Weinrot - Farbe der Begierde - A.C. Lelis - E-Book

Weinrot - Farbe der Begierde E-Book

A.C. Lelis

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Beschreibung

Bereits als Kind verliebt sich Benjamin in seinen geheimnisvollen Nachbarn. Als Teenager traut er sich endlich, den wunderschönen Mann anzusprechen und beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit ihm. Doch Gabriel ist mehr, als er zu sein scheint. Was verbergen er und sein ständiger Begleiter NIklas? Schnell wird Benjamin klar, dass er mit dem Feuer spielt. Die Situation eskaliert, Benjamin wird Opfer eines gewalttätigen Übergriffs. Jahre später begegnet er den Männern wieder. Benjamin hat sich verändert, und dieses Mal glaubt er, das Spiel bestimmen zu können. Ein fataler Irrtum ...

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Weinrot - Farbe der Begierde

A. C. Lelis

Impressum

© dead soft verlag, 2008

http://www.deadsoft.de

© by the author

Cover Design: Claudia Santibañez-Koref

Graphische Arbeiten: Christopher Müller

1. Auflage

ISBN 978-3-934442-39-9 (print)

Für Inge

Erster Teil

Kapitel 1

Schummriges Licht erhellte die Bar. Aus dem Tanzbereich warfen verirrte Blitzlichter flüchtige Konturen in die Gesichter der Trinkenden. Ich stand im Schattenbereich, noch einige Schritte von der Bar entfernt. Erstarrt. Gebannt. Besessen.

Auf das hier war ich wirklich nicht vorbereitet gewesen. Ausgerechnet in dieser Art von Club auf IHN zu treffen. Unfähig meine Augen von der Gestalt zu nehmen, erregte ich nun allmählich die Aufmerksamkeit meiner Freunde, die mir unwillig von der Tanzfläche gefolgt waren.

„Was denn?“, grinste Floh breit „Der Blonde? Stehst wohl auf ältere Kerle, was?“

„Quatsch“, stritt ich meine Schande ab. „Das ist mein Nachbar …“

„Nachbar?“, wiederholte Arne deutlich interessierter als Floh. „Wow, der ist echt cool … Kannst du mich dem vorstellen?“

„Nein!“, entgegnete ich schamvoll, sah aber immer noch nicht fort. Ich konnte es wirklich nicht. Obwohl ich seit meiner Kindheit für ihn schwärmte, kannte ich nicht mehr als den Nachnamen auf der Klingel über unserer. Mein einziger Kontakt zu ihm beruhte auf einer verschwommenen Erinnerung. Ich war acht gewesen, hatte mir mein Knie aufgeschlagen und er hatte mir freundlicherweise geholfen. Ich könnte schwören, dass meine sexuelle Orientierung allein von damals stammte. Er sah jetzt genauso umwerfend aus wie seinerzeit und nicht ein Jahr älter. Ich hatte keine Ahnung, wie alt er war. Er sah aus wie maximal dreißig, doch das konnte unmöglich stimmen. Dann hätte er damals höchstens einundzwanzig sein können. Nun, für mich waren damals alle Erwachsenen uralt gewesen.

Er hatte mir aufgeholfen und in seinen sanften und doch so starken Armen die Treppe hinaufgetragen, während er beruhigend auf mich, das heulende Bündel, eingeredet hatte. Seine sanfte Stimme klang auch jetzt noch in meinen Ohren. Er hatte mich auf der obersten Stufe vor unserer Tür abgesetzt und sich mit großem Interesse meine Platzwunde am Knie angesehen. ‚Oh …’, hatte er mitfühlend gemurmelt und mich mit seinen ausdrucksvollen Augen angesehen. ‚Ich mache es wieder gut.’ Damit hatte er mir die Wunde sauber geleckt. Mit offenem Mund hatte ich ihm dabei zugesehen. Er war sehr behutsam, dann zwinkerte er mir zu und verschwand in seiner geheimnisvollen Wohnung mit den schwarzen Vorhängen. Seit dem war ich ihm verfallen. Heimlich versteckte ich mich manchmal hinter unserem Fenster und wartete darauf, dass er vielleicht einmal ausging. Es geschah selten, doch es geschah. Er sah immer unheimlich elegant aus. Seine blonden Haare, die in langen Wellen über seinen Rücken flossen, trug er meistens offen. Sein schönes Gesicht war fast immer von einer großen Sonnenbrille verdeckt, wenn er tagsüber ausging. Und seine Kleidung empfand ich als vollendet stilvoll.

„Na los!“, stupste mich Arne rüde an. „Geh schon hin! Dir fallen ja gleich die Augen raus.“

„Lieber nicht“, wehrte ich schüchtern ab. „Ich will ihn nicht nerven.“

„Ach nein?“, spottete Floh. „Ich wette, du hast nur Schiss.“

„Na geh schon!“, verlangte auch Arne unnachgiebig, aber auf seine liebe Art. „Wir bleiben in der Nähe. Ein Zeichen, und wir ziehen dich weg.“

Ich seufzte und gab mir einen Stoß. Noch einmal tief Luft holend trat ich einen Schritt vor, blieb dann aber doch stehen und sah mich verzagt um: „Aber er unterhält sich doch mit jemandem.“

„Mit dem kannst du locker mithalten!“, winkte Arne ab.

Floh schüttelte feixend den Kopf, dabei hätte er es sich selbst nicht getraut. Ich wusste das, ließ mich aber trotzdem davon reizen. Die beiden waren meine besten Freunde, Gleichgesinnte, die ich übers Internet gefunden hatte. Damals war ich zwölf gewesen. Jetzt war ich fünfzehn und sie waren schon erwachsen. Um ehrlich zu sein, fragte ich mich manchmal, warum sie sich mit mir abgaben. Ich hatte sie fürchterlich lieb. Und sie nahmen mich mit in diese Clubs, wo wir so sein konnten, wie wir waren.

Arne klopfte mir noch einmal aufbauend auf die Schulter, und dann ging ich los. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, und ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Es wurde zu einem zaghaften Fingertippen auf seine feste Schulter, die unter einem seidenen Hemd verborgen war. Als er sich zögernd zu mir umwandte, schenkte ich ihm ein strahlendes Lächeln.

„Hi!“, lächelte ich. Seine Augen wanderten prüfend und ziemlich überrascht über mich. Schließlich stahl sich ein leises Schmunzeln auf seinen sinnlichen Mund.

„Benjamin“, formte er meinen Namen charmant. Ich war so beglückt, dass er meinen Namen kannte, doch dann kam die kalte Dusche.

„Bist du nicht noch ein bisschen zu jung für diesen Club?“, erkundigte er sich lässig, und seine Augen glitzerten verschmitzt. Beleidigt runzelte ich die Stirn und zog eine Schnute.

„Der Kleine ist ja niedlich …“, fand der Typ neben ihm plötzlich und beugte sich leicht über die seidene Schulter, um mich genauer anzusehen. Auch er sah unwahrscheinlich gut aus, und er betrachtete mich mit einem Raubtierblick. Ich bezweifelte, dass Arne recht hatte und ich mit dem da mithalten konnte. Mir wurde reichlich unwohl in meiner Haut. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre davongelaufen. Doch nun reagierte ich mit Frechheit. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust: „Na und? Besser als zu alt zu sein.“

„Wie süß“, wisperte der Dunkelhaarige meinem Schwarm gerade so laut zu, dass ich es noch hören konnte. „Er ist sogar frech. Woher kennst du ihn?“

„Er wohnt in der Wohnung unter mir“, klärte ihn mein Nachbar auf.

„So …?“, machte der Dunkelhaarige und war gleich sichtlich desinteressierter. Sie taten ja so, als wäre ich gar nicht da. Das war so typisch erwachsen. Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollte einfach nur noch fort. Mich erwarteten schon die mitfühlenden Blicke von Arne und Floh. Doch dann fühlte ich eine sanfte Hand auf meinem Arm und wurde mit leisem Lachen zurückgezogen.

„Sei nicht sauer, Benjamin“, bat mich mein Nachbar und beugte sich zu meinem Ohr hinab, „Er hat keinerlei Benehmen. Wie wär’s, wenn ich dich als Entschuldigung auf einen Drink einlade?“

„Okay“, willigte ich ohne zu zögern ein.

„Was möchtest du?“, fragte der Blonde und zog mit einem langen Arm einen leeren Stuhl für mich heran.

„Einen Baileys, bitte“, antwortete ich mit selbstzufriedenem Lächeln. Er erwiderte es mit einem leisen Schmunzeln, ehe er sich an den Barkeeper wandte.

„Ist der nicht noch ein bisschen klein für Alkohol, Gabriel?“, erkundigte sich sein Freund spöttisch. Gabriel. Das war also sein Name. Er passte hervorragend. Er sah wirklich aus wie ein Engel. Diese Haare … Sie waren so lang und schimmerten in vielen Facetten.

„Ist sicherlich nicht das erste Mal, oder Ben?“, schmunzelte Gabriel.

„Nö.“ Ich schüttelte mit bösem Blick auf den vorlauten Kerl meine kurzen braunen Haare.

Der Kerl lachte aber nur, stand dann auf: „Ich lass dich allein, mit deinem kleinen Freund … Sei artig!“

„Fass dir an deine eigene Nase, Niklas“, spottete Gabriel und strich ihm mit einer trägen Geste über den Arm. „Ciao.“

Auf die Antwort seines Freundes achtete er gar nicht mehr. Er wandte seine volle Aufmerksamkeit ausschließlich mir zu. Mit sanftem Lächeln, zu dem sich seine Mundwinkel nur ein wenig kräuselten, reichte er mir den Baileys. Mit seinem Weinglas prostete er mir stilvoll zu. Ich erwiderte und spürte, dass ich ein wenig rot wurde. So weit, so gut. Jetzt saß ich neben ihm und hatte immer noch keine Ahnung, was ich sagen sollte.

„Bist du öfters hier?“, fragte ich schließlich.

Gabriel schüttelte leicht den Kopf: „Du?“

„Manchmal“, gab ich zu. Er beugte sich etwas zu mir herüber, anscheinend um mich besser verstehen zu können. Doch dann fuhr sein Zeigefinger plötzlich über meine Stirn, Nase, Lippen und Kinn. Einmal entlang meines ganzen noch etwas kindlichen Profils. Er lächelte amüsiert, als ich zurückzuckte und ihn verwundert ansah.

„Verrätst du mir, wie alt du bist, Benjamin?“, erkundigte er sich mit weicher Stimme.

Ich konnte gar nicht anders als lügen: „Sechzehn.“

Seine hellen Brauen hoben sich etwas. Das schwache Lächeln blieb dennoch erhalten. Er strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, während er fragte: „Und wie kommst du in einen Club wie diesen?“

Aus den Augenwinkeln sah ich Floh und Arne an. Sie warfen mir einen halb neidischen halb wohlwollenden Blick zu und verabschiedeten sich dann auf die Tanzfläche. Als ich wieder zu Gabriel zurückblickte, bemerkte ich, wie auch seine Augen zurückschnellten.

„Deine Freunde haben dich also mitgenommen“, schlussfolgerte er richtig. „Die sind aber schon älter, nicht?“

„Ja, aber mit sechzehn kann man eh bis zwölf in die meisten Clubs“, klärte ich ihn altklug auf. „Sie müssen mich nicht reinschmuggeln, oder so …“

„Es ist …“, er sah auf eine schicke Armbanduhr „Halb zwei. Macht sich deine Mutter keine Sorgen?“

„Nein, solange sie denkt, ich würde woanders schlafen“, grinste ich ein wenig listig.

Seine Augen glitzerten schelmisch: „So, so.“

„War das eben dein Freund?“, wollte ich neugierig wissen. Ich fand nicht, dass die beiden zueinanderpassten, deshalb fragte ich. Natürlich auch aus egoistischen Gründen, aber ich hatte wohl ohnehin keine Chance.

„Ein Freund in der Tat“, lächelte Gabriel und wurde dabei ein wenig ironisch. „Ich kenne ihn schon sehr lange.“

Ich musste mein Gesicht leicht verzogen haben, denn er lachte leise auf und warf sich sein Haar mit einer flüchtigen Bewegung über die Schulter. Dann lächelte er wieder.

„Du magst ihn nicht, wie?“

„Nein“, gab ich ohne Umschweife zu und er lachte erneut. Seine Hand streichelte mir sacht über die Wange und von dort über meinen schlanken Hals. Sein Blick wurde verschwörerisch und er beugte sich vor, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. Mein Herz raste geradezu, als ich seinen Atem an meinem Ohr spürte.

„Ich bisweilen ebenfalls nicht“, gestand er mir leise und blitzte mir dann heiter zu. Ich lächelte erlöst. Das war ja wunderbar.

„Was ist mit deinen Freunden? Bist du mit einem von ihnen zusammen?“, wollte er wissen, aber ich hörte kein unterschwelliges Interesse heraus. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, ich war mal mit dem Blonden zusammen, aber das hat nicht gehalten. Wir sind nur Freunde, alle drei.“

„Du bist verdammt frühreif“, fand Gabriel erheitert. „Das hört sich an, als wäre es schon eine Weile her.“

„Zwei Jahre“, bestätigte ich „Für mich ziemlich lang, ja.“

Zumal ich zuvor ein Jahr mit ihm zusammen gewesen war, also ab zwölf. Es war aber ziemlich harmlos gewesen. Florian war damals immerhin selbst erst sechzehn gewesen. Arne war schon damals sein Freund. Ich hatte sie im Chat getroffen und sie über ein paar Dinge ausgequetscht, bis wir herausgefunden hatten, dass wir in derselben Stadt wohnten.

„Vierzehn“, stellte Gabriel fest. „Und ich hatte dich immer für einen braven Jungen gehalten …“

„Och, ich bin ganz brav“, grinste ich gewitzt. „Offiziell zumindest.“

„Offiziell, aha“, machte er leise und wieder blitzten mich seine Augen an. „Ist das erste Mal, dass wir uns unterhalten, nicht wahr? Obwohl wir schon solange nebeneinander wohnen. Ich bin schon ein komischer Nachbar.“

„Gar nicht“, wehrte ich resolut ab. „Du hast mir mal geholfen, als ich mir mein Knie aufgeschlagen hatte.“

Er machte ein verwirrtes Gesicht, doch dann lächelte er leicht und schüttelte den Kopf. Sagte aber nichts dazu, sondern nippte geistesabwesend an seinem dunkelroten Wein. Ich mochte keinen Wein, obwohl ich es gern gewollt hätte. Wein hatte so etwas Verführerisches und natürlich Erwachsenes.

Plötzlich trat von der anderen Seite ein hübscher Junge an Gabriel heran und legte vorsichtig die Hand auf seine Schulter. Gabriel wandte sich ihm mit einer ähnlich gemächlichen Art zu, wie er es bei mir getan hatte. Aber diesmal bemerkte man in seiner Haltung kein Erkennen. Ein Flirtversuch des anderen also. Ich war ein wenig ungehalten darüber. Noch mehr, als Gabriel lachte und ihn schließlich ohne Umschweife lange und ziemlich leidenschaftlich auf den Mund küsste. Der Junge wurde rot, genoss es aber sichtlich. Dann jedoch trennte sich Gabriel abrupt von ihm und sagte noch etwas Leises zu ihm, worauf der Junge mit einer schwindligen Geste in eine bestimmte Ecke wies. Auch ich folgte dem Finger und sah ein kleines Grüppchen Jungen, die die Szene anscheinend überrascht verfolgt hatten. Gabriel winkte ihnen spöttisch zu und verabschiedete den Jungen mit einem Klaps auf den Hintern in die Richtung seiner Freunde.

„Was war das?“, fragte ich mäßig verwundert und vielleicht etwas frustriert.

Gabriel lächelte. „Eine Wette.“

„Um einen Kuss von dir?“, fragte ich nun ein bisschen baff über die Dreistigkeit und dass er tatsächlich mitgemacht hatte. Seine Mundwinkel spannten sich noch ein wenig mehr. Er nickte und beugte sich wieder ein Stück zu mir vor. Seine Augen funkelten herausfordernd. Sie waren übrigens blau.

„Eifersüchtig?“, fragte er leise und leicht gedehnt, als wolle er mich aufziehen. Ich ließ mich nicht aufziehen, lächelte ein wenig verwegen und ließ meine Augenbrauen einmal kurz aufzucken.

„Vielleicht.“

Er lachte überrascht. Doch dann waren seine Augen plötzlich unmittelbar vor meinen. Er lehnte seine gerade Stirn gegen meine etwas runde.

„Ich mache es wieder gut“, sagte er genauso verheißend wie damals und seine Augen sagten mir, dass er sich bewusst so ausgedrückt hatte. Mein Herz setzte für einen Moment aus. In der Zeit hatten sich unsere Stirnen bereits voneinander gelöst und nun spürte ich seine weichen Lippen auf meinen. Mein Herz raste und ich schloss unwillkürlich meine Augen, um es richtig zu genießen. Es gelang mir ganz gut. Ich erwiderte den anfangs zarten, doch, wohl auf meine Reaktion hin, zunehmend immer leidenschaftlicheren Kuss. Schließlich war es meine Zunge, die seine Lippen neugierig durchbrach. Doch wurde sie von seiner Zunge sofort wieder verdrängt. Ich hatte nur Gelegenheit einmal kurz gegen seine Zähne zu kommen. Dann war ich wieder in meinem eigenen Mund, dafür jedoch mit ihm zusammen. Ich schmeckte seinen, durch den Wein, säuerlichen Speichel, säuerlich aber irgendwie auch ganz verlockend. Mein Gehirn versank im seichten Nebel und ich spürte, wie eine leichte Benommenheit über mich kam. Meine Zunge wurde schwerfälliger, obwohl es sonst nicht ihre Art war. Irgendwie fühlte ich mich so, als hätte ich zu viel getrunken, dabei waren es bisher nur Cola und drei Schlucke Baileys gewesen. Es musste an dem Kuss liegen.

Schließlich wich Gabriel ziemlich abrupt von mir ab. Ich öffnete verwirrt meine Augen. Er wirkte etwas verhalten, sein Lächeln war gewichen, auch wenn er nicht böse schaute. Eher entschuldigend und das tat er jetzt auch: „Verzeih …“

Er ließ es so stehen, und ich kam auch nicht dazu, nach dem Warum zu fragen. Ich war plötzlich völlig weggetreten, als hätte ich Drogen genommen. Ich taumelte und fiel fast vom Stuhl. Gabriel fing mich gerade noch auf. Ohne dass ich bemerkte woher, waren Arne und Floh gekommen. Ihre Augen musterten mich besorgt.

„Wir waren doch keine zehn Minuten weg“, stellte Floh fest. „Er kann sich nicht so betrunken haben. Haben Sie ihm was in den Drink gemixt?“

„Etwas, das innerhalb von zehn Minuten wirkt?“, hörte ich Gabriels Stimme spotten. „Wohl kaum. Was hat er denn vorher getrunken?“

„Cola natürlich“, antwortete Arne. „Er ist schließlich erst fünfzehn.“

Ich versuchte Arne einen bösen Blick zuzuwerfen, wusste jedoch nicht, ob es mir gelang. Meine Mimik hatte ich auch nicht mehr ganz unter Kontrolle.

„Dann hat ihm da jemand etwas untergemischt.“ Aus Gabriels Stimme war nicht herauszuhören, ob er über mein wahres Alter böse oder überrascht war. „Am besten bringe ich ihn heim.“

„Sie haben ihn doch gerade geküsst, oder?“, empörte Floh sich etwas. „Wer weiß, was Sie mit ihm anstellen.“

„Ich bin sein Nachbar“, entgegnete Gabriel ruhig. „Er ist erst fünfzehn. Der Kuss war nur ein Spaß, und ich habe mich recht gut unter Kontrolle. Außerdem habe ich ihn nicht in diesen Club geschleppt, das ward ihr. Ihr habt ihn sogar allein gelassen.“

Er klang jetzt schrecklich erwachsen. Und dieser Kuss sollte nur ein Spaß gewesen sein? Unverschämtheit.

„Ich will nicht heim“, entgegnete ich trotzig.

„Hier bleiben kann er jedenfalls nicht“, fand Arne. Sie taten schon wieder so, als wäre ich gar nicht da. Gabriel half mir sanft ganz vom Stuhl herunter und nahm mich, als sei ich gewichtslos, auf. Dann wurde ich einfach hinausgetragen. Floh und Arne folgten uns unschlüssig darüber, was sie tun sollten. Sie wussten nicht, ob sie mich Gabriel tatsächlich anvertrauen sollten, dabei hatten sie mich zuvor geradezu in seine Arme gestoßen. Offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, dass Gabriel tatsächlich darauf einging.

Gabriel packte mich auf den Rücksitz eines Taxis. Vor dem Auto hielt er mit Arne und Floh die letzten Verhandlungen. Er klang geduldig und immer noch schrecklich vernünftig. Floh hatte eingewandt, dass meine Mutter mich nicht so sehen dürfe, weil sie schließlich nicht wisse, dass ich so weggegangen war. Zumindest darüber war ich mit ihm ganz einer Meinung.

„Es ist normal für Jungen, wenn sie hin und wieder etwas anstellen“, entgegnete Gabriel ruhig. „Sie wird ihm nicht gleich den Kopf abreißen, sondern froh sein, dass ihm nichts Schlimmeres passiert ist.“

„Und ihn bestrafen“, fügte Floh unwillig hinzu. „Ich will ihn lieber mit zu mir nehmen.“

„Wie lange dauert das denn noch?“, knurrte der Taxifahrer.

„Nicht lange“, antwortete Gabriels Stimme. „Ich vertraue dir nicht, Kleiner. Wer weiß, was du mit ihm anstellst, hä? Schließlich kenne ich Benjamin schon eine Weile länger als du.“

Damit saß er plötzlich neben mir und nannte dem Fahrer unsere Adresse. Aus dem Rückspiegel warf der uns einen abschätzenden Blick zu. Startete dann aber ohne Kommentar den alten Mercedes. Die Fahrt dauerte ziemlich lang. Zeit genug um den Nebel etwas zu lüften. Mein Kopf wurde wieder klarer und ich überlegte mir erstmals, woher dieser Schleier gekommen war. Ich konnte mich an keine Gelegenheit erinnern, wann mir jemand etwas hätte in meine Cola tun sollen, außer dem Barkeeper vielleicht. Denn ich hatte sie immer umgehend ausgetrunken, ganz erschöpft vom Tanzen. Gabriel dagegen hatte mir den Baileys selbst gegeben. Er hätte mir unauffällig etwas reinmischen können. Aber das war ja absurd. Erstens hatte er das nicht nötig und zweitens hätte er mich auch so haben können. Ich lehnte mich, meine Schwäche bewusst ausnutzend, an seine Schulter. Seine Hand fuhr streichelnd durch mein Haar.

„Ist der Kleine nicht noch ein bisschen jung?“, fragte der Fahrer reserviert.

Gabriel machte ein unbeteiligtes Gesicht: „Ich bringe ihn zu seinen Eltern.“

„Soll ich dann vor dem Haus auf Sie warten?“, erkundigte sich der Fahrer geistesgegenwärtig.

„Nicht nötig“, entgegnete Gabriel ruhig. „Ich wohne ebenfalls in dem Haus.“

„So“, machte der Fahrer nur und warf noch einen misstrauischen Blick in den Rückspiegel. Gabriel erwiderte den Blick grimmig. Vom Taxifahrer kamen während der restlichen Fahrt keine Kommentare mehr.

Es war angenehm ruhig, bis Gabriel die Stille brach: „Geht es dir besser, Benjamin?“

„Hm“, machte ich zustimmend, rührte mich aber nicht von der Stelle. Ich wollte mich weiter an ihn lehnen. Vor allem aber wollte ich nicht zu meiner Mutter. Vielleicht ergab sich ja sogar eine Möglichkeit bei Gabriel zu übernachten.

„Kann ich nicht vielleicht bei dir bleiben?“, fragte ich vorsichtig. „Meine Mutter bringt mich um, wenn sie erfährt, dass ich nicht wirklich bei einem Freund geschlafen habe. Sie wird mich nie wieder fortlassen.“

„Hast du dir schon einmal überlegt, warum nicht?“, erkundigte sich Gabriel sanft. „Das eben war doch ein recht guter Grund. Vielleicht ist es ganz sinnvoll, dass du noch nicht weggehen darfst. Hier anhalten, bitte.“

Wir stiegen aus dem Taxi und Gabriel bezahlte rasch. Es war nicht unmittelbar vor unserem Haus, noch ein kurzes Stück, für das Taxi jedoch eine günstige Gelegenheit zu wenden. Ich stand einigermaßen sicher auf meinen Füßen, trotzdem ließ ich mich gerne von Gabriel unterfassen und mitziehen.

„Kann ich nicht doch bei dir schlafen?“, begann ich noch einmal mit verwegenem Grinsen. „Du kannst auch alles mit mir machen, was du willst …“

„Du meinst wohl, was du willst …“, entgegnete Gabriel mit undurchsichtigem Lächeln.

„Magst du mich nicht?“, erkundigte ich mich niedergeschlagen. „Ich bin nicht dein Typ, stimmt’s? Oder zu jung?“

„Glaub mir, ich bin zu alt für dich“, betonte Gabriel sehr nachdrücklich und stupste mir dabei leicht auf die Brust. „Also hör auf, mir so schmeichelhafte Angebote zu machen. Nachher bereust du es noch.“

Ich wurde ein wenig unsicherer, aber das ließ ich mir natürlich nicht anmerken. Andererseits, was gab es da zu bereuen? Ich stand auf ihn, seit ich acht war. Zu alt schien er mir übrigens auch nicht, überhaupt nicht. Im Gegenteil.

„Das heißt, du wärst grundsätzlich nicht abgeneigt?“, hakte ich scheinbar leichthin nach.

„Hm“, machte Gabriel amüsiert und seine Augen blickten wohlwollend zu mir herab. „Ich werde dich lieber zu deiner Mama bringen. Wer weiß, was du in diesem Zustand mit mir anstellen würdest.“

„…“ Ich brachte im ersten Moment kein passendes Argument heraus, nur eins wusste ich ganz sicher: „Alles nur das nicht. Ich bin auch ganz brav und schlafe wie ein Stein. Ehrlich! Aber bitte, lass meine Ma nichts mitbekommen.“

Wir waren bereits am Hauseingang. Gabriel schloss die Tür routiniert auf und hielt sie für mich offen. Er schien nachzudenken. Schüttelte dann aber entschieden mit dem Kopf: „Nein, wäre es nicht meine Wohnung oder würde man dich nicht kennen, wäre es mir gleich. Aber ich bin nun einmal dein Nachbar. Wenn dich irgendjemand sieht, wird es gruselig.“

Das hörte sich irgendwie vielversprechend an. Ich argumentierte dagegen: „Es geht doch nur um den Moment, in dem ich aus deiner Wohnung käme. Du könntest vielleicht vorher gucken, ob die Luft rein ist und mir ein Zeichen geben.“

Gabriel lachte leise: „Mission Impossible.“

„Gar nicht“, fand ich, doch da drückte er schon auf unsere Klingel. Ich traute meinen Augen nicht: „Bist du verrückt? Ich hätte doch einen Schlüssel gehabt. Jetzt wecken wir sie auch noch! Sie wird mich töten!“

„Einen Schlüssel“, seufzte Gabriel und lachte dann wieder. „Und warum machst du dann so einen Terz? Du hättest dich doch einfach hineinschleichen können.“

„Ich mache so einen Terz, weil ich bei dir schlafen will“, klärte ich ihn gereizt auf.

Er blickte von mir zur Tür und lauschte anscheinend. Dann packte er plötzlich meine Hand und zog mich, ehe ich begriff, wie mir geschah, die Treppe hinauf in seine Wohnung, die über unserer lag. Genau in dem Augenblick, in dem ich meine Mutter an der Tür unter uns vernahm, schloss Gabriel seine hinter mir. Er lächelte leicht. „Zufrieden?“

„Ja“, bestätigte ich immer noch ziemlich überrumpelt und versuchte meine Befangenheit damit zu überspielen, dass ich mich in der Wohnung neugierig umsah. Sie war genauso groß wie unsere, allerdings hatte sie nicht vier Zimmer, sondern nur zwei wesentlich größere, neben Küche und Bad natürlich. Eins davon war das Wohnzimmer. In dem standen wir nun, nachdem er mich aus dem Flur hierher geschoben hatte. Es war sehr modern eingerichtet. Metall, Glas und schwarzes Leder. Eine Kombination, die ich scheußlich steril fand, aber hier waren die Möbel so stilvoll, dass ich darüber hinwegsah. Mit vagem Interesse fand ich mich am gläsernen Bücherregal wieder. Die Titel sagten mir nichts, hörten sich aber irgendwie vielversprechend an … Und zwar auf eine ganz bestimmte Weise. Gabriel schlug mir sanft auf die Finger, bevor ich mir ein Buch herausnehmen konnte. Als ich mich erstaunt umdrehte, lächelte er nur nachsichtig.

„Wir wollen doch nicht, dass du noch verdorbener wirst als ohnehin schon“, erklärte er erheitert. „Die sind noch nichts für dich. Ab achtzehn, okay?“

„Ist es dir etwa peinlich, dass du so etwas liest?“, spottete ich frech.

Er lachte leise: „Ich lese sie nicht. Ich schreibe sie.“

Meine Augen weiteten sich begeistert: „Du bist Schriftsteller?“

Natürlich, das erklärte einiges. Deshalb ging er nicht arbeiten und konnte sich diese Wohnung leisten, mit den teuren Möbeln und seinen schicken Klamotten. Merkwürdig, dass ich mich zuvor nie gefragt hatte, was er beruflich tat. Nun lächelte er und zuckte mit den athletischen Schultern.

„Wenn man das so nennen kann …“, meinte er dann und wies auf die bisher unbeachtete Tür. „Da ist das Schlafzimmer. Das Badezimmer ist neben dem Flur rechts, eine Zahnbürste findest du in dem Schrank neben dem Waschbecken. Mach dich fertig und geh ins Bett. Es ist längst Schlafenszeit für kleine Jungs.“

„Und du?“, war meine einzige Frage nach diesem Haufen Anordnungen.

Seine Mundwinkel kräuselten sich leicht: „Ich arbeite nachts. Und du hast versprochen wie ein Stein zu schlafen. Das war der Deal.“

„Hm“, machte ich missmutig und trottete ins Badezimmer. Enttäuschung war gar kein Ausdruck für das niedergeschlagene Gefühl in mir. Ich vergaß es aber recht schnell, als ich von dem modernen Wohnzimmer durch den kargen Flur in ein römisches Badeparadies stolperte. Es war kaum zu glauben, dass sich diese Wohnung im selben Haus befand, wie die Wohnung meiner Mutter. Dieses Badezimmer hatte nichts mit dem waldgrünen Albtraum darunter gemeinsam. Stattdessen hatte es eine einladende Messingbadewanne, ein antik gestaltetes Waschbecken, eine dazu passende Toilette und der besagte Schrank waren aus edlem dunklen Holz gemacht. Mit gewisser Neugier öffnete ich ihn. Die Ersatzzahnbürste fiel mir sofort ins Blickfeld. Da waren noch einige mehr. Entweder plante er seinen Haushalt weit voraus, oder er bekam des Öfteren nicht geplanten Besuch. Da ich mir Letzteres eher vorstellen konnte, kam mein Missmut zurück und ich starrte mein Spiegelbild finster an, während ich artig die Zahnbüste in meinem Mund kreisen ließ. Auf der antiken Ablage neben der Badewanne, die ich ebenfalls durch den Spiegel sehen konnte, war ein ganzes Sammelsurium an Haarpflegeprodukten und Badeölen aufgereiht. Ich fragte mich ein wenig hämisch, wie viele Stunden Gabriel wohl täglich an diesem Ort zubrachte.

Bis auf meine Unterhose entkleidet, gewaschen und mit ausreichender Mundhygiene, tappte ich schließlich wieder zurück ins Wohnzimmer. Gabriel saß auf dem Ledersofa und tippte mit flinken Fingern etwas in seinen flachen Laptop, offensichtlich ein Topmodell, ein. Seine langen Haare hatte er nachlässig aufgesteckt, sodass sie ihn nicht störten. Doch ein paar Strähnen begannen sich bereits daraus zu lösen, wodurch es noch besser aussah. Außerdem hatte man so einen sehr schönen Blick auf sein klassisches Profil: die gerade Stirn, die schmale Nase und die sinnlichen Lippen, dazu das ein wenig energische Kinn. Seine Augen blickten nicht zu mir auf, dabei hatte er mich wohl bemerkt, wie sich im nächsten Moment herausstellte.

„Gute Nacht, Benjamin“, schmunzelte er mild.

„Nacht“, brummte ich und versuchte über seine Schulter einen Blick auf den Text zu erhaschen, an dem er schrieb. Ich konnte jedoch nichts erkennen, da ich zu schräg auf den Bildschirm sah. Ich ging also weiter ins Schlafzimmer und tauchte wieder in eine andere Welt ein. Nicht modern, aber auch nicht antik, sondern das Verschnörkelte des achtzehnten Jahrhunderts erwartete mich. Ein riesiges Himmelbett, ein riesiger Schrank, eine zierlichere Kommode und ein großer Spiegel, alles in dunklem Holz gehalten und mit schönen Schnitzereien versehen. Hier und da blitzte Gold auf. Achtlos ließ ich meine mitgenommenen Sachen auf einen ebenso verschnörkelten Stuhl fallen und warf mich genussvoll ins Bett. Mit Gabriel zusammen hätte es mir besser gefallen, doch auch so hatte es einen gewissen Reiz. Ich seufzte zufrieden und grub mich unter die Kissen. Da es wirklich schon recht spät war und das Bett so unheimlich bequem, schlief ich innerhalb von wenigen Minuten ein.

Als ich wieder erwachte, war es helllichter Tag. Ich hatte wunderbar geschlafen und nun schien es mir, als würde ich noch ein bisschen weiter träumen. Nachdem ich mich orientiert hatte und wieder relativ klar im Kopf, wurde mir bewusst, dass ich nicht träumte: Gabriel lag tatsächlich neben mir. Seine Haare strömten wie eine goldene Flut über die Kissen, sein nackter Oberkörper mit den schlaffen Armen lag bloß und sein Gesicht war ganz entspannt ohne eine Falte darin. So sah er aus wie höchstens zwanzig. Ich war verblüfft und angezogen zugleich. Ohne die erwachsenen Augen, die jetzt geschlossenen waren, sah er gute zehn Jahre jünger aus. Sein Gesicht war wunderschön und so anmutig. Es war mir nie aufgefallen wie sehr. Für einen Moment betrachtete ich es atemlos. Dann wanderte mein Blick weiter hinab zu seiner haarlosen Brust. Die Brustwarzen waren zierlich und auffallend rosa auf der milchigen, ebenmäßigen Haut.

Es war ein unbewusster Impuls, der mich dazu trieb sie anfassen zu müssen. Langsam, aber ohne dass ich mich irgendwie beherrschen konnte, streckte ich meine Hand aus und strich behutsam mit einem Finger über die zarte Haut drum herum. Ich erschrak ziemlich, als ich von der gedankenlosen Tat aufblickte und geradewegs in zwei violett schimmernde Augen sah, die mich mit einem Katzenblick fixierten. Augenblicklich fuhr meine Hand zurück und ich wurde rot. Erst dann wurde mir bewusst, dass violett keine typische Augenfarbe war. Ich hob meinen gesenkten Blick wieder etwas kecker, aber die ungewöhnliche Farbe war dem üblichen Blau gewichen. Ich musste mich getäuscht haben. Auch der lauernde Blick war einem spöttisch, amüsierten gewichen. „Morgen.“

„Morgen“, murmelte ich ein wenig verlegen. „Ich wollte dich nicht wecken.“

Gabriel gähnte hinter vorgehaltener Hand und rollte sich dann auf die Seite um mich müde anzusehen. Ich bekam ein ganz schlechtes Gewissen. Doch dann lächelte er wieder so sanft.

„Macht nichts. So werde ich gerne geweckt“, erklärte er verheißungsvoll und streckte plötzlich die Hand nach mir aus. Sie legte sich um meinen Bauch, drehte mich geschickt herum und zog mich schließlich an seinen kühlen Körper, sodass mein Rücken an seinem Bauch lag. Augenblicklich absorbierte er meine Bettwärme und wurde genauso schön warm. Er konnte noch nicht lange hier liegen, oder er hatte sich, nur so halb zugedeckt, abgekühlt. Es war ja auch völlig nebensächlich: Er umarmte mich! Und im nächsten Moment spürte ich seine weichen Lippen an meinem Hals. Mich überkam ein sanfter Schauer und meine Nackenhärchen stellten sich unwillkürlich auf, doch natürlich wehrte ich mich nicht, sondern schmiegte mich nur noch dichter an ihn. Seine Hände streichelten zart über meinen flachen Bauch und weckten meine letzten Lebensgeister, die vielleicht noch geschlafen hatten.

„So wache ich auch gerne auf“, stellte ich schwelgend fest. Sein Atem strich stoßweise über meine Haut, als er lautlos lachte. Dann aber küsste er abermals meinen Hals und leckte mit seiner Zunge über die empfindliche Stelle. Es passierte, was passieren musste: Ich spürte, wie ich allmählich hart wurde. Eine nur zu natürliche Reaktion in dieser hinreißenden Situation. Die Zunge kitzelte meine Halswirbel und fuhr dann an ihnen hinab. Mich überkamen tausend weitere Schauer. Gleichzeitig fragte ich mich jedoch auch, womit ich dies plötzlich verdient hatte. In der Nacht hatte es nicht so ausgesehen, als würde Gabriel tatsächlich solche Absichten hegen. Nun wagte ich jedoch nicht nachzufragen. Ich lag still und genoss. Seufzte nur, wenn ich es sonst nicht mehr aushielt. Die Zunge glitt wieder hinauf zu meinem Hals und der Mund saugte sich scheinbar ebenso hingerissen daran fest, wie ich es war. Schließlich strichen die Hände auch noch zielsicher in meine Unterhose, als wüssten sie bereits, was sie darin vorfänden. Mir wurde wieder ähnlich schwindlig wie im Club. Mein Hals spürte noch seine Berührung, aber eher wie durch einen tauben Mantel. Seine Hände dagegen spürte ich umso intensiver, wie geschickt sie mit mir spielten und mich streichelten. Dann fühlte ich wieder meinen Hals, nur für den Augenblick, als seine Zähne sich durch die zarte Haut bohrten. Ich stöhnte halb erregt halb vor Schreck. Gabriel biss richtig zu. Es war kein Spiel, auch wenn ich fast keinen Schmerz spürte. Seine Hand umschloss mein Glied fester, die andere presste mich dichter an sich. Ich spürte auch seine Erregung. Und seine Zähne, die nun wieder zurückwichen und den gierigen Lippen gestatteten, sich um die Wunde zu schließen und an ihr zu saugen.

Ich war zu überrascht, zu erregt um mich zu wehren. Verdammt, damit hatte ich einfach nicht gerechnet. Es war Gabriel wohl auch nicht anzusehen, dass er ausgerechnet auf so etwas stand. Bluttrinken. Irgendwie fand ich es nicht abstoßend, sondern nur noch erregender. Die ersten Beben suchten mich heim und schließlich kam ich ergeben in Gabriels Hand. Seine Lippen wichen zurück und die Zunge leckte noch einmal über die Stelle. Ich genoss die Nachbeben meines Orgasmus, wagte aber nicht mich weiter zu bewegen. Auch Gabriel rührte sich plötzlich nicht mehr. Dann wurden seine Arme langsam ein wenig schwerer und seine Erregung wich ebenso. Sein Atem strich bedächtig über meinen Nacken und ich begriff, dass er eingeschlafen war. Ich wartete noch eine Weile. Dachte darüber nach, was geschehen war, kam aber zu keinem vernünftigen Schluss. Ich wollte nicht glauben, dass Gabriel einer dieser Freaks war, die sich für Vampire oder so etwas hielten. Andererseits kam ich wohl kaum darum herum. Er ging meistens nachts weg, arbeitete auch nur dann, schlief am Tag und nicht zuletzt: Er hatte mich gebissen. Dazu seine tollen langen Haare, sicher trug er sie aus einem bestimmten Grund lang. Ich hatte schließlich auch schon einmal ‚Interview mit einem Vampir’ gesehen. Gabriels Haarpracht war zwar eindeutig schöner als Brad Pitts Perücke, aber seit dem dachte ich auch meistens an Vampire mit langen Haaren.

Ich seufzte ein wenig und machte mich schließlich schwermütig aus der Umarmung frei. Diesmal weckte ich ihn nicht. Er sank schwerfällig auf den Rücken. Seine Lippen waren noch rot und feucht von meinem Blut. Aber er sah toll aus damit. Ich wandte mich dem Spiegel zu und betrachtete die Wunde an meinem Hals. Nach einem Knutschfleck sah sie nicht aus. Aber an einen Biss dachte ich auch nicht gleich im ersten Moment. Ein bisschen aufgerissene Haut, aber es sah nicht tief aus. Ich würde meiner Mutter erzählen, dass ich mir einen Pickel aufgekratzt hätte.

Bei dem Gedanken an meine Mutter wurde mir mulmig. Ich hatte keine Uhr und daher auch keine Ahnung, wie spät es war. Wenn ich aber zu lange wegblieb, machte sie sich Sorgen und würde bei Jürgen anrufen. Das Problem war nur, der wusste gar nichts davon, dass ich bei ihm geschlafen hatte. Schleunigst griff ich nach meinen Sachen und zog mich an. Im Wohnzimmer fand ich eine Uhr auf dem Display der Stereoanlage. Es war bereits kurz nach Mittag. Das Bett war einfach fürchterlich bequem gewesen. Ich hastete aus der Wohnung, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob mich jemand sah. Das tat zum Glück niemand. Immerhin hatte ich es nicht weit bis zu mir. Nur siebzehn Treppenstufen, um genau zu sein.

„Aha …“, machte meine Mutter nur und legte den Hörer des Telefons auf.

Mir wurde unwohl: „Hast du dir etwa schon Sorgen gemacht?“

„Ich wollte gerade bei Jürgen anrufen, ja“, bestätigte meine Mutter. Aber sie hatte noch nicht.

Ich atmete auf: „Ich hab verschlafen. Es tut mir leid.“

„Nächstes Mal rufst du bitte an. Ich warte schließlich mit dem Essen auf dich und es ist Sonntag!“, empörte sie sich etwas.

Ich nickte nur: „Ich sagte ja, es tut mir leid.“

„Werde nicht patzig, Freundchen!“, ermahnte sie mich. „Maurice wartet schon sehnsüchtig darauf, dass wir anfangen können. Sag ihm am besten gleich Bescheid.“

„Ja“, murmelte ich missmutig und ging gleich zu dem Zimmer meines älteren Bruders durch. Ich klopfte an, ausnahmsweise, weil ich keine Lust auf weitere Auseinandersetzungen hatte. Natürlich ließ sich Maurice Zeit mit seiner Antwort. Er musste sich immer wichtig machen. Schließlich wurde es mir doch zu blöd und ich streckte meinen Kopf durch die Tür.

„Essen!“, bellte ich ungehalten. „Ich dachte, du verhungerst schon!“

„Oui, oui“, machte Maurice süffisant und machte ein arrogantes Gesicht. „Sei nicht so laut, Knirps. Du bist es schließlich, auf den wir wieder mal warten mussten.“

Ich stöhnte nur genervt und ging in die Küche. Maurice war eineinhalb Jahre älter als ich, nur, und er tat so, als hätte er die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Dabei war ich ihm sicherlich in manchen Dingen weit voraus. Leider wusste er das nicht und ich würde mich hüten es ihm zu gestehen. Wir waren zwei völlige Gegensätze und er hatte dabei absolut die besseren Karten abbekommen. Er war größer als ich, viel größer, so groß würde ich niemals werden, das prophezeite mir sogar meine eigene Mutter. Dazu sah er auch noch ganz anders aus, nun ebenfalls wie meine Mutter. Er hatte helleres Haar und hellere Augen, blond und grün um es genau zu sagen. Ich hatte dunkelbraunes Haar und dunkelbraune Augen wie unser Vater und auch die Zierlichkeit dessen Familie geerbt; sowie sein Temperament und wohl einige seiner anderen Charaktereigenschaften. Damit stand ich allerdings ziemlich allein, denn er hatte diese Familie bereits vor meiner Geburt verlassen. Deshalb war mein Name wohl auch das Einzige, was ich nicht von ihm, sondern von meiner Mutter, präziser, von ihrem Bruder, hatte.

„War’s schön bei Jürgen?“, fragte meine Mutter, während sie die Suppe auffüllte. Sonntags gab es bei uns immer ein Drei-Gänge-Menü: Suppe, Hauptgericht und Nachtisch. Ein Ritual und ein Frevel, wenn man sich erlaubte zu spät zu kommen.

Ich nickte artig: „Ja.“

„Was habt ihr denn gemacht?“, wollte Maurice wissen. Er war nicht so häufig aus wie ich. Seine Interessen waren mehr auf das Fernsehen und die Schule gerichtet. Zugegeben, er war auch der Intelligentere von uns beiden.

„Videoabend“, log ich, während ich meine Suppe kalt rührte.

„Was habt ihr denn geguckt?“, wollte meine Mutter natürlich sofort wissen. Sie war eine sehr strenge Mutter und hatte uns früher überhaupt kein Fernsehen erlaubt. Meiner Vermutung nach war aus Maurice deshalb so ein Stubenhocker geworden: Er hatte Nachholbedarf.

„Interview mit einem Vampir“, antwortete ich und musste selbst über diese Antwort grinsen. Maurice besah mich misstrauisch, meine Mutter besorgt.

„Ist das etwa ein Horrorfilm?“

„Nö …“, entgegnete ich. „Völlig harmlos. Kommt im Fernsehen doch auch schon um acht.“

„Warum guckt ihr euch überhaupt so einen alten Schinken an?“, wollte mein Bruder wissen. Allmählich wurden mir meine Lügen unangenehm. Ich nutzte die Gelegenheit, meinen Bruder zu ignorieren und das Thema zu wechseln.

„Was habt ihr denn so gemacht?“, fragte ich zurück.

„Es kam eine Reportage über den Staudamm in China“, erklärte meine Mutter. „Das war sehr interessant.“

„Ah“, machte ich und schluckte eine Bemerkung mühsam hinunter. Innerlich beglückwünschte ich mich zu meiner Abwesenheit.

„In der Nacht hat jemand einen Klingelstreich bei uns gemacht“, verkündete meine Mutter erbost. „Ich glaube, das war einer aus dem Haus.“

Ich tat mein Bestes, um mich nicht zu verschlucken und griff mühsam nach meinem Glas. Meine Mutter registrierte es mit schrägem Blick. Zur Suppe durfte man noch nichts trinken, so war der Brauch. Im Moment war es mir aber völlig egal.

Mein Bruder stöhnte nur: „Wie kommst du darauf, dass es jemand aus dem Haus war? Allmählich wirst du paranoid.“

„Ich hab doch ganz deutlich eine Tür klappen hören“, entgegnete meine Mutter. „Vielleicht einer von den neuen Mietern. Oder der seltsame Typ mit den blonden Haaren. Ich glaube, es war die Wohnung über uns.“

„Vielleicht ist irgendwer nach Haus gekommen und hat aus Versehen auf unsere Klingel gedrückt“, warf ich ein. „Weil’s schon so spät war oder so …“

„Das kann sein“, fand meine Mutter und wirkte irgendwie beruhigt. Wenn sie das Gefühl hatte, dass sie jemand ärgern wollte, oder etwas gegen sie hatte, wurde sie meistens ganz hysterisch. Mein Bruder starrte auf meinen Hals. Ich spürte seinen Blick, versuchte ihn aber zu ignorieren. Er starrte weiter. Schließlich verzog er das Gesicht.

„Du blutest da.“

„Wo?“, tat ich dumm.

„Am Hals.“

„Oh, meine Güte, ja“, stellte meine Mutter bestürzt fest. „Was hast du da gemacht?“

Unsicher fasste ich an die Wunde an meinem Hals. Sie hatte tatsächlich wieder begonnen zu bluten. Vielleicht weil ich mich beinahe verschluckt hatte, oder weil mir das Herz bis zum Hals schlug vor lauter Lügen.

„Ein Pickel vielleicht“, murmelte ich verlegen und stand auf. Meine Mutter wollte mir folgen, doch ich winkte ab. Ein Pflaster konnte ich mir auch allein darauf kleben.

„Sah aus, als hätte dich jemand gebissen“, fand Maurice, als ich wieder zurückkam.

„Ja, klar“, brummte ich und verdrehte die Augen. „Ein Vampir vielleicht.“

„Hm, wer weiß, auf was für dumme Ideen ihr Jungs kommt, wenn ihr euch so einen Film anseht“, meinte meine Mutter, während sie damit anfing die Suppenteller abzuräumen.

Ich sah sie etwas ungeduldig an: „Glaubst du wirklich, Jürgen würde mich beißen?“

„Wenn er genug Hunger hat, bestimmt“, spottete Maurice.

Jürgen war mein Grundschulfreund. Ich war damals klein und mädchenhaft gewesen und er dick und der Lachmagnet. Wir hatten gut zusammengepasst. Ich hatte ihn immer noch gern, wenn ich auch nicht mehr ganz so viel mit ihm zu tun hatte, wie meine Familie glaubte. Auf keinen Fall konnte ich es allerdings erlauben, dass sich Maurice über Jürgens Gewicht lustig machte. Er aß wirklich nicht viel mehr als andere nur eben die falschen Sachen. Ich streckte Maurice die Zunge heraus: „Bist ja nur neidisch.“

„Darauf von Jürgen angeknabbert zu werden?“, höhnte Maurice. „Wie kommst du darauf? Wirst Papa immer ähnlicher, was?“

„Es reicht, Maurice!“, wandte meine Mutter scharf ein.

„Was denn?“, stellte sich Maurice dumm. „Ist doch so. Du solltest ihm wirklich nicht mehr erlauben, Papa immer in den Ferien zu besuchen. Wer weiß, was der mit ihm anstellt.“

„Hör sofort auf, so über deinen Vater zu reden. Du bist immerhin auch sein Sohn!“, wies ihn unsere Mutter zurecht. Maurice schnaubte nur. Ich hielt mich vornehm im Hintergrund. Es stimmte, dass ich meinem Vater in allen Hinsichten ähnlicher wurde, aber das hatte, abgesehen von seinen Erbanlagen, wenig mit ihm zu tun. Die Ferien verbrachte ich größtenteils nicht bei ihm, sondern bei meiner Großmutter. Maurice hatte dafür nie viel Interesse aufbringen können und ich ging hauptsächlich dorthin, weil er nicht mitkam.

„Kann ich noch Bohnen haben?“, versuchte ich das Thema zu entschärfen, nachdem ich fand, dass meine Mutter meinen Bruder lange genug angefunkelt hatte. „Bitte.“

„Gern“, ging meine Mutter auf mich ein.

Niceguy: «Er hat was getan? o.o»

Pieps: «Er hat mich gebissen und das Blut getrunken.»

Hüpfer: «Er hat doch gesagt, dass er dich nur heimbringt. >.<»

Pieps: «Ich hab ihn überredet, dass ich bei ihm schlafen durfte. Er hat mich sofort ins Bett geschickt und dann noch gearbeitet. Er schläft anscheinend tagsüber. Am Morgen lag er dann plötzlich neben mir und dann … hat er mich gebissen und mir dabei einen runter geholt.»

Hüpfer: «Arg! Ein Perversling! Und ich hab dich mit ihm allein gelassen!»

Niceguy: «War’s schlimm? ^.^?»

Pieps: «Nö … Im Gegenteil. *lol* Genial.»

Niceguy: «Und jetzt?»

Hüpfer: «Anzeigen!»

Pieps: «Ich geh heute Abend wieder zu ihm.»

Pieps: «Wenn ich mich traue …»

Pieps: «Vielleicht. v.v »

Niceguy: «Viel Glück. Er ist echt heiß …»

Hüpfer: «Nein! Vergiss es! Da gehst du nicht mehr hin! Der ist schon uralt!»

Hüpfer: «Und pervers! Wer weiß, was er mit dir anstellt!»

Niceguy: «Was ist, wenn er mehr will? Du machst doch nichts Dummes, oder?»

Pieps: «Wir werden ein Kondom benutzen … *g*»

Hüpfer: «NEIN! Wenn du mit ihm schläfst, dann zeig ich ihn an!»

Pieps: «Eifersüchtig? :p»

Hüpfer: «Hmpf…»

Niceguy: «Ich finde auch, dass du nichts überstürzen solltest.»

Niceguy: «Immerhin, er ist dein Nachbar. Du musst ihm danach noch in die Augen sehen können.»

Hüpfer: «Vor allem weißt du nicht, auf was der noch alles steht!»

Pieps: «Ich werde es ja herausfinden. ^.^»

Niceguy: «Sei vernünftig! Überstürz das bloß nicht. Nachher wird er noch brutal.»

Hüpfer: «Ich trau dem Kerl alles zu!»

Pieps: «Ich glaube eh nicht, dass er will.»

Pieps: «Vielleicht schmeißt er mich ja gleich wieder raus … v.v »

Hüpfer: «Hoffentlich!»

Niceguy: «Bestimmt nicht.»

Pieps: «Soll ich nicht lieber noch bis morgen warten?»

Hüpfer: «Du sollst gar nicht hingehen!»

Niceguy: «Floh, hör auf ständig so einen Scheiß zu reden! Ben, ja, warte lieber noch ein bisschen. Das macht dich nur interessanter …»

Pieps: «Ja, du hast recht … Ich will ihn auch nicht nerven.»

Hüpfer: «Wer redet hier Scheiß? Mensch, der Kleine ist erst 15 und der Kerl mindestens dreißig. Das ist mehr als illegal. Außerdem: Er hat ihn so gebissen, dass es geblutet hat! Vielleicht ist er verrückt. Oder steht auf SM.»

Niceguy: «Bei dir war er dreizehn.»

Hüpfer: «Das war etwas ganz anderes!»

Pieps: «Inwiefern? :p »

Hüpfer: «Ich habe dich jedenfalls nicht so gebissen, dass du geblutet hast! Und wir sind nur fünf Jahre auseinander und waren davor schon ein halbes Jahr zusammen. Das ist normal.»

Niceguy: «Ich fand diesen Gabriel ganz okay. Ich glaube nicht, dass er pervers ist ...»

Niceguy: «Vielleicht hat ihn dein Anblick heute Morgen nur verführt und er hatte es ursprünglich gar nicht vor. Außerdem hat doch jeder seine Marotten. In der Leidenschaft kann es doch schon mal passieren …»

Pieps: «Außerdem ist er gar nicht gekommen.»

Hüpfer: «Siehst du, noch seltsamer.»

Niceguy: «Siehst du, ich glaub, er ist okay.»

Pieps: «Danke! Ich muss jetzt raus. cu»

Kapitel 2

Es dauerte drei Tage, bis ich mich endlich traute. In der Schule hatte ich keine Minute aufpassen können, weil ich ständig an ihn denken musste. Er ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Anderseits hatte ich wirklich Angst, dass er mich einfach fortschickte. Und für den Fall, dass er es nicht tat, fragte ich mich, was er dann machen würde.

„Es ist acht und dunkel draußen“, stellte meine Mutter fest. „Wohin willst du also noch?“

„Ich bin fünfzehn, es ist erst acht und ich habe morgen später Unterricht“, legte ich ihr die Fakten aus meiner Sicht auf den Tisch, mit einer Hand bereits an der Türklinke.

„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, erklärte meine Mutter bissig.

„Ich will zu Gabriel“, beschloss ich ehrlich zu sein. Sie würde ohnehin nicht darauf kommen, was ich dort wollte.

Sie sah mich fragend an: „Welcher Gabriel?“

Ein bisschen entnervt deutete ich mit dem Finger nach oben zu Gabriels Wohnung. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass meine Mutter einen Nachbarn, der schon so lange über uns wohnte, mit Namen kennen würde. Nun, ich bis vor Kurzem ja auch noch nicht.

Sie sah auf meinen Finger, in meine Augen, nach oben, auf meinen Finger und blinzelte dann verständnislos: „Engel Gabriel … im Himmel?“

„Wenn du ihn so nennen willst …“, musste ich ein wenig lachen „Ich meinte eigentlich unseren Nachbarn.“

„Welchen?“

„Den, der über uns wohnt.“

„Mit den Haaren?“

„Die meisten haben Haare, ja, und er hat diese langen, blonden.“

„So, was hast du mit dem zu tun?“

„Ich habe mich letztens mit ihm unterhalten. Er ist nett.“

„Er wohnt da schon zehn Jahre, ohne dass ich ihn kennengelernt habe: Er ist merkwürdig“, fand meine Mutter ungeduldig. „Und ich will nicht, dass du zu ihm in diese seltsame Wohnung gehst.“

„Er ist nicht merkwürdig. Er ist interessant!“, erwiderte ich allmählich auch ungeduldig. Ich bereute, die Wahrheit gesagt zu haben. Aber sie hätte ohnehin gemerkt, dass ich nicht nach unten, sondern nach oben gegangen wäre.

„Natürlich ist er merkwürdig! Ich habe ihn noch nie zur Arbeit gehen sehen! Er hat fürchterlich lange Haare für einen Mann und wie er sich immer anzieht!“

„Er ist Schriftsteller“, nahm ich ihr den Wind aus den Segeln.

Sie stutzte. „Tatsächlich?“

„Ja, cool, oder?“, strahlte ich. „Ich bleib auch nicht lange. Will mich nur ein wenig mit ihm unterhalten.“

„Um zehn bist du spätestens wieder hier“, forderte sie unbequem. „Und geh ihm nicht auf die Nerven.“

„Nein, nein. Mach ich schon nicht“, versprach ich. Das hatte ich mir schließlich auch selbst vorgenommen. Nur die Zeitbegrenzung störte mich. Meiner Mutter war ohne Zweifel zuzutrauen, dass sie mich abholte, sollte ich mich verspäten, wie es meine Angewohnheit war. Trotzdem, ich hatte es geschafft. Sie hatte es erlaubt und von jetzt an würde sie kein Gegenargument mehr haben, da sie es schließlich dieses eine Mal erlaubt hatte. Das war so etwas wie ein Präzedenzfall. Gut gelaunt stürmte ich nach oben, doch dann wurde mir auch wieder mulmig. Er konnte mich schließlich einfach wieder wegschicken, wenn ihm meine Anwesenheit nicht mehr gefiel. Das Pflaster an meinem Hals war ab und die Wunde sah man kaum noch. Sie war ziemlich rasch verheilt.

Ich klingelte. Es dauerte eine Weile, doch dann machte er tatsächlich auf. Er war da.

„Hi!“, strahlte ich.

„Oh, hallo!“, war er etwas überrascht, doch dann lächelte er leicht. „Hab mich schon gefragt, ob du dich noch mal traust zurückzukommen.“

„Warum nicht?“, fragte ich zurück. „Stör ich?“

„Nein, gar nicht. Komm rein“, bot er mir freundlich an. Er hatte sein Haar wieder hochgesteckt und sah einfach umwerfend aus. In seiner Wohnung war es ein wenig kühl. Der Laptop stand angeschaltet auf dem Tisch.

„Hast du gearbeitet?“, fragte ich ein bisschen dumm.

Doch er lächelte nur und nickte: „Möchtest du etwas trinken?“

„Was hast du denn?“

„Hm, nicht viel, fürchte ich“, gestand er ein wenig verlegen, was ihm sehr gut stand. „Warte mal, ich schau nach.“

Natürlich wartete ich nicht, sondern schlich ihm hinterher. Die Küche war der einzige Raum in dieser Wohnung, den ich noch nicht kannte. Anscheinend war sie auch der normalste Raum in dieser Wohnung. Schlicht und doch sehr gemütlich eingerichtet. Er seufzte leicht und machte den Kühlschrank wieder zu.

„Wie wäre es mit Tee?“, fragte er schließlich. Eigentlich mochte ich nicht so gerne Tee, aber ich war so freundlich zu nicken, denn anscheinend hatte er nichts anderes. Er öffnete einen Schrank, der ebenfalls ziemlich leer war, fand aber recht schnell, was er suchte und setzte Wasser auf. Das Teeservices schien aus China oder so zu stammen. Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle und sah Gabriel aufmerksam dabei zu, wie er den Wasserkessel anstarrte. Es war nicht gerade spannend und die Befangenheit zwischen uns war beinahe greifbar. Ich beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen.

„Guck mal, die Wunde ist schon fast weg!“, forderte ich ihn auf.

Er sah tatsächlich auf, seine Augen schimmerten leicht: „Ja, tatsächlich.“

„Stehst du auf so was?“, fragte ich noch direkter.

Er lachte leise und nutzte die Gelegenheit, um sich neben mich zu setzen. Entspannt lehnte er sich zurück. Seine Augen ruhten auf meinem Hals: „Dich kann nichts schockieren, oder?“

„Nein, so was zumindest nicht“, behauptete ich. „Also?“

„Also …“, wiederholte er gedehnt und lächelte dann wieder. „Ja. Ja, ich glaube, ich stehe auf so etwas. Erst recht bei so einem schönen Hals wie deinem.“

Ich wurde, glaube ich, ein wenig rot. Doch ich grinste auch ziemlich verschlagen: „Hm, wenn du willst, darfst du noch mal.“

„Wie hast du es deiner Mutter erklärt?“, überging er mein Angebot einfach. Darauf zu antworten fiel mir jedoch auch gar nicht ein. Die Erklärung für meine Mutter war nicht gerade für seine Ohren bestimmt. Dass ich hin und wieder Pickel bekam, sollte er möglichst nicht wissen.

„Das Wasser kocht“, stellte ich statt zu antworten fest. Er erhob sich und goss den Tee auf, während er seiner Armbanduhr einen flüchtigen Blick schenkte.

„Sie war also nicht begeistert“, schloss er aus meinem Ausweichmanöver.

„Sie hat gar nicht direkt erfahren, was es wirklich war“, gab ich zu. Damit war er zufrieden. Er stellte den Teekessel und die flachen Tassen auf ein Tablett. Mit einem Blick auf seinen knackigen Hintern in der weiten Stoffhose folgte ich ihm zurück ins Wohnzimmer.

„Und jetzt?“, erkundigte er sich. „Wo denkt sie, dass du diesmal bist?“

„Hier“, erklärte ich. „Ich hab ihr gesagt, dass ich dich kurz besuche.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr das sehr behagt. Immerhin kennen wir uns nicht“, stellte er kritisch fest. Die Unterhaltung war mir einen Tick zu sachlich. Ich zog ein unwilliges Gesicht.

„Sie hat es erlaubt, nachdem ich gesagt habe, dass du Schriftsteller bist. Aber ich muss um spätestens zehn wieder unten sein, sonst kommt sie hoch.“

Gabriel gab ein kurzes amüsiertes Geräusch von sich. Er war gerade dabei seinen Laptop in Sicherheit zu bringen. Ich hatte mich auf das Sofa gesetzt und ließ ihn nicht aus den Augen.

„Hast du ihr erzählt, dass du hier übernachtet hast?“, erkundigte er sich nüchtern. Ich machte große Augen. „Natürlich nicht.“

„Gut“, fand er nur und setzte sich neben mich. Dann schenkte er uns Tee ein. Jede seiner Bewegungen war perfekt ausbalanciert und sehr elegant. Es machte einfach Spaß ihm zuzusehen, egal was er tat.

„Was hast du so gemacht die letzten Tage?“, fragte ich neugierig. Er lächelte wieder und ließ sich nach hinten ins weiche Leder gleiten.

„Nicht viel“, erklärte er dann, seine aufmerksamen Augen auf mich gerichtet. „Geschrieben hauptsächlich. Und du?“

„Auch nicht viel“, stellte ich fest. „Schule hauptsächlich. Oh, und mit Maurice gestritten natürlich.“

„Maurice ist dein Bruder, nicht wahr?“

„Hm“, machte ich und ärgerte mich ein wenig ihn überhaupt erwähnt zu haben. Es klang so kindlich.

„Versteht ihr euch nicht gut?“

„Feuer und Wasser“, winkte ich ab.

„Du bist das Feuer, nehme ich an?“, neckte Gabriel sanft. „Ich hab deinen Bruder noch nicht oft gesehen. Muss so ein Stubenhocker sein wie ich.“

„Ihr habt gar nichts gemeinsam“, lehnte ich auch nur die Spur dieses Gedankens ab. „Er ist langweilig und spießig und ein totaler Streber. Dauernd will er recht haben.“

Gabriel lachte wieder, diesmal ein wenig herzhafter. Seine Hand streichelte mir dabei unwillkürlich durch das Haar. Ich ließ es entzückt über mich ergehen. Es war die erste Berührung an diesem Abend. Mit Arne und Floh zusammen hatte ich mir dieses Treffen ganz anders vorgestellt. Aber Gabriel war einfach nicht vorausplanbar.

„Hast du Geschwister?“, fragte ich wieder eine Spur zu neugierig. Im gleichen Moment klingelte es an der Tür.

„Nein“, seufzte Gabriel. „Aber so etwas wie … Bleib sitzen. Ich versuch ihn loszuwerden.“

Es gelang ihm nicht Niklas loszuwerden. Der ließ Gabriel noch nicht einmal zu Wort kommen, sondern stürmte quasi in die Wohnung, schmiss Schuhe und Jacke in den Flur und kam sich anscheinend ganz so vor, als wäre er zu Hause. Erst als er mich sah, stutzte er leicht und runzelte die Stirn. Doch dann lächelte er und wandte sich zu Gabriel um, der hinter ihm den Raum betrat.

„Du hast ja Besuch.“

„Wie du siehst“, brummte Gabriel etwas. „Wärst du nicht so hineingerannt, hätte ich es dir gesagt.“

„Ach, du meinst, ich komme ungelegen?“, spottete Niklas dickfellig und schmiss sich in den Sessel mir schräg gegenüber. „Hi, Kleiner. Benjamin, richtig?“

Ich nickte nur. „Hi.“

Seine Augen verengten sich plötzlich und er richtete sich wieder etwas auf. Sie fixierten eindeutig meinen Hals. Dann lachte er plötzlich grimmig auf und wirbelte erneut zu Gabriel herum. Er grinste, ich sah seine Zähne nur für einen Moment aufblitzen, da er nicht in meine Richtung sah, aber ich wusste es genau.

„Du konntest dich also nicht beherrschen!“, feixte er. „Dabei sagte ich doch, dass du brav sein sollst.“

„Halt den Mund“, wies Gabriel ihn scharf zurecht. So hatte er mit mir noch nie geredet. Es war offensichtlich, wie gut die beiden einander kannten. Schon allein, dass sie kein Blatt vor den Mund nahmen, gab mir zu denken. Niklas lachte immer noch leise. Dann fiel sein Blick auf die Tassen und es schien ihn neuerlich zu amüsieren. Diesmal blitzten jedoch nur seine ockerfarbenen Augen auf. Gabriel ließ sich wieder neben mir nieder.

„Kriege ich nichts zu trinken?“, empörte sich Niklas leicht.

„Du weißt, wo es steht“, entgegnete Gabriel streng.

„Das ist eine ganz schlechte Gastfreundschaft“, murrte Niklas unernst, erhob sich und ging Richtung Küche.

Gabriel nutzte die Gelegenheit und wandte sich an mich: „Sorry, aber wie du siehst, kann man ihn durch nichts aufhalten.“

Er lächelte schon wieder etwas, jetzt, wo wir uns in die Augen sahen. Seine Augen schimmerten und ich konnte nicht umhin sie zu bewundern. Mir wurde irgendwie mulmig. Ich murmelte noch: „Macht nichts.“

Und im nächsten Moment küssten wir uns. Ich wusste selbst nicht genau, wie es geschehen war, doch es hatte geschehen müssen. Dieser Kuss hatte die ganze Zeit schon in der Luft geschwebt und war nur durch unsere Befangenheit nicht zum Zug gekommen. Nun durch Niklas’ Anwesenheit schien er ganz geschwunden zu sein, doch der war ja für den Augenblick nicht da. Es musste also so kommen. Gabriels Lippen waren so sanft und weich. Unmerklich wanderte er immer mehr über mich, bis ich schließlich unter ihm lag.

„Gabriel!“, kam plötzlich ein Ruf aus der Küche. „Ich kann ihn nicht finden, verdammt!“

Wir waren beide zusammengezuckt, als Niklas’ Stimme ertönte. Jetzt löste sich Gabriel seufzend von mir und stand mit einem letzten Schmunzeln auf mich herab auf, um Niklas zu helfen. Mir war schwindlig. Nicht so sehr wie in dem Club und diesmal war es irgendwie angenehmer, aber aufstehen hätte ich auch nicht können. Also blieb ich so versunken wie ich war auf meinem Platz zurück. Aus der Küche hörte ich ihre leisen Stimmen, denen ich nur wenig Sinn entnehmen konnte. Niklas sprach Gabriel offenbar noch einmal auf mich an. Gabriels Antwort war ziemlich knapp. Dann kamen sie zurück. Die Küchentür wurde geöffnet und ich hörte Niklas nun ganz deutlich.

„… frage mich manchmal wirklich, wie du das immer hinkriegst.“

„Ich war im Halbschlaf!“, zischte Gabriel genervt.

Darauf gab Niklas ein merkwürdiges aber recht eindeutiges Geräusch von sich. Es vermittelte so viel wie: Das ist ja noch schlimmer. Er konnte aber nicht mehr darauf eingehen, ohne dass ich es mitbekam, was er anscheinend nicht gewollt hatte. Ich vermutete, es ging um das Beißen. Gabriel war tatsächlich im Halbschlaf gewesen, aber dass er es so betonte, wurmte mich.

„Willst du eigentlich auch, oder bestehst du heute Abend auf Tee?“, spottete Niklas und deutete auf die Flasche Wein.

Gabriel warf ihm einen bösen Blick zu, und Niklas holte ohne weiteren Kommentar zwei große Weingläser aus der Schrankwand.

Gabriel setzte sich derweil wieder neben mich und zog mich dann halb auf seinen Schoß, einen Arm um mich geschlungen. Mit der freien Hand begann er mich sanft zu streicheln, als wäre ich sein Kätzchen. Mir war auch beinahe nach Schnurren zumute. Niklas warf uns einen spöttischen Blick zu: „Da kann man beinahe neidisch werden.“

„Guck doch weg!“, verlangte ich frech.

Gabriels Schmunzeln wurde tiefer: „Genau.“

Niklas schnaubte nur und tat das Gegenteil, nachdem er den Wein eingeschenkt hatte. Über sein Glas hinweg, das er sich hedonistisch unter die Nase hielt, starrten mich seine Katzenaugen neugierig und irgendwie lauernd an. Ich fühlte mich unbehaglich und kuschelte mich noch näher an Gabriel.

„Also …“, begann Niklas bewusst sachlich. „Wie kommst du mit dem Buch voran?“

„Ganz gut“, gestand Gabriel gleichgültig. „Wie immer. Bei dir was Neues?“

„Hm“, machte Niklas und sah wieder mich an. „Ich weiß nicht, ob es jugendfrei ist, was ich dir erzählen wollte. Wie alt bist du, Benjamin? 16?“

„Ich glaube nicht, dass ich es dann hören möchte“, erklärte Gabriel, bevor ich antworten konnte. „Das Übliche also.“

„Ja, allerdings schätzte ich, dass ich diesmal ohnehin nicht mit dir mithalten kann“, höhnte Niklas und konnte seine Neugier nun doch nicht mehr bändigen. „Im Halbschlaf sagtest du? Das heißt, er hat hier geschlafen?“

„Hör auf so dreckig zu grinsen“, knurrte Gabriel. „Ich kann mich wenigstens noch so weit mehr im Zaum halten. Er ist erst fünfzehn.“

„Oh, merkt man ihm aber nicht an.“ Niklas Augenbrauen hoben sich etwas: „Seit wann kannst du dich beherrschen?“

„Er ist anwesend“, mischte ich mich ein wenig verärgert ein. „Und er findet nicht, dass das Alter entscheidend ist.“

„Siehst du“, moserte Niklas triumphierend, tat aber immer noch so, als wäre ich nicht ganz anwesend. „Schlagfertig ist er auch noch.“

Gabriel strich mir beruhigend durchs Haar und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Ich fühlte mich langsam wirklich wie sein Kätzchen. Doch auf eine Auseinandersetzung deswegen hatte ich es nicht abgesehen. Eigentlich war es ganz in Ordnung. Nur vor Niklas war es mir irgendwie peinlich.

„Soll er dein neues Haustier werden?“, erkundigte sich Niklas prompt hämisch. Ich stutzte ein wenig. Etwas an dem, was er sagte, hörte sich komisch an. Als Gabriel antwortete, wusste ich warum. Die beiden waren übergangslos ins Französische gewechselt. Vielleicht, weil sie nicht wollten, dass ich es verstand. Das tat ich aber ausgezeichnet. Mein Kopf konnte zwischen den beiden Sprachen hin und her schalten, ohne dass ich es selber merkte. Mein Vater war Franzose. Deshalb verstand ich sie. Jemand mit Schulfranzösisch in meinem Alter hätte es wohl nicht gekonnt, denn sie sprachen mit komischem Akzent. Beim näheren Hinhören wusste ich dann, warum es sich so komisch anhörte. Sie benutzten Wörter, die ich kaum kannte, so alt und ungebräuchlich waren sie.

„Hör auf zu lästern“, hatte Gabriel in etwa gesagt.

Darauf hatte Niklas nur gelacht: „Ach? Ich lästere nicht, mein Freund. Ich mache mir nur Sorgen. Wäre schließlich nicht das erste Mal, dass du etwas anstellst. Und dann musst du wieder umziehen.“

„Ich hatte ohnehin vor, dies demnächst zu tun“, schockierte mich Gabriel. Ich versuchte, mir meinen Schrecken nicht anmerken zu lassen.

„Stimmt. Meine Güte, es sind schon wieder fast zehn Jahre“, stellte Niklas gestelzt fest. „Dann muss ich es ja auch. Du hast aber hoffentlich nicht vor den Kleinen mitzunehmen?“

Gabriel schnalzte ärgerlich mit der Zunge. Ein verächtliches Geräusch, das anscheinend signalisierte, dass er nicht gewillt war, darüber zu sprechen. Ich hätte gerne noch mehr erfahren. Niklas schien erleichtert: „Zum Glück. Dann bleibt es bei dem einen Mal Hals knabbern, ja?“

„Hm“, machte Gabriel nur.

„Was ‚hm’?“, runzelte Niklas die Stirn. „Himmel, er hat dir geschmeckt! Wie das denn? Er ist … Sogar ich würde ihn noch zu jung finden.“