Weil ich an uns glauben wollte - Hannah Beckerman - E-Book

Weil ich an uns glauben wollte E-Book

Hannah Beckerman

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Beschreibung

Es ist Liebe auf den ersten Blick, als Bex und David sich auf einer Party treffen. Sie sind für einander bestimmt, heiraten bald und gründen eine Familie. Aber die perfekte Fassade bröckelt, und zwar jeden Tag ein bisschen mehr. Denn David ist Alkoholiker. Und davor können sie nicht länger die Augen verschließen, wenn sie ihre Ehe retten wollen. Und das wünschen sie sich aus ganzem Herzen. Weil sie an sich und ihre Liebe glauben.


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Seitenzahl: 664

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Zitate

PROLOG

ERSTER TEIL

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

KAPITEL VIERZIG

ZWEITER TEIL

KAPITEL EINUNDVIERZIG

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG

KAPITEL DREIUNDVIERZIG

KAPITEL VIERUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG

KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG

KAPITEL ACHTUNDVIERZIG

KAPITEL NEUNUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFZIG

KAPITEL EINUNDFÜNFZIG

KAPITEL ZWEIUNDFÜNFZIG

KAPITEL DREIUNDFÜNFZIG

KAPITEL VIERUNDFÜNFZIG

KAPITEL FÜNFUNDFÜNFZIG

KAPITEL SECHSUNDFÜNFZIG

KAPITEL SIEBENUNDFÜNFZIG

KAPITEL ACHTUNDFÜNFZIG

KAPITEL NEUNUNDFÜNFZIG

KAPITEL SECHZIG

KAPITEL EINUNDSECHZIG

KAPITEL ZWEIUNDSECHZIG

KAPITEL DREIUNDSECHZIG

KAPITEL VIERUNDSECHZIG

KAPITEL FÜNFUNDSECHZIG

KAPITEL SECHSUNDSECHZIG

KAPITEL SIEBENUNDSECHZIG

KAPITEL ACHTUNDSECHZIG

KAPITEL NEUNUNDSECHZIG

KAPITEL SIEBZIG

KAPITEL EINUNDSIEBZIG

KAPITEL ZWEIUNDSIEBZIG

KAPITEL DREIUNDSIEBZIG

KAPITEL VIERUNDSIEBZIG

KAPITEL FÜNFUNDSIEBZIG

KAPITEL SECHSUNDSIEBZIG

KAPITEL SIEBENUNDSIEBZIG

KAPITEL ACHTUNDSIEBZIG

KAPITEL NEUNUNDSIEBZIG

KAPITEL ACHTZIG

KAPITEL EINUNDACHTZIG

KAPITEL ZWEIUNDACHTZIG

KAPITEL DREIUNDACHTZIG

KAPITEL VIERUNDACHTZIG

KAPITEL FÜNFUNDACHTZIG

KAPITEL SECHSUNDACHTZIG

KAPITEL SIEBENUNDACHTZIG

KAPITEL ACHTUNDACHTZIG

KAPITEL NEUNUNDACHTZIG

KAPITEL NEUNZIG

KAPITEL EINUNDNEUNZIG

KAPITEL ZWEIUNDNEUNZIG

KAPITEL DREIUNDNEUNZIG

DRITTER TEIL

KAPITEL VIERUNDNEUNZIG

DANKSAGUNGEN

Hannah Beckerman

WEIL ICHAN UNSGLAUBENWOLLTE

Roman

Aus dem Englischen vonUlrike Moreno

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2017 by Hannah BeckermanTitel des englischen Originals: »All the little lies«

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dorothee Cabras, GrevenbroichTitelillustration: © Büro Süd; Sandra Taufer, Münchenunter Verwendung von Motiven von© shutterstock/sniegirova mariia; shutterstock/Sky Designs; shutterstock/Incomible; shutterstock/Rachael ArnottUmschlaggestaltung: Sandra Taufer, München

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4020-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für meine Mum,die immer dafür gesorgt hat,

Die menschliche Natur wird nicht besser gedeihenals eine Kartoffel, die über zu viele Generationen immerwieder in demselben ausgelaugten Boden angepflanzt wird.Meine Kinder (…) sollen in ungewohnter ErdeWurzeln schlagen.

Nathaniel Hawthorne, Der scharlachrote Buchstabe

Du musst die Hoffnung auf eine bessereVergangenheit aufgeben.

Irvin D. Yalom, Creatures of a Day

Die Saat des Endes wird zu Beginn gepflanzt.

Stephanie Bishop, The Other Side of the World

PROLOG

In der Nacht vor unserer Hochzeit habe ich David einen Brief geschrieben. Es war einer jener Briefe, die dazu bestimmt sind, aufgesetzt, aber nicht abgeschickt zu werden. Ein Brief, der unbedingt geschrieben werden muss, obwohl man im Grunde weiß, dass er seinen Empfänger niemals erreichen wird.

Ich habe ihn immer noch, wahrscheinlich irgendwo in einer der vielen Schachteln auf den Schränken im Dachgeschoss, von denen ich mir regelmäßig vornehme, sie durchzusehen, bevor etwas Dringenderes meine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Aber manchmal frage ich mich, was ich in diesem Brief entdecken würde, wenn ich ihn heute läse. Ob ich lächeln würde über die übertriebene Sentimentalität all dessen, über die Liebeserklärungen und Visionen unserer gemeinsamen Zukunft, die sich schneller aus meiner Fantasie auf die Seite übertragen hatten, als mein Stift mithalten konnte. Ich frage mich, ob ich nichts weiter als die berauschende Mischung aus vorhochzeitlicher Aufregung und unbezähmbarer Nervosität finden würde oder ob ich zwischen den Zeilen etwas lesen würde, das ich damals nicht in Worte hatte fassen können. Ein Gefühl, einen Instinkt, dem ich noch keinen Ausdruck geben konnte. Etwas, das ich vielleicht nicht einmal mir selbst einzugestehen gewagt hatte.

Oder vielleicht ist das nur Wunschdenken.

Denn das ist die gefährliche Selbsttäuschung, wenn man die Dinge im Nachhinein betrachtet. Es verändert das Prisma, durch das wir die Vergangenheit sehen, um uns zu beweisen, dass wir schon damals etwas wussten, das wir in Wahrheit erst vor Kurzem entdeckt haben.

Und ich bin mir auch nicht sicher, wie hilfreich das im großen Ganzen ist. Ob es nicht besser ist, diese unschuldige, hoffnungsvolle Version von uns selbst in unserem Glück schwelgen und die unvermeidlichen Lektionen erst ans Licht kommen zu lassen, wenn uns keine andere Wahl mehr bleibt, als sie zu lernen.

ERSTER TEIL

HERBST

KAPITEL EINS

BEX

Durch die geschlossenen Vorhänge strömt die Nachmittagssonne herein, die trotz des dicken, cremefarbenen Leinens immer noch stark genug ist, um die nackte Haut an meinen Armen, meinem Nacken und meinem Gesicht zu wärmen. Es fühlt sich herrlich dekadent an, mitten an einem Freitagnachmittag hier im Bett zu liegen, in einem Haus, dessen absolute Stille nur von Davids tappenden Schritten auf der Treppe in Richtung Küche unterbrochen wird. In einem Haus ohne die Hintergrund-Symphonie von Jacobs Geplapper, dem Surren seiner elektrischen Eisenbahn und dem Singsang der gnadenlos fröhlichen Stimmen der Kinderprogramm-Moderatoren aus dem Fernseher im Wohnzimmer.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch. Halb fünf. In weniger als einer Stunde wird Mum mit Jacob zurückkommen.

Ich drehe mich zur Seite, sodass ich die kühlen Laken nun an meiner Schulter spüre und den unverwechselbaren Geruch von Sex wahrnehme, von dem das Bett durchdrungen ist. Was David wohl dort unten zubereitet?, frage ich mich. Als er unter dem Federbett hinausgeschlüpft war, hatte er diesen Gesichtsausdruck gehabt, der die Zeit zurückzudrehen scheint, bis ich das spitzbübische Gesicht eines Schuljungen vor mir habe, das ich immer nur auf Fotos gesehen habe und das ich so oft in den Zügen unseres sechsjährigen Sohnes wiederzuerkennen meine.

Es ist Wochen her, seit ich David gefragt habe, wie er diesen Tag gern verbringen würde. Ich hatte ihm vorgeschlagen, er solle es mir überlassen, etwas zu planen und ihn zu überraschen, aber im Grunde war er ja noch nie ein Fan von Überraschungen. Es ist eines der vielen Dinge, die wir gemeinsam haben: diese Aversion dagegen, erst im Nachhinein herauszufinden, was alle anderen schon die ganze Zeit gewusst haben.

Das sei ganz einfach, hatte David mir gesagt: Er wolle nur einen unserer seltenen freien Wochentage mit mir allein verbringen. Mit einem späten Lunch zu zweit in unserem Lieblingsrestaurant in Knightsbridge, dann einem gemütlichen Nachmittag zu Hause und einem Abend auf der Party, die Melissa und Seth, unsere besten Freunde, für uns geben würden.

Er hatte gelächelt und wissen wollen, ob sich sein Vorschlag für mich langweilig und wie etwas für Leute gesetzteren Alters anhörte. Dann hatte er im Scherz gefragt, was aus den früheren Versionen von uns geworden sei, die jederzeit für ein spontanes, feuchtfröhliches Wochenende ins Auto sprangen, ohne Vorwände und schon gar keinen runden Geburtstag dazu zu benötigen. Ich hatte gelacht und ihm gesagt, er solle dieser nicht ganz leichten Kombination aus Elternschaft, Hypotheken und verantwortungsvollen beruflichen Tätigkeiten die Schuld daran geben. Aber in Wirklichkeit finde ich, dass sein Vorschlag eine perfekte Art zu feiern ist.

Eine leise gepfiffene Melodie schlängelt sich die Treppe herauf und durch die kiefernen Spindeln des Treppengeländers hindurch. Ich schließe die Augen, um das Lied zu erkennen, und summe es sogar leise mit. Dabei fallen mir Worte und Sätze wieder ein; mein Gedächtnis weigert sich aber, den Titel des Songs preiszugeben, bis wir am Ende der Strophe sind und ich mich bei einem Lächeln über Davids romantische Art ertappe. You Were Meant For Me ist eines meiner Lieblingslieder. Bei unserer Hochzeitsfeier haben wir dazu getanzt. Bei diesem ersten Tanz als verheiratetes Paar genoss David die Aufmerksamkeit, während ich wünschte, wir hätten den Rat unserer Freunde befolgt und Zeit und Mühe in einen Tanzkurs investiert. Komisch, dass das jetzt schon über zehn Jahre zurückliegt. Manchmal kann ich kaum glauben, dass es schon so lange her ist, während ich in anderen Momenten Mühe habe, mich an die Zeit zu erinnern, bevor David in mein Leben trat.

Bei dem vertrauten Geräusch von seinen bloßen Füßen, die die Treppe wieder heraufkommen, drehe ich mich zur Tür um. Mit dem Knie stößt David sie auf und kommt herein, nackt, wie Gott ihn erschaffen hat, bis auf das verspielte Grinsen in seinem Gesicht und das Tablett mit Champagner, Gläsern und einem Teller Räucherlachs-Blini in den Händen.

»Es ist dein Geburtstag, David! Da sollte ich es sein, die dir Champagner ans Bett bringt, und nicht umgekehrt.«

Er stellt das Tablett auf den Nachttisch, schlüpft wieder zu mir unter die Decke und streicht mit einer kühlen Hand über meinen warmen Bauch.

»Wenn vierzig zu werden mich eins gelehrt hat – in meinen enormen acht Stunden Erfahrung seither –, dann ist es, dass man in diesem ehrwürdigen Alter nichts mehr für selbstverständlich hält. Das wirst du im nächsten Jahr genauso schnell herausfinden.«

Und dann lacht er, dieses breite, offene Lachen, das dazu einlädt mitzulachen und kein Nein als Antwort gelten lässt. Ich gebe nach und schüttle den Kopf über die Absurdität des Gedankens, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit beide bereits vierzig sein werden. Es gibt Momente, wie ich David vorhin erzählt hatte, in denen ich in meinem Auto eine Straße entlangfahre und plötzlich von der nervösen Furcht beschlichen werde, dass ich es unerlaubterweise tue. Dass ich noch nicht alt genug bin, um den Führerschein gemacht zu haben. Und dann fällt mir ein, dass ich ja völlig legal seit über zwanzig Jahren Auto fahre, und es kommt mir wie ein Unding vor, dass es schon so lange so ist.

David lacht noch immer, und die Haut um seine Augen kräuselt sich ein wenig, als probierten sie ihre neu erworbene Reife aus. Manchmal denke ich, dass sein Lachen der Grund dafür ist, dass wir heute zusammen sind. Denn hätte ich auf jener Party vor dreizehn Jahren dieses Lachen nicht gehört und mich nicht danach umgedreht und hätte David mir in diesem Moment nicht lange genug in die Augen geschaut, um unser gegenseitiges Interesse zu bemerken, hätten sich unsere Wege wahrscheinlich nie wirklich vereint. Sie wären vielleicht nur sehr nahe daran gewesen, sich zu kreuzen.

»Weißt du, dass wir noch fast eine Stunde haben, bis deine Mum und Jacob zurückkommen? Was meinst du, wie wir diese Zeit am besten nutzen könnten?«

Ich erwidere Davids Lächeln, als er sich über mich beugt und mich küsst. Sein Atem ist noch so süß von dem Champagner, als perlten die Bläschen noch auf seinen Lippen.

Das schrille Klingeln seines Handys auf dem Nachttisch zerreißt die Stille.

»Und wenn du einfach nicht drangehst?«

Ich kann Davids Zögern spüren.

»Das geht nicht. Es könnte die Firma sein. Wir haben am Montag eine sehr große und wichtige Präsentation, und ich habe auch so schon Gewissensbisse, weil ich die anderen heute damit allein gelassen habe. Ich bin in zwei Minuten wieder da. Versprochen.«

Bevor ich protestieren kann, springt David auch schon aus dem Bett und greift nach dem Telefon. Als er auf das Display schaut, sehe ich, wie sich sein Gesichtsausdruck verändert: Aus dem Lachen um seine Augen wird ein Stirnrunzeln, seine Mundwinkel verziehen sich zu einer Grimasse, und ein Schatten verdüstert sein eben noch so glückliches Gesicht.

»Was ist? Was hast du, David?«

Als er den Blick zu mir erhebt, kenne ich die Antwort, noch bevor er etwas sagt. Ich habe diesen Ausdruck oft genug gesehen, um zu wissen, was er bedeutet. Oder wer ihn verursacht hat.

»Es ist meine Mum.«

Wir starren einander an, reglos, als wüssten wir nach all den Jahren noch immer nicht, was die korrekte Reaktion sein müsste. Im Geiste stelle ich schnell ein paar Berechnungen an, die ergeben, dass es in Sydney ein Uhr morgens ist. Als David und ich vorhin unseren Lunch beendeten, war ich eigentlich davon ausgegangen, dass seine Mutter seinen großen Tag ohne jede Würdigung verstreichen lassen würde. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Und es wäre auch das geringere von zwei Übeln gewesen.

»Wirst du mit ihr sprechen?«

Das Telefon kreischt angesichts von Davids Zögern, als wäre seine Mutter imstande, seine Lautstärke aus siebzehntausend Kilometern Entfernung zu erhöhen.

David zuckt so langsam und schwerfällig mit den Schultern, als kostete ihn schon das Nachdenken über diese Frage unendlich viel Mühe.

»Warum eigentlich nicht? Bring es hinter dich. Ich gehe und lasse inzwischen schon mal ein Bad ein, ja?«

David nickt, und ich stehe auf und drücke ihm ermutigend die Hand, als ich an ihm vorbeigehe, obwohl wir beide wissen, dass es nicht Ermutigung ist, was er braucht, sondern Geduld. Geduld, innere Stärke und die Fähigkeit, die Vergangenheit gut versiegelt tief in sich einzuschließen.

Als ich aus dem Schlafzimmer auf den Gang hinaustrete, höre ich, wie David den Anruf mit dem ausschließlich für seine Mutter reservierten Ton annimmt: mit der Resignation eines Menschen, der weiß, dass er schon enttäuscht sein wird, bevor das Gespräch auch nur begonnen hat.

KAPITEL ZWEI

BEX

Die Bläschen um meine Ohren herum platzen leise blubbernd, und das Wasser ist so heiß, dass es mir fast die Haut versengt. Von draußen auf dem Flur kann ich hin und wieder Bruchstücke von Davids Stimme hören, deren leiser, unverbindlicher Ton darauf hindeutet, dass er noch immer seine Mutter in der Leitung hat und sie den Hauptteil des Gesprächs bestreitet.

Ich schließe die Augen und versuche, meinen sich vor jäher Wut beschleunigenden Herzschlag zu beruhigen. Mich von meiner Verärgerung übermannen zu lassen wird niemandem helfen, und schon gar nicht David. Das weiß ich. Aber mich zu beherrschen ist leichter gesagt als getan. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen seine Mutter sich über Skype, einen Telefonanruf oder durch einen zeitlich schlecht gewählten, überraschenden Besuch in unser Leben drängt, hinterlässt sie unweigerlich ein emotionales Trümmerfeld. Denn sie beschwört dann wieder Gefühle herauf, die David in über zwei Jahrzehnten schön säuberlich verpackt in den hintersten Winkel seines Bewusstseins zu verdrängen versucht hat. Gefühle, die ich letztendlich durch die Kraft meiner Liebe wieder an ihren Platz zurückverbanne, sobald ihre virtuelle Präsenz wieder verschwindet. Ich weiß, dass das lieblos ist, und ich würde es auch nie laut aussprechen, aber manchmal wünschte ich, sie würde vom Erdboden verschwinden und David das Leben führen lassen, für das sie in den letzten fünfundzwanzig Jahren ohnehin kaum Interesse aufgebracht hat.

Ich öffne die Augen und schaue aus den hohen georgianischen Fenstern zu den Baumwipfeln in unserem Garten und den dahinterliegenden Rückseiten der Häuser anderer Leute hinaus. David sagt sehr oft im Scherz, ich solle die Jalousien herunterlassen, wenn ich ein Bad nehme, weil ich jedem mit einem wachsamen Auge oder Fernglas eine ziemlich gute Schau böte. Aber dieser Raum mit seinen glänzend polierten Holzdielen und der frei stehenden Badewanne im Mittelpunkt, die perfekt positioniert ist, um sich zurückzulehnen und die Aussicht zu genießen, ist einer der Gründe, aus denen ich mich in dieses Haus verliebt habe.

Das wortkarge Gemurmel im Schlafzimmer geht weiter, und ich frage mich, worüber sie wohl diesmal sprechen. Denn obwohl sie gewöhnlich nur zwei- oder dreimal im Jahr miteinander reden, dauern die Gespräche selten länger als die Zeit, die es in Anspruch nehmen würde, ein Ei zu pochieren.

Manchmal frage ich mich, wie es wohl wäre, eine andere Art von Schwiegermutter zu haben, eine, die interessiert und engagiert und stets verfügbar ist, wenn das Kind von der Schule abgeholt werden muss oder man über das Wochenende einen Babysitter braucht. Manchmal beobachte ich meine Freundinnen und ihre Schwiegermütter auf Kindergeburtstagspartys oder an Schulsporttagen und sehe sie miteinander lachen und plaudern, und das anscheinend völlig unbefangen und ohne auch nur einen Funken Angespanntheit zwischen ihnen. Und dann kann ich mich einer gewissen Wehmut nicht erwehren, weil ich diese Art von Beziehung mit Davids Mutter nie haben werde. Aber zum Glück fällt mir dann wieder ein, wie oft meine Freundinnen sich über die Einmischungen oder ungebetenen Ratschläge ihrer Schwiegermütter beklagen, und kann daraus nur schließen, dass die Kirschen in Nachbars Garten vielleicht auch nicht immer süßer sind. Oder dass eine desinteressierte Schwiegermutter, die eine vierundzwanzigstündige Flugreise entfernt lebt, vielleicht gar nicht mal die schlimmste aller Möglichkeiten ist.

Jetzt höre ich Davids dumpfe Schritte, die sich heute ungewöhnlich schwer anhören, aus dem Schlafzimmer kommen. Mit unseren Champagnergläsern und der Flasche bewaffnet kommt er ins Bad, reicht mir ein volles Glas und leert das andere in einem Zug. Dann lässt er sich auf den Stuhl fallen und starrt aus dem Fenster. Wir haben diese Szene oft genug geprobt, um zu wissen, dass ich jetzt geduldig sein und abwarten muss, bis er bereit ist, mir zu erzählen, was auch immer er loswerden muss.

Seine Stirn ist zerfurcht von Sorgenfalten, wo Minuten zuvor noch Lachfalten seine Haut gekräuselt hatten. Er schenkt sich ein weiteres Glas Champagner ein, leert auch dieses in einem Zug, und ich muss dem Bedürfnis widerstehen, ihn daran zu erinnern, dass es erst fünf Uhr ist und wir noch einen langen Abend vor uns haben. Oder dass er seiner Mutter gar nicht erst erlauben sollte, ihn so zu verstimmen.

Schließlich wendet er sich mir zu, und da ist mal wieder dieser Ausdruck in seinem Gesicht: die bittere Beilage zu was für einem ungenießbaren Gedeck auch immer, das seine Mutter ihm heute aufgetischt haben mag.

»Was ist das Gegenteil von einem Geburtstagsgeschenk? Ein Anti-Geschenk? Mit der Ausnahme allerdings, dass man ein Geschenk in den Laden zurückbringen und umtauschen kann, wenn es Mist ist, nicht?«

Seine Stimme ist bedrückt, aber immer noch von genügend Zorn erfüllt, um mir zu verraten, dass seine Mutter ihm wieder mal mächtig auf die Nerven gegangen ist.

»Worum ging es denn? Was hat sie gesagt?«

Daraufhin atmet er tief ein, als könnten die Worte, die er sucht, in den Sauerstoffpartikeln verborgen sein, die er in seine Lunge zieht.

»Sie will nach London zurückkehren. Für immer. Und ich soll ihr helfen, etwas zum Wohnen zu finden – ein Haus, ein Apartment oder was auch immer. Aber irgendwo in der Nähe offenbar. In unserer Nähe.« Er sieht mich an und schüttelt fassungslos den Kopf, während seine Augenbrauen bis fast zu seinem Haaransatz hinaufsteigen.

»Aber warum? Und wann? Und wie in Herrgotts Namen ist sie bloß auf die Idee gekommen?« Meine Stimme ist schrill, nachdrücklich und weit entfernt von dem ruhigen, forschenden Ton, um den ich mich bemüht hatte.

»Ich sage es dir mit den Worten meiner Mutter: ›Ich werde nicht jünger, David, und glaube, dass es zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens hilfreich für mich wäre, meiner Familie näher zu sein.‹ Zum jetzigen Zeitpunkt ihres Lebens! Himmelherrgott! Kennt der Egoismus dieser Frau denn keine Grenzen?«

Es war eine rein rhetorische Frage, wofür ich dankbar bin, da ich mir im Moment nicht zutrauen würde, sie zu beantworten. Stattdessen schaue ich nur schweigend zu, wie David ein weiteres Glas Champagner trinkt – sein drittes in ebenso vielen Minuten –, und während er den letzten Schluck seine Kehle hinunterrinnen lässt, versuche ich, meinen Ärger hinunterzuschlucken.

Wir waren schon fast ein Jahr zusammen, bevor David mir die genaueren Umstände der Auswanderung seiner Eltern anvertraute. Ich wusste bereits, dass sie in Australien lebten, und das schon seit geraumer Zeit. Ich wusste auch, dass David sie nie besuchte und seine Stimme angespannt und seine Sätze knapper wurden, wann immer er von ihnen sprach. Doch erst als wir über die Möglichkeit nachdachten zusammenzuziehen, erzählte er mir eines Freitagabends bei einem Curry zum Mitnehmen und sechs Dosen Lagerbier die ganze Geschichte.

Er erzählte mir, dass seine Eltern kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag angekündigt hatten, sie würden nach Australien auswandern und sich ihren lebenslangen Traum erfüllen, dort zu leben … auch wenn David von diesem Traum noch nie etwas gehört hatte. Sein Dad habe dort schon eine Anstellung gefunden, verkündeten sie David, einen sehr guten Job als Ingenieur bei einer der größten Baufirmen des Landes. Und sie hatten auch bereits ein Haus gefunden, das sie kaufen würden, von dem Davids Dad ihm ein Foto in die Hand drückte, wie um die Neuigkeiten mit fotografischer Genauigkeit zu erhärten. David schilderte mir seine Erinnerungen an die Gefühle, die auf ihn einstürmten und derart kompliziert und widersprüchlich waren, dass er eine Emotion nicht von der anderen trennen konnte: Aufregung, Angst, Unsicherheit, Hoffnung und die traurige Aussicht, seine Freunde, seine Schulkameraden und seine Fußballmannschaft zu verlieren. David sagte, dass er nicht einmal begonnen hatte, diese Gefühle zu trennen oder nach Prioritäten zu sortieren, bevor sein Vater ihm erklärte – so sachlich, als wäre es die vernünftigste Feststellung der Welt –, dass es natürlich unvernünftig wäre, David mitzunehmen. Schließlich habe er in weniger als einem Jahr seine Prüfungen vor sich. Dass es keinen Sinn hätte, ihn zu entwurzeln, da er in drei Jahren ja ohnehin die Universität besuchen würde.

Dann habe sein Vater sich seiner Mutter zugewandt, erzählte David, als hätten die beiden dies alles schon vorher als Kommentatoren-Team eingeübt. Sie habe ihn daraufhin darüber informiert, dass er ab September auf ein Internat wechseln würde und sie das alles bereits arrangiert hatten. »Es ist eine gute Schule, eine sehr teure Schule«, hatte seine Mutter betont, als besäße das irgendeine Relevanz. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass er in den Oster- und Sommerferien bei seiner Tante, ihrer Schwester, bleiben würde, doch zu Weihnachten, wenn er den Klimaunterschied am besten beurteilen könnte, zu Besuch kommen dürfe – und ob das nicht aufregend wäre? David beschrieb mir, wie gespannt sie ihn angesehen hatten, als erwarteten sie auch noch von ihm, dass er ihnen gratulierte, dankte oder irgendetwas sagte, das seine Begeisterung für ihre Pläne zum Ausdruck bringen würde. Aber David hatte nichts anderes tun können, als zu nicken, tief durchzuatmen und zu blinzeln, um die Tränen zu verdrängen, die hinter seinen Augenlidern brannten.

Als ich ihn jetzt mit frustrierter Miene und schmalen Augen aus dem Fenster starren sehe, erinnere ich mich wieder an den einen Teil der Geschichte, der mir noch viel intensiver als der Rest in Erinnerung geblieben ist. Wie seine Mutter, während sein Dad und sie weiter Pläne besprachen, die David gar nicht hören wollte, erklärt hatte: »Wir haben lange genug gewartet. Wir wollen nicht noch drei weitere Jahre ausharren müssen, obwohl das eigentlich gar nicht nötig ist.« Als wäre David jahrelang ein Mühlstein um ihren Hals gewesen, der sie daran gehindert hatte, ein idealisiertes Leben auf der anderen Seite der Welt zu führen.

In den dreizehn Jahren, die David und ich zusammen sind, habe ich seine Eltern nur dreimal gesehen. David weigert sich, nach Sydney zu fliegen; er war in jenen ersten Weihnachtsferien dort und dann nie wieder. Er fand einen Ferienjob als Bote in der Werbeagentur, die ihm später auch seine erste große Chance nach der Uni gab, und benutzte das als Vorwand, um nicht wieder hinzufliegen. Nicht einmal zur Beerdigung seines Vaters vor zwei Jahren kehrte er nach Australien zurück. David erklärte seiner Mum, es sei sehr schwierig, sich von der Arbeit loszueisen, was zwar nicht völlig unzutreffend, aber auch nicht der wahre Grund war. Und seine Eltern waren immer nur nach England zurückgekehrt, wenn die Frau von Davids älterem Bruder Nate ein weiteres Kind bekommen hatte. Sie waren nicht einmal zu unserer Hochzeit erschienen, und Jacob haben sie außer auf einem Computerbildschirm noch nie gesehen. Wir sind bei jedem ihrer Besuche so etwas wie ein Nachtrag gewesen, ein spontaner nachträglicher Einfall wie eine zu spät verschickte Geburtstagskarte.

»Vielleicht ist es ja auch nur leeres Geschwätz? Du weißt doch, wie deine Mum ist. Wahrscheinlich wird gar nichts daraus. Und selbst wenn sie zurückkäme, würde sie doch wohl eher in Nates und Lilys Nähe wohnen wollen als in unserer?«

Bei der Erwähnung von Nates Namen zieht David fast unmerklich die Schultern hoch und atmet tief und langsam ein und wieder aus.

Ich habe die Entfremdung zwischen David und seinem älteren Bruder nie verstanden. David behauptet, es habe kein gravierendes Zerwürfnis zwischen ihnen gegeben, keinen Verrat oder Vertrauensbruch, keinen entscheidenden Moment, der sie unwiderruflich auseinandergebracht hätte. Es war einfach so, dass sie nie viel gemeinsam gehabt hatten und wegen des Altersunterschieds von sieben Jahren in ihrer Kindheit auch keine Spielgefährten gewesen waren. Nate sei stets das Goldkind in den Augen seiner Eltern gewesen, sagt David und meint, er sei froh gewesen, aus Nates Schatten herauszutreten, nachdem seine Eltern ausgewandert waren. Nur weil man mit jemandem blutsverwandt ist, bedeutet das noch lange nicht, dass man ihn lieben oder auch nur mögen muss. Und da ich selbst keine Geschwister habe, muss ich ihm wohl glauben.

Als David sich endlich wieder zu mir umdreht, kann ich in seinen krokodilgrünen Augen Jacob sehen: Jacob, nachdem er bei einem Fußballspiel an einem Sonntagmorgen schlecht gespielt hat oder wenn er seine Hausaufgabe in Rechtschreibung nicht hinbekommen hat oder sich mit Ethan, seinem besten Freund, gestritten hat.

»Nein«, beantwortet David endlich meine Frage, »das ist unmöglich, weil Nate und Lily anscheinend gerade erst ein großes Haus in Devon gekauft haben, wo Lily mit den Kindern leben soll, während Nate die Hälfte der Woche in London bleiben wird. Deshalb hält Mum es für praktischer, wenn sie in unserer Nähe wohnt, da wir immer hier sind. Denn wir würden Nate ja keine Unannehmlichkeiten bereiten wollen, nicht?«

In seiner Stimme klingt ein Sarkasmus mit, der sich immer nur in Gesprächen über seine Mum bemerkbar macht. Er passt nicht zu ihm und klingt auch nicht nach ihm. Es ist eine andere Version von David, die da spricht, eine frühere aus der Zeit, bevor wir uns kennenlernten – ein zorniger, verletzter und fassungsloser Teenager, der voller Wut auf seine Eltern ist, die ihn im Stich gelassen haben.

»Aber warum zum Teufel sagt sie dir das ausgerechnet heute?« Ich weiß, dass das nicht die wichtigste Frage ist, doch ich bezweifle, dass einer von uns beiden weiß, wo er mit dem Rest beginnen soll.

»Es sollte eine Überraschung sein. Zu meinem Geburtstag, sagte sie. Anscheinend hat sie den Umzug schon seit Monaten geplant. Nate weiß es offenbar schon ewig. Sie hat sogar schon einen Käufer für das Haus in Sydney in Aussicht und eine engere Auswahlliste von Londoner Immobilien, die ich mir für sie ansehen soll. Gott, was für ein Albtraum! Alles Gute zum Geburtstag, David.«

Und damit gießt er den letzten Champagner aus der Flasche in sein Glas und leert es fast ein wenig trotzig in einem Zug.

Ich steige aus der Wanne und schlinge ein Badetuch um meine noch mit Schaum bedeckte Haut. So setze ich mich auf Davids Schoß, lege meine Hände um sein Gesicht und küsse ihn zärtlich auf die Lippen.

»Du bist ganz nass. Und schmeckst nach Badeschaum.«

Ich höre jedoch das Lächeln in seiner Stimme und küsse ihn erneut, bevor ich mich an ihn lehne und meine Wange an seine schmiege.

»Manchmal muss ich dir einfach zeigen, wie sehr ich dich liebe, ob ich nun gerade aus dem Bad komme oder nicht.«

Ich küsse ihn ein drittes Mal, und er reagiert, indem er eine Hand unter mein Badetuch schiebt, wo meine Haut noch schlüpfrig von dem Seifenwasser ist.

»Es wird schon gut gehen, David. Das Timing deiner Mutter ist unmöglich wie immer, aber was auch immer kommen mag, wir werden damit fertig, klar?«

David nickt, und ich sehe, wie die Anspannung von seinem Gesicht abfällt wie dunkle Folie von einer neuen Glasscheibe. Ich küsse ihn noch einmal, bevor ich von seinem Schoß hinuntergleite und ihn auf die Beine ziehe.

»Und nun springst du besser unter die Dusche, weil du nach Sex riechst, mein Lieber, und meine Mum schon bald mit Jacob zurück sein wird.«

KAPITEL DREI

JUDITH

Rebecca und David sitzen auf der Bank in ihrem Garten, ihre Hand liegt auf seinem Oberschenkel, und seine Finger sind fest verschränkt mit ihren. Ihnen gegenüber und neben mir wirbelt Jacobs Enthusiasmus durch die Luft unter der warmen Septembersonne. Wie immer sind seine Geschichten die akustische Begleitung des Familienlebens. Hin und wieder schauen Rebecca und David sich an und wechseln einen verstohlenen Blick. Einen jener Blicke, von denen verliebte Paare glauben, nur sie selbst würden sie bemerken – ob nun tausend Menschen anwesend sind oder wie in diesem Fall nur zwei, also Jacob und ich, die beiden entgegengesetzten Enden im Generationsspektrum ihres Lebens.

Jacob erzählt ihnen von der Farm mitten in der Stadt, die er und ich heute besichtigt haben, und die neu gewonnenen Erkenntnisse sprudeln ihm fast schneller über die Lippen, als er sie weitergeben kann. David nickt und stellt ihm scheinbar überraschte Fragen, um den Jungen glauben zu machen, er übermittelte ihnen völlig neue Fakten.

Ich beobachte die drei, die ein Bild häuslicher Zufriedenheit bieten, und bin ihnen wieder einmal dankbar, dass sie mich an Momenten wie diesem teilhaben lassen.

Rebecca sieht heute sehr schön aus. Sehr schön und sehr, sehr glücklich. Ich weiß, dass alle Eltern glauben, ihre Kinder seien etwas Besonderes, doch ich bin mir sicher, dass Rebecca es selbst nach objektiven Maßstäben tatsächlich ist. Und genauso sicher bin ich mir, dass das nicht nur mütterlicher Selbstbetrug ist. Mit ihrem dichten, glänzenden dunklen Haar, das ihr glatt bis kurz unter die Schultern fällt, ihren intelligenten dunklen Augen, die so voller Einfühlungsvermögen sind, und ihrem unaufdringlichen Lächeln – dem Lächeln einer Frau, die keine Vorstellung von ihrer eigenen Schönheit hat – hätte sie ein Filmstar sein können, wenn sie es gewollt hätte. Nicht, dass Rebecca je diesen Wunsch gehabt hätte. Für sie wäre ein solches Leben viel zu exhibitionistisch, auffällig und nicht privat genug gewesen.

Alles, was ich mir für meine Tochter je gewünscht habe, war, einen netten Mann kennenzulernen, der ihr ein guter Ehemann und ihren Kindern ein guter Vater sein würde. Ich weiß, dass das heute ein veraltetes Bestreben ist. Deshalb würde es mir nicht einmal im Traum einfallen, es ihr gegenüber zuzugeben. Sie würde es nicht glauben können. Womöglich wäre sie sogar verärgert – und das vielleicht sogar zu Recht.

Und was ist mit einem erfüllenden Beruf, einem netten Freundeskreis und einem eigenständigen Leben außerhalb des Hauses?, würde sie in einem Ton entgegnen, der irgendwo zwischen Frustration und Ungläubigkeit läge, als könnte einzig jemand, der 1950 zur Welt gekommen ist, solchen Gedanken auch nur eine flüchtige Aufmerksamkeit widmen. Und es ist auch gar nicht so, dass ich anderer Meinung bin. Oder jedenfalls nicht ganz. Aber letzten Endes ist es doch so, dass es nicht dein Beruf ist, der dich nachts in die Arme nimmt, dessen warmen Atem du an deinem Nacken spürst oder der dich bis zum Morgen an sich drücken wird.

Außerdem hat Rebecca ohnehin all diese anderen Dinge. Zum Beweis dafür habe ich ein Bücherregal zu Hause stehen, das Ausgaben von jedem Kinderbuch enthält, das meine Tochter illustriert hat. Selbst die ausländischen Ausgaben in Ungarisch, Russisch, Italienisch und zahllosen anderen Sprachen stehen dort, die ich zwar nicht lesen, aber trotzdem entziffern kann, weil ich jedes einzelne dieser Bücher auswendig kann.

Ich sehe, wie Rebecca die Augen schließt und den Kopf zurücklegt, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen, das von einem Ausdruck der Zufriedenheit geprägt ist. Es gibt Momente wie diesen, in denen ich sie anschaue und sie so glücklich zu sein scheint – so aufrichtig glücklich –, dass ich mich selbst davon überzeugen kann, wie richtig die Entscheidungen waren, die ich traf, bevor sie alt genug war, um sich zu erinnern. Dass ich mich nicht all diese Jahre deswegen hätte quälen müssen, weil es ihr gut geht. Mehr als gut. Und weil sie einfach wunderbar ist.

Diese kurze Atempause von meiner Unsicherheit hält jedoch nie lange an, bevor die quälenden Zweifel mich wieder überfallen. Und dennoch kann ich mir in diesen seltenen Momenten, in denen sich der Nebel der Besorgnis lichtet, einen kurzen Eindruck davon verschaffen, wie es vielleicht gewesen wäre, ein anderes Leben gelebt zu haben. Ein Leben frei von den Schatten einer Vergangenheit, die ich seit so vielen Jahren vergeblich zu vergessen suche.

KAPITEL VIER

BEX

Als ich die Augen öffne, sehe ich, dass Mum mich mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck, den sie manchmal hat, anstarrt. Mit diesem Ausdruck, der weder glücklich noch traurig und dennoch irgendwie auch beides ist. »Wehmütig« würde man ihn wahrscheinlich nennen. Aber obwohl ich schon andere Menschen mit einem Ausdruck der Wehmut gesehen habe, kenne ich diesen ganz speziellen nur von Mum. Ich lächle sie an, und sie blinzelt zweimal langsam, als träte sie gerade aus einem dunklen Kino heraus.

Von meinen Freundinnen höre ich oft Bemerkungen, wie froh ich sein könnte, wenn ich die Gene meiner Mutter geerbt hätte. »Sie sieht so jung aus und ist immer so tadellos gekleidet und gepflegt«, sagen sie. Ganz objektiv betrachtet, sehe ich das auch. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich Mum das letzte Mal ohne perfektes Make-up oder ebenso perfekt geföhntes Haar gesehen habe. Ihr beim Schminken zuzusehen war stets eine meiner ersten Aufgaben des Tages, als ich noch ein Kind war. »Man geht niemals ohne Make-up an die Tür, Rebecca«, pflegte sie mir mit der ganzen Klugheit kritischer Lebensphilosophie zu sagen. Aber hinter der gepflegten Attraktivität ihrer Erscheinung und ihrem beruhigenden Lächeln habe ich immer noch etwas anderes in Mums Gesicht gesehen: Müdigkeit und Überdruss. Ein hintergründiges Unbehagen in ihren Augen, das mehr zu sein scheint als das Ergebnis ihrer sehr schlechten langjährigen Beziehung mit dem Schlaf.

»Omi? Ich komm nicht weiter. Kannst du mir helfen?«

Die zarte Haut zwischen Jacobs Augenbrauen kräuselt sich vor Konzentration, als er mit dem Modellbau-Bienenstock herumhantiert, den Mum ihm heute Nachmittag gekauft hat. Omi. Trotz des jahrelangen Gebrauchs bringt mich dieser Name immer noch zum Lächeln. Als Jacob geboren wurde, fragten wir Mum, wie sie von ihm genannt werden wollte, und sie entschied sich für »Oma«. Es war der Kosename, den sie ihrer eigenen Lieblingsgroßmutter gegeben hatte, und ich glaube, sie hoffte, dass die Geschichte sich vielleicht wiederholen würde, wenn auch sie ihn annahm. Aber als die Laute, die der kleine Jacob von sich gab, nach und nach zu Worten wurden, war es nicht »Oma«, was dabei herauskam, sondern »Omi«. Irgendwann gaben wir die Versuche auf, ihn zu berichtigen, und spätestens von diesem Tag an wurde Mum zu »Omi«.

Ich beobachte die beiden, als sie verschwörerisch die Köpfe zusammenstecken und Mum versucht, die Nachbildung eines Honigrähmchens aus Pappkarton in einen Schlitz des etwas zu kleinen Bienenstocks zu stecken, und wieder verspüre ich die vertraute Mischung aus Empfindungen wie Nostalgie, Dankbarkeit und Erleichterung, die mich so oft erfasst, wenn ich die beiden zusammen sehe. Das Gefühl, dass Jacobs Gegenwart auf wundersame Weise einige der früheren Konflikte in meiner Beziehung zu Mum ausgeräumt hat. Einige, doch längst nicht alle. Im Laufe der Jahre habe ich mich schließlich damit abgefunden, dass unsere Beziehung nie ganz ohne Unstimmigkeiten sein wird. Aber es ist fast so, als hätte meine eigene Mutterschaft die Gereiztheit, Ungeduld und Undankbarkeit der Tochter ein wenig abgeschwächt. Ich habe es sofort gemerkt, schon von dem Moment an, als Mum uns im Krankenhaus besuchte und ich ihr Jacob in die Arme legte. Dieses paradoxe Gefühl, sowohl unbestreitbar getrennt von ihr zu sein – als Erwachsene und nun auch Mutter – und dennoch untrennbar mit ihr verbunden durch den Fortbestand der Generationen.

»Wird es gehen, Omi? Kannst du es zusammensetzen?«

Die unterschwellige Enttäuschung, die in Jacobs Stimme schon zu hören war, scheint Mums Entschlossenheit zu beflügeln, es doch zu schaffen. Als sie das letzte Teil an seinem Platz anbringt und Jacob den fertigen Bienenstock übergibt, tut sie es mit einem Ausdruck von solch strahlender Zufriedenheit, dass er die Zeit zurückzudrehen scheint, bis es nicht mehr Jacob ist, der neben ihr sitzt, sondern ich. Geborgen in der sicheren Gewissheit, dass Mum imstande ist, die Leine meines Spielzeughundes zu entwirren, das fehlende Teilchen eines Puzzles zu finden oder meine Tränen zu trocknen und mich zum Lachen zu bringen, wenn ich einen schlechten Tag in der Schule hatte. Und überhaupt wieder alles in Ordnung zu bringen, als so viel so schrecklich schiefgegangen war.

»Ich denke, es ist Zeit für einen Dämmerschoppen, nicht? Was darf ich Ihnen bringen, meine Damen? Gin Tonic? Ein Glas Weißwein? Was hättest du gern, Judith?«

KAPITEL FÜNF

JUDITH

David beugt sich über den Tisch und drückt mir mit solch unbefangener, selbstverständlicher Zuneigung den Oberarm, dass ich ihm selbst nach all diesen Jahren noch immer dankbar dafür bin. Und obwohl es für mich eigentlich noch viel zu früh ist für alkoholische Getränke, will ich jedoch nicht unhöflich erscheinen und nicke David lächelnd zu.

»Das wäre wunderbar. Was immer du auch hast.«

Nun wendet er sich Rebecca zu und zieht fragend eine Augenbraue hoch, worauf sie die Augen verdreht und lächelt, als hätten sie dieses Gespräch bereits geführt, als ich nicht darauf geachtet habe. Als David aufsteht, um in die Küche zu gehen, dreht er sich noch einmal zu ihr um und küsst sie so, dass ich mich frage, ob es in meinem Leben je einen Moment gegeben hat, in dem ich so von einem Mann geküsst worden bin, oder ob ich einfach nur die Zeit vergessen habe, als sie es noch taten.

Ich wende diskret den Blick ab und hefte ihn auf die Japanische Kastanie in ihrem Kübel, deren Laub sich gerade erst zu röten beginnt, bis ich David auf die Küche zugehen höre. Es dauert kaum eine Minute, bis er wieder zurückkommt, eine Flasche Champagner in der einen Hand, drei Sektflöten in der anderen. Zwischen ihnen balanciert er ein gefährlich schwankendes Glas Limonade. Dabei grinst er wie ein ungezogener Schuljunge, der die Folgen tragen wird, was immer sie auch sein mögen.

»David! Bei diesem Tempo werden wir es nicht mal zu der Party schaffen!«

Rebecca wirft mir einen Blick zu und schüttelt den Kopf, aber ich kann die Lachfältchen um ihre Augen sehen.

»Die Champagnerflasche kam mir nur sehr einsam vor so ganz allein im Kühlschrank. Und es ist ja auch nicht so, als würde ich noch mal vierzig werden, nicht?«

Zur Feier des Tages lässt er laut den Korken knallen, und in dem Moment erinnere ich mich an die Neuigkeiten, die Jacob uns noch zu erzählen hat.

»Ist da nicht noch etwas, was du Mum und Dad erzählen wolltest, Jacob?«

Der Junge zögert einen Moment, bevor er sich zu erinnern scheint und sein Gesicht zu strahlen beginnt wie ein von der Sonne beschienener See.

»Wisst ihr, was?«

David reicht mir ein Glas Champagner, und ich trinke ein Schlückchen, das auf meiner Zunge perlt und meinen Gaumen kitzelt, was mich immer an die gefüllten Brötchen in Enid Blytons Zauberwald-Büchern erinnert, die ich Rebecca, als sie noch ein Kind war, so oft vorgelesen habe.

»Was?«

»Miss Henshall hat gesagt, dass ich in der Weihnachtsaufführung der Schule die Hauptrolle bekommen werde.«

Er lächelt ein bisschen verlegen, als hätte er sich selbst noch nicht ganz an die Neuigkeit gewöhnt.

»Oh, Jakey, das ist ja wunderbar! Komm her und lass dich umarmen.«

Jacob rutscht von seinem Stuhl und geht um den Tisch herum in Davids ausgestreckte Arme.

»Das sind ja großartige Neuigkeiten, Schatz. Wie heißt das Stück denn? Und welche Rolle wirst du darin spielen?« Rebecca küsst Jacob aufs Haar und nimmt ihn auf den Schoß.

»Wir spielen Hans und die Bohnenstange, und ich werde der Hans sein. Miss Henshall sagt, sie hätte sich für mich entschieden, weil ich letztes Jahr ein so gutes Zeugnis hatte und mich wirklich angestrengt habe, seit wir aus den Sommerferien zurückgekommen sind. Sie sagte, ich müsste aber jede Menge Text lernen und ihn total gut üben, um an dem Tag nichts Falsches zu sagen.«

Rebecca und David wenden sich einander zu und lächeln mit einem Gesichtsausdruck, der zu besagen scheint: Wir haben wirklich Glück, nicht wahr?, als gäben sie einander lautlos das Versprechen, Momente wie diese niemals zu vergessen. Ein Teil von mir ist versucht, sie zu unterbrechen und ihnen den Rat zu geben: Schreibt es auf! Haltet jeden einzelnen Moment fest, weil sie so schnell vorübergehen und ihr so viel vergessen werdet, dass euch eines Tages nur noch ein liebevolles Bewusstsein dafür bleiben wird, wie viel es ist, was ihr vergessen habt.

Aber natürlich sage ich nichts. Andere Eltern warnen einen immer, aber man hört nicht zu oder jedenfalls nicht wirklich. Ich glaube, dass kein Elternteil wirklich versteht, dass die Kindheit mit Lichtgeschwindigkeit vergeht, bis es zu spät ist. Erst wenn man seine eigene Tochter ansieht, die heute eine Erwachsene mit einer Familie, einem Zuhause und einem eigenen Beruf ist, erlebt man diesen Moment der Verwirrung darüber, wo die letzten vierzig Jahre geblieben sind. Diese flüchtige Panik über das Verschwinden der Vergangenheit, jene fernen Tage, Wochen und Monate, an die man sich nicht mehr detailliert genug erinnern kann, um sie real zu machen.

»Mach dir deswegen keine Sorgen, Jakey. Ich muss ständig Vorträge halten und kann dir alle möglichen Tricks beibringen, um deinen Text zu behalten. Wir werden ihn zusammen üben, und du wirst ganz toll sein auf der Bühne! Und weißt du, was? Diese Neuigkeit ist das beste Geburtstagsgeschenk, das ich je bekommen habe. Ehrlich. Das allerbeste.«

Als David seinem Sohn mit der Hand durch das Haar fährt, das seinem eigenen so ähnlich ist, schlucke ich einen großen Mundvoll Champagner hinunter, um den Kloß, der mir in die Kehle gestiegen ist, loszuwerden und stattdessen wieder diese vertraute, bittersüße Mischung aus Dankbarkeit, Enttäuschung, Schuldbewusstsein und Reue zu schmecken. Dankbarkeit, weil Jacob einen so guten Vater hat, und alles andere des Umstands wegen, dass ein solcher Vater Rebecca von einem so zarten Alter an versagt geblieben war.

»Gut. Um welche Zeit müssen wir auf der Party sein, Bex? Musst du dich nicht langsam fertig machen?«

Bevor Rebecca etwas erwidern kann oder ich auch nur merke, dass ich es laut sagen werde, ehe ich eine Chance bekomme, die Stimme in meinem Kopf, die mich zum Reden drängt, zum Schweigen zu bringen, purzeln die Worte auch schon aus meinem Mund heraus. Seit Rebeccas Einladung vor über einem Monat habe ich mir darüber den Kopf zerbrochen.

»Ich finde wirklich, dass ich heute Abend nicht mitkommen sollte. Es war sehr nett von euch, mich einzuladen, und es wird auch sicher eine reizende Party, doch ich glaube nicht, dass ich mich dort wohlfühlen würde. Ich wäre die Älteste, und wenn ich ehrlich sein soll, bliebe ich wirklich viel lieber zu Hause.«

Als die Worte heraus sind, wird mir leichter ums Herz, und ich kann mir endlich eingestehen, wie sehr es mich gedrängt hatte, sie auszusprechen.

Aber dann werfe ich Rebecca einen Blick zu, bevor sie ihr Mienenspiel beherrschen kann, und sehe die Verärgerung, die über ihr Gesicht huscht, als hätte ihr ganzes Ich einen tief empfundenen, frustrierten Seufzer ausgestoßen. Und sofort wünschte ich wieder, dass ich doch besser den Mund gehalten hätte.

KAPITEL SECHS

BEX

Ich versuche, mir eine Antwort einfallen zu lassen, einen Ton zu finden, der meine Gefühle nicht verraten wird, als David einen Arm über den Gartentisch ausstreckt und Mums Hand in seine nimmt.

»Sei nicht albern, Judith. Natürlich kommst du mit. Es wird ein lustiger Abend werden, glaub mir.«

Mums Blick huscht von David zu mir und wieder zurück, und ich bete innerlich, dass sie es dabei belässt und dies kein weiterer dieser Momente wird, die sie und mich vorübergehend auf verschiedene Inseln versetzen, wo wir uns nur über den Ozean hinweg zublinzeln können.

»Ich glaube nur, dass ich mir ein bisschen komisch vorkäme, weil ich ja auch so gut wie niemanden dort kennen würde.«

Jetzt schaut Mum mich an, und ich bin mir nicht sicher, ob es Beruhigung oder Zustimmung ist, was sie von mir will.

Ein Teil von mir sagt: Na schön, dann komm eben nicht mit, aber ich weiß, dass das der Teil von mir ist, dessen Geduld reichlich überstrapaziert worden ist in all den Jahren, in denen ich Mum immer wieder mit Engelszungen überreden musste, irgendetwas zu tun, was von ihrer ruhigen, alltäglichen Routine abweicht.

»Du wirst dort mindestens die Hälfte der Leute kennen, Mum. Vielen von ihnen bist du auf Jacobs Geburtstagspartys oder auf Schulveranstaltungen begegnet. Glaub mir, es wird sicher nett, Mum.«

Die Entschiedenheit in meinem Ton ist die gleiche, die Jacob von mir zu hören bekommt, wenn er um eine zweite Portion Eiscreme bittet, obwohl er seine eigentliche Mahlzeit nicht mal aufgegessen hat.

Mum öffnet den Mund, und ich kann spüren, wie es sie drängt zu widersprechen. Aber dann schließt sie ihn wieder, und für einen Augenblick breitet sich Stille aus. Eine Stille, die all die Dinge beinhaltet, die besser ungesagt bleiben sollten, wie wir beide wissen.

»Wahrscheinlich hast du recht. Das war dumm von mir. Es wird sicher eine schöne Party, ganz bestimmt.«

Die Antwort kommt so automatisch, als läse Mum sie mehr schlecht als recht von einem Skript ab, das ich für sie vorbereitet habe. Gereiztheit packt mich, und meine Nerven flattern wie ein ungeduldiger Vogel, der verzweifelt einen Fluchtweg sucht. Aber ich weiß, dass ich mich beherrschen muss, bis das Gefühl vorübergeht.

»Warum darf ich nicht mit zu der Party? Ethan wird auch dort sein, da müsste ich doch mitkommen dürfen?«

Jacobs unglücklicher Ton lässt die Anspannung weichen, und ich nehme ihn ganz fest in die Arme, als versuchte ich, uns beide vor der Möglichkeit zu beschützen, dass er eines Tages vielleicht all das über mich denkt, was ich gerade über meine Mutter gedacht habe.

»Ethan wird nicht dabei sein, kleiner Mann. Er wird in seinem Bett liegen und schlafen, genau wie du. Diese Party ist wirklich nur für Erwachsene, Jakey.«

Jacob schiebt die Unterlippe vor und scheint sich, wenn auch nur widerstrebend, mit seiner Niederlage abzufinden. Als ich aufblicke, sehe ich, dass Mum uns beobachtet. Ihre nervöse Miene von vorhin ist einem schon fast beglückten Lächeln gewichen, das mich erröten lässt, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob aus Verlegenheit oder Schuldbewusstsein. Doch es bringt mich wieder einmal dazu, mir zu schwören, in Zukunft geduldiger mit ihr zu sein. Es ist ein Schwur, den ich brechen werde, wie ich weiß. Deshalb muss ich ihn ab und zu erneuern, um mir in Erinnerung zu rufen, dass ich unmöglich nachvollziehen kann, wie sie sich fühlt. Unzählige Male habe ich versucht, mir vorzustellen, was ich tun oder wie ich reagieren würde, wenn Davids Auto in einer Winternacht mit einem Baum zusammenstieße und er nie wieder nach Hause käme. Doch der Gedanke daran ist so unerträglich schmerzhaft, dass ich meinen Verstand davor verschließen muss. Und dann erinnere ich mich auch wieder, dass ich Mum unmöglich für die Art und Weise verurteilen kann, wie sie in den vergangenen dreiunddreißig Jahren ihr Leben geführt hat.

Aber das hindert mich nicht daran, mir manchmal doch zu wünschen, dass die Dinge anders wären. Nicht nur für mich und meine eigene kleine Familie, sondern auch für Mum. Wie oft habe ich mir gewünscht, sie hätte sich nicht von allem und jedem außer mir zurückgezogen. Oder sie hätte sich nicht in ihrem Kummer vergraben, als hätte Dads Tod ihr jede Möglichkeit genommen, je wieder glücklich zu sein. Seit Langem wünsche ich mir, sie hätte jemanden gefunden – einen Freund, Liebhaber oder auch einen neuen Ehemann –, um die Leere zu füllen, die Dad in ihrem Leben hinterlassen hat. Diese schmerzliche Leere, die ich erfolglos zu füllen versucht habe, seit ich im gleichen Alter war wie Jacob jetzt.

Früher hielt ich es für normal, mit Mum in diesem einsamen kleinen Kokon für zwei zu leben, da Kinder ja fast immer glauben, ihre Familie sei genauso wie die aller anderen … bis irgendetwas ihnen unwiderruflich vor Augen führt, dass dem keineswegs so ist. Ich muss etwa acht oder neun gewesen sein, bevor mir langsam bewusst zu werden begann, dass die Mütter der anderen Kinder Freundinnen hatten, berufstätig waren oder mit anderen Müttern am Schultor plauderten, während meine Mum immer wie eine einsame Gestalt auf einem überfüllten Spielplatz etwas abseits stand. Und irgendwann fing ich an, mich zu fragen, ob der Grund dafür, dass ich nur ein einziges Mal von einer Schulfreundin zum Tee eingeladen worden war, vielleicht der Umstand war, dass wir niemals eine Einladung erwiderten.

Ich erinnere mich, dass ich in meinen Teenagerjahren Mum ermutigte, ortsansässigen Gruppen oder Vereinen beizutreten, sich Freunde zu suchen und das Leben wieder zu bejahen. Wahrscheinlich war das zu der Zeit, in der ich selbst Universitäten besichtigte und zu entscheiden versuchte, ob ich unbedingt von zu Hause wegwollte oder Angst davor hatte. Es seien schon über zehn Jahre seit Dads Tod vergangen, beschwor ich Mum. Werde es da nicht langsam Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich mit der Zukunft zu befassen? Rückblickend vermute ich, dass meine Beweggründe zumindest teilweise selbstsüchtige gewesen waren: Es hatte wiederholt Nächte gegeben, in denen ich bis in die frühen Morgenstunden wach gelegen und mir Sorgen darüber gemacht hatte, wie in aller Welt Mum ohne mich zurechtkommen sollte. Aber sie beharrte darauf, dass es ihr gut ging und auch weiter gut gehen würde – und dass Vereine nicht ihr Ding waren. Ich erinnere mich noch, gedacht zu haben: Und Freundinnen sind es wohl auch nicht? Aber ich verkniff mir die Frage, um Mum nicht aufzuregen.

Zwanzig Jahre später bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich ihretwegen oder meinetwegen wünschte, es gäbe mehr in ihrem Leben als nur mich, David und Jacob. Und dann naht ein weiterer Jahrestag – Dads Geburtstag, sein und Mums Hochzeitstag, sein Todestag –, alles Zeitpunkte, die sie während meiner Schulzeit tagelang ganz furchtbar deprimierten und die immer noch die Macht besitzen, sie in Verzweiflung zu stürzen. Dann wird mir gleich wieder bewusst, dass es mir nicht zusteht, ihr eine Frist für ihren Kummer vorzuschreiben. Aber ich bewahre all diese Daten nach wie vor in meinem Kalender auf, elektronische Ermahnungen, die so eingestellt sind, dass sie eine Woche vorher erscheinen, als Warnungen für mich gewissermaßen, ein kleines bisschen geduldiger als sonst mit ihr zu sein.

»Bex, es ist fast sechs. Soll ich schon mal mit Jacobs Abendessen anfangen?«

Meine Aufmerksamkeit wendet sich wieder dem Garten zu, doch bevor ich Gelegenheit bekomme, etwas zu erwidern, schiebt Mum schon ihren Sessel zurück und erhebt sich.

»Ich erledige das schon, David. Genießt ihr zwei den letzten Sonnenschein. Komm, Jacob. Was meinst du – soll ich dir die leckeren Käse-Makkaroni machen?«

Jacob springt in freudigem Einverständnis auf, und als er Mums Hand ergreift und sie auf die Küche zugehen, dreht sie sich zu mir um und lächelt mit einem Gesichtsausdruck, der mir ebenso vertraut ist wie irgendeiner meiner eigenen.

Ich erwidere das Lächeln mit einem Blick, von dem ich hoffe, dass er nicht nur »Danke«, sondern auch »Tut mir leid« ausdrückt.

KAPITEL SIEBEN

BEX

Ausgerechnet Common People von Pulp plärrt aus den Lautsprechern, was eine etwas paradoxe Musikwahl ist, wenn man bedenkt, dass ich in einem der drei Empfangsräume von Melissas und Seth’ eindrucksvollem Haus in Highgate stehe. Es stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert und erhält fast jede Woche Anfragen, ob es als Location für Film-, Fernseh- oder Modeaufnahmen gemietet werden kann.

Kellner in blendend weißen Hemden und sorgfältig gebügelten dunkelgrauen Hosen reichen Champagner, Cocktails und Kanapees herum. Etwa hundert Gäste stehen in Grüppchen zusammen, aber auch viele von ihnen strömen in den gepflegten, von Windlichtern erhellten Garten hinaus, die gerade genug Licht abgeben, um die Bäume im dahinterliegenden Hampstead Heath erahnen zu lassen. In der anderen Ecke des Raumes hält David Hof für Abi und Josh, Laura und Nick und einige andere Eltern von Jacobs Mitschülern. Im Rest des Raumes verstreut sind Freunde von der Uni, aus lange zurückliegenden Jobs und aus der Werbeagentur, die David führt.

Würde man diesen Moment in einem Bild festhalten, wäre es eine perfekte Darstellung eines durch die im Laufe der Jahre gewonnenen Freunde erzählten Lebens.

Melissa, die neben mir sitzt, behält den Raum im Auge, um sicherzugehen, dass alles genau nach dem Plan verläuft, den sie und ich in den letzten sechs Wochen geschmiedet haben.

»Ich kann dir gar nicht genug für all das danken, Melissa. Ich hatte von Anfang an schon das Gefühl, dass du bei der Beköstigung keine Mühen scheuen würdest, aber das hier … das ist schier unglaublich! Und der Garten sieht fantastisch aus. Zauberhaft. Vielen, vielen Dank!«

Melissa winkt ab, als wäre diese grenzenlose Großzügigkeit kaum erwähnenswert. »Sei nicht albern. Du weißt, wie gern ich Partys gebe. Und da David stets das Herzstück jeder Party ist, ist er der ideale Ehrengast. Eigentlich müsste ich mich bei ihm bedanken, weil er so nett war, vierzig zu werden, als mir gerade die Vorwände für eine weitere Party ausgingen.«

Ihrer Stimme haftet der gewohnte schelmische Tonfall an.

Wie immer klingt eine verspielte Note in Melissas Stimme mit, deren New Yorker Akzent längst nicht mehr so ausgeprägt ist, da sie nun schon seit acht Jahren in London lebt.

»Ich werde ihn wissen lassen, dass er dir einen Gefallen getan hat. Aber Spaß beiseite, Melissa, es ist wirklich alles ganz fantastisch. Vielen, vielen Dank dafür.«

Ich lege einen Arm um ihre schmalen Schultern, als Pulp durch Amy Winehouse und ihr Back to Black ersetzt wird, das mich in Sekundenschnelle zu dem Moment zurückversetzt, in dem Melissa und ich uns zum ersten Mal begegnet waren.

Auch an jenem Samstagmorgen erklang Amy Winehouse’ Stimme aus dem Radio des Feinkostladens, in dem wir uns kennenlernten, nachdem David und ich etwa zwölf Stunden zuvor in unserem neuen Zuhause eingezogen waren. Natürlich waren wir an diesem Abend viel zu lange aufgeblieben, hatten Prosecco getrunken und waren wie Kinder die Treppen hinauf- und hinuntergelaufen, weil wir beide fast nicht glauben konnten, dass wir nach Jahren des Lebens in einer Wohnung nun endlich ein ganzes Haus für uns hatten, ein komplettes, dreistöckiges Haus – ganz allein für uns!

Wahrscheinlich war es eine Kombination aus häuslichem Chaos und einem kleinen Kater, was mich so ungewöhnlich vergesslich gemacht hatte. Aber als die Verkäuferin in dem Feinkostgeschäft meine letzten Einkäufe in einer großen braunen Papiertüte verstaute – das Brot und den frisch gepressten Orangensaft, den Frühstücksspeck und die Tomaten, das Schokoladenbrötchen für mich und das Mandel-Croissant für David – und ich in meine Jeanstasche nach dem Zwanziger griff, den ich zu Hause eingesteckt hatte, musste ich feststellen, dass er nicht da war.

Ein paar Sekunden kramte ich in meinen Hosentaschen und durchsuchte auch noch alle anderen Taschen, als müsste das Geld erscheinen, wenn ich es nur gründlich genug suchte. Ich konnte die Hitze spüren, die mir in die Wangen stieg, als ich der jungen Frau hinter der Theke sagen musste, dass ich anscheinend kein Bargeld bei mir hatte. Ob sie die Tüte nicht einen Moment für mich aufbewahren könne, fragte ich sie; ich würde schnell nach Hause laufen, um das Geld zu holen, das ich an der Eingangstür vergessen haben musste. Sie verdrehte die Augen, als gehörte so etwas in Highgate nicht zum guten Ton. Ich ertappte mich dabei, wie ich nervös drauflosschnatterte, dass wir erst am Tag zuvor unser neues Haus bezogen hatten, weswegen alles noch ein bisschen durcheinander sei, und dass ich nur zehn Minuten weit entfernt wohne, als könnte ein Übermaß an Einzelheiten dem Ganzen vielleicht die Peinlichkeit nehmen.

Und das war der Moment, in dem ich hinter mir eine Stimme mit einem leichten amerikanischen Akzent vernahm. »Lassen Sie mich das regeln. Sie wollen doch bestimmt nicht hin- und herlaufen, wenn Sie ein neues Zuhause einzurichten haben.«

Als ich mich umdrehte, sah ich, dass die Stimme einer Frau gehörte, die ungefähr im gleichen Alter war wie ich. Sie trug eine Laufweste und eine dreiviertellange Leggings, und obwohl ihr Gesicht vor Anstrengung gerötet war, war es so perfekt geschminkt, als wäre sie auf dem Weg zu einer Party. Anfangs zögerte ich noch, ihr Angebot anzunehmen, worauf sie es wiederholte. Schon waren wir mitten in einem dieser peinlichen verbalen Tänze, von denen man wünscht, sie hätten nie begonnen, und nun, da es so war, am liebsten die Musik abschalten würde.

Irgendwann drückte sie der Verkäuferin einen Zwanzigpfundschein in die Hand, sagte ihr, sie solle auch die Flasche Mineralwasser berechnen, die sie aus dem Regal genommen hatte, und reichte mir die Tüte Lebensmittel.

Als wir auf die High Street hinaustraten, die bis auf ein paar Frühaufsteher, die mit ihren Hunden Gassi gingen, und eine Handvoll Jogger auf dem Weg zum Heath noch still und leer war, bedankte ich mich erneut bei ihr. Als ich wiederholte, wie peinlich mir das alles sei, winkte sie nur ab. Sie erzählte mir, dass sie tagelang keine saubere Hose hatte finden können, von ihrem Portemonnaie ganz zu schweigen, als sie und ihr Mann vor einem Monat hierher umgezogen waren. Wir lachten beide, und als ich fragte, woher sie kamen, erwiderte sie: »New York.« Sie fügte hinzu, dass die Bank, bei der sie arbeitete, ihr eine unglaubliche Chance geboten hatte und dass ihr Mann Computerspiele entwickelte und daher so ziemlich überall arbeiten konnte.

Und dann schlug sie aus heiterem Himmel, als wäre es das Natürlichste der Welt, vor, unsere Telefonnummern auszutauschen, und meinte, vielleicht käme ich mit meinem Mann ja gern einmal zum Lunch oder Dinner zu ihnen. Im ersten Moment war ich schockiert und dachte, wie unenglisch es war, dass jemand versuchte, sich um acht Uhr an einem Samstagmorgen vor einem Nord-Londoner Feinkostgeschäft mit jemandem anzufreunden. Aber dann erinnerte ich mich daran, wie ich mich vor fünfundzwanzig Jahren gefühlt hatte, als ich mit sechs Jahren auf eine neue Schule gewechselt war, die Hunderte von Kilometern entfernt von meiner alten lag. Ich hatte mir verzweifelt gewünscht, dass dort irgendjemand – wer auch immer – ein bisschen nett zu mir sein möge. Und als ich zusah, wie Melissa meine Nummer in ihr Handy eingab, ließ irgendetwas an ihrer Art, an der Leichtigkeit des Umgangs mit ihr, einen kleinen Hoffnungsschimmer in mir erwachen, dass ich vielleicht doch noch eine Freundin finden könnte, die zu mir passte. Und das nach Jahren, in denen ich mir angesichts der Freundschaften anderer Menschen wie ein Schaufenstergucker vorgekommen war.

Und nun sehe ich Melissa dabei zu, wie sie ein paar Kellner zu den Gästen im Garten schickt, und denke daran, wie viel sie und ich in den letzten acht Jahren zusammen durchgestanden haben: Schwangerschaft, Geburt, die strapaziösen ersten Monate der Mutterschaft … Wie wir uns ein Kindermädchen teilten, als die Jungen ein Jahr alt waren und wir beide wieder zu arbeiten begannen. Wie wir einander über den schwindelerregenden Balanceakt von Arbeit und Familie hinweghalfen und irgendwo in dieser stressigen Mischung auch noch die Zeit fanden, aktive Freundinnen zu sein statt nur zwei Frauen, die Klagen über die Belastungen unseres privilegierten Lebens austauschten.

Als Melissa sich zwei Mojitos vom Tablett eines vorübergehenden Kellners schnappt, mir einen gibt und lächelnd mit mir anstößt, frage ich mich, ob ich wohl je die Alchemie verstehen werde, die uns beide zu Freundinnen machte. Denn schließlich hatte ich bis zu jenem Tag als Außenstehende gelebt und Mädchen, dann Teenager und Frauen immer nur beobachtet, die nahtlos zu Gemeinschaften zusammenwuchsen, während ich mich stets fragte, ob sie sich von mir abkapselten oder ob ich selbst es tat.

Ich blicke mich im Zimmer um und sehe Mum mit Marnie und Daniel plaudern, den Eltern eines weiteren von Jacobs Schulfreunden, denen Mum schon mindestens ein Dutzend Mal begegnet sein muss. Ich ertappe mich bei einem Seufzer der Erleichterung, weil sie nicht allein dasitzt.

KAPITEL ACHT

JUDITH

»Sie stimmen mir doch zu, Judy?«

Mir sträuben sich die Nackenhaare bei der Erinnerung an diesen Namen, und ich atme langsam aus und hoffe, mit dem Atem aus meiner Lunge auch die Erinnerungen wieder ausstoßen zu können.

»Ich heiße Judith.«

»Entschuldigen Sie, Judith. Aber Sie sind doch meiner Meinung, oder?«

Ich nicke zerstreut und frage mich, was ich da wohl gerade bekräftigt haben mag. Aber er scheint ja auch so furchtbar lange gesprochen zu haben – oder vielleicht kommt es mir auch nur so vor –, dass meine Aufmerksamkeit zu den Gesprächen anderer Gäste abgeschweift war. Ich frage mich nur, worüber alle sich so angeregt unterhalten können, bevor ich mich wieder Daniel zuwende und sehe, dass er genauso aufgekratzt wirkt wie die anderen und wir daher vermutlich auch so aussehen, als führten wir ein hochinteressantes Gespräch.

»Ich meine, ich will mal ehrlich sein. Es wäre uns doch wirklich lieber, wenn wir keine Gebühren für Privatschulen berappen müssten, nicht wahr, Marnie?«

Seine Frau tut seine Bemerkung mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem gleichgültigen Schulterzucken ab. Aber Daniel hat die Geste entweder missverstanden oder ignoriert sie schlicht und einfach.

»Man kann jedoch natürlich nicht bestreiten, dass die Kids ein besseres Rundumpaket bekommen, wenn sie eine Privatschule besuchen. Ich meine, die Möglichkeiten an dieser Schule sind hervorragend. Und letzten Endes wollen wir doch alle nur das Beste für unsere Kinder, nicht?«