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Christine Ziegler

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Beschreibung

Die Affäre meines Mannes und mein Leben 2.0 Charmanter Wohlfühl-Roman mit Humor über eine Frau, die sich nicht mit der Affäre ihres Mannes abfindet Zwischen Kindererziehung, Haushalt und Gartenarbeit hat Elenor 20 Jahre lang ein erfülltes Leben geführt. Doch jetzt sind die Kinder aus dem Haus – und Elenors Mann Paul überrascht sie mit den freundlichen Worten »Du, ich habe eine Affäre«. Plötzlich steht sie vor den Trümmern ihres Lebensentwurfes. Aber deswegen die Flinte ins Korn werfen und für die finanzielle Sicherheit bei ihrem untreuen Gatten bleiben? Nicht mit Elenor! Kurzerhand wirft sie Paul aus dem Haus, plündert das gemeinsame Girokonto und reicht die Scheidung ein. Als sich ihr dann die Gelegenheit bietet, in einer Münchner WG unterzukommen und ihr abgebrochenes Architekturstudium zu Ende zu bringen, greift Elenor zu. Mit ungeahnten Folgen … Mit Herz, Humor und einer Prise Lebensweisheit erzählt Christine Ziegler davon, was es bedeutet, mit über 40 plötzlich vor den Trümmern einer Ehe zu stehen. Wie Elenor nach der Affäre ihres Mannes die Kraft und den Mut für einen Neuanfang findet, ist ein herzerfrischender Wohlfühl-Roman zum Schmunzeln – gelegentlich auch vor Schadenfreude.

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Christine Ziegler

Sauer macht listig

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Zwischen Kindererziehung, Haushalt und Gartenarbeit hat Elenor 20 Jahre lang ein erfülltes Leben geführt. Doch jetzt sind die Kinder aus dem Haus – und Elenors Mann Paul überrascht sie mit den freundlichen Worten »Du, ich habe eine Affäre«. Plötzlich steht sie vor den Trümmern ihres Lebensentwurfes. Aber deswegen die Flinte ins Korn werfen und für die finanzielle Sicherheit bei ihrem untreuen Gatten bleiben? Nicht mit Elenor! Kurzerhand wirft sie Paul aus dem Haus, plündert das gemeinsame Girokonto und reicht die Scheidung ein. Als sich ihr dann die Gelegenheit bietet, in einer Münchner WG unterzukommen und ihr abgebrochenes Architekturstudium zu Ende zu bringen, greift Elenor zu. Mit ungeahnten Folgen …

 

Mit Herz, Humor und einer Prise Lebensweisheit erzählt Christine Ziegler davon, was es bedeutet, mit über 40 plötzlich vor den Trümmern einer Ehe zu stehen. Wie Elenor nach der Affäre ihres Mannes die Kraft und den Mut für einen Neuanfang findet, ist ein herzerfrischender Wohlfühl-Roman zum Schmunzeln – gelegentlich auch vor Schadenfreude.

Inhaltsübersicht

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Leseprobe »Warum ein Mann, wenn man Meer haben kann?«

Es war ein sonniger Julimorgen, als die Spülmittelseifenblase meines beschaulichen Hausfrauendaseins platzte.

»Ich hab eine Affäre«, gestand der Mann, dem ich vor zweiundzwanzig Jahren in einem gerüschten eierschalenfarbenen Kleid, das seine Mutter für mich ausgesucht hatte, ewige Treue geschworen hatte. Nach dieser Offenbarung schob er sich sein nackenfreundliches Kopfkissen umständlich zurecht, schloss die Augen und gönnte sich vor dem Wochenstart einen tiefenentspannten Moment der Ruhe.

Vor wenigen Minuten waren wir mit dem fertig geworden, was wir immer seltener taten, aber immer noch ganz gut konnten, fand wenigstens ich. Langsam stützte ich mich auf den rechten Unterarm und wartete auf eine weitere Erklärung, die jedoch ausblieb.

Obwohl es erst 7 Uhr war, war die Luft in unserem Schlafzimmer schwül und abgestanden. Pauls Witze überschritten regelmäßig meine natürliche Schmerzgrenze. Er hingegen amüsierte sich köstlich über meine konfusen Reaktionen auf seine Interpretation von Ironie. »Dummerchen« nannte er mich dann, und ich ging davon aus, dass es sich dabei um einen Kosenamen handelte.

Ich grinste ihn blöd an und schluckte den Schreck tapfer hinunter. Schließlich hatte ich mit seinem seltsamen Humor langjährige Erfahrung.

»Ist sie fünfundzwanzig Jahre jünger als ich, natürlich blond, trägt Kleidergröße 34 und hat Körbchengröße D?«, ließ ich mich auf das Spiel ein. »Hat sie veilchenblaue Augen, ist an bestimmten Stellen komplett rasiert und mit außerirdischen Schriftzeichen tätowiert?«

»Nein.«

»Sie trägt rotes Latex, Stiefel und peitscht treffsicher«, versuchte ich, witzig zu sein.

»Nein.«

»Sie ist ein Mann?«

»Nein, nur vierundzwanzig.«

»Was?«, fragte ich leise.

»Sie ist nur vierundzwanzig Jahre jünger als du. Aber deine Schätzung war wirklich gut.«

Eigentlich ist es unmöglich, in einem Bett liegend den Boden unter den Füßen zu verlieren, trotzdem passierte genau das. Ich schlug unsanft auf der Fünf-Zonen-Kaltschaummatratze, dem harten Boden der Tatsachen, auf und begann unter der Bettdecke nach meinem ausgeleierten Baumwollnachthemd zu suchen, während mein Gehirn fieberhaft rechnete. Ich war sechsundvierzig. Das minus vierundzwanzig war gleich zweiundzwanzig. Unser Sohn Elias war ebenfalls zweiundzwanzig Jahre alt.

»Du hast eine Freundin?«

War das meine Stimme? Die Worte zerbröselten auf meiner Zunge und hinterließen ein kratziges Gefühl. Der Zusatz »die so alt ist wie unser Sohn« war mir im Hals stecken geblieben. Ich setzte mich aufrecht hin und starrte Paul an.

»Nein, nein. Nur eine Affäre. Für unsere Beziehung bedeutet es nichts.«

Paul lag immer noch mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Seine behaarte Brust hob und senkte sich langsam. Gleich würde er einschlafen. Als Firmenchef hatte er keine festen Arbeitszeiten. Seine Sekretärin war es gewohnt, dass er irgendwann zwischen acht und elf im Büro erschien.

»Nichts«, wiederholte ich und spürte einen Kloß zwischen meinen Stimmbändern, der deutlich größer als nichts war. »Warum sagst du es mir dann?«, fragte ich schrill.

Jede meiner Körperzellen sehnte sich in die Ahnungslosigkeit zurück. Vor zwei Minuten war meine kleine Welt noch rund und sicher gewesen. Mit einem einzigen Satz war nun der globale Notstand ausgebrochen. Mein wild pochendes Herz war in meinem Brustkorb eingezwängt und drückte gegen meine Rippen. Mühsam unterdrückte ich ein Stöhnen und hoffte insgeheim, dass mein Mann jeden Moment zwinkern und »Reingelegt, Dummerchen« flüstern würde.

»Ich will keine Geheimnisse vor dir haben. Das belastet mich.«

Endlich hatte ich mein Nachthemd in der Matratzenritze gefunden und zog es mir irgendwie über den Kopf.

»Es belastet dich«, echote ich und kämpfte mit aufsteigenden Tränen und dem linken Ärmel.

»Ja, und bevor ich vor lauter Geheimnistuerei Schlafschwierigkeiten oder Sodbrennen bekomme, ist es besser, ich sag dir, wie es ist. Lügen stresst, und Stress habe ich in der Firma schon genug.«

Mein Mann hat eine Affäre, er betrügt mich, schrie es in meinem Kopf. Du warst nicht gut genug. Betrogen! Eine Zweiundzwanzigjährige! Ich konnte das Schluchzen nicht unterdrücken. Meine Augen und Nasenschleimhäute schalteten auf Spülgang. Paul beugte sich zu mir, um über meine Haare zu streichen, doch ich sprang aus dem Bett.

»Fass mich nicht an.«

»Ach, Elli, jetzt übertreibst du. Das ist typisch für dich.« Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf seine lendenwirbelfreundliche Matratze zurückfallen. »Du machst aus einer Mücke eine galoppierende Elefantenherde. Immer geht bei dir wegen einer Kleinigkeit gleich die Welt unter, und alles muss kompliziert sein. Es ist nichts Ernstes, und es hat nichts mit dir zu tun. Ich brauche nur ein wenig Abwechslung, und sie ist unkompliziert, witzig und spontan. Das tut mir gut. Mir ist es hier manchmal zu eingefahren und zu anstrengend, aber deswegen musst du jetzt nicht gleich eine Szene machen.«

Ich rannte ins Bad und sperrte die Tür hinter mir ab. Fassungslos musterte ich mit verquollenen Augen mein Spiegelbild. Betrogen, raunte mir meine innere Stimme erneut zu.

Ich zog mein Nachthemd aus, warf es in den Wäschekorb und stand jetzt den nackten Tatsachen gegenüber. Die Stimme kam in Fahrt: zu alt, zu faltig, zu hässlich, zu schwammig. Wundert es dich, dass er lieber was Junges, Knackiges und Bewegliches will? Wärst du mal öfter zum Sport gegangen und hättest dich beim Essen nicht so gehen lassen.

Sie ist unkompliziert, witzig und spontan. Das heißt, sie ist das Gegenteil von mir. Ich bin anstrengend, kompliziert und einengend. Meine Knie zitterten. Bauch und Busen zitterten mit. Sie hat bestimmt noch kein schwaches Bindegewebe oder Schwangerschaftsstreifen.

»Elli, lass mich rein.«

Paul klopfte an die Tür. Ich reagierte nicht und starrte weiter auf mein Spiegelbild. In unserem Haus gab es schließlich noch zwei andere Bäder, wo er sich den ehelichen Paarungsschweiß abwaschen konnte. Wie betäubt stieg ich unter die Dusche und versuchte, auf Alltagsroutine umzuschalten. Minutenlang überbrühte ich mich unter dem Wasserstrahl und sah zu, wie sich meine Haut hummerrot verfärbte, spürte jedoch keinen Schmerz. Wenigstens nicht auf der Haut. Gleichgültig schaute ich zu, wie das Wasser in den Ablauf floss.

»Elli!«, rief Paul vom Erdgeschoss nach oben in den ersten Stock. »Ich fahr jetzt ins Büro. Beruhige dich erst mal, wir reden heute Abend. Und lass das Wasser nicht so lange laufen. Denk an die Wasserrechnung und an unseren Planeten.«

Typisch. Paul sorgte sich mal wieder um Klimaschutz und seinen Geldbeutel. Ich hielt meinen Kopf unter den Duschkopf und ließ Wasser in meine Ohren laufen. Als ich die Dusche verließ, war der Spiegel vom heißen Wasserdampf so beschlagen, dass er mich mit meinem Abbild verschonte. Sorgfältig rubbelte ich mich trocken, zog mir Jeans und T-Shirt an und ging die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, wo Stille auf mich wartete.

Meine nassen Haare band ich in der Küche mit einem Haushaltsgummi zusammen. Seit Hannah, unsere Jüngste, vor drei Monaten für ein Kunststudium nach New York gegangen war, war ich viel alleine, und das Haus schien mir seitdem gewachsen zu sein. Es war zu groß geworden.

Früher war es voller Leben gewesen, und jetzt war es nur noch da, um von mir geputzt zu werden. Oder andersrum? Diente ich dem Haus? Als wäre ich ein seelenloser Haushaltsroboter, kochte ich Kaffee, räumte den Geschirrspüler aus und füllte die Waschmaschine.

Erst als beim Blumengießen das Wasser aus den Übertöpfen quoll und auf das Parkett tropfte, merkte ich, wie abwesend ich war. In die Kaffeemaschine hatte ich kein Kaffeepulver gefüllt, und das Scheppern der Waschmaschine drängte die Vermutung auf, dass ich das Geschirr aus dem Geschirrspüler zur Buntwäsche gesteckt hatte.

Kraftlos sank ich aufs Sofa und schluchzte vor mich hin. Die Türklingel riss mich aus meinem Selbstmitleid. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und versuchte, meine Haare zu ordnen.

»Trali, trala, die Post ist da!«, tönte es vom Gartentürchen.

Unsere Postbotin Loreen Moll – eigentlich war sie nur eine Urlaubsvertretung – balancierte einen Stapel Pakete durch unseren japanisch gestalteten Vorgarten. Ich blickte auf den gekiesten Boden, weil ich meine verheulten Augen verstecken wollte.

Dabei bemerkte ich, dass ich unbedingt Unkraut jäten musste, bevor es sich in den Moospolstern ausbreiten konnte. Wehret den Anfängen, warnte Paul gern.

»Guten Morgen, Frau Taler. Ist mal wieder alles für Ihren Mann«, begrüßte sie mich fröhlich. »Obwohl«, sie stellte die Pakete ab und kramte in ihrer Tasche, »für Sie hab ich zwei Kataloge. Gesunde Reformkost und Yogamode. Was braucht man mehr?« Sie strahlte mich an, und sogar ihr silbernes Nasenpiercing glitzerte im Sonnenlicht.

»Guten Morgen, Frau Moll«, antwortete ich und versuchte ein Lächeln.

»Was ist denn mit Ihnen? Ist jemand gestorben oder geht heute nach dem Fünfuhrtee die Welt unter?« Schon stellte Loreen Moll ihre Postbotentasche ab und legte ihre Hand mitfühlend auf meinen Arm. »Geht es Ihren Kindern gut?«

»Ja, ja, danke. Mit den Kindern ist alles in Ordnung. Sind die Hormone. Die spielen verrückt. Wechseljahre und so«, erklärte ich.

»Aha.« Sie wirkte nicht überzeugt, hielt mir aber ihr Quittiergerät hin, und ich unterschrieb zittrig. »Ich helfe Ihnen, die Pakete reinzutragen. Es geht mich zwar nichts an, aber warum lässt sich Ihr Mann die Sachen nicht in seine Firma liefern? Das wäre doch viel praktischer, und Sie hätten den Krempel nicht rumstehen.« Die Postbotin stellte die Lieferung zu den anderen Paketen, die sich im Flur stapelten.

»Das sind Spezialteile und Sonderanfertigungen, die kontrolliert er gerne in Ruhe zu Hause. Das macht er am Abend, wenn er heimkommt«, erklärte ich.

»Na, dann hat er wohl schon länger nichts mehr kontrolliert. Schaut aus, als käme er nur selten oder zu spät nach Hause«, stellte Frau Moll sachlich fest und traf damit ins Schwarze.

Ich biss die Zähne zusammen und atmete mit einem hörbaren Seufzer aus. Paul hatte in den letzten Wochen tatsächlich viele Abendtermine gehabt, und jetzt wurde mir klar, wie seine langweiligen Geschäftsessen ausgesehen haben mussten. Halt suchend lehnte ich mich an den mahagonifarbenen Türstock.

»Haben Sie Schmerzen, Frau Taler? Brauchen Sie einen Arzt?«

»Nein, nein. Ist nur der Kreislauf. Das wird schon«, winkte ich ab.

Loreen Moll nickte und schob mich an den Paketen vorbei Richtung Küche. Ich stützte mich auf die Arbeitsplatte.

»Das kenn ich. Mein Kreislauf ist morgens auch ein Flachlauf. Ein halber Liter Espresso und ich kehr ins Leben zurück. Dann pack ich’s mal wieder, und passen Sie auf Ihre Nerven und Ihren Kreislauf auf.« Ihr fürsorglicher Postbotenblick musterte mich.

»Möchten Sie etwas trinken, Frau Moll? Vielleicht einen Espresso?«, fragte ich spontan und wunderte mich im selben Augenblick über meine Einladung.

Mit unserem regulären Postboten hatte ich bisher nur wenige Sätze zwischen Tür und Angel gewechselt, und jetzt lud ich die Aushilfe zum Kaffeetrinken ein. Aber Loreen war sympathisch, und vor allem wollte ich in dem stillen Haus gerade nicht allein sein.

Die junge Frau nahm mein Angebot an, und wir setzten uns gemeinsam an den Küchentisch. Sie erzählte mir bei tiefschwarzem Espresso und von mir selbst gebackenen Keksen von ihren Zukunftsplänen. Dankbar hörte ich zu und stellte viele Fragen.

Loreen Moll studierte Soziale Arbeit in München und wollte später mit Flüchtlingen oder Frauen arbeiten. Die Kombination fand ich interessant. Sie brauchte den Ferienjob, um sich eine Neuseelandreise zu finanzieren. Es war ihr großer Traum, die Hobbithöhle von Frodo Beutlin zu sehen und über die endlosen Steppen Rohans zu reiten. Loreen war ein eingefleischter Herr der Ringe-Fan, sprach fließend elbisch und kannte jeden Ort in Mittelerde. Es entspannte mich, ihr zuzuhören, als sie von fremden Welten erzählte.

»Was klappert denn hier so?«, fragte sie kauend.

»Ach, das. Das ist nur das Geschirr in der Waschmaschine. Muss nur noch geschleudert werden«, antwortete ich mit einem Achselzucken.

»Hätt ich auch selber drauf kommen können«, entgegnete sie ernst und griff zum letzten Keks. Ein Cookie mit Cashewkernen und weißer Schokolade.

Ich brach in hysterisches Gelächter aus. Loreen Moll beobachtete mich aufmerksam.

»Und sonst?«, fragte sie vage. Wahrscheinlich fürchtete sie, einer Verrückten gegenüberzusitzen und mit bröseligen Süßwaren vergiftet zu werden. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken. »Wie läuft das Leben?«

Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, berichtete ich von der erfolgreichen Firma meines Mannes und meinen drei wunderbaren Kindern, die im Abstand von drei Jahren geboren worden waren.

Elias, der Älteste, studierte in Regensburg Jura, Gabriel war Physiotherapeut in einer Rehaklinik am Chiemsee, und Hannah lebte zurzeit in New York und fotografierte im Rahmen eines Kunstprojektes den Inhalt von urbanen Mülltonnen.

»Und was ist bei Ihnen los?«, hakte Loreen nach. »Sie haben gar nichts von sich erzählt.«

Ratlos schaute ich auf meine Hände. Meine kurzen Fingernägel waren von der Gartenarbeit eingerissen. Die Haut war trocken. Gestern hatte ich die Natursteinmauer am Freisitz mit einem Spezialmittel abgebürstet und von Flechten befreit.

»Ach, ich hab immer viel zu tun, kümmere mich um das Haus und den Garten und irgendwie auch um den Müll«, antwortete ich.

Loreen zog fragend ihre schwarzen Augenbrauen hoch. Wie zum Beweis holte ich von der Kühlschranktür meine To-do-Liste für den heutigen Montag, die Paul dort hingepinnt hatte.

 

Anzug aus Reinigung

Kaffeemaschine entkalken

Zitronen- und Orangenbäumchen düngen

Koi-Futter bestellen

Rasen mähen

Geschenk für Tante Edda

 

Loreen überflog den Zettel. Ich legte meine Hände nebeneinander auf den Tisch und bewegte wie eine Marionette einen Finger nach dem anderen. Sie wartete geduldig auf meine Antwort.

»Mein Mann betrügt mich mit einer Zweiundzwanzigjährigen«, presste ich hervor und merkte, wie mir bei diesem Satz die Luft knapp wurde. »Er hat es mir heute erzählt, und ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll.«

Loreen sog pfeifend Luft durch ihre violett geschminkten Lippen. Sie legte ihre Hand auf meine.

»Schneiden Sie ihm die Eier ab und braten Sie sie auf dem Grill. Das hilft und macht Mut.«

Ich verschluckte mich, hustete und brach erneut in hysterisches Lachen aus. Dieser Tipp war radikal, aber ausbaufähig.

»Er sagt, er brauche Abwechslung.« Ich kicherte immer noch.

»Vielleicht brauchen Sie ja auch mal Abwechslung und wollen nicht nur putzen, Rasen mähen, kochen, den Müll wegbringen und seine Pakete annehmen«, schlug Loreen vor.

Entgegen meiner strikten Regel, keinen Alkohol vor 18 Uhr zu trinken, ging ich zum Küchenschrank und holte eine Flasche Grappa heraus. Ich stellte zwei Schnapsgläser auf den Tisch und schenkte großzügig ein. Ohne abzuwarten, stürzte ich mein Glas in einem Zug hinunter.

»Er sagt, seine Freundin sei spontan und witzig. Vielleicht hat er ja recht.« Ich knallte das Glas mit Schwung auf die Edelholztischplatte und schenkte mir nach. »Ich mache mir schnell Sorgen, lasse mich von Vorahnungen, inneren Stimmen oder Träumen beunruhigen und bin in meiner Routine festgefahren. Alles dreht sich um die Kinder, den Haushalt und Pauls Firma. Unser Leben ist träge und vorhersehbar, und ich bin langweilig. Ich öde ihn an.«

Loreen schob ihr Glas zu mir. Natürlich konnte sie nichts trinken, sie musste schließlich das Postauto fahren. Wie hirnlos von mir, ihr ein Glas aufzudrängen. Typisch Dummerchen, schimpfte ich mich. Andere Leute mussten schließlich arbeiten.

»Und er sprüht vor guter Laune, wenn er abends heimkommt, und fragt interessiert, wie Ihr Tag gelaufen ist?«, fragte die Postbotin mit ironischem Unterton.

»Nein, natürlich nicht. Nach einem anstrengenden Arbeitstag muss er sich erholen. Er liest Zeitung, wartet auf sein Abendessen, beantwortet Mails oder kümmert sich um seine Pakete.«

Der Alkohol erreichte meinen Magen nicht, sondern stieg mir direkt in den Kopf.

»Klingt sehr unterhaltsam.« Loreen spielte mit dem Espressolöffelchen. Ihre Fingernägel waren schwarz lackiert.

»Wissen Sie, wir haben uns das doch so eingerichtet. Er hat die Firma aufgebaut, und ich hab ihm den Rücken frei gehalten. Ich hab mich um unsere drei Kinder und den Haushalt gekümmert und hoffte, dass er meine Arbeit schätzen würde.«

Loreen korkte die Grappaflasche zu.

»Sie haben seine Hemden gebügelt, seine Anzüge in die Reinigung gebracht, und natürlich haben Sie keinerlei Altersabsicherung und nicht mal ein eigenes Konto«, fasste sie meine Situation zusammen. Ich konnte ihr ansehen, dass sie über so viel weibliche Naivität innerlich den Kopf schüttelte.

»Aber das war doch nicht nötig. Wir lieben uns, und bei uns«, ich geriet ins Stocken, »war bisher auch alles gut. Ich dachte immer, das mit uns wäre etwas Besonderes. Trennungen und Affären gab es nur bei den anderen.« Ich schaute in mein leeres Glas. »Ich war wohl ziemlich gutgläubig.«

Loreen zuckte mit den Schultern und legte den Löffel zurück auf den Unterteller.

»Fast alle Männer sind ewig geile Idioten. Mein Vater ist auch so ein Jammerlappen, der mit fünfzig noch mal durchstarten wollte. So von wegen, er erwarte mehr vom Leben, das könne doch noch nicht alles gewesen sein. Er hat meine Mutter betrogen und mit seiner jungen, hübschen Freundin zwei süße Bälger gezeugt. Jetzt ist seine willige Bettgefährtin zum Muttertier mutiert, und er muss Windeln wechseln, Kohle heimschaffen und heulende Kleinkinder trösten. Das hat er sich vermutlich anders vorgestellt. Vorbei ist das süße Glück. Die einzigen Abenteuer sind inzwischen Elternsprechtage und die rektale Prostatauntersuchung beim Urologen.«

Mir war von zu viel Lebenserfahrung und Grappa schwindelig. Vorsichtig stand ich auf und kochte erneut zwei dreifache Espressi. Loreen schaufelte Zucker in ihre Tasse und rührte um.

»In dem Gebräu bleibt der Löffel von alleine stehen. Eine hübsche Zuckerdose haben Sie da übrigens.« Vorsichtig setzte sie den grün glasierten Deckel auf das dünnwandige, flache Gefäß.

»Hab ich in einem Töpferkurs der Volkshochschule gemacht. Im letzten Herbst, kurz nachdem meine Tochter ausgezogen ist.«

Ich hatte damals auch noch zwei Butterdosen, drei Milchkännchen und Gebäckschälchen für Weihnachten und Ostern getöpfert, die in einem Karton im Keller verstaubten.

»Und jetzt? Wie soll es jetzt weitergehen?«, fragte ich mich selbst.

Die junge Aushilfspostbotin griff nach meiner Hand und drückte sie entschlossen.

»Jetzt tun Sie mal was für sich. Das ist allerhöchste Zeit. Sonst werden Sie noch unsichtbar, und Ihr Mann nutzt Sie irgendwann als Fußabstreifer.« Sie stand auf und trug ihre Espressotasse zur Spüle.

»Danke fürs Zuhören und die Lebensberatung.«

»Immer wieder gerne«, erwiderte sie lächelnd und hängte sich ihre Briefträgertasche um. »Bis morgen.«

Ich erhob mich ebenfalls, um Loreen zur Tür zu begleiten, setzte mich aber sofort wieder. Nicht nur mein Lebensentwurf war ins Wanken geraten. Drei Grappa, eine Überdosis Koffein und ein untreuer Ehemann auf nüchternen Magen waren zu viel für meinen Gleichgewichtssinn. Als ich an Paul dachte, spürte ich sofort wieder Tränendruck auf den Augen.

 

Ich musste mich ablenken. Angetrunken, wie ich war, konnte ich die Hausarbeit vorerst abschreiben und entschloss mich, meine beste Freundin Inge anzurufen. Wir kannten uns seit der Schulzeit.

Ihr Mann Sven arbeitete in Pauls Maschinenbaubetrieb. Die beiden Männer kannten sich vom Studium, wobei Sven den Abschluss nicht geschafft hatte. Paul hatte ihm eine Anstellung angeboten, als er seine Firma gegründet hatte. Schließlich hatte Sven sich in meine beste Freundin verliebt, und so waren wir wie eine große Familie. Das Gespräch mit der Postbotin hatte mir gutgetan, und ich wollte nicht alleine in Selbstmitleid versinken. Inge wüsste bestimmt, was jetzt zu tun wäre. Ich erreichte sie zwischen Maniküretermin und Pilates. Inge hatte ihr Hobby zum Beruf gemacht und arbeitete stundenweise als Trainerin im örtlichen Fitnessstudio. Nach den üblichen wortreichen Begrüßungsformeln fiel ich mit der Tür ins Haus.

»Paul betrügt mich mit einer Zweiundzwanzigjährigen.« Der Satz ging mir inzwischen flüssig von den Lippen.

Am anderen Ende der Leitung kehrte Stille ein. Dann:

»Ach du Ärmste, jetzt ist es bei euch auch so weit. Ich dachte schon, Paul wäre ein Heiliger.«

Hörte ich Schadenfreude hinter diesen Worten?

»Was willst du damit sagen? Findest du das normal?«, fragte ich gereizt.

»Ich versteh ja, dass du aufgeregt bist. Aber glaub mir, du bist nicht die erste Frau, der das passiert. Das geht vorüber. Wir werden eben älter.«

Ich schluckte. Von was redete Inge? War Fremdgehen ein Naturgesetz? Eine Hitzewelle schlug über mir zusammen. Auf meiner Stirn bildeten sich spontane Schweißperlen.

»Und darum dürfen sich die Männer eine junge Freundin suchen?«, fragte ich ungläubig.

Ich stand vor dem geöffneten Kühlschrank und hielt mir zur Abkühlung eine Flasche Vollmilch an die Wange.

»Sie tun es einfach. Das ist die Realität. Solange sie immer wieder zu uns zurückkehren, ist doch alles gut.«

»Das meinst du nicht ernst.«

Telefonierte ich mit der zupackenden, selbstbewussten Inge oder hatte ich mich verwählt?

»Doch, doch. Ich spreche da aus Erfahrung.«

»Du willst sagen, Sven …« Ich brach ab. Nein, das war unmöglich. Der dickliche, glatzköpfige Kerl hatte mit Inge eine attraktive, stets gepflegte Frau an seiner Seite, die noch dazu ein energiegeladenes Organisationstalent war. Keine andere Frau wollte den freiwillig.

»Ja, das will ich sagen. Wir haben schon mehr als einen Seitensprung hinter uns.«

Ich war sprachlos. Svens Sex-Appeal war mit dem von Nacktschnecken vergleichbar. Ich hatte nie verstanden, was Inge an diesem Mann attraktiv gefunden hatte. Ich legte meinen Kopf auf die Milchflaschen, sonst würde er platzen.

»Wie hältst du das aus?«, fragte ich.

»Wenn der erste Schmerz vorüber ist, wird es leichter, glaub mir. Du klingst komisch, Elenor. Wo bist du gerade?«

»Zu Hause. Nur mein Kopf steckt im Kühlschrank. Das verändert die Akustik«, erwiderte ich. Wo hatte ich bloß die Schnapsflasche hingestellt? »Hast du nie daran gedacht, dich zu trennen?«

Inge lief geschäftig Treppen rauf und runter. Ich hörte, wie sie die Waschmaschine anstellte.

»Anfangs schon. Aber es geht nicht. Bei einer Scheidung ist das Haus futsch. Alles, was wir uns aufgebaut haben. Ich müsste Vollzeit arbeiten, um mir irgendein schäbiges Appartement leisten zu können. Nicht mit mir.«

Sorgte sich Inge nur um ihren Lebensstandard? Das, was sie verteidigte, war doch kein Zuhause mehr. Das fühlte sich krank an. Ich zog die Gemüseschublade auf. Die Grappaflasche lagerte in einem wesentlich gesünderen Umfeld zwischen Spargel und grünem Salat.

»Will er sich denn von dir trennen?« Inge klang besorgt.

»Nein. Er sagt, er brauche nur Abwechslung.«

Mit dem Grappa in der Hand machte ich den Kühlschrank zu.

»Dann ist ja alles gut. Unternimm jetzt bloß keine unüberlegten Schritte, die du später bitter bereust.«

Mit den Zähnen zog ich den Korken aus der Schnapsflasche und spuckte ihn in hohem Bogen aus. Zufällig traf ich eine von Pauls Espressotassen, die klirrend zu Boden fiel.

»Was meinst du?«, fragte ich.

»Elenor, wir sind Hausfrauen. Wir haben nie richtig gearbeitet und in eine Altersversorgung eingezahlt, weil wir uns sicher gefühlt haben. Uns werden ein paar Jahre Pflichtbeiträge für die Kindererziehungszeit angerechnet, und das war’s. Wir werden im Fall einer Scheidung keinen Unterhalt von unseren Männern sehen. Die Kinder sind aus dem Haus. Wir sind gesund und munter und können ab jetzt unseren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Willst du die restlichen Jahre deines Lebens in einer Sozialwohnung verbringen und vor jedem Friseurbesuch überlegen, ob das wirklich nötig ist? Keine Reisen mehr, kein neues Auto, keine neuen Klamotten. Vom sozialen Abstieg will ich gar nicht reden. Verstehst du, was ich meine?«

Besteck klapperte. Räumte sie das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine, während sie mit mir telefonierte?

»Das glaub ich nicht. Uns steht die Hälfte des Vermögens zu«, erwiderte ich tapfer.

»Und du glaubst, dass du davon etwas bekommst?« Inge lachte auf. »Das meiste Geld steckt bestimmt in der Firma. Wie gut kennst du dich mit eurem Privatvermögen aus?«

»Gar nicht«, gab ich kleinlaut zu, »darum kümmern sich Paul und der Steuerberater.«

Inge startete den Geschirrspüler.

»Wenn du gehst, wird er dich abschreiben wie einen ausrangierten Bürostuhl mit kaputter Gasdruckfeder. Außerdem hast du doch bestimmt einen Ehevertrag unterschrieben.«

Das Gespräch mit Inge tat mir im Gegensatz zur Unterhaltung mit Loreen gar nicht gut. Ich wollte nicht mit einem schäbigen Bürostuhl und einer kaputten Gasdruckfeder verglichen werden. Aber Inge hatte leider recht. Tatsächlich hatte ich in grauer Vorzeit meine Unterschrift unter einen Ehevertrag gesetzt.

»Und darum akzeptierst du Svens Affären?«

Ich nahm ein Espressotässchen, ein schlichtes weißes mit Goldrand, aus dem Regal und ließ es fallen. Paul hatte es von einer Messe in Mailand mitgebracht. Es war erstaunlich stabil, nur der Henkel brach ab. Mit dem Fuß kickte ich es gegen die Wand.

»Was bleibt uns schon anderes übrig. Sieh die Situation mal realistisch, nicht nur emotional. Lass uns heute Nachmittag in die Stadt fahren. Dann kaufst du dir was Schönes. Das lenkt dich ab, und Paul fällt vielleicht auf, dass du immer noch eine schöne Frau bist. Verführ ihn. Zeig ihm, dass du ihn liebst. Das wird schon wieder. Du packst das.«

Gleich würde ich hyperventilieren. Die Tasse leistete immer noch Widerstand. Mit meinem ganzen Gewicht sprang ich auf das edle Porzellan, rutschte ab und schnitt mich am großen Zeh.

»Inge«, stöhnte ich, »ich habe für diesen Mann und unsere Kinder mein Studium abgebrochen. Und jetzt zerbricht gerade mein Leben.« Meine Stimme überschlug sich. Blut tropfte auf den Küchenboden. Dummerchen, flüsterte ich und schenkte ein Wasserglas voll Grappa. Wie hatte ich nur mit Birkenstock-Sandalen auf eine Tasse springen können? Paul achtete stets auf die perfekte Ausstattung. Er hätte zum Tassenzermalmen wahrscheinlich Sicherheitsschuhe mit Stahlkappe gewählt. Ich trank einen Schluck und verzog das Gesicht.

»Und wen soll das interessieren? Du bist jetzt siebenundvierzig. Du kannst nicht mehr von vorne anfangen. Außer du willst bei Aldi Regale auffüllen. Für uns interessiert sich kein Mann mehr. Die Jagdsaison ist vorbei.«

»Ich melde mich.« Ich legte auf. »Und danke für die aufbauenden Worte. Außerdem bin ich sechsundvierzig. Mach mich nicht älter, als ich bin«, murmelte ich.

Jahrelang war ich die verständnisvolle, anspruchslose Ehefrau gewesen, die sich aufopferungsvoll um den Nachwuchs und das Herdfeuer gekümmert, ressourcensparend den Planeten und den Geldbeutel meines Mannes geschont hatte, und jetzt wilderte mein Mann in fremden Revieren. Seit wann neigten Inge oder ich zu Jägervokabular, wunderte ich mich.

Ich schaute aus dem Küchenfenster. Auf unserem Garagendach saßen zwei turtelnde Tauben. Hätte ich ein Gewehr gehabt, hätte ich sie abgeschossen. Der Gedanke erschreckte mich, brachte mich aber gleichzeitig zum Lachen. War es der ungewohnte, vormittägliche Schnapskonsum oder Inges duldsames Verhalten, was meine Lebensgeister und meine Mordlust weckte?

Ich würde nicht um Pauls Liebe betteln, und ich würde ihn nicht mit einer zweiundzwanzigjährigen Frau teilen, geschweige denn versuchen, mit ihr zu konkurrieren. Niemals. Jetzt war es an der Zeit, meinen Anteil an unserem Leben zu sichern.

Ich kippte den hochprozentigen Inhalt des Glases in Pauls Yuccapalme und holte mir Stift und Papier. Für mein Vorhaben brauchte ich einen klaren Kopf. Mich weiter zu betrinken war keine Lösung.

 

Notfallplan schrieb ich auf das karierte Papier. Der erste Punkt war sonnenklar: Schlösser austauschen, gefolgt von nach Versicherungs- und Bankunterlagen suchen, Termin bei Bankberater machen, Konten leeren und Auto auf mich ummelden. Dann griff ich zum Telefon. Der Rosenkrieg konnte beginnen.

Ich hatte gerade mein Gespräch mit dem Schlüsseldienst beendet, als ich Pauls Audi vorfahren hörte. Normalerweise kam er über Mittag nicht nach Hause. Schnell versteckte ich meinen Notfallplan unter der Tageszeitung und griff zum Staubtuch. Ich wischte gerade über den Glasschirm der Küchenlampe, als er die Haustür aufsperrte.

»Elli«, rief er laut.

»Bin in der Küche.«

»Sind für mich Pakete gekommen?«

War das alles, was er wissen wollte?

Ich ging in den Flur. »Für dich kommen täglich Pakete.«

Er musterte mich. Mir war bestimmt anzusehen, dass ich getrunken und geweint hatte. Ich war das Gegenteil einer attraktiven Ehefrau.

»Geh bitte erst wieder unter Leute, wenn du dich beruhigt hast. Du machst dich und mich nur lächerlich«, ermahnte er mich in strengem Tonfall, als würde er mit einem dreijährigen, trotzigen Kind sprechen.

Auf diese Anweisung fiel mir wie so oft keine schlagfertige Antwort ein. Ich schluckte. Bloß nicht weinen, bloß nicht weinen, beschwor ich mich.

»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte ich leise.

»So wie immer natürlich. Du entspannst dich zu Hause, besuchst ein paar Kurse, töpferst oder malst irgendetwas, und ich geh arbeiten.«

Meine Augen brannten, meine Kehle sowieso. Das dachte er also von meinem Leben. Ich würde mich entspannen und VHS-Kurse besuchen. Fassungslos starrte ich ihn an. Wann hatte er sich in einen Vollidioten verwandelt? (Natürlich hatte ich ein anderes, weniger vornehmes Wort im Kopf.) Oder war er immer schon einer gewesen, und ich hatte es nicht wahrhaben wollen?

Meine häusliche Entspannung bestand darin, dass ich jeden Abend ein dreigängiges Menü zubereitete, jede Woche fünfzehn Hemden wusch und bügelte, denn Paul wechselte nach dem Mittagessen immer sein Hemd, die restliche Wäsche machte, Getränkekisten und Einkäufe nach Hause schleppte, einen zweitausend Quadratmeter großen Garten nach Pauls Wünschen pflegte, Buchsbäume nach französischen historischen Vorbildern in Form schnitt, den empfindlichen japanischen Zwergazaleen gut zusprach, biologisch dynamisches Gemüse anbaute, Marmelade kochte, jede Woche das Bett neu bezog, jeden Freitag zwei Autos saugte, wusch und polierte, jahrelang als Nachhilfelehrerin meiner Kinder gewirkt hatte, Geburtstagskarten und -geschenke für Pauls große Verwandtschaft besorgte, meine Schwiegermutter …

Mein Mann unterbrach meinen gedachten Tätigkeitsbericht, den ich noch lange hätte fortführen können.

»Ich komm heute spät. Du kannst alleine zu Abend essen. In diesem Zustand kann man mit dir ja nicht vernünftig reden.«

»Triffst du dich mit ihr?«

Normalerweise wäre ich davon ausgegangen, dass Paul mit einem Geschäftspartner nach einer langen Besprechung essen ging. Ich war nie argwöhnisch gewesen, hatte seine Termine nie hinterfragt, ihm nie misstraut, hatte stattdessen seine Socken sortiert und seine Schuhe geputzt. Ich wunderte mich über meine grenzdebile Gutgläubigkeit.

»Darüber will ich nicht reden. Das ist für dich unwichtig.« Er nahm wahllos die obersten drei Pakete von einem der vielen Stapel und ging zur Haustür.

»Nein, ist es nicht. Ich bin kein Haustier. Du zerstörst gerade unsere Ehe. Ist dir unser gemeinsames Leben denn gar nichts wert?«

Sichtlich genervt drehte er sich zu mir um.

»Fang nicht schon wieder damit an. Dir fehlt es doch an nichts, und das wird auch so bleiben. Dein bequemes, sorgloses Leben würde ich auch gerne führen. Wenn du unbedingt Probleme herbeireden willst, wo eigentlich gar keine sind, such dir einen Therapeuten.«

Er stand auf einer der mittleren Treppenstufen, die zum Hauseingang hinaufführten. Sein grauer Anzug und der Granit der Stufen hatten dieselbe Farbe.

»Ich muss wieder los. Einer muss schließlich für das nötige Kleingeld sorgen, und während du ausnüchterst, könntest du die Treppenstufen mit dem Dampfstrahler reinigen. Das macht keinen guten Eindruck, wenn der Hauseingang ungepflegt ist und Moos auf den Steinen zu wachsen beginnt.«

»Und seine eigene Ehefrau betrügen macht einen besseren Eindruck? Das ist Ehebruch!«

»Elli, werd jetzt nicht aggressiv und unsachlich. Davon wird niemand erfahren, und außerdem leben wir nicht mehr im Mittelalter. Ich hätte dich besser kennen sollen und es dir nicht erzählen dürfen. Jetzt kannst du mal wieder in deiner Opferrolle aufgehen.« Resigniert verzog er die Mundwinkel und wendete sich ab.

»Wenn du mich weiterhin betrügst, wirst du dieses Haus nicht mehr betreten«, rief ich ihm hinterher. Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, dass seine ehemals schwarzen Haare inzwischen genauso grau wie sein Anzug und genauso grau wie unsere Granitstufen waren.

Langsam drehte er sich um. Um seinen Mund waren tiefe Falten eingegraben, und seine Wangen folgten der Schwerkraft. Paul wurde alt, fiel mir im hellen Mittagslicht auf.

»Was willst du von mir? Ich habe dir schon erklärt, dass diese Affäre mir guttut und nichts mit dir zu tun hat.«

»Dann wirst du dieses Haus nicht mehr betreten.«

»Willst du mir drohen, Elli? Das ist lächerlich. Du hast ja nicht mal genügend Mut, um mit dem Auto alleine nach München zu fahren. Ohne mich bist du aufgeschmissen.«

Das hatte gesessen. Ich war tatsächlich ein lebensunfähiger Feigling und traute mich nicht mit dem Auto in die Stadt. Ich fuhr nur selten, und wenn, dann nur kurze Strecken, die ich gut kannte. Krachend schlug ich die Haustür zu und schob den massiven Türriegel vor, der unser Hab und Gut vor Räubern und Feinden schützen sollte. Paul hatte unser trautes Heim von einem Spezialisten für Sicherheitstechnik zur Burg aufrüsten lassen, nachdem die Einbrüche osteuropäischer Banden in der Nachbarschaft zugenommen hatten.

Ich rannte durch das Wohnzimmer und riss die Terrassentür auf.

»Schon mal was von S-Bahn gehört? Ist viel umweltfreundlicher, als die Stadt mit Abgasen zu verpesten. Komm zurück und rede mit mir«, rief ich ihm nach. Aber Paul kam nicht zurück. Natürlich nahm er mich nicht ernst. Das tat er vermutlich seit Jahren oder Jahrzehnten nicht mehr. Ich setzte mich erneut ans Telefon und arbeitete meinen Notfallplan ab. Dazwischen weinte ich, schlug auf Möbel ein oder warf zerbrechliche Gegenstände gegen die Wand.

Als ich mir gegen 16 Uhr sein häusliches Arbeitszimmer vornahm, hatte ich bereits alle Schlösser, samt Garage und Mülltonnenhäuschen, erneuern lassen, mir ein leichtes Abendessen gekocht, ein eigenes Konto bei einer Onlinebank eröffnet und mit dem Geld unseres gemeinsamen Girokontos gefüllt.

Außerdem hatte ich ein aufschlussreiches Gespräch mit unserem Bank- und Versicherungsvertreter geführt und bei dem Geldinstitut alles an Wertpapieren verkauft, was möglich war. Der Mitarbeiter hatte sich zwar gewundert, meine Aufträge jedoch ausführen müssen, da ich über unsere Privatkonten verfügungsberechtigt war, was ich bis zum heutigen Tag kaum genutzt hatte.

Mir war klar, dass Paul schnell von meinen Umtrieben erfahren würde, und die Zeit drängte, um meine Altersversorgung wenigstens ansatzweise zu sichern. Je länger ich nachdachte, desto klarer wurde mir, dass ich im Fall einer Scheidung das Nachsehen haben würde, so wie Inge es prophezeit hatte.

Paul betrachtete unseren Wohlstand als die Frucht seiner persönlichen Arbeit. Ich hatte in seinen Augen nichts dazu beigetragen. Wie hatte ich nur so beschränkt sein können. Was war ich für ein blödes Muttertier gewesen, das sich mehr um den Nachwuchs und den Blattlausbefall der Rosen als um die endlosen Überstunden des liebenden Gatten im Büro gesorgt hatte. Ich hatte Paul vertraut, blind und taub, und dafür würde ich bezahlen. Er aber auch.

Im holzvertäfelten Arbeitszimmer stand der massiv-scheußliche Schreibtisch von Pauls Vater. Ich plumpste in den Lederstuhl dahinter und öffnete Schublade für Schublade.

Ordentlich sortierte Stifte, weißes Papier, ein leerer Hefter und ein paar Büroklammern waren alles. Ich startete den Computer, der natürlich ein Passwort forderte, das ich nicht wusste. Auch den eingemauerten Tresor würde ich ohne Kombination nicht öffnen können.

Ich rief Elias in Regensburg an. Nachdem ich mich nach seiner Gesundheit, seinen Ernährungsgewohnheiten, seinem Sozialleben und seinen Studienfortschritten erkundigt hatte, fragte ich nach dem Passwort für den väterlichen Computer und gab vor, es vergessen zu haben.

»ordnungistdashalbeleben, alles kleingeschrieben und zusammen«, kam es wie aus der Pistole geschossen. Elias glänzte gerne mit seinem Wissen, und ich lobte sein ausgezeichnetes Gedächtnis. Davon ermutigt, erkundigte ich mich nach der Tresorkombination, die er auch auf Anhieb wusste. Mir kam die Zahlenreihe bekannt vor.

»Bist du dir sicher?«, fragte ich. »Das ist nicht ganz Papas Geburtstag.«

Elias lachte.

»Er sagt, er fühle sich mindestens zehn Jahre jünger. Daher die Abweichung. Außerdem soll man nie sein eigenes Geburtsdatum verwenden. Das wäre leichtfertig. Er hat es abgewandelt.«

Elias schöpfte keinerlei Verdacht. Wir verabschiedeten uns herzlich und beendeten das Gespräch. Ich kniete mich vor den Tresor und konnte ihn mühelos öffnen. Darin fand ich hauptsächlich Unterlagen zu Haus und Firma. Ohne sie aufmerksam durchzulesen, dazu fehlten mir die Nerven, machte ich von allen Dokumenten eine Kopie. In einem schwarzen Lederkästchen lagen alte Goldmünzen, die Krawattennadel und Armbanduhr seines verstorbenen Vaters. Ich legte die Familienerbstücke zurück (ich würde mich nicht an Dingen bereichern, die mir nicht zustanden) und sperrte den Tresor wieder ab. Als ich mich an den Computer setzte, warf ich aus Versehen Pauls Brieföffner, der die Form eines japanischen Samurai-Schwertes hatte, auf den Boden. Ich bückte mich. Das blöde Ding war weit unter den Tisch gefallen. Auf allen vieren kroch ich unter das Mahagonimonster.

Beim Rückzug schrammte mein Kopf an der Tischplatte entlang, ein paar Haare verhedderten sich, und ich riss sie mir aus. Als ich fluchend samt Brieföffner wieder aufgetaucht war, tastete ich mit der Hand nach der Unebenheit und stieß auf einen kleinen Gegenstand.

Erneut krabbelte ich unter den Tisch und fand einen mit Klebeband befestigten Schlüssel und ein Büschel meiner roten Haare. Ehrlicherweise waren einige graue darunter. Ich zog den Schlüssel ab und betrachtete ihn ratlos.

Diesen Schlüsseltyp kannte ich nur aus dem Fernsehen, und dort wurden damit Schließfächer geöffnet.

Dieser Sache würde ich nachgehen.

Ich steckte den Schlüssel in die Tasche meiner Jeans und machte mich an den Computer. Ich öffnete Facebook. Paul war angemeldet, und ich klickte mich durch die Liste seiner Freunde.

Fünf Minuten später saß ich Miss Spontanundwitzig Auge in Auge gegenüber. Marinda Bravo hielt ihre Namenswahl bestimmt für bravourös kreativ. Marinda hießen Tomaten, die in meinem Garten wuchsen und an Braunfäule litten. Morgen würde ich sie endgültig in der Mülltonne entsorgen.

Die Tomaten.

Wobei.

Die Gefühle, die während der Konfrontation mit Marindas Facebook-Fotoalbum in mir auftauchten, waren mir neu.

Ich verschlang jede ihrer digitalen Äußerungen, suchte auf jedem Foto nach dem, was sie hatte und was mir fehlte.

Sie hatte weder Kleidergröße 34 noch Körbchengröße D. Ihr Busen war nur wenig größer als meiner. Vor den Kindern hätten wir wahrscheinlich Körbchengrößengleichstand gehabt, aber durch die Stillerei von drei gefräßigen Säuglingen waren ein Teil meiner Oberweite und vor allem die einstige pralle Fülle weggesaugt worden.

Marinda war weder besonders hübsch noch besonders exotisch, sondern einfach nur jung. In München studierte sie Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte.

Seit wann war Paul unter die Schöngeister gegangen? Mit mir schaffte er es nicht einmal ins Kino.

Auf Marindas Facebookseite konnte ich mich über ihr mittelmäßiges Leben und ihren gigantischen Freundeskreis informieren.

Ich klickte auf das Nachrichtenfeld: Hallo, ich bin die betrogene Ehefrau. Wenn Sie einmal in meinem Alter sind und gegen eine jüngere Frau ausgetauscht werden, werden Sie mit dem eigenen Herzen fühlen, wie es mir jetzt geht. Nur zur Info: Pauls ältester Sohn ist genauso alt wie Sie. Fahren Sie zur Hölle.

Den letzten Satz löschte ich, in meinem fortgeschrittenen Alter wollte ich nicht niveaulos sein, und drückte mit wild klopfendem Herzmuskel auf Senden. Außerdem postete ich an Miss Witzigundspontans Pinnwand:

Achtung, diese Frau treibt’s mit alten verheirateten Männern!

So viel zum Niveau, dachte ich kurz, aber noch nie hatte mir Facebook so viel Spaß gemacht. Ich recherchierte weiter im Internet, fand Marinda auf Instagram und diversen anderen Seiten. Es war beunruhigend, wie sorglos sie nicht nur mit ihren Reizen, sondern auch mit ihren Daten umging. Innerhalb einer halben Stunde wusste ich mehr von Marinda als von meiner langjährigen Nachbarin: Speiseplan der letzten Wochen, Inhalt des Kleiderschrankes, Reiseziele, Bücher, Partys, Selfies. Alles präsentiert in einer perfekt durchgestylten, spontan wirkenden Ego-Fotostrecke.

Ich wusste jetzt auch, wie das neue Gefühl hieß, das ich in meiner Magengegend und im Hals fühlte. Rachedurst!

Im Laufe des Nachmittags telefonierte ich mit einer Anwältin für Scheidungsrecht und bestellte für Marinda Bravo, die übrigens Martina Meyer hieß, eine Kiste ausgewählter Sextoys, inklusive Viagra, und ein zehnbändiges Lexikon zur christlichen Moraltheologie, natürlich auf Rechnung. Wobei die Sexspielzeugbestellung meinen Horizont eindeutig zweideutig erweiterte. Außerdem verfasste ich von seinem Account eine Rundmail an Pauls Firma, in der ich darüber informierte, dass von Anrufen bei seiner ehemaligen Privatadresse abzusehen sei, er wohne jetzt bei seiner jugendlichen Geliebten oder im Büro. Scheinbar hatten der vormittägliche Alkoholmissbrauch und das Gespräch mit der Postbotin einen Energieschub ausgelöst. Gegen Abend ließ die Wirkung jedoch spürbar nach.

Ich lag bereits im Bett und weinte meinem Eheleben nach, als Paul erst Sturm klingelte und dann gegen die Haustür hämmerte. Ich zog mir die Decke über den Kopf und biss die Zähne zusammen. Dann schrillte das Telefon durch das stille Haus, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete. Anschließend vibrierte mein Handy auf dem Nachttisch. Als endlich Ruhe eingekehrt war, las ich die eingegangene SMS. Das wirst du bereuen.

Damit hatte er recht. Ich bereute dreiundzwanzig Jahre Ehe, die meinem Mann nichts wert und die zur Lüge geschrumpft waren, mein abgebrochenes Studium und mein sorgloses Vertrauen. Der Rosenkrieg blühte auf.

 

So schlecht hatte ich nicht mehr geschlafen, seit Hannah an einer Gehirnhautentzündung erkrankt war. Ich hatte mich von einer Bettseite zur anderen gewälzt und gegrübelt. Als es hell wurde, stand ich auf, zog meine Gartensachen an und ging hinaus. Die Farbe Grün sollte angeblich die Nerven beruhigen. Das hatte ich nötig. Ich steckte das Telefon in meine Gärtnerschürze, wo ich auch Bindebast und eine Gartenschere verwahrte. Die Scheidungsanwältin wollte mich am Vormittag zurückrufen. Dieses Gespräch durfte ich nicht versäumen. Es klingelte.

»Elenor, die ganze Firma weiß es. Gerade hat mich Sven angerufen. Paul hat eine Mail geschrieben. Du Ärmste, das ist so schrecklich. Jetzt weiß es jeder.«

Wieso nannte Inge mich seit gestern Ärmste, als wäre ich krank?

»Die Mail hab ich von Pauls Rechner geschrieben. Mit seinem Firmenverteiler war es kein Problem, alle zu erreichen.«

Inge schwieg. Sie brauchte ein paar Sekunden, um diese Mitteilung zu verarbeiten. Ich riss in der Zwischenzeit die Marinda-Tomatenstauden samt Wurzeln aus der Erde. In dem kleinen Foliengewächshaus war es stickig, und über mein Gesicht rannen Schweißtropfen. Ich ging wenigstens davon aus, dass es Schweiß war. Seit gestern war mein Gesicht ständig nass, und Tränen liefen völlig unkontrolliert von einem auf den anderen Augenblick. Es war durchaus möglich, dass ich weinte. Aber es störte mich nicht.

»Das hättest du nicht tun sollen. Kannst du dir vorstellen, wie es Paul jetzt geht?«

Hatte ich einen Hörschaden? Hatte Inge gerade meinen fremdgehenden Ehemann bemitleidet?

»Kannst du dir vorstellen, wie es mir gerade geht?«, fauchte ich zurück.

»Ja, das kann ich«, war die knappe Antwort.

Verdammt, vor lauter Selbstbeweinung hatte ich vergessen, dass Inge eine erfahrene betrogene Ehefrau war. Sie war meine Freundin. Es war unfair, meine Rachegefühle auf sie zu projizieren.

»Ich fürchte, ich schaff das nicht so gelassen wie du. Wenn ich nur dran denke, könnte ich vor Wut platzen, und im nächsten Moment breche ich in Tränen aus und wünsche mir, Paul hätte mir nichts von seinem Mäuschen erzählt. Ich will mein altes Leben wiederhaben«, jammerte ich und griff zur nächsten Tomatenpflanze.

»Du machst dein altes Leben kaputt, nicht Paul.«

Wie war das noch? War Inge mit mir oder mit Paul befreundet? Irgendwie hatte ich mir mehr weibliche Solidarität erhofft.

»Aber ich hab doch nichts getan«, versuchte ich, mich zu rechtfertigen.

»Wenn ein Mann eine Affäre beginnt, fehlt ihm in seiner Ehe etwas. Die Männer sind nicht allein schuld. Du musst verzeihen lernen. Und auch an dir arbeiten.«

Inges Tonfall war dozierend. Mir blieb die Spucke weg.

»Du meinst, ich hab ihn dazu gedrängt?«

»Indirekt ja. Du hast ihm nicht mehr das gegeben, wonach er sich sehnte.«

»Kannst du konkreter werden?«

»Du achtest zu wenig auf dein Äußeres.«

Ich kniete gerade mit schlammfarbigen Gummistiefeln, abgeschnittener Jeans und einem alten T-Shirt von Hannah mit der Aufschrift Dramaqueen auf der feuchten Erde. Meine Haare hingen mir wirr ins Gesicht, und meine Hände waren schmutzverkrustet. Zu diesem Punkt wollte ich mich gerade nicht äußern.

»Immer dreht sich bei dir alles um die Kinder oder den Garten. Du verlässt kaum das Haus und bist ein richtiges altes Mütterchen geworden. Dein kulturelles Leben beschränkt sich auf VHS-Kurse und Fernsehen. Weißt du, Elenor, wenn eine Ehe scheitert, liegt das immer an beiden Partnern. Du kannst nicht nur Paul dafür verantwortlich machen. Sven sagt, der Ärmste ist heute Morgen völlig durch den Wind, unrasiert, in zerknittertem Hemd und übernächtigt im Büro erschienen. Wahrscheinlich hat er sogar dort übernachtet. Du kannst das nicht machen, Elenor. Wenn du ihn nicht mehr reinlässt, kann er seine Arbeit nicht ordentlich machen, und davon hängen Jobs und das Auskommen von Familien ab.«

Sorgte sich Inge, dass ihr nächster Karibikurlaub in Gefahr geriet, wenn Sven seine Arbeit verlieren würde?

»Paul will eine Frau, die ihn unterstützt und bewundert und die vorzeigbar ist. Paul will …«, plapperte sie weiter. Sie schien meinen Mann gut zu kennen. Ich warf die Tomatenstaude, die ich immer noch umklammerte, als wollte ich sie erwürgen, zurück ins Beet und verließ das Gewächshaus. Ich brauchte dringend mehr Sauerstoff und atmete einige Male tief durch, während ich mir Inges Paul-Bemitleidung anhörte. Warum glaubte Inge zu wissen, was dieser Mann wollte?

»Jetzt komm mal runter, das, was Paul will, kann ich ihm nicht geben. Ich kann mich nicht um zwanzig Jahre verjüngen. Ich bin schlicht und ergreifend älter geworden, mein Körper hat sich verändert, da kann ich so viel Pilates machen, wie ich will. Ich habe drei Schwangerschaften hinter mir und sechsundvierzig Lebensjahre. Das hinterlässt seine Spuren. Übrigens ist die Zeit auch an meinem Mann nicht spurlos vorübergegangen. Er hat Hühneraugen, Krampfadern und Probleme mit der Bandscheibe. Seine Haare sind grau und werden schütter. Das ist der Lauf der Welt, den er nicht akzeptieren will. Er kompensiert seine Midlife-Crisis mit einer jungen, knackigen Freundin. Soll ich mir den Busen aufpolstern und meine Wangen straffen lassen, damit er sich mit mir auf die Straße trauen kann?«

Gleichzeitig fragte ich mich, ob ich wirklich alt und unattraktiv war. Wenn man Inge glaubte, dann ja. Während ich mich in Rage redete, schichtete ich das Tomatengestrüpp auf dem gepflasterten Gehweg zu einem Haufen auf und holte Streichhölzer aus der Küche.

»Du wirst unsachlich, meine Liebe. Männer altern anders als Frauen. Du kennst doch bestimmt den Spruch: Männer werden nicht älter, sondern interessanter. Paul ist ein sehr attraktiver Mann mit Sex-Appeal.«

Ich erstarrte mitten in der Bewegung und verbrannte mich am abbrennenden Streichholz.

»Bist du vielleicht scharf auf ihn, Inge?«

»Elenor!«

»Frag ihn doch. Vielleicht hat er Lust auf deinen silikonverstärkten Busen, der sich wie durch ein Wunder der Schwerkraft widersetzt. Bei Sven scheint deine Restaurierung ja nicht viel zu bewirken.«

Inge zog scharf die Luft ein. Sie hatte sich vor zwei Jahren die Brüste straffen und mit Silikon in Form bringen lassen. Seitdem trug sie nur noch enge Oberteile, um die beiden perfekten Halbkugeln zur Geltung zu bringen.

»Ist doch wahr.«

Ich legte auf und hatte das Gefühl, dass diese Freundschaft gerade zu Ende gegangen war. Mein Kommentar war fies gewesen, aber ich hatte mehr Verständnis und Unterstützung von Inge erwartet.

 

Die grünen Tomatenstauden wollten nicht brennen, sondern kokelten armselig vor sich hin.

Ich ging in die Garage, um Grillanzünder zu holen.

Obwohl dort penible Ordnung herrschte, konnte ich die Anzünder nicht finden. Dafür entdeckte ich den grünen Benzinkanister für den Rasenmäher und entschied mich für diesen Brandbeschleuniger. Ich zerrte die restlichen Tomatenstauden aus dem Gewächshaus und begoss das Grünzeug großzügig mit Benzin.

»Brennen sollst du, Marinda«, rief ich und warf mit theatralischer Geste ein brennendes Streichholz auf das Gestrüpp.

Eine Stichflamme schoss zum Himmel.

Ich spürte die Hitze schlagartig im Gesicht. Eine kräftige Hand packte mich am Oberarm und zog mich zurück. Ich taumelte und fiel hin.

»Frau Taler! Was machen Sie da?« Loreen Moll kniete neben mir und musterte mich besorgt. Ich hustete und strich mir übers Gesicht. »Und wer ist Marinda?«

»Ist so eine Art Hexenverbrennung. Die Tomate heißt wie die Freundin meines Mannes.«

»Und darum konnten Sie das Zeug nicht auf den Komposthaufen werfen, verstehe.«

Die Postbotin setzte sich neben mich auf die Wiese, und gemeinsam beobachteten wir die Flammen, bis sie erloschen.

»Ich bin vielleicht froh, dass Sie nicht in Flammen aufgegangen sind. Auf eine suizidale Selbstverbrennung hätte ich heute keine Lust gehabt. Aber jetzt brauchen Sie eine Typveränderung«, stellte Urlaubspostbotin Moll grinsend fest.

Vorsichtig tastete ich meinen Kopf ab und nahm den Gestank von verbrannten Haaren wahr.

»Keine Sorge, es hat hauptsächlich den Pony und die Augenbrauen weggeschmolzen. Das hätte ganz schön schiefgehen können, und Sie wären jetzt ein verkohltes Brandopfer.«

Ich schämte mich für meine dämliche Aktion.

»Ich hol dann mal die Pakete für Ihren Mann.« Loreen stand auf und ging zum Postauto.

»Frau Moll«, rief ich ihr nach, »die Pakete nehme ich nicht an. Nur Post, die an mich oder die Kinder adressiert ist.«

Loreen Moll kam mit zwei Werbesendungen und einer Postkarte von Hannah aus New York zurück. Sie grinste mich breit an.

»Sollen die Pakete an die Firmenadresse zugestellt werden?« »Nein, der Empfänger ist unbekannt verzogen. Lassen Sie das Zeug zurückgehen. Ich nehm nichts mehr an«, erwiderte ich.

»Unbekannt verzogen. Annahme verweigert«, wiederholte sie. »Übrigens hübsches T-Shirt. Steht Ihnen.«

Ich schaute auf meinen Busen hinunter, der das glitzerfarbige Wort auf dem rosa T-Shirt-Stoff dehnte.

»Gute Wahl. Aber machen Sie das bloß nicht zu Ihrem Tagesmotto. Das könnte gefährlich werden.«

»Das T-Shirt gehörte meiner Tochter. Eine Zeit lang hat sie gerne beschriftete Kleidung getragen. Sie wissen schon, mit Aufdrucken wie Zicke, Zuckerschnecke, Papas Liebling, Plage, Bin in der Pubertät, Sprechen Sie langsam und so. Jetzt findet sie das nicht mehr lustig, und ich zieh die Sachen für die Gartenarbeit an. Zum Wegwerfen sind die einfach zu schade.«

Loreen zog die Augenbrauen samt diverser silberner Ringe hoch.

»Sie sind wie meine Mutter. Aber man soll die Sparsamkeit nicht übertreiben. Es gibt auch Altkleidersammlungen.«

War das eine Kritik oder eine Feststellung? Ich fragte lieber nicht nach.

»Wollen Sie was trinken? Einen Cappuccino?«

»Gerne das gestrige Programm. Wieder einen dreifachen Espresso, der hat mich gestern bis Mitternacht wach gehalten. Und vielleicht ein Glas Grappa dazu. Sie haben mir nämlich einen gewaltigen Schrecken eingejagt.«

Wir setzten uns, als ich mit einem Tablett aus der Küche zurückkam, auf die Eingangsstufen. Es stank penetrant nach Benzin und verkohltem Grünzeug. Benzin und Ruß hatten auf dem Granitpflaster einen schmierigen schwarzen Fleck hinterlassen. Marinda war vernichtet.

»Sie sollten zum Friseur gehen.«

»Das ist nicht nötig.«

Loreen kippte drei Löffel Zucker in ihren Espresso und rührte um. »Dann schauen Sie mal in den Spiegel.«

Folgsam stand ich auf, ging in den Flur und warf einen Blick in den Garderobenspiegel. Mein Gesicht war rußgeschwärzt, und meine rechte Augenbraue war angekohlt. Meine Haare beachtete ich lieber gar nicht. Ich setzte mich wieder zur Aushilfspostbotin, die gerade ihr Grappaglas leerte, auf die Stufen.

»Zum Friseur trau ich mich nicht. Der fragt bestimmt, wie das passiert ist. Ich schneid einfach die angesengten Stellen raus.«

»Aha«, war die einsilbige Antwort.

»Ich geh nie zum Friseur. Ich schneide meine Haare immer selbst.«

Loreens kurze schwarze Haare waren perfekt gestylt und schimmerten gepflegt. Dagegen wirkten meine spröden Locken, die von grauen Strähnen durchzogen waren, schäbig.

»So sehen Sie auch aus.«

Diese Postbotin war mir zu direkt. Mir hatten heute schon Inges Kommentare zu meinem Aussehen gereicht. Ich schwieg eisern und zupfte Unkraut aus den Moospolstern zu meinen Füßen.

»Frau Taler?«

»Sie müssen bestimmt weiter und die restliche Post zustellen«, erinnerte ich sie an ihre Pflichten.

»Jetzt seien Sie nicht eingeschnappt, und außerdem steht mir eine Pause zu. Für einen schnellen Haarschnitt hab ich immer Zeit.« Loreen Moll stellte Tasse und Glas neben den japanischen Fächerahorn. »Locken muss man mit Gefühl behandeln und nicht einfach mit der Schere ritsch, ratsch machen. Wenn Sie wollen, schneid ich Ihnen die verbrannten Haare ab.«

Mein Blick schien skeptisch zu sein.

»Schlimmer, als wenn Sie es selber machen, kann es kaum werden.«

Womit sie recht hatte. So wurde meine Postbotin zu meiner Friseurin. Meine Lebensretterin war sie schon.

»Ich heiße Elenor«, stellte ich mich vor und streckte ihr die Hand entgegen. Nur mein Mann nannte mich Elli, wie eine alte, grauhaarige Tante mit Dutt.

Loreen murmelte etwas Unverständliches, weil sie gerade eine Haarspange zwischen die Lippen geklemmt hatte. Sie versuchte, meinen Haarwust zu bändigen und in einzelne Partien einzuteilen.