Was sich in den Tiefen der Seele verbirgt - Petra Kania - E-Book

Was sich in den Tiefen der Seele verbirgt E-Book

Petra Kania

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Beschreibung

Anne Fischer begleitet ihre ehemalige Psychotherapeutin Sanja Delft in ein Rustico am Lago Maggiore. Sanja Delft bietet dort einer Gruppe von Frauen Erholung für Körper, Geist und Seele. Fünf Frauen erscheinen zu dem Seminar, jede mit eigenen Erwartungen und Problemen. Während Anne Fischer sich um die hauswirtschaftlichen Belange kümmert, kommt es bald zu Spannungen und Anfeindungen innerhalb der Gruppe. Als der cholerische Ehemann einer Teilnehmerin auftaucht, droht die Situation zu eskalieren. Doch niemand ahnt, dass dies erst der Anfang fürchterlicher Ereignisse ist.

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Was sich in den Tiefen der Seele verbirgt

Petra Kania

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Impressum

Impressum:

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www.herzsprung-verlag.de

Herausgegeben von CAT creativ - www.cat-creativ.at

Lektorat und Gestaltung

© 2015 – Herzsprung-Verlag

Mühlstraße 10 – 88085 Langenargen

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Erstauflage 2015

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Coverillustration: © sakura/AdobeStock

Coverfoto: © Petra Kania

ISBN: 978-3-99051-016-2 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-017-9 – E-Book

*

Inhalt

Was sich in der Tiefe der Seele verbirgt

Epilog

Anne Fischers Rezepte

Die Autorin

Buchtipp

*

Was sich in der Tiefe der Seele verbirgt

Ich stelle meine Reisetasche auf dem Boden ab und starre aus dem Fenster meines Zimmers, in dem ich die nächsten sechs Wochen verbringen werde. Die Klinik liegt auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von Wäldern. Morgen beginne ich mit der Therapie, deswegen bin ich hier. Ich will mich den traumatischen Erlebnissen der letzten Monate stellen, um sie endlich verarbeiten zu können. Meine Gedanken schweifen zurück in die Vergangenheit, an den Tag, als ich nicht ahnte, was mich in naher Zukunft erwarten würde.

Alles fing mit dem Anruf meines Psychiaters an. Er hatte auf Band hinterlassen, dass er mich in seiner Praxis sprechen wollte. Seit zwei Jahren war ich Patientin bei Dr. Pawlow und quartalsmäßig kam ich in seine Sprechstunden, meist um ein neues Rezept ausstellen zu lassen. Obwohl er sich vor Patienten kaum retten konnte, wirkten er und seine Mitarbeiter stets ausgeglichen, und falls sie selbst gestresst waren, so merkten die Patienten davon nichts.

Ich hatte also viel Glück gehabt, Dr. Pawlow zu finden, denn bekanntlich waren die Praxen für Psychiatrie und Psychotherapie terminlich für Monate ausgebucht und einen Platz zu ergattern war Glückssache.

Den Tipp, zu Dr. Pawlow zu gehen, hatte ich von meiner Psychotherapeutin Sanja Delft erhalten und sie hatte mal wieder das richtige Gespür gehabt, welcher Arzt zu mir passen würde.

Mit der Diagnose schwere Depression hatte ich vor drei Jahren bei Sanja Delft mit der Gesprächstherapie begonnen. Schritt für Schritt half sie mir, wieder im Leben Fuß zu fassen und mein Selbstbewusstsein aufzubauen. Durch die Medikamente von Dr. Pawlow wurde mein seelischer und körperlicher Zustand so weit stabilisiert, dass ich die Therapie bei Sanja Delft zunächst beenden konnte. Allerdings hatte ich die Option, mich im Notfall immer bei ihr melden zu können.

Natürlich schwirrten mir sofort alle möglichen negativen Gedanken durch den Kopf. Warum wurde ich von Dr. Pawlow in die Praxis bestellt? Hatte ich etwas falsch gemacht? Wollte er mir mitteilen, dass er mich nicht länger als Patient behalten wollte? Krampfhaft suchte ich nach einem Fehlverhalten meinerseits. Wie immer! Das kannte ich ja, dieses ständige Gefühl von Was habe ich falsch gemacht? Dank Psychotherapie und Medikamenten war ich aber immerhin so stabil, nicht in völlige Panik zu geraten, aber gegen die mich nun quälenden Magenschmerzen kam ich nicht an.

Die ganze Nacht grübelte ich, warum ich in die Praxis kommen sollte. Je mehr ich grübelte, umso stärker wurde meine innere Unruhe.

Am nächsten Tag erschien ich, von der schlaflosen Nacht gezeichnet, zu dem bestellten Termin. Innerlich auf das Schlimmste, den Rausschmiss, gefasst.

Frau Hartung an der Rezeption kannte mich ja nun schon, und wie immer fiel ihre Begrüßung freundlich und ruhig aus.

„Nehmen Sie bitte im Wartezimmer Platz. Der Doktor ruft Sie dann auf.“

Im Wartezimmer saßen bereits vier Patienten und ich setzte mich auf einen Stuhl seitlich an der Wand. Mir gegenüber saß ein junger Mann, ganz in sein Handy vertieft, an dem er beständig herumhantierte. Eine ältere Frau saß neben ihm, ihre Handtasche auf dem Schoß und stierte ausdruckslos vor sich hin. Zwei Stühle neben mir saßen ein Mann und eine Frau. Die Frau blätterte lustlos in einer der Illustrierten, die in dem Zimmer auslagen, während der Mann die Arme verschränkt hatte und auf den Boden blickte, dabei wippte er nervös mit seinen Beinen. Wer von den beiden der Patient und wer die Begleitung war, konnte ich bei besten Willen nicht erkennen. Schließlich hatte die Realität nur wenig mit den überzeichneten Charakteren psychisch Kranker aus irgendwelchen reißerischen Filmen zu tun.

Glücklicherweise wurde keine Musik gespielt, man blieb hier von dieser Geräuschkulisse verschont. Da niemand sprach, war es still in dem Wartezimmer, bis auf ein gelegentliches Stöhnen der älteren Frau und den Handygeräuschen des jungen Mannes.

Nach einer Weile war zu hören, wie sich die Tür des Behandlungszimmers öffnete und Dr. Pawlow zusammen mit seinem Patienten an die Rezeption trat. Dort wurde, den Geräuschen nach zu urteilen, ein Rezept ausgedruckt. Der Doktor gab dem Patienten nochmals genaue Angaben zur Dosierung des Medikamentes, dann wurde ich auch schon aufgerufen.

„Frau Fischer, bitte kommen Sie mit!“

Ich atmete einmal tief durch und folgte Dr. Andrej Pawlow in sein Behandlungszimmer.

Aber da er mich mit einem freundlichen Lächeln begrüßte, konnte das, was mich erwartete, eigentlich nicht so schlimm sein.

„Nehmen Sie bitte Platz!“, sagte der Doktor in seiner charmanten Sprachmelodie, die von seiner russischen Herkunft zeugte. „Ich habe Sie zu mir gebeten, weil ich etwas mit Ihnen besprechen wollte.“

Ich war derart aufgeregt, dass ich nur nicken konnte. Jetzt schlug er mir bestimmt vor, zu einem anderen Psychiater zu wechseln.

„Frau Fischer, Sie haben mir erzählt, dass Sie gerne kochen und dass dies eine bedeutsame Ressource für Sie ist. Habe ich das so richtig verstanden?“

Immerhin konnte ich ein raues Ja aus meiner Kehle pressen.

„Das Kochen ist, so habe ich Sie verstanden, Entspannung, aber auch Bestätigung und Befriedigung, etwas erfolgreich geschaffen zu haben.“ Während Dr. Pawlow redete, hielt er Blickkontakt zu mir, wohl um in meiner Mimik die Reaktion auf seine Worte abzulesen.

Jetzt kam er zu dem eigentlichen Kernpunkt, weshalb er mich in seine Praxis bestellt hatte. „Könnten Sie sich vorstellen, ein paar Arztpraxen in der Mittagszeit mit Essen zu beliefern?“

Ich schluckte, war erst einmal erleichtert darüber, dass ich doch nichts falsch gemacht hatte, dann schwirrten mir nur so die Gedanken durch den Kopf, was dies für mich zu bedeuten hatte. Wieso sollte ich für Arztpraxen kochen? Wie war er denn auf diese Idee gekommen?

Es wurde ein langes, intensives Gespräch und je mehr ich mich damit auseinandersetzte, umso realer wurde die Vorstellung, tatsächlich auf den Vorschlag einzugehen.

Dr. Pawlow erklärte, dass er auf diesen Gedanken gekommen war, da die Ernährung in den Arztpraxen nicht dem entsprach, was dem Patienten ständig empfohlen wurde. In den kurzen Mittagspausen gab es meist belegte Brötchen, Baguette, Kuchen oder Fast Food. Jedenfalls keine ausgewogene, frische Kost.

„Dazu fehlt einfach die Zeit und natürlich auch das Personal!“, klagte Dr. Pawlow.

„Dann kam mir die Idee, dass es so etwas wie ein, nennen wir es mal ein Arztpraxen-Catering geben müsste. Natürlich gibt es eine Firma, die uns lieber gestern als heute mit Essen beliefern würde, aber mir schwebt da einfach eine persönlichere, individuellere Variante vor. Jemand, der nur eine Handvoll Praxen mittags mit Essen beliefert. Jemand, der gerne kocht, der gesund kocht, der schmackhaft kocht. Und da dachte ich an Sie, Frau Fischer!“

Erwartungsvoll blickte mich Dr. Pawlow an.

„Das kommt jetzt alles etwas überraschend!“, stammelte ich. „Wie soll das denn genau funktionieren? Ich weiß nicht, ob ich das wirklich kann.“

„Nur Mut, Frau Fischer. Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass Sie dies schaffen, hätte ich Ihnen nichts von meiner Idee gesagt. Wichtig ist ja, dass Sie höchstens ein bis zwei Praxen beliefern. Und nicht unbedingt jeden Tag. Erst einmal, sagen wir zweimal die Woche. Dieser Mittagsservice soll ja nicht für Sie stressig werden, sondern er soll für Sie eine positive Auswirkung haben.“

„Aber wem sollte ich denn mittags Essen liefern?“

„Also natürlich hier in meine Praxis und dann suchen Sie sich doch noch eine oder zwei Praxen, die Ihnen vertraut sind. Das wären dann auch für Sie vertraute Personen und Räumlichkeiten. Natürlich steht es Ihnen auch frei, ganz neue Arztpraxen anzusprechen.“

„Nein, das könnte ich überhaupt nicht. Ich könnte ja auch nur Ihre Praxis beliefern!“

„Selbstverständlich. Auch das wäre möglich, dennoch denke ich, dass Sie das ohne Probleme schaffen würden, noch ein bis zwei Praxen zu beliefern. Was halten Sie davon, wenn Sie beispielsweise Frau Delft ansprechen würden? Das wäre dann auch nur eine Person und hier in der Praxis wären es nur drei.“

„Ja, das könnte ich machen. Frau Delft hat auch schon öfter eine Kostprobe Gekochtes von mir bekommen und es hat ihr immer geschmeckt. Zumindest hat sie das gesagt“, räumte ich ein.

„Wenn sie das gesagt hat, dann wird das auch stimmen. Also wären wir bei vier Personen für die Sie kochen können. Und wie sieht das mit Ihrem Hausarzt aus? Meinen Sie, er hätte auch Interesse daran?“

„Ich weiß nicht. Eigentlich reichen mir vier Personen für den Anfang.“

„Gut! Dann machen wir das doch so. Auf alle Fälle muss sichergestellt sein, dass Sie dadurch nicht in gesundheitsschädlichen Stress und eine körperliche und seelische Überforderung geraten. Und wenn Sie das Gefühl haben, alles klappt gut, können Sie immer noch Dr. Gerards, Ihren Hausarzt, fragen, ob er Interesse hat. Natürlich werden Sie auch entsprechend bezahlt. Einverstanden?“

Ich atmete tief ein.

Sollte ich oder sollte ich nicht? Lust hätte ich schon dazu, aber ob ich das wirklich schaffen würde?

Dr. Pawlow sah mir an, dass ich noch unsicher war, deshalb schlug er vor, dass ich ihm in drei Tagen Bescheid geben sollte, wie ich mich entschieden hätte.

„Und haben Sie mehr Vertrauen in Ihre Fähigkeiten!“, sagte er, als er mich an der Rezeption verabschiedete. „Ich warte auf Ihre Nachricht. Denken Sie in Ruhe darüber nach. Ich glaube, dass Sie dies sehr gut schaffen können. Es ist aber Ihre Entscheidung und Sie können auch klar Nein sagen!“

Mit diesen Worten und einem festen Händedruck entließ mich Dr. Pawlow aus seiner Praxis.

Ich war hin- und hergerissen, was ich tun sollte.

Wieder zu Hause nahm ich mir ein Blatt Papier, um dort aufzuschreiben, was für und was gegen Dr. Pawlows Idee sprach. Ein wichtiges Argument dafür war, dass ich wirklich gerne kochte, und das konnte ich sogar recht gut. Auch war es immer ein gutes Gefühl, wenn ich etwas ausprobierte und es dann gut schmeckte, besonders wenn das Ganze mit viel Arbeit verbunden gewesen war. Und Misserfolge, die es natürlich auch gab, schreckten mich dauerhaft nicht ab. Nachdem ich viele Jahre pädagogisch gearbeitet hatte, war es einfach schön, den Erfolg, das Resultat der Arbeit vor sich zu sehen und dies mit allen Sinnen genießen zu können. In der Pädagogik gab es nun einmal keine direkten sichtbaren Erfolgserlebnisse. Zudem würde ich auch gerne für mir bekannte Arztpraxen etwas zubereiten und deren Freude darüber würde ja auch mir wiederum Glücksmomente bescheren.

Natürlich gab es auch Gedanken, die mir Bauchschmerzen bereiteten. Was war, wenn das Essen nicht schmeckte? Wenn Reklamationen kämen, wenn nur gemeckert würde? Wenn ich zeitlich nicht wie vereinbart liefern könnte?

Ich nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer meiner Psychotherapeutin Sanja Delft. Sie hatte mir zum Ende der Therapie zugesichert, dass ich im Notfall immer bei ihr anrufen könne. Und dies war jetzt ein Notfall!

Das Telefon klingelte ein paarmal, dann sprang der Anrufbeantworter an.

„Sie sind mit der psychotherapeutischen Praxis von Sanja Delft verbunden. Leider kann ich Ihren Anruf momentan nicht entgegennehmen. Bitte sprechen Sie Ihre Nachricht auf Band.“

Klar, zeitlich war sie gerade sicherlich in einer Therapiesitzung und da war es natürlich wichtig, nicht gestört zu werden.

So kurz und informativ wie möglich sprach ich auf den Anrufbeantworter und hoffte, dass Sanja Delft im Laufe des Tages oder der folgenden Tage zurückrufen würde.

Nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, ging ich zu meinem Bücherregal und musterte die Einbände. Ich zog nach und nach mehrere Bücher heraus und stapelte sie auf meinem Schreibtisch. Es waren alles Kochbücher unterschiedlichen Inhaltes. Vegetarische Küche, italienische Küche, Fischküche, ja auch ein Buch über die Kochkunst nach TCM, der traditionellen chinesischen Medizin. Das reichte erst einmal. Dann legte ich einen Block und einen Stift daneben und begann, nach Rezepten Ausschau zu halten, die ich für meinen Mittagsservice für geeignet hielt. Auch wenn ich noch keine endgültige Entscheidung getroffen hatte, schaden konnte es ja nicht, sich schon einmal mit der Materie anzufreunden.

Sanja Delft rief am späten Nachmittag an, und als ich ihr alles erläutert hatte, war sie von Dr. Pawlows Idee begeistert.

„Das ist doch eine wunderbare Idee. Ich kann Ihnen nur dazu raten, es auszuprobieren. Sie können doch wirklich sehr gut kochen. Und Dr. Pawlow hat recht, die Ernährung in den Arztpraxen ist wirklich miserabel. Also, ich würde natürlich auch sehr gerne Ihren Lieferservice in Anspruch nehmen.“

„Ich finde die Idee ja auch gut, aber ich habe Angst, dass ich das nicht schaffe und alles falsch mache.“

„Frau Fischer, Sie schaffen das. Davon bin ich überzeugt. Für Ihr Selbstvertrauen wäre es nur von Vorteil. Und wenn wirklich irgendetwas schief gehen würde, dann ist das doch nicht dramatisch. Wir kennen Sie, Sie kennen uns. Sie befinden sich in einem geschützten Rahmen! Aber letztendlich können nur Sie selbst eine Entscheidung fällen. Hören Sie auf Ihr Inneres und richten Sie sich nicht nach den Erwartungen anderer! Wichtig ist alleine, ob Sie das wollen oder nicht.“

„Ja, ich werde wohl noch einmal eine Nacht darüber schlafen. Vielen Dank, dass Sie mir Mut zugesprochen haben. Jetzt geht es mir schon besser.“

Wir tauschten noch eine Weile Gedanken zu der Thematik aus, dann konnte ich mit gewonnener Zuversicht das Telefonat beenden. Wie hilfreich ein Gespräch sein konnte, wenn jemand wirklich zuhörte!

Am nächsten Tag teilte ich Dr. Pawlow telefonisch mein Ja mit. Hätte ich damals nur im Ansatz geahnt, was mich mit der Zusage erwartete, dann hätte ich lieber einen Schwur abgelegt, nie mehr zu kochen.

Aber so nahmen die Dinge ihren Lauf.

Ich begann zunächst zwei, dann nach einem Monat insgesamt drei Praxen mit Essen zu beliefern. Zweimal in der Woche die psychotherapeutische Praxis von Sanja Delft. Dies war die leichteste Übung, da hier nur eine Person zu bekochen war und ich in etwa auch den Geschmack meiner Therapeutin einschätzen konnte.

In der Praxis von Dr. Pawlow waren es neben dem Doktor selbst noch zwei Arzthelferinnen. Und in der dritten Praxis brauchte ich nur einmal in der Woche Essen zu liefern: für meinen Hausarzt Dr. Gerards und seine zwei Arzthelferinnen. Dies war somit für mich überschaubar, und dass mir die Arztpraxen und das Personal vertraut waren, gab mir Sicherheit.

Ich lieferte nun regelmäßig frisch zubereitetes Essen immer mit saisonalen und regionalen Zutaten unter Berücksichtigung von Vorlieben und Wünschen meiner Kunden in die Praxen. Das einzige, was mir nicht gefiel, war, dass ich auf Knoblauch als Gewürz verzichten musste. Nicht weil meine Kunden keinen Knoblauch schätzten, sondern einzig und alleine im Interesse ihrer Patienten.

Es dauerte eine Weile, bis sich alles eingespielt hatte, aber dann gab mir die Routine in der Planung genügend Raum, um mutiger im Ausprobieren und Kreieren von neuen Rezepten zu werden. Und ich merkte, dass mir diese Arbeit Freude bereitete und sich insgesamt positiv auf meinen körperlichen und seelischen Zustand auswirkte.

Hin und wieder erreichten mich sogar Anfragen anderer Praxen, ob ich auch sie beliefern könnte. Wie auch immer hatten sie von meinem Mittagsservice erfahren. Zwar schmeichelten mir natürlich diese Anfragen, aber ich lehnte kategorisch ab, schließlich sollte dies nicht in Stress und Hektik ausarten und ich wollte auch kein Unternehmen daraus entwickeln mit zusätzlichen Angestellten. Nein, so, wie es war, war ich damit zufrieden. Dies reichte mir völlig. Zumindest im Moment. Und alles hätte so weiter in ruhigen Bahnen verlaufen können, zur Zufriedenheit aller, bis ...

Wieder einmal war es ein Anruf, der mein Leben für einige Zeit auf den Kopf stellen sollte.

Diesmal bat mich Sanja Delft darum, zu ihr zu kommen, da sie etwas Wichtiges mit mir zu besprechen hätte und meine Hilfe benötigen würde. Ihre Nachricht hörte ich auf meinem Anrufbeantworter ab, als ich am Nachmittag von meinem wöchentlichen Einkauf auf dem Bauernhof in der Nähe zurückkam.

Das war keine Frage, durch den Anruf wusste ich, dass ich nichts falsch gemacht hatte, sondern dass ich jetzt sogar einmal die Gelegenheit bekam, meiner Therapeutin zu helfen.

Um 17:00 Uhr am folgenden Tag sollte ich, wenn möglich, in ihre Praxis kommen.

Am liebsten wäre ich sofort losgestürmt. Wie und wobei sollte ich wohl meiner Therapeutin helfen können? Es blieb mir nichts anderes übrig, als den kommen Tag abzuwarten, denn wie ich auch hin und her überlegte, so hatte ich nicht die geringste Idee, worum es gehen würde.

Voll gespannter Erwartung und innerer Aufgekratztheit kam ich am nächsten Tag zur angegebenen Zeit in die Praxis.

„Ich freue mich, dass Sie gekommen sind“, begrüßte mich Sanja Delft an der Eingangstür. „Nehmen Sie schon einmal Platz. Möchten Sie auch einen Tee oder lieber etwas anderes?“

„Tee ist immer gut!“ Ich ging in das Therapiezimmer und setzte mich auch die Couch. Hier hatte ich so viele Stunden gesessen und tief in mein Inneres blicken lassen.

„Hier, Ihr Tee!“ Sanja Delft stellte zwei Tassen Tee auf dem niedrigen Tisch ab, der zwischen der Couch und ihrem Stuhl stand.

Sanja Delft kam auch ohne Umschweife zur Sache. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, mit mir zusammen ein Projekt durchzuführen. Ich habe nämlich vor, meine Praxis für zwei Monate zu schließen. Nicht, um Urlaub zu machen, sondern um einmal ganz anders therapeutisch zu arbeiten ...“

Und dann berichtete meine Therapeutin, was sie vorhatte. Sie plante, am Lago Maggiore ein Haus zu mieten, abgelegen in den Bergen inmitten der Natur. Dort wollte sie sechs Personen einen Ort des Innehaltens, der Ruhe bieten. Mit Einzel- und Gruppengesprächen, geführten Wanderungen, Entspannungsübungen. Sie dachte dabei nicht an seelisch schwer erkrankte Patienten, sondern vielmehr an Menschen, die einfach mal für drei Wochen aus dem Alltag aussteigen wollten, um zu sich zu finden.

Eine Art Urlaub für Seele und Körper mit Begleitung.

„Hört sich interessant und spannend an!“, sagte ich und stellte mir dies wirklich als ein ansprechendes Angebot für ausgepowerte, gestresste Menschen vor. Nur welche Rolle sollte ich dabei einnehmen? Sollte ich einer der sechs Teilnehmer sein?

„Soll ich auch daran teilnehmen?“, fragte ich vorsichtig.

„Nicht als Teilnehmer, sondern als meine Mitarbeiterin. Da ich dies natürlich alleine nicht bewältigen kann“, fuhr Sanja Delft fort, „hatte ich an Sie gedacht. Könnten Sie die Verpflegung in den drei Wochen übernehmen? Es soll ja auch für das leibliche Wohl gesorgt werden. Und ich fände es auch wertvoll, mich dort mit Ihnen auszutauschen. Natürlich weiß ich nicht, ob dies alles so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, aber ein Versuch wäre es sicherlich wert. Sie wären eine Art Küchenfee.“

Ich musste zugeben, ich fühlte mich geschmeichelt, dass meine Therapeutin ausgerechnet mir dieses Angebot machte. Auf der anderen Seite kamen aber wieder meine Ängste, ob ich dieser Aufgabe gewachsen wäre und inwieweit ich mich auf ein solches Gruppenleben einlassen konnte. Sanja Delft kannte mich genügend aus der Therapie, sodass sie mit meinen Ängsten schon gerechnet hatte.

„Ich traue Ihnen das wirklich zu, Frau Fischer. Das Kochen wird keinerlei Problem darstellen. Und Sie haben dort ja alle Freiheiten. An den Aktivitäten, die die Teilnehmer mit mir durchführen, nehmen Sie ja nicht teil, sodass Sie ausreichend Raum und Zeit für sich haben. Allerdings müssten Sie sich mit mir ein Zimmer teilen.“

Ich fasste all meinen Mut zusammen, diesmal wollte ich nicht wieder stundenlang über Pro und Contra grübeln. Diesmal wollte ich über meinen Schatten springen. „Ich komme mit!“, sagte ich mit fester Stimme. Meine Entscheidung war gefallen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Dann ging alles recht schnell. Am Lago Maggiore hatte Sanja Delft ein für ihr Vorhaben geeignetes Rustico gemietet. Einfach ausgestattet, aber mit fließend Wasser und Strom, was nicht unbedingt Standard war für diese Art von abseits gelegenen Rusticos auf den Berghängen oberhalb des Lagos.

Die Besitzer, ein Ehepaar, sie Schweizerin aus dem Tessin, er Italiener gebürtig aus Varese, hatten es erst kürzlich komplett renoviert, um es vermieten zu können. In dem kleinen Ort betrieben sie ein gut gehendes Maklerbüro.

Um das Rustico zu erreichen, war man gezwungen, sein Auto unten im Dorf zu parken. Auf einen Fußweg ging es immer bergauf, zunächst vorbei an vier nah beieinanderliegenden Villen mit freier Sicht auf den Lago Maggiore. Je höher man kam, umso einsamer wurde es. Der schmale Weg führte vorbei an einer Kapelle und durch die dort typischen Kastanienwälder.

Weit und breit gab es hier keine bewohnten Häuser mehr, nur vereinzelt aus Steinen zusammengefügte Stallungen, die aber anscheinend nicht mehr genutzt wurden.

Nach dem ungefähr zehn Minuten dauernden Aufstieg erreichte man ein Plateau und hier lag, von Bäumen und Sträuchern umwuchert, das Rustico.

Eine von Weinreben umrankte Pergola ragte ein Stück frei über den Berghang hinaus. Zwar gab es am Rande eine Art Brüstung, die aber einen recht morschen Eindruck vermittelte. Immerhin wurde sie durch wuchernden Efeu festgehalten und ein überwältigender Blick auf den Lago Maggiore und das gegenüberliegende Ufer mit den Bergen ließ alle Sicherheitsbedenken verblassen.

Drei Schlafzimmer standen uns zur Verfügung. In jedem der Zimmer gab es ein Etagenbett und ein einzeln stehendes Bett. Die Gäste würden sich also jeweils zu dritt in zweien der Zimmer einrichten müssen.

Meine Therapeutin und ich waren ein paar Tage vor Ankunft der Gäste in das Rustico eingezogen, um uns mit dem Haus und der Umgebung vertraut zu machen. Und wir waren beide begeistert von der Lage des Hauses, die genau dem entsprach, was sich meine Therapeutin vorgestellt hatte. Hier war wirklich ein Ort, um der Hektik des Alltages zu entfliehen, und zu innerer Ruhe zu finden.

Am Abend vor der Ankunft der Gäste genossen wir die noch herrschende Stille. Wir machten es uns unter der Pergola, in gebührenden Abstand zur Brüstung, gemütlich. Reden brauchten wir nicht, wir blickten fasziniert auf das vom Mondlicht glitzernde Wasser des Lago Maggiore und die zahlreichen Lichter am anderen Ufer. Romantischer konnte solch ein Sommerabend nicht sein.

„Mein Gott, ist das schön!“, schwärmte Sanja Delft und nippte an ihrem Glas Rotwein.

„Traumhaft schön!“, stimmte ich zu. „Und diese himmlische Ruhe.“

„Hoffen wir mal, dass sich unsere Gäste auch von diesem Flair einfangen lassen.“

„Bestimmt, dem kann sich keiner entziehen.“

So träumte jeder von uns weiter vor sich hin und nur schwer konnten wir uns dann doch zu später Stunde von diesem Anblick lösen.

Aber es wurde wirklich Zeit, wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen, denn der kommende Tag erforderte von uns vollen Einsatz.

Im Verlauf des späten Vormittags trafen dann nach und nach die Gäste ein und schon die Art, wie sie hier ankamen, gab ein wenig Aufschluss über ihr Wesen.

Ich kam gerade aus der Küche, als die erste der Frauen ankam. Ihr durchtrainierter Körper steckte in einem hautengen Radleroutfit. Und sie schob auch tatsächlich ein Mountainbike mit, das sicherlich einige Tausender gekostet hatte.

„Hi“, flötete sie und nahm ihre Radprofisonnenbrille in Stahlblau ab, „ Sie sind sicher Sanja Delft!“

Ein fester Händedruck quetschte kurz meine Finger.

„Da liegen Sie leider falsch. Ich bin die Köchin“, sagte ich und konnte ein Grinsen trotz schmerzender Hand nicht verkneifen. Sofort drehte sich Hifi, diesen Namen verpasste ich ihr spontan, ein Mix aus Hi und Profi, zu Sanja Delft um, die gerade aus dem Haus trat. Überschwänglich begrüßte die Frau meine Therapeutin, die zumindest nicht erkennen ließ, ob Hifi ihre Hand auch fast gebrochen hatte.

„Ich bin Birgit Schneider, und Sie sind Sanja Delft. Wir haben ja auch schon miteinander telefoniert. Bin ich etwa die Erste?“

Sanja Delft begrüßte Birgit Schreiber gekonnt herzlich. „Willkommen, Frau Schneider, schön, dass Sie hergefunden haben. Ja, Sie sind die Erste unserer Gäste. Vielleicht haben Sie Lust, dass ich Ihnen erst einmal die Zimmer zeige und dann kann ich Sie hier auf dem Grundstück rumführen.“

„Dann mal zu. Hoffe, dass es heute schon losgeht mit Aktivitäten“, sagte Birgit Schneider.

Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie mir noch den Auftrag gegeben hätte, ihr Gepäck ins Haus zu tragen. Stattdessen blieb ich mit dem Supermountainbike zurück und stellte mir vor, dass ein guter Platz zum Abstellen des Fahrrads das morsche Geländer der Pergola sein würde. Aber Birgit Schreiber, ich schätzte sie auf Anfang fünfzig, kam plötzlich aus dem Haus und wollte doch tatsächlich ihr Bike mit in das von ihr in Beschlag genommene Zimmer nehmen. Hier schritt Sanja Delft aber ein. Schließlich sollten drei Personen in dem Zimmer wohnen und da sei nun einmal kein Platz für ein Fahrrad.

„Dann bleibt es eben draußen“, sagte Birgit Schneider schnippisch. „Auf Ihre Verantwortung!“

„Die Verantwortung für Ihr Fahrrad tragen Sie ganz alleine!“, konterte Sanja Delft und damit war diese Sache für sie erledigt.

„Jeder hat eben so seine Vorlieben, was oder wen er mit ins Bett nimmt“, murmelte ich, was mir einen tadelnden Blick meiner Therapeutin einbrachte.

Birgit Schneider hatte dies anscheinend nicht gehört. Sie ging nun zusammen mit Sanja Delft ins Hausinnere zurück, ohne ihr Bike.

Eine halbe Stunde später kamen zwei Frauen zusammen an. Beide traten lächelnd, wenn auch von dem Aufstieg ermüdet, auf mich zu.

„Wir haben uns durch Zufall unten im Dorf getroffen“, sagte die Kleinere von ihnen. „Ich bin Jennifer Bachmann. Ein Glück, dass ich Frau Pohl getroffen habe. Ich hätte das Rustico hier nie gefunden.“ Und sie schenkte ihrer neuen Bekanntschaft ein charmantes Dankeslächeln.

„Hallo, ich bin Vanessa Pohl. Ziemlich anstrengender Weg hier hoch in der Hitze, aber so beeindruckende Natur“, sagte die andere Frau.

Während Jennifer Bachmann mit einem luftigen, gelb geblümten Sommerkleid angezogen war, trug Vanessa Pohl eine ausgeblichene, verschlissene Jeans und ein einfaches T-Shirt. Mir waren diese Frauen direkt sympathisch, besonders im Vergleich zu Birgit Schneider.

„Ja, dann ein herzliches Willkommen“, grüßte ich und auch Sanja Delft erschien und nahm sich der beiden Frauen an. Beide konnten gar nicht aufhören, von der traumhaft schönen Landschaft zu schwärmen.

Birgit Schneider trat in dem Moment aus dem Rustico, als Sanja Delft den beiden Frauen die vorerst nötigsten Informationen gab. Das Radleroutfit hatte sie gegen einen sehr kurzen olivfarbenen Leinenrock und ein hellbraunes Trägerhemd getauscht. Forsch begrüßte sie die Neuankömmlinge, so als wäre sie hier schon immer zu Hause. „Hi, wir müssen uns zu dritt ein Zimmer teilen. Ihr könnt ja mit zu mir ins Zimmer.“

Ich beobachtete, wie Jennifer Bachmann und Vanessa Pohl sich kurz anschauten und wusste, dass sie garantiert nicht mit Birgit Schneider ein Zimmer teilen würden. Ihnen schien die bestimmende Art der Frau nicht zu behagen.

„Ich führe Sie einfach mal in das Rustico und dann können Sie sich aussuchen, wo Sie schlafen möchten!“, sagte Sanja Delft schnell, bevor Birgit Schneider dies übernehmen würde. Zu mir gewandt sagte sie: „Frau Fischer, vielleicht könnten Sie in der Zeit etwas zu trinken bereitstellen.“ Damit gab sie mir die Gelegenheit, auch ins Hausinnere zu verschwinden.

„Übrigens hat eben eine Teilnehmerin abgesagt. Das heißt, dass wir eine Person weniger sind als eingeplant.“

„Besser als eine Person mehr“, antwortete ich. „Dann warten wir jetzt nur noch auf zwei Frauen.“ Sollte mir auch recht sein.

Ich stellte ein Tablett mit einer Kanne Pfefferminztee und Gläsern vor dem Haus ab. Den Pfefferminztee hatte ich selbstverständlich aus frischen Blättern zubereitet, bei der Hitze war er recht erfrischend und durstlöschend. Auf dem Grundstück gab es nämlich ein Kräuterbeet und das war für meine Küche wunderbar. Während ich das Tablett so stellte, dass Gläser und Kanne im Schatten standen, tauchte mit hochrotem Kopf und nass geschwitzt eine Frau auf, die sich als Claudia Schmidt vorstellte. Sie schien mit ihren Kräften ziemlich am Ende, was angesichts ihrer mindestens dreißig Kilo Übergewicht nicht verwunderlich war.

„Ich kann nicht mehr. Wenn ich das gewusst hätte ...“ Mit letzter Kraft zog sie ihren prall gefüllten Trolley vor das Haus und plumpste auf einen der Stühle, die um einen lang gezogenen Holztisch standen. „Ich habe gedacht, dass ich das nie schaffe!“, keuchte sie und lüftete ihr Käppi.

„Herzlich willkommen! Und trinken Sie erst einmal einen Schluck!“, sagte ich und reichte ihr eines der Gläser mit dem Pfefferminztee. Gierig leerte sie das Glas in einem Zug.

„Das tat gut. Vielen Dank.“

Ich erklärte ihr kurz, wer ich war und stellte ihr Birgit Schneider vor, die nur abschätzende Blicke für sie hatte. Klar, dass sie keinerlei Verständnis für jemanden hegte, der seinen Körper gewichtsmäßig derart verunstaltet hatte. Dabei hatte Claudia Schmidt, nachdem ihr Kopf nicht mehr ganz so rot war, ein recht hübsches Gesicht.

„Jetzt habe ich bestimmt mindestens ein Kilo abgenommen“, freute sie sich. „Aber ich muss jetzt unbedingt etwas essen, sonst unterzuckere ich noch.“ Und schon war ein Schokoriegel, soweit diese durch die Hitze verformte Süßigkeit noch zu erkennen war, in ihrem Mund verschwunden. Sobald sie die Schokolade aufgenommen hatte, kehrte auch wieder mehr Energie in sie zurück.

„Besser ein Schokoriegel im Bett als ein Mountainbike“, dachte ich und führte Claudia Schmidt nach drinnen. Vielleicht würde sie ja mit zu Hifi ins Zimmer ziehen. Die wäre sicherlich hocherfreut darüber!

Am frühen Abend war schließlich auch die letzte Frau, Susanne von Dussen, eingetroffen. Von Kopf bis Fuß trug sie Designerkleidung und stellte bewusst ihren materiellen Reichtum zur Schau – und natürlich fühlte sich Hifi sofort zu ihr hingezogen. Na, da hatten sich wohl zwei Seelenverwandte gefunden.

Zum Abendessen hatte ich einfache Kost vorbereitet. Als Vorspeise sollte es Melone mit Bergkäse aus der Region geben. Als Hauptgang Spaghetti mit einer selbst hergestellten fruchtigen Tomaten-Basilikum-Soße und als Dessert Pfirsichsalat. Selbstverständlich wurde auch, wie in Italien üblich, Brot dazu gereicht und als Getränk standen ein leichter Rotwein und Wasser zur Auswahl.

Zunächst begrüßte Sanja Delft aber erst einmal alle Frauen, die an dem langen Holztisch Platz genommen hatten. „Ich freue mich, dass Sie nun alle hier angekommen sind. Mein Vorschlag wäre, dass wir nach dem Essen eine Vorstellungsrunde durchführen, sodass jeder ein wenig von sich erzählen kann und welche Erwartungen jeder an dieses Seminar hat.“

„Muss ich das?“, wollte Jennifer Bachmann wissen und Unsicherheit schwang in ihren Worten mit.

Bevor Sanja Delft eine Antwort geben konnte, preschte Hifi dazwischen. „Warum denn nicht? Oder haben Sie Geheimnisse?“

„Moment bitte! Jeder hat das Recht, frei zu entscheiden, ob und was er erzählen möchte“, beruhigte Sanja Delft Jennifer. „Niemand wird hier zu irgendetwas gezwungen oder gedrängt. Sie können sich auch jederzeit zurückziehen. Und wer nur mit mir alleine sprechen möchte, hat dazu auch die Gelegenheit.“

„Danke!“ Jennifer Bachmann atmete erleichtert auf.

„Und was ist für morgen geplant?“ In Hifis Stimme schwang Ungeduld mit, sie lebte immer noch in ihrem Arbeitstempo.

Meine Therapeutin war Profi genug, um sich nicht hetzen zu lassen. „Zuerst müssen Sie alle sicher einmal richtig hier ankommen. Deshalb schlage ich für morgen einen längeren gemeinsamen Spaziergang vor. Nach der Mittagszeit, also der Siesta, kann dann, wer möchte, mit nach unten an den See zum Baden gehen.“

Außer bei Hifi erntete dieses Vorhaben allgemeine Zustimmung.

„Und morgen früh um 6:30 Uhr biete ich eine Meditation im Freien an. Hinter dem Haus ist eine Liegewiese und diese eignet sich sehr gut dafür.“

„Um 6:30 Uhr!“, stöhnte Susanne von Dussen, nahm ihre Gucci-Sonnenbrille ab und verdrehte die Augen. „Das ist ja mitten in der Nacht.“

„So, wie ich das verstanden habe, ist das ja wohl freiwillig“, warf Vanessa Pohl ein. „Ich finde das ein tolles Angebot. Schließlich ist es um diese Zeit auch noch nicht zu heiß.“

„Natürlich, die Meditation ist ein Angebot von mir und nicht verpflichtend. Um 7:30 Uhr können Sie frühstücken und es wäre schön, wenn wir alle zusammen frühstücken würden“, fuhr Sanja Delft fort und blickte dabei reihum alle Frauen an.

„Und wann müssen wir ins Bett?“, piepste Susanne von Dussen und ahmte dabei eine Kinderstimme nach.

Ich war drauf und dran, eine Bemerkung fallen zu lassen. Dieses blöde Getue von Dussel ging mir auf die Nerven.

„Ich denke, dass Sie alle Frau genug sind, selbstbestimmend den Tag zu beenden“, erwiderte Sanja Delft. Ich bewunderte sie, dass sie sich nicht provozieren ließ.

Natürlich musste nun Birgit Schneider wieder einmal von sich reden machen. „Ich werde jedenfalls mittags mit meinem Bike losfahren“, kündigte sie an, erhielt aber nicht, wie von ihr wohl erwartet, Beifallsstürme.

„Typisch Tourist!“, murmelte ich, aber so, dass es wohl doch die mir am nächsten sitzende Claudia Schmidt gehört hatte und daraufhin losprustete.

„Was ist denn daran so komisch?“, fragte Hifi ärgerlich.

Ich kam Claudia Schmidt schnell zu Hilfe: „Nichts, Frau Schmidt hat sich verschluckt.“ Und ich klopfte ihr sicherheitshalber noch auf den Rücken, woraufhin sie noch mehr losprustete.

Jeder vernünftige Mensch würde in der Mittagszeit jede Anstrengung und die Sonne meiden.

„Das steht Ihnen frei, Frau Schneider“, sagte Sanja Delft. „Wir sollten jetzt erst einmal essen. Und wenn wir die Vorstellungsrunde machen, können Sie ja alle noch Fragen stellen. Dann wünsche ich uns allen jetzt einen guten Appetit.“

Das Essen verlief erstaunlicherweise recht harmonisch, wobei Susanne von Dussen natürlich kundgeben musste, dass dies doch eine recht einfache Kost sei, die ich ihnen vorgesetzt hätte.

„Interessant!“, bemerkte sie fachmännisch. „Melone mit Käse. Ich nehme dazu immer besten Parmaschinken. Der ist natürlich um einiges teurer als Käse.“

Wie dankbar ich war, dass sie sich dennoch herabließ und meine Kombination aß.

„Ich kenne Melone auch nur mit Schinken. Aber der Parmaschinken ist mir zu teuer“, erwiderte Claudia Schmidt kauend.

„Ist doch mal was anderes“, mischte sich Vanessa Pohl ein. „Ich finde die Kombination von Käse und Melone sehr schmackhaft. Muss ja nicht immer Fleisch sein!“ Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu.

Die Spaghetti, so weit das bei der Menge möglich war, al dente gekocht, waren dank der Tomaten-Basilikum-Soße eine leicht bekömmliche Kost.

„Sehr lecker!“, lobte Sanja Delft, „Da haben Sie uns ein wirklich köstliches sommerliches Menü gezaubert.“

Alle erhoben daraufhin ihre Gläser und prosteten mir zu. Da konnte die Bemerkung von Susanne von Dussen, dass sie Pasta entweder mit Lachs oder Scampi bevorzugen würde, keinen weiter interessieren.

Auch der Pfirsichsalat mundete und alle schienen gesättigt.

Meine Therapeutin und sogar Hifi halfen mir, den Tisch abzuräumen, und Jennifer Bachmann ließ es sich nicht nehmen zu spülen. Und so fand jeder eine Möglichkeit mitzuhelfen und schnell waren alle Spuren des Mahls beseitigt.

Da ich nicht an der Vorstellungsrunde teilnehmen musste, ging ich in unser Zimmer, um mein Buch zu holen. Vor der Badezimmertür stieß ich fast mit Claudia Schmidt zusammen. Ihre Wangen waren unnatürlich aufgebläht und als hätte ich sie bei etwas Verbotenem ertappt, hielt sie sich die Hand vor den Mund und verschwand im Badezimmer, dabei fiel ein Stück Papier aus ihrer Hosentasche.

Ich wollte ihr schon nachrufen, dass sie etwas verloren hatte. Als ich das Papier aufhob, entpuppte es sich als Stanniolpapier mit eindeutigen Schokoladenspuren. Daher also die aufgeblähten Wangen. Sie hatte sich schnell mit Schokolade vollgestopft.

Ob sie nicht satt geworden war? Na ja, sie konnte von Glück sagen, dass sie nicht Hifi und von Dussel in die Arme gelaufen war.

Mit meinem Buch verzog ich mich auf die Liegewiese hinter dem Haus und versank in einem der Liegestühle. Welch Luxus! Jetzt konnte ich endlich einmal in Ruhe entspannen.

***

Alle Frauen hatten sich schließlich, nachdem sie sich etwas frisch gemacht hatten, wieder um den langen Holztisch versammelt. Also war keiner dabei, der sich absonderte, stellte Sanja Delft zufrieden fest, obwohl sie inzwischen ahnte, dass die Gruppe wohl kaum in Harmonie zueinander finden würde.

Sanja Delft selbst eröffnete die Vorstellungsrunde, wobei sie sich verständlicherweise auf die berufliche Qualifikation beschränkte. Als Psychotherapeutin war sie es gewohnt, keine privaten Informationen herauszugeben. Auch wenn dies hier nicht mit ihren Therapiestunden in der Praxis zu vergleichen war, hielt sie eine gewisse Distanz zu den Frauen für notwendig.

„Wer von Ihnen möchte die Vorstellungsrunde weiterführen? Wichtig wäre noch Folgendes zu beachten. Alles, was hier gesagt wird, bleibt bitte auch nur in diesem Kreis und wird nicht weitergetragen. Fragen sind zulässig, aber es steht demjenigen frei zu antworten oder nicht zu antworten. Auch verletzende Kommentare sind zu unterlassen.“ Im Grunde war das selbstverständlich, aber Sanja Delft glaubte, dass es notwendig war, es noch einmal zu betonen.

Keine der Frauen meldete sich spontan; jede hoffte, dass zunächst eine der anderen beginnen würde. Niemand sagte etwas und Sanja Delft wartete geduldig.

Birgit Schneider schien diese Stille nicht ertragen zu können. „Mein Gott, das ist ja wie im Kindergarten. Dann fange ich eben an. Ich heiße Birgit Schneider, bin 54 Jahre alt und arbeite in führender Position bei einem Marketingunternehmen. Vor einem halben Jahr habe ich erneut geheiratet. Mein Mann hat die führende Anwaltskanzlei in Hessen. Ich bin hier, da ich unbedingt meine Fitness erhöhen muss. Zudem wollte ich auch checken, inwieweit sich das hier für unsere Marketinggesellschaft eignet, um hier Führungskräfte noch teamfähiger werden zu lassen. Von daher erwarte ich auch entsprechende Aktivitäten!“

Sanja Delft schluckte innerlich. Das war nun gar nicht das, was sie sich als Motivation zu einer Teilnahme hier gewünscht hätte.

Zumindest fiel es jetzt den anderen Frauen leichter, auch etwas zu erzählen, nachdem einmal der Anfang gemacht war.

Claudia Schmidt hatte ganz andere Beweggründe als Birgit Schneider. Sie erhoffte sich, durch Wanderungen, leichtes Essen und Meditationstechniken an Gewicht zu verlieren. Hier hatte sie große Erwartungen an Sanja Delft als Psychotherapeutin, ihr dabei zum Erfolg zu verhelfen.

„Ich finde es gut, Frau Schmidt, dass Sie sich klare Ziele gesetzt haben. Wir werden uns im Einzelgespräch intensiv miteinander beraten“, sagte Sanja Delft und machte sich kurz eine Notiz auf ihrem Block.

„Wie viel wollen Sie denn abnehmen?“, fragte Jennifer Bachmann vorsichtig. Sie selbst hatte höchstens fünf Kilo zu viel für ihre Größe.

„Mindestens fünf Kilo“, verriet Claudia Schmidt.

Sanja Delft hoffte, dass jetzt kein abwertender Kommentar aus der Runde folgen würde, aber zum Glück meldete sich Susanne von Dussen, um sich vorzustellen.

„Also, für mich ist das mal etwas ganz anderes. Sonst bin ich ja um diese Zeit meistens in unserem Ferienhaus auf Sylt. Mein Mann ist Bauunternehmer und von Sylt aus kann er mal eben schnell zu Terminen fliegen. Ich habe zwei Kinder, die sind aber schon erwachsen und studieren. Marcel, der Ältere, in England und Lukas studiert in der Schweiz. Schiffsreisen etc. habe ich natürlich auch schon reichlich gemacht, aber so einen Abenteuerurlaub noch nicht. Da können meine Freundinnen nicht mithalten. Die werden staunen, wenn ich ihnen erzähle, wie primitiv wir hier gehaust haben. Also, das meine ich nicht böse. Es ist einfach urig hier. So natürlich, ursprünglich, entzückend!“

Sanja Delft bekam eine Gänsehaut, was hatten sich hier nur für Frauen eingefunden? Die eine wollte für ihre Firma die Qualität hier testen, die andere meinte, sie würde hier einen Abenteuerurlaub erleben.

„Danke, Frau von Dussen. Wenn es keine Fragen gibt, würde ich Sie, Frau Bachmann oder Frau Pohl, bitten weiterzumachen!“ Es kostete eine riesige Portion Selbstdisziplin, die Aussagen von Susanne von Dussen nicht zu kommentieren, von daher half nur ein schneller Wechsel zur nächsten Teilnehmerin.

Jennifer Bachmann hatte ja im Vorfeld schon angedeutet, dass sie nicht bereit war, viel über sich in der Gruppe zu erzählen. Immerhin teilte sie mit, dass sie seit zwanzig Jahren verheiratet sei, ihre Tochter würde gerade eine Berufsausbildung machen.

„Und warum bist du hier?“, fragte Birgit Schneider direkt.

„Das möchte ich mit Frau Delft alleine besprechen“, sagte Jennifer Bachmann leise und nahm schnell einen Schluck Rotwein zu sich.

„Dann mache ich jetzt weiter.“ Vanessa Pohl lenkte die Aufmerksamkeit auf sich und von Jennifer Bachmann weg. „Ich bin hier, um die Natur zu genießen. Um zu mir selbst zu finden. Ich bin momentan Single. Mir sind die Meditationsangebote und die Möglichkeit zu Einzelgesprächen sehr wichtig. Mehr möchte ich nicht sagen.“

Damit endete die Vorstellungsrunde und alle griffen entspannt zu ihren Getränken.

Mal wieder war es Birgit Schneider, die noch etwas vorzutragen hatte. „Ich finde, dass wir uns alle hier duzen sollten!“

Das war eine klare Ansage, und als Susanne von Dussen dem direkt zustimmte, lag die Vermutung nahe, dass sich beide im Vorfeld schon darüber ausgetauscht hatten.

„Sie können sich natürlich alle duzen“, sagte Sanja Delft, „ich bevorzuge aber beim Sie zu bleiben.“

„Warum wollen Sie das denn nicht?“, fragte Susanne von Dussen. „Wir sind doch alle fast gleich alt.“

„Das Alter ist dabei nicht maßgebend. Bitte akzeptieren Sie, dass ich Sie weiterhin siezen werde.“ Sanja Delft hatte keine Lust, ihre Beweggründe nun näher darzulegen.

„Ist doch egal“, lenkte Jennifer Bachmann ein. „Frau Delft hat doch recht. Sie ist ja auch unsere Leiterin und Betreuerin.“

„Ich find’s blöd!“ Von Dussen verschränkte die Arme vor ihrer Brust und zog einen Schmollmund.

Aber das Thema war für die anderen damit beendet. Die fünf Frauen würden sich duzen und Sanja Delft blieb bei dem förmlichen Sie.

„Und was ist mit der Köchin?“, wollte Claudia wissen.

„Die Köchin heißt Anne Fischer. Stellen Sie ihr bitte selbst die Frage. Sie kann für sich entscheiden.“ Sanja Delft war nun kurz angebunden. Sie merkte, dass sie nicht mehr aufnahmefähig war und sie wollte auch jede weitere Diskussion im Keim ersticken. Der Tag hatte ihre ganze Konzentration gefordert und sie merkte, dass es höchste Zeit war, sich nun zurückzuziehen.

***

Der weitere Abend stand allen zur freien Verfügung. Während Claudia vorgab, müde zu sein und schlafen zu gehen, zogen die anderen vier Frauen mit ihren Gläsern und der Weinflasche in die Pergola, um dort noch ein wenig den Sommerabend zu genießen.

Meine Therapeutin hatte sich noch kurz zu mir auf die Wiese gesetzt und sich der Länge nach auf dem Boden ausgestreckt.

„Die werden sich schon noch zusammenraufen“, meinte ich und sah, wie erschöpft Sanja Delft war.

„Hoffen wir das mal.“ Sanja Delft setzte sich nun in den Schneidersitz und begann tief ein- und auszuatmen. Durch diese bewusste Atmung verschaffte sie sich Entspannung.

Eine Viertelstunde später erhob sie sich, um nun auch schlafen zu gehen.

„Bleiben Sie noch auf?“

„Ja, ich werde noch ein bisschen hier liegen bleiben“, sagte ich. „Wenn alle im Bett sind, komme ich auch schlafen.“

So hatte ich mir das zumindest gedacht, aber irgendwann war ich wohl in dem Liegestuhl eingeschlafen, denn plötzlich zuckte ich erschrocken zusammen, als etwas an meinen Beinen vorbeistreifte.

„Mein Gott, jetzt hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen“, sagte ich erleichtert, denn dieses Etwas stellte sich als eine schwarze Katze mit weißen Pfoten heraus, die mich miauend anschaute. „Aha, du willst wohl ein kleines Nachtmahl haben? Na, dann werde ich dir mal etwas Dosenthunfisch bringen. Wird sowieso Zeit, dass ich ins Bett komme.“

„Miau!“, ertönte es, als habe die Katze genau verstanden.

In der Küche sah ich, dass es tatsächlich mittlerweile zwei Uhr war. Ich hatte also draußen gute zwei Stunden geschlafen.

Nachdem ich die Katze versorgt hatte, hörte ich plötzlich Stimmen, die aus der Pergola kamen. Es konnte doch wohl nicht sein, dass einige der Frauen immer noch nicht im Bett lagen!

Da in der Pergola auf dem Steintisch drei Teelichter in kleinen Gläsern brannten, konnte ich erkennen, dass dort zwei Personen waren, beide mit weißen Oberteilen bekleidet, und dass diese beiden Personen gerade sehr eng umschlungen beieinandersaßen. Anhand von schemenhaften Bewegungen und Geräuschen war klar, dass hier Zärtlichkeiten und Küsse ausgetauscht wurden. Hatte hier etwa eine der Frauen ihren Liebhaber herbestellt? Oder moderner formuliert: ihren Lover? Ich wollte mich schon abwenden, als ich hörte, was gesprochen wurde.

„Hast du Leo genauso geliebt wie mich?“ Das war eindeutig Vanessas Stimme. Ihr hätte ich dieses nächtliche Rendezvous am wenigsten zugetraut, nicht weil sie hässlich war, im Gegenteil, sie war ausgesprochen hübsch, aber sie erschien mir nicht der Typ für eine solche Aktion.

„Nein! Wirklich nicht. Mit dir ist das etwas ganz anderes. Etwas Besonderes. Leo habe ich nicht richtig geliebt.“

Das war Jennifers Stimme! Ich schluckte. Also waren Jennifer und Vanessa ein Liebespaar. Aber sie hatten sich doch erst heute kennengelernt? Oder stimmte das gar nicht? Natürlich, so würde es sein. Beide wollten ihre Beziehung geheim halten. Und wer war dieser Leo? Etwa Jennifers Ehemann, mit dem sie seit zwanzig Jahren verheiratet war?

Ich zog mich schleunigst ins Haus zurück. Ob ich Sanja Delft davon erzählen sollte? Aber das hatte ja auch, wenn überhaupt, bis morgen Zeit. Von wegen bis morgen! Wenn ich nicht bald ins Bett käme ...!

Leise trat ich in unser Zimmer und legte mich auf mein Bett. Das regelmäßige Atmen meiner Therapeutin verriet mir, dass diese fest schlief.

Es dauerte eine ganze Weile, bis auch ich endlich einschlief. Die Eindrücke des Tages hatten mir doch auch zugesetzt und so war es kein Wunder, dass ich in wilde Träume versank von fliegenden Mountainbikes und einer gehässig lachenden Hifi, die eine in Schokoladensoße schwimmende Claudia Schmidt anfeuerte. Dazwischen sah ich, wie Jennifer Bachmann und Vanessa Pohl Händchen haltend auf einen Abgrund zuliefen.

„Nein!“

„Ruhig, es ist alles gut.“ Sanja Delft stand neben meinem Bett und drückte leicht meinen Arm. Mein Schreien hatte sie aufgeweckt.

„Alles nur ein Traum, schlafen Sie weiter“, flüsterte Sanja Delft.

Mein Kopf schwirrte, aber ich fiel sogleich wieder zurück in einen tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen kamen tatsächlich alle mehr oder weniger pünktlich zu der angebotenen Meditation. Da ich in dieser Zeit mit der Vorbereitung des Frühstücks beschäftigt war, hatte ich bereits um 6:00 Uhr meditiert.

Noch hielt sich die Sonne zurück, aber es war abzusehen, dass es wieder ein sehr heißer Tag werden würde.

Kurze Zeit nach dem gemeinsamen Frühstück machten sich die fünf Frauen unter Leitung meiner Therapeutin zu dem Spaziergang auf. Wir hatten ausgemacht, dass ich eine leichte Mahlzeit in der Küche bereitstellen sollte für diejenigen, die Hunger hätten, denn erst am Abend würde ich wieder ein Drei-Gänge-Menü servieren.

Schnell hatte ich aus Zucchini, Auberginen, Paprika und Tomaten Ratatouille zubereitet. Diese war auch kalt sehr schmackhaft, sodass ich den Kochtopf auf der ausgeschalteten Herdplatte stehen lassen konnte. Wer mochte, konnte sich dazu von dem Brot etwas abschneiden.

Ich nahm meinen großen Rucksack, stopfte ein paar Stoffbeutel und eine TK-Tasche hinein. Dann machte ich mich auf den Weg ins Dorf. Dort wollte ich in dem Lebensmittelladen, frisches Brot und diverse andere Lebensmittel einkaufen. Dabei musste ich natürlich immer daran denken, dass ich alles wieder per Fuß zu dem Rustico tragen musste, und das würde in der Hitze sicherlich kein Vergnügen werden.

Zum Glück war das Wasser im Rustico von guter Trinkqualität und auch reichlich Wein lagerte dort oben, sodass ich mich nicht auch noch mit Getränken abschleppen musste.

Im Dorf herrschte viel Betrieb. Mehrere Touristen bevölkerten die Gassen, durch ihre Urlaubskleidung waren sie leicht auszumachen. Der Ort war ein beliebter Ausgangspunkt, um eine Bergtour zu starten oder mit dem Schiff hinüber nach Luino zu fahren.

Ich entdeckte das Schild Alimentari und trat in den Laden, der über und über mit Lebensmitteln und Haushaltswaren gefüllt war. Es war relativ dunkel und nachdem sich meine Augen daran gewöhnt hatten, sah ich mich erst einmal in Ruhe um. Da gerade eine Italienerin mit der Verkäuferin lamentierte und ein Ehepaar mittleren Alters wartete an die Reihe zu kommen, konnte ich mir Zeit lassen. In der Kühltheke lagen Parmaschinken, gekochter Schinken, Mortadella, Mozzarella ...

„Den Parmaschinken kann ich wirklich empfehlen“, sagte eine Stimme hinter mir. Ich zuckte erschreckt zusammen, und als ich mich erstaunt umdrehte, lächelte mich eine schlanke, groß gewachsene Frau an. Ihr blondes, langes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Am Hals trug sie ein silbernes, herzförmiges Medaillon.

Ich nickte nur und wandte mich wieder den Auslagen in der Kühltheke zu. Wie kam diese Frau dazu, mich derart zu erschrecken?

„Machen Sie hier Urlaub?“, fragte die Frau und lächelte mich freundlich an.

„Ja, so in etwa“, antwortete ich kurz. Mir fiel es immer schwer, mit fremden Personen Small Talk zu halten, zudem war ich auch noch verärgert.

„Ich mache Urlaub. Bin schon eine Weile hier, deshalb kenne ich mich auch ganz gut aus.“

Ich überlegte krampfhaft, was ich darauf sagen konnte, aber ohne Erfolg. Innerlich registrierte ich, dass ich Doktor Pawlow davon berichten musste, wie mir solche Situationen immer noch zu schaffen machten. Da kam mal wieder meine soziale Phobie hervor.

„Wohnen Sie auf dem Campingplatz?“ Die Frau gab nicht auf und anscheinend hatte sie mit meiner Wortkargheit kein Problem.

---ENDE DER LESEPROBE---