einfach davon aus, dass das Sicherheitspersonal den Wagen parken würde. Der saftige Strafzettel war ihm egal.

Meine Oma berichtete mir begeistert und in allen Details von diesen Reisen, denn wir beide waren ihre Lieblinge. Meine Schwester hingegen ließ nicht ein gutes Haar an Onkel Manfred, obwohl er sie als Patenonkel immer reich beschenkte. Einmal sollte sie sich im Musikhaus in Giengen ein Klavier aussuchen. Der Besitzer hatte Spielschulden bei ihm. Sie fand ihren Onkel einfach zum Kotzen, er war ihr kein ordentliches Mannsbild und vor allem passte er so gar nicht in ihr junges aufgeregtes Geschlechterrollenbild. Denn mit der damals beschrienen Gleichberechtigung oder gar mit politischer Korrektheit hatte er nichts am Hut. Dennoch erinnere ich mich wohlig an seine riesige Zweitwohnung in der Münchner Innenstadt, wo er als Barbesitzer die Schickeria erobern wollte; an den Geruch von kaltem Rauch und hartem Alkohol, an den großen schwarzen Marmorpanther, das echte Löwenfell mit Kopf, das später dann als Bettvorleger bei meiner Oma im Schlafzimmer lag, weil ich es mir so gewünscht hatte, die Spiegeldecke des lüsternen Schlafzimmers und an die winzige Badezimmertür im dritten Stock eines stinknormalen Wohnblocks, hinter der sich ein meterlanger ungepflegter und verkommener Swimmingpool auftat. Auf der Rückfahrt von diesem Wochenendausflug in sein Münchner Domizil gerieten meine Eltern sich so sehr in die Haare, dass mein Vater, ein wirklich sicherer Autofahrer, kurz vor der Abfahrt Ulm mit seinem knallroten Opel Kadett absichtlich einem Lastwagen hinten auffuhr. Frontal.