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Lipschütz, Alejandro

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The Project Gutenberg EBook of Warum wir sterben, by Alexander LipschützThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Warum wir sterbenAuthor: Alexander LipschützRelease Date: February 15, 2008 [EBook #24618]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WARUM WIR STERBEN ***Produced by Norbert H. Langkau, Wolfgang Menges and theOnline Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

Warum wir sterben

VonDr. Alexander Lipschütz Zürich

Also sprach Zarathustra: Wichtig nehmen alle das Sterben: Aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht.

Mit 36 Abbildungen im Text

Stuttgart Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde Geschäftsstelle: Franckh'sche Verlagshandlung 1914 Alle Rechte, besonders das Übersetzungsrecht, vorbehalten.Copyright 1914 by Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Vorwort

5

1.

Gevatter Tod und Bazillen

7

2.

Der Tod und die Wissenschaft

15

3.

Leben und Tod

18

4.

Tod und Unsterblichkeit

24

5.

Der sterbende Zellenstaat

30

6.

Das Altenteil der Zellen im Zellenstaat

34

7.

Wie wir sterben

41

8.

Lebensgeschichte eines Pantoffeltierchens

52

9.

Jugend und Alter der Nervenzellen

64

10.

Der Tod der Eintagsfliege

75

11.

Kopulation und Befruchtung

80

12.

Die Unvollkommenheit des Stoffwechsels

85

Ich habe das Problem des Todes in den Zusammenhängen, wie ich es in diesen Blättern bringe, zum ersten Mal vor etwa zwei Jahren in dem Feuilleton einer Tageszeitung behandelt. Eine ähnliche wissenschaftliche Behandlung hat das Todesproblem in ausgezeichneter Weise durch Doflein erfahren. Meine Darstellung knüpft an das an, was unsere großen Meister des biologisch-medizinischen Denkens, wie Nothnagel, Ribbert und Verworn, an Bausteinen und an allgemeinen Gesichtspunkten für eine Erörterung des Todesproblems zusammengetragen haben, und ich habe versucht, diese Gesichtspunkte zellularphysiologisch weiter auszugestalten durch Berücksichtigung der zahlreichen zellularpathologischen Arbeiten des russischen Forschers Mühlmann. Das Tatsachenmaterial, über das diese beiden Forscher berichtet haben, ist für eine wissenschaftliche Behandlung des Todesproblems von einschneidender Bedeutung, wenn auch Mühlmann in seinen kritischen Studien über den Tod zu Schlüssen gelangt ist, die ich keinesfalls unterschreiben will. Ich habe in meine Erörterung auch den Begriff der „Unvollkommenheit des Stoffwechsels“ eingeführt, den Jickeli für die Behandlung biologischer Fragen – wenn auch in anderen Zusammenhängen und in nicht ganz glücklicher Weise – als erster zu verwerten bemüht war. Den ganzen Komplex der wichtigen Partialprobleme des Todes, die Friedenthal und Rubner in ihren Arbeiten behandelt haben, habe ich unberücksichtigt lassen müssen, da sonst meine Darstellung zu sehr angewachsen wäre. Wer eingehender über das Problem des Todes orientiert sein will, sei auf meine „Allgemeine Physiologie des Todes“ verwiesen, die im Verlag von Vieweg u. Sohn erscheinen wird. In diesem Buch wird der Leser auch all die Originalarbeiten genannt finden, die meinen Ausführungen über den Tod zugrundeliegen. –

Noch einige Worte über die Sprache, in der ich meine Darstellung geschrieben habe. Ich habe mich nicht bemüht, meine Umgangssprache, in der ich mich sonst über biologische Dinge auszusprechen pflege, in die spanischen Stiefel der modernen Schreibsprache hineinzuzwängen. Ich habe vielmehr so geschrieben, wie ich spreche. Es ist mir nicht klar, warum die Schriftsprache anders sein soll als die mündliche Sprache, gewissermaßen ein „Sonntagsdeutsch“. Das Schriftdeutsch ist heute wahrhaftig genau so ein Sonntagsdeutsch wie unsere Festkleidung ein pompöser Sonntagsstaat ist. Wie im Sonntagsstaat so fühle ich mich auch beengt im Sonntagsdeutsch. Und ich will darum nicht anders schreiben als in meinem Werktagsdeutsch. Man kann seine Feste feiern auch ohne die spanischen Stiefel des guten Tones. –

Den Herren, die mich bei der Ausführung dieser Arbeit unterstützt haben, sei es durch Übersendung von Separatabdrücken, sei es durch Literaturhinweise und Überlassung von Büchern, sage ich auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank. Zu besonderem Danke bin ich der Bibliothek des Zoologischen Instituts unserer Universität verpflichtet. Ebenso Herrn Dr. M. Mühlmann für die freundliche Überlassung einiger Originalzeichnungen. Ich möchte schließlich nicht versäumen, auch Herrn Dr. J. Strohl, Privatdozent der Zoologie in Zürich, meinen besten Dank für manchen erteilten Ratschlag auszusprechen.

Zürich, im Mai 1914.

Alex. Lipschütz.

1. Gevatter Tod und Bazillen.

Erzählen will ich zunächst von Gevatter Tod und Bazillen.

Es hat mancher heute eine eigene Krankheit, die Bazillenfurcht heißt. Es nagt in ihm nicht der Tuberkelbazillus in der Lunge oder in den Knochen, nicht Eitererreger sind in seinem Blut. Wer von Bazillenfurcht befallen ist, krankt an Bazillen, die nicht in seinem Körper, sondern außer ihm sind. Man hat so viel von Bazillen gehört, so einseitig gehört, nur gehört und nicht durchdacht, daß man sie stets und überall – und soweit ja mit gutem Recht – wittert und in heller Angst herumläuft, sie, die allgegenwärtigen und bösen, die unsichtbar sind wie Beelzebub und Astharote, spielten einem den Streich. Man krankt an der Furcht vor Bazillen.

Und der Hohepriester derer, die an Bazillenfurcht kranken, ist Herr Professor Metschnikoff in Paris, ein wirklich Großer in der modernen Naturwissenschaft … Da müssen wir schon eine Pause machen, um Metschnikoff bei seinem Morgenfrühstück zuzuschauen, über das ihn einmal ein Zeitungsmann ausgefragt hat.

Unsereiner nimmt ahnungslos Messer, Gabel und Löffel in die Hand, so wie sie auf dem Tische daliegen. Ohne zu wissen, daß uns dabei direkte Lebensgefahr droht – von wegen der allgegenwärtigen Bazillen natürlich. Metschnikoff ist da viel vorsichtiger. Und offenherzig genug, um zuzugeben, daß er Messer, Gabel und Löffel vor dem Gebrauch an einer Flamme ausbrennt, um alle Keime abzutöten. Unsereiner beißt ahnungslos in seine Stulle und in seinen Weck, oder wie das Brötchen sonst heißen mag, ohne zu wissen, daß auf der goldbraunen Kruste des Brötchens gefährliche Mikroben sitzen. Metschnikoff aber röstet zunächst das Brot, um den Bazillen den Garaus zu machen: denn er kennt ihre Schliche und Wege und geht ihnen nicht in die Falle. Unsereiner ißt Erdbeeren, ungebrüht und vielleicht sogar ungewaschen. Metschnikoff versagt sich den Genuß von Erdbeeren ganz – immer von wegen der Bazillen. Aber eine Banane will schließlich auch ein Metschnikoff essen. „Hier sehen Sie,“ hat Metschnikoff so ungefähr dem Zeitungsmann gesagt, „ein paar Bananen, die ich mir gekauft habe, um sie nach Hause mitzunehmen. Weil diese Frucht mit einer dicken Schale bedeckt ist, glauben viele, daß die Bananen keine Bazillen haben. Weit gefehlt! Es sind doch welche drin, und in meinem Hause werden darum die Bananen immer erst gebrüht, bevor sie gegessen werden. Ich tauche sie etwa eine Minute lang in kochendes Wasser, und die Frucht verliert dabei nichts von ihrem Wohlgeschmack …“

Ist ja alles so weit sehr schön: aber die Zeit, die einer da zu seinem Morgenfrühstück braucht! Die kann sich wahrhaftig doch nicht jedermann leisten.

Aber was tut nicht einer, der dem Tode entrinnen will!

Denn mit dem Tod und den Bazillen ist es nach Metschnikoff folgendermaßen bestellt.

Wir sind alle von Bazillen bevölkert, von Millionen und Abermillionen Bazillen, die in unserem Darme wohnen. Namentlich in dem unteren Teile des Darmrohres, im Dickdarm, sind die Bakterien[1] wohl zu Hause. Wie ungeheuer viele es sein mögen: wenn man bedenkt, daß wir insgesamt an die sieben Meter Darm, und davon etwa anderthalb Meter Dickdarm herumtragen (Abb. 1)! Wollten wir die Bakterien zählen, die bloß in einem allerkleinsten Krümelchen unseres Darminhaltes drin sind, wir kämen schon in die Millionen hinein. Über hunderttausend Milliarden Bazillen – also eine Million mal Million und dann noch mal hundert – werden es nach allerlei Berechnungen wohl schon sein, die wir in unserm Darm insgesamt beherbergen. Ein ganzes Drittel von dem, was wir aus dem Darm an einem Tage entleeren, sind lauter Bazillen!

Abb. 1. Schema des Verdauungsrohres. 1 Gaumen, 2 Mundspalte, 3 Zunge, 4 Schlund, 5 Kehldeckel, 6 Luftröhre, 7 Speiseröhre, 8 Mageneingang, 9 Magen, 10 Magenausgang, 11 Zwölffingerdarm, mit dem der Dünndarm beginnt, 12 Dünndarmschlingen, 13 Übergang des Dünndarms in den Blinddarm, 14 Blinddarm, mit dem der Dickdarm beginnt, 15 Wurmfortsatz, 16, 17, 18 Dickdarm, 19, 20 Enddarm. Nach Rauber.

Und Metschnikoff hat sich gesagt, daß es diese Bazillenbevölkerung ist, die uns ein frühes Grab gräbt. Die Bakterien scheiden, wie alle andere lebendige Substanz, Stoffwechselprodukte aus, Schlacken des Lebens, wenn man will. Diese Stoffwechselprodukte gelangen aus dem Darm ins Blut. Zum Teil werden diese Stoffe, die in größeren Mengen zweifellos Gifte für die Zellen unseres Körpers sind, von manchen arbeitsfreudigen Zellen des Zellenstaates, z. B. von den Zellen der Leber, abgefangen, zu ungiftigen Stoffen verarbeitet und durch die Nieren nach außen abgeschieden. Die Leber hat eine Schutzaufgabe in unserem Körper, Polizeifunktion, wenn man so will. Das sind Tatsachen, die jedermann kennt. Metschnikoff nun ist der Meinung, daß es mit dem Unschädlichmachen der Gifte, die von den Darmbakterien ins Blut gelangen, doch nicht so auf das allerbeste bestellt ist, wie man glauben möchte. Denn man muß bedenken, daß die Stoffe, die von den Bakterien des Dickdarms abgegeben werden, tatsächlich sehr starke Gifte sind. Sie gehören in die Gruppe des Karbols hinein, das jedermann als todbringendes Gift kennt. Man kann diese Gifte in den Ausscheidungen des Darms sowohl als der Nieren – hier in verändertem Zustande – finden. Und da erscheint es auf den ersten Blick gar nicht so ohne, daß – wie Metschnikoff es will – die giftigen Stoffwechselprodukte der Darmbakterien daran schuld sind, daß wir früh alt werden und früh sterben.

Nun, einen direkten Beweis in diesen Dingen führen, das kann man natürlich nicht. Denn man müßte ja dann seinen Versuch so einrichten, daß man zusähe, wie lange einer lebte, der keine Bakterien im Darm hätte. Wir Menschen und ebenso alle Tiere haben aber stets ihr Bakterienvolk im Darm. Und dann: ein bißchen langwierig wäre es schließlich doch, so zuzusehen, wie lange einer lebte, ob 100, 200 oder gar noch mehr Jahre. Unserer hastenden Zeit ginge dieses lange Zusehen nicht nach Geschmack … Metschnikoff blieb also nichts anderes übrig, als einen Umweg in seiner Beweisführung zu gehen. Er hat sich gesagt, daß, wenn seine Theorie richtig ist, dann diejenigen Tiere, die mehr Bakterien im Leibe haben, weniger lang leben müßten als jene, die nicht so viel Bakterien in ihrem Körper beherbergen, d. h. die einen kürzeren Dickdarm haben. Wer unter den Tieren einen kurzen Dickdarm hat, der muß nach Metschnikoff länger leben.

Metschnikoff hat nun die Lebensdauer der Tiere mit ihrer Darmlänge verglichen, und es hat sich dabei tatsächlich herausgestellt, daß diejenigen Arten, die durch einen kurzen Dickdarm ausgezeichnet sind, wie z. B. viele Vögel, eine sehr lange Lebensdauer haben, während z. B. die Säugetiere, die einen viel längeren Dickdarm haben, viel früher sterben. So weist Metschnikoff auf die Tatsache hin, daß z. B. Schwäne, Gänse, Raben und manche Raubvögel über 50 Jahre, Papageien und Kakadus sogar über 80 Jahre leben können. Dagegen sterben Hunde, Katzen, Pferde und andere Säugetiere stets in einem viel jüngeren Alter: ihre Lebensdauer beträgt in der Regel nicht mehr als 15 Jahre, und ein Alter von 30 Jahren gehört bei ihnen zu den seltensten Ausnahmen. Um ein sehr augenfälliges Beispiel zu wählen: der Kanarienvogel hat eine Lebensdauer von etwa 20 Jahren, die etwa gleich große Maus lebt höchstens 6 Jahre. Mit der Länge des Dickdarms nimmt nun selbstverständlich die Menge der giftspendenden Bakterien zu, die das Tier in sich beherbergt. Und da war für Metschnikoff der Schluß gegeben, daß es eben die Gifte der Darmbakterien sind, die die kürzere Lebensdauer der Tiere verschulden.

Nachdem Metschnikoff sich die Sache so zurecht gelegt hatte, daß die Bakterien am frühen Altern und Sterben von Tier und Mensch schuld seien, hat er sich gesagt, daß es doch heute eigentlich ein großes Unglück mit dem Altern und mit dem Sterben sei. Das Altern von heute sei wie eine Krankheit: unser Körper wird ganz allmählich von den Darmbakterien vergiftet. Und wenn das Sterben und das Altern eine Krankheit ist, dann ist es ja die schlimmste Krankheit, die es gibt. Die Tuberkelbazillen und die Bazillen, die andere Krankheiten machen, töten die Menschen, die das Unglück hatten, sich mit diesen Krankheitserregern anzustecken. Die Darmbakterien aber hat jedermann in sich, alle Menschen sind mit ihnen behaftet, und die Menschen, die den Krankheiten sonst entronnen sind, gehen an der Vergiftung durch Darmbakterien zugrunde: sie werden früh alt und müssen früh sterben.

Das ist in Metschnikoffs Theorie des Pudels Kern: Wenn das Altern heute so etwas wie eine Bakterienkrankheit ist, dann ist klar, daß man dieses Altern und Sterben mit denselben Mitteln bekämpfen muß, wie jede andere Krankheit auch. Und es bot sich da für Metschnikoff das allbekannte Beispiel mit dem Alkohol. Wir wissen, daß das Alkoholgift unsern Körper schädigt, wenn er Tag für Tag genossen wird, daß auf dem Alkoholgenuß eine ganze Reihe von Krankheiten beruhen, an denen die Menschen nach langem Siechtum zugrunde gehen. Wir bekämpfen dieses Siechtum, indem wir das Gift, den Alkohol, zu meiden suchen. Also: auch das Gift des frühzeitigen Alters, die Gifte der Darmbakterien, müssen von unserem Körper ferngehalten werden, damit die Menschen länger leben und eines natürlichen Todes sterben könnten. Das war für Metschnikoff ein ganzes Programm: den Bakterien beikommen, die in unserem Dickdarm nisten.

Aber wie? Das war die große Frage.

Metschnikoff hatte da zunächst einen ganz radikalen Einfall. Es ist nämlich eine Tatsache, daß wir in unserem sieben Meter langen Darm ein Organ haben, das für uns Menschen gut anders eingerichtet sein könnte, als es in Wirklichkeit ist. Der Darm ist viel, viel länger als wir ihn wirklich brauchen. Der Dickdarm ist für uns sogar völlig nutzlos. Man kann einem Menschen den größten Teil des Dickdarms herausschneiden, ohne seine Gesundheit zu beeinträchtigen. Man hat bei manchen Patienten solche Operationen schon vornehmen müssen. Die Patienten, die an schweren Darmkrankheiten litten, und diese Operation durchmachen mußten, wurden vollständig gesund. Für den Pflanzenfresser ist der Dickdarm wohl von Nutzen, denn der Pflanzenfresser braucht einen langen Darm: seine Nahrung ist schwer verdaulich und muß längere Zeit im Darm verweilen, und bei der Verdauung der Nahrung helfen hier sogar die Darmbakterien mit. Aber für uns Menschen ist der Dickdarm nicht nur nutzlos, sondern direkt schädlich. Denn ein Teil des Dickdarms, der Wurmfortsatz des Blinddarms, neigt beim Menschen sehr zu Erkrankungen, und jedermann weiß, wie gefährlich die Blinddarmentzündung ist, wenn man sie vernachlässigt, und daß schon manch blühendes Menschenleben an einer vernachlässigten Blinddarmentzündung zugrunde gegangen ist. Und was nicht alles noch an andern Krankheiten häufig genug den Dickdarm befällt!

Aber noch mehr! Nicht nur der Dickdarm ist zu lang oder gar nutzlos für uns: auch der Dünndarm ist zu lang geraten. Die Ärzte sind schon häufig genug in die Lage gekommen, einem Patienten kleinere oder größere Stücke aus dem Dünndarm herauszuschneiden, und auch solchen Patienten geht es nach der Operation gut. Vor einigen Jahren hat der Amerikaner Underhill gezeigt, daß man Hunden einen sehr beträchtlichen Teil des Dünndarms entfernen kann, ohne die Tiere in ihrer Gesundheit zu beeinträchtigen. So schnitt Underhill seinen Hunden zunächst 2/5 ihres Dünndarms heraus. Die Hunde blieben am Leben, verdauten wie immer ihre Nahrung und nahmen unverdrossen an Gewicht zu. Erst wenn 2/3 des Darms den Versuchstieren weggenommen waren, ging es den Tieren schlecht: mit dem letzten Drittel ihres Dünndarmes konnten sie wohl doch nicht mehr so viel verdauen, als nötig war, und sie nahmen jetzt an Gewicht ab. Nun braucht ja das, was Underhill für den vorwiegend fleischfressenden Hund nachgewiesen hat, nicht gerade in genau demselben Maße für den Menschen zu gelten, da wir ja neben Fleisch auch pflanzliche Nahrung zu uns nehmen, deren Verdauung schwieriger ist und einen längeren Darm verlangt. Aber wahrscheinlich ist es doch, daß wir einen zu langen Darm haben und ein gut Teil davon zu unserem Nutz und Frommen wohl einbüßen könnten.

Also war der radikale Einfall von Metschnikoff der, daß man den Menschen den Dickdarm herausschneiden solle, um ihnen damit ein langes Leben zu schenken.

Aber der Gedanke war doch zu radikal, um zu Ende gedacht zu werden. Auch seinen eigenen Dickdarm, geschweige denn einen Teil seines Dünndarms, hat Metschnikoff nicht für seine Idee als Opfer auf den Altar der Menschheit legen wollen. Er hat diesen radikalen Weg zur Lebensverlängerung für eine ferne Zukunft vorbehalten und ist für heute einen Kompromiß eingegangen.

Wer's ihm da angetan hatte? Sehr einfach: zunächst bloß ein Topf saurer Milch. Oder nein, es sind eigentlich wiederum Bazillen, die da im Spiele waren. Aber dieses Mal Bazillen, die wohltätig sind: die Bakterien der sauren Milch, die nach Metschnikoff mit gar artigen Eigenschaften ausgezeichnet sind. Die Sache verhält sich hier folgendermaßen. Das Sauerwerden der Milch beruht darauf, daß die sog. Milchsäurebakterien, die sich schon innerhalb 24 Stunden in der Milch zu ganz gewaltigen Mengen vermehren, den Milchzucker vergären. Aus dem Milchzucker entsteht dabei eine Säure, die man Milchsäure nennt. Die macht die Milch sauer und macht sie dick, denn in der angesäuerten Milch ballt sich das Kasein, der Eiweißstoff der Milch zusammen, das Eiweiß der Milch gerinnt dabei genau so, wie das Hühnereiweiß beim Kochen gerinnt. Worauf es Metschnikoff aber ankam, das ist der Umstand, daß die Säure ein Mittel ist gegen Bakterienfäulnis. Die Bakterien, die eine Fäulnis von abgestorbener lebendiger Substanz hervorrufen, können ihre Wirkung nicht tun, wenn es rings um sie sauer ist. So verhindert z. B. der saure Magensaft, der sich auf die genossenen Speisen im Magen ergießt, die Fäulnis der Speisen. Hier im sauren Magensaft können die fäulniserregenden Bakterien nicht gut aufkommen und sie können hier ihre Geschäfte nicht betreiben. Erst im Darm, wo die Verdauungssäfte nicht mehr sauer, sondern alkalisch sind, d. h. wo die Bakterien in einer stark verdünnten Lauge schwimmen, da beginnt die Fäulnis der Nahrung oder der Nahrungsreste. Das ist namentlich im Dickdarm der Fall, und von hier gelangen all die schädlichen Stoffe der Fäulnis in den Kreislauf des Blutes, in den Zellenstaat hinein. Gut, hat sich Metschnikoff gesagt, machen wir den Bakterien im Darm das Leben sauer! Trinken wir saure Milch! Wir bevölkern dann unsern Magen und unsern Darm mit Milchsäurebakterien und ekeln einfach die Fäulnisbakterien heraus!

Das war Metschnikoffs Losung im Kampfe gegen Gevatter Tod: nicht mit Lanze und Speer zog er aus in den Kampf, sondern mit einem Troß von Bazillen gegen Bazillen.

Abb. 2. Pantoffeltierchen. Sehr stark vergrößert. mf Mundfeld, m Mund, sch Schlund, na Nahrungsballen, ps pulsierendes Bläschen (Vakuole) ma Großkern, mi Kleinkern. Rings um den Protoplasmaleib herum sieht man die Wimperhärchen, mit denen die Zelle im Wasser schlägt und sich fortbewegt. Aus Stridde.

Wer an Bazillenfurcht krankt, schüttelt ungläubig den Kopf. Mit Unrecht. Denn soweit es sich um die gesundheitsschädliche Wirkung starker Fäulnisvorgänge im Darm handelt und um die Möglichkeit, diese Fäulnis durch eine Milchdiät zu bekämpfen, hatte sich Metschnikoff ja an Tatsachen gehalten. Hier kann man Meister Metschnikoff nichts anhaben, hier hat er recht. Die Frage ist aber die, ob die Darmbakterien, die die Fäulnisstoffe im Dickdarm produzieren, wirklich die bösen Geister sind, die uns ins frühe Grab bringen. Doch Metschnikoff hat sich mit dieser Frage nicht weiter abgeben wollen und er ist von nun an nur einem