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Wem kannst du noch trauen, wenn deine Liebsten dich belügen?
Eva führt mit ihrem Mann Daniel und dem gemeinsamen kleinen Sohn das perfekte Leben am Stadtrand. Oft hilft Sofia, die Tochter von Evas bester Freundin Susanne, als Babysitterin aus. Eines Nachts bringt Daniel die Fünfzehnjährige nach Hause, doch am nächsten Morgen ist sie spurlos verschwunden. Eine fieberhafte Suche beginnt. Als Sofias blutbefleckter Pullover gefunden wird, bricht Evas heile Welt zusammen. Ihr Mann beteuert seine Unschuld – doch kann sie seinen Worten Glauben schenken?
Atemberaubend spannend und großartig erzählt – die dunklen Abgründe hinter der Fassade einer glücklichen Familie.
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Seitenzahl: 486
Veröffentlichungsjahr: 2025
»Als Oberkommissar Kaczmarek uns von dem Blut und den Einstichen erzählt, ist es mit meiner Ruhe vorbei. Ich möchte mein Entsetzen hinausbrüllen, bis das Haus, in das Daniel und ich unsere Träume investiert haben, über uns zusammenstürzt.«
Evas kleine Familie scheint perfekt. Daniel ist ein wunderbarer Ehemann, ihr fünfjähriger Sohn Linus macht sie überglücklich. Bis eine Nacht alles verändert: Sofia, die fünfzehnjährige Tochter von Evas bester Freundin Susanne, passt auf den Kleinen auf. Danach bringt Daniel das Mädchen mit dem Auto nach Hause, doch am nächsten Morgen stellt sich heraus: Sofia ist dort nie angekommen. Nur ihr Fahrrad und ein blutiges Kleidungsstück werden gefunden. Susanne und Eva sind außer sich vor Sorge. Dann gerät Daniel unter Verdacht, und Eva muss sich fragen, wem sie vertrauen soll: ihrer besten Freundin oder ihrem Mann? Denn offensichtlich verschweigen ihr beide so einiges.
Petra Johann, Jahrgang 1971, ist promovierte Mathematikerin. Sie arbeitete mehrere Jahre in der Forschung und in der Softwarebranche, bevor sie mit dem Schreiben begann. Sie ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und lebt mittlerweile in Niedersachsen.
Bei Rütten & Loening und im Aufbau Taschenbuch sind ihre Spannungsromane »Die Frau vom Strand«, »Der Buchhändler«, »Die Schwester« sowie »Der Steg« lieferbar.
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Petra Johann
Wem du traust
Kriminalroman
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
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Prolog
Teil I
Kapitel 1 — Eva
Kapitel 2 — Eva
Teil II
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3 — Eva
Kapitel 4 — Eva
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12 — Eva
Kapitel 13
Kapitel 14 — Eva
Kapitel 15
Kapitel 16 — Eva
Kapitel 17
Teil III
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9 — Eva
Kapitel 10
Kapitel 11 — Eva
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14 — Eva
Kapitel 15
Kapitel 16 — Eva
Kapitel 17 — Eva
Kapitel 18
Kapitel 19 — Eva
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22 — Eva
Kapitel 23
Kapitel 24 — Eva
Kapitel 25
Kapitel 26 — Eva
Kapitel 27
Kapitel 28 — Eva
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32 — Eva
Kapitel 33
Kapitel 34 — Eva
Kapitel 35
Teil IV
Kapitel 1 — Eva
Kapitel 2
Kapitel 3 — Eva
Kapitel 4
Kapitel 5 — Eva
Kapitel 6
Kapitel 7 — Eva
Kapitel 8
Kapitel 9 — Eva
Kapitel 10
Kapitel 11 — Eva
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Epilog — Eva
Impressum
Sie lag so still, wie es ihr irgend möglich war, in der Dunkelheit auf dem schmalen Bett, während die Schmerzen in ihr anschwollen, als würde Luft in einen Ballon geblasen. Immer mehr Schmerzen wurden in sie hineingepumpt, an all die Stellen, an denen er sie gepackt, getreten, geschlagen hatte. Doch sie schrie nicht. Sie weinte nicht. Sie gab keinen Laut von sich, denn er war immer noch da draußen, nur wenige Meter von ihr entfernt, und schlimmer als ihre Schmerzen war ihre Angst. Angst, dass er sie hörte, dass er aus seiner Starre erwachte, dass er sich an sie erinnerte. In diesem Moment wünschte sie nichts sehnlicher, als dass er sich nie mehr an sie erinnerte, dass niemand sich jemals wieder an sie erinnerte, dass die Welt sie einfach aus ihrem Gedächtnis löschte, so dass sie sich auflösen konnte in ein schmerzfreies, angstfreies Nichts.
Eva
Ich bin ein ruhiger Mensch, schon immer gewesen. Es ist das, was meine Familie, meine Freunde und auch meine Kundinnen und Kunden bei Die Brille am häufigsten über mich sagen. »Sie hat so eine ruhige, angenehme Art. Supergeduldig. Kann auch toll mit Kindern.« Sofia meint immer, bei mir sei ihr »Lieblingsruheplatz«, Susanne nennt mich ihren Fels in der Brandung, für Daniel bin ich sein Fixstern.
Doch als Kriminaloberkommissar Kaczmarek uns von dem Blut und den Einstichen erzählt und den richterlichen Beschluss vorzeigt, ist es mit meiner Ruhe vorbei. Ich möchte laut schreien, so laut wie noch nie, ich möchte schreien, dass die Wände wackeln. Ich möchte mein Entsetzen und meinen Frust hinausbrüllen, bis das Haus, in das Daniel und ich unsere Träume investiert haben, über uns zusammenstürzt. Ich möchte alles darunter begraben, die Angst der letzten Tage, die Ungewissheit, das verdammte Hoodie, den ganzen verdammten Alptraum.
Ziemlich genau zwölf Stunden bevor der Alptraum beginnt, werde ich zum Beat irgendeines grauenvollen Ballermann-Disco-Knallers über eine Tanzfläche gewirbelt, dass ich mich fühle wie eine Marionette in den Händen eines betrunkenen Puppenspielers. Ich drehe mich um mich selbst, bis mir Hören und Sehen vergeht. Das Einzige, was ich in aller Deutlichkeit wahrnehme, ist Ilkays linke Hand, die meine rechte fest gepackt hat und mich eine Pirouette nach der anderen ausführen lässt, bevor Ilkay mich wieder zu sich zieht und meinen Körper mit schnellen Schritten in eine neue Richtung bugsiert. Während meine Füße noch mühsam zu folgen versuchen, packt Ilkay mich plötzlich mit starken Armen, hebt mich hoch und wirbelt mich durch die Luft. Erschreckt kreische ich auf, doch das geht im Lärm der Musik genauso unter wie mein Flehen, Ilkay möge mich sofort wieder absetzen. Das tut er erst, als der Song endet. Ganz der verantwortungsbewusste Kavalier, der er außerhalb der Tanzfläche ist, geleitet er mich zurück an meinen Tisch, bevor er sich unter den weiblichen Gästen seiner Geburtstagsfeier ein neues Opfer sucht.
Außer Atem streiche ich meinen Rock glatt, lasse mich auf den nächsten Stuhl sinken und greife zu meinem Weinglas, das jedoch leer ist.
»Durst?«, fragt Daniel auf der anderen Tischseite aufmerksam. Als ich nicke, reicht er mir sein halb volles Glas Apfelschorle, das ich in zwei Zügen leere.
»Soll ich Nachschub besorgen?«
»Ja bitte!« Ich habe kaum Puste für eine Antwort. »Und könntest du ein Sauerstoffzelt mitbringen?«
»Ich werde sehen, was ich tun kann.« Daniel lächelt mich an, bevor er zur Bar geht.
»Ich wusste gar nicht, dass Ilkay mittlerweile auch Hebefiguren draufhat«, kommentiert Susanne, meine beste Freundin, die mit ihrem neuen Lebensgefährten Axel ebenfalls am Tisch sitzt. Wie immer sieht sie umwerfend aus, auch wenn ihr schwarzer Jumpsuit weniger sexy ist als die Minikleider, die sie sonst mit Vorliebe trägt, um ihre unendlich langen Beine herzuzeigen, um die ich sie als Teenager heiß beneidet habe.
»Ich auch nicht«, stöhne ich, »aber ich hätte es mir denken können. Er steigert sich von Jahr zu Jahr. Vielleicht sollten wir seinen nächsten Geburtstag schwänzen, bevor er die Todesspirale zum Einsatz bringt.«
Doch das meine ich nicht ernst. Ilkay ist Daniels bester Freund, über ihn haben wir uns kennengelernt, er war Trauzeuge bei unserer Hochzeit und ist Onkel ehrenhalber unseres fünfjährigen Sohnes. An dreihundertvierundsechzig Tagen im Jahr ist Ilkay Demiray ein seriöser Rechtsanwalt für Strafrecht, nur an seinem Geburtstag lässt er die Sau raus wie kein Zweiter.
»Sieht so aus, als wäre er ohnehin schon kurz davor«, bemerkt Axel, als Ilkays derzeitige Tanzpartnerin auf ihren Highheels ins Rutschen kommt. Wir halten unwillkürlich den Atem an, doch bevor die große Blonde zu Boden geht, rettet Ilkay sie und macht aus dem Beinahesturz eine komplizierte Tanzfigur. »Vielleicht sollte er doch lieber bei Partnerinnen in seiner Größe bleiben«, fährt Axel fort. »Allerdings müsste er dann den ganzen Abend mit dir tanzen.«
Axel lächelt mich an, doch ich lächle nicht zurück. Ich habe mich zwar längst damit abgefunden, dass ich auch mit hohen Absätzen nur ein Meter fünfundsechzig erreiche, doch ich schätze Bemerkungen über meine fehlende Größe nicht.
»Tja, dummerweise steht Ilkay auf große Frauen, und seine Freundin wäre wohl nicht begeistert, wenn er nur mit mir tanzt.«
»Ilkay hat schon wieder eine Neue?«, fragt Susanne interessiert.
»Sie ist Staatsanwältin. Die Rothaarige dort.«
Susanne und Axel verdrehen die Köpfe.
»Die Hübsche in dem blauen Kleid?«, fragt Axel. »Bei der konnte Ilkay landen?« Er klingt so verblüfft, dass es mich irritiert.
»Warum hätte er keinen Erfolg bei ihr haben sollen? Immerhin …«
In dem Moment trifft mich unterm Tisch ein Tritt, und Susanne wirft mir einen warnenden Blick zu, bevor sie laut sagt: »Ich bin sicher, die beiden sind ein tolles Paar. Wo bleibt eigentlich Daniel? An der Bar ist es ziemlich voll. Schatz, könntest du mir wohl noch ein Glas Roten holen?«
Susanne wirft Axel einen betörenden Blick zu, der prompt aufsteht. Er gibt Susanne einen leidenschaftlichen Kuss, bei dem ich peinlich berührt zur Seite blicke, dann geht er zur Bar.
»Was sollte das?«, frage ich, als er weg ist.
Susanne schneidet eine Grimasse. »Sorry, aber du sahst aus, als wolltest du erwähnen, dass ich auch mal mit Ilkay zusammen war. Mir wäre es lieber, wenn Axel das nicht erfährt.«
»Du hast es ihm nicht erzählt? Warum nicht?«
Susanne hebt ihre schmalen Schultern und lässt sie wieder fallen. »Erzählst du Daniel alles?«
»Zumindest kennt er die Namen meiner Exfreunde.«
»Das waren auch nur zwei. Wenn ich Axel von jedem kleinen Techtelmechtel erzählen würde …«
»Du musst ihm ja nicht aktiv davon erzählen, aber dass ich es nicht mal erwähnen darf … Komm schon, was steckt dahinter?«
»Nichts.«
Susanne sieht mir direkt in die Augen, wie immer, wenn sie flunkert, und wie immer reagiere ich mit dem Blick, den Susanne und Sofia meinen »strengen Nonnenblick« nennen. Schließlich gibt Susanne nach.
»Axel ist eifersüchtig«, sagt sie mit gesenkter Stimme.
Ich pruste los. »Ja, klar. Axel, der Stararchitekt, der per Du mit dem Oberbürgermeister und jedem ist, der in der Stadt etwas zu sagen hat. Der aussieht wie Daniel Craig an einem guten Tag und vom Lokalblatt mal zum begehrtesten Junggesellen Ü50 gewählt wurde.«
»Genau das ist das Problem. Axel macht sich Gedanken wegen des Altersunterschieds zwischen uns.« Susanne scheint es tatsächlich ernst zu meinen.
»Darauf wäre ich nicht gekommen. Er wirkt immer so …«
»Selbstbewusst?«
Ich hatte arrogant gedacht, doch ich nicke.
»Das ist er auch. Nur in Bezug auf sein Alter hat er diesen Tick. Wieso lachst du? Lach ihn bloß nicht aus deswegen. Wenn er das mitbekommt …«
Susanne klingt so alarmiert, dass ich abwehrend die Hände hebe. »Keine Sorge, das tue ich nicht. Ich lache, weil ich mich freue, dass du zur Abwechslung mal etwas Negatives über ihn erzählst. Ich fand es langsam verdächtig, wie du ihn ständig über den grünen Klee lobst. Schieß los, was hat er noch für Macken?«
»Keine.«
»Ach, komm schon. Ihr wohnt jetzt fast ein halbes Jahr zusammen. Dir muss doch etwas aufgefallen sein.«
Susanne schüttelt den Kopf. »Nein, alles ist gut. Das einzig Doofe ist, dass die Wohnung so klein ist.«
»Ihr habt ein Zweihundert-Quadratmeter-Penthouse.«
»Aber Sofias Zimmer ist keine zweihundert Meter von unserem Schlafzimmer entfernt – wenn du verstehst, was ich damit sagen will.« Susanne sieht mich bedeutungsvoll an. »Deswegen freut Axel sich übrigens sehr, dass sie heute bei euch übernachtet.«
»Tut sie das? Das wusste ich gar nicht.«
»Sie sagte, sie wolle mal wieder Waffeln zum Frühstück. Außerdem …«
Doch was außerdem ist, erfahre ich nicht, denn in dem Augenblick wechselt der DJ zum nächsten Ballermannkracher, und wie aus dem Nichts steht Ilkay neben unserem Tisch. Susanne lehnt sich abwehrend auf ihrem Stuhl zurück, doch sie hat keine Chance.
Während Ilkay und Susanne sich auf der Tanzfläche verausgaben – wobei Susanne eine bessere Figur macht als ich –, kommen Daniel und Axel zurück. Ich trinke meinen Weißwein, dann entdecke ich zwei Tische weiter einige Bekannte und unterhalte mich mit ihnen, bis der DJ anfängt, ältere Platten unter die Ballermannhits zu mischen. Als er den Song auflegt, zu dem Susanne und ich vor fast achtzehn Jahren auf unserer Abifeier getanzt haben, werde ich erneut auf die Tanzfläche geholt, dieses Mal von Susanne. Wir tanzen ausgelassen, und ich merke, wie die Anspannung, die ich unbewusst mit auf die Party gebracht habe, nachlässt. Ich fühle mich gelöster als in den letzten Wochen, die ziemlich anstrengend waren.
Ich schaue zu Daniel hinüber, der mit einigen Freunden zusammensitzt, die mit Ilkay und ihm zur Schule gegangen sind. Als er meinen Blick bemerkt, winkt er mir zu. Auch er wirkt heute Abend entspannt, was allerdings nicht bedeutet, dass er auf die Tanzfläche kommt. Erst als irgendwann nach Mitternacht der DJ das Tempo drosselt und schließlich »Perfect« von Ed Sheeran auflegt, steht Daniel plötzlich neben mir, fasst meine Hand, legt seine linke in meinen Rücken und führt mich sanft und sicher über die Tanzfläche.
»Perfect« war unser Hochzeitssong und die Choreografie, die wir jetzt wiederholen, Daniels Geschenk an mich. Obwohl er ein fürchterlicher Tanzmuffel ist, hat er extra eine Tanzlehrerin engagiert, die erst mit ihm, dann mit uns beiden die Choreografie einstudiert hat. Und er hat so lange trainiert, bis er die Schritte so vollkommen beherrschte, dass ich an unserem Hochzeitstag nichts weiter tun musste, als mich führen zu lassen und den Moment zu genießen. Das tue ich jetzt wieder, bis der letzte Takt verklungen ist. Dann bleiben wir mitten auf der Tanzfläche stehen und sehen uns tief in die Augen. Daniels sind braun, er hat so einen treuen Dackelblick, den ich unendlich liebenswert finde.
»Immer wieder kitschig«, sagt er lächelnd.
»Immer wieder schön«, entgegne ich. »Ich würde den Song sofort wieder auswählen.«
»Und ich würde dich sofort wieder auswählen.«
»Dito.«
Wir küssen uns. Dann räuspert Daniel sich. »Sollen wir nach Hause fahren?«
Ich frage mich, ob er denselben Gedanken hat wie ich. Ich hoffe es, denn es ist schon eine ganze Weile her, dass wir miteinander geschlafen haben.
»Wir müssen uns erst von Ilkay verabschieden, und ich sage Susanne Bescheid, dass wir gehen.«
»Sie und Axel sind schon weg. Sie schienen es eilig zu haben.«
Während Daniel seinen VW Golf durch die regennasse Januarnacht steuert, lege ich meinen Kopf an seine Schulter. Das Brummen des Motors wiegt mich in eine friedliche, schläfrige Stimmung.
»Axel hat uns übrigens zum Essen eingeladen«, sagt Daniel nach einer Weile. »Er schlägt den ersten oder dritten Samstag im Februar vor.«
Die Information reißt mich aus meiner friedlichen Stimmung. »Was hast du geantwortet?«
»Dass ich dich fragen werde.« Daniel deutet mein Schweigen richtig und fügt hinzu: »Was hätte ich sonst sagen sollen? Ich konnte schlecht erwidern, dass du dich nach der letzten Einladung zwei Stunden nonstop über ihn beschwert hast.«
Ich hebe meinen Kopf und knuffe spielerisch Daniels Schulter. »Es waren höchstens zwanzig Minuten – und es war völlig berechtigt. Axel hat den ganzen Abend lang mit seinen Kochkünsten geprotzt.« Ich zitiere mit Gusto. »›Diesen Trick habe ich von einem Sternekoch, der normalerweise keiner Menschenseele seine Geheimnisse verrät. Er hat mir auch den Kontakt zu dem Trüffelhändler vermittelt, der die beste Qualität in Deutschland verkauft. Und die getrockneten Tomaten sind von einem Biohof in der Toskana, den ich vor zwei Jahren bei einem Urlaub entdeckt habe. Sie kosten dreimal so viel wie die aus dem Feinkostgeschäft, aber sie sind es wert.‹«
Daniel lacht. »Du musst zugeben: Sie waren es wert. Es hat köstlich geschmeckt.«
»Es hätte noch besser geschmeckt, wenn Axel nicht für jede Zutat einen Herkunftsnachweis geliefert hätte. Ich frage mich, wie Susanne und Sofia das ertragen, wenn er das täglich macht.«
»Omnia vincit amor.«
Ich runzele die Stirn. »Susannes Liebe mag Axel alles verzeihen, aber Sofia liebt ihn nicht, sie akzeptiert ihn bloß.«
»Das ist doch ein Fortschritt.«
»Stimmt«, gebe ich zu. Dann lege ich wieder meinen Kopf an Daniels Schulter, bis wir das Neubaugebiet am Stadtrand erreichen, wo wir vor einigen Jahren eine Doppelhaushälfte ergattert haben. Während Daniel den Wagen im Carport parkt, schließe ich die Haustür auf. Drinnen ist alles still, doch durch die angelehnte Wohnzimmertür fällt ein bläulicher Lichtstreifen. Sofia ist also noch nicht hoch ins Gästezimmer gegangen, sonst hätte sie das Licht gelöscht. Susannes Tochter ist zwar erst fünfzehn, aber für einen Teenager ungeheuer gewissenhaft. In vielerlei Hinsicht ist sie ihren Altersgenossinnen voraus, intellektuell auf jeden Fall, während das in sozialer und emotionaler Hinsicht allerdings ein bisschen anders aussieht.
Ich hänge meinen Dufflecoat in die Garderobe und öffne die Wohnzimmertür. Sofia liegt bäuchlings auf dem Sofa und tippt im Schein ihres Bildschirms auf ihrem Laptop herum. Als ich das Deckenlicht einschalte, klappt sie ihn zu und springt auf.
»Das hat ja eine Ewigkeit gedauert«, sagt sie vorwurfsvoll, während sie ihre Arme um mich schlingt.
Ich drücke sie fest. Ich liebe Sofia fast so sehr wie Linus. Während der ersten acht Jahre von Sofias Leben haben Susanne und ich zusammengewohnt. Wir haben sie gemeinsam großgezogen, Sofia betrachtet mich als eine Art Zweitmutter, und ich betrachte sie als Linus’ große Schwester.
»Das soll schon mal vorkommen, wenn man auf eine Party geht.«
»Es ist schon drei Minuten vor halb zwei. Ich bin müde.«
Ich werfe unwillkürlich einen Blick auf die Standuhr aus Kastanienholz, die Daniel von seinen früh verstorbenen Eltern geerbt hat und mit der ich hadere, weil sie überhaupt nicht mit unserer ansonsten modernen Einrichtung harmoniert. Doch der Blick ist unnötig. Wenn Sofia sagt, es ist drei Minuten vor halb zwei, kann man danach die Atomuhr stellen. »Du hättest schon ins Bett gehen können, Liebes.«
»Hä?« Sofia zieht schniefend ihre Nase hoch. Dann nimmt sie ihren Kopf zurück. »Hast du etwa Alkohol getrunken?« Sie hat nicht nur einen Sinn für Genauigkeit, sondern auch eine feine Nase.
»Ja.«
»Das ist ungesund.«
»Nur in zu großen Mengen.«
»Für Frauen ist schon ein halbes Glas Wein täglich schädlich. Das haben wir in Bio gelernt.«
In dem Moment kommt Daniel herein. »Hallo, Sofia, noch auf?«
Mir entgeht nicht, dass Sofia zusammenzuckt. Sie nickt bloß.
»War hier alles in Ordnung?«
Sofia nickt wieder.
»Hat Linus durchgeschlafen?«, frage ich.
Sofia schüttelt den Kopf. »Er ist aufgewacht und hat ein bisschen geknöttert, aber nur kurz, dann habe ich ihm Asterix et Obelix vorgelesen. Er ist nach sieben Minuten eingeschlafen.«
»Und was hast du gemacht?«
Sofia deutet mit dem Daumen auf ihren Laptop. »Und ich habe Chips gegessen. Aber der Geschmack war komisch. Anders.«
»Vielleicht haben sie die Rezeptur geändert«, beschwichtige ich. »Also, Sofia, du bist müde, und wir sind es auch. Möchtest du zuerst ins Bad? Dann überziehe ich in der Zwischenzeit das Bett im Gästezimmer. Ich wusste nicht, dass du hier übernachtest, aber wir freuen uns darüber.«
Sofia zieht erneut ihre Nase hoch. »Ich schlafe nicht hier. Wie kommst du darauf?«
»Susanne hat es erzählt. Sie hat gesagt, dass du Waffeln zum Frühstück möchtest.«
»Nicht morgen. Ich muss nach Hause.«
»Aber Susanne sagte …« Ich breche irritiert ab. »Du kannst wirklich gern hier schlafen, Sofia. Ich fände es schön, mal wieder zusammen zu frühstücken.«
»Ich habe nichts dabei.«
»Ich kann dir ein Nachthemd von mir geben.«
»Darauf bin ich nicht vorbereitet.«
Damit ist die Sache entschieden. Sofia hängt an ihren Routinen, für spontane Einfälle lässt sie sich nicht begeistern. Ich werfe einen Blick zu meinem Mann, der mit den Achseln zuckt. »Okay, Sofia, dann bringt Daniel dich nach Hause. Ich kann nicht fahren, wie gesagt, ich habe Wein getrunken.«
Fünf Minuten später hat Sofia ihren Laptop in ihrem Rucksack verstaut und drückt mich noch einmal, bevor sie Daniel zur Tür hinaus folgt. Ich greife zum Handy, um Susanne anzurufen, überlege es mir jedoch anders. Entweder schläft sie schon, oder sie ist gerade mit Axel zugange, und ich möchte bei beidem nicht stören. Also schicke ich ihr eine WhatsApp, dann gehe ich nach oben, um nach Linus zu sehen.
Eva
Der nächste Morgen beginnt perfekt, denn ich wache in den Armen meines Mannes auf und habe meine Arme um meinen Sohn geschlungen. Ich habe nicht mitbekommen, wie Daniel in der Nacht nach Hause zurückgekehrt ist. Eigentlich hatte ich wach bleiben wollen, doch ich war zu müde. Genauso wenig habe ich mitbekommen, wie Linus zu uns ins Bett gekrabbelt ist. Bei den meisten Fünfjährigen könnte man das wohl kaum verpassen, doch Linus ist in vieler Hinsicht wie sein Vater. Er bewegt sich leise und behutsam durch diese Welt, als wäre ihm klar, wie kostbar und zerbrechlich sie ist. Ich finde das wunderbar, dennoch habe ich mir deswegen eine Zeit lang Sorgen gemacht, ob mein kleiner Junge vielleicht zu zart oder zumindest zu zartbesaitet ist. Aber dann erhielt ich einen Anruf von einer Erzieherin im Kindergarten, weil Linus einen Spielkameraden verdroschen hatte, nachdem dieser absichtlich seinen liebevoll konstruierten Bauklotzturm zerstört hatte. Natürlich habe ich Linus erklärt, dass er andere Kinder nicht hauen darf, doch insgeheim war ich auch ein bisschen stolz auf ihn.
Nachdem wir im Bett ausgiebig gekuschelt haben, gehe ich duschen, während Daniel und Linus Frühstück machen. Als ich nach unten komme, ist es schon halb zehn, und es riecht nach Kaffee und frisch Gebackenem. Linus steht auf seinem Hocker vor der Arbeitsplatte in unserer offenen Küche und malt mit Grütze Smileys auf Waffeln. Daniel stellt zwei Tassen Milchkaffee auf den Tisch, meinen ziert ein perfektes Kakaoherz, seinen ein Kakaostern.
»Setz dich schon mal, wir bringen alles.«
Ich komme der Bitte gern nach. Dass Daniel und Linus das Sonntagsfrühstück zubereiten, ist eines unserer Familienrituale.
Als ich Platz nehme, klingelt mein Smartphone. Es juckt mich in den Fingern, danach zu greifen, doch ich verkneife es mir. »Kein Handy am Esstisch« ist eine unserer Familienregeln. Zwar ist Linus noch Jahre von einem eigenen Handy entfernt, aber die Regel gilt auch für Daniel und mich. Ich finde Eltern unmöglich, die mehr Augen für ihre Displays haben als für ihren Nachwuchs.
»Guck mal, Mama, ich habe Smiley-Waffeln gemacht.«
Stolz platziert Linus sein Werk vor mir auf dem Esstisch, während Daniel die übrigen Teller bringt. Doch kaum sitzen die beiden, klingelt das Telefon im Flur. Daniel und ich sehen uns an. Wir haben den Festnetzanschluss hauptsächlich für die Internetverbindung beantragt. Fast die Einzigen, die uns darauf anrufen, sind meine Eltern, und die gehen sonntagvormittags noch immer in die Kirche.
»Vielleicht hat sich jemand verwählt«, meint Daniel.
»Ich mach’s kurz.«
Ich gehe in den Flur und nehme das Telefon von der Ladestation. Es ist Susanne, und sie klingt gereizt.
»Verdammt, Eva, wieso gehst du nicht ans Handy?«
»Auch dir einen schönen guten Morgen, liebste Freundin. Und da du so charmant nachfragst: Weil wir gerade frühstücken. Was gibt’s denn?«
Susanne atmet hörbar aus. »Ihr seid noch beim Frühstück? Sehr gut, dann ist Sofia noch nicht losgefahren, und es erklärt, warum sie auch nicht an ihr Handy geht. Kannst du ihr bitte sagen, dass sie bei euch auf mich warten soll? Ich komme gleich. Hast du Zeit? Ich muss dir etwas sagen.«
»Klar, wir haben keine Pläne. Aber wie meinst du das, dass Sofia hier warten soll? Daniel hat sie längst nach Hause gebracht. Ich habe dir eine WhatsApp geschickt.«
»Ich hatte noch keine Zeit, meine Nachrichten zu lesen. Aber was soll das heißen: Daniel hat Sofia nach Hause gebracht? Wann denn? Du meinst, die beiden sind gerade unterwegs?«
»Nein, heute Nacht schon, sie sind kurz nach halb zwei los. Sofia wollte doch nicht bei uns schlafen.« Als mir klar wird, was das bedeutet, wird mein Mund trocken, und meine Hand klammert sich um das Telefon. »Heißt das, Sofia ist nicht nach Hause gekommen? Das ist doch ausgeschlossen. Sie muss da sein.«
»Aber das ist sie nicht.« Susannes Stimme geht hoch. »Sie ist nicht da!«
»Bist du sicher? Hast du überall nachgesehen?«
»Nein, aber ich war die ganze Nacht wach. Ich habe nicht gehört, dass sie gekommen ist.«
Meine Hand lockert ihren Griff ums Telefon, und ich kriege wieder Luft. »Du wirst es überhört haben.«
»Bestimmt nicht!«, sagt Susanne entschieden.
»Natürlich hast du es überhört, altes Haus. Sofia muss da sein. Hast du schon in ihr Zimmer geguckt? Nein? Worauf wartest du? Wahrscheinlich schläft sie noch, es ist immerhin spät geworden gestern.«
Susanne zögert. »Ja, du hast recht«, sagt sie dann. »Ich sehe mal nach.«
»Ich bleibe dran.«
»Nicht nötig. Ich muss erst wieder hoch, ich sitze in meinem Wagen. Ich melde mich wieder.«
Susanne drückt das Gespräch weg. Nachdenklich, mit dem Telefon in der Hand, kehre ich ins Wohnzimmer zurück.
»Alles in Ordnung?«, fragt Daniel.
»Ich denke schon. Kannst du dich erinnern, wann genau du Sofia zu Hause abgesetzt hast?«
Daniel überlegt. »Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber es muss gegen zwei gewesen sein.«
»Und wo hast du sie abgesetzt?«
»Auf dem Parkplatz, der zur Wohnanlage gehört. Wieso fragst du?«
»Susanne hat nicht mitgekriegt, wie Sofia nach Hause gekommen ist, und macht sich Sorgen. Dabei schläft Sofia bestimmt noch.« Ich lächle Linus an, der mich fast genauso aufmerksam beobachtet wie Daniel. »Sollen wir mal deine Waffeln probieren, Spätzchen?«
Während Daniel und Linus ihre Waffeln in Angriff nehmen, nippe ich nur an meinem Milchkaffee und versuche dabei, in Gedanken auszurechnen, wie lange Susanne benötigt, um von der Tiefgarage ihrer Wohnanlage ins Penthouse in der fünften Etage zu gelangen und von der Wohnungstür bis zu Sofias Zimmer zu gehen. Vier Minuten? Fünf Minuten? Sechs Minuten? Sicherlich doch weniger als die acht Minuten, die mittlerweile vergangen sind?
Nach dreizehn Minuten klingelt endlich das Telefon.
»Ja? Ist sie da?«
Susannes Stimme klingt verzerrt. »Nein, Eva, das ist sie nicht. Sofia ist verschwunden.«
Ich bemühe mich, gleichmäßig ruhig zu atmen, während ich durch die januartristen, grauen Straßen quer durch die Stadt brause. Susannes Stimme schrillt in meinem Kopf, doch ich sage mir, dass meine beste Freundin bestimmt unrecht hat. Sofia ist nicht verschwunden, wir wissen nur gerade nicht, wo sie ist. Wie damals, als sie zwei Stunden zu früh in die Schule geradelt ist, um in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Flyer zu verteilen. Oder damals, als sie sich stundenlang im Keller versteckt hielt, weil sie sich verraten fühlte, nachdem ich angekündigt hatte, mit Daniel zusammenzuziehen.
Dennoch habe ich ein flaues Gefühl im Magen, als ich schließlich meinen Renault Zoe in der Willy-Brandt-Allee abstelle und durch den Nieselregen auf die neue fünfgeschossige Wohnanlage zugehe, in der Susanne und Sofia seit einem halben Jahr leben. Susanne steht vor der Haustür im Schutz des Überdachs und wischt auf ihrem Smartphone herum. Über ihrer dünnen Bluse trägt sie nur eine Strickjacke.
Als ich sie in die Arme schließe, spüre ich, wie sie zittert. »Und?«
Susannes Augen sind weit aufgerissen. »Nichts. Wir haben alles abgesucht, aber Sofia ist nicht hier. Nicht im Keller, nicht in der Tiefgarage. Und ihr Fahrrad ist weg, Eva! Ihr Fahrrad ist weg!«
Susannes Stimme droht zu kippen, und ich lege beruhigend eine Hand auf ihren Arm. »Das ist doch ein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass Sofia auf eigene Faust losgezogen ist. Vermutlich hat sie mal wieder irgendeinen Plan ausgeheckt und vergessen, Bescheid zu sagen.«
»Aber doch nicht nachts um zwei! Und wieso geht sie nicht an ihr Handy? Ich habe sie schon fünfmal angerufen.«
Ich mustere Susanne. »Bist du wirklich sicher, dass Sofia heute Nacht nicht nach Hause gekommen ist? Vielleicht ist sie ganz leise ins Bett gegangen und heute Morgen ganz früh aufgestanden.«
»Ausgeschlossen! Ich hätte sie gehört. Ich war wach.«
»Aber warst du auch aufmerksam? Du hast mir doch gestern erzählt, dass Axel für die Nacht gewisse Pläne hätte. Vielleicht warst du abgelenkt?«
»Bestimmt nicht. Um zwei Uhr hat Axel längst geschlafen.«
»Und du warst wach? Die ganze Nacht?«
»Ja, verdammt noch mal!«, platzt es aus Susanne heraus. »Ich war die ganze Nacht wach. Ich hatte Kopfschmerzen, wenn du es genau wissen willst. Reicht das jetzt? Was soll das Verhör?«
»Hey, ich versuche nur, mir ein Bild zu machen.«
Susanne lenkt ein. »Natürlich, entschuldige bitte. Aber ich schwöre dir, dass Sofia nicht nach Hause gekommen ist.«
»Okay, ich glaube dir«, sage ich, während mir gleichzeitig durch den Kopf schießt, dass das alles andere als okay ist. Wenn Sofia tatsächlich schon heute Nacht losgezogen ist, was treibt sie dann so lang? Und wieso ignoriert sie Susannes Anrufe? Einer spontanen Eingebung folgend zücke ich mein Smartphone und wähle Sofias Nummer, doch ich lande ebenfalls nur auf der Mailbox.
»Das bedeutet dennoch nicht, dass Sofia etwas zugestoßen ist«, sage ich laut, um uns beide zu beruhigen. »Lass uns einfach versuchen, sie zu finden. Hast du irgendeine Idee, was sie gestern Nacht noch vorgehabt haben könnte?«
Susanne holt tief Luft. »Nein. Es ist mir ein absolutes Rätsel. Sofia zieht ja ständig allein los, aber doch nicht mitten in der Nacht!«
»Und was hast du schon unternommen?«
»Ich habe die Wohnung und das ganze Haus abgesucht. Axel ist gerade im Park.« Susanne nickt in Richtung des schmiedeeisernen Tores auf der anderen Straßenseite, hinter dem sich der Stadtpark erstreckt. Seine Nähe ist der Grund, warum die Wohnungen in der Umgebung so teuer sind. »Außerdem habe ich Sofias Freundinnen angerufen. Na ja, du weißt schon …«
»Was heißt das konkret?«
»Ich habe unsere alten Nachbarn angerufen und Amelie aus Sofias alter Klasse, aber die sagen alle, sie hätten Sofia seit Wochen nicht gesehen. Zu Amelie hatte sie seit dem Umzug überhaupt keinen Kontakt. Nebenan wohnt ein Mädchen aus Sofias neuer Klasse, mit dem sie manchmal zur Schule radelt. Sie weiß auch nicht, wo Sofia stecken könnte, hat aber versprochen, in der Klassen-WhatsApp-Gruppe nachzufragen. Und gerade als du kamst, habe ich ihren neuen Klassenlehrer angerufen. Sofia macht doch seit einigen Monaten bei der Schulzeitung mit. Im Zusammenhang damit hat sie ein paarmal eine ältere Schülerin erwähnt, die sie ziemlich cool findet. Mir fällt bloß gerade der Name nicht ein.«
»Nele«, werfe ich ein. »Sie ist die Chefredakteurin.«
»Genau. Ich habe gehofft, Sofias Klassenlehrer könnte mir ihre Kontaktdaten geben, aber ich bin auf der Mailbox gelandet.«
»Wir bekommen die Kontaktdaten bestimmt auch anders. Vielleicht …«
Ich breche ab, als Axel über die Straße auf uns zukommt. Er trägt einen teuren Kaschmirmantel, doch keinen Regenschirm.
»Nichts«, sagt er auf Susannes bangen Blick hin. »Sie ist definitiv nicht im Park, niemand ist dort bei dem Wetter. Hier etwas Neues?«
Susanne schüttelt stumm den Kopf.
Ich sage: »Susanne hat gerade versucht, die Kontaktdaten einer gewissen Nele herauszufinden, die am Marie-Curie-Gymnasium das Projekt Schulzeitung leitet. Sagtest du nicht neulich, dass du den Schulleiter kennst?«
»Zumindest flüchtig, ich kann bestimmt seine Handynummer herausfinden und ihn anrufen. Aber lasst uns dazu nach oben gehen. Susanne, Schatz, du zitterst ja vor Kälte.«
Axel schließt die Haustür auf. Im Aufzug legt er tröstend einen Arm um Susanne, doch kaum sind wir am Penthouse angekommen, macht sie sich los. Axel verzieht sich in sein Arbeitszimmer, während Susanne und ich ins riesige Wohnzimmer mit Blick über die Dächer der Stadt gehen. Es ist ein beeindruckender Raum – teures Leder, Glas und moderne Kunst –, allerdings in meinen Augen ziemlich ungemütlich.
Einige Minuten lang stehen wir unschlüssig da.
»Was hältst du davon, wenn wir mal in Sofias Zimmer nachsehen?«, schlage ich schließlich vor. »Vielleicht finden wir einen Hinweis, wohin sie heute Nacht wollte.«
Susanne geht voraus. Die Einrichtung in Sofias Zimmer bildet einen starken Kontrast zum sonstigen Stil der Wohnung. Hellgelbe Wände, zerschrammte Kiefernholzmöbel. Allerdings herrscht dieselbe Ordnung, nur das Bett ist überraschenderweise nicht gemacht.
Während Susanne das Whiteboard überprüft, auf dem Sofia gern herumkritzelt und an das sie mit Magneten alle möglichen Zettel gehängt hat, gehe ich zum Schreibtisch. Er besteht aus einer einfachen lackierten Holzplatte auf höhenverstellbaren Metallbeinen. Sofia macht seit zehn Jahren ihre Hausaufgaben daran, sie, Susanne und ich haben den Tisch gemeinsam bei IKEA gekauft.
Auch der Schreibtisch ist ordentlich aufgeräumt, ich finde keinen Hinweis auf Sofias Pläne. Über dem Schreibtisch hängt Sofias Stundenplan an der Wand, darüber ist ein Board mit einigen wenigen Büchern angebracht. Sofia ist zwar eine Leseratte, doch sie liest hauptsächlich auf ihrem Laptop oder ihrem Handy. Typischerweise lange Wikipediaartikel zu Themen, die sie interessieren, manchmal Science-Fiction- oder Fantasyromane. Entsprechend stehen auf dem Bord die drei Bände von Der Herr der Ringe und zwei Bücher aus der Schulbibliothek zum Thema Genetik. Sofias erster Artikel für die Schulzeitung behandelte den genetischen Fingerabdruck und Methoden zur DNA-Analyse, Anlass war ein Massengentest, der wegen des sogenannten Discomordes durchgeführt wurde. Vor über fünfzehn Jahren wurde eine junge Frau aus der Stadt nach einem Discobesuch vergewaltigt und ermordet. Der Täter läuft bis heute frei herum. Bei dem Gedanken daran läuft mir ein Schauer den Rücken hinunter.
»Wenn diese Nele nicht weiß, wo Sofia ist, gehe ich zur Polizei.« Susanne ist zu mir getreten, ihre Hand krampft sich um die Tischkante.
»Ich komme mit.«
»O ja, bitte.«
Wir stehen einen Augenblick schweigend beieinander. »Verdammt!«, platzt es aus Susanne heraus. »Was macht Axel so lange?«
»Er beeilt sich bestimmt.«
»Ja, bestimmt.« Susanne nagt an ihrem Daumen. Das ist eine uralte schlechte Angewohnheit, die sie sich eigentlich längst abgewöhnt hat, doch heute ist der Nagellack schon abgeplatzt. Als sie sieht, dass es mir auffällt, steckt sie die Hand hinter den Rücken.
»Darf ich dich etwas fragen?«, sagt sie. »Und versteh mich bitte nicht falsch, ich möchte hier keine Schuld verteilen, aber: Wieso zur Hölle habt ihr Sofia überhaupt mitten in der Nacht nach Hause gefahren? Wieso hast du sie nicht einfach bei dir übernachten lassen?«
»Weil sie nicht wollte.«
»Aber du lässt ihr so etwas doch sonst auch nicht durchgehen. Schließlich war es so geplant, und du bist in diesen Dingen viel konsequenter als ich.«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, Susanne, meines Wissens war es gerade nicht geplant. Ich hatte ursprünglich angenommen, Sofia würde bei uns übernachten, weil sie es meistens so macht, wenn es spät wird, aber sie hat mir extra schon vor Tagen gesagt, dass sie hinterher nach Hause gebracht werden möchte. Und sie hatte nichts dabei, keinen Pyjama, keine Zahnbürste.«
»Das verstehe ich nicht. Ich bin sicher, sie hatte vor, bei euch zu übernachten.«
»Hat sie das explizit gesagt?«
»Bevor sie gestern Abend los ist. Sie sagte, dass sie heute Morgen spätestens um halb zwölf zurück wäre.«
Susanne schiebt den Ärmel ihrer Strickjacke zurück und wirft einen Blick auf die Armbanduhr von Tissot, die Axel ihr zum Geburtstag geschenkt hat. Es ist zehn vor zwölf. Wir sehen einander entsetzt an. Sofia hat einen Dickkopf und oft ganz eigene Vorstellungen davon, was richtig ist, aber wenn es um Termine geht, ist sie absolut zuverlässig. Sie kommt nie zu spät.
In dem Moment erscheint Axel in der Zimmertür. »Ich habe den Direktor erreicht. Er durfte keine Kontaktdaten herausgeben, doch er hat sich von zu Hause in den Schulcomputer eingeloggt und dann selbst bei Neles Eltern angerufen. Nele war nicht zu Hause, doch die Eltern haben sie angerufen, und sie hat sich dann beim Direktor gemeldet. Sie hat keine Ahnung, wo Sofia steckt.«
Sie wusste nicht, wie lange sie schon auf dem schmalen Bett lag, und die Information hätte ihr ohnehin nichts genutzt. Zeit verliert die Bedeutung, wenn fünfzehn Minuten sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Die Schmerzen schwollen noch immer an, und sie fragte sich unwillkürlich, ob es ein Maximum an Schmerz gab, dass ein Mensch ertragen konnte. Würde sie irgendwann platzen wie ein Ballon, in den zu viel Luft gepumpt worden war?
Jeder Atemzug tat weh, also versuchte sie, so flach wie möglich zu atmen. Und so leise wie möglich. Er durfte sie nicht hören. Alles, damit er sie nicht hörte. Alles, damit es nicht erneut begann. Alles, damit er ihr nicht erneut bewies, wie naiv sie gewesen war.
Wie hatte sie ihm glauben können? Wieso war sie geblieben? Wieso war sie nicht gegangen? Wie hatte sie so unglaublich dumm sein können?
Verdammt, Larry, wie lange dauert das noch?«
Kriminalhauptkommissarin Heidi Westphal trommelte mit den Fingerknöcheln gegen die Badezimmertür, obwohl sie wusste, dass das vergebliche Liebesmüh war. Mit ihren fünfzehn Jahren hatte ihre jüngste Tochter in der Kunst des Ich-höre-nur-was-mir-passt eine Meisterschaft erreicht, die ihresgleichen suchte. Entsprechend gab es keine Antwort, auch nicht, als Heidi ein weiteres Mal rief.
Verdammt! Heidi lehnte sich gegen die himmelblau gestrichene Wand im schmalen Flur ihrer Dreizimmerwohnung, die sie nach der Scheidung vor drei Jahren gekauft hatte. Damals hatte sie die Wohnung für perfekt gehalten und über ihren einzigen Nachteil – nur ein Bad, kein separates Gäste-WC – hinweggesehen, weil sie dachte, dass dieses Manko in einem Zweipersonenhaushalt nicht ins Gewicht fallen würde. So konnte man sich irren.
»Larry?«
Schweigen. Eine weitere Minute verstrich.
»Larry, ich muss!«
Mehr Schweigen, und langsam kam Heidi das verdächtig vor. Versuchsweise drückte sie die Klinke. Es war abgeschlossen.
»Larissa, würdest du endlich …?«
In dem Moment wurde der Schlüssel im Schloss gedreht, und dann erschien das gerötete Gesicht von Heidis Tochter im Türrahmen.
»Mensch, Mama, ich sagte doch, es dauert noch fünf Minuten.«
»Das war vor einer Viertelstunde.«
»Echt? Das kann nicht sein, auf der Packung steht, es dauert fünf Minuten.«
»Was dauert fünf Minuten? Und hattest du nicht gesagt, du willst dich schminken?«
»Ich sagte, ich habe eine neue Faceroutine. Gua Sha.«
»Gua was?«
»Gesichtsmassage. Ich habe dir davon erzählt. Hörst du denn nie zu? Ich schreibe darüber einen Artikel. Und wolltest du nicht aufs Klo?«
»Du blockierst die Tür.«
Sie benötigten eine halbe Minute, um sich zu sortieren. So viel zur Mutter-Tochter-Harmonie, dachte Heidi, als sie sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf der Toilette niederließ. Während sie den Dingen ihren Lauf ließ, fiel ihr Blick auf eine leere Verpackung, die auf der Fensterbank stand. Dem Bild nach hatte sie einen grünen, herzförmigen Stein enthalten. Heidi studierte den Text. Gua-Sha-Stein aus Jade zur sanften Gesichtsmassage – das Beautytool für den perfekten Glow. Entspannend, anregend, beruhigt Entzündungen, reduziert Schwellungen und Fältchen.
Kopfschüttelnd stellte Heidi die Packung weg und griff zum Toilettenpapier. Sie wusste nicht, was sie irrer finden sollte: dass die Kosmetikindustrie dreist genug war, einen Stein als Wunderwaffe gegen Falten und Schwellungen zu verkaufen, oder dass ihre Tochter so einen Schrott erwarb.
Doch als Heidi beim Händewaschen in den Spiegel sah, ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass sie im Gegensatz zu ihrer Tochter ein Antifaltenmittel durchaus brauchen konnte. Andererseits: Woher zum Teufel sollte sie die Zeit nehmen, ihr Gesicht mit einem Stein zu bearbeiten?
Heidi schüttelte den Gedanken ab und griff zum Handtuch, als ihr Smartphone klingelte, ihr privates, nicht ihr Diensthandy. Sie warf einen Blick aufs Display. Jürgen.
»Hi«, begrüßte sie ihren Exmann. »Das ist eine Überraschung. Wolltest du nicht übers Wochenende die Bettcouch einbauen? Oder war es die Standheizung?«
Heidi und Jürgen hatten sich scheiden lassen, nachdem Jürgen in eine veritable Midlifecrisis geraten war, in der er alles infrage stellte und ständig davon redete, dass es neben Arbeit und Familie noch etwas anderes im Leben geben müsse – ein nicht näher definiertes »Mehr« –, während Heidi der Meinung gewesen war, die Zeit, nachdem ihre zwei älteren Töchter zum Studieren ausgezogen waren, wäre eine gute Gelegenheit, sich von den Strapazen der Kindererziehung zu erholen. Seit der Scheidung war Jürgen ständig unterwegs, hatte mit Tennis und Golf angefangen und sich als Krönung einen VW T5 gekauft, um ihn eigenhändig zum Camper umzubauen.
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Jetzt bin ich gespannt.«
»Um einen beruflichen. Wir haben einen Vermisstenfall.«
Heidi streckte ihrem Spiegelbild die Zunge raus. »Mein Team hat keine Bereitschaft.«
»Das weiß ich, und wenn du Nein sagst, rufe ich Famke an. Aber es wäre mir lieber, du übernimmst das persönlich. Eine Fünfzehnjährige ist heute Nacht von einem Babysitterjob nicht nach Hause gekommen. Sie hat den kleinen Sohn von Freunden ihrer Mutter gehütet, während die Eltern auf einer Party waren. Danach hat der Vater sie nach Hause gefahren und vor ihrem Wohnhaus abgesetzt. Allerdings scheint sie noch einmal auf eigene Faust losgezogen zu sein.«
»Und warum soll ich mich darum kümmern? Es klingt nicht kompliziert, und Famke hat genug Erfahrung.«
»Das stimmt, aber die Mutter des Mädchens hat nach dir gefragt. Das heißt, genau genommen nicht die Mutter, sondern ihr Lebenspartner. Er hat mich angerufen. Privat.«
Bei Heidi fiel der Groschen. »Du kennst ihn? Ich auch?«
»Nein, wir haben uns im Golfklub getroffen. Es handelt sich um Axel Thürmer, den Architekten. Du weißt schon: der die Neugestaltung des Krone-Areals geplant hat.«
Heidi erinnerte sich an die jahrelangen Diskussionen um das Grundstück am Stadtpark, auf dem früher der Gasthof Zur Krone gewesen war, allerdings nicht an den Namen des Architekten. »Und wieso sollte Axel Thürmer ausgerechnet nach mir fragen?«
»Weil ich ihm einmal von dir erzählt habe. Wir saßen im Klub zusammen, jemand erzählte vom Fall Marvin, ich erwähnte dich … wie das halt so läuft.«
Also daher wehte der Wind. Der Fall Marvin – Heidis fünf Minuten Ruhm. Der nur wenige Tage alte Säugling war von einer psychisch kranken Frau mit unerfülltem Kinderwunsch aus dem Krankenhaus entführt und von Heidi binnen vierundzwanzig Stunden wiedergefunden worden. Der Fall war aus Ermittlersicht nicht kompliziert gewesen, doch die Presse hatte Heidi als Heldin gefeiert.
»Es läuft allerdings auch so, dass es bei uns eine Reihenfolge gibt. Famkes Team ist dran. Wieso müssen wir für Axel Thürmer eine Extrawurst braten?«
»Er ist ein einflussreicher Mann, gut vernetzt. Ich würde ihm den Gefallen gern tun. Die Sache klingt nicht kompliziert, vermutlich ist das Mädchen bei einem Freund. Wenn sie wieder auftaucht, schuldet Thürmer dir was.«
Und dir, dachte Heidi. Sie überlegte. Sie hatte heute ohnehin nichts vor, außer einen Stapel Wäsche zu bügeln und die Küche zu putzen. Sie hatte auf Quality-Time mit Larissa gehofft, aber die hatte schon angekündigt, mit Freundinnen ins Kino zu gehen. Und wenn Heidi den Fall übernahm, dann schuldete ihr nicht nur dieser Architekt etwas, sondern vor allem Jürgen.
»Meinetwegen. Wo muss ich hin?«
»Zur Kriminalpolizeiinspektion. Ich habe Axel gesagt, die Mutter des Mädchens müsse als Erstes eine Vermisstenanzeige aufgeben.«
Eine halbe Stunde später blickte Heidi in ein Paar dunkelbraune Augen, die sie von einem Computerbildschirm so durchdringend anstarrten, dass sie sich an einen Strafverteidiger erinnert fühlte, der sie einmal als junge Polizistin vor Gericht befragt und einzuschüchtern versucht hatte. Die dunkelbraunen Augen lagen unter schwarzen, struppigen Brauen, die über einer schmalen Nase fast zusammenwuchsen. Augen und Brauen gehörten zu einem ovalen Gesicht mit leicht vorgeschobenem Kinn, das von strähnigen schwarzen Haaren umrahmt wurde. Heidi musste unwillkürlich an die Fotos denken, die Larissa von sich auf Instagram postete. Auf ausnahmslos allen war Larissa sorgfältig geschminkt und frisiert und lächelte oder nahm eine andere Pose ein, die sie besonders hübsch aussehen ließ.
»Entweder, das Mädchen hat schon gelernt, dass das Leben kein Ponyhof ist, oder sie steht auf besonders coole Posen«, brummte Heidi. »Du sagtest, du hättest mehrere Bilder. Guckt sie auf den anderen genauso finster?«
»Auf allen, auf denen sie frontal in die Kamera blickt. Ihre Mutter sagt, sie hasse es, fotografiert zu werden.«
Kriminaloberkommissarin Carina Ricci, die die Vermisstenanzeige zu Sofia Ziemiak aufgenommen hatte, klickte mit der Maus ein weiteres Bild an. Auf diesem stand Sofia in einem Park, ihr Gesichtsausdruck war jedoch derselbe wie auf dem ersten Foto, und das galt auch für das nächste Bild, auf dem Sofia einen kleinen Jungen auf dem Schoß hielt. Den Jungen gab es auch auf dem vierten Bild, doch hier blickte Sofia nicht in die Kamera, sondern auf das Kind. Ihr Gesichtsausdruck war entspannt, fast verträumt. Auf dem nächsten Foto kniete Sofia neben einem Fahrrad, an dessen Rücklicht sie herumschraubte. Ihre kinnlangen Haare waren nach vorn geschwungen und verdeckten einen Teil ihres Gesichts, doch es war nicht zu übersehen, dass ein Lächeln um ihre Lippen spielte. Das letzte Bild zeigte Sofia wieder von vorn. Sie hatte ein Stück Kuchen im halb geöffneten Mund und lachte aus vollem Hals, während sie spielerisch eine kleine, blonde Frau abwehrte, die – ebenfalls lachend – versuchte, mit einem Geschirrtuch einen Klecks Sahne von Sofias Nase zu wischen.
»Ihre Mutter?«, fragte Heidi.
»Deren beste Freundin, Eva Kramer. Sie hat Frau Ziemiak hierherbegleitet. Ich habe sie in den Konferenzraum gesetzt. Marcel ist bei ihnen. Er ist zehn Minuten vor dir gekommen.«
Das wunderte Heidi nicht. Sie hatte Marcel Kaczmarek von zu Hause aus angerufen. Der Kriminaloberkommissar war der jüngste Neuzugang im Kommissariat und in einem Alter, in dem man sich noch wichtig und unentbehrlich fühlte, wenn man sonntags in den Dienst gerufen wurde.
»Alles klar, danke. Gib Bescheid, wenn sich etwas ergibt.«
Susanne Ziemiak und Eva Kramer waren eine Überraschung. Die Worte »beste Freundin« hatten in Heidis Ohren die Assoziation »ähnlich« ausgelöst, doch das war eine Fehlannahme. Susanne Ziemiak war eine große, sehr schlanke, sehr attraktive Frau mit schwarzen Haaren, die sich bis auf ihre Schultern lockten. In ihrem teuren Kaschmirmantel wirkte sie zu elegant für die triste Umgebung. Eva Kramer war klein und etwas pummelig. Sie besaß ein freundliches, rundes Gesicht mit Hamsterbacken, die sie mit einem fransig geschnittenen Bob zu kaschieren suchte. Sie trug ein türkisfarbenes Wollkleid und eine modische zweifarbige Brille, wirkte neben ihrer Freundin aber dennoch bieder.
Als Heidi den Besprechungsraum betrat, saß Susanne Ziemiak mit auf den Bauch gepressten Händen leicht zusammengekrümmt da, dann jedoch sprang sie auf und sah Heidi mit nervöser Erwartung entgegen.
»Nehmen wir Platz«, schlug Heidi vor, nachdem sie sich vorgestellt hatte. Sie nickte Marcel Kaczmarek zu, der mit aufgeklapptem Laptop am Kopfende des langen Besprechungstisches saß, bevor sie sich einen Stuhl heranzog und die üblichen einleitenden Sätze sprach. »Frau Ziemiak, wie mir mitgeteilt wurde, vermissen Sie Ihre Tochter Sofia. Ich verstehe, dass Sie sehr beunruhigt sind, und ich versichere Ihnen, wir bemühen uns, Sofia möglichst schnell zu finden. Ich weiß, dass Sie bei Oberkommissarin Ricci bereits Angaben gemacht haben, doch ich möchte Sie bitten, mir weitere Fragen zu beantworten. Das wird eine Weile dauern. Gewinnen Sie bitte nicht den Eindruck, es sei Zeitverschwendung. Während wir hier zusammensitzen, hat Oberkommissarin Ricci bereits erste Maßnahmen eingeleitet, zum Beispiel versuchen wir, Sofias Handy zu orten. Das heißt, die Suche hat bereits begonnen. Verstehen Sie das? Dann erzählen Sie mir bitte noch einmal, wie es dazu kam, dass Sie Sofia vermissen.«
Während der nächsten Minuten hörte Heidi aufmerksam zu, wie Susanne Ziemiak berichtete. Die Frau war offenbar beunruhigt, sie sprach in kurzen, abgehackten Sätzen und so schnell, dass sie sich ein- oder zweimal verhaspelte. Als ihr das zum ersten Mal passierte, legte ihre Freundin ihr tröstend eine Hand auf den Arm und ließ sie dann dort.
Schließlich klappte Heidi ihren Laptop auf, loggte sich ein und öffnete ein Kartenprogramm. »Ist das Ihre Wohnanlage?« Sie drehte den Laptop so, dass Susanne Ziemiak und Eva Kramer ebenfalls den Bildschirm sehen konnten. Sie hatte die Satellitenansicht gewählt. Von oben blickten sie auf die Willy-Brandt-Allee, die im Osten der Stadt ziemlich genau von Nord nach Süd verlief. Östlich davon erstreckte sich der Stadtpark, westlich standen etwas versetzt vier mehrstöckige Gebäude mit quadratischen Grundrissen, aus denen in einem unregelmäßigen Muster Balkone ragten. »Welcher ist Ihr Hauseingang?«
Susanne Ziemiak tippte mit einem leuchtend rot lackierten Fingernagel auf das Gebäude, das am weitesten von der Straße entfernt lag. »Vierzehn d.«
»Und wissen Sie, wo Herr Kramer gehalten hat, um Ihre Tochter abzusetzen?«
Susanne Ziemiak blickte fragend zu Eva Kramer, die sich vorbeugte und auf einige Parkplätze deutete, die am Straßenrand eingezeichnet waren. Ihr Nagellack war türkis wie ihr Kleid.
»Und Ihr Mann hat Sofia nicht zur Haustür gebracht? Das ist nur eine Frage, kein Vorwurf«, fügte Heidi hinzu, als Eva Kramers Miene sich schuldbewusst verzog.
Die Frau nickte. »Das mache ich auch immer so. Als ich Sofia das erste Mal zu ihrem neuen Zuhause brachte, wollte ich sie zur Haustür begleiten, aber sie sagte, sie sei kein Baby mehr. Sie war regelrecht beleidigt. Und der Fußweg ist ja nicht lang, und überall stehen Laternen.«
Eva Kramer biss sich auf die Unterlippe, und Heidi konnte mühelos erraten, was in ihrem Kopf vorging. Kurzer Fußweg hin, Laternen her – die Frau machte sich in diesem Moment dennoch Vorwürfe.
Heidi wandte sich wieder an Susanne Ziemiak. »Und Sie sind absolut sicher, dass Sofia heute Nacht nicht nach Hause gekommen ist?«
»Wie gesagt, ich konnte nicht schlafen. Ich hätte es mitbekommen.«
»Haben Sie Herrn Kramers Auto gehört?«
»Nein, unser Schlafzimmer geht nach hinten raus.«
»Und heute Morgen war das Rad Ihrer Tochter nicht im Fahrradkeller in der Tiefgarage? Könnte sie es woanders abgestellt haben?«
Susanne Ziemiak schüttelte den Kopf. »Sofias letztes Rad wurde gestohlen, sie sperrt das neue immer weg.«
»Ich verstehe.« Heidi dachte einen Augenblick lang nach, dann klappte sie den Laptop wieder zu und faltete ihre Hände darauf. »Also, Frau Ziemiak, so wie sich die Sache darstellt, ist Ihre Tochter heute Nacht gegen zwei Uhr noch einmal auf eigene Faust mit dem Fahrrad losgezogen. Sie haben das ja selbst bereits vermutet. Haben Sie irgendeine Idee, wohin sie gefahren sein könnte?«
Susanne Ziemiak knetete nervös ihre Hände in ihrem Schoß. »Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit den Kopf darüber, aber mir fällt nichts ein. Sofia macht ständig Ausflüge mit dem Fahrrad, sie liebt Radfahren. Aber doch nicht mitten in der Nacht!«
»Könnte sie sich mit jemandem verabredet haben?«
»Ich wüsste nicht, mit wem.«
»Hat sie einen Freund?«
Susanne Ziemiak schüttelte den Kopf. »Sie ist noch nicht so weit.«
»Sie ist fünfzehn«, entgegnete Heidi.
Susanne Ziemiak lächelte schief. »Und heutzutage sind viele Mädchen in dem Alter sexuell aktiv, gucken Pornos und versenden Nudes – ich weiß. Doch Sofia ist in der Hinsicht …«, sie suchte nach dem passenden Wort, »… ziemlich hintendran. Sie ist in manchen Dingen überdurchschnittlich reif, aber sie hat noch nie Interesse an romantischen Dingen oder gar an Sex gezeigt.«
Susanne Ziemiak schien daran keinen Zweifel zu hegen, dennoch blickte Heidi zu Eva Kramer hinüber, ob die das genauso sah. Ihrer Ansicht nach waren Eltern oft erstaunlich naiv, wenn es um den eigenen Nachwuchs ging – sie nahm sich dabei selbst nicht aus. Eva Kramer nickte jedoch bestätigend.
»Aber Sofia hat doch gewiss Freundinnen, mit denen sie etwas unternimmt. Vielleicht hat sie sich mit einer von denen getroffen? Vielleicht gab es eine Party? Eine Party, von der Sie nicht wollten, dass sie hingeht?«
Susanne Ziemiak schüttelte bei allen Vorschlägen den Kopf. »Nein, das kann es auch nicht sein.«
»Und warum nicht?«
Zum ersten Mal zögerte Susanne Ziemiak bei einer Antwort. Sie fasste sich an den Hals, um den sie einen bunten Seidenschal geschlungen hatte, und ließ die Hand dann wieder sinken. »Weil Sofia keine Freundinnen hat«, sagte sie abrupt. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
Heidi wartete einen Augenblick lang. »Und wie kommt das?«, fragte sie schließlich.
Susanne Ziemiak starrte auf ihre Hände und rieb mit dem Zeigefinger der rechten Hand über den Nagellack ihres Daumens, der deutliche Nagespuren aufwies. »Wirklich klar ist mir das nicht. Es ist etwas, das mich ehrlicherweise irritiert, obwohl Sofia immer behauptet, es mache ihr nichts aus, sie sei ohnehin lieber für sich.« Sie blickte seufzend auf. »Es liegt wohl hauptsächlich daran, dass Sofia ganz andere Interessen hat als andere Mädchen ihres Alters. Wie gesagt interessiert sie sich noch nicht für Jungs oder Sex, auch nicht für Mode oder Make-up oder irgendwelche Trends. Sofia geht am liebsten ihren eigenen Projekten nach.«
»Was sind das für Projekte?«
»Ganz unterschiedliche.« Ein Lächeln huschte über Susanne Ziemiaks Gesicht. »Sofia fährt gern Fahrrad und fotografiert gern mit ihrem Smartphone. Eine Zeit lang hat sie jede Woche zur selben Zeit immer an denselben Orten Fotos gemacht, zum Beispiel vor unserer alten Wohnung oder auf einem nahe gelegenen Grünstreifen. Sie wollte damit dokumentieren, wie Orte sich im Wechsel der Jahreszeiten verändern. Und als sie nach unserem Umzug feststellte, dass sie sich in unserem neuen Stadtviertel überhaupt nicht auskennt, hat sie sich vorgenommen, jede Straße in der Stadt mindestens einmal zu befahren. Sie hat schon die meisten geschafft, sie führt Buch darüber auf ihrem Laptop.« Susanne Ziemiak hob abwehrend die Hände, als ahnte sie, was Heidi sagen wollte. »Aber das würde sie nicht mitten in der Nacht machen. Sofia ist noch nie nachts allein losgezogen.« Sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
Neben ihr sagte Eva Kramer leise: »Das stimmt aber nicht ganz, Susanne. Denk mal an die Sache mit Helena Berger.«
Susanne Ziemiak drehte den Kopf und musterte ihre Freundin stirnrunzelnd. »Du meinst die Flugblätter? Das war doch etwas ganz anderes.«
»Worum ging es da?«, mischte Heidi sich ein.
Susanne Ziemiak machte eine auffordernde Handbewegung, und Eva Kramer beugte sich vor.
»Es war vor etwa einem Jahr«, erzählte sie mit ihrer weichen, leisen Stimme. »Vor dem Umzug ging Sofia aufs städtische Gymnasium. Es gab dort eine ältere Schülerin, Helena Berger, die die jüngeren Kinder schikanierte. Sofia stritt sich deswegen einmal mit ihr und meldete Helenas Verhalten auch einer Lehrerin, doch nichts änderte sich. Sofia ärgerte das so sehr, dass sie beschloss, selbst aktiv zu werden. Sie bastelte ein Flugblatt und fuhr an einem Tag morgens zwei Stunden früher zur Schule, um zweihundert Kopien davon im ganzen Gebäude zu verteilen. Als Susanne aufstand und feststellte, dass Sofia nicht da war, hat sie sich ziemlich erschrocken.«
»Was stand auf dem Flugblatt?«
»Es gab verschiedene. Alle zeigten ein Foto Helenas von ihrem Instaccount, auf dem sie besonders hübsch zurechtgemacht war. Darunter standen Sachen wie: ›Ich bin zwar schön, aber sonst habe ich nichts drauf! Lass Dich nicht von mir mobben!‹ Oder: ›Scharfe Schale, matschiger Kern‹«
Heidi unterdrückte ein Schmunzeln. »Klingt, als sei Sofia Gerechtigkeit ein wichtiges Anliegen«, kommentierte sie.
»Ein sehr wichtiges«, bestätigte Eva Kramer.
»Und halten Sie es für möglich, dass Sofia heute Nacht wieder aus einem ähnlichen Grund losgezogen ist?«
Eva Kramer nahm sich einen Moment Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. »Ja«, sagte sie schließlich. »Allerdings müsste es ein in Sofias Augen wirklich triftiger Grund sein. Und sie würde deswegen nicht zu spät nach Hause kommen. Sie ist wirklich extrem zuverlässig, sie verpasst niemals Termine. Dass sie um halb zwölf nicht zu Hause war und dass sie nicht an ihr Handy geht …« Sie schluckte und griff nach der Hand ihrer Freundin.
Eine Weile herrschte Schweigen, während Heidi nachdenklich in der Vermisstenanzeige blätterte, die Carina Ricci für sie ausgedruckt hatte. Sie suchte eine bestimmte Stelle und fand sie auch: Bei der Frage nach einer möglichen Suizidalität der vermissten Person hatte Carina Ricci Nein angekreuzt. Heidi war sicher, dass die Kollegin das nicht leichtfertig getan hatte, dennoch wollte sie noch einmal nachhaken.
»Ich möchte zurück auf den Punkt kommen, dass Sofia keine Freundinnen hat. Wie äußert sich das? Ist sie eine Einzelgängerin, die einfach ihr eigenes Ding macht, oder gibt es Konflikte zwischen ihr und Gleichaltrigen? Wie haben zum Beispiel ihre Mitschüler auf die Flugblattaktion reagiert? Und wie die Schulleitung?«
Die beiden Frauen sahen einander an.
»Die Schulleitung hat gar nicht reagiert«, erklärte Susanne Ziemiak dann, »weil sie nicht wusste, dass Sofia verantwortlich war. Sie war nicht die Einzige, die mit Helena in den Wochen zuvor aneinandergeraten war. Aber natürlich haben einige Schüler Sofia dennoch verdächtigt. Manche fanden die Aktion cool, doch Helenas Freundinnen machten Sofia das Leben danach teilweise schwer. Das war auch einer der Gründe, warum wir zu Axel gezogen sind. Axel Thürmer, mein Partner.« Sie errötete. »Das klang jetzt vermutlich seltsam. Natürlich sind wir nicht umgezogen, damit Sofia eine neue Schule besuchen kann, aber als Axel den Vorschlag machte, habe ich mich gefragt, ob das gut für Sofia wäre. Ein möglicher Schulwechsel erschien mir als Plus.« Sie strich sich eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr. »Und das war er auch. Sofia gefällt es auf der neuen Schule besser als auf der alten. Sie macht zum Beispiel bei der Schulzeitung mit. Sie hat einen Artikel über Genetik geschrieben. Und sie mag die Chefredakteurin, Nele, ein älteres Mädchen, dreizehnte Klasse, glaube ich. Allerdings weiß Nele auch nicht, wo Sofia steckt. Axel hat mit ihr telefoniert.«
»Meinen Sie Nele Klostermann?«, fragte Heidi überrascht. »Geht Sofia auf das Marie-Curie-Gymnasium? In welche Klasse?«
»Zehn a.« Susanne Ziemiak musterte Heidi. »Kennen Sie Nele?«
»Ich habe von ihr gehört.« Heidi fügte nicht hinzu, dass ihre Tochter ihr von Nele erzählt hatte. Larissa ging ebenfalls auf Marie-Curie-Gymnasium, in die Zehn c, und schrieb ebenfalls Artikel für die Schulzeitung, allerdings nicht über Genetik, sondern über Schönheitsprodukte. Für einen flüchtigen Augenblick löste die Ähnlichkeit – beide Mädchen fünfzehn, beide auf derselben Schule, beide schrieben für die Schulzeitung – ein flaues Gefühl in Heidis Magen aus.
»Und Sie sind sicher, dass es Sofia nichts ausmacht, keine Freundinnen zu haben? Dass sie nicht unglücklich deswegen ist? War sie aus einem anderen Grund in letzter Zeit unglücklich? Oder aufgewühlt? Ist irgendetwas Ungewöhnliches vorgefallen? Gab es Stimmungsschwankungen oder Ähnliches? Einen Streit oder eine Auseinandersetzung?«
Heidi richtete die Fragen an beide Frauen, doch beide verneinten.
»Und wie kommt Sofia mit der neuen Wohnsituation zurecht?«
»Sehr gut.« Susanne Ziemiaks Antwort kam noch schneller als die Antworten zuvor.
»Können Sie das näher beschreiben?«
Susanne Ziemiak blinzelte. »Ich bin nicht sicher, worauf Sie hinauswollen.«
»Beschreiben Sie mir Ihre neue Wohnsituation mit Ihrem neuen Partner. Das muss für Sie und Ihre Tochter doch eine große Umstellung gewesen sein, wenn Sie vorher zu zweit zusammengelebt haben. Wie sieht Ihr Alltag zu dritt aus? Was klappt gut? Wo gibt es Reibungspunkte? Versteht sich Sofia gut mit Ihrem Lebensgefährten?«
»O ja. Und es gibt kaum Reibungspunkte.« Susanne Ziemiak lächelte. »Ehrlich gesagt, sind wir alle immer ziemlich viel unterwegs. Axel ist Architekt, er ist typischerweise den ganzen Tag in seinem Büro oder auf einer Baustelle. Er hat zwar zu Hause ein Arbeitszimmer, aber das nutzt er nur am Wochenende. Ich bin ebenfalls den ganzen Tag außer Haus. Ich bin Immobilienmaklerin und habe eine Firma mit drei Angestellten. Und Sofia geht in die Schule und verfolgt nachmittags ihre Projekte.«
»Und abends? Und an den Wochenenden? Was machen Sie da? Unternehmen Sie Ausflüge zu dritt?«
»Manchmal. Manchmal hat Sofia keine Lust, manchmal muss ich arbeiten.«
»Und unternehmen Ihre Tochter und Ihr Partner dann auch mal etwas zu zweit?«
Susanne Ziemiak blinzelte irritiert. »Nein. Wieso sollten sie?«
»Wenn sie sich doch gut verstehen.«
»Ach so.« Susanne Ziemiak überlegte. »Nun ja, um ehrlich zu sein, haben sie nicht viel gemeinsam.« Sie errötete. »Aber Axel hat sich sehr um Sofia bemüht. Er wollte ihr zum Einzug eine komplett neue Zimmereinrichtung schenken. Und er kennt den Direktor vom MCG. Als ich Sofia dort anmeldete, hat er seinen Einfluss genutzt, damit sie direkt einen Termin beim Schulsozialarbeiter bekam. Axel meinte, Sofia benötige vielleicht Unterstützung, um sich besser zu integrieren. Der Sozialarbeiter hat auch vorgeschlagen, dass Sofia bei der Schulzeitung mitmacht, weil sie so wissbegierig ist.«
»Und mag Sofia Herrn Thürmer? War sie für den Plan, zu ihm zu ziehen?«
