Weihnachten mit Goethe - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Weihnachten mit Goethe E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Weihnachten, das ist in Goethes Welt ein Fest des Kindes, das persönlich intensiv erlebt und literarisch immer wieder lebendig gestaltet wird. Einmal ist es Wilhelm Meister, der mit dem Puppenspiel beschenkt wird, dann sind es die eigenen Enkel, die liebevoll in ihrer Aufregung wahrgenommen werden. Auch Goethes Mutter trägt ihren Teil zum Fest bei, und Goethe behält überdies die vielen bildlichen Darstellungen der Weihnachtsszene im Auge. Erstaunlich ist, mit welcher Anschaulichkeit auch Silvester und Neujahr, dann das Dreikönigsfest in die Wahrnehmung dieser nicht immer nur stillen Zeit einbezogen werden.

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Seitenzahl: 145

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Weihnachten mit Goethe

Herausgegeben von Mathias Mayer

Insel Verlag

Inhalt

Weihnachten

Frankfurt, 25. Dezember 1772 An Kestner

Aus »Die Leiden des jungen Werther«

Aus Goethes Brieftasche

Aus »Wilhelm Meisters theatralische Sendung«

Erstes Buch, Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Weimar, 24. Dezember 1780 An Charlotte von Stein

Rom, 29. Dezember 1786 An Friedrich von Stein

Aus »Italienische Reise« Rom, 6. Januar 1787

Aus »Italienische Reise« Neapel, 27. Mai 1787

Christgeschenk

Epoche

Aus »Die Wahlverwandtschaften« Zweiter Teil, 6. Kapitel

Aus »Dichtung und Wahrheit« Erstes Buch

Weimar, 24. Dezember 1812 An T. ‌J. Seebeck

〈An Charlotte von Stein, 25. ‌12. ‌1815〉

Weihnachten

Aus »Wilhelm Meisters Wanderjahre«

Erstes Buch, Erstes Kapitel Die Flucht nach Ägypten

Zweites Kapitel Sankt Joseph der Zweite

Die Heimsuchung

Der Lilienstengel

Aus »Wilhelm Meisters Wanderjahre«

Zweites Buch, Viertes Kapitel (Der Mann von fünfzig Jahren)

Fünftes Kapitel

Aus dem Maskenzug 1818

Weihnachts-Kinder

Antik und modern. Zu Radierungen von Sébastien Bourdon

Sprüche in Prosa

Naivität und Humor

Psychologie des Kindes

Weimar, 24. Dezember 1824 An Gräfin Caroline Egloffstein

Weimar, 24. Dezember 1824 An Carl Ludwig Knebel

An Karoline von Egloffstein Weihnachten 1827

Ölzweig mit Früchten

Weimar, 2. Dezember 1830 An Johann Jakob und Marianne von Willemer

Weihnachtspost von Frankfurt nach Weimar

Catharina Elisabeth Goethe an Louise von Göchhausen

Catharina Elisabeth Goethe an ihren Sohn: den 17ten Decemb 1798

Catharina Elisabeth Goethe an ihren Sohn: den 2ten Decemb 1799

Catharina Elisabeth Goethe an ihren Sohn: den 10ten December 1804

Catharina Elisabeth Goethe an ihren Sohn: den 16ten December 1805

Catharina Elisabeth Goethe an ihren Sohn: den 12ten December 1806

Weihnachten im Tagebuch

1776

1800

1802

1803

1806

1807

1808

1809

1810

1811

1812

1813

1815

1816

1817

1818

1819

1820

1821

1822

1823

1824

1825

1826

1827

1828

1829

1830

1831

Silvester im Tagebuch

1776

1777

1778

1796

1799

1800

1806

1807

1808

1809

1810

1811

1812

1813

1814

1815

1816

1817

1818

1819

1820

1821

1822

1823

1824

1825

1826

1827

1828

1829

1830

1831

Neujahr

Neujahrslied

Weimar, 1. Januar 1778 An Charlotte von Stein

Weimar, 1. Januar 1781 An Charlotte von Stein

Weimar, 1. Januar 1782 An Charlotte von Stein

Weimar, 31. Dezember 1785 An Charlotte von Stein

Rom, 29. Dezember 1787 An den Herzog Carl August

Weimar, 3. Januar 1795 An Friedrich Schiller

Zum neuen Jahr

Weimar, 1. Januar 1800 An Schiller

2. Januar 1810 Charlotte von Schiller an Cotta

Weimar, 1. Januar 1811 An den Herzog Carl August

Aus »Dichtung und Wahrheit« Drittes Buch

Jubiläum am zweiten Januar 1815

Weimar, 31. Dezember 1816 An Marianne von Willemer

Weimar, 2. Januar 1817 An die Großherzogin Luise

Weimar, 27. Dezember 1819 An Johann Jakob und Marianne von Willemer

Weimar, 1. Januar 1821 An den Großherzog Carl August

Weimar, 29. Dezember 1822 An C. ‌G. ‌D. Nees von Esenbeck

Weimar, 31. Dezember 1823 An Amalie von Levetzow

Weimar, 1. Januar 1825 An den Großherzog Carl August und die Großherzogin Louise

Weimar, 29. Dezember 1827 An Friedrich von Müller

Weimar, 2. Januar 1829 An Carl Friedrich Zelter

Weimar, 31. Dezember 1829 An Carl Friedrich Zelter

〈Dem Großherzog Carl August zu Neujahr 1828〉

Drei Könige

Epiphanias

Den Drillingsfreunden von Cölln, mit einem Bildnisse

〈An Ottilie von Goethe, März 1818〉

Austausch Drei heilige Könige gegen Ein schlafend Nymphchen

Beschreibung des Kölner Dombildes von Stefan Lochner (aus »Über Kunst und Altertum. Heidelberg«)

Die heiligen drei Könige

Manuscript, lateinisch, aus dem funfzehnten Jahrhundert.

Jena, 22. Oktober 1819 An Johann Sulpiz Melchior Boisserée

Siglenverzeichnis

Nachwort

Weihnachten

Frankfurt, 25. Dezember 1772 An Kestner

Cristtag früh. Es ist noch Nacht lieber Kestner, ich binn aufgestanden um bey Lichte Morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen den Festtag zu ehren und will euch schreiben biss es Tag ist. Der Türner hat sein Lied schon geblasen ich wachte drüber auf. Gelobet seyst du Jesu Crist. Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder die man singt; und die Kälte die eingefallen ist macht mich vollends vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen und da ist mirs fürs enden nicht Angst. Gestern Nacht versprach ich schon meinen lieben zwey Schattengesichtern euch zu schreiben, sie schweben um mein Bett wie Engel Gottes. Ich hatte gleich bey meiner Ankunft Lottens Silhouette angesteckt, wie ich in Darmstadt war stellen sie mein Bett herein und siehe Lottens Bild steht zu Häupten das freute mich sehr, Lenchen hat ietzt die andre Seite ich danck euch Kestner für das liebe Bild, es stimmt weit mehr mit dem überein was ihr mir von ihr schriebt als alles was ich immaginirt hatte; so ist es nichts mit uns die wir rathen phantasiren und weissagen. Der Türner hat sich wieder zu mir gekehrt, der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster. Gestern lieber Kestner war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande, unsre Lustbaarkeit war sehr laut, und Geschrey und Gelächter von Anfang zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde, Doch was können die heiligen Götter nicht wenden wenns Ihnen beliebt, sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getruncken, mein Aug war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen es ward Nacht. Nun muss ich dir sagen das ist immer eine Sympatie für meine seele wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen herauf nach Nord und Süd umsich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis vom abend heraufleuchtet.

FA II.1, S. 278

Aus »Die Leiden des jungen Werther«

am 20. Dec.

Ich danke deiner Liebe, Wilhelm, daß du das Wort so aufgefangen hast. Ja, du hast Recht: mir wäre besser, ich ginge. Der Vorschlag, den du zu einer Rückkehr zu euch thust, gefällt mir nicht ganz; wenigstens möchte ich noch gerne einen Umweg machen, besonders da wir anhaltenden Frost und gute Wege zu hoffen haben. Auch ist mir es sehr lieb, daß du kommen willst, mich abzuhohlen; verziehe nur noch vierzehn Tage, und erwarte noch einen Brief von mir mit dem weiteren. Es ist nöthig daß nichts gepflückt werde, ehe es reif ist; Und vierzehn Tage auf oder ab thun viel. Meiner Mutter sollst du sagen: daß sie für ihren Sohn bethen soll und daß ich sie um Vergebung bitte, wegen alles Verdrusses, den ich ihr gemacht habe. Das war nun mein Schicksal, die zu betrüben denen ich Freude schuldig war. Lebwohl, mein Theuerster! Allen Segen des Himmels über dich! Lebwohl!

Was in dieser Zeit in Lottens Seele vorging, wie ihre Gesinnungen gegen ihren Mann, gegen ihren unglücklichen Freund gewesen, getrauen wir uns kaum mit Worten auszudrücken, ob wir uns gleich davon, nach der Kenntniß ihres Charakters, wohl einen stillen Begriff machen können und eine schöne weibliche Seele sich in die ihrige denken und mit ihr empfinden kann.

So viel ist gewiß, sie war fest bey sich entschlossen alles zu thun, um Werthern zu entfernen und wenn sie zauderte, so war es eine herzliche freundschaftliche Schonung, weil sie wußte, wie viel es ihm kosten, ja daß es ihm beynahe unmöglich seyn würde. Doch ward sie in dieser Zeit mehr gedrängt Ernst zu machen; es schwieg ihr Mann ganz über dieß Verhältniß, wie sie auch immer darüber geschwiegen hatte und um so mehr war ihr angelegen, ihm durch die That zu beweisen, wie ihre Gesinnungen der seinigen werth seyen.

An demselben Tage als Werther den zuletzt eingeschalteten Brief an seinen Freund geschrieben, es war der Sonntag vor Weihnachten, kam er Abends zu Lotten und fand sie allein. Sie beschäftigte sich einige Spielwerke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschenke zurecht gemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da einen die unerwartete Öffnung der Thür und die Erscheinung eines aufgeputzten Baumes mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln, in paradiesische Entzückung setzte. Sie sollen, sagte Lotte, indem sie ihre Verlegenheit unter ein liebes Lächeln verbarg, Sie sollen auch beschert kriegen, wenn Sie recht geschickt sind; ein Wachsstöckchen und noch was. – Und was heissen Sie geschickt seyn? rief er aus; wie soll ich seyn? wie kann ich seyn? beste Lotte! Donnerstag Abend, sagte sie ist Weihnachtsabend, da kommen die Kinder, mein Vater auch, da kriegt jedes das seinige, da kommen Sie auch – aber nicht eher. – Werther stutzte. – Ich bitte Sie, fuhr sie fort, es ist nun einmal so, ich bitte Sie um meiner Ruhe willen, es kann nicht, es kann nicht so bleiben! – Er wendete seine Augen von ihr, und ging in der Stube auf und ab, und murmelte das: Es kann nicht so bleiben! zwischen den Zähnen. Lotte, die den schrecklichen Zustand fühlte, worein ihn diese Worte versetzt hatten, suchte durch allerley Fragen seine Gedanken abzulenken, aber vergebens. Nein, Lotte, rief er aus, ich werde Sie nicht wiedersehen! Warum das? versetzte sie, Werther, Sie können, Sie müssen uns wieder sehen, nur mäßigen Sie sich. O, warum mußten Sie mit dieser Heftigkeit, dieser unbezwinglich-haftenden Leidenschaft für alles was Sie einmal anfassen, gebohren werden! Ich bitte Sie, fuhr sie fort, indem sie ihn bey der Hand nahm, mäßigen Sie sich! Ihr Geist, Ihre Wissenschaften, Ihre Talente, was biethen die Ihnen für mannichfaltige Ergetzungen dar? Seyn Sie ein Mann! wenden Sie diese traurige Anhänglichkeit von einem Geschöpf, das nichts thun kann als Sie bedauren. – Er knirrte mit den Zähnen und sah sie düster an. Sie hielt seine Hand. Nur einen Augenblick ruhigen Sinn, Werther! sagte sie. Fühlen Sie nicht daß Sie sich betrügen, sich mit Willen zu Grunde richten! Warum denn mich, Werther? just mich, das Eigenthum eines Andern? just das? Ich fürchte, ich fürchte, es ist nur die Unmöglichkeit mich zu besitzen, die Ihnen diesen Wunsch so reizend macht. Er zog seine Hand aus der ihrigen, indem er sie mit einem starren unwilligen Blick ansah. Weise! rief er, sehr weise! Hat vielleicht Albert diese Anmerkung gemacht? Politisch! sehr politisch! – Es kann sie jeder machen, versetzte sie drauf. Und sollte denn in der weiten Welt kein Mädchen seyn, das die Wünsche Ihres Herzens erfüllte? Gewinnen Sie's über sich, suchen Sie darnach, und ich schwöre Ihnen Sie werden sie finden; denn schon lange ängstet mich für Sie und uns die Einschränkung, in die Sie sich diese Zeit her selbst gebannt haben. Gewinnen Sie es über Sich! eine Reise wird Sie, muß Sie zerstreuen! Suchen sie, finden Sie einen werthen Gegenstand Ihrer Liebe, und kehren Sie zurück und lassen Sie uns zusammen die Seligkeit einer wahren Freundschaft genießen.

Das könnte man, sagte er mit einem kalten Lachen, drucken lassen, und allen Hofmeistern empfehlen. Liebe Lotte! lassen Sie mir noch ein klein wenig Ruh, es wird alles werden! – Nur das, Werther, daß Sie nicht eher kommen als Weihnachtsabend! – Er wollte antworten und Albert trat in die Stube. Man both sich einen frostigen Guten Abend und ging verlegen im Zimmer neben einander auf und nieder. Werther fing einen unbedeutenden Discurs an, der bald aus war, Albert desgleichen, der sodann seine Frau nach gewissen Aufträgen fragte, und als er hörte sie seyen noch nicht ausgerichtet, ihr einige Worte sagte, die Werthern kalt ja gar hart vorkamen. Er wollte gehen, er konnte nicht und zauderte bis acht, da sich denn sein Unmuth und Unwillen immer vermehrte, bis der Tisch gedeckt wurde und er Hut und Stock nahm. Albert lud ihn zu bleiben, er aber, der nur ein unbedeutendes Compliment zu hören glaubte, dankte kalt dagegen und ging weg.

Er kam nach Hause, nahm seinem Burschen, der ihm leuchten wollte, das Licht aus der Hand und ging allein in sein Zimmer, weinte laut, redete aufgebracht mit sich selbst, ging heftig die Stube auf und ab, und warf sich endlich in seinen Kleidern aufs Bette, wo ihn der Bediente fand, der es gegen eilfe wagte hinein zu gehen, um zu fragen, ob er dem Herrn die Stiefeln ausziehen sollte? das er denn zuließ und dem Bedienten verboth, den andern Morgen ins Zimmer zu kommen, bis er ihn rufen würde.

Montags früh, den ein und zwanzigsten December schrieb er folgenden Brief an Lotten, den man nach seinem Tode versiegelt auf seinem Schreibtische gefunden und ihr überbracht hat, und den ich Absatzweise hier einrücken will, so wie aus den Umständen erhellet, daß er ihn geschrieben habe.

Es ist beschlossen, Lotte, ich will sterben, und das schreibe ich dir ohne romantische Überspannung gelassen, an dem Morgen des Tages, an dem ich dich zum letztenmale sehen werde. Wenn du dieses liesest, meine Beste, deckt schon das kühle Grab die erstarrten Reste des Unruhigen, Unglücklichen, der für die letzten Augenblicke seines Lebens keine größere Süßigkeit weiß als sich mit dir zu unterhalten. Ich habe eine schreckliche Nacht gehabt, und ach! eine wohlthätige Nacht. Sie ist es, die meinen Entschluß befestigt, bestimmt hat: ich will sterben! Wie ich mich gestern von dir riß, in der fürchterlichen Empörung meiner Sinnen, wie sich alles das nach meinem Herzen drängte, und mein hoffnungsloses, freudeloses Daseyn neben dir, in gräßlicher Kälte mich anpackte – ich erreichte kaum mein Zimmer, ich warf mich außer mir auf meine Knie, und o Gott! du gewährtest mir das letzte Labsal der bittersten Thränen! Tausend Anschläge, tausend Aussichten wütheten durch meine Seele, und zuletzt stand er da, fest, ganz, der letzte einzige Gedanke: ich will sterben! – Ich legte mich nieder, und Morgens in der Ruhe des Erwachens, steht er noch fest, noch ganz stark in meinem Herzen: ich will sterben! – Es ist nicht Verzweiflung, es ist Gewißheit, daß ich ausgetragen habe, und daß ich mich opfre für dich. Ja, Lotte! warum sollte ich es verschweigen? eins von uns dreyen muß hinweg und das will ich seyn! O meine Beste! in diesem zerrissenen Herzen ist es wüthend herumgeschlichen, oft – deinen Mann zu ermorden! – dich! – mich! – So sey es! – Wenn du hinaufsteigst auf den Berg, an einem schönen Sommerabende, dann erinnere dich meiner, wie ich so oft das Thal herauf kam, und dann blicke nach dem Kirchhofe hinüber nach meinem Grabe, wie der Wind das hohe Gras im Scheine der sinkenden Sonne, hin und her wiegt – Ich war ruhig da ich anfing, nun nun weine ich wie ein Kind, da alles das so lebhaft um mich wird.

FA I.8, S. 217, 219, 221, 223, 225

Aus Goethes Brieftasche

Wenn Rembrandt seine Mutter Gottes mit dem Kinde als niederländische Bäurin vorstellt, sieht freilich jedes Herrchen, daß entsetzlich gegen die Geschichte geschlägelt ist, welche vermeldet: Christus seie zu Bethlehem im jüdischen Lande geboren worden. Das haben die Italiener besser gemacht! sagt er: Und wie? – Hat Raphael was anders, was mehr gemalt, als eine liebende Mutter mit ihrem Ersten, Einzigen? und war aus dem Sujet etwas anders zu malen? Und ist Mutterliebe in ihren Abschattungen nicht eine ergiebige Quelle für Dichter und Maler, in allen Zeiten? Aber es sind die biblischen Stücke, alle durch kalte Veredlung und die gesteifte Kirchenschicklichkeit aus ihrer Einfalt und Wahrheit herausgezogen und dem teilnehmenden Herzen entrissen worden, um gaffende Augen des Dumpfsinns zu blenden. Sitzt nicht Maria zwischen den Schnörkeln aller Altareinfassungen, vor den Hirten, mit dem Knäblein da, als ließ sie's um Geld sehn, oder habe sich, nach ausgeruhten vier Wochen, mit aller Kindbettsmuße und Weibseitelkeit auf die Ehre dieses Besuchs vorbereitet? Das ist nun schicklich! das ist gehörig! das stößt nicht mit der Geschichte.

FA I.8, S. 178f.

Aus »Wilhelm Meisters theatralische Sendung«

Erstes Buch, Erstes Kapitel

Es war einige Tage vor dem Christabend 174 – als Benedikt Meister Burger und Handelsmann zu M-, einer mittlerern Reichsstadt, aus seinem gewöhnlichen Kränzgen Abends gegen achte nach Hause ging. Es hatte sich wider die Gewohnheit die Tarock Partie früher geendigt, und es war ihm nicht ganz gelegen, daß er so zeitlich in seine vier Wände zurückkehren sollte, die ihm seine Frau eben nicht zum Paradiese machte. Es ware noch Zeit bis zum Nachtessen, und so einen Zwischenraum pflegte sie ihm nicht mit Annehmlichkeiten auszufüllen, deswegen er lieber nicht ehe zu Tische kam als wenn die Suppe schon etwas überkocht hatte.

Er ging langsam, und dachte so dem Burgermeister Amte nach, das er das letzte Jahr geführt hatte, und dem Handel, und den kleinen Vorteilen, als er eben im Vorbeigehen seiner Mutter Fenster sehr emsig erleuchtet sah. Das alte Weib lebte, nachdem sie ihren Sohn ausgestattet, und ihm ihre Handlung übergeben hatte, in einem kleinen Häusgen zurückgezogen, wo sie nun vor sich allein mit einer Magd bei ihren reichlichen Renten sich wohlbefand, ihren Kindern und Enkeln mit unter was zu Gute tat, ihnen aber das Beste bis nach ihrem Tode aufhub, wo sie hoffte daß sie gescheuter sein sollten, als sie bei ihrem Leben nicht hatte sehen können. Meister war durch einen geheimen Zug nach dem Hause geführt, da ihm, als er angepocht hatte, die Magd hastig und geheimnisvoll die Türe öffnete, und ihn zur Treppe hinauf begleitete. Er fand, als er zur Stubentüre hineintrat, seine Mutter an einem großen Tische mit Wegräumen und Zudecken beschäftigt, die ihm auf seinen guten Abend mit einem: du kommst mir nicht ganz gelegen, antwortete. Weil