Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Weihnachtswunder: Fünf Geschichten, die das Herz berühren Entdecken Sie eine Sammlung von fünf außergewöhnlichen Weihnachtsgeschichten, die Sie zum Staunen, Lachen und Nachdenken bringen. Jede Geschichte fängt auf ihre Weise die Wunder der Weihnachtszeit ein und zeigt, wie selbst das Unerwartete unser Herz erwärmen kann. Weihnachten im Tresor: Inmitten eines dunklen Tresorraums finden fünf Menschen und ein wundersamer Gast in der Weihnachtsnacht etwas, das ihr Leben für immer verändern wird. Eine Geschichte über die unerwarteten Geschenke, die das Leben bereit hält. Weihnachten 2.0 - Ein unrealistisches Krippenspiel mit Engelin: Was wäre, wenn die Weihnachtsgeschichte heute erzählt würde? Von einem Improtheater, das noch nie vorher gespielt hat? In dieser skurrilen Erzählung mischt ein Engel die Welt der modernen Technik auf - eine unkonventionelle Hommage an die traditionelle Weihnachtsgeschichte. Wie der Eichenbaum in die Kirche kam und warum Marie zweimal Weihnachten feierte: Eine bewegende Geschichte über ein kleines Mädchen, das Bäume liebt, aber schwer erkrankt. Eine ganze Stadt feiert deshalb mit Marie Weihnachten vier Wochen früher. Ein alter Eichenbaum wird dabei zum Symbol der Kraft ihres Glaubens. Wie der Affe in den Stall von Bethlehem kam: Ein ungewöhnlicher Besucher am Heiligen Abend. Diese humorvolle Geschichte erinnert uns daran, dass Weihnachten nicht nur für Menschen ist, sondern dass alle Lebewesen an diesem Fest der Liebe teilhaben können. Von den besonderen Ereignissen in der Nacht des 24. Dezember 1941 in Berlin: Mitten im Krieg, in einer von Dunkelheit und Angst geprägten Zeit, erstrahlt an einem Weihnachtsabend ein Licht der Hoffnung. Diese Geschichte - nach einer wahren Begebenheit - zeigt, wie der Geist von Weihnachten selbst in den schwersten Zeiten das Herz berühren kann. Erleben Sie ein Weihnachtsfest voller Wunder, unerwarteter Wendungen und berührender Momente - diese Sammlung zeigt, dass Weihnachten nicht nur eine Zeit, sondern ein Gefühl ist, das uns alle verbindet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Eins
Weihnachten im Tresor
Zwei
weihnachten 2.0 - ein unrealistisches krippenspiel mit engelin
Drei
Wie der Eichenbaum in die Kirche kam, und warum Marie zweimal Weihnachten feierte
Vier
Wie der Affe in den Stall von Bethlehem kam
Fünf
Von den besonderen Ereignissen in der Nacht des 24. Dezember 1941 in Berlin
„In der Theologie ist es ja so, dass oft gesagt wird, es ist eine Auszeichnung des Menschen, dass Gott Mensch wird. Ich würde eher das Gegenteil vermuten, es ist eigentlich eine Notaktion, weil der Mensch… im Begriff ist, die irdische Schöpfung kaputtzumachen, und deshalb wäre Weihnachten wichtig.“
Kurt Marti (1921 - 2017)
Schweizer Pfarrer,
Schriftsteller und Lyriker
Weihnachten selbst wäre schon Wunder genug. Doch in der Weihnachtszeit geschehen immer wieder neue Wunder, so erzählen es zumindest manche Menschen. Sie sagen, es sei wie ein Wunder gewesen. Vielleicht auch einfach nur wunderbar. Oder etwas Besonderes. Auf jeden Fall an Weihnachten.
Unzählige Weihnachtsgeschichten zeugen davon – außer der einen, der aus dem Lukasevangelium1. Diese Geschichte ist großartig, aber eher nüchtern: „Sie gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“ Fertig.
Das ist den Menschen schon immer zu wenig gewesen. Sie wollten sich dieses Wunder besser vorstellen, tiefer verstehen können. Immerhin heißt es doch, der Sohn Gottes sei auf die Welt gekommen, weil er die Menschen liebt. Warum er allerdings als kleines, schwaches Baby kam, bleibt uns wahrscheinlich bis ans Ende der Welt ein Geheimnis.
Deshalb haben die Menschen im Laufe der Jahrhunderte Gedichte, Erzählungen, Märchen, Lieder, Oratorien, Filme, Serien, Hörspiele und Hörbücher über Weihnachten geschrieben, gesungen, aufgeführt, gefilmt und erzählt. Weihnachten zeigt, dass wir die Hoffnung auf die Rettung der Welt und der Zukunft nicht aufgegeben haben. Auch wenn es damals eine „Notaktion“ war, wie Kurt Marti schreibt, scheint es mir, dass diese Not auch heute noch besteht.
(In dieser Geschichte verstecken sich Weihnachtslieder)
Es war einer dieser Tage, an dem mehrere kleine Zufälle gleichzeitig eintraten. Diese Ereignisse spielten sich in einer altehrwürdigen Bank in einem bekannten Kurort ab. Obwohl die Bank modern ausgestattet war, befand sie sich in einem prachtvollen alten Gebäude, das durch eine klassizistische Fassade und kunstvolle Stuckverzierungen im Inneren beeindruckte.
Leise rieselte der Schnee seit den frühen Morgenstunden. Dichte Flocken fielen aus schweren grauen Wolken und legten sich wie ein weicher, weißer Teppich auf den Gehweg und die gesamte Stadt. Der alte Bau aus dem 19. Jahrhundert hatte solche Szenen schon unzählige Male erlebt, besonders die vielen langen, dünnen Eiszapfen, die sich gern an den ausladenden Fenstersimsen bildeten. Auch der Filialleiter blickte jetzt staunend darauf, jedoch nicht auf den Weg vor sich. Er bemerkte nicht, dass der Gehweg ungeräumt war, und ahnte nicht, was nun unvermeidlich geschehen musste.
Hannah kramte verzagt in ihrer Handtasche nach den kleinen Kerzen. Sie durften nicht zu groß sein und auf keinen Fall rußen, damit der Rauchmelder nicht losging. Anfang dreißig, ganz in Schwarz gekleidet, sah sie aus wie ein Schatten ihrer selbst. Ihr graukariertes Kopftuch schützte ihre wilden blonden Locken vor den tanzenden Schneeflocken.
Jedes Jahr im Dezember kam sie hierher, in diese Bankfiliale. Immer wenn Sie die Bank betrat, stürzten die Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann auf sie ein.
Ein Ritual der Trauer führte sie in den Tresorraum, wo sie für kurze Zeit allein sein konnte. Sobald sie sicher war, dass niemand zusah, entzündete sie behutsam eine kleine Kerze. Die Flamme flackerte still, während ihre Tränen unaufhaltsam flossen. An Weihnachten schmerzte sein Verlust besonders. Die Feiertage erinnerten sie an die stillen, innigen Momente ihres gemeinsamen Lebens, das viel zu kurz gewesen war. Seine Abwesenheit hinterließ eine schmerzhafte Lücke, die scheinbar nichts und niemand füllen konnte.
Hannah war schon die Erste heute morgen in der Bank. Die stellvertretende Filialleiterin kannte sie, öffnete den Tresorraum und das Schließfach der Kundin, bevor sie schnell wieder in ihr Büro eilte, wo sie sich einen Tee aufgebrüht hatte. Zum Trinken sollte sie allerdings nicht mehr kommen.
Christina und Marius waren ein ungewöhnliches Geschwisterpaar, beide 26 Jahre alt, aber keine Zwillinge. Die Erklärung dafür war so unwahrscheinlich wie verblüffend: Ihr Vater hatte gleichzeitig innige Beziehungen zu zwei Frauen gepflegt, die beide neun Monate später am selben Tag entbanden. So waren die Kinder eigentlich Halbgeschwister.
Aufgewachsen in verschiedenen Familien und weit entfernten Städten, sahen sie sich jedoch selten. Aber einmal im Jahr trafen sie sich in dieser Bank. Schon auf der Fahrt dorthin spürten sie, dass dieses Treffen ein Besonderes werden würde.
"Papa, lass uns wieder in den Tresor gehen," bat die kleine Sofie mit glänzenden Augen, "da ist es immer ein bisschen gruselig." Sie lachte gespielt mutig. Ihr Vater, Tobias Morgenstern, ein sportlicher Mann, Anfang vierzig, mit vollem, aber bereits ergrauendem Haar, besaß ein Schließfach in der örtlichen Bank. Da er mit Goldmünzen und Medaillen handelte, wollte er die wertvollsten Stücke über die Feiertage lieber sicher verwahrt wissen.
Einige Male schon hatte er seine achtjährige Tochter mitgenommen, die den Tresorraum wie ein kleines Abenteuer erlebte. Der Raum war ungewöhnlich groß. 20 Kinderschritte bis zur Ecke, dann noch einmal 25 Schritte um die Ecke herum. In der Breite waren es nur jeweils 12 Schritte. Im hinteren Teil stand in der Mitte noch ein alter Tresorschrank, den die Bank für interne Unterlagen nutzte. Davor befand sich ein schwerer Metallisch, auf dem die Kunden ihre Kassetten und ihre Schätze ablegen konnten.
Jedes Mal bewunderte Sofie die massive Stahltür mit den dicken Scharnieren und den runden Bolzen, ebenso wie die vielen unterschiedlich großen Schließfächer. Sie versuchte sich vorzustellen, welche Schätze die Leute wohl in ihren Fächern verborgen hielten. An diesem Tag sollte sie ein wenig mehr von diesen Geheimnissen erfahren.
Nach dem Tod ihres vermögenden Vaters hinterließ er Christina und Marius ein beträchtliches Erbe. Doch er stellte ihnen eine besondere Aufgabe: Jedes Jahr an Weihnachten durften sie nur einen schwarzen Samtbeutel aus dem Schließfach entnehmen und mussten den Inhalt teilen. Jahr für Jahr erwartete sie eine neue Überraschung. Seit acht Jahren zog sich diese Tradition durch ihr Leben. Manchmal fanden sie Goldmünzen, ein anderes Mal Brillanten oder einen Code für Bitcoins. Sie hätten das gesamte Erbe auf einmal an sich nehmen und verkaufen können, doch das jährliche Ritual war ein spannendes Erlebnis, auf das sie nicht verzichten wollten.
Es gab noch viele Beutel, und diese halfen ihnen, Studium, Ausbildung und vieles mehr zu finanzieren. Im Laufe des Jahres sahen sich die Geschwister nur selten. Marius, groß und drahtig mit langem, dunklem Haar, führte ein sportlich aktives Leben. Christina hingegen kämpfte oft mit Unsicherheiten wegen ihrer vollschlanken Figur, doch ihre natürliche Schönheit blieb unbestritten. Sanft umrahmten kastanienbraune Haare ihr Gesicht, und ihr stilvolles Auftreten unterstrich ihre Anmut.
Weihnachten war die Zeit, in der sie zusammenkamen, verbunden durch das Erbe ihres Vaters und die geheimnisvollen Beutel, die ihnen immer wieder neue Überraschungen bescherten. Beide standen sich nicht besonders nahe, doch jedes Jahr zur Weihnachtszeit fanden sie wieder zusammen. Was würde wohl diesmal auf sie warten?
Schon mit der Adventszeit begann das Rätselraten von Neuem: Was mochte im Beutel sein? Und diesmal stießen sie auf ein weiteres Geheimnis. Unter den ganzen Beuteln im Schließfach fanden sie einen kleinen, bisher unentdeckten hellbraunen Umschlag.
Die Geschwister baten Frau Knudsen, kurz nachdem Hannah den Tresorraum betreten hatte, um Zugang zu ihrem Schließfach. Die stellvertretende Filialleiterin delegierte dies an eine Mitarbeiterin und vergaß zu erwähnen, dass sich bereits jemand im Tresorraum befand. Der Raum in dem alten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert war um die Ecke gebaut, sodass man vom Eingang nicht sehen konnte, ob schon jemand darin war. Dazu hätte man bis zur Ecke hineingehen müssen.
Die Kunden wollten meist ungestört mit ihren Schätzen umgehen. Wenn mehrere zur gleichen Zeit kamen, gab es allerdings noch Ausweichmöglichkeiten in zwei Besprechungszimmer. Doch bevor Frau Knudsen eine Notiz am Schlüsselschrank anbringen konnte, passierte das Missgeschick mit dem Direktor. Deshalb bemerkte niemand, dass schon jemand mit einer Urne und einer Kerze im hinteren Teil des Tresorraumes weilte.
Bankdirektor zu sein ist ein angenehmer und angesehener Beruf. Man ist Chef vieler Angestellter, verwaltet immense Geldsummen und trägt Verantwortung für anvertraute Vermögenswerte und das Personal. Frank Wehrmann war zwar offiziell nur Filialleiter, doch er genoss es, in seinem altehrwürdigen Gebäude den Boss zu spielen. Am liebsten hätte er in seinem Büro Zigarre geraucht, weil er fand, das passte perfekt zu seiner Rolle.
Doch selbst für einen Boss gibt es unangenehme Momente: Auf schneeglattem Pflaster ausrutschen zum Beispiel. Und dann auch noch an Heiligabend. Genau das widerfuhr ihm, als er an diesem Morgen gegen 9 Uhr die Bank betreten wollte. Er freute sich bereits darauf, von seinen Mitarbeiterinnen wie üblich mit „Guten Morgen, Herr Direktor“ begrüßt zu werden. Vielleicht schaute er zu lange auf die Eiszapfen und übersah dabei den Schnee auf dem leicht abschüssigen Eingang. Oder er hielt seine Nase zu hoch. Auf jeden Fall war der Schnee noch nicht geräumt, und so rutschte Direktor Frank Wehrmann aus. Seine Aktentasche flog in die Luft und er schlug mit dem Hinterkopf auf die beschneiten, aber dennoch harten Steinplatten auf.
Zwar rappelte er sich sofort wieder auf, doch als er den Schalterraum betrat, sah er aus wie ein verwirrter alter Schneemann. „Wo…Woher kommt der Baum mit den vielen Lichtern?“ stotterte er. Hatte der gestern schon da gestanden oder sah er nach dem Sturz Sterne?
Seine Angestellten waren so besorgt über seinen Zustand, dass sie sofort den Krankenwagen rufen wollten. Filialstellvertreterin Frau Knudsen entschied jedoch, ihn trotz seiner Proteste nach Hause zu fahren. Dort sank er, wie er war, auf ein Sofa und summte verwirrt vor sich hin: „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum…“ Frau Knudsen informierte seine überraschte Gattin und empfahl dringend, ein Krankenhaus aufzusuchen. „Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen“, mahnte sie.
Kurze Zeit später wurde dann der Bankkaufmann Kieseherz von Tobias Morgenstern und seiner Tochter Sofie angesprochen, um an sein Schließfach zu gelangen. Sie öffneten gemeinsam das Fach und als der Angestellte die Geschwister im Tresorraum sah, nutzte er die Möglichkeit, einen Besprechungsraum zu belegen, sehr zum Verdruss von Sofie. Diese quengelte: „Aber Papa, ich wollte doch so gern im Tresor herumlaufen.“
Hannah führte ein äußerst zurückgezogenes Leben. Nach dem Verlust ihres Mannes hatte sie sich zunehmend von Freunden und Kollegen distanziert, da diese größtenteils seine Bekannten gewesen waren. Während andere inzwischen Kinder hatten, blieb sie, gar nicht mal ungewollt, kinderlos. Ihre berufliche Tätigkeit im Außenhandel eines Autoteileherstellers ging weiter und half ihr, nicht zu viel über die Lücke in ihrem Leben nachzudenken. Aber immer häufiger hatte sie in der letzten Zeit im Home Office gearbeitet.
Obwohl sie viel Zeit allein verbrachte, fühlte sie sich selbst nicht unbedingt einsam. Vielmehr empfand sie sich als selbstbewusste und aktive Frau. Regelmäßig ging sie joggen und besuchte ein Fitnessstudio. Dennoch vermied sie bewusst soziale Kontakte. Ihre Gefühlslage war dabei nicht von Unzufriedenheit geprägt, doch wirklich glücklich war sie auch nicht.
Schnell hatte Tobias seine Münzen in der Schließfachkassette untergebracht. Um Sofie einen Gefallen zu tun, beschloss er, die Kassette ohne den Bankangestellten, aber mit Sofie, wieder in den Tresorraum zurückzubringen. Er entschuldigte sich bei dem Geschwisterpaar für die Störung, und Sofie durfte die Kassette wieder in das Fach schieben.
Und hier und jetzt, in diesem kurzen Moment, kulminierten mehrere kuriose Ereignisse. Gerade in dem Augenblick, als nun ungewöhnlicherweise fünf Personen im Tresorraum waren, was eigentlich nie vorkam, und auch alle vorhatten ihn gleich wieder zu verlassen, weil ja auch Heiligabend war, da geschah es. Ein Stromausfall legte die Bank lahm.
Die Notbeleuchtung in der Bank sollte sich nun einschalten, aber im Moment gab es gar kein Notstromaggregat. Das befand sich nämlich in Reparatur. Das Licht flackerte kurz auf, dann war es dunkel in der ganzen Bank.
Nun, nicht ganz. Von draußen gelangte ein wenig gedämpftes Dezemberlicht hinein. Aber es war dann doch ziemlich schummerig in den Räumen des ehrwürdigen Gebäudes mit seinen kleinen Fenstern aus dem vorletzten Jahrhundert.
Die fünf Menschen im Tresorraum waren erst einmal überrascht, als das Licht ausging. Als jeder noch Ausrufe machte wie „Hoppla, „Nanu,“ oder: „Was ist denn jetzt?“ merkten sie, dass sie nicht alleine im Raum waren.
Sie erwarteten, dass das Licht, wenigstens eine Notbeleuchtung angehen würde – tat sie aber aus bekannten Gründen nicht. Es war allerdings doch nicht ganz dunkel. Überraschenderweise brannte in der hintersten Ecke des Raumes, hinter dem alten Tresorschrank, eine kleine Kerze. Alle Augen blickten jetzt dorthin. Die Kerze stand auf einer Art Diskusscheibe. Das kleine Kerzenlicht spiegelte sich überall an den glänzenden Türen der Schließfächer. Man sah darin, wie in dem Nikolaus-Gedicht, „goldene Lichtlein blitzen“.
Hannah war noch ganz in ihrer Trauer versunken. Sie summte gerade leise „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit,“ was in den nächsten Minuten paradoxerweise zur Situation passte. Alle waren so erstaunt von dieser Szene, dass niemand bemerkte, dass der Haltemagnet der Tresortür ebenfalls keinen Strom mehr bekam und diese langsam und ohne jedes Geräusch einfach zufiel.
Herr Kieseherz hatte in der Bank alle Hände voll zu tun um die anderen Angestellten zu beruhigen. Doch seine lauten und aufgeregten Worte trugen nicht gerade zur Entspannung der Situation bei. Handys leuchteten hektisch umher. Kerzen auf Adventskränzen wurden angezündet. Jemand hatte eine Taschenlampe gefunden. Aber die ganzen Lichteffekte warfen eher noch mehr Fragen auf: „Was sollen wir jetzt tun? Weiß jemand, wo die Sicherungen sind? Gab es einen Überfall? Sollen wir die Polizei anrufen? Wo bleibt denn nur Frau Knudsen, wenn man sie mal braucht?“
Der Bankangestellte Kieseherz schob später alles von sich. Er hatte gar nicht wissen können, ob noch Personen im Tresorraum waren. Als der Stromausfall geschah, hatte er, wie im Notfallplan vorgesehen, erst einmal alle Kassen geschlossen, die mechanische Geldausgabe mit der Rohrpostanlage gestoppt, die wenigen Kunden im Kassenraum gebeten, die Bank zu verlassen und hinter ihnen abgeschlossen. So konnte niemand mehr hinein und vor allem: Kein Geld hinaus. In dieser Aufregung, dem Gefühl des Eingeschlossenseins, und das ausgerechnet am Heiligen Abend, da dachte niemand mehr an den Tresor und die wirklich Eingeschlossenen. Selbst wenn er in all dieser Aufregung hinunter zum Tresorraum gegangen wäre, die geschlossene Tür gesehen hätte – ihm wäre nie in den Sinn gekommen, dass sich da noch jemand aufhalten könnte.
Nach einer guten Stunde gab es dann wieder Strom. Lampen gingen an, Weihnachtsbaum und Lichterketten illuminierten die Innenräume. Die Server und Computer fuhren wieder hoch. Drucker und Rauchmelder gaben Piepstöne von sich, Kaffeemaschinen starteten mit Spülprogrammen. Eigentlich hätten nun alle erleichtert sein können. Aber es gab neue Aufregungen. Jeder und jede war damit beschäftigt, die verlorene Zeit aufzuholen, die angefangenen Arbeiten fortzuführen und Vorgänge zu beenden, da man heute bereits um 12 Uhr die Filiale schließen wollte. Niemand dachte daran, dass der Stromkreis für den Tresor und die Tresortür nach einem Stromausfall extra wieder eingeschaltet werden musste. Denn nur so konnte der der Haltemagnet, der die Tür offen hielt, sowie die Innenbeleuchtung wieder angehen. Für Herrn Kieseherz war eine solche Situation schlichtweg noch nie vorgekommen.
Sollten sie die Bank überhaupt noch einmal für das Publikum öffnen? Brauchten Leute am Heiligen Abend noch finanzielle Dienstleistungen? Wollten die meisten nicht viel lieber den Weihnachtsmarkt besuchen? Und da niemand vor der Eingangstür stand und um Einlass bat, beschlossen sie auf die stellvertretende Filialleiterin zu warten.
Endlich kam Frau Knudsen zurück und fand die Bank verschlossen vor. Sie hörte vom nahen Weihnachtsmarkt die alte Weise „Was soll das bedeuten…?“ Sie musste erst Herrn Kieseherz auf dem Mobiltelefon anrufen um überhaupt die Bank betreten zu können.