Wege aus dem Schmerz - Alan Gordon - E-Book

Wege aus dem Schmerz E-Book

Alan Gordon

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Beschreibung

  • Wege aus dem Schmerz bietet einen revolutionären, wissenschaftlich bewiesenen Ansatz zur Heilung von chronischen Schmerzen auf Basis der Neuroplastizität.

  • Mit der von Alan Gordon entwickelten, psychologischen Technik, einem „Schmerz-Verlern-Programm“, lässt sich das Gehirn mit einem konkreten Plan umprogrammieren und den Kreislauf chronischer Schmerzen durchbrechen.

  • Das Programm basiert auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, nach denen chronische Schmerzen in den meisten Fällen durch Fehlfunktionen der Schaltkreise im Gehirn verursacht werden.

  • Das Buch richtet sich sowohl an Menschen mit chronischen Schmerzen als auch an Fachleute im Gesundheitswesen von großem Wert, da es bahnbrechende neue Ansätze zur Schmerzbehandlung bietet.

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ALAN GORDON UND ALON ZIV

Wege aus dem Schmerz

Der bahnbrechende, wissenschaftlich bewährte Ansatz zur Heilung chronischer Schmerzen

Impressum

Alan Gordon und Alon Ziv

WEGE AUS DEM SCHMERZ

Der bahnbrechende, wissenschaftlichbewährte Ansatz zur Heilung chronischer Schmerzen

1. Auflage 2023

ISBN 978-3-96257-307-2

© Narayana Verlag 2023

Titel der Originalausgabe:

THE WAY OUT The Revolutionary, Scientifically-Proven Approach to Heal Chronic Pain

Copyright © Alan Gordon and Alon Ziv, 2021

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Avery, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC

Übersetzt aus dem Englischen von

Bärbel und Velten Arnold

Cover Design: Nellys Liang

Coverlayout: Narayana Verlag GmbH

Coverabbildung: shutterstock: 526423630 © Nazhul

Abbildungsverzeichnis: Liedtext zu "The Gambler", Seite 75: Text und Musik von Don Schlitz Copyright © 1977 Sony/ATV Music Publishing LLC

Copyright Renewed All Rights Administered by Sony/ATV Music Publishing LLC, 424 Church Street, Suite 1200, Nashville, TN 37219 International Copyright Secured All Rights Reserved Nachdruck mit Genehmigung von Hal Leonard LLC.

fMRI-Scans auf Seite 19 mit Genehmigung von Casey Cromie

Bild des Lakers/Suns-Spiels auf Seite 58 © Andrew D. Bernstein/Getty Images

Bild des Eichhörnchens auf Seite 69 © Julian Rad

Bild von Stan Gordon auf Seite 71 © Stan Gordon

Bild von Welpe auf Seite 127 © Kristyn Harder

Herausgeber: Unimedica im Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, 79400 Kandern, Tel.: +49 7626 974970-0

E-Mail: [email protected],

www.unimedica.de

Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags darf kein Teil dieses Buches in irgendeiner Form – mechanisch, elektronisch, fotografisch – reproduziert, vervielfältigt, übersetzt oder gespeichert werden, mit Ausnahme kurzer Passagen für Buchbesprechungen.

Sofern eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet werden, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen (auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind).

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Erkenntnisse in der Medizin unterliegen einem laufenden Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Autor und Übersetzer dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschten Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes jedoch nicht von der Verpflichtung, anhand einschlägiger Fachliteratur und weiterer schriftlicher Informationsquellen zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Werk abweichen und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen.

Für die Vollständigkeit und Auswahl der aufgeführten Medikamente übernimmt der Verlag keine Gewähr. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden in der Regel besonders kenntlich gemacht (*). Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Für Christie,

für deine Freundschaft, unsere Zusammenarbeit und die unzähligen Fotos von deinem Hund, wie er in einem Schuh schläft.

A. G.

Für Krystal,

solange wir zusammen sind, wird das Leben immer gut sein.

A. Z.

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Das Gehirn dieses Kindes könnte die Welt verändern

Ich, mein Lehnstuhl und meine Mutter

Unsere schmerzenden Rücken

Reale Schleudertraumata und gefakte Autounfälle

Caseys Heilung

Ein neues Verständnis von Schmerz

Die Rückenschmerzstudie der University of Colorado Boulder

Kapitel 2: Schmerzen sind ein Gefahrensignal

Die Verhöhnung, die um die Welt ging

Fehlinterpretationen des Gehirns und plötzliche Schmerzen

Unser sich veränderndes Gehirn

Schmerz erlernen

Normale Schmerzen oder Gehirnschmerzen?

Fazit: Schmerzen sind gut, neuroplastische Schmerzen sind schlecht

Kapitel 3: Es gibt nichts zu fürchten außer der Angst selbst

Löwen, Zebras und Ängste. Oje!

Zum Ursprung gelangen

Der Weg in den Schmerz

Angst haben oder keine Angst haben

Sicherheit versus Gefahr

Gefangen in einer Rückkopplungsschleife

Ich und mein Knie (und die Angst) – macht drei

Andere Namen für Angst

Den Schmerz-Angst-Teufelskreis durchbrechen

Kartoffeln, Kürbiskuchen und Schmerzen

Was kommt als Nächstes?

Kapitel 4: Eine neue Sichtweise verinnerlichen

Die Moral der Geschichte

Suche nach Ausnahmen

Beweismaterial zusammentragen

Kapitel 5: Empfindungsverfolgung

Empfindungsverfolgung in der Praxis

Jetzt sind Sie an der Reihe

Du musst wissen, wann du ihnen folgen musst

Kapitel 6: Der Prozess

Ängste überwinden

Die Teile zusammenfügen

Während Sie den Prozess durchlaufen

Der Prozess in der Praxis

Jetzt sind Sie an der Reihe

Kapitel 7: Mit der Gewohnheit brechen, sich in erhöhter Alarmbereitschaft zu befinden

Zebra 2.0

Alarmbereitschaft senken, um Schmerzen zu lindern

Der Ungewissheit ins Auge sehen

Das Gefühl haben, in der Falle zu sitzen

Kapitel 8: Gut darin werden, sich gut zu fühlen

Beginnen Sie mit Selbstmitgefühl

Überzeugungen aufbauen (eins nach dem anderen)

Vom Geist zum Körper

Kapitel 9: Rückfälle, Durchhaltevermögen und Genesung

Drei Phasen – und Sie sind raus

Kurztrip, Ablehnung und Durchhaltevermögen

Der große Motivator

Pflastern Sie sich Ihren eigenen Weg

Nachwort: Der Zustand des Gesundheitswesens und die Opioid-Krise

Anhang

Danksagungen

Anmerkungen

Stimmen zu Wege aus dem Schmerz

Vorwort

Am Anfang war ich nicht überzeugt. Wie viele andere Menschen auch, war ich nicht sicher, wie stark Geist-Körper-Behandlungen den Verlauf chronischer Schmerzen beeinflussen können und bei wem diese Behandlungen anschlagen. Ich bin von Natur aus skeptisch. Aber ich will auch wirklich die Antworten wissen, weshalb es mich drängt, wissenschaftliche Erkenntnisse zusammenzutragen. Ich habe einen großen Teil meiner beruflichen Karriere darauf verwendet zu untersuchen, ob eine Änderung der Denkweise das Gehirn und den Körper beeinflussen kann. Und wenn dies der Fall ist, welche Arten von Veränderungen möglich sind und welche nicht. Welche Bedingungen müssen vorliegen, um diese Veränderungen zu bewirken? Wenn Gedanken tatsächlich den Körper beeinflussen – sind diese Gedanken bedeutsam genug, um einen Sinn zu haben und tiefgreifend genug, um eine anhaltende Wirkung entfalten zu können?

Als ich Alan Gordon zum ersten Mal begegnet bin, habe ich ihn durch und durch so erlebt, dass er von dieser Idee definitiv überzeugt ist. Als ein ehemaliger Betroffener, der unter chronischen Schmerzen litt und inzwischen genesen ist, glaubt er, dass es möglich ist, unter quälenden Schmerzen zu leiden und ohne Medikation oder einen operativen Eingriff schmerzfrei zu werden. Diese Überzeugung verwirklicht er mit ansteckender Begeisterung und einer ausgeprägten Bereitschaft, jedem um Betroffenen zu helfen, mit dem er arbeitet. Im Laufe der vergangenen zwei Jahre haben sich auch meine Ansichten geändert. Ich bin nun der Auffassung, dass die richtigen, durch eine Geist-Körper-Behandlung in die Praxis umgesetzten Einsichten hinsichtlich chronischer Schmerzen bei vielen Menschen enorme Wirkungen entfalten können – sogar nach tatsächlichen Verletzungen, die reale Schmerzen verursachen.

Das Treffen mit Alan verdanke ich einem glücklichen Zufall. Schon einige Male war ich Alans Kollegen, Dr. Howard Schubiner, auf wissenschaftlichen Tagungen begegnet. Ich bin Neurowissenschaftler und untersuche mittels des Einsatzes funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) Schmerzschaltkreise. Ich erinnere mich, dass Howard mir sagte: „Wir haben diese Behandlung, die wirklich funktioniert. Mit diesem Behandlungsverfahren helfen wir schon seit Jahren Menschen, von chronischen Schmerzen zu genesen – Sie sollten sich mit dieser Methode auseinandersetzen!“ Ich bin darauf nicht angesprungen. Geist-Körper-Behandlungen faszinierten mich durchaus, aber wir befassten uns mit grundlegenden Gehirnschaltkreisen und verfügten weder über die finanziellen Mittel noch über die erforderliche Infrastruktur, um Untersuchungen an Patienten vorzunehmen.

Mein Doktorand Yoni Ashar und ich hatten uns in mehreren Brainstormings Gedanken über mögliche Themen für seine Dissertation gemacht. Yoni litt seit Jahren unter chronischen Rückenschmerzen, weshalb es für ihn aus persönlichen Gründen interessant war, sich bei seiner Dissertation auf Rückenschmerzen zu fokussieren. An dieser Stelle kam der glückliche Zufall ins Spiel. Howard meldete sich erneut mit fMRT-Aufnahmen eines Patienten, bei dem sich nach Alans Schmerztherapie deutliche Verbesserungen seines Zustands zeigten. Die Resultate waren beeindruckend. Die Aufnahmen offenbarten Veränderungen im Bereich des medialen präfrontalen Cortex und der anterioren Insula. Diese Bereiche des Gehirns sind miteinander verbunden und Teil eines Netzes, das den vom Körper eingehenden Informationen eine persönliche Bedeutung verleiht. Diese Bereiche des Gehirns gehören auch zu den Bereichen, die bei Untersuchungen von Patienten, die unter chronischen Schmerzen leiden, am häufigsten als Bereiche identifiziert wurden, die beim Empfinden von chronischen Schmerzen eine Rolle spielen. Es scheint so, als ob ein Teil des Problems bei vielen unter chronischen Schmerzen leidenden Menschen etwas mit der Bedeutung zu tun hat, die das Gehirn Schmerzen sowie den Dingen, die die Schmerzen möglicherweise verursachen, verleiht. Wir beschlossen, uns eingehender damit zu befassen und eine Studie über Alans Behandlungsmethode von Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, durchzuführen.

Wir begannen mit bescheidenen Zielen. Zunächst planten wir, einfach nur fMRT-Aufnahmen von einigen Patienten zu machen, die sich bei Alan einer Schmerztherapie unterzogen. Dann nahm Yoni an einem Wochenendseminar von Alan und Howard teil und sah die Wirksamkeit dieses Schmerzbehandlungsansatzes in der Praxis. Unterdessen startete Alan eine Crowdfunding-Kampagne, mit der nicht nur Geld für die Studie zusammenkam, sondern, was noch wichtiger war, auch Menschen begeistert wurden, die wirklich wollten, dass diese Studie durchgeführt wurde. Ich trieb weitere Fördermittel auf und wir weiteten die Studie aus. Schließlich führten wir eine der umfassendsten fMRT-Studien über Rückenschmerzen durch, die bis dahin jemals durchgeführt worden waren. Wir schafften dies mit nur ungefähr einem Viertel der normalerweise benötigten Mittel, weil alle – Yoni, Alan, Howard und unsere großartigen wissenschaftlichen Mitarbeiter Laurie Polisky, Zach Anderson und andere – an die Bedeutung dieses Projekts geglaubt und sich mit ganzem Herzen für seine Realisierung eingesetzt haben.

Es waren die Ergebnisse unserer Studie, die aus mir einen Überzeugten machten. Nachdem die Patienten, die an der Studie teilnahmen, im Durchschnitt elf Jahre lang an chronischen Schmerzen gelitten hatten, waren die meisten von ihnen nach einem Monat Behandlung schmerzfrei oder fast schmerzfrei. Und bisher scheinen sie auch weiterhin schmerzfrei oder fast schmerzfrei zu sein. Um eines ganz klar zu sagen: Es gibt noch viele Fragen zu beantworten. Bei welchen Arten von Schmerzen und bei welchen Menschen sind solche Resultate möglich? Was sind die „Wirkstoffe“ und wie stark hängt die Verbesserung des Zustands betroffener Patienten davon ab, wer die Behandlung durchführt? Wie stark hängt die Verbesserung des Zustands Betroffener von der Bereitschaft des Patienten ab, „geheilt“ zu werden? Chronischen Schmerzen liegen vielfältige Ursachen zugrunde, die im Körper und im Gehirn angesiedelt sind. Wir verstehen diese Ursachen noch nicht und wir können die pathologischen Ursachen bei Menschen einfach noch nicht gut genug bestimmen, um für jeden einzelnen Menschen die beste Art der Behandlung zu ermitteln. Aber wir haben unser Bestes getan, um unsere Studie zu einem strengen, objektiven, unvoreingenommenen Test dafür zu machen, wie gut Alans Schmerztherapie funktioniert – und die Daten zeigen, dass es den behandelten Patienten besser ging.

Noch interessanter ist, was diese Studie und andere Studien uns über chronische Schmerzen sagen. Dies ist eine aufregende Zeit für die Neurowissenschaft des Schmerzes, denn Studien beweisen eindeutig, dass Verletzungen auf mehreren Ebenen im Nervensystem Veränderungen bewirken. Höhere Gehirnbereiche, die mit Stimmung, Gedächtnis und langfristigem Planen assoziiert sind, können Schmerzen unterdrücken oder verstärken, eine Genesung fördern oder dafür sorgen, dass Schmerzen chronisch werden. Beim Menschen erschaffen diese höheren Gehirnbereiche unsere Persönlichkeit, unsere Emotionen und unser Bewusstsein dafür, wer wir sind und wo wir in dieser Welt hingehören. Chronische Schmerzen sind also in einer sehr realen Weise mit unserem Verständnis dessen verwoben, was die Schmerzen für uns bedeuten und wie wir in die Zukunft blicken. Das bedeutet nicht, dass Schmerzen nicht „real“ sind. Schmerzen können konkrete Ursachen haben, die im Körper, im Rückenmark oder im Gehirn angesiedelt sind, und dennoch mit der Herangehensweise einer Geist-Körper-Behandlung behandelt werden, weil all diese Ebenen miteinander verbunden sind.

Die Neurowissenschaft des Schmerzes hat gezeigt, dass die Ursachen chronischer Schmerzen sich von den Ursachen akuter Schmerzen infolge einer Verletzung unterscheiden können und möglicherweise in vielen Fällen im Gehirn angesiedelt sind. Eine Geist-Körper-Behandlung kann uns dabei helfen zu verstehen, welche Arten von Bewegungen und Aktivitäten selbst in Anwesenheit von Schmerzen in Ordnung sind, und das kann unserem Gehirn wiederum dabei helfen, chronische Schmerzen zu „vergessen“.

Was an Alans Behandlungsverfahren besonders bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass Informationen beim Heilungsprozess eine wichtige Rolle spielen. Neue Informationen können unsere Überzeugungen über die Ursachen von Schmerzen und die Narrative, die wir uns selbst über Schmerzen erzählen, verändern. Oft kann diese Veränderung Arbeit und Übung erfordern, aber sie kann sich auch ganz plötzlich durch einen Geistesblitz der Einsicht vollziehen. Ich habe dies selber beobachtet. Eine Mitarbeiterin meines Labors litt seit mehreren Jahren unter Schulterschmerzen und schien von diesen Schmerzen genesen zu sein, nachdem sie von diesen Techniken erfahren hatte. Eine andere Freundin und Kollegin gelangte dadurch, dass sie mit Yoni über unsere Forschungsarbeiten redete, zu einem neuen Verständnis ihrer chronischen Schmerzen. Sie erlebte eine spektakuläre Genesung und sagte mir, dass diese Veränderung ihr das Leben gerettet habe.

In dem Buch How to Know God unterscheiden Swami Prabhavananda und Christopher Isherwood zwischen verschiedenen Arten des Glaubens. Eine Art des Glaubens ist der religiöse Glaube. Der religiöse Glaube verlangt uns ab – ohne dass unsere Sinne uns Beweise liefern oder sogar entgegen der Beweise, die uns unsere Sinne liefern – zu glauben. Die zweite Art des Glaubens ist der vorbehaltliche Glaube. Wenn man zum Beispiel lernt zu meditieren, so die Autoren, muss man nur stark genug an die positiven Wirkungen des Meditierens glauben, um bereit zu sein, es auszuprobieren. Es ist die zweite Art des Glaubens, die zu testen ich Ihnen ans Herz legen möchte. Sie müssen nicht wirklich fest daran glauben, dass chronische Schmerzen geheilt werden können. Sie müssen nur in ausreichendem Maß daran glauben, um den in diesem Buch dargelegten Ideen gegenüber aufgeschlossen zu sein und anzufangen, sie auszuprobieren. Versuchen Sie es und sehen Sie, was passiert.

Tor Wager

Lehrstuhlinhaber für NeurowissenschaftDartmouth College

Kapitel 1

Das Gehirn dieses Kindes könnte die Welt verändern

„Er hat entsetzliche Schmerzen. Seine Eltern sind verzweifelt. Meinen Sie, Sie können ihm helfen?“

Es war im Dezember 2016. Ich hatte gerade einen Anruf einer Mitarbeiterin der CBS-Sendung The Doctors erhalten, einer medizinischen Talkshow, die von Dr. Phil produziert und bereits seit Langem ausgestrahlt wurde.1 In der Folge, um die es bei dem Anruf ging,2 versuchte das Team, Casey zu helfen, einem 16 Jahre alten Jungen, der unter so schlimmen chronischen Bauchschmerzen litt, dass er davon regelmäßig ohnmächtig wurde. Caseys Ärzte waren ratlos.

Als Leiter des Pain Psychology Center in Los Angeles war ich darauf spezialisiert, chronische Schmerzen und andere körperliche Symptome zu behandeln. Die Regisseurin am Telefon wollte wissen, ob mein Team und ich in der Lage wären, dem armen Casey dabei zu helfen, seine Schmerzen in den Griff zu bekommen.

Zwei Jahre zuvor war Casey ein ganz normaler Neuntklässler in der John Burroughs Highschool in Burbank, Kalifornien, gewesen. Er begeisterte sich für Baseball und Star Wars und er hasste Algebra und Chemie. Er schien auf bestem Wege, eine ganz normale Highschool-Schüler-Karriere zu machen, bis er drei Monate nach Beginn der neunten Klasse auf einmal einen stechenden Schmerz im Magen verspürte.

Seine Eltern befürchteten, dass er womöglich eine Blinddarmentzündung hätte, und brachten ihn schnell ins Krankenhaus. Doch die Ärzte fanden nichts. Monate vergingen und die Schmerzen hielten an. Bei Casey wurde jede nur erdenkliche Untersuchung durchgeführt – MRTs, CT-Aufnahmen, explorative chirurgische Eingriffe –, aber all diese Untersuchungen ergaben nichts.

Währenddessen fiel es Casey immer schwerer zu „funktionieren“. Er verließ seine Baseball-Mannschaft und musste schließlich sogar die Schule abbrechen. Sein langer, schmerzvoller Leidensweg führte ihn schließlich zu der Sendung The Doctors, woraufhin die Regisseurin mich anrief.

„Wir müssen uns seine Krankenakte ansehen“, sagte ich. „Aber ich glaube, es bestehen gute Aussichten, dass wir ihm helfen können.“

„Super“, erwiderte die Regisseurin. „Eine Frage noch: Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie wir die Überwindung von Schmerzen in der Sendung veranschaulichen können?“

Ihre Frage ergab durchaus Sinn. Das Ganze sollte im Fernsehen gezeigt werden. Sie brauchten etwas, um dem Fernsehzuschauer zu Hause vor Augen führen zu können, was passierte. Wie könnten wir Caseys Schmerzen veranschaulichen, also etwas, das er innerlich verspürte?

Ich dachte kurz darüber nach und sagte: „Vielleicht können wir eine fMRT-Aufnahme von seinem Gehirn machen – eine vor der Behandlung und eine weitere nach der Behandlung.“

Die funktionelle Magnetresonanztomografie, kurz fMRT, ist ein bildgebendes Verfahren, mit dessen Hilfe man Aufnahmen machen kann, die die Gehirnaktivität zeigen.3 Ich dachte, es könnte interessant sein zu sehen, wie Caseys Gehirn sich möglicherweise verändert haben würde, wenn er keine Schmerzen mehr hätte. Damals wusste ich es noch nicht, aber der eher beiläufig gemachte Vorschlag sollte zu einer der bahnbrechendsten Studien führen, die in der Geschichte der Schmerzforschung je durchgeführt wurden.

Aber um Ihnen die Geschichte über Caseys Schmerzen wirklich erzählen zu können, muss ich Ihnen erst von meinen eigenen Schmerzen berichten.

Ich, mein Lehnstuhl und meine Mutter

Als ich Mitte zwanzig war, war mein Leben gut. Ich studierte an der University of California Psychotherapie. Ich war ein kontaktfreudiger, aktiver Typ. Ich hing mit meinen Freunden herum und ging zu den Spielen der Los Angeles Dogders. Ich spielte in einem Kickballverein in einer Liga (mein Team schaffte es sogar bis in die nationalen Meisterschaften). Doch während meines zweiten Jahres an der Uni änderte sich alles. Ich bekam auf einmal starke Schmerzen im unteren Rückenbereich, was mein Leben total aus der Bahn warf.

Selbst so eine einfache Freizeitbeschäftigung wie ein Kinobesuch wurde für mich zu einem zweistündigen Albtraum. An einen Besuch bei den Spielen der Dodgers war nicht mehr zu denken. Ich konnte mir keine Sportveranstaltungen mehr ansehen, geschweige denn selber Sport treiben. Das Sitzen auf den harten Stühlen in den Unterrichtsräumen der Universität bereitete mir solche Schmerzen, dass ich mir bei Office Depot einen weichen Lehnstuhl kaufen und diesen von Unterrichtsraum zu Unterrichtsraum rollen musste. Falls Sie sich fragen sollten, wie das ist, immer einen riesigen Stuhl mit sich herumzuschleppen – es ist für das soziale Leben nicht gerade vorteilhaft.

Ich suchte drei der renommiertesten Rückenspezialisten in Los Angeles auf. Einer von ihnen sagte mir, dass meine Rückenschmerzen durch einen Bandscheibenvorfall verursacht würden. Ein anderer stellte die Diagnose, die Symptome, unter denen ich litt, seien auf eine Bandscheibendegeneration zurückzuführen. Der dritte teilte mir mit, dass mir der Rücken wehtue, weil ich einfach zu groß sei.

Ich konnte mich nicht kleiner machen, aber ich probierte jede nur erdenkliche Therapie aus: Physiotherapie, Biofeedback, Akupunktur, Akupressur. Nichts half. Von meinem Rücken wurden so viele MRT-Aufnahmen gemacht, dass meine Freunde Scherze darüber machten, dass mein Rücken dabei sei, sich in einen Magneten zu verwandeln.

Nach ungefähr sechs Monaten erhielt ich eine epidurale Injektion. Sie verschaffte mir zwar keine Heilung, sorgte aber dafür, den Schmerz um die Hälfte zu reduzieren. Das Leben war wieder erträglich – ungefähr acht Tage lang. Bis ich eines Morgens wie aus heiterem Himmel das Gefühl hatte, in meinem Kopf wäre eine Granate explodiert. Es waren die schlimmsten Kopfschmerzen, unter denen ich je gelitten hatte.

Und die Schmerzen hielten an.

Meine Recherchen im Internet ergaben, dass es bei chronischen Kopfschmerzen weder eine bekannte Ursache gibt noch eine bekannte erfolgversprechende Art der Behandlung. Furchtbar.

Nach weiteren Besuchen bei diversen Ärzten suchte ich einen Spezialisten für Kopfschmerzen auf, der bei mir einen erhöhten Liquordruck diagnostizierte. Er verschrieb mir einige Medikamente, die jedoch nicht halfen.

Wenn man unter Kopfschmerzen aufgrund eines erhöhten Liquordrucks leidet, gibt es ein Problem: Wenn man sich hinlegt, werden die Schmerzen schlimmer. Somit konnte ich mich also nicht hinsetzen, weil mir der Rücken wehtat, und ich konnte mich nicht hinlegen, weil das meine Kopfschmerzen verschlimmerte. Mein Vater, der ein praktisch veranlagter Mensch ist, schlug mir vor, eine Möglichkeit zu finden, in einer 45-Grad-Position zu leben. Danke, Papa.

Im Laufe der Jahre entwickelten sich bei mir2 die folgenden weiteren Symptome:

• Schmerzen im oberen Rücken

• Nackenschmerzen

• Schulterschmerzen

• Knieschmerzen

• Fersenschmerzen

• Zungenschmerzen (Zungenschmerzen – wer hat denn so was?)

• Augenschmerzen

• Zahnschmerzen

• Zehenschmerzen (drei verschiedene Zehen!)

• Hüftschmerzen

• Magenschmerzen

• Handgelenkschmerzen

• Fußschmerzen

• Beinschmerzen

• Kiefergelenkschmerzen

• Sodbrennen

• Schwindel

• Tinnitus

• Juckreiz

• Müdigkeit

Kurz gesagt: Ich war ein Wrack. Ich jagte den Ärzten regelrecht Angst ein. Im Hinblick auf die genannten Symptome wurden mir jede Menge Diagnosen gestellt: Bandscheibenvorfall, partieller Riss der Rotatorenmanschette, Verletzung durch wiederholte Belastung (RSI-Syndrom) und so weiter. Doch keine der medizinischen Behandlungen half mir.

Der Schmerz beherrschte mein Leben. Es fiel mir zu schwer, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, weshalb ich mich sozial zurück zog. Ich konnte nicht arbeiten. Ich legte mein ganzes Leben auf Eis und versuchte, mit meinen Schmerzen fertigzuwerden. Ich zog sogar wieder zu meinen Eltern.

Eines Tages gab mir meine Mutter ein Buch, in dem es um einen körperlich-geistigen Ansatz zur Schmerzbehandlung ging. Sie erzählte mir, dass der Sohn einer ihrer Freundinnen das Buch gelesen und es ihm geholfen habe, seine Rückenschmerzen loszuwerden. Meine Mutter ist liebevoll und sie versuchte, mir zu helfen. Ich habe daraufhin getan, was jeder rational denkende Mensch, der unter chronischen Schmerzen leidet, tun würde. Ich schleuderte das Buch durch das Zimmer.

„Ein Buch wird mir nicht helfen, Mom. Die Schmerzen finden nicht in meinem Kopf statt. Ich habe zig Diagnosen von allen möglichen Ärzten.“

Sie zuckte mit den Schultern und verließ das Zimmer. Mit jemandem, der unter chronischen Schmerzen leidet, streitet man nicht.

Ein Jahr später las ich schließlich das Buch und redete mit dem Sohn der Freundin meiner Mutter. Das Lesen des Buchs befreite mich nicht von meinen Schmerzen, aber es machte mich aufgeschlossen für die Möglichkeit, dass ich schmerzfrei werden könnte. Es war ein wichtiger erster Schritt. Ich beschloss, alles in Erfahrung zu bringen, was es über Schmerzen zu wissen gibt.

Ich befasste mich mit den neurowissenschaftlichen Grundlagen von Schmerzen. Ich erfuhr, dass beim Empfinden von Schmerzen der Körper und das Gehirn eine Rolle spielen. Normalerweise empfängt das Gehirn von sämtlichen Bereichen des Körpers Signale und verarbeitet diese. Wenn der Körper eine Verletzung erleidet, erzeugt das Gehirn das Empfinden von Schmerzen.

Aber manchmal kann das System auch verrücktspielen. Bisweilen bleibt der „Schmerzschalter“ in unserem Gehirn auf der Eingeschaltet-Position stehen und verursacht chronische Schmerzen.

Das nennt man neuroplastische Schmerzen. Normale Schmerzen werden durch eine Verletzung des Körpers verursacht. Aber bei Schmerzen, die nach der Heilung einer Verletzung fortdauern, oder bei Schmerzen, die keine eindeutige körperliche Ursache haben, handelt es sich normalerweise um neuroplastische Schmerzen. In Kapitel 2 erkläre ich, warum neuroplastische Schmerzen auftreten und wie Sie feststellen können, ob Sie unter neuroplastischen Schmerzen leiden.

Ich wurde mir dessen bewusst, dass ich unter neuroplastischen Schmerzen litt. Bislang hatte ich mein Augenmerk darauf gerichtet, meinen Körper zu behandeln, aber um meine Schmerzen loszuwerden, musste ich mein Gehirn ansteuern. Die Herangehensweise der Geist-Körper-Behandlung, um chronische Schmerzen in den Griff zu bekommen, war relativ neu und die Behandlungsmethoden waren noch nicht ausgereift. Deshalb entwickelte ich neue Techniken, um mein Gehirn neu zu vernetzen und seinen natürlichen Zustand wiederherzustellen.

Ich habe immer noch Bandscheibenvorwölbungen. Ich habe immer noch einen hohen Liquordruck. Wahrscheinlich habe ich immer noch eine partiell gerissene Rotatorenmanschette. Aber ich habe keine Schmerzen mehr. Ich bin frei von allen 22 Symptomen, unter denen ich gelitten habe.

Und während ich das geschafft habe, wurde ich mir dessen bewusst, dass ich nicht alleine bin. Genau genommen befinden wir uns inmitten einer Epidemie chronischer Schmerzen. Allein in den USA leiden mehr als 50 Millionen Erwachsene unter chronischen Schmerzen.4 Es wird geschätzt, dass weltweit 1,2 Milliarden Menschen von chronischen Schmerzen betroffen sind.5

Die Behandlung chronischer Schmerzen ist zu meiner Lebensaufgabe geworden. Ich habe das Pain Psychology Center gegründet und angefangen, anderen Betroffenen zu helfen. Meiner Erfahrung nach handelt es sich bei den meisten Fällen chronischer Schmerzen um neuroplastische Schmerzen. Im Laufe der Jahre haben wir unsere Techniken zu einer nachhaltig wirksamen Methode – dem Schmerz-Verlern-Programm (Englisch: Pain Reprocessing Therapy) – verfeinert und Menschen dabei geholfen, jede nur erdenkliche Art von Schmerzen zu überwinden.

Und jeder Patient, den mein Team und ich behandeln, stellt unabhängig davon, an welcher Stelle er unter Schmerzen leidet und wie lange die Schmerzen schon andauern, die gleiche Frage:

Patient: „Wollen Sie damit sagen, dass meine Schmerzen nicht real sind?“

Ich: „Na ja, spüren Sie die Schmerzen?“

Patient: „Ja.“

Ich: „Tut es weh?“

Patient: „Ja.“

Ich: „Dann sind sie real.“

Ich fand es schon immer merkwürdig, dass manche Schmerzen als real angesehen werden und andere nicht.

Während meines Studiums an der University of California hatte die Studentenverbindung, in der ich Mitglied war, einmal einen Hypnotiseur zu einer der Partys zur Werbung neuer Mitglieder eingeladen. Mein Kumpel Jamie meldete sich freiwillig und ließ sich hypnotisieren. Der eindeutig skrupellose Hypnotiseur versetzte Jamie in Hypnose und redete ihm ein, dass sein Arm in Flammen stünde. Jamie rannte aufgebracht herum und tauchte seinen Arm in eine Eistruhe. Das war urkomisch.

Ich fragte Jamie anschließend, ob es wirklich wehgetan habe. „Es waren die schlimmsten Schmerzen, die ich je verspürt habe“, erwiderte er (begleitet von ein paar deftigen Schimpfworten). Wie konnte das sein?

Im Rahmen einer Studie wurden an der University of Pittsburgh Zusammenhänge zwischen Hypnose und Schmerz untersucht.6 Die Wissenschaftler schoben Teilnehmer der Studie in ein fMRT-Gerät und fügten ihnen mit einer heißen Sonde Schmerzen zu. Die Schmerzregionen im Gehirn der Teilnehmer leuchteten deutlich erkennbar auf. Dann versetzten die Wissenschaftler die gleichen Teilnehmer der Studie in Hypnose und lösten bei ihnen durch Suggestion Schmerzen aus. Im fMRT-Gerät leuchteten exakt die gleichen Gehirnregionen auf. Unabhängig davon, ob die Schmerzen den Teilnehmern der Studie physisch zugefügt oder durch Hypnose verursacht wurden, war die Empfindung, die das Gehirn auslöste, die gleiche.

Schmerzen sind Schmerzen und immer real. Und da jegliche Art von Schmerzen im Gehirn verarbeitet wird, verfügt unser Gehirn über eine außerordentliche Macht zu beeinflussen, wo, wann und wie stark wir Schmerzen empfinden.

Unsere schmerzenden Rücken

Rückenschmerzen sind weltweit die am weitesten verbreitete Form chronischer Schmerzen7 und die häufigste Ursache körperlicher Beschwerden. Wenn Sie unter chronischen Rückenschmerzen leiden, kommt Ihnen die folgende Version einer Unterhaltung vielleicht bekannt vor:

Sie: „Ich habe seit drei Monaten Rückenschmerzen. Der Rücken tut mir weh, wenn ich sitze, wenn ich stehe und wenn ich gehe.“

Orthopäde: „Hm, auf der MRT-Aufnahme Ihrer Wirbelsäule ist zu sehen, dass Sie in der Höhe der Lendenwirbel L2 und L3 einen Bandscheibenvorfall haben, der sich über einen Bereich von vier Millimetern erstreckt, sowie eine partielle Nervenwurzelkompression.“

Die Diagnose klingt so, als ob aus Ihrer armen, geschädigten Wirbelsäule eine riesige Bandscheibe herausragen und einen Ihrer Nerven zusammenpressen würde. Die Vorstellung ist beängstigend, hat aber auch irgendwie etwas für sich – Sie haben Rückenschmerzen und der Arzt hat an der Stelle, an der es wehtut, ein Problem entdeckt. Alles, was Sie tun müssen, ist, dafür zu sorgen, dass das Problem in Ihrem Rücken behoben wird, und dann werden die Schmerzen schon verschwinden, oder?

Leider ist das nicht der Fall. Studien haben ergeben, dass viele der am häufigsten durchgeführten Rückenoperationen schlicht und einfach nicht helfen.8 Tatsächlich sind andauernde Rückenschmerzen nach einer Operation so verbreitet, dass es für dieses Phänomen sogar einen Namen gibt: das Postdiskektomie-Syndrom.9

Und so sieht die Realität aus: Die meisten von uns haben Bandscheiben-vorwölbungen und -vorfälle. Wissen Sie, wer über eine absolut makellose Wirbelsäule verfügt? Babys. Die Bandscheiben von Babys sind absolut geschmeidig und flexibel und ihre wunderbaren kleinen Gelenke sind absolut frei von jeglichen Entzündungen. Während wir unser Leben leben, entwickeln sich Verschleißerscheinungen. Diese Abnutzung unseres Körpers ist natürlich und unvermeidlich. Einer im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie zufolge weisen 64 Prozent der Menschen, die nicht unter Rückenschmerzen leiden, Bandscheibenvorwölbungen, -vorstülpungen und -vorfälle oder Bandscheibendegenerationen auf.10 Derartige strukturelle Veränderungen sind im Grunde genommen ganz normal und gehen üblicherweise nicht mit Schmerzen einher.

Selbst wenn ein MRT-Befund vorliegt, passt dieser normalerweise nicht zu den körperlichen Symptomen der Betroffenen. Im Rahmen einer in der Schweiz durchgeführten Studie wurden Menschen ausgewählt, die unter chronischen Rückenschmerzen litten, und daraufhin untersucht, ob sie Beeinträchtigungen wie Bandscheibendegenerationen oder – vorwölbungen aufwiesen. Die Wissenschaftler stellten fest, dass es keine Zusammenhänge zwischen den strukturellen Beeinträchtigungen und den Symptomen gab, unter denen die Betroffenen litten.11

Wenn die strukturellen Defekte in den meisten Fällen also nicht die Ursache der chronischen Rückenschmerzen sind – was dann?

Indem sie modernste Erkenntnisse der Neurowissenschaft mit ein bisschen Nostradamus kombinierte, betrat eine Gruppe Wissenschaftler der Northwestern University ein ganz neues Gebiet: das Vorhersagen von Schmerzen.12 Die Wissenschaftler beobachteten Patienten, die erstmals über Rückenschmerzen klagten, und versuchten vorherzusagen, welcher dieser betroffenen Patienten später unter chronischen Rückenschmerzen leiden würde. Erstaunlicherweise waren ihre Vorhersagen in 85 Prozent der Fälle zutreffend.

Die Wissenschaftler führten keine Rückenuntersuchungen durch. Sie betrachteten keine Röntgen- oder MRT-Aufnahmen von Wirbelsäulen. Genau genommen sahen sie sich den Rücken der Patienten, die an der Studie teilnahmen, überhaupt nicht an. Stattdessen fokussierten sie sich nur auf deren Gehirn. Indem sie Aufnahmen des Gehirns der betroffenen Patienten machten und sich das Level der Konnektivität zwischen zwei Schlüsselbereichen ansahen, waren die Wissenschaftler in der Lage, mit einer hohen Trefferquote vorherzusagen, bei welchem Patienten die Schmerzen andauern und bei welchem sie wieder verschwinden würden.

In den meisten Fällen werden chronische Rückenschmerzen nicht durch strukturelle Schäden an der Wirbelsäule verursacht. Die Schmerzen sind zu 100 Prozent real, aber es handelt sich um neuroplastische Schmerzen. Um diese Schmerzen zu behandeln, muss die Behandlung auf das Gehirn zielen, nicht auf den Körper.

Reale Schleudertraumata und gefakte Autounfälle

Stellen Sie sich vor, Sie fahren Auto. Sie fahren auf eine rote Ampel zu und als Sie anhalten, hören Sie das Geräusch quietschender Reifen. Sie blicken in den Rückspiegel und sehen den Fahrer hinter Ihnen, das Handy in der Hand, die Augen entsetzt aufgerissen. Sie machen sich auf den Zusammenstoß gefasst. Im Moment des Aufpralls schnellt Ihr Kopf erst nach hinten und dann nach vorne. Aua! So etwas nennt man Schleudertrauma und die Folgen sind oft Kopf- oder Nackenschmerzen. Ein Schleudertrauma ist eine Form von Nackenverstauchung und sollte, genauso wie jede andere Verstauchung auch, mit ein wenig Ruhe nach einigen Tagen vollständig heilen.

Aber manchmal heilt ein Schleudertrauma nicht. Wenn die mit einem Schleudertrauma einhergehenden Symptome anhalten, spricht man von einem chronischen Schleudertrauma oder einem chronischen HWS-Syndrom. In vielen Ländern hat sich dieses Syndrom regelrecht zu einer Epidemie entwickelt und sorgt dafür, dass bis zu 10 Prozent der Unfallverletzten dauerhaft unter körperlichen Beschwerden leiden.

Das Merkwürdige ist, dass Studien gezeigt haben, dass es keine strukturelle Ursache für ein chronisches Schleudertrauma gibt.13 Mit anderen Worten: Der Körper heilt, aber aus irgendeinem Grund dauert der Schmerz an.

Eine Gruppe Wissenschaftler glaubte, die Antwort auf dieses medizinische Rätsel möglicherweise im fernen Osteuropa zu finden. Litauen ist ein kleines Land an der Ostsee, das für seine schöne Landschaft und seine hervorragenden Basketballmannschaften bekannt ist (Basketball ist in Litauen ein Nationalsport). Doch eines findet man in Litauen nicht: chronisches Schleudertrauma. Es gibt dort Autos, Straßen und Auffahrunfälle – aber keine chronischen Nackenschmerzen.

Die Wissenschaftler untersuchten Hunderte von Opfern von Auffahrunfällen und beobachteten ihre Genesung. Viele der Opfer litten unmittelbar nach dem Unfall unter Nackenschmerzen. Doch nach einem Jahr unterschieden sich ihre Symptome nicht von anderen Litauern, die keinen Unfall gehabt hatten. Chronisches Schleudertrauma gibt es in Litauen schlicht und einfach nicht.14

Aber wenn Autounfälle kein chronisches Schleudertrauma verursachen – was dann?

Um das herauszufinden, führten Wissenschaftler in Deutschland ein brillantes und etwas skurriles Experiment durch.15 Sie suchten freiwillige Teilnehmer für eine Autounfall-Studie. Die Teilnehmer wurden angewiesen, sich auf den Fahrersitz eines Autos zu setzen, und wurden von hinten von einem anderen Auto gerammt. Nur dass sie gar nicht wirklich gerammt wurden. Das Ganze war eine Simulation. Oder, wie es die Wissenschaftler nannten, eine „Placebo-Kollision“.

Wie simuliert man einen Autounfall? Die Autoren der Studie zerschlugen eine Flasche, um das Geräusch eines Unfalls zu simulieren, und mithilfe einer komplizierten Konstruktion aus Rollen, Seilzügen und einer Rampe bewegte sich das Auto, in dem die Studienteilnehmer saßen, leicht nach vorne. Es gab keinen tatsächlichen Kontakt mit einem anderen Auto, aber die Teilnehmer dachten, dass von hinten ein Auto aufgefahren war. Die raffinierten Wissenschaftler verstreuten sogar Glasscherben auf dem Boden, um es noch stärker so aussehen zu lassen, als ob das Auto gerammt worden wäre.

Drei Tage nach dem simulierten Unfall hatten 20 Prozent der Teilnehmer Nackenschmerzen. Vier Wochen später hatten 10 Prozent der Teilnehmer immer noch Symptome. Die Schmerzen waren real, aber der Körper der Betroffenen wies keine strukturellen Schäden auf. Das war gar nicht möglich, weil das Auto, in dem sie gesessen hatten, nicht wirklich gerammt worden war.

Der Schmerz stammte nicht aus dem Nacken der Teilnehmer, sondern wurde durch etwas in ihrem Gehirn erzeugt: durch Glauben. Sie glaubten, von hinten von einem Auto gerammt worden zu sein, und sie glaubten, dass ein chronisches Schleudertrauma eine mögliche Folge eines Auffahrunfalls sei. Die Litauer glauben das nicht. Weil ein chronisches Schleudertrauma ein Phänomen ist, das in ihrem Land nicht existiert, kommt es Opfern von Auffahrunfällen in Litauen nicht einmal in den Sinn, dass die Schmerzen andauern könnten. Und deshalb halten die Schmerzen nach einem Auffahrunfall auch nicht an.

Warum sollte der Glaube an das mögliche Auftreten eines chronischen Schleudertraumas dazu führen, dass ein Betroffener tatsächlich unter einem chronischen Schleudertrauma leidet? Die Antwort auf diese Frage findet sich in Kapitel 3, aber an dieser Stelle kann bereits festgehalten werden, dass unser Gehirn mächtig und komplex genug ist, Schmerzen zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Das entspricht nicht unserer Intuition, weil die Schmerzen sich so anfühlen, als ob unser Körper sie erzeugen würde, aber es handelt sich um neuroplastische Schmerzen und sie werden im Gehirn erzeugt. Das ist eigentlich eine gute Nachricht, denn wenn das Gehirn Schmerzen erzeugen kann, kann es auch dafür sorgen, dass Schmerzen verschwinden.

Rückenschmerzen und Schleudertrauma sind nur zwei Arten von Schmerzen, die sich zu chronischen Schmerzen entwickeln können, die oft durch neuroplastische Schmerzen verursacht werden. Ich kenne Geschichten und Studien über alle möglichen anderen Arten von Schmerzen, unter anderem über Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Beckenschmerzen, Gelenkschmerzen, Gliederschmerzen, Nervenschmerzen, Reizdarmsyndrom sowie Verletzungen durch wiederholte Belastung. Ich gehe nicht im Detail auf jede dieser Arten von Schmerzen ein, aber mein Team und ich haben all diese Arten von Schmerzen erfolgreich mit dem Schmerz-Verlern-Programm behandelt.

In jedem Fall leiden die Patienten unter körperlichen Symptomen, aber körperliche Behandlungen helfen ihnen nicht. Indem die Behandlung auf das Gehirn zielt statt auf den Körper, können betroffene Patienten endlich von ihren Schmerzen befreit werden.

Was uns wieder zu Casey bringt, dem Patienten aus der Fernsehsendung The Doctors, der unter chronischen Bauchschmerzen litt.

Caseys Heilung

Casey und seine Familie saßen in meinem Büro und versuchten, die beiden Kameramänner zu ignorieren, die ihre Kameras ein Stück weit von uns entfernt aufgebaut hatten. Caseys Mutter, die Mühe hatte, nicht in Tränen auszubrechen, erzählte mir ihre Geschichte: „Wir haben alles ausprobiert. Medikamente, Behandlungen, Operationen … nichts hat geholfen.“

Ich erklärte Casey das Phänomen neuroplastischer Schmerzen – wie unser Gehirn sehr reale Schmerzen erzeugen kann, selbst wenn der Betroffene nicht unter einer Verletzung leidet, und dass solche Schmerzen rückgängig gemacht werden können. Casey erlaubte sich, einen Hoffnungsschimmer zu verspüren, und ihm kullerten Tränen über das Gesicht.

„Hey, mein Junge, wir kriegen das schon in den Griff“, sagte seine Mutter und gab sich alle Mühe, ihren Worten Glauben zu schenken.

Casey und ich trafen uns einmal in der Woche. Wir redeten darüber, wie seine Schmerzen entstanden waren und warum sie andauerten. Ich brachte ihm die Techniken des Schmerz-Verlern-Programms bei und wir wandten es gemeinsam bei ihm an. Nach vier Wochen schwang er in meinem Büro einen Baseballschläger und verspürte dabei keine Schmerzen. Nach sechs Wochen rannte er – zur großen Überraschung meiner Kollegen – wie der Blitz auf den Fluren hin und her. Nach drei Monaten war er schmerzfrei.

Kurz darauf ging er wieder in seine Schule – und spielte als Center Fielder im Baseballteam!

Auf Wunsch der Sendung The Doctors ließen wir vor und nach der Behandlung eine fMRT-Aufnahme von Caseys Gehirn machen.16 In der medizinischen Fachliteratur gibt es jede Menge fMRT-Aufnahmen von Menschen, die an Schmerzen unterschiedlicher Schweregrade leiden. Aber es hatte noch nie jemand untersucht, wie das Gehirn eines Betroffenen nach einer Genesung von chronischen Schmerzen aussieht. Würden auf den Aufnahmen von Caseys Gehirn erkennbare Veränderungen zu sehen sein?

Einige Tage später rief mich der Radiologe an, der die fMRT-Aufnahmen von Caseys Gehirn gemacht hatte. „Das ist unglaublich“, sagte er. „Der Unterschied zwischen den beiden Aufnahmen ist erstaunlich.“ Er schickte mir sofort die Aufnahmen.

Caseys Gehirnaktivität vor der Behandlung (links) und nach der Behandlung (rechts)

Durch den Wunsch der Produzenten einer Tages-Talkshow hatten wir es mit der ersten fMRT-Fallstudie zur Überwindung chronischer Schmerzen zu tun. Als ich die enormen Unterschiede betrachtete, die auf den Aufnahmen von Caseys Gehirn vor und nach der Behandlung zu sehen waren, dachte ich: „Das Gehirn dieses Jungen könnte die Welt verändern.“

Ein neues Verständnis von Schmerz

Die Aufnahmen von Caseys Gehirn waren bemerkenswert. Zu sehen waren Veränderungen im medialen präfrontalen Cortex, im Nucleus accumbens und in der anterioren Insula. Diese Gehirnregionen haben zwei Dinge gemeinsam: Ihre Bezeichnungen klingen wie Zaubersprüche von Harry Potter,17 und sie sind allesamt an der Verarbeitung von Schmerzen beteiligt.18

Die Resultate, die bei Casey erzielt worden waren, waren faszinierend, aber bei ihm handelte es sich lediglich um eine einzelne Fallstudie. Waren die Veränderungen ein Zufall oder hatte das Schmerz-Verlern-Programm Caseys Gehirn tatsächlich neu vernetzt? Wir wussten, dass es nur eine Person gab, an die wir uns zur Klärung dieser Frage wenden konnten: den auf der ganzen Welt renommierten Neurowissenschaftler Tor Wager. In den zurückliegenden zehn Jahren hatte es im Hinblick auf das Verständnis von Schmerzen eine regelrechte Revolution gegeben und dabei hatte Tor Wager eine führende Rolle gespielt.

Jahrhundertelang haben Wissenschaftler das Gehirn als eine Art Blackbox betrachtet. Wir kannten die grundlegenden Funktionen: Das Gehirn empfängt Signale vom Körper, es erzeugt Gedanken und Gefühle und manchmal, zum Beispiel wenn wir Eiscreme zu schnell verschlingen, erstarrt es vorübergehend. Wir hatten sogar eine grobe Vorstellung davon, welche Bereiche des Gehirns wofür zuständig sind. Aber vor allem wussten wir, dass es eine sehr wichtige rosa-graue schwabbelige Masse ist.

Doch die fMRT-Technologie hat all das verändert. Dank fMRT-Aufnahmen wie denen von Caseys Gehirn können wir genau sehen, welche Bereiche des Gehirns in bestimmten Situationen aktiviert werden. Zum ersten Mal haben wir einen hervorragenden Blick auf dieses komplexe System, der uns ein ganz neues Verständnis von Schmerzen ermöglicht. Im Laufe des zurückliegenden Jahrzehnts wurden Tausende von fMRT-Studien durchgeführt, die sich mit unterschiedlichen Aspekten von Schmerzen befassten. Auch wenn es noch jede Menge zu erforschen gibt, haben diese Studien zu zwei wichtigen Erkenntnissen geführt.

Erstens hat sich herausgestellt, dass chronische Schmerzen sich komplett von kurzfristigen Schmerzen unterscheiden. Chronische Schmerzen äußern sich anders, reagieren anders auf eine Behandlung und beim Entstehen und Empfinden von chronischen Schmerzen sind sogar andere Bereiche des Gehirns19 beteiligt. In Kapitel 2 gehe ich darauf näher ein.

Zweitens sind Schmerzen etwas viel Komplexeres, als wir ursprünglich dachten. Es gibt nicht nur ein „Schmerzzentrum“ im Gehirn; fMRT-Studien haben ergeben, dass viele Bereiche des Gehirns beim Entstehen und Empfinden von Schmerzen beteiligt sind. Und wenn ich „viele“ sage, meine ich auch viele.

Das bringt uns zurück zu Tor Wager, der gezeigt hat, wie komplex Schmerzen sind. Dr. Wager setzte künstliche Intelligenz ein und analysierte Tausende von Gehirnaufnahmen. Er entdeckte ein einzigartiges Muster von Gehirnaktivität, wenn Menschen Schmerzen empfinden.20 An dieser „Schmerzsignatur“ sind 44 verschiedene Bereiche des Gehirns beteiligt. 44! Die Hälfte dieser Bereiche sorgen unter anderem dafür, Schmerzen zu verstärken, die andere Hälfte dieser Bereiche sind daran beteiligt, Schmerzen zu lindern.

Im Gehirn finden ganz klar einige sehr komplexe Verarbeitungsprozesse statt, um Schmerzen zu erzeugen, und niemand kennt sich damit besser aus als Tor Wager. Wir schickten ihm umgehend die Aufnahmen von Caseys Gehirn. Und in seiner Antwort wies er uns auf eine unglaubliche Möglichkeit hin.

Die Rückenschmerzstudie der University of Colorado Boulder

Wie es der Zufall wollte, war Dr. Wager gerade im Begriff, eine neue Studie über chronische Rückenschmerzen durchzuführen, und bei allen Teilnehmern der Studie sollten vor und nach der Behandlung fMRT-Aufnahmen des Gehirns gemacht werden.