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Was ist Heimat? Ein Ort, ein Gefühl, ein Duft, eine Erinnerung? Oder die Familie, die Freunde, die Landschaft? Die 28 Autorinnen und Autoren nähern sich dem Thema nachdenklich, historisch, biografisch, geografisch, fantastisch und sprachkünstlerisch. In den Geschichten und Gedichten reflektieren sie Kindheitserinnerungen, verknüpfen Alltagserlebnisse mit Geschichtlichem, betrachten das Thema philosophisch oder aus einem ganz anderen, überraschenden Blickwinkel. Mit Beiträgen von Sina Blackwood, Julia Brucke, Lenard James Cropley, Hannelore Crostewitz, Reina Darsen, Angelika Erdbeer, Radek Fridrich, Iris Fritzsche, Eveline Hoffmann, Andreas Knapp, Elwira Krupp, Grit Kurth, Anne Meinecke, Marlis Michel, Jonas Mucha, Ingo Neumann, Ligitta Nickel, Bärbel Niklas, Jan Oechsner, Martina Petschick, Lothar Pfüller, Wilfried Rumpf, Brigitte Schubert, Beate Seelinger, Horst Seidel, Friedemann Steiger, Katja Ullmann und Enno-Jörg Wetzel. Illustrationen von Katja Ullmann.
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Seitenzahl: 244
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Wege und Wurzeln
Anthologie
des Freien Deutschen Autorenverbandes
Landesverband Sachsen
Engelsdorfer Verlag Leipzig 2022
Ein herzliches Dankeschön gilt der Bürgerstiftung Dresden für die Unterstützung
Bibliografische Information durch die
Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https//dnb.de abrufbar.
„Meine rote Heimat“ mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht bei TRIGA-VERLA
Titel: „Visionen der Welt von morgen“
ISBN 978-3-95828-293-9 – erschienen am 22.02.2022
Copyright (2022) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren
Titelbild und Fotos © Katja Ullmann
Lektorat: Lenard James Cropley, Hannelore Crostewitz,
Carlos Ampié Loría, Katja Ullmann
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Hannelore Crostewitz
Unentrinnbar
NACHDENKLICHES
L.J. Cropley
Gedanke
Anne Meinecke
Aber an die Elbe muss ich immer
Iris Fritzsche
Heimatgedanken – Gedankenheimat
Julia Brucke
Was bedeutet Heimat für mich?
Wilfried Rumpf
Heimat 1
Brigitte Schubert
Meine Heimat
Hannelore Crostewitz
Gedanken über das Netz heimischer Fäden
Grit Kurth
Kein So-nett
L.J. Cropley
Blautöne
Brigitte Schubert
Verwurzelt
Ingo Neumann
Das Licht der Sterne
Eveline Hoffmann
Fremde
Reina Darsen
Fragen an die vorige Generation
Friedemann Steiger
Ens in se incurvatus
Zitate
Woran ich denke
Die wirkliche Genesis
Unsere Heimat ist im Himmel
Horst Seidel
Schattenzeichen der Mauersegler
Jan Oechsner
Jugend einst
Jonas Mucha
Ewig
Lothar Pfüller
Oh du mein Heimatland
Jan Oechsner
Meine Stadtflucht für immer
HISTORISCHES
Jan Oechsner
Wir Kinder
Martina Petschick
In der Lausitz erlebt: Janos unbequemer Stadtgang
Po wěrnym podawku we Łužicy: Kak je Jan do města šoł
Eveline Hoffmann
Feuerschein
Katja Ullmann
Der Friedensengel vom Altmarkt
Marlis Michel
Vaterland und Mutterkreuz
Ingo Neumann
Zur Straße hin hell, zum Garten hin dunkel
Dresden
Andreas Knapp
nachlass eines emigrierten
Grit Kurth
Im Mai
Elwira Krupp
Das Fichtenland
Eveline Hoffmann
Nachkriegskind
Grit Kurth
Zuhause, noch immer
Reina Darsen
Betroffenheit
Katja Ullmann
Hoch oben Storchenhorste
Hannelore Crostewitz
Eindrücke mit Nachdruck
Grit Kurth
Dialog
BIOGRAFISCHES
Andreas Knapp
der alte weg
Anne Meinecke
Rückkehr
Reina Darsen
Elend und Reichtum
L.J. Cropley
Draußen im Grünen
Eveline Hoffmann
Reif für die Insel
Ein Ossi in Britannien (Sommer 1991)
L.J. Cropley
Fazit
Bärbel Niklas
Abgeschottet
Katja Ullmann
Heimweh
Jonas Mucha
Liebe pur
L.J. Cropley
Dezember
In den Straßen von Chemnitz
Eveline Hoffmann
Orientierungslos
Jonas Mucha
Warum
L.J. Cropley
Zwei Musketiere
Beate Seelinger
Heimat in der Heimatlosigkeit?
Iris Fritzsche
Ein Stadtkind zieht aufs Land
Angelika Erdbeer
Fee und Trigger
Grit Kurth
Zweisiedler
Jonas Mucha
Aufgeben
Grit Kurth
Illusionen im September
Die Zöpfe meiner Mutter
Reina Darsen
Heimat, die ich meine
Horst Seidel
Dresden – kurz vor Sibirien
L. J. Cropley
Anfang und Ende
GEOGRAFISCHES
L.J. Cropley
Meeresabend
Anne Meinecke
Sylt – ein Mythos?
Enno-Jörg Wetzel
Im Darßwald
Garten
Barockgarten Großsedlitz (1)
Barockgarten Großsedlitz (2)
Lothar Pfüller
Warum das Erzgebirge nicht größer ist
Sina Blackwood
Il mio cuore batte italiano
Enno-Jörg Wetzel
Il Lago del silenzio – Der See der Stille
Ligitta Nickel
Baltischer Tanz
FANTASTISCHES
Ligitta Nickel
Herbsttanz
Radek Fridrich
Krevker
Jonas Mucha
BÄUME
Enno-Jörg Wetzel
Leidenschaft
Eveline Hoffmann
Alice ohne Wunderland
L.J. Cropley
Ein Sommerabend
Ligitta Nickel
Holunder- und Lindenblüten
Poetisches
Jonas Mucha
Lieblingsplage
Wilfried Rumpf
Meine rote Heimat
SPRACHKÜNSTLERISCHES
Bärbel Niklas
Kunterbunt wie das Leben
L.J. Cropley
Die Alte
Jonas Mucha
Die Lärche mit der Lerche
Enno-Jörg Wetzel
Vom Glück
L.J. Cropley
Schwimmen gegen den Strom
Friedemann Steiger
Wo ist meine Heimat?
L.J. Cropley
„Hallelujah!“
Lothar Pfüller
Heimatgefühle
Dor neie Teppsch
Dor Durchfall
Dor Schatz unnern Bahm
ANHANG
Biografische Hinweise
Heimat – du Allerweltskittel
Der kaum abzulegen ist
Hier offen getragen, da auf Maß gearbeitet
Sitzt eng du oft wie eine zweite Haut
Heimat – du Allerweltskittel
Abgesteckt im altbewährten Muster
Kommst gar mit Kleinkariertem klar
Bist Blende, Sitte, sprachlich kultiviert
Bist Land, Ort, Gegend. Nah oder fern
Mit Taschen voll vergrabenen Fundes
Hast versäumt, davon Gebrauch zu machen?
Nie! Heimat – du Allerweltskittel
Niemand kennt
des ander‘n Weg
Der Morgen gleicht
dem Abend
Und Antworten,
die ich dir gab,
verlangten
keine Fragen
Schwarze Wolken über den sanierten Häusern zwischen Coswig und Radebeul, gleich wird das Unwetter losbrechen. Die ersten schweren Tropfen klatschen schon ans Zugfenster. Blitze zucken über den Weinbergen. Vor über vierzig Jahren schien die Sonne und ich war sehr froh, endlich meine für mich zu kleine sächsische Kreisstadt am Fuße des Erzgebirges hinter mir zu lassen. Endlich frei! Nicht mehr zwischen den Bergen und den vorgefassten Meinungen eingesperrt. Weite hatte ich nun genug zwischen den einzelnen Wohnblöcken in der wieder aufgebauten Altstadt. Diese weiten Wege ohne Informationszugewinn. Da bin ich lieber auf den Elbwiesen vom Blauen Wunder bis zur Brühl‘schen Terrasse gelaufen, durch den Großen Garten spaziert oder mit der Standseilbahn auf den Weißen Hirsch gefahren. Herrlich, der Blick von der Terrasse des Luisenhofes auf die große Stadt. Sie war schön, aber ich habe mich hier nicht zu Hause gefühlt.
Inzwischen ist mein Zug im Hauptbahnhof angekommen. Das Gewitter hat sich verzogen. Über die Prager Straße spannt sich ein verblassender Regenbogen. Die Springbrunnen sind noch da, aber sie dominieren nicht mehr. Damals saßen wir gern an ihrem steinernen Rand, oft mit einem Eis in der Hand. Heute überwiegen die neugebauten Konsumtempel und die Straße ist beliebig geworden. Jetzt ist es sicher einfacher, spontan essen zu gehen. Früher mussten wir lange warten, bis wir endlich platziert wurden. Selbst vor dem Kino standen wir immer nach Karten an.
Jetzt laufe ich weiter, am frisch renovierten Kulturpalast vorbei. Gut, dass er nicht wie der Palast der Republik in Berlin abgerissen wurde. Den Neumarkt dominiert die Frauenkirche. Ich hätte den Trümmerberg, auf den der kopflose Luther blickte, als Mahnmal erhalten. Wäre das nicht ein viel stärkeres Antikriegssymbol gewesen? Wir hatten Gänsehaut, als an jedem 13. Februar um 21.45 Uhr, dem Zeitpunkt des ersten Fliegeralarms vor dem Angriff, alle Kirchenglocken der Stadt läuteten. Wir standen auf den Elbwiesen und spürten die beklemmende Atmosphäre. Erst 2005 wurde das Nagelkreuz aus Coventry an die Frauenkirche übergeben. Ob Versöhnung auch ohne Wiederaufbau möglich gewesen wäre?
Ich gehe weiter zu dem Schloss, der Semperoper und dem Zwinger. Damals gab es nur den wieder errichteten Zwinger als barocke Oase. Heute ist es ein stimmiges Ensemble. An einem regnerischen Novemberabend hätte ich mir im trüben Schein der alten Laternen vorstellen können, dass gleich die Königskutsche um die Ecke biegt. Es ist immer noch die alte Residenzstadt.
Inzwischen bin ich auf der Brühl‘schen Terrasse angekommen. Ich setze mich auf eine Bank und betrachte das gegenüberliegende Ufer. Warum fühle ich mich in Dresden immer noch nicht zu Hause? Immer noch eingesperrt, diesmal im Talkessel und keine weite Sicht? Oder ist es das Lebensgefühl? Hier ist es schwierig, nach 21.00 Uhr noch etwas auf dem Bahnhof zu essen. Und die barocken Gebäude erinnern mich eher an die Vergangenheit und nicht an die Gegenwart, an einen König und nicht an freie Bürger. Ich glaube, es wird nie meine Stadt. Aber an die Elbe, auf die Brühl‘sche Terrasse, muss ich immer gehen.
Kontinent – Land – Stadt – zuletzt nur noch Haus mit Garten, wird unsere Welt immer kleiner? Merkwürdige Gedanken gehen durch meinen Kopf. Und plötzlich tönt „Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ durch den Raum. Wo kommt denn das auf einmal her? Ich drehe mich um und hinter mir steht meine Enkeltochter. Sie hat gerade die Internet-Seite „Jugendlieder aus der DDR“ entdeckt. Beim Abspielen grinst sie fröhlich vor sich hin. Als sie mich bemerkt, dreht sie sich um. „Oma, habt ihr so etwa wirklich gesungen?“, fragt sie. „Kannst du noch welche davon?“ Ich nicke. „Viele davon. Manchmal fehlt allerdings ein Stück Text. Dann trällere ich nur die Melodie mit. Aber das Lied von der Heimat, welches du gerade abgespielt hast, kenne ich noch recht gut.“ Sie staunt. Immerhin ist das ja schon eine halbe Ewigkeit her, seit wir das in der Schule gesungen haben. Doch gerade dieses Lied hatte ich immer sehr gemocht. Es gab mir ein Gefühl von Stolz, Freiheit und es roch irgendwie nach reifem Getreide. Jedenfalls für mich. Und heute? Ja, wir können die Welt bereisen oder ihre Bilder in Fernsehen und Internet anschauen. Aber dieses Heimatgefühl kommt dabei eigentlich nicht auf. Die Kleine hat mich nachdenklich werden lassen. Was ist eigentlich meine Heimat? Und wo? Ich habe mal in einem Buch gelesen, Heimat ist da, wo man sich sicher und geborgen fühlt. Es ist ein Gefühl! Tief in uns drin. Manchmal ist es der Ort, in dem wir aufgewachsen sind, manchmal ist es aber auch der Schreibtisch, an dem meine Geschichten entstehen. Nichts ist so wandelbar wie Gefühle! Derzeit ist meine Heimat der Lebensraum eines jungen Drachen, der erst Freunde und später hoffentlich seine Eltern findet. Letzteres weiß ich aber noch nicht so genau. Das entscheidet sich erst im weiteren Verlauf der Geschichte. Dabei erkunde ich die Gegend ebenso wie mein Drachen, lasse die Gedanken einfach fließen und staune mitunter, was dabei entsteht. Trotzdem, meine reale Heimat ist hier in Deutschland! Und auf Grund der derzeitigen Kontaktbeschränkungen durch ein schlimmes Virus ist es ein Haus am Rande der Stadt mit einem Garten ringsherum. Dort wohnt meine Tochter mit ihrer Familie, sonst hätte meine Enkeltochter mich nicht wegen der Lieder fragen können.
Ich entdecke gerade meine Liebe zur Natur neu, jäte Unkraut und lausche den Vögeln. Manchmal erspähe ich einen der kleinen Piepser. Dann versuche ich, mich zu erinnern, ob es ein Rotkehlchen oder ein Grünfink ist. Man hat so viel gelernt. Doch bei jahrelangem Nichtgebrauch geht vieles aus dem Gedächtnis verloren. Dafür stopfe ich andere Erinnerungen hinein. An meine vielen Reisen, lustigen Erlebnisse und die fremde Natur in der Ferne. Ich bin nun mal eine alte Reisetante! Aber trotzdem komme ich immer wieder gern zurück. Es gibt dann stets viel zu erzählen und jede Menge Bilder zum Angucken.
Wie ich so vor mich hin träume, reißt mich meine Enkelin in die Wirklichkeit zurück. „Omi, Mutti hat eine Frage wegen den Gewürzen. Komm doch mal bitte mit in die Küche.“ Tja, ausgeträumt.
Ein Ort? Ein Gefühl? Oder vielleicht eine Person? Heimat ist all das und noch so vieles mehr. Es kann ein ganzes Land sein und dann wieder nur eine kleine Wiese. Deutschland ist meine Heimat. Hier bin ich geboren, hier lebe ich und hier bin ich zu Hause. Geboren in Halle (Saale), aufgewachsen in Eismannsdorf, groß geworden in Rodishain und Stempeda. Später zurückgekehrt nach Halle. Müsste ich mich für einen dieser Orte entscheiden, so könnte ich es nicht. All diese Städte und Dörfer sind ein maßgebender Teil meiner Heimat. Ich habe bereits in so vielen gelebt und mich in jedem zu Hause gefühlt. Doch liegt das an den Orten selbst oder vielleicht an den Menschen, mit denen ich dort zusammen war? Meine Familie, meine Freunde. Kann eine Person eine Heimat sein? Wieso nicht? Wer schreibt uns vor, was oder wen wir als unsere Heimat anzusehen haben? Der Duden? Das Internet? Das Wort selbst? Es ist viel mehr als nur ein Begriff, es ist etwas Selbstverständliches. Jeder Mensch, jedes Tier, selbst jede Pflanze und jeder Pilz haben eine Heimat. Und für jedes Wesen ist es etwas anderes. Für mich ist es der Geruch von Omas frisch gebackenen Butter-Mandel-Plätzchen oder der Nachbarshund, der nachts so laut bellt, dass ich aus dem Schlaf aufschrecke und genervt die Augen verdrehe, mich umdrehe und weiterschlafe. Heimat bedeutet für mich die Vertrautheit, die ich empfinde, wenn ich meine beste Freundin umarme oder mit meiner Mama abends im Bett liege und nicht mehr aus dem Lachen herauskomme, weil meine kleinen Geschwister sich unter dem Bett versteckt haben und sie noch nichts davon weiß. Heimat ist ein Rückzugsort, an den ich gehen kann, wenn es mir mal schlecht geht, an dem ich meine Ruhe habe und einfach gut entspannen kann.
Der Herbst, der sich momentan in voller Blüte zeigt, gehört ebenso dazu. In dieser Jahreszeit wurde ich geboren und fühle mich am wohlsten. Wenn die Blätter sich verfärben und die Kastanien von den Bäumen fallen. Wenn die Hirsche röhren und die Igel durchs Laub flitzen, auf der Suche nach einem Platz, um den kommenden Winter zu überstehen, dann sitze ich eingekuschelt in meiner grauen Sternchendecke in meinem Sessel, trinke meinen Lieblingstee und lese ein schönes Buch. Blicke ich weiter auf das Gegenüber, kann ich zusehen, wie der Tag sich dem Ende neigt und die Sonne hinter den Dächern der Häuser verschwindet und den Himmel in ein abendliches Rot taucht.
All das ist Heimat für mich. Für dich ist es vielleicht etwas ganz anderes.
Heimat: Wurzel, Wiege, Elternhaus, Zuhause
Vaterland, Heimatliebe, Nationalstolz
Bürger, Zusammengehörigkeitsgefühl, Alteingesessene
Heimat: Ubi bene, ibi patria
„Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.“ (Novalis)
„Heimat ist dort, wo die Rechnungen ankommen.“ (Heiner Müller)
Ich wurde in Berlin gezeugt, in Guben geboren, floh mit meiner Mutter vor den Russen nach Heidelberg, lebte kurz in Bonn, dann drei Jahre in Dublin (mein Vater war im diplomatischen Dienst), dann wieder einige Zeit in Bonn, dann meine formativen Jahre von 16 bis 20 in Italien (wo ich die Deutsche Schule besuchte und das Abitur machte), habe von 1963 bis 1978 in Heidelberg studiert, gewohnt, geheiratet, eine Familie gegründet und lebe seit 1978 in Schriesheim – wo ist meine Heimat? Ich spreche keinen Dialekt, habe also auch keine sprachliche Heimat.
In meiner Zeit in Italien saugte ich das Land sozusagen auf, Geschichte, Kultur, Sprache. Ich sprach Italienisch so gut, dass Süditaliener mich für einen Norditaliener hielten. War nun Italien meine Heimat?
Ähnlich erging es mir in Wales, wo wir die Familie einer Brieffreundin meiner Frau besuchten. Ich hätte mir vorstellen können, dort zu leben. Wäre dann Wales meine Heimat geworden? Die meiner Kinder? Kann man sich eine neue, eine Wahlheimat suchen? Ist das dann auch eine Heimat?
In Schriesheim traf ich in den 80er Jahren einen Geschäftsmann, der kurz nach dem Krieg in diese Stadt gekommen war. Er war immer ein „Reingeschmeckter“ geblieben. War Schriesheim seine Heimat?
Ist „Heimat“ nicht ein Begriff, den man eher mit alten Menschen in Verbindung bringt, weil er für sie so wichtig ist? Passt er nicht eher in eine alte, statische Zeit geringer allgemeiner Mobilität?
„Heimat“ ist zurzeit (Februar 2019) Thema auf der Berlinale. Handelt es sich hierbei um ein kurzes Wiederaufflackern oder um eine Neuentdeckung? Warum gibt es diesen Ausdruck nicht in den anderen europäischen Sprachen?
„Heimat“ ist ein schwieriger Begriff, oft ideologisch überformt, oft instrumentalisiert, oft aufgeladen, „wahrhaft in Grund und Boden debattiert“ (Katja Nicodemus in der ZEIT vom 07.02.2019). Er ist offen für Widersprüche und man kann ihn nicht gänzlich aufklären. Er ist subjektiv und individualistisch.
Passt der individualisierende Begriff „Heimat“ überhaupt noch in unsere Welt und Zeit? In unsere globalisierte Zeit, in unsere Zeit gesteigerter Mobilität?
In der politischen Diskussion tauchen immer öfter die Begriffe „Region“ und „Regionalisierung“ auf, auch um nationales Denken zu überwinden. So ist zum Beispiel die Region beiderseits des Oberlaufs des Rheins eine geografische Einheit, die die Teilung in zwei Nationen überwindet und einer supranationalen Behandlung bedarf. Auch Probleme, wie die Klimaerwärmung, weisen der Heimat eine weniger bedeutende Rolle zu.
Wie nannte sich neulich ein Bürger unseres Landes: „Ich bin ein Deutscher, ein Europäer und ein Bürger dieses Planeten“ – also ein „Terraner“, wie wir Erdenbürger schon in den 60er-Jahren in der SF-Serie „Perry Rhodan“ genannt wurden. Von der ISS aus sieht man nur Terraner.
H istorie
E instellung
I dentität
M entalität
A nkunft
T rauer
Historie:
Meine Heimat hat eine lange Geschichte. Sie ist nicht nur eine Ortsangabe oder ein Gefühlsausdruck, sie hat für mich ein lebendig gehaltenes Gestern.
Ich tauche gern in längst Vergangenes, Sagenhaftes, Vergessenes, Wiederentdecktes, Interessantes ein. Stets ist die Geschichte auch zukunftsweisend. Es ist der Lauf der Zeit.
Ich möchte Altes bewahren und weitergeben.
Einstellung:
Meine Einstellung legt den Fokus auf die Wurzeln. Ich suche nach Geborgenheit, nach dem, was mich geprägt hat. Meine inneren Bilder sind mein inneres Erleben.
Eltern und Oma haben mich erzogen und zu dem gemacht, was ich heute bin.
Meinem Enkelmädchen werde ich davon erzählen.
Identität:
Von Kindheit an gesucht und meinen Platz gefunden. Ich fühle mich wohl in meiner Haut – ein gutes Gefühl. Ich lebe in einer Gemeinschaft und nicht allein, bin trotzdem ein Individuum.
Meine Familie ist mein Dreh- und Angelpunkt. Hier darf ich sein, wie ich bin.
Mentalität:
Ich liebe es gemütlich. Bin manchmal aufbrausend, wenn der berühmte Stein ins Rollen kommt, oder ganz still und leise. Lasse gern andere reden. Ich mag keine verkniffenen Gesichter und wende mich lieber der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter mich. Mein Herz schlägt sächsisch und das mache ich gern mundartlich klar.
Ankunft:
Nach einer langen Reise, den Unternehmungen oder dem Tageslauf die Wohnungstür aufschließen, den Alltag abfallen lassen, auf mein Küchensofa plumpsen und eine feine Knackwurst-Bemme essen. Glücklich und zufrieden sein.
Trauer:
Ich habe geliebte Menschen und Vierbeiner verloren. Kann nicht mehr zu ihnen.
In meinen Gedanken sind sie aber immer noch bei mir. Ich spreche mit ihnen und umarme sie.
Mit der Heimat ist das so eine Sache. Es beginnt damit, dass sie die Geborgenheit in sich trägt, was ja das Bestimmungswort „Heim“ aussagt, während es sich noch das Suffix „at“ angehängt hat. Hier stelle ich mir vor, es könnte gut für „attestieren“ stehen. Schließlich sollte jedem Menschen ein Heim attestiert werden.
***
Da ist der Taxifahrer, ein Mittfünfziger, der uns vom Flughafen abholt, ein schlanker, drahtiger Mann, die gewellten, dunklen Haare mit leichtem Ansatz von Grau. Über die Frage nach unserem Urlaubsland kommen wir auf seine Herkunft zu sprechen. Aus Armenien stammt er, der nun euphorisch berichtet, dass die Deutschen dort, bei ihnen, einen guten Ruf hätten, da vieles, was in all den Jahren dort geschaffen worden sei, wieder baufällig wurde oder zerstört. „Aber was die Deutschen gebaut haben, das nicht, das bleibt. Drei neue Brücken haben sie in unserer Umgebung in den letzten dreißig Jahren gebaut. Alle müssen schon wieder erneuert werden. Hier geht was kaputt, da fault was durch. Aber die deutsche Brücke von damals, die hält und hält.“ Hebt den rechten Arm und versetzt seinem Lenker von rechts oben einen Schwung, grad so, wie die Kurve verläuft. Blickt uns an und lächelt, als stecke etwas von diesem Deutsch in ihm, zugleich jedoch entschuldigt er sich: „Mein Deutsch ist nicht so gut. Mein Sohn studiert hier und nervt, ich muss mehr die Sprache lernen, Grammatik und so. Weiß nicht, hat ja Recht, aber ich sage immer zu ihm: ‚Lerne nur du das gut, für mich und mein Taxifahren ist genug‘.“ Er zwinkert uns zu. Ach, was macht es schon, wenn da mal ein Wort fehlt? Wir erfahren noch, dass er selbstständig ein kleines Unternehmen besitzt und zwei weitere Taxis für ihn unterwegs sind.
Berührt muss ich an das Schicksal der Armenier denken und es verhaftet sich in meinem Kopf, dass es Brücken gibt, die halten und halten.
***
Die Heimat meiner Schwiegermutter war stets Ostpreußen. Da hatte sie als eines von vier Geschwistern Kindheit und Jugend zugebracht, was so einprägsam gewesen sein muss, dass sie die dortige Schönheit der Natur bis ins hohe Alter hinein pries. Nun mag man vielleicht einwenden, im Alter verklärt sich manches, doch eins ist sicher: Wäre der Krieg mit seinem Elend und Ende nicht gekommen, hätte sie dieses Fleckchen Erde gewiss nicht verlassen. So aber erwies sich das vermeintliche Unglück, nicht mehr auf die „Gustloff“ gekommen zu sein, weil die überfüllt war, bald schon als ihr Glück: Der Kohlenschipper, der sie schließlich über die Ostsee brachte, brauchte zwar ganze drei Wochen, ging aber nicht unter wie die „Gustloff“. Was wiederum dazu führte, dass sie nie mehr in ihrem ganzen Leben eine Schiffsreise machte.
Als sich die junge Frau, die ihre Lehre in der Heimat nicht zu Ende bringen konnte, nun in Leipzig eine zweite Heimat hat aufbauen wollen, waren die Vertriebenen nicht gern gesehen. Die Wohnung? Eine Dachbodenbox, in der sich alles abspielte. Hunger und Not standen Pate. Falsche Moralvorstellungen auch. „Nie“, so sagte sie öfter, hätte sie auch nur einen Kohlkopf vom Feld gestohlen, war das Magenknurren auch noch so groß. „Du darfst nicht stehlen“, war in ihr fest verankert, in Fleisch und Blut übergegangen wie die Heimat. Und so war sie mit den Jahren zu einer Frau geworden, die hart im Nehmen war, sechs Kinder großzog und ständig Möbel rückte, weil doch nie der passende Platz für die Stücke zu finden war. Eine Frau, die für ihre Kinder und das ausgemachte einwandfreie Leben durchhielt, die selbst voller Unruhe und ohne jegliche Entspannung war. Und stets „unter Strom“ stand.
Vielleicht fehlte ihr die Heimat einfach zu sehr.
***
Menschen gibt es, die lieben ihre Heimat derart, dass sie irdisch sogar fast dinghaft mit ihr verhaftet sind. Sie leben dort, wo schon ihr Vater, Großvater, Urgroßvater und die Väter davor – wer weiß, bis in welche Generation das zurückgeht – einst gelebt hatten. Sie treten nie hinaus in irgendwelche Unwägbarkeiten. Kennen jeden Baum, jeden Strauch und jeden Grashalm, wissen um die Höhenluft, um Kult und Tradition und auch, woher der Wind weht. Hier, bei ihnen, hat Bestand, was besteht. Und die Frau, die da einheiratet, teilt alles das auch.
Dem schönen Blick wird gehuldigt, doch ist er immer derselbe. Der Tagesablauf auch, das möchte sein – wo jede kleinste Veränderung so etwas wie Operation, Risiko, Eingriff bedeuten könnte. Wenn sie nicht gar als Attacke gegen die heimatliche Heiligsprechung empfunden wird.
Mein Ding wäre das nicht. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
***
Bisweilen gibt es mehrere Stätten, die einem alle in gewisser Weise Heimat sind: der Ort der Geburt, die Gegend, in der man aufwächst, oder jene Stadt, die an die erste Liebe oder ein anderes unvergessenes Ereignis erinnert. Scheint es uns nicht oft, als ob Sprache, Dialekt und Mentalität gewisser Menschen in einem sofort die alte Sehnsucht freilegen? Mir jedenfalls ergeht es so, dass ich, sobald ich in meiner Heimatstadt Wittenberg bin, den Sachsen-Anhalt-Dialekt spreche, grad so, als hätte ich niemals zum Sächsischen gewechselt. Hat da vielleicht jemand einen Schalter in mir umgelegt? Mein Mann amüsiert sich stets aufs Neue. So etwas kennt er nicht. Ist seiner Stadt treu geblieben. Ist kein solches Wechseltierchen.
Auszumachen ist die Heimat noch an weit mehr Dingen: an regionalen Gerichten, die man vielleicht übernimmt und weitergibt, an Pflanzen und Tieren, die nur dort so sind, wie sie sind, und – nicht zu vergessen – sind es bestimmte Gerüche, die Menschen mit ihrer Heimat verbinden. Für den Einen sind es der Fliederduft oder die Maiglöckchen, für den Anderen der Stalldung oder der Geruch von warmer Erde, ein Dritter behält die Meeresbrise für immer in der Nase. Es ist ein Kommen und Gehen von eigenen heimatlichen Bezügen, die Erinnerungen freisetzen, einen beflügeln oder andere Wege gehen lassen. Die aber immer, wenn in ihrer Fülle auch unwiederbringlich, zu einem gehören.
Als ich von meiner Heimat nur träumte,
war sie so schön wie eine Geliebte.
Umschlang mich mit Weidenruten und lachte
mir Apfelbaumblüten ins Haar.
Ein gnädiger Kuckuck rief wieder und wieder
in lindgrünen Blättern mein Schicksal mir zu.
Behaglich streckte die Lichtung sich aus,
auf der all das wogte und stand.
Dann wachte ich auf.
Noch immer skandierte ein Schwarzwälder Kuckuck.
Stakkato-Parolen im schlaftrüben Hirn.
Schreiheiseres Stimmvolk vor meinem Fenster.
Ich rollte die Läden ratternd herab.
Stickig umfing mich tiefdunkle Ruhe
im viel zu verschlossnen Verlies.
Draußen weht ein kühler Wind
Schnell gleite ich ins Tropenwarme
Schwimme leise
Langsam voran
Ihr spritzt, tobt, lacht
Und ich höre euch gern zu
Klarblaues Wasser
Dunkelgraue Wolken
Tausend kleine Tropfsteinsäulen
Geformt für den Moment
Ihr spritzt, tobt, lacht
Und ich sehe euch gern zu
Vergessend, was war und ist
Fühle ich das warme Nass
Das mich zum ersten Mal
wirklich weiter trägt
Heimat
mein Geburtsort
alt, jung, bunt
das pulsierende Leben lockt
Tagträume
Heimat
oft Wanderurlaub
laufen, laufen, laufen
die ungestörte Natur erleben
Verwurzelt
Heimat
meine Sprache
nu gugge da
wie cool ist sächsisch
Mohdschegiebschen
Gedanken aus einem Brief an Anne
… Es braucht nicht viel, um mich in die „Alltäglichkeit in der DDR“ zurückzuversetzen. Wie dicht das alles auch für mich unter der Oberfläche liegt, merke ich am deutlichsten, wenn ich morgens mit einem Pionierlied aufwache, von denen ich noch – leicht übertrieben – hunderte mit allen Strophen auswendig kann.
Sofort fällt mir ein Lied ein, das „drüben“ einmal im Radio lief. Wir haben es in der Schule nie gesungen: „Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer …“ Vielleicht hatte ich es nur einmal gehört und dann war es verschollen. Verrückte Idee: Eventuell lässt es sich durch das Internet wiederfinden. Ich gebe ein: „unsre“. Und o Wunder! Dieses eine Wort reicht schon und es erscheint eine Wikipedia-Seite mit dem kompletten Liedtext und einem Kommentar dazu. Aber nicht nur das. Bei YouTube finde ich mit „Pionierlieder – Unsre Heimat“ einen Jugendchor noch aus DDR-Zeiten, der dieses ganze Lied singt! So, wie ich es in Erinnerung hatte. Und das Interessanteste dabei, die Kommentare der Hörer:
„Jedes Mal wenn ich dieses Lied höre, kommen mir die Tränen, weil es diese Heimat leider nicht mehr gibt. Mir ist es hier einfach zu kalt.“
„Da wird einem so richtig bewusst, was wir für 100 DM Begrüßungsgeld aufgegeben haben.“
„Mein Vaterland, mein Mutterland war die DDR, und ich habe dieses Land geliebt, wie man Vater und Mutter lieben soll, denn dieses Land hat für seine Bürger gesorgt …“
„DAS sollte die deutsche Nationalhymne sein!“
Diese Liebeserklärungen rühren mich nun wieder – weil ich sie verstehen kann und trotzdem ratlos bin.
Aber nun kommt noch eine zweite Entdeckung: Aus der Kriegszeit habe ich noch die Wunschkonzerte für die Deutsche Wehrmacht in Erinnerung – so, wie ich das in MEINE MILITSCHER JAHRE beschrieben habe. Die dunklen Sonntagnachmittage.
Also suche ich im Internet nach: „Heimat, deine Sterne“ und höre in Sekundenschnelle die Originalmelodie von 1944.
Und auch hier wieder Kommentare der Hörer:
„Auf unsere Soldaten lasse ich nichts kommen! Mein Opa war selbst kleiner Gefreiter der deutschen Wehrmacht. Aber er war kein Verbrecher, sondern schwer in Ordnung.“
„Ich bin 17 Jahre alt und höre sehr gerne die alten Lieder, man sollte sie auch wieder in der Schule singen. Kenne auch sehr viele von meinem Opa. Finde es sehr schade, dass man immer ein Nazi ist, wenn man die alte Musik in meinem Alter hört.“
„Das ist auch heute noch wunderschöne Musik, die ihresgleichen sucht. Das hat nichts mit Krieg zu tun …“
Auffällig die Brücke zwischen Enkel und Großvater. Wie kommt es, dass diese Musik – die ja wirklich erst einmal nichts mit Krieg zu tun hat – heute bei vielen solche Resonanz hat. Gehört auch das zur „neuen Alltäglichkeit in der (alten) DDR“?
Wo ist meine Heimat? In der Bonner Kirchengemeinde, in der ich von 1978 bis 1993 Pfarrer war und wo ich weiter regelmäßig zum Gottesdienst gehe, weil die Nachfolger weiterdenken, was ich angefangen habe? Und wo ich im Chor singe, als einer von 100 Sängerinnen und Sängern.
Aber ich würde das Wort HEIMAT dafür doch nicht gebrauchen. Eine moderne katholische Bibelübersetzung setzt das Wort an eine Stelle, wo es genau genommen gar nicht hingehört: „Unsere Heimat aber ist im Himmel“. Das gefällt vielleicht unserer deutschen Seele, ist aber unpolitisch. Der griechische Urtext schreibt an dieser Stelle: „Unser Bürgerrecht aber haben wir in den Himmeln“. Das klingt städtischrepublikanisch. Jedenfalls politisch. In der Kirche Bürgerrecht zu haben – das gefällt mir schon besser!
Gestern Morgen bin ich mit dem Lied der Thälmann-Bataillone aufgewacht und bin es bis heute nicht mehr losgeworden. „Rührt die Trommel, fällt die Bajonette!“ Das hat mich heute Morgen auf ein paar merkwürdige, schöne Gedanken gebracht. Dieses Lied (wir waren in Gebesee/Thüringen in der 8. Klasse 1951 die Pioniergruppe „Ernst Thälmann“) verbindet ja Heimat und Sterne. Aber auf eine spannungsvolle Art: Im Refrain wird fast klagend gesungen: „Die Heimat ist weit“. Aber eröffnet wird das Lied mit einem Blick in den Sternenhimmel: „Spaniens Himmel breitet seine Sterne über unsere Schützengräben aus, und der Morgen leuchtet aus der Ferne …“
Du fragst: „Aber wo ist meine Heimat?“ Die „Stjernenatt“ von Edvard Munch (Übersetzung: Sternennacht, Gemälde von ca. 1920) und der spanische Himmel haben mich auf den Gedanken gebracht, ob nicht da meine Heimat ist, wo das Licht der Sterne mich erreicht. Gerade unter der unendlichen Weite des Sternenhimmels wird mir das Stückchen Erde, auf dem ich stehe, zur Heimat.
Das war ja auch das Erlebnis der Astronauten, dass ihnen beim Blick vom Mond auf die blaue Erde diese plötzlich als Heimat lieb und kostbar wurde. Ich glaube: Unter diesem Niveau können wir heute Heimat nicht mehr denken! Und da finden sich Astronomen und Theologen zusammen.
Meine Enkelin Valerie (knapp vier Jahre alt) gibt mir nach einem Ballspiel ihren leicht angeknautschten blauen Ball, einen kleinen Globus. Sie zeigt auf die Pole und erklärt mir: Da im Norden wohnen die Eisbären und da, am Südpol, die Pinguine. Und in Afrika, woher ihr Kita-Freund kommt, da in der Nähe wohnen wir. Also: Die Sternbilder, allen voran der Orion, vermitteln mir Heimat im Weltall. Valerie fängt schon jetzt an, ihre Heimat auf dem Globus zu suchen und zu finden.
Fremde
Ist nicht
Das ferne Land,
Dessen Sprache du sprichst.
Fremde ist
Nur ein paar S-Bahn-Stationen weit
Das erste Hallen deiner Schritte
Am Morgen
Auf blankgeputzten Arbeitsamtkorridoren.
Fremde