Wellen am ruhigen Seeufer - Peter J. Hoff - E-Book

Wellen am ruhigen Seeufer E-Book

Peter J. Hoff

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Beschreibung

Peter J. Hoff wohnt im Großraum von Zürich. Er arbeitete während 38 Jahren bei der Polizei. Davon 28 Jahre bei der Kriminalpolizei. Die letzten 15 Jahre befasste er sich ausschließlich mit Gewaltverbrechen und Tötungsdelikten. Die Geschichte basiert aber auf reiner Phantasie. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre ungewollt und rein zufällig. Ein Toter im Wasser, zwei Tatverdächtige und ein undurchsichtiges Paar. Das ist das Gewürz welches diese Geschichte erst richtig scharf macht. Wenn wir schon von Gewürz reden, es gibt auch noch versteckte Kochrezepte in dieser Geschichte. Lesen Sie selbst, wie der Ermittler, Franz Buck mit seinen Recherchen an die Grenzen stößt und als Einziger von der Unschuld des Hauptverdächtigen überzeugt ist. Eine spannende Geschichte, wobei die Nerven des Lesers arg strapaziert werden.

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Vorwort

Diese Geschichte basiert auf reiner Phantasie. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre ungewollt und purer Zufall.

Alle Namen wurden frei erfunden. So existiert in Zürich weder eine Polizeiorganisation unter dem Namen „Zürcher Polizei“ noch gibt es dort eine Abteilung mit der Bezeichnung „Mordkommission“.

Der Autor arbeitete selbst fast vierzig Jahre bei der Polizei und befasste sich in den letzten 15 Jahren hauptsächlich mit Mordfällen und Gewaltdelikten.

Aus der Serie

Zürich, im Licht der Dunkelheit

Band 2

Der Herbst hatte sich noch einmal von seiner besten Seite gezeigt an diesem letzten Oktobersonntag. Nun färbte sich die Sonne langsam immer röter und begann ihren Sinkflug hinter dem Kamm des Uetliberges. Wie ein schwarzer Scherenschnitt stachen der Aussichtsturm und die zu oberst stehenden Bäume aus dem blau/roten Hintergrund hervor.

Ueli Moser tuckerte mit seinem kleinen Motorboot dem Ufer entlang, auf dem Weg zu seinem Bootshäuschen das sich wenige Kilometer vom Stadtrand, am Zürichsee befand. Es war eine Art Pfahlbauerhaus. Mit dem Boot konnte er direkt in die Bootsgarage, unter seinem auf Pfählen gebauten Häuschen fahren und von dort in den oberen Stock gelangen, den er liebevoll zu einem gemütlichen Wochenendhäuschen ausgebaut hatte.

Im vorderen Teil des Schiffchens lag auf einem Polster sein ganzer Stolz, sein kaum ein Jahr alter Sohn Denis. Seine hübsche Frau Anita spielte mit ihm und alle schienen zufrieden.

Als Chef der Kreditabteilung der Privatbank Unger hätte sich Ueli Moser längst ein grösseres und komfortableres Boot leisten können, doch war das alte Holzboot eine Erbschaft seines Vaters die er ihm bei seinem Tod vor bald vier Jahren mitsamt dem Bootshäuschen vermacht hatte. Ueli Moser hing sehr an diesem Boot und pflegte und hätschelte es sodass es sich immer in tadellosen Zustand zeigte. „Das ist noch alte Bootsbauerkunst“ pflegte er zu sagen. „Die heutigen gegossenen Kunststoffschalen die nur noch ausgepolstert werden müssen, das sind doch keine richtigen Boote mehr“.

Ueli Moser genoss jede Stunde die er mit seiner jungen Familie am oder auf dem Wasser verbringen konnte. Oftmals begab er sich auch nach einem harten Arbeitstag ganz alleine an den See und konnte dort ausspannen wie nirgends sonst.

*

Reto Halder fühlte sich so gut wie selten zuvor. Seine kleine Computerfirma die er aufgebaut hatte lief zwar eher schlecht denn recht, doch das sollte sich nun ändern. Zusammen mit seinen drei Angestellten war es ihm gelungen einen wichtigen Auftrag an Land zu ziehen. Er hatte den Zuschlag bekommen, eine grosse Lebensmittel-Verteilerfirma im Umkreis von Zürich mit einer komplett neuen Hard- und Software auszurüsten und ein Netzwerk zu erstellen. Dieser Auftrag würde ihn mit einem Schlag aller finanziellen Sorgen entledigen. Möglicherweise musste er sogar noch einen oder zwei zusätzliche Angestellte einstellen. Endlich ging es aufwärts. Bis anhin konnte er sich gerade so über Wasser halten und oftmals stand er kurz vor dem Ruin. Ein kleiner Kredit von ca. 50'000 Franken brauchte er zwar noch, damit er sich alle nötigen Gerätschaften anschaffen konnte, doch diese Hürde dürfte angesichts des bevorstehenden Grossauftrages kein Hindernis sein. Kopien des Vertrages hatte er seiner Hausbank bereits geliefert und morgen Montag, wurde er um 09:00 Uhr in der Bank erwartet um die Kreditpapiere zu unterschreiben. Er war ganz aufgeregt. Noch nie war ihm ein so grosser Auftrag zugeflossen und am vergangenen Freitag hatte er bereits mit seinen Arbeitsnehmern mit einem Glas Champagner auf den Zuschlag angestossen. Zwar hatte er nur drei Angestellte, aber es waren sehr gute und zuverlässige Leute. Jeder arbeitete so, als ob die Firma sein Eigen wäre. Reto Halder war stolz auf seine Angestellten und das gab er ihnen auch zu verstehen.

*

Der letzte Montag des Monats Oktober war angebrochen. Ich wälzte mich aus den Federn und begab mich unter die Dusche. Das kalte Wasser spülte die zurück gebliebenen Schlafreste aus meinen Adern und ich fühlte mich total fit und unternehmenslustig.

Als ich die Jalousien der Fenster meiner Dreizimmerwohnung öffnete, empfing mich der Tag in trübem Grau. Es war neblig so dass man kaum 100 Meter weit sehen konnte, obwohl sich meine Junggesellenwohnung im obersten Stockwerk eines zwölfstöckigen Hochhauses befand. Normalerweise genoss ich von hier oben eine tolle Aussicht auf die Vororte und die Stadt Zürich. Ich glaubte der Wettervorhersage nicht, die versprochen hatte, dass die Sonne sich bis am Mittag durch den Nebel brennen würde.

Trotzdem musste ich zur Arbeit. Ich wusste nicht was mich ab heute erwarten würde. Mein langjähriger Chef, Beat Koch, hatte am vergangenen Freitag seinen letzten Arbeitstag. Er konnte nun seine verdiente Rente in Ruhe geniessen. Am Freitag hatte er uns zu seinem Abschied noch zum Mittagessen eingeladen und wir konnten ihn dabei in Würde verabschieden. Er war immer ein sehr guter, menschlicher und korrekter Chef. Er war aber auch fachlich absolut unantastbar und seine Entscheidungen erwiesen sich ausnahmslos als richtig. Beat Koch hat seine Karriere als Streifenpolizist angefangen und sich stets nach oben gearbeitet, bis er vor sieben Jahren zum Chef der Mordkommission ernannt worden war. Wir liessen ihn ungern gehen, zumal niemand von uns seinen Nachfolger kannte. Das einzige was wir von ihm wussten war sein Name. Er hiess Walter Anders und er war Jurist. Ein sogenannter „Seiteneinsteiger“. So nennt man im Polizeijargon die Leute die nicht über die Polizeischule ihre Laufbahn im Korps einschlagen, sondern mit einem Universitätsabschluss direkt in einer leitenden Funktion eingestellt werden.

Ich lenkte meine schwere BMW Tourenmaschine über die Emil Klöti Strasse, am Waidspital vorbei, in Richtung Kreis 4, oder Kreis „Cheib“ wie er im Volksmund genannt wird, wo sich mein Arbeitsplatz befindet. Normalerweise geniesst man auf dieser Strecke einen unvergesslichen Ausblick über die ganze Stadt und den Zürichsee mit den Glarner Alpen im Hintergrund. Heute allerdings hing tiefer und dicker Nebel über der Stadt, sodass man nur gerade die obersten Stockwerke des Prime- und des Mobimo Towers aus dem Nebel ragen sah, der Rest der Stadt war eine einzige, graue, undurchsichtige Suppe. Ich fragte mich, wie sich der neue Chef wohl einleben würde. Es war mir klar, er würde es sehr schwer haben, das Niveau seines Vorgängers nur annähernd zu erreichen. Trotzdem beschloss ich, ihm unvoreingenommen zu begegnen und erst mal abzuwarten wie er sich einführen würde.

Eine erste Kostprobe sollte ich schon bald bekommen. Im Anschluss an den täglichen Frührapport ergriff Walter Anders das Wort. „Geschätzte Mitarbeiter; ich weiss, dass ihr bisher gute Arbeit geleistet habt und ich hoffe, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Allerdings werden wir einige Sachen ändern was den täglichen Arbeitsablauf betrifft. Ihr habt unter meinem Vorgänger sehr selbstständig gearbeitet. Ich bin ein Gegner dieser Arbeitsweise. Ich will immer informiert sein über alle eure Schritte. Es werden keine Entscheide getroffen die nicht zuvor mit mir abgesprochen wurden. Wir müssen schliesslich sicher sein, dass keine Fehlentscheide, welche einer juristischen Prüfung nicht standhalten würden, gefällt werden. Gibt’s dazu noch Fragen?“

Ich konnte mir eine Antwort nicht verkneifen und versuchte dem neuen Chef zu erklären dass seine Arbeitsvorstellung nicht realisierbar sei. „Entschuldigen sie, aber ich habe da so meine Bedenken“ äusserte ich mich. „Unsere Arbeit spielt sich zur Hälfte draussen ab und da ist es absolut von Nöten, kurzfristig Entscheide zu treffen die keinen Aufschub dulden. Wir werden also auch in Zukunft eigene Entscheidungen treffen müssen ohne dass wir die Möglichkeit hatten, zuvor mit ihnen darüber zu sprechen.“

„Das mag in ganz seltenen Fällen vorkommen, doch seid ihr alle im Besitze von Mobiltelefonen und solche Entscheidungen können immer telefonisch mit mir abgesprochen werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Niemand wiedersprach ihm, doch sah man den betroffenen Gesichtern an, was sie von dieser Schnapsidee hielten.

*

„Spinnt der?“ waren die ersten Worte von Alain Bayard, als ich zusammen mit meinem Partner unser gemeinsames Büro betrat.

„Weisst du Alain“, beruhigte ich meinen jungen Kollegen. „Neue Besen kehren gut und die Suppe wird selten so heiss gegessen wie sie gekocht wird. Jeder neue Chef versucht Akzente zu setzen und wenn er fachlich noch nicht auf der Höhe ist, dann sowieso. Es ist eindeutig, dass dieser Walter Anders bis anhin noch nie polizeiliche Arbeit geleistet hat und sich nun zuerst einarbeiten muss. Damit ihm dies möglichst schnell gelingt, versucht er so viele Fallbeispiele aus der Praxis aufzufangen wie möglich. Wie sollte ihm das besser gelingen als wenn er sich in jeden Fall einbinden lässt als Ansprechpartner? So gesehen sind es keine Fragen die wir ihm stellen, sondern es ist eine Art Weiterbildung für ihn, wenn wir ihm alle unsere Entscheidungen mitteilen. Nimm es nicht so tragisch, es wird schon irgendwie weiter gehen.“ Tröstete ich meinen jungen Walliser Kollegen.

*

Reto Halder hatte sich in seinen schönsten Anzug gezwängt, der ihm langsam aber sicher zu eng wurde. Dazu hatte er einen farblich passenden Schlips hervorgeholt. In seinem weissen Hemd dessen Kragenspitzen leicht nach oben zeigten, sah er aus wie ein verspäteter Konfirmand.

Entgegen seiner Gewohnheit hatte er sich ein Paket Zigaretten besorgt und rauchte einen dieser Glimmstängel, obwohl er schon vor beinahe 10 Jahren das Rauchen aufgegeben hatte. Er war zu früh vor der Bank am Bleicherweg eingetroffen und wartete ungeduldig, in seinem in die Jahre gekommenen Opel Astra, bis wenige Minuten vor neun. Mit seinen frisch polierten Schuhen, zerdrückte er die angerauchte Zigarette auf dem Gehsteig, bevor er die Bank betrat.

Noch war niemand in der Eingangshalle, sodass er sich direkt am Schalter melden konnte.

„Mein Name ist Halder. Ich bin mit Herrn Moser verabredet“. Meldete er sich auf Frage der hübschen Kundenberaterin am Schalter. Diese griff zum Telefonhörer hinter ihr und sprach wenige Worte in die Sprechmuschel, die er wegen der Trennscheibe jedoch nicht verstehen konnte.

„Nehmen sie doch bitte Platz, Herr Moser kommt sofort“ erklärte sie ihm als sie den Hörer wieder aufgelegt hatte.

Es war ihm absolut nicht ums Sitzen. Zu nervös war er. Er wollte den Kreditabschluss so schnell wie möglich hinter sich bringen um dann endlich den Grossauftrag anzupacken. Unruhig ging er in der Schalterhalle auf und ab. Endlich, nach beinahe einer Viertelstunde öffnete sich die Seitentür zum Schalterraum und Ueli Moser trat in die Halle.

„Kommen sie doch rauf in mein Büro“ begrüsste er den Wartenden und hielt ihm die Tür auf.

Im Büro des Kreditchef angekommen, bat Ueli Moser den nervös wirkenden Reto Halder, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Das Büro war mit einem Teppich der oberen Preisklasse ausgestattet und auch die Ölgemälde an den Wänden stellten wohl jedes einzelne einem Wert dar, der die Höhe des beantragten Kredites überstieg.

Ueli Moser hatte das Dossier, welches Reto Halder letzte Woche der Bank zugeschickt hatte, vor sich auf dem Tisch liegen.

„Ich habe mir die Offerte angesehen. Es scheint sich, falls dieses Geschäft jemals Wirklichkeit werden sollte, tatsächlich um einen guten Auftrag zu handeln.“

„Diese Meinung teile ich mit ihnen. Einen sehr guten sogar.“ sagte der Computer Unternehmer nicht ohne Stolz.

„Allerdings habe ich mir auch ihre persönlichen Vermögenswerte angesehen und festgestellt, dass wir bereits am obersten Rand des Kreditrahmens angelangt sind und somit kein weiterer Kreditzuschuss mehr ausgesprochen werden kann. Es sei denn, sie hätten noch weitere Sicherheiten anzubieten. Es tut mir leid, dass ich ihnen keinen besseren Bescheid geben kann. Ich bin meinen Vorgesetzten gegenüber verpflichtet und wir haben bestimmte Rahmenbedingungen in welchen wir uns bewegen können. Dieser Rahmen ist in ihrem Fall bereits mehr als ausgeschöpft. Sowohl mein Vorgänger als auch ich, haben es bisher sehr gut mit ihnen gemeint, Herr Halder. Mehr liegt einfach nicht drin. Oder können sie irgendwelche neuen Sicherheiten präsentieren?“

„Ist denn dieser Auftrag nicht Sicherheit genug?“ fragte er ungläubig und versuchte ruhig zu bleiben. Es war wie ein Hammerschlag der ihn mitten auf den Kopf getroffen hatte. Er war sich so sicher, diesen Kredit zu bekommen und den Auftrag übernehmen zu können. Keinen einzigen Gedanken hatte er bisher dafür verschwendet, dass er diese Starthilfe möglicherweise nicht bekommen könnte. Nun schienen seine ganzen Zukunftspläne wie ein Kartenhaus in sich zusammen zu brechen.

„Ich kann mit der Annahme dieses Auftrages mit einem Schlag alle meine bisherigen Kreditschulden zurückzahlen und werde sogar noch genügend Rückstellungen machen können um in Zukunft nicht mehr auf irgendwelche Kredite angewiesen zu sein.“

„Tut mir leid“ sagte der Kreditchef noch einmal und ihm war anzusehen, dass er nicht mit sich reden lassen würde. „Ich habe ihnen schon gesagt, dass ich mich an gewisse Regeln halten muss.“

„Was sind für ihre Bank schon 50'000 Franken, das sind doch Peanuts“ ereiferte sich der Programmierer der immer ungehaltener und lauter wurde. „Ich habe drei Angestellte, die alle Frau und Kinder haben. Diese stehen auf der Strasse wenn sie mir nicht helfen. Wollen sie das verantworten?“. Seine Nerven fuhren Achterbahn. Er konnte sich nicht mehr beherrschen. Dieser Kredithai war ihm noch nie wirklich sympathisch gewesen. Jetzt hätte er ihn auf der Stelle umbringen können. Der eingebildete Kotzbrocken war doch tatsächlich drauf und dran, seine ganze Existenz zu vernichten die eben erst am Aufblühen war.

„Ich denke, es ist alles gesagt, ich kann nichts mehr für sie tun. Es tut mir leid. Wenn sie neue Sicherheiten vorweisen können, dürfen sie gerne wieder bei uns vorbei schauen. Momentan ist leider nichts zu machen. Auf Wiedersehen Herr Halder“ sagte Ueli Moser, stand auf und öffnete demonstrativ die Bürotür um den aufgebrachten Reto Halder zu verabschieden.

Das war zuviel für den arbeitsamen Unternehmer. Er packte den Banker und riss ihn zu Boden. Er stürzte sich auf ihn. Auf seinem Brustkorb sitzend, schlug er ihm die Faust mitten ins Gesicht. Die weissen Wände wurden mit roten Tupfen übersäht, durch das aus seiner Nase spritzende Blut.

„Du,...du... verdammter aufgeblasener Mistkerl. Ich werde dich umbringen das garantiere ich dir!“ schrie der aufgebrachte Antragsteller. Aus allen andern Büros kamen schreiende Mitarbeiter gerannt und hielten den tobenden an den Armen fest. Einer schrie: „Ruft endlich die Polizei!“ Gemeinsam gelang es drei Bankangestellten den ausrastenden Mann auf dem Boden zu fixieren und seine Arme fest zu halten bis zum Eintreffen der Polizei.

*

Es dauerte nur wenige Minuten bis zwei junge Beamte in der Schalterhalle der Bank meldeten. Sofort wurden sie in den ersten Stock geführt wo Reto Halder noch immer am Boden vor der Bürotür des Kreditchefs lag. Er hatte die Arme seitlich ausgebreitet und auf jedem dieser Arme kniete ein Bankangestellter. Diese waren sichtlich erleichtert, als die Polizisten eintrafen und den rabiaten Kreditnehmer in Handfesseln legten. Ueli Moser sass auf einem Stuhl in seinem Büro und hielt sich ein blutverschmiertes Taschentuch unter seine, zur Grösse einer durchschnittlichen Kartoffel angeschwollene und noch immer tropfende Nase.

Der Angreifer wurde von einem der Polizisten zum Streifenwagen geführt während der andere noch mit dem Verletzten sprach. Seitens der Bank wurde gegen Reto Halder ein Hausverbot erlassen und Ueli Moser stellte Strafantrag wegen Körperverletzung, gegen seinen Angreifer.

Die Polizisten führten den rabiaten Schläger zur Polizeistation. Dort angekommen, hatte er sich soweit beruhigt, dass er problemlos ins Verhör genommen werden konnte. Zwar glimmte innerlich in ihm noch immer die Wut auf den sturen Banker, doch liess er die Beamten möglichst wenig davon merken. Er entschuldigte sich sogar für seine Tat und erklärte, dass ihn einfach ein Wutanfall übermannt habe und er nicht mehr sich selber gewesen sei in diesem Moment. „Sie können mir glauben, ich bin ein absolut friedliebender Mensch. Noch nie in meinem Leben habe ich jemanden tätlich angegriffen. Können sie mich verstehen? Setzen sie sich doch einmal in meine Lage. Ich leite ein KMU mit drei Angestellten. Jetzt haben wir einen Auftrag bekommen um den sich viele Grossunternehmen reissen würden. Es ist uns gelungen, alle auszustechen und den Zuschlag zu bekommen. Zur Verwirklichung fehlen lediglich 50‘000 Franken Bargeld um den Auftrag zu starten. Wegen dieses, für eine Bank lächerlichen Betrages, scheitert die Existenz meines Unternehmens. Nur weil mir dieser Mann den Kredit verweigert.“ Reto Halder merkte, wie er sich wieder erneut ereiferte und sah ein, dass es wohl besser ist in seiner Situation, möglichst wenig Emotionen der Polizei gegenüber zu zeigen, sonst würden sie ihn möglicherweise wegen der Wiederholungsgefahr einsperren. So gab er sich angestrengt gelassen während des Verhörs. Aus diesem Grund konnte er im Anschluss daran und nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatsanwalt wieder entlassen werden. Allerdings wurde er mit einem zweiwöchigen Rayon Verbot belegt. Das heisst, während zwei Wochen durfte er sich nicht näher als 200 Meter der Bank nähern, sonst müsste er mit einer Inhaftierung rechnen. Für eine sofortige Haft lagen nicht genügend Gründe vor. Weder bestand Fluchtnoch Verdunkelungsgefahr. Für die Polizei und die Staatsanwaltschaft war klar, der ganze Vorfall basierte auf einem emotional bedingten Ausraster. Noch nie hatte Reto Halder zuvor mit der Polizei zu tun gehabt. Er war ein äusserst korrekter und anständiger Bürger. Heute Vormittag waren ihm sichtlich die Sicherungen durchgebrannt. So wurde Reto Halder bis zu seinem Gerichtstermin, anlässlich dessen er sich wegen Körperverletzung wird verantworten müssen, auf freien Fuss gesetzt.

*

Für einmal ging ein eher ruhiger Tag langsam zu Ende. Einzig unser neuer Chef bereitete mir ein wenig Kopfzerbrechen. Ich weiss, jeder Chef versucht von Anfang an Zeichen zu setzen. Wenn sich dieser aber weniger gut in der Materie auskennt als alle seine Mitarbeiter, dann ist das das Eine. Wenn er aber dazu nicht stehen kann und seine fachliche Unkenntnis vertuschen will indem er die Untergebenen schikaniert, dann habe ich damit ein Problem. Anstatt einfach zu sagen, ich möchte mit Euch zusammen ein starkes Team sein. Ich weiss, dass ihr alle Euren Job aus dem FF kennt und ich ein Anfänger in dieser Materie bin. Zwar habe ich Jura studiert und kann Euch möglicherweise da und dort im juristischen Alltag Tipps geben. Was die Arbeit an sich betrifft, da weiss ich, dass Ihr mir überlegen seid. Arbeiten wir einfach alle Hand in Hand, dann kommt es gut. So oder ähnlich stellte ich mir die Antrittsrede vor. Mit dem Eingeständnis, weniger zu wissen als seine Untergebenen wäre er nicht verachtet worden, sondern in der Achtung gestiegen. So machte er sich von Anfang an unbeliebt. Dass wir so einen eingebildeten und überheblichen Chef bekommen würden, hatte sich in unserer Gruppe wohl niemand gewünscht. Ich konnte nur hoffen, dass er sich mit der Zeit ändern würde, sonst müsste ich wohl die Stelle wechseln, auch wenn ich meinen Job wirklich gerne mache und ihn als einen der spannendsten Jobs überhaupt beurteile. So brütete ich über die neue Situation nach, als mich mein Telefon in die Wirklichkeit zurückholte.

„Hallo Schatz“ tönte es aus der Muschel und das war Balsam für meine Seele.

„Hallo Karin“ entgegnete ich. „Schön, dass Du mich anrufst. Gerade kamen ein wenig dunkle Gedanken in meinem Kopf auf und Du bringst es einmal mehr fertig, mich unweigerlich in die schöne Realität zurück zu holen.“