Warum ein Mann, wenn man Meer haben kann? - Christine Ziegler - E-Book + Hörbuch

Warum ein Mann, wenn man Meer haben kann? Hörbuch

Christine Ziegler

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Beschreibung

Drei Freundinnen, zwei Ehemänner und ein Traum-Urlaub mit Hindernissen »Warum ein Mann, wenn man Meer haben kann??« ist ein herrlich humorvoller Roman über die Tücken der Ehe und ein traumhaftes Anwesen in der Toskana.  Ob es am Prosecco lag? Als Bell und Saskia erfahren, dass ihre verwitwete Freundin Mona ein traumhaftes Anwesen in der Toskana erbt, haben die Frauen DIE Idee, wie sie ihre eigenen langjährigen Beziehungen vor deren größtem natürlichem Feind bewahren können – dem Urlaub zu zweit: Sie fahren einfach alle zusammen nach Italien! Tagsüber werden die Männer je nach Interessenlage und natürlich ohne deren Wissen fröhlich durchgetauscht. So können die Freundinnen nach Herzenslust am Strand entspannen, durch Olivenhaine wandern oder einen Stadtbummel unternehmen. Dummerweise zieht die Urlaubsmann-Tauschagentur ein paar ungeahnte Turbulenzen nach sich – und dann ist da noch Monas Nachbar Fabio, den sie vielleicht gar nicht tauschen wollen würde. Doch dazu müsste er erst einmal zu ihr gehören …  Mit einfühlsamem Humor erzählt Christine Zieglers Wohlfühlroman von den Herausforderungen, die langjährige Ehen so mit sich bringen – und vom Glück, echte Freundinnen an seiner Seite zu haben.  Entdecken Sie auch »Sauer macht listig«, Christine Zieglers herzerfrischenden Wohlfühlroman zum Schmunzeln über eine Frau, die sich nicht mit der Affäre ihres Mannes abfindet.    

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Zeit:9 Std. 51 min

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Christine Ziegler

Warum ein Mann, wenn man Meer haben kann?

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Warum der Urlaub zu zweit der natürliche Feind einer Ehe ist – und was frau dagegen tun kann!

 

Ob es am Prosecco lag? Als Bell und Saskia erfahren, dass ihre Freundin Mona ein traumhaftes Anwesen in der Toskana erbt, haben die Frauen die Idee, wie sie ihre langjährigen Beziehungen vor deren größtem natürlichem Feind bewahren können – dem Urlaub zu zweit: Sie fahren einfach alle zusammen nach Italien – und entwickeln eine geniale Geschäftsidee! Tagsüber werden die Männer je nach Interessenlage und natürlich ohne deren Wissen fröhlich durchgetauscht. So können die Freundinnen nach Herzenslust am Strand entspannen, durch Olivenhaine wandern oder malerische Städte erkunden. Dummerweise zieht die Urlaubsmann-Tauschagentur ein paar ungeahnte Turbulenzen nach sich …

Inhaltsübersicht

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Fabios Spotify-Playlist

Dank

Für Ferdinand, meinen Alltags- und Urlaubsmann

Kapitel 1

Etwas Meer, bitte

Für heute war Mona mit der Welt und den Problemen ihrer Bewohner fertig. Fast fertig. Demonstrativ klappte sie ihren Terminkalender zu.

Udo Schatzki redete jedoch unbeeindruckt weiter. Detailreich erklärte der muskelbepackte Lagerarbeiter, was beim Bedienen eines Gabelstaplers zu beachten war, und vor allem, was dabei alles schiefgehen konnte. Geduldig wartete Mona auf eine Atempause, um sich in den Monolog einzuklinken. Vergebens.

Udo sprach schneller und lauter. Sein Bericht steuerte offensichtlich auf eine Staplerkatastrophe zu. Mona hingegen kämpfte mit einer plötzlichen Müdigkeitsattacke. Sie spürte, wie ihr innerer Akku auf Notbetrieb schaltete.

Sie schreckte hoch, als Udo mit der Faust auf die schmale Birkenholzarmlehne seines Stuhles hämmerte und schrie: »Woher sollte ich wissen, dass die Sachen zerbrechlich waren?«

Mona atmete langsam aus. Mit einem inneren Lächeln fokussierte sie sich auf ihren nächsten Termin: Sechzehn Uhr, Stilltreffen. Diesen wöchentlichen Energieschub brauchte sie dringend.

Udos Stimme begann zu zittern. »Ich halte das nicht mehr aus. Immer bin ich an allem schuld.«

»Vielleicht sollten Sie kündigen.« Mona reichte dem Mann die Taschentuchbox, die er vor Aufregung vom Beistelltisch gefegt hatte.

»Dann bin ich arbeitslos.«

»Jedes Ende ist ein neuer Anfang«, rutschte es Mona über die Lippen. Augenblicklich biss sie sich auf die Zunge und bereute den unsensiblen Spruch. Was war nur in sie gefahren? Normalerweise gab sie keine platten Lebensweisheiten von sich. Vor allem nicht gegenüber Patienten. Ein unverzeihlicher Fehler. Aber gerade fühlte sie sich völlig ausgelaugt.

Der Zweimetermann rupfte mehrere Papiertaschentücher aus der Box und wischte sich über die Augen. »Sie reden sich leicht. Sie kennen meinen Chef nicht.«

Was so nicht stimmte. Udo Schatzki sprach seit dem ersten Termin über nichts anderes. Eigentlich war er wegen massiver Schlafschwierigkeiten zu ihr gekommen. Aber die Ursache seines Problems lag tiefer. Bis jetzt kratzten sie nur an der Oberfläche.

»Und meine Kollegen. Ich kann doch nicht …« Seine Stimme versagte.

Mona stand auf. »Nächste Woche um die gleiche Zeit, Herr Schatzki?«

Sein Händedruck war sacht.

Mit zwanzig Minuten Verspätung verließ Udo Schatzki Monas Sprechzimmer. Ein Ende zu finden gehörte eindeutig nicht zu seinen Stärken. Zu Monas aber auch nicht. Daher gab Irini, Monas Assistentin, ihm vorsorglich immer den letzten Termin.

Mona öffnete ein Fenster und schloss die Augen. Seit sieben Uhr morgens hatte sie ihren Patienten jeweils fünfundvierzig Minuten lang aufmerksam und mitfühlend zugehört. Unterbrochen durch eine Viertelstunde Pause, die sie wie immer für Notizen und Rückrufe genutzt hatte. Zwischendurch hatte sie es sogar geschafft, eine matschige Banane zu essen. Durch die geschlossene Tür hörte sie Udo und Irini miteinander reden.

Mona atmete tief durch. Mailuft. Wonnemonat!

Sie lächelte über den altmodischen Ausdruck. Mona liebte Worte. Gesprochen und gedruckt, besondere und alltägliche.

Vielleicht war sie deswegen Psychotherapeutin geworden.

Das Telefon schrillte.

»Ein Herr Prim. Superdringend. Aber das ist es ja immer. Gib ihm bloß keinen Termin. Wir sind voll, und nein, du kannst nicht noch mehr arbeiten.«

»Danke, Irini.«

»Das meine ich ernst. Sonst hast du einen Burn-out und wir müssen die Praxis dichtmachen und ich bin meinen Job los. Selbst kannst du dir bestimmt nicht helfen.«

»Wenn ich dich nicht hätte.«

Irini, Sprechstundenhilfe, Putzkraft und Co-Therapeutin in Personalunion und Teilzeit, hatte Monas Zeit- und Lebensplan fest im Griff.

»Das kannst du laut sagen«, antwortete Irini mit einem theatralischen Seufzen und stellte den Anruf durch.

Herr Prim kam sofort zur Sache. Mona unterbrach ihn nicht. Je länger sie jedoch zuhörte, desto unruhiger wurde sie und tigerte im Zimmer auf und ab.

»Wenn es unbedingt sein muss, komme ich vorbei«, beendete Mona das Telefongespräch und ließ sich auf die abgewetzte braune Ledercouch plumpsen, die eigentlich für ihre Patienten gedacht war. Aber die meisten, im Prinzip alle, setzten sich auf den bequemen Stuhl am Fenster. Trotzdem behielt Mona das Ungetüm, das ihr Mann Richard ihr zur Praxiseröffnung geschenkt hatte. Er hatte behauptet, auf dem Erbstück seiner Tante Emma hätte schon der alte Goethe ein Mittagsschläfchen gehalten und anschließend ein Gedicht verfasst. Das sperrige Möbel war ein Scherz gewesen. Leider war Richard wenige Wochen später an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben, und Mona hatte es seitdem nicht geschafft, sich von dem Erinnerungsstück zu trennen. Erst im vergangenen Jahr hatte sie mit Irinis Hilfe das schwere Ding in eine Zimmerecke geschoben. Dabei hatten sie das Parkett verkratzt, und Irini hatte sich einen Nerv eingeklemmt. Zwei Wochen lang war sie ausgefallen, sogar bei ihrem ehrenamtlichen Zweitjob im Tierheim. Seitdem hasste Irini die Couch aus tiefstem Herzen und legte ihrer Chefin regelmäßig und kommentarlos Postwurfsendungen von Entrümpelungsfirmen auf den Schreibtisch.

Mona hievte einen Stapel Fachzeitschriften von der Sitzfläche auf den Boden, streifte ihre flachen Schuhe ab und streckte sich aus. In Gedanken ging sie das Telefonat noch einmal durch. Sie fühlte sich elend und überfordert.

Irini steckte ihren Kopf durch den Türspalt. »Alles in Ordnung? Bist du krank?«

»Nein, nein. Ich denke nur nach, und das geht im Liegen besser.«

»Sagt der alte Freud, oder was?« Irini grinste, und der kleine Glasstein auf ihrem Schneidezahn blitzte. »Atme auf diesem Staubmilbenfriedhof bloß nicht zu tief ein. Das könnte schlimmstenfalls bewusstseinserweiternd sein. Du bist schon ganz grün im Gesicht.«

»Keine Sorge. Das liegt an der Beleuchtung.«

»Solange es nicht an diesem Herrn Prim und seinen Problemen liegt.« Irini drückte auf den Lichtschalter der Deckenlampe, was die finstere Sofaecke kaum erhellte. »So wie du aussiehst, solltest du nicht hier, sondern an einem Strand liegen. Du brauchst dringend ein paar Tage Urlaub! Hast du überhaupt schon Pläne für den Sommer? Soll ich dir was raussuchen oder buchen?«

Mona stützte sich auf den Ellbogen. »Nicht nötig. Du kennst mich doch. Ich besuche Emil in Heidelberg. Und nächste Woche bin ich drei Tage auf einer Fortbildung. Das reicht mir.«

Irini schüttelte missbilligend den Kopf. »Fortbildungen sind keine Erholung. Und deinem Sohn kannst du nicht länger als ein verlängertes Wochenende auf die Nerven gehen. Der führt jetzt sein eigenes Leben. Auch wenn ich mich wiederhole: Du arbeitest zu viel, und sowohl die Praxis als auch du brauchen dringend einen Tapetenwechsel.«

Zur Bestätigung heulte Krümel, Irinis fast blinde Labradorhündin, auf dem Flur. Krümel hatte eine minutengenau funktionierende innere Uhr und begann bei Arbeitszeitüberschreitungen herzzerreißend zu jammern. Zur normalen Praxiszeit war sie der bravste und unauffälligste Hund, den man sich wünschen konnte. Aber bei Überstunden hatte sie eine Nulltoleranzgrenze.

Mona winkte ab. »Keine Sorge, und jetzt verkrümelt euch. Der Hund muss an die frische Luft. Bis morgen.«

Irinis Antwort ging in Freudenbellen unter. Mona wartete, bis mit einem markerschütternden Krachen die Tür zuschlug. Tatsächlich müffelte das Sofa unangenehm. Um Abstand zu gewinnen, schob sich Mona ein Kissen unter den Kopf. Geruchlich verbesserte sich dadurch die Situation, ihre Gedanken galoppierten jedoch ungehindert im Kreis. Herr Prim hatte keine Probleme, wenigstens hatte er nichts davon erzählt. Er war Notar und hatte gemeint, sie dürfe sich auf eine schöne Überraschung freuen. Die Erbschaft würde ihr Leben verändern.

Wie hatte Fanni ihr das antun können? War sie nicht immer für sie da gewesen? Sie waren doch Freundinnen gewesen. Und jetzt das. Fanni hatte genau gewusst, dass Mona Überraschungen nicht mochte. Von Veränderungen gar nicht zu reden.

»Ich will nichts«, murmelte sie und legte sich den Unterarm über die Augen. Eigentlich hatte sie ihrer alten Freundin eine gute Menschenkenntnis attestiert. Wie leicht man sich täuschen ließ. Davor hatte tatsächlich schon der gute Freud gewarnt. Mit einem Seufzer setzte sich Mona auf, ordnete ihre Haare und legte die Zeitschriften zurück. Schnelle Klarheit war besser als rumliegen und grübeln. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, holte aus der Schublade einen gefalteten Jutebeutel mit der Aufschrift Etwas Meer, bitte und steckte Geldbörse, Handy, Terminkalender und Knirps ein. Dann zog sie ihre graue Strickjacke an und verließ die Praxis. Vielleicht schaffte sie es trotz des ungeplanten Termins einigermaßen pünktlich zum Stilltreffen mit ihren Freundinnen. In einer halben Stunde wäre das Problem aus der Welt geschafft. Erbschaften konnte man schließlich ausschlagen. Auf dem Gehsteig warf Mona einen Blick auf ihre Armbanduhr und schlenderte zur Straßenbahnhaltestelle. Wenigstens brachte die Frühlingssonne München zum Leuchten.

 

Auch Saskia warf einen kurzen Blick auf ihre Smartwatch. Sie hatte vor dem Zugang zur Hirschau, einer großen Parkanlage, im Wohngebiet geparkt und dehnte am Bordstein abwechselnd ihre Achillessehnen. Sie trug zum Saisonstart nagelneue Laufsachen, eine kurze schwarze Hose und ein gemustertes Top. Nur die Schuhe waren bestens eingelaufen. Saskia startete die Messung. Ihr Brustgurt meldete ihren langsamen Ruhepuls an die Uhr, wo auch ihr Triathlon-Trainingsplan gespeichert war. In fünfundsiebzig Minuten würde sie mit ihren Freundinnen auf der Terrasse sitzen. Dafür hatte sie sogar eine kleine Packung Macarons besorgt. Vorher musste sie aber noch ihr sportliches Tagessoll erfüllen, duschen und in der Firma anrufen. Letzteres ging von unterwegs. Sie trabte los, überholte Mütter mit Kinderwägen, Spaziergänger und gemütliche Jogger. Nur sportliche Radfahrer zogen an ihr vorbei. Saskias Blick war nach vorne gerichtet. Von dem frischen Frühlingsgrün der Buchen oder dem Geruch des ersten Bärlauches ließ sie sich nicht ablenken. Schritt für Schritt wurde ihr Kopf freier, ihre Atmung tiefer.

Ein kleines Vibrieren ihrer Uhr kündigte eine Nachricht an.

Zu viel Stress im Büro. Baue Überstunden ab und bringe Kuchen mit. Bussi und bis gleich, Hans.

Saskia atmete genervt aus. Kuchen blieb in Hans’ Abteilung ständig über. Irgendjemand hatte immer Geburtstag und feierte mit den Kollegen munter und kalorienreich während der Bürozeit. Wäre Saskia die Chefin ihres Mannes, hätte sie ihm und vermutlich auch der restlichen Belegschaft schon längst gekündigt. Privatfeiern waren Privatangelegenheit, und Stress war Normalität, nicht die Ausnahme. Daher der Name Arbeit und nicht Zuckerschlecken. Irgendwann würde Hans seine Arterien mit Buttercreme und Glukosesirup verstopfen. Aber davon wollte er nichts wissen. Hans meckerte lieber an ihrem Sportprogramm rum und faselte von Entschleunigung. Saskia erhöhte das Tempo und legte einen Sprint ein. Es wurde knapp.

 

Bell trödelte. Ihre letzte Kundin war nicht zum Färben erschienen. Daher blätterte sie in der Warteecke des Friseursalons durch die neuesten Hochglanzzeitschriften und studierte Reise-, Ernährungs- und Einrichtungstipps. Inspiriert von den Frisurvorschlägen, steckte sie ihre langen blonden Haare hoch und arbeitete sich dann zu den Rezepten vor. Angesichts der farbenfrohen Köstlichkeiten lief ihr das Wasser im Mund zusammen, und ihr Magen knurrte lauter als die Haarföhne ihrer Kolleginnen. Um ihre Geschmacksnerven zu beruhigen, gönnte Bell sich in der Eisdiele um die Ecke zwei Kugeln Mango-Kokos-Eis und einen weitläufigen Umweg zu Saskias Haus. Gemütlich radelte sie nur wenig schneller als Schritttempo an der Isar entlang und schleckte nebenbei an ihrer Eiswaffel. Wie schön, wenn Zeit relativ war und nur der Augenblick zählte.

 

Bevor Bell beim Namensschild Baumgart klingelte, überprüfte sie mit der Handykamera den Sitz ihres perfekt gestylten Dutts (im Fachjargon messy bun) und zupfte ein paar Strähnen zurecht. Erst als sie mit sich zufrieden war, ließ sie den Big-Ben-Türgong um 16.14 Uhr bimmeln. Schnelle Schritte näherten sich.

»Hast du den Weg vergessen?«, pflaumte Saskia sie an.

Bell grinste und fiel ihrer Freundin um den Hals. »Ich bin unter fünfzehn Minuten. Das ist keine Verspätung. Normale Menschen lassen das als pünktlich durchgehen.«

Wortlos drehte sich Saskia um. Sie trug ein gelbes Etuikleid und passende Peeptoes. Ihre kurzen schwarzen Haare waren noch nass von der Dusche. Bell folgte ihr durch Flur und Wohnzimmer. Sie liebte die behagliche Atmosphäre des Holzhauses, das sie an eine kanadische Blockhütte erinnerte und das so gar nicht zu der nüchternen Saskia passen wollte.

»Neues Kleid? Musst du noch mal ins Büro?«

»Zweimal ja. Hab noch ein wichtiges Meeting. Und du? Hat Stephan dich endlich gefragt?«

Bell zögerte. »Wie kommst du darauf?«

Saskia zeigte mit dem Daumen auf Bells Kopf.

»Das ist nur eine Hochsteckfrisur. Das trägt man diesen Sommer.«

Saskia bog zur Küchenzeile ab. »Erzähl mir doch nichts. Weiße Blümchen im romantisch zerzausten Haar. Das ist eine Brautfrisur. Du übst schon heimlich. Mona und ich werden übrigens sehr engagierte Brautjungfern sein. Blumenmädchen kann man uns wohl nicht mehr nennen.«

»Schön wär’s«, seufzte Bell. »Aber das sind nur Gänseblümchen, die ich unterwegs gepflückt habe, und der Romantiklook kommt vom Fahrtwind. Stephan wird mich nie fragen.«

Saskia klopfte den Siebträger aus. »Dann wirst du das wohl oder übel in die Hand nehmen müssen.«

»Niemals. Da bin ich altmodisch und habe meine Prinzipien.«

»Prinz-ipien«, trennte Saskia das Wort genüsslich. »Auch wenn das Wort vielversprechend nach Prinz klingt, wirst du auf den Antrag so lange warten wie auf einen echten Märchenprinzen. Und wenn sie nicht gestorben sind …«, der Nachsatz ging im Mahlgeräusch der Kaffeebohnen unter.

»Kann ich irgendwas helfen?«, lenkte Bell vom leidigen, bereits viel diskutierten Hochzeitsthema ab. Sie wusste aus langjähriger Erfahrung, dass Saskia es hasste, wenn man ihr in der Küche im Weg stand.

»Nein. Bin in einer Minute bei dir. Geh schon mal raus.«

Auf der windgeschützten Terrasse war es angenehm warm. Bell lehnte ihre fuchsienfarbene Yogamatte an den Gartentisch und blickte in den schmalen Garten. Die ersten Maiglöckchen blühten direkt neben dem Sitzplatz. Bell kniete sich hin und schnupperte an den kleinen Blütenglöckchen. Die Kombination mit den Vergissmeinnicht war eine Augenweide. Wenige Minuten später stellte Saskia ein Edelstahltablett mit zwei Espressotassen, Wassergläsern, einem Schälchen voll pastellfarbener Backkunstwerke und einer Zuckerdose auf den Tisch.

»Fertig mit dem Blütenwachküssen, Tinkerbell?«

In einer fließenden Bewegung kam Bell aus dem Fersensitz hoch und lächelte beseelt. Sie trug eine bequem weite Baumwollhose, fußgesunde Zehenschuhe und ein gebatiktes Oberteil in zarten Rosatönen. Darauf prangte die Ursilbe OM. »Ich liebe den Frühling, wenn die Natur langsam und leise erwacht.«

Ehe Saskia antworten konnte, bog Hans in Zeitlupe mit einem brummenden Aufsitzrasenmäher um die Hausecke. Mit entschlossenem Blick näherte er sich der Rasenfläche, wo Gänseblümchen und Löwenzahn noch unerschrocken blühten. Über den Ohren trug er einen orangenen Gehörschutz. Kurz nahm er eine Hand vom Lenkrad und winkte den beiden Frauen auf der Terrasse zu.

»Ist der neu?«, fragte Bell verblüfft.

Saskia starrte zu Mann und Mäher. Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, wir hatten schon vor einem Jahr Silberhochzeit. Du und Mona wart zu der Feier eingeladen, und soweit ich mich erinnern kann, auch anwesend. Aber unter Alkoholeinfluss vergisst man ja bekanntlich so einiges.« Im Stehen kippte sie das Getränk mit einem Schluck hinunter. Schwarz. Zucker war in ihren Augen ein Suchtmittel.

Bell hingegen faltete sich im Schneidersitz auf einen Gartenstuhl, schnupperte erst, schaufelte dann einen gehäuften Löffel Zucker in die Tasse und rührte ausdauernd um. »Natürlich erinnere ich mich an eure Silberhochzeit. An jede Minute. Auch an jeden Gin Tonic des Abends. War ein wunderschönes Fest.« Vorsichtig nippte sie an der heißen Flüssigkeit. »Wie doch die Zeit vergeht.« Genießerisch schloss Bell die Augen und ließ sich die Frühlingssonne ins Gesicht und in die Seele scheinen. Nur der Motorlärm des Rasenmähers störte die Idylle.

Währenddessen zupfte Saskia an mickrigen Tomatenpflänzchen herum, schob die Pflanzkübel näher an die Hauswand, schüttelte die Polster der Gartenstühle auf und checkte die Nachrichten auf ihrem Smartphone.

»Und neu ist an ihm wirklich überhaupt nichts«, nahm Saskia das Gespräch wieder auf und setzte sich endlich hin. Mit dem unbenutzten Espressolöffelchen zeigte sie zu ihrem Ehemann. »Diese Sachen wollte ich letzte Woche entsorgen und zum Kleidercontainer bringen. Unvorsichtigerweise habe ich die Tüte in der Garage abgestellt. Hans hat sie dort entdeckt und sofort sichergestellt.«

Bell betrachtete die abgewetzte braune Cordhose und das apricotfarbene Polohemd, das sich über Hans’ Bauch spannte. Er war unrasiert, und seine spärlichen Haare standen unter dem Kopfhörer in alle Himmelsrichtungen ab. Saskias schlanke Figur, ihr modisches Kleid und ihre hohen Schuhe bildeten nicht nur zum Haus, sondern auch zu ihrem Ehemann einen seltsamen Kontrast.

»Für die Gartenarbeit ist es doch gut«, nahm Bell Hans in Schutz.

Saskia zuckte mit den Schultern. »Er nennt das nachhaltig. Bald müssen wir einen neuen Schrank für die abgetragenen Klamotten anschaffen. Ich zweifle da an der Sinnhaftigkeit. Manchmal muss man sich trennen. Wegwerfen ist eine gute Lösung. Vielleicht sogar die beste.«

Bell runzelte die Stirn und beugte sich über den Tisch. »Alles in Ordnung bei euch?«, fragte sie und musterte ihre Freundin. Vierundzwanzig Jahre war es inzwischen her, dass sie sich in der Stillgruppe ihrer Kinder kennengelernt hatten. Saskia war damals fünfundzwanzig, Mona achtundzwanzig, und Bell selbst war mit zwanzig Jahren die Jüngste gewesen. Zusammen hatten sie schwerwiegende Krisen mehr oder weniger unverletzt überstanden: Milchstau, wunde Brustwarzen, Windeldermatitis, Dreimonatskoliken, Backenzähne, Richards Tod, Elternsprechtage, Bells Scheidung und einige andere schöne und unschöne Zwischenfälle. Als Friseurin, Psychotherapeutin und Leiterin einer Werbeagentur waren sie nicht nur beruflich grundverschieden, sondern blickten ganz unterschiedlich auf die Welt. Bell staunend, Saskia zupackend und Mona zögerlich. Vielleicht lag hier das Geheimnis ihrer Freundschaft.

Saskia zuckte mit den Schultern. »Aber natürlich. Alles wie immer.«

Der benzinstinkende Motor des Rasenmähers jaulte auf.

»Dann bin ich erleichtert. Du hast mir gerade Angst eingejagt«, mit einem Seufzer ließ Bell sich in die weichen Polster des Gartenstuhls zurücksinken. »Im Moment lese ich nur noch von Affären oder Scheidungen.«

»Das liegt an den Hochglanzmagazinen, die bei dir im Salon rumliegen. Bei den Reichen und Schönen gehören Scheidungen und Affären seit jeher zur Stellenbeschreibung.«

Bell schüttelte den Kopf. »Auch um mich herum. Es vergeht kaum ein Haarschnitt ohne Trennungsabsicht. Ich höre ständig das Wort Scheidung.«

Saskia sprang auf und stellte sich vor die Tomatenpflanzen. »Komisch. Ich höre gerade eher ein Formel-1-würdiges Motorgeräusch.« Sie schraubte eine grüne Plastikflasche auf und kippte eine Dosierkappe voll Guano-Bio-Super-Dünger in eine grüne Gießkanne. »Das mit den Scheidungen ist in unserem Alter normal. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, bricht die Welle los. Die Männer werden zunehmend schwierig. Ich frag mich, warum die nicht größer werden.«

Bell verkniff sich ein Grinsen. Saskia war es gewohnt, dass ihre Anweisungen umgesetzt wurden, und konnte nicht akzeptieren, dass sich die Tomaten auf ihrer Terrasse dem Wachsen widersetzten.

»Wenn das nicht besser wird, muss ich auf Blaukorn umsteigen«, drohte Saskia. »Dann ist hier Schluss mit bio.«

»Apropos Schluss mit bio. Ich wollte eigentlich wissen, ob der Rasenmäher neu ist? Den hab ich tatsächlich noch nie gesehen.«

Hans schaltete in den Turbogang.

»Der ist sogar nagelneu. Du hast die Ehre, die Jungfernfahrt dieses technischen Wunderwerkes männlicher Ingenieurskunst mitzuerleben. Der Konsumverzicht beschränkt sich bei Hans nur auf Bekleidung. Im Baumarkt kann er nicht widerstehen. Da erliegt er jedem Kaufangebot.« Saskia nahm ein himbeerfarbenes Macaron und knabberte eine Hälfte ab. »Hans ist dort Premiumkunde und verbringt seine Samstagvormittage zwischen Akkubohrern, Hochdruckreinigern und exotischen Spezialwerkzeugen. Ich bin sicher, dass wir das Baumarktvollsortiment in Garage und Keller lagern.«

Versonnen schauten die Freundinnen zu, wie Hans durch den schmalen, aber langen Reihenhausgarten manövrierte und mehrfach elegante Kreise um die Rosenbüsche zog.

»Für dich als Werbefachfrau ist das doch hochinteressant.«

Saskia zog fragend ihre Augenbraue hoch. »Wie meinst du das?«

»Es muss schwierig sein, einen so konsumkritischen Mann wie Hans zum Kauf zu verführen.«

Saskia schob sich das restliche Backkunstwerk in den Mund. Das luftig leichte Gebilde war so zart, dass sie es mit der Zunge zerdrücken konnte, und eine Ernährungssünde wert. »Männer in diesem Alter sind eine leicht durchschaubare Zielgruppe. Sie wollen immer neue Spielzeuge.«

Hans näherte sich der Terrasse.

»Das ist ein ziemlich lautes«, schrie Bell gegen den Motorlärm an und hielt sich die Ohren zu.

Auch Saskia steckte sich die Zeigefinger in den Gehörgang und wartete auf den Richtungswechsel. »Daher trägt Hans diese presslufthammertauglichen Ohrschützer und kann uns nicht lästern hören.«

»Bisher hatte er doch einen Handmäher«, überlegte Bell.

»Den der alte Umweltschützer wegen der Bienen nur selten benutzt hat. Jahrelang hat er mir erzählt, dass hohes Gras gut ist. Dann blühen Blumen, und die Insekten haben Futter«, bestätigte Saskia. »Aber Dinge ändern sich. Hans hat den Rasenmähtraktor bei einem Preisausschreiben gewonnen.«

»Was für ein Glück.« Bell liebte es, etwas zu gewinnen. Sie machte bei jedem Preisausschreiben mit.

»Wie man’s nimmt«, erwiderte Saskia. »Ich glaub ja eher, er hat Unmengen Rabattpunkte angesammelt, und das Ding ist eine redlich verdiente Prämie. Aber das gibt er natürlich nicht zu. Die Baumarktrechnungen bekomme ich nie zu sehen.«

Hans fuhr in rasantem Tempo auf das Salatbeet zu. Saskia sprang auf und wedelte wie eine Flugzeugeinweiserin mit den Armen. Kurz vor den sprießenden Iris-Trieben riss Hans das Lenkrad herum. Saskia ließ sich auf den Gartenstuhl zurückfallen. Er hatte seine Frau nicht einmal bemerkt.

»Freu dich doch, dass er Haus und Garten tipptopp hält. Euer Garten ist ein kleines Paradies.« Zur Bestätigung stürzte sich eine Wespe auf das letzte Macaron. Bell wich ängstlich zurück. Sie war auf Wespenstiche allergisch.

»Wir geben allen Tieren und Pflanzen eine Heimat. Hans lässt Unkraut wuchern und stellt jedes Lebewesen unter Naturschutz. So war es zumindest mal, aber das ist vorbei. Ab jetzt wird gemäht.« Saskia schlug nach der Wespe.

»Aber er repariert alles selbst. Das ist echt viel wert. Ich brauche für jede Kleinigkeit einen Handwerker oder Gärtner.«

»Ihr habt doch nicht mal einen Garten«, warf Saskia ein.

»Doch, einen Dachgarten. Das ist noch komplizierter als am Boden.«

Saskia konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Bell ignorierte es. »Wenn Stephan mal daheim ist, will er sich um nichts kümmern. Er will raus, sich auspowern. Rad fahren, laufen, klettern.«

»Das würde Hans auch nicht schaden. Der Arzt rät ihm wegen seines Bluthochdrucks zu mehr Bewegung. Aber er hält Sport für Mord. Ein wenig mehr Ausdauer würde ihm garantiert nicht schaden. Seit Neuestem schnauft er beim Treppensteigen wie eine altersschwache Dampflok.«

Tatsächlich war Hans’ Kopf hochrot und sein Gesicht schweißnass. Mit hochgezogenen Schultern und rundem Rücken kauerte er auf dem Traktorsitz.

Bell wiegte ihren Kopf von einer zur anderen Seite. »Jeder findet auf seine Weise zum Glück.«

»Das klingt nach Monas Jutebeuteln oder der Beschriftung meines Yogi-Tees. Die regt mich jeden Morgen auf. Ich frag mich, welchem Werbefuzzi das eingefallen ist«, beschwerte sich Saskia und trank einen Schluck Wasser. »Ist Stephan unterwegs?«

»Wie immer. Singapur oder Hongkong. Ich pass da gar nicht so genau auf. Irgendein wichtiger Geschäftsabschluss in Asien. Er kommt am Freitag zurück. Wahrscheinlich könnte er dir für deine innere Ausgeglichenheit ein paar Teebeutel mitbringen, und du entwirfst in deiner Agentur dafür eine sinnspruchfreie Kampagne.«

Bevor Saskia antworten konnte, bahnte sich das Unglück seinen Weg. Hans nahm die Kurve zwischen Kirsch- und Apfelbaum zu schnell und mähte kurzerhand einen Teil des Pfingstrosenbeetes ab. Saskias Lieblingsblumen. Der mürbe Keks zerbröselte zwischen ihren Fingern. Sie schloss kurz die Augen. »Wie heißt dein Gärtner?«, fragte sie schmallippig.

Kurz nach dem Gartendesaster parkte Hans den Hauptgewinn vor der natursteingepflasterten Terrasse. Ungelenk stieg er ab und streckte sich. »Hallo, Bell! Wunderschöner Tag heute.« Mit dem Handrücken wischte er sich über die Stirn. »Mähen ist ganz schön anstrengend. Ich brauch jetzt dringend etwas zu trinken. Kann ich euch auch was bringen?«, fragte er betont fröhlich und zog seine schwarzen Gummistiefel aus. Eine seiner weißen Tennissocken hatte ein Loch am großen Zeh.

»Gerne zwei Lillet Rosé Tonic«, nahm Saskia das Angebot an. Angespannt presste sie ihre Fingerspitzen gegeneinander und ließ ihren Blick auf Hans’ Füßen ruhen.

»Vielleicht wäre es besser, du würdest selbst … Ich weiß nicht genau«, versuchte er auch hier die Kurve zu kriegen. Das lief bei seiner Frau genauso erfolglos wie beim Pfingstrosenbeet.

»Wer dieses Gerät bedienen kann, schafft es auch, für uns einen Aperitif zu mixen«, erwiderte Saskia zuckersüß. »Eis ins Glas, dazu 5 cl Lillet Rosé und 10 cl Tonicwater. Alles im Kühlschrank.«

Saskia nahm das letzte Macaron und hielt es ihrem Mann vor die Nase. Er ließ sich von ihr füttern.

»Das Tablett kannst du mit in die Küche nehmen. Das waren übrigens Blumen, die du gerade abrasiert hast, mein Hase.«

Entschuldigend hob er die Hände, die in robusten Lederarbeitshandschuhen steckten, und lächelte seine Frau entschuldigend an. »Das wächst alles nach. Mit ein bisschen Dünger blühen die im Sommer.«

Bell stellte die Espressotassen auf das kleine Tablett und gab es ihm in die Hand. Mit den schweren Handschuhen hätte er es sonst nicht greifen können.

»Pfingstrosen blühen im Mai. In ein oder zwei Wochen wären die Knospen aufgegangen. Da kann selbst die Kacke von Pinguinen oder anderen Seevögeln nichts mehr ausrichten«, informierte Saskia betont sachlich.

Kleinlaut ließ er den Kopf hängen. »Ich übe noch. Ist wirklich nicht leicht, enge Kurven zu nehmen. Unser Garten ist einfach zu schmal.«

Bells Dutt drohte sich aufzulösen. Sie fixierte das lose Gebilde zusätzlich mit einem ihrer vielen bunten Armbändchen. Die knisternde Luft zwischen Saskia und Hans machte sie nervös. Sogar die Gänseblümchen waren inzwischen verwelkt. Bewusst atmete sie und schickte positive, harmonisierende Gedanken in die warme Frühlingsluft.

»Leider wird unser Grundstück nicht wachsen und breiter werden. Du solltest das Ding vielleicht einem Fußballverein schenken. Da ist der Wendekreis unerheblich«, schlug Saskia vor. Hans ging darauf nicht ein und verschwand strumpfsockig im Haus. Im Wohnzimmer rutschten ihm die Tassen vom Tablett und zerbrachen scheppernd auf dem Eichenparkett.

»Zieh doch die Handschuhe aus, Hase. Das verbessert die Feinmotorik ungemein. Und vergiss die Limettenscheibe nicht«, rief ihm Saskia hinterher.

Bell schüttelte ungläubig den Kopf. »Ihr seid wirklich ein Traumpaar. Hat Hans eigentlich frei?«

Saskia seufzte tief. »Beruhigenderweise ist er weder krank noch arbeitslos. Er baut Überstunden ab und hat große Pläne. Er will innerhalb der nächsten Woche den Balkon streichen, den Garagenboden fliesen und den Kompost umsetzen.« Saskia verdrehte die Augen. »Ich werde in der Zeit wohl länger im Büro bleiben, sonst vergifte ich ihn oder überfahre ihn einfach gleich mit dem neuen Rasenmäher.«

Bell zog ihre Stirn in Falten. »Über deine ehelichen Gewaltfantasien solltest du vielleicht einmal mit Mona sprechen. Gedanken sind der Anfang von Taten.«

Saskia kontrollierte den makellosen Lack ihrer Fingernägel. »Niemals. Lieber gehe ich lebenslang hinter Gitter.«

»Wenn du nicht auf den Rat deiner Freundinnen hören willst«, Bell zog ein beleidigtes Gesicht, »besuchen wir dich jeden Mittwoch im Gefängnis. Du kannst auf uns zählen.«

Die beiden Frauen lachten.

Hans kam mit den Getränken und einem Teller voll Marmorkuchenbrösel. Er war über die ausgelassene Stimmung sichtlich erleichtert und setzte sich neben Saskia. Von den Mordideen seiner besseren Hälfte hatte er nichts mitbekommen.

»Wo ist eigentlich Mona?«, fragte er und stellte die von der Kälte beschlagenen Weingläser ab. Für sich hatte er eine Flasche alkoholfreies Bier mitgebracht.

»Wahrscheinlich in der Praxis. Sie hat geschrieben, dass sie noch einen Termin hat und später kommt.« Saskia nahm einen Mini-Testschluck und nickte zufrieden.

»Mona arbeitet zu viel. Mittwochnachmittag hat sie doch ihre Praxis geschlossen«, stellte Hans kopfschüttelnd fest.

»Bestimmt ein Notfall. Du kennst sie doch. Ihre Patienten gehen immer vor.« Bell probierte ein Marmorkuchenfragment.

»Aber nicht vor uns! Daran müssen wir sie mal wieder erinnern.« Demonstrativ stand Saskia auf und hob das Glas. »Auf ewige Treue. Eine für alle, alle für eine.«

Auch Bell sprang auf und nahm Haltung an. »Freundinnen bis in den Tod«, ergänzte sie mit feierlicher Stimme. Beherzt stießen sie die Gläser aneinander und starrten sich dabei demonstrativ in die Augen.

»Manchmal frage ich mich, ob ihr eure Freundschaft nicht zu ernst nehmt. Bis in den Tod«, wunderte sich Hans. Er war sitzen geblieben. »Auf einen wunderbaren Sommerurlaub«, versuchte er einen weniger existenziellen Trinkspruch und prostete den beiden Frauen zu.

Saskia erstarrte. Sie vergaß sogar zu trinken. Hans hingegen leerte seine Flasche in einem Zug.

»Probiert den Marmorkuchen. Der ist besser, als er aussieht.« Dann ging er zu seinem Mäher zurück.

»Die nächste Katastrophe«, stöhnte Saskia und starrte auf den Teller.

»Geschmacklich ist der wirklich in Ordnung. Nur ein wenig durchgeschüttelt.«

Kraftlos ließ sich Saskia auf den Gartenstuhl sinken. »Ich rede auch nicht vom Kuchen, sondern vom Sommerurlaub. Ich wäre froh, Hans würde wie Mona weniger auf den Ausgleich der Work-Life-Balance achten.«

Die nächste Wespe näherte sich.

»Ist wirklich alles in Ordnung?«

Bell wedelte panisch mit der Hand in der Luft herum. Saskia reagierte nicht auf die drohende Gefahr. »Wenn jeder seinen täglichen Aufgaben nachgeht, führen Hans und ich ein mehr oder weniger harmonisches Alltagsleben. Aber Urlaub, Bürokuchen und Überstundenabbau gefährden unser Zusammenleben. Bis jetzt habe ich das Thema Sommerurlaub erfolgreich verdrängt.«

Die Wespe hatte keine Lust auf Marmorkuchen und machte sich aus dem Staub. Bell nippte am rosa Getränk. »Fährst du nicht mit Melina und Larissa weg? Eine aufregende Stadt, Shopping zu dritt? Hans ist da doch nie mitgefahren.«

Bedauernd schüttelte Saskia den Kopf. »Ja, das war immer perfekt. Barcelona, London, letztes Jahr Kopenhagen. Was wir alles erlebt, gesehen und vor allem gekauft haben. Keine ruhige Minute, kaum Schlaf, Übergepäck beim Rückflug. Ein Traum. Aber jetzt haben die beiden keine Zeit für ihre alte Mutter und eigene Pläne«, jammerte sie. »Larissa brütet über ihrer Bachelorarbeit und wird anschließend mit ein paar Freundinnen in Griechenland segeln gehen. Melina tourt mit Rucksack und Freund durch Georgien. Mich hat niemand nach meinen Urlaubsplänen gefragt. So ist es mit den Kindern. Erst baut man mit ihnen Sandburgen am Strand oder streichelt auf Bauernhöfen dämliche Ziegen und Kühe, und dann ist man einfach so vergessen und kann schauen, wo man bleibt. Hans will in den Alpen wandern, ganz gemütlich, mit leichtem Gepäck. Sein Traum ist eine Almhütte ohne WLAN, Fernsehen oder andere rudimentäre Unterhaltungsmöglichkeiten. Basic nennt er das. Einfach leben. Für mich ist das Langeweile pur.« Tief schaute sie in ihr Glas.

»Das wird schon«, tätschelte Bell Saskias Hand. »Wenn die Kinder erwachsen sind, muss man seine Ehe einfach neu definieren und wieder zusammenfinden. Das Leben besteht aus Veränderungen.«

Saskia verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Du musst wirklich nicht Monas Stelle einnehmen, wenn sie nicht da ist. Wie läuft das denn bei dir und Stephan? Habt ihr schon gebucht?«

Bell drehte das Weinglas zwischen ihren Händen. »Wir konnten uns noch nicht auf ein Ziel einigen«, gab sie zu.

Beide schwiegen, nur Hans mähte. Nach ein paar Minuten nahm Bell das Gespräch wieder auf. »In einer Zeitschrift habe ich heute gelesen, dass jede dritte Scheidung nach dem Urlaub eingereicht wird. Das ist doch schrecklich.«

»Wundert es dich?«, fragte Saskia.

»Nein, eigentlich nicht.« Bell trank einen Schluck und verzog das Gesicht.

»Nach zwei, drei Schlucken willst du in diesem Sommer nichts anderes mehr«, ermutigte Saskia sie. »Da muss man durch. Man gewöhnt sich an alles.«

»Glaubst du?«

»Bestimmt.« Ob sich Saskias Antwort auf Getränk oder Sommerurlaub bezog, blieb offen. »Außerdem bist du doch mit Stephan nicht mal verheiratet. Was soll da schon schiefgehen?«

Bell starrte in den Himmel. Auf dieses Thema war sie allergisch. »Ich muss zum Yoga. Magst du mich begleiten? Danach fühlst du dich wie neugeboren und voll innerer Harmonie.«

»Nein, danke. Davon wachsen weder meine Pfingstrosen nach, noch wird sich die Urlaubsfrage mantrasingend klären lassen. Ich fahr ins Büro. Wir haben eine wichtige Kampagne laufen. Nächste Woche bei dir?«

Bell nickte.

Die beiden Freundinnen verabschiedeten sich mit einem Wangenkuss, als ihre Smartphones gleichzeitig den Eingang einer Nachricht ankündigten. Bei Saskia war es ein dezenter Klickton, bei Bell ein satter, raumgreifender Gong.

»Mona«, sagten sie wie aus einem Mund. Und tatsächlich war die Nachricht von ihr und bestand aus dem großgeschriebenen Wort NOTFALL.

»Hoffentlich ist nichts mit Emil«, meinte Bell und setzte sich wieder auf den Gartenstuhl. »Ist sie krank? Hat sie was von einem Arzttermin erzählt?« Mit fliegenden Fingern tippte Bell: Was ist passiert? Geht es dir gut?

Innerhalb von Sekunden erschien die Frage im WhatsApp-Gruppenchat. Saskia und Bell starrten auf ihre kleinen Bildschirme. Mona schreibt, informierte sie das kleine Gerät. Endlich gongte beziehungsweise klickte die Antwort. Ich brauche euren Rat. Können wir uns treffen? 20 Uhr bei Mario?

Bell legte erschrocken ihre Hand vor den Mund. »Das klingt schrecklich.«

»Ich ruf sie an«, entschied Saskia kurzerhand. Spekulationen machten sie wahnsinnig. Doch Mona ging weder an ihr Handy noch an ihren Privat- oder Praxisanschluss. Auch Irini war nicht zu erreichen. Bell faltete ihre Hände vor der Brust. »Wir müssen Ruhe bewahren und abwarten. Bei einer Katastrophe hätte uns Irini bestimmt angerufen.« Sie antwortete auf Monas Vorschlag mit einem Daumen nach oben und einem küssenden Smiley.

Saskia plusterte ihre Wangen auf und ließ die Luft zischend entweichen. »Ich dreh ihr heute Abend höchstpersönlich den Hals um. Mich spannt man nicht auf die Folter, und das weiß sie.« Saskia tippte ein schlichtes Ja.

Bell legte ihre silberberingte Hand auf Saskias Arm. »Lass die Wut los und zeig dich verletzlich. Ich weiß doch, dass unter deiner harten Schale ein sehr weicher Kern steckt.«

Saskia schüttelte sie ab. »Den Text kannst du bei deiner Yogalehrerausbildung anbringen, aber nicht bei mir. Mir war lieber, als du noch Pilates gemacht hast. Das war wenigstens weisheitenfrei, und die schlauen Sprüche waren Monas Revier. Aber inzwischen tickt ihr doch beide nicht mehr richtig. Wir sehen uns um acht.« Saskia nahm die Gläser und verschwand in die Küche.

Bell griff nach ihrer Mattenrolle, verabschiedete sich pantomimisch bei Hans und verließ den Garten durch die Garage, wo sich bereits Fliesenpakete stapelten. Nur gut, dass Saskias schwarzer Elektro-Mini wenig Platz brauchte.

Während Bell zum Yogastudio radelte, versuchte sie ihre Atmung zu regulieren. Aber die Unruhe saß wie ein ungebetener Gast auf dem Gepäckträger und ließ sich nicht wegatmen.

Kapitel 2

Liberté, Egalité, Weinschorlé

Auf die Minute pünktlich betrat Saskia das italienische Restaurant Da Mario. Der Besitzer, der nicht Mario, sondern Guido hieß, stand hinter der Bar und begrüßte sie mit einem freundlichen Nicken. Die Stillgruppe frönte hier seit der Eröffnung ihrer Sehnsucht nach Italien. Saskia hatte sich sogar um Logo, Speisekarten und Internetauftritt des Restaurants gekümmert. Im Vorbeigehen bestellte sie einen Crodino und steuerte auf ihren Stammplatz in der hinteren Raumecke zu. Noch schöner wäre es auf der Hinterhofterrasse, aber dafür war der Maiabend noch zu kalt. Hans und der hundertjährige Kalender hatten prophezeit, dass es nach den Eisheiligen schnell warm würde. Was aber noch auf sich warten ließ.

Bell war bereits da. Sie war aufgesprungen und winkte nervös. »Hast du etwas von Mona gehört?«

»Nein, gar nichts.« Saskia setzte sich. Sie war wie Bell in legeren Freizeitsachen unterwegs, was bei Saskia Chinos, Sneakers und Pulli bedeutete. Bell hingegen trug ein locker fallendes türkises Seidenkleid. Ihre Sachen waren vermutlich immer bequem, überlegte Saskia. Seit sie Yoga und andere fernöstliche Bewegungskünste praktizierte, achtete sie darauf, dass Kleidung sie weder beengte noch einschnürte, um den Energiefluss nicht zu stören. Es stand ihr ausgezeichnet. »Seit wann wartest du?«

»Seit zwanzig Minuten. Normalerweise ist Mona doch immer die Erste. Ich hab eine schreckliche Vorahnung.«

So viel zur inneren Ruhe durch Yoga, dachte Saskia, sprach es aber nicht aus. Sie selbst hatte sich erfolgreich durch Arbeit abgelenkt.

»Ich gebe ihr fünfzehn Minuten. Wenn sie bis dann nicht kommt, geh ich. Ich hab noch was anderes zu tun, als über kryptische Nachrichten zu grübeln. Morgen habe ich eine wichtige Präsentation, die ich noch überarbeiten muss.« Ungeduldig riss Saskia eine Packung Grissini auf und zerbröselte die Stäbchen auf dem Tisch. Guido brachte den Aperitif.

»Wir warten auf Mona. Wenn sie nicht kommt, essen wir nichts«, informierte Saskia ihn.

Bell hielt sich an einer grünen Flasche mit stillem Wasser fest. »Hans hat schon recht, Mona arbeitet zu viel. Seit Emil ausgezogen ist, ist es noch schlimmer. Sie ist von früh bis spät in der Praxis. Das findet Irini auch. Sie war letztens bei mir zum Strähnchenfärben.«

Saskia nippte an ihrem Glas. »Es ist immer einfacher, sich um die Probleme der anderen als die eigenen zu kümmern. Und da hätte Mona einiges zu tun.«

Bell drehte an einem schmalen Ring an ihrem Daumengelenk, als wollte sie es abschrauben. »Es ist bestimmt nur ein Notfall in der Praxis.«

Saskia schüttelte den Kopf. »Nein, das ist privat. Mona hält sich an ihre Schweigepflicht. Sie würde uns nie von einem Patienten erzählen.«

»Von sich selbst erzählt sie auch kaum«, überlegte Bell.

»Sie ist eben ein stiller Typ. Das war sie doch schon immer. Man muss ihr alles aus der Nase ziehen. Zuhören ist bei ihr so was wie eine Berufskrankheit.« Saskia hob ihre Schultern leicht an.

»Vielleicht kommt sie bei uns beiden auch einfach nicht zu Wort«, überlegte Bell.

Saskia grinste. »Willst du sagen, wir reden zu viel?«

»Wir? Niemals! Aber eine muss schließlich zuhören.«

Saskia drohte Bell mit einem Grissinostäbchen. »Das klingt schon wieder verdächtig nach einer Tee- oder Jutebeutelweisheit. So im Stil von ›Reden ist Silber, Schweigen ist Gold‹.«

Jetzt lächelte auch Bell. »Mir gefällt Platin ja am besten.«

Saskia brach ein weiteres Grissino in zwei Zentimeter lange Stücke. »Sie hat Richards Tod nie verwunden.«

»Ist das nicht normal?«, fragte Bell.

»Nein. Das Leben geht weiter. Richard hätte bestimmt nicht gewollt, dass sie den Rest ihres Lebens als trauernde Witwe verbringt. Aber Mona klammert sich an die Vergangenheit und lässt nicht los. Als Therapeutin sollte sie das wirklich besser hinbekommen.«

»Es war einfach zu früh.« Bell aß die mundgerechten Gebäckstücke. »Ich fürchte, sie macht sich heute noch Vorwürfe, dass sie die ersten Anzeichen nicht bemerkt hat.«

»Sie trifft keine Schuld.« Saskia riss die nächste Grissinipackung auf. »Richard hätte es selbst erkennen müssen. Schließlich war er Arzt.«

»Kinderarzt«, ergänzte Bell.

Guido brachte kommentarlos Grissininachschub und die Speisekarten. Saskia warf einen kurzen Blick auf die drei Tagesgerichte. Den Rest kannte sie in- und auswendig. Falls Mona sich doch noch bequemen sollte, hier aufzutauchen, würde sie sich für Roastbeef al limone entscheiden. Danach vielleicht noch Erdbeeren mit Mascarpone. Je nachdem, wie schwer verdaulich Monas Notfall war. Saskias Magen knurrte leer, aber erwartungsvoll. »Noch drei Minuten.«

Die Freundinnen starrten zur Tür. Sie ging auf, und ein Paar mit einem kreischenden Kleinkind kam herein.

»Gut, dass ich gleich weg bin. Ein brüllender Zwerg ist das Letzte, was meine Nerven jetzt brauchen.« Saskia widmete sich erneut der Grissini-Semmelbrösel-Herstellung und sah nicht, dass Mona der jungen Familie folgte. Sorgfältig schloss sie die Tür, die eigentlich einen automatischen Schließer hatte.

»Endlich. Da ist sie«, stöhnte Bell erleichtert auf.

»Wurde auch Zeit.« Saskia wischte die Brösel unter ihre weiße Stoffserviette.

Bell beugte sich vor. »Kannst du erkennen, was auf ihrer Tasche steht?«

Saskia schüttelte den Kopf. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass diese mäßig witzigen Aufdrucke irgendetwas über Monas Gefühlslage aussagen? Sie behauptet doch immer, sie nimmt einfach die nächstbeste aus der Schublade.«

»Das habe ich ihr noch nie abgenommen. Auch nicht, dass sie die Dinger von Patienten geschenkt bekommt. Da steckt mehr dahinter. Entweder bewusst oder unbewusst. Das Universum kennt keine Zufälle.«

»Manchmal frage ich mich, warum ich es schon so lange mit euch aushalte. So ganz normal seid ihr beide nicht«, erwiderte Saskia.

Bell strahlte ihre Freundin an. »Dafür haben wir ja dich.«

Mona wartete geduldig, bis das widerspenstige Kleinkind in einem Kinderstuhl verstaut war, und lächelte die Familie dabei freundlich an. Ein paar Strähnen ihrer hochgesteckten Haare hatten sich gelöst. Anders als bei Bell war das nicht gewollt. Mona wirkte abgehetzt.

»Konntest du dich nicht von deinen Patientenakten losreißen?«, stichelte Saskia.

Mona schaute sie irritiert an. »Bin ich zu spät?« Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Armbanduhr. »Das tut mir leid. Ich hoffe, das ist für euch in Ordnung, dass wir uns am Abend treffen.«

Saskia verdrehte demonstrativ die Augen. »Sonst säßen wir nicht hier. Die Männer sind versorgt. Stephan rettet das Bankwesen in Asien und Hans die Bienen beim Imkerstammtisch.«

»Gut. Ich bin heute etwas durcheinander. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Alles fühlt sich falsch an.« Mona versuchte eine Haarsträhne in ihre Frisur zurückzustecken. Erfolglos.

»Bevor du rumjammerst, könntest du einfach erklären, was passiert ist.« Wenn Saskia nervös war, wurde sie unfreundlich.

Mona setzte sich und strich sich über die Augen. Dann legte sie ihre Hände auf das weiße Tischtuch. »Ich war beim Notar.«

»Und?«, fragt Saskia und trommelte mit den Fingerspitzen.

»Es ist schrecklich«, Mona tastete in ihrem Stoffbeutel (Liberté, Egalité, Weinschorlé) nach Taschentüchern.

Die Freundinnen warfen sich einen irritierten Blick zu.

»Geht es um Emil?«, fragte Bell vorsichtig nach Monas einzigem Sohn. Mona schüttelte den Kopf und schnäuzte sich.

»Du hast gesundheitliche Probleme und hast dein Testament gemacht?«, versuchte es Saskia.

»Nein. Mir geht es gut.«

Besorgt kam Guido an den Tisch. »Kann ich helfen?«

Die drei Frauen schüttelten gleichzeitig den Kopf.

»Etwas zu essen? Alkohol?«, bot er an.

Mona bestellte ein Weißweinschorle.

»Ja, was denn dann?«, platzte Saskia der Kragen. Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Deckel der Parmesandose schepperte, die Gläser klirrten. Das Kleinkind am Nachbartisch, das sich gerade beruhigt hatte, zuckte zusammen und begann wie eine Sirene zu heulen.

»Fanni ist tot«, flüsterte Mona.

»Fanni ist was?«, schrie Saskia gegen das Gebrüll an.

»Tot! Sie ist tot.« Mona presste sich das Taschentuch gegen den Mund. Die Mutter floh mit dem Kleinkind auf die Toilette. Der Lärmpegel ebbte langsam ab.

Bell beugte sich vor. »Deine Nachbarin Fanni?«

Mona nickte.

»Aber das wissen wir doch.« Bell zog die Augenbrauen hoch. »Du hast uns vor zwei oder drei Wochen selbst erzählt, dass sie in ihrer Wohnung ganz friedlich gestorben ist. Ist sie nicht uralt geworden?«

»Vierundneunzig«, bestätigte Mona.

»Und deswegen heulst du jetzt rum?« Saskia rang um Fassung. Sie war von Verrückten umgeben.

Mona blickte auf ihre Hände. »Sie hat mir ihr Haus in Italien hinterlassen.«

»Das ist natürlich ein klarer Grund zur Verzweiflung«, bestätigte Saskia.

Umständlich zog Mona ein frisches Taschentuch aus der Verpackung und schnäuzte sich. Bell und Saskia schauten sich an. Saskia tippte sich mit ihrem Zeigefinger an die Schläfe.

»Dich erschüttert nicht Fannis Tod, sondern dass sie dir das Haus vermacht hat?«, versuchte Bell, die Situation zu verstehen.

Mona nickte. »Damit hätte ich nie gerechnet. Fanni war eine entzückende Dame mit Witz und Stil. Wie ihr wisst, habe ich sie seit Jahren in mein Herz geschlossen.«

»Was ja bekanntlich eine deiner Berufskrankheiten ist«, stellte Saskia fest.

»Nein, das war nicht beruflich. Sie war meine Nachbarin und Freundin.« Mona zögerte. »Natürlich auch ab und an meine Patientin. Aber nur sporadisch.«

»Wer ist eigentlich nicht bei dir in Behandlung? Deine Nachbarin, Bells Gärtner, mein Zahnarzt. Ich würde mich nie von dir therapieren lassen. Vorher würde ich mich von der nächstbesten Klippe werfen.« Saskia schüttelte sich wie ein nasser Hund.

Bell legte ihre Hand auf Monas Schulter. »Was ist jetzt mit dem Haus?«

»Dieses Haus war Fannis Lebenstraum, ihr privater Glücksort. Sie hat mir oft davon erzählt. Es liegt in einem großen Garten und ist von uralten Oliven- und Mispelbäumen umgeben. Aber egal wie schön es ist, ich will kein Haus in irgendeinem italienischen Dorf. Ich spreche nicht einmal die Sprache, kann höchstens ein Bier bestellen. Bei der Weinauswahl scheitere ich schon.«

»Jetzt übertreib nicht. Spaghetti, Eis und Pizza geht immer. Das schaff sogar ich, dank VHS-Kurs, in fließendem Italienisch. Aufgepasst: Scusi Guido, vorremmo ordinare«, rief sie durch den Gastraum.

Bell kicherte. Und selbst Mona konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Nachdem wir jetzt wissen, dass es nicht um Leben und Tod geht«, Saskia zögerte, »abgesehen von Fanni natürlich, werden wir etwas essen. Vielleicht kann ich Monas verworrenen Gedankengängen mit vollem Magen besser folgen und erkenne das Problem.«

Guido kam an den Tisch und schlug sichtlich erleichtert ein dreigängiges Menü vor, das einstimmig angenommen wurde.

»Und was willst du jetzt tun?«, fragte Bell.

»Deswegen will ich mit euch reden. Ich brauche euren Rat. Der Notar gibt mir zwei Wochen Bedenkzeit. Schlage ich das Erbe aus, enttäusche ich Fanni.«

»Bei einer Toten eher unwahrscheinlich«, stellte Saskia nüchtern fest.

»Nehme ich es an, überfordere ich mich. Wahrscheinlich ist alles total verwahrlost. Außerdem muss ich mich dann auch noch um den gesamten Nachlass kümmern und die Münchner Wohnung auflösen.«

Saskia nickte. Letzteres könnte tatsächlich ein Problem werden. Mona konnte nichts wegwerfen.

»Ein Haus in Italien. Für mich klingt das einfach nur traumhaft«, schwärmte Bell. »Die Aura der Bäume muss großartig sein. Das wäre der perfekte Platz zum Yogaüben und Energietanken.« Vor ihrem inneren Auge sah sie sich schon ihre Matte ausrollen und in stiller Meditation versinken.

»Für mich klingt das nach sehr viel Arbeit. Ich bin allein. Emil ist keine Hilfe. Das wisst ihr von euren Kindern. Die müssen sich um ihr eigenes Leben kümmern.«

Saskia schob die Grissinibrösel zu Mustern zusammen. »Erwähn das nicht! Meine Töchter fahren dieses Jahr nicht mit mir in Urlaub, und ich muss stattdessen mit Hans wandern gehen. Wahrscheinlich reichen ich oder er anschließend die Scheidung ein. Bell und ich haben heute erst darüber gesprochen, wie gut getrennte Urlaube für den Ehefrieden sind.«

Mona musterte Saskia. »Auf Dauer ist das nicht gut für die Beziehung. Damit stellt man sich nicht, sondern schiebt Unstimmigkeiten nur vor sich her«, verfiel sie in ihre sanfte Therapeutinnenstimme. Wie selbstverständlich schob sie die Tempopackung in die Tischmitte zu den Grissiniüberresten.

»Keine Lebensratschläge«, warnte Saskia. »Du bist nicht in der Praxis, und es wird außer dir auch keine zu weinen anfangen. Du kannst die Taschentücher stecken lassen.«

»Entschuldige. Das ist ein Reflex. Sehr peinlich.«

Es gab eine Absprache zwischen den Freundinnen, dass weder sie noch ihre Beziehungen oder Kinder von Mona analysiert werden durften.

»Wo ist das Haus?«, fragte Bell.

»Nördlich von Grosseto.«

Saskia griff zum Smartphone. »Hast du das schon gegoogelt?«

»Wozu denn?«

Mit flinken Fingern tippte Saskia. »Damit wir die Fahrtzeit kennen. Wir müssen uns dein neues Anwesen natürlich ansehen. Sonst können wir dir nichts raten.«

Mona schüttelte kraftlos den Kopf.

»Guido, kennst du dich in der Gegend um Grosseto aus?«, rief Saskia erneut durch den Gastraum.

»No, ich komme aus Neapel. Darum ist meine Pizza auch die beste.« Er holte gerade ein dampfendes Exemplar aus dem Steinofen und brachte es dem wartenden Vater am Nachbartisch. »Perché?«

Inzwischen interessierten sich auch alle anderen Gäste für die Antwort und blickten erwartungsvoll zu Saskia. »Mona hat da jetzt ein Haus.« Demonstrativ hielt sie den Kartenausschnitt auf ihrem Telefon hoch.

Guido kam an den Tisch. »Am Meer?«, fragte er.

»Auf dem Land, das Meer ist aber ganz nah. Muss ein ziemlich kleines Nest sein«, erklärte Mona.

»Für eine Euro gekauft?«, fragte er schelmisch. »Es gibt schlaue Bürgermeister, die wollen reiche Deutsche anlocken für ihre Bruchbuden.«

»Nein, sie hat es von ihrer Nachbarin geerbt. Soll hübsch sein. Mit Oliven- und Mispelbäumen und so«, schwärmte Bell.

»Gratuliere. Ziehst du jetzt nach bella Italia, Mona? Hast du schon genug verdient mit deine Verrückten?« Guido lachte gutmütig. »Maria und ich kommen dich mal besuchen. Jetzt muss ich zurück zu meine Pizza.«

Mona winkte ab. »Daraus wird wohl nichts.«

Saskia starrte ihre alte Freundin an. Ein plötzlicher Geistesblitz erhellte ihr Gesicht. »Ich hab eine Idee«, strahlte sie. »Guido, bring uns eine Flasche Prosecco. Wir müssen anstoßen!«

Bis jede von ihnen ein gut gefülltes Glas in der Hand hatte, weigerte sich Saskia, ein Wort über ihren genialen Plan zu verraten.

»Auf Fanni und ihr großzügiges Geschenk. Sie weiß es nicht, aber sie rettet damit meinem Ehemann das Leben.«

Die Gläser klirrten, die Gesichter von Mona und Bell waren ratlos.

»Auf Fanni«, wiederholte Bell vorsichtig.

»Kannst du mir erklären, warum Fanni deinem Mann das Leben rettet?«, fragte Mona. »Du kanntest sie doch nicht einmal.«

»Es hat auch nicht mit ihr, sondern mit dem Haus zu tun. Ich leih dir Hans samt seinem neuen Rasenmäher.«

Bell und Mona starrten sie an, als wäre sie verrückt geworden.

»Du leihst mir deinen Mann?«, fragte Mona mit ruhiger Stimme nach. So sprach man mit scheuenden Pferden oder Unfallopfern.

Saskia verdrehte die Augen, beschwerte sich aber nicht. »Ich leih ihn dir nur zweckgebunden und zeitlich begrenzt. Er ist perfekt. Er hat jedes erdenkliche Werkzeug, ein fundiertes Heimwerkerwissen und einen Rasenmäher, der jeden Golfplatzbesitzer erblassen lassen würde. Außerdem ist er zeitlich verfügbar. Gerade baut er Überstunden ab, und so wie ich ihn verstanden habe, reichen die für die gesamte kommende Woche.«

Mona suchte nach Worten und schluckte stattdessen Luft.

Saskia fuhr fort. »Ich bin natürlich auch dabei. Wir werden uns die verhängnisvolle Erbschaft zusammen aus der Nähe anschauen, und danach wirst du in Ruhe eine Entscheidung treffen. Hans kann bestimmt einiges reparieren.«

»Das bringt doch nichts. Ich will dieses Haus nicht«, erwiderte Mona.

»Aber Hans braucht eine Aufgabe. Er kommt nur mit, wenn er sich gebraucht fühlt.«

»Ich will auf jeden Fall auch mit«, meldete sich Bell. »Stephan hat nächste Woche frei. Eigentlich wollte er in ein Sporthotel. Ich bin mir sicher, ich kann ihm stattdessen die Toskana schmackhaft machen. Er liebt italienisches Essen, und im Hügelland kann man bestimmt Rad fahren oder laufen oder sonst irgendwas Anstrengendes.«

Mona war immer noch sprachlos. Saskia hingegen sprudelte über. Sie liebte den Schwung, wenn eine Idee Gestalt annahm. Dann kannte ihre Fantasie keine Grenzen. Mona und Bell wussten, dass sie dann kaum noch zu bremsen war.