Wasserschaden – Hausmeister Penzkofer ermittelt - Eberhard Michaely - E-Book

Wasserschaden – Hausmeister Penzkofer ermittelt E-Book

Eberhard Michaely

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Beschreibung

Penzkofer, Hausmeister einer Wohnanlage auf St. Pauli, liebt Mettbrötchen, seine Skatrunde und vor allem Ruhe und Ordnung in seiner Anlage. Damit ist es jedoch vorbei, als er wegen eines Wasserschadens eine Wohnung öffnen muss – und den offensichtlich ermordeten Mieter Schmadtke findet. Neugierig beginnt Penzkofer selbst zu ermitteln und muss feststellen, dass die skurrilen Nachbarn in seinem Gebäudekomplex viele Geheimnisse hüten: Wer hat Schmadtke ermordet? Wo ist das Diebesgut von Frau Schreiers Mann versteckt, der im Gefängnis sitzt? Wo sind die Bienen von Imker Schmadtke? Und wie hängt das alles zusammen? Penzkofer geht den mysteriösen Ereignissen auf den Grund. Dabei wird er nicht nur selbst zum Imker, sondern auch zu einem gewieften Sherlock Holmes im Hausmeisterkittel …

Für seinen ersten Kriminalroman »Frau Helbing und der tote Fagottist« erhielt der Autor den GLAUSER für das beste Debüt

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Seitenzahl: 203

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zum Buch:

Penzkofer, Hausmeister einer Wohnanlage auf St. Pauli, liebt Mettbrötchen, seine Skatrunde und vor allem Ruhe und Ordnung in seiner Anlage. Damit ist es jedoch vorbei, als er wegen eines Wasserschadens eine Wohnung öffnen muss – und den offensichtlich ermordeten Mieter Schmadtke findet. Neugierig beginnt Penzkofer selbst zu ermitteln und muss feststellen, dass die skurrilen Nachbarn in seinem Gebäudekomplex viele Geheimnisse hüten: Wer hat Schmadtke ermordet? Wo ist das Diebesgut von Frau Schreiers Mann versteckt, der im Gefängnis sitzt? Wo sind die Bienen von Imker Schmadtke? Und wie hängt das alles zusammen? Penzkofer geht den mysteriösen Ereignissen auf den Grund. Dabei wird er nicht nur selbst zum Imker, sondern auch zu einem gewieften Sherlock Holmes im Hausmeisterkittel …

Zum Autor:

Eberhard Michaely, geboren 1967 in Saarbrücken, studierte Jazz-Saxophon an der Musikhochschule Köln, hatte Engagements in verschiedenen Jazzprojekten und Musicalproduktionen und komponierte für eigene Bands. Außerdem führte er ein Geschäft für Kinderbekleidung und Spielwaren. Während einer Pilgerreise 2014 entdeckte er seine Liebe zum Schreiben. 2022 erhielt Eberhard Michaely den GLAUSER Krimipreis für das beste Debüt.

Aktuell fährt er Linienbus für die Hamburger Hochbahn.

Eberhard Michaely

WASSERSCHADEN

Hausmeister Penzkofer ermittelt

Band 1

Kriminalroman

HarperCollins

Originalausgabe

© 2025 HarperCollins in der

Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH

Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg

[email protected]

Covergestaltung von bürosüd, München

Coverabbildung von Allies Interactive, Suziie, iNataliia / Shutterstock

E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN9783749909292

www.harpercollins.de

Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten.

1

Penzkofer hatte gerade von einem halben Brötchen mit Zwiebelmett abgebissen, als sein Diensthandy klingelte. Das klingelte in letzter Zeit oft, wenn es gerade nicht passte. Zum Beispiel wenn er auf einer Leiter stand, um eine Glühbirne einzudrehen, oder wenn er rücklings unter einer Spüle lag und mit dem Exzenterschlüssel einen Wasserhahn montierte oder wenn er austreten musste … Penzkofer hatte sich zu erinnern versucht, ob das früher auch so gewesen war, konnte die Frage aber nicht eindeutig beantworten. Früher war ja alles immer besser gewesen, lautete die gängige Meinung, aber im Kopf wurde nachträglich vieles verklärt und aufgehübscht, und so konnte durchaus ein trügerischer Eindruck entstehen. Das spielte aber jetzt keine Rolle. Vormittags, an einem Werktag, um neun Uhr musste ein Hausmeister selbstverständlich erreichbar sein. Penzkofer drückte die Verbindungstaste.

»Hallo!«, meldete er sich mit einem leichten Schmatzen.

»Herr Penzkofer!«, hörte er eine Frau sagen. »Kommen Sie! Schnell! Es handelt sich um einen Notfall! Es ist schrecklich, ganz schrecklich!«

Penzkofer erkannte Frau Schreier an der Stimme, obwohl sie aufgebracht war. Fast panisch. Normalerweise klang sie entspannt, meist sogar unterkühlt. Ein bisschen lasziv auch. Aber jetzt schien sie in höchster Erregung zu sein und sprach ungewohnt hektisch in der hohen Stimmlage eines Kastraten. Penzkofer kaute schneller und schluckte, bevor er sprach.

»Frau Schreier«, sagte er. »Immer mit der Ruhe. Was ist denn passiert?«

Panik hin oder her, nach knapp dreißig Jahren Hausmeistertätigkeit hatte sich im Umgang mit Mietern eine gewisse Routine bei ihm eingestellt, und erfahrungsgemäß wurde nichts so heiß gegessen, wie es gekocht worden war.

»Hier läuft Wasser durch die Decke!«, rief Frau Schreier. »An der Wand runter! Über den Boden! Alles ist feucht. Alles!«

Diese Aussage wies auf eine gewisse Dringlichkeit hin.

»Mmh«, murmelte Penzkofer. »Klingt nach einem Rohrbruch oder so.«

»Mir doch egal, was das ist! Meine Wohnung ist ruiniert!«, rief Frau Schreier und fing an zu schluchzen. »Machen Sie, dass das aufhört!«

»Ich komme.«

Penzkofer unterbrach die Verbindung, schob das Handy in die Brusttasche seines grauen Kittels und machte sich auf den Weg. Im Gehen biss er ein großes Stück von der Schrippe ab und schmierte sich dabei etwas Zwiebelmett unter die Nase.

Frau Schreier wohnte in Block B. Der war in weniger als einer halben Minute zu erreichen. Penzkofers Büro befand sich in Block A. Es gab drei Blöcke. Genau genommen Mehrfamilienhäuser. Zweckbauten, könnte man auch sagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie von einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft solide hochgezogen worden. Das Mauerwerk aus klassischen Hamburger Ziegelriemchen. Eigentlich ein Idyll mitten in der Stadt, wie man es heutzutage nicht mehr bauen würde. Kleine Wohnungen für schmales Geld konnte man hier mieten. Direkt auf St. Pauli, unweit der Reeperbahn.

Zwischen den Gebäuden gab es nicht nur großzügige Rasenflächen – hier durften die Kinder zwischen den Häusern noch Fußball spielen –, sondern auch viele Bäume und Bänke, die zum Verweilen einluden. Hauptsächlich waren Kastanien und Linden gepflanzt worden, die sich nach mehreren Jahrzehnten prächtig entwickelt hatten. Mittlerweile baute man die Häuser enger zusammen. Auch höher. Verdichtung hieß das bei der Baubehörde. Die Einwohnerzahl Hamburgs stieg von Jahr zu Jahr, da musste natürlich jeder Quadratmeter Bauland genutzt werden. Grünflächen wurden deshalb gerne eingespart. Den Verantwortlichen konnte man keinen Vorwurf machen, aber schön war diese Entwicklung nicht, fand Penzkofer.

Frau Schreier stand in einem hellblauen Hausanzug aus Nickistoff vor der Tür von Nummer sechsundfünfzig. Ungeschminkt und mit wirrer Haarpracht. Ihre nackten Füße steckten in Badelatschen. Es schien sich hier um einen echten Notfall zu handeln. Unter normalen Umständen wäre Frau Schreier niemals in dieser Aufmachung vor die Tür gegangen. Penzkofer kannte sie nur »gestylt«, wie das bei den jungen Leuten hieß. »Aufgebrezelt« hatte man zu seiner Zeit gesagt. Aber heute Morgen hatte sie offensichtlich noch nicht mal einen Kamm benutzt.

»Hallo!«, rief Frau Schreier, als sie Penzkofer sah. Sie winkte übertrieben mit beiden Armen, um auf sich aufmerksam zu machen, was völlig überflüssig war, denn Penzkofer wusste natürlich, wo sie wohnte. Block B, Erdgeschoss.

Die meisten Leute wollten im Erdgeschoss wohnen. Vor allem, weil man keine Treppen steigen musste. Zugegeben ein gutes Argument, denn Aufzüge gab es in dieser Wohnanlage nicht. Aber Penzkofer kannte die Nachteile einer Parterrewohnung. Nicht nur, dass ebenerdig häufiger eingebrochen wurde – wer unten wohnte, bekam alles von oben ab. Bei Wasserschäden waren die unteren Wohnungen immer betroffen. Immer. Und als vor einigen Jahren das Abwasserrohr von Block C verstopft war, weil eine Mieterin haufenweise Windeln einfach im Klo runtergespült hatte, kam natürlich der ganze Dreck aus dem untersten Toilettenbecken raus. So etwas war sehr unappetitlich. Penzkofer wohnte deshalb im ersten Stock. Der erste Stock war seiner Meinung nach perfekt!

»Moin!«, grüßte Penzkofer.

Frau Schreier deutete mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf die offen stehende Haustür. Schlaffalten zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab, bemerkte Penzkofer im Vorbeigehen. Lange war sie noch nicht auf den Beinen, dachte er. Das ging ihn aber nichts an.

Penzkofer betrat das Treppenhaus, um sich einen Überblick zu verschaffen. Der Boden war feucht, stellte er fest. Genau genommen klatschnass. Das Wasser kam in einem Rinnsal über die Betonstufen gelaufen. Zügigen Schrittes ging er in den ersten Stock, um nach der Quelle dieses Fließgewässers zu suchen. Oberhalb des Treppenabsatzes war alles trocken, bemerkte er und nahm sofort die Wohnungseingänge in Augenschein. Unter der linken Tür im ersten Obergeschoss zwängte sich ein kleiner Wasserlauf zwischen Türblatt und Fußmatte hindurch. Es handelte sich um die Wohnung von Herrn Schmadtke.

»Herr Schmadtke!«, rief Penzkofer laut, klingelte und klopfte mit der Faust gegen die Tür. »Herr Schmadtke, machen Sie auf! Hallo!«

Schmadtke reagierte nicht. Stattdessen hörte er eine Stimme aus der dritten oder vierten Etage.

»Was ist denn los?«

»Nichts!«, rief Penzkofer kurz angebunden.

Das war angesichts der Leckage natürlich maßlos untertrieben, aber er konnte jetzt keine Gaffer oder Schlauschnacker gebrauchen, die im Weg herumstanden. Es bestand dringender Handlungsbedarf!

Penzkofer stieg die Treppe hinab bis in den Keller und öffnete mit seinem Universalschlüssel die graue Feuerschutztür. Hier bildeten sich auch schon kleine Pfützen auf dem Boden. Gebückt folgte er dem Gang, der nur noch eine Kopfhöhe von einem Meter und siebzig hatte, seit in den sechziger Jahren die Leitungen für die Zentralheizung an der Decke verlegt worden waren. Davor hatten noch Kohleöfen in den Wohnungen gestanden. So etwas war ja heutzutage gar nicht mehr erlaubt. Viel zu viel CO₂-Ausstoß! Gas war aber auch nicht mehr das Maß der Dinge. Die nächste Heizungsanlage musste mit einem Energiemix betrieben werden. Die Ausschreibungen waren bereits verschickt.

Im Vorbeigehen schimpfte Penzkofer über ein unerlaubt abgestelltes Fahrrad, das den Durchgang einengte. Gleich unter dem Schild Fahrräder abstellen verboten. Darum würde er sich später kümmern. Jetzt ging er auf direktem Weg zum Hauswasseranschluss neben dem alten Müllkeller. Ein klassischer Wasserzähler mit zwei Absperreinrichtungen hing hier auf Hüfthöhe an der Wand. Mit schnellen Bewegungen aus dem Handgelenk schraubte Penzkofer einen der Ventilgriffe in Rechtsdrehungen bis zum Anschlag. Wenn jetzt jemand duscht, bleibt das Shampoo auf dem Kopf, dachte Penzkofer, aber er sah keine andere Möglichkeit, den Schaden zu begrenzen. Die kleinen Rädchen auf der Uhr drehten sich langsamer und blieben schließlich stehen.

»Gefahr gebannt!«, sagte er zu sich selbst und reinigte seine Nase mit einem Papiertaschentuch. Dann schob er sich den Rest des Brötchens in den Mund und kaute genüsslich. Penzkofer liebte Mett mit roten Zwiebeln, Salz und Pfeffer.

Nachdem er in Ruhe aufgegessen hatte, rief er Frau Simmering von der Hausverwaltung an und erklärte kurz, was vorgefallen war. Dann ging er wieder nach oben.

»Und jetzt?«, fragte Frau Schreier, als Penzkofer aus dem Keller kam.

»Wir warten«, sagte er ruhig.

»Auf was denn?«

»Auf die Feuerwehr. Die macht die Tür von Schmadtkes Wohnung auf, und dann gucken wir mal, was da oben los ist.«

»Sie können ja schon mal gucken, was hier unten los ist!«, sagte Frau Schreier und öffnete mit Schwung ihre Wohnungstür.

»Wenn Sie meinen.«

Penzkofer warf einen Blick in den Flur.

»Mann, Mann, Mann! Sieht nicht gut aus. Das Laminat fängt schon an, Beulen zu schlagen«, stellte er fachmännisch fest. »Das kommt, weil da Holzfaserplatten verpresst sind. Die saugen sich bei Feuchtigkeit voll wie ein Schwamm.« Er warf einen Blick an die Decke. »Und spätestens in zwei Stunden kommt die Tapete runter. Wollen wir wetten?«

Frau Schreier war nicht nach einer Wette zumute.

»Mike wird ausflippen!«, sagte sie mit ängstlich aufgerissenen Augen. »Der haut dem Schmadtke so was von in die Fresse!«

»Bis Ihr Mann raus ist, sieht das hier schon wieder ganz gemütlich aus«, versuchte Penzkofer sie zu beruhigen.

Frau Schreiers Befürchtung war nicht aus der Luft gegriffen, wusste er. Mike Schreier hatte eine kurze Lunte und saß gerade wegen Raubs und schwerer Körperverletzung im Knast. Am helllichten Tag hatte er einen Juwelier in der Hamburger Innenstadt überfallen und den Ladenbesitzer übel zugerichtet, als der sich zur Wehr setzen wollte. Bei der Handgreiflichkeit hatte Schreier seine Skimaske verloren, was es der Polizei einfach gemacht hatte, ihn zu identifizieren und kurz nach der Tat festzunehmen.

Mike Schreier war Langzeitarbeitsloser, aber bei den Ermittlungsbehörden kein Unbekannter. Nach allem, was Penzkofer zu Ohren gekommen war, arbeitete Schreier am Finanzamt vorbei als Türsteher und Bodyguard und hatte den Ruf, bei körperlichen Auseinandersetzungen nicht zimperlich zu sein.

»Kriegen Sie das wieder hin? Ich meine, kann man das trocken föhnen oder so?« Frau Schreier liefen die Tränen über das Gesicht.

»Na ja, so ähnlich«, sagte Penzkofer. Er versuchte, Zuversicht auszustrahlen. »Es gibt Bautrockner. Im Prinzip funktionieren die Dinger wie ein großer Föhn, da haben Sie schon recht.« Dann reichte er die schlechte Nachricht nach: »Aber das dauert, Frau Schreier. Erst mal müssen Sie hier raus.«

»Raus?« Frau Schreier war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. »Wo soll ich denn hin?«

»Das klären wir mit der Simmering. Die muss Ihnen ja was anbieten. Hier jedenfalls …«, er ließ seinen Arm einmal durch die Luft kreisen, »… muss renoviert werden, so viel ist klar.«

»So eine Scheiße«, stieß Frau Schreier wütend aus, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche und ging ins Freie.

Penzkofer sah auf die Uhr. Wehmütig dachte er an das zweite halbe Zwiebelmettbrötchen in seinem Büro. Heute Morgen hatte alles nach einem ereignisarmen Tag ausgesehen. Wohnungsabnahme in Block C – Frühstückspause – mit der Kehrmaschine über die Fußwege – Mittagspause – Kontrolle der Rattenfallen und anschließend Inspektion der Bauarbeiten am neuen Spielplatz mit einem Vertreter der Stadt – Feierabend. Genau genommen Skatabend, weil Mittwoch war immer Skatabend!

»Guten Tag, Herr Penzkofer«, sagte Frau Simmering.

Sie stand plötzlich im Treppenhaus, übertrieben geschminkt wie immer. Ihren Chihuahua hielt sie ganz selbstverständlich im Arm. Ein Zwerghund in Hellbraun und Weiß, der an eine Porzellanfigur erinnerte. Noch nie hatte Penzkofer Frau Simmering ohne diesen Chihuahua gesehen. Er schien zwischen Hand und Ellbogen der Hausverwalterin festgewachsen zu sein. Vielleicht kann er nicht laufen, hatte Penzkofer schon mal überlegt. Vielleicht hat er nicht mal Beine!

Penzkofer grüßte. Auch die drei Feuerwehrmänner, die hinter Frau Simmering das Haus betraten.

»Wo müssen wir denn ran?«, fragte einer der Uniformierten, der die Verantwortung zu tragen schien.

Frau Simmering sah Herrn Penzkofer auffordernd an.

»Erster Stock, linke Tür«, sagte er und deutete nach oben. »Bei Schmadtke.«

Er ließ den Männern und Frau Simmering den Vortritt. Drängeln war nicht Penzkofers Sache. Er blieb lieber dezent im Hintergrund. Zu fünft standen sie schließlich vor Schmadtkes Wohnung. Die drei Feuerwehrmänner vorn, dahinter Penzkofer und Frau Simmering. Frau Simmering roch stark nach Parfum. Und nach Hund. Eine unangenehme Mischung. Penzkofer rückte ein bisschen von ihr ab.

Der mit der Verantwortung klingelte und klopfte mit der Faust gegen das Türblatt. So eine Tür durfte man nämlich nicht ohne Vorwarnung aufbrechen. Nicht mal, wenn man Feuerwehrmann war, wusste Penzkofer. Auch nicht die Polizei. Unverletzlichkeit der Wohnung hieß das im Gesetzestext. Da konnten Schwaden von Cannabisrauch aus den Fenstern quellen, trotzdem war es nicht erlaubt, die Wohnung zu betreten! Aber wenn unter der Tür ein Bach ins Treppenhaus floss, war Gefahr im Verzug. Das war etwas anderes.

Nachdem ein paar Sekunden vergangen waren, setzte einer der Männer, der keine Verantwortung, aber ein robustes Gerät zum Öffnen von Sicherheitsschlössern trug, einen Hebel an und zog kurzerhand den Schließzylinder. Penzkofer hatte das schon des Öfteren beobachtet, war aber wieder mal beeindruckt, wie schnell das ging. Und so einfach! Als würde man einen Butterkeks zerbrechen. Eine Tür ohne Panzerriegel bot eigentlich nicht mehr Schutz als ein Streifenvorhang aus Polyester.

Sofort schwang das Türblatt auf und gab den Blick auf Schmadtke frei. Penzkofer hielt den Atem an. Damit hatte er nicht gerechnet. Keiner der Anwesenden. In diesem Moment schienen alle unter Schock zu stehen. Frau Simmering hätte vor Schreck fast ihren Hund fallengelassen.

Am Ende des Flurs saß Schmadtke auf einem Stuhl. Theatralisch von der Sonne in Szene gesetzt, die aus der geöffneten Küchentür in den Flur eindrang. Aber nicht entspannt oder lächelnd. Im Gegenteil! Sein aufgedunsener Kopf war mehrfach mit Paketband umwickelt. Mund und Nase waren luftdicht verklebt. Seine Augen traten aus ihren Höhlen. Schmadtke sah aus, als würde er gleich platzen. Mit braunem Tape waren seine Beine und Arme am Stuhl fixiert. Falls er versucht hatte, seinem Schicksal zu entkommen, war es vergeblich gewesen. Schmadtke war tot, das war auch auf die Distanz eindeutig zu erkennen. Vermutlich bereits seit mehreren Tagen. Ein beißender Geruch zeugte von beginnender Verwesung.

Penzkofer bemerkte, dass Schmadtke eine Trainingshose und ein T-Shirt trug. Seine Füße steckten in karierten Hausschuhen. Vermutlich hatte er gemütlich auf dem Sofa gesessen, als ihn sein Peiniger überfallen hatte.

»Hallo! Herr Schmadtke?«, rief Frau Simmering, als könnte dieser Mann noch antworten.

»Vergessen Sie’s«, sagte Penzkofer. »Der lebt nicht mehr.«

»Keiner betritt die Wohnung!«, sagte der Feuerwehrmann mit der Verantwortung und zückte ein Telefon. Breitbeinig stellte er sich vor die Tür. »Wir warten hier, bis die Polizei eintrifft.«

Während der Mann telefonierte, rief jemand aus einer der oberen Etagen: »Geht’s noch? Stellen Sie sofort wieder das Wasser an!«

Penzkofer stöhnte. Das zweite halbe Zwiebelmettbrötchen würde eine trockene Oberfläche bekommen.

2

»Die Waschmaschine. Ein Klassiker! Bei uns ist es immer der Gärtner.«

Penzkofer stand im Badezimmer von Schmadtke und machte Fotos mit seinem Handy, um den Schaden zu dokumentieren, als ein Mann plötzlich im Türrahmen stand und ihn ansprach.

»Kleiner Scherz«, sagte der Mann und lachte kurz auf. »Kommissar Brockmann.« Er streckte den Arm aus und ließ Penzkofer keine andere Wahl, als ihm die Hand zu reichen. »Ich leite die Ermittlungen.«

Bestimmt gebürtiger Rheinländer, dachte Penzkofer. So eine Frohnatur. Einer von diesen zwanghaft gut gelaunten Witzbolden, die morgens einen Kasper auf Toast frühstückten.

»Penzkofer. Ich bin hier der Hausmeister.«

»Das sieht man am grauen Kittel«, sagte Kommissar Brockmann grinsend. »Auch ein Klassiker!«

Er zeigte auf das lose Schlauchende auf dem Boden. »Einfach abgeplatzt, was?«

Penzkofer nickte. »War nur popelig mit ’ner rostigen Schlauchschelle rangefriemelt. Und natürlich kein Aquastopp! Da wird die Versicherung nicht für aufkommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber das kann dem Schmadtke jetzt auch egal sein. Hätte er wenigstens den Hahn zugedreht. Wenn ich nicht wasche, lasse ich doch nicht den Druck auf so ’nem alten Schlauch.« Penzkofer war verärgert. »Jetzt haben wir zwei feuchte Wohnungen. Mann, Mann, Mann!«

»Und wir haben einen Mord.« Kommissar Brockmann wirkte jetzt etwas ernster. »Was können Sie mir denn über Herrn Schmadtke erzählen?«

»Na ja …«, Penzkofer kratzte sich am Hinterkopf. »Nicht viel. Den hat man eher selten zu Gesicht bekommen. Ein unscheinbarer Mensch. Ab und zu sah ich ihn weggehen, oder er kam mit ’ner Plastiktüte vom Einkaufen zurück. Dann hat er kurz gegrüßt. Also freundlich war er, keine Frage. Vor ein paar Jahren ist seine Frau gestorben. Mehr weiß ich nicht über ihn, obwohl er schon hier gewohnt hat, als ich Hausmeister geworden bin. Ich kann also nicht mal sagen, wann er hier eingezogen ist.«

»Am achtzehnten Mai neunzehnhundertsiebenundachtzig«, beantwortete Kommissar Brockmann die Frage. »Diese Information haben wir schon von der Hausverwaltung. Wir wissen auch, wann Herr Schmadtke in Pension gegangen ist und wie viel Rente er bezogen hat. Daten und Zahlen sind schnell zusammengetragen, Herr Penzkofer. Ich interessiere mich für das persönliche Umfeld. Ob Herr Schmadtke Freunde, Bekannte oder auch Feinde hatte. Immerhin hat ihn jemand auf grausame Art und Weise getötet. Erinnern Sie sich an einen Vorfall? An Streit unter Nachbarn vielleicht?«

»Der Schmadtke? Streit?« Penzkofer schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. Das war ein ganz ruhiger Mieter. Friedlich. Unscheinbar. Praktisch wie ein Geist. Das sind einem die Liebsten. Also aus Hausmeistersicht. Solche Mieter machen keine Probleme. Die nimmt man gar nicht wahr. Aber ob der jetzt Freunde gehabt hat? Boah! Oder Angehörige? Kinder hatte er wohl keine, aber vielleicht ’n Bruder oder so.«

Kommissar Brockmann schüttelte den Kopf. »Nein. Keine Kinder, keine Geschwister, Eltern bereits verstorben.«

»Tja«, seufzte Penzkofer und ließ sich nachdenklich auf den Rand der Badewanne sinken. »So viele Menschen leben allein. Das ist eigentlich nicht gut.«

»Ich bin seit zwanzig Jahren verheiratet«, sagte Brockmann. »Ist auch nicht das Gelbe vom Ei!« Vor Vergnügen über seinen Scherz gluckste er kurz auf.

Penzkofer stieg nicht darauf ein. Er konnte mit dem Humor des Kommissars nichts anfangen.

»Wann waren Sie zum letzten Mal in dieser Wohnung?«, wollte Brockmann in ernstem Tonfall wissen.

»Vor drei Monaten etwa. Bei der jährlichen Rauchmelderüberprüfung.«

»Und? Ist Ihnen etwas aufgefallen?«

»Nee, eigentlich nicht. Obwohl, bei Schmadtke war es immer aufgeräumt. Immer! Und sauber! Das war schon irgendwie auffällig. Ich komme ja in Wohnungen …« Penzkofer machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der Schmadtke war ordentlich, aber jetzt ist alles auf links gezogen. Wenn Sie mich fragen, hat hier jemand richtig rumgewühlt.«

»Das stimmt«, bestätigte Herr Brockmann Penzkofers Vermutung. »Die Wohnung wurde durchsucht. Und zwar akribisch. Und jetzt stellt sich die Frage, was Herr Schmadtke hier gelagert, eventuell sogar versteckt haben könnte? Etwas, das so wertvoll ist, so begehrt, dass man dafür tötet.«

»Wir sind hier auf St. Pauli«, sagte Penzkofer, »nicht in den Elbvororten. Einige der Mieter haben einen Paragraf-5-Schein. Am Ende des Monats essen die manchmal Knäckebrot ohne Butter. Es würde mich sehr wundern, wenn Schmadtke ein paar Goldbarren in der Schublade gehabt hätte.«

»Und doch hat jemand nach etwas gesucht. Und sich vermutlich viel Zeit dafür gelassen. Vielleicht hat er es gefunden, vielleicht auch nicht.«

»Schmadtke hätte dem Täter doch sagen können, wo das liegt, was er sucht«, sagte Penzkofer. »Dann wäre er bestimmt noch am Leben.«

»Nicht unbedingt. Vielleicht war das, was der Täter haben wollte, auch nicht mehr in Herrn Schmadtkes Besitz. Vielleicht war es auch nie in seinem Besitz gewesen. Vielleicht hat sich der Täter in der Tür geirrt und den Falschen gequält. Sie merken schon: Vielleicht, vielleicht, vielleicht … Es gibt so viele Möglichkeiten, Herr Penzkofer.«

»Vielleicht war das Gesuchte auch gar nicht in der Wohnung.« Penzkofer zog die Augenbrauen hoch. »Haben Sie sich schon im Keller umgesehen?«

»Zu der Wohnung gehört ein Keller?« Brockmann schien wirklich überrascht zu sein. »Warum sagen Sie das nicht gleich?«

»Sie haben nicht danach gefragt«, sagte Penzkofer trocken und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Also innerlich. Der Hanseat zeigte seine Freude nicht so offensichtlich wie der Rheinländer.

»Kommen Sie!« Penzkofer erhob sich, ging in den Flur und blieb vor einer Hakenleiste stehen, die neben der Wohnungstür an der Wand befestigt war. Mindestens zehn Schlüssel unterschiedlicher Größe hatte Schmadtke hier aufbewahrt. »Wir nehmen einfach mal alle mit«, sagte Penzkofer kurz entschlossen. »Einer muss auf die Kellertür passen.«

Penzkofer fand es spannend, der Ermittlung plötzlich einen neuen Impuls gegeben zu haben. Womöglich hatte er gerade den entscheidenden Hinweis geliefert, der zur Auflösung des Falls führte. Kommissar bei der Kripo, das wäre auch ein Beruf für mich gewesen, hatte er schon einige Male gedacht. An den Wochenenden löste Penzkofer gerne das Kreuzworträtsel hinten in der Fernsehzeitschrift. Und so ein Kommissar machte ja im Wesentlichen auch nichts anderes als Denksportaufgaben.

Brockmann folgte ihm nach unten. Als Penzkofer vor dem Vorratsraum Nummer zwölf stand, war er allerdings enttäuscht. Schmadtke hatte die alte Holztür nur mit einem billigen Einheitsschloss gesichert, das bequem mit einem Stück gebogenen Drahts zu knacken gewesen wäre. Nach sicher verwahrten Wertsachen sah dieses Lager nicht aus. Penzkofer öffnete die Tür und schaltete die ovale Standard-Kellerleuchte ein.

»Was ist das denn?«, fragte er verwundert.

Eine große Tonne aus Edelstahl stand mitten im Raum. Auf drei angeschweißten Beinen. Am oberen Ende war eine Kurbel mit Holzgriff angebracht.

»Eine Raumkapsel?«

»Ich glaube, das ist R2-D2!«, sagte Brockmann und lachte kurz auf. Diese Heiterkeit schien angeboren zu sein.

»Das ist vermutlich eine Honigschleuder«, sagte er schließlich. »Und sehen Sie mal!« Er deutete auf ein Regal an der rechten Wand, auf dem mehrere Kisten gelagert waren. »Sind das nicht Beuten? Also diese Kästen, in denen man Bienen hält?«

Penzkofer zog die Schultern hoch. »Ich bin kein Imker«, sagte er.

»Aber Herr Schmadtke war offensichtlich einer«, erwiderte Brockmann. Mit dem Zeigefinger machte er Penzkofer auf verschiedene Utensilien aufmerksam. »Wabenrähmchen, Wachsplatten, eine Pfeife, ein Hut mit Schleier … Alles, was hier liegt, dient der Haltung von Bienen.«

»Da sind ja ganz schön lange Stulpen dran«, murmelte Penzkofer und wollte gerade nach einem Paar Handschuhe greifen, als Brockmann ihn am Arm festhielt. 

»Nichts anfassen!«, mahnte er. »Erst schicke ich hier die Spurensicherung rein.«

Penzkofer machte einen Schritt zurück.

»Imker!«, sagte er kopfschüttelnd. »Schmadtke war Imker. Ahnst du das mal.«

»Vielleicht hat er das Zeug auch nur für jemanden gelagert«, gab Brockmann zu bedenken.

»Glaub ich nicht«, sagte Penzkofer. »Hier ist alles sorgsam einsortiert. Mit Hingabe. Und sauber. Picobello, wie in Schmadtkes Wohnung. Also bevor sie durchwühlt worden ist …«

»Aber etwas fehlt«, sagte Brockmann. »Wissen Sie, was ich meine? Fällt Ihnen etwas auf?«

Penzkofer schüttelte den Kopf. »Was soll denn hier fehlen? Ich sehe die Sachen zum ersten Mal.«

»Bienen!«, rief Brockmann. Er zwinkerte Penzkofer zu. »Es fehlen die Bienen! Irgendwo muss Herr Schmadtke seine Völker stehen haben.«

»Aber nicht hier in der Anlage«, sagte Penzkofer sofort. »Was glauben Sie, was los wäre, wenn in der Nähe des Spielplatzes Bienenstöcke stehen würden? Da werden demnächst großflächig Fallschutzmatten um das Klettergerüst ausgelegt. Und unter der Schaukel. Wissen Sie, was ich meine? Es gibt ja jetzt auch Indoorspielplätze, damit die Kleinen nicht nass werden und so.« Das Wort »Indoorspielplätze« spuckte Penzkofer aus wie eine bittere Walnuss. »Wenn die Kinder fallen, darf es kein Aua geben. Stellen Sie da mal Bienen neben die Sandkiste!«

»Wenn sie nicht hier stehen, dann bestimmt in der Nähe«, sagte Brockmann. »Auf einem Firmengelände, auf einem Flachdach. Stadtimkern wird immer beliebter.«

Penzkofer zuckte mit den Schultern. Von Stadtimkern hatte er noch nie gehört. Er zeigte mit ausgestrecktem Arm in den Kellerraum.

»Wie auch immer. Das muss alles entsorgt werden«, sagte er. »Wenn Schmadtke keine Angehörigen hat, bleibt das an mir hängen.«

»Augen auf bei der Berufswahl!«, rief Brockmann amüsiert.