Wen es etwas angeht - Sarah Berger - E-Book

Wen es etwas angeht E-Book

Sarah Berger

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Beschreibung

Bei der Ausstellung im Hamburger Bahnhof konfrontiert die Künstlerin Thale Gold mit ihren gigantischen Skulpturen in Form von Genitalien die um sich selbst kreisende Kunstwelt. Und es gibt nichts Anziehenderes als eine mysteriöse Person, die eine verdammt gute Show abzieht.

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Seitenzahl: 47

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Sarah Berger, geboren 1985 in Timisoara, lebt und arbeitet in Berlin. Nach „Sex und Perspektive“ ist „Wen es etwas angeht“ die zweite Veröffentlichung von Berger im Herzstückverlag.

“If you ask me what I want, I‘ll tell you. I want everything.”

Kathy Acker

Mattierte Scheiben, eingelassen in die abgerundete Kuppel, ließen den Himmel farblos, fast düster erscheinen. Dabei herrschte ein strahlendes Blau über der Stadt. Rosa konnte es kaum erwarten, begleitet von einem Song, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Ein Downbeat und eine Textzeile: Open your heart to receive love. Angenehm beruhigend. Viel Zeit blieb nicht mehr. Unzählige Male hatte sich Rosa diesen Moment filmisch ausgemalt: Frisch angekommen stand sie am Gleis, sah sich um. Im chaotischen Treiben aus Menschen in der gewohnten Bahnhofskulisse, die ankommen, warten oder abreisen, war kaum etwas zu erkennen. Keine der umher eilenden Personen ließ sich zu einem wohlbekannten Gesicht fokussieren. Es blieb eine wabernde, unklare Menschenmasse. Dann plötzlich in der Weite des Gleis eine vertraute Silhouette, ein dunkler Pagenschnitt, der suchend über den Köpfen der anderen hinweg zu schweben schien. Sie erblickte Rosa und winkte aus einer Distanz, die viel zu groß war, um sich vertraut zu begrüßen. Für Theas langen, grazilen Körper war es ein Leichtes, sich flink durch die pulsierende Masse zu schlängeln, immer schneller und schneller, bald rannte sie auf Rosa zu. Quietschend vor Freude rief sie Rosa entgegen: »Finally! Finally you arrived!«. Vor lauter Überschwang ließ Rosa die Reisetasche von der Schulter auf den Boden knallen und lief Thea entgegen. Die magnetische Kraft, die auf ihre Körper wirkte, sobald sie im gleichen Raum waren, ließ es nicht anders zu, sie fielen sich stürmisch in die Arme, drückten sich fest aneinander, immer fester, so fest, weder Thea noch Rosa fühlten sich in der Lage, die andere je wieder loszulassen. Unendlich lange standen sie so auf dem Bahnsteig, fest umschlungen, verschmolzen zu einer gemeinsamen Menge, nicht mehr zu trennen. Rosa hatte viele dieser Fantasien im Kopf. Open your heart to receive love.

Nur die Zeit war ein Problem. Es war spät geworden, zu spät, viel zu spät. Zahlreiche Züge waren ein- und abgefahren, seit Rosa wartend am Gleis stand. Es war zu spät für einen Überraschungsempfang am Bahngleis. Thea hatte es vergessen, hatte die Nachrichten nicht gecheckt, war busy. Busy mit der Ausstellung, mit der Vorbereitung und Organisation, mit Meetings. Thea musste wichtige Leute treffen und Händeschütteln und natürlich Kunstwerke verkaufen. Thea war busy. Viel zu busy, um Rosa vom Bahnhof abzuholen. Viel zu busy, um Rosa mitzuteilen, in welchem Hotel sie untergebracht war: ›Wouldn‘t that be cute? I could book a room in the same hotel like you!‹ Dann blieb Rosa nichts anderes übrig, als im Motel One einzuchecken, gleich am Bahnhof, ›which is very close to the exhibition site, we could meet there for a coffee?‹ Thea war zu busy. ›I long to feel you, can we meet before the rumble gets started?‹

Keine der unzähligen Nachrichten, die Rosa seit Erhalt der Einladung mit bemerkenswerter Beharrlichkeit Tag für Tag verschickt hatte, konnte Thea eine Antwort abringen. ›It’s my pleasure, for sure I come to Berlin, looking forward to your exhibition!‹ Dass die Einladung mit der Post kam, eher formeller Natur war, unpersönlich, Absender das Referat Staatliche Museen zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz, lediglich ein Umschlag aus gelblich weißem Büttenpapier und eine Faltkarte mit goldener Prägung, hielt Rosa für eine Albernheit. Thea erlaubte sich solche Scherze. Sie liebte es, sich rar zu machen, monatelang unterzutauchen, um dann aus heiterem Himmel in Rosas Leben einzufallen. Es gab da kein System, keine Logik. Tauchte Thea auf, brauchte sie Rosas unabdingbare Aufmerksamkeit. Rosas Zuneigung. Rosas Zeit.

Es war gar nicht so abwegig, Thea am Gleis zu erwarten. Genauso gut könnte sie mitten in der Nacht plötzlich vor Rosas Hotelzimmertür auftauchen. Möglicherweise war das sogar das wahrscheinlichere Szenario. Natürlich! Ein dichter Nebel lichtete sich in Rosas Gedanken. Mit einem Mal war Rosa alles ganz klar. All das Warten am Bahnhof war ein Vergeuden von Zeit. Zeit, die Rosa längst hätte im Hotelzimmer verbringen können, in einem Hotelzimmer, in dem Thea sehnsüchtig Rosas Ankunft erwartete. »Have I succeeded in surprising you?«, wird Thea fragen. Die Überraschung war ihr wirklich gelungen. ›I’m on my way to the hotel now, need a shower, see you there then?‹, tippte Rosa in den Messenger. Viel Zeit blieb nicht mehr.

#art #exhibition #premiere #eventoftheyear, Angelika konnte sich gerade so beherrschen. Das Iphone würde kein weiteres Mal an der Wand landen. Es war zu zerbrechlich, zu kostbar, auch wenn alles daran Angelika zur Weißglut trieb. Solange ihr Phone nicht aus flexiblem Material bestand, das sich problemlos in der Hand zusammendrücken und gegen die Wand schmettern ließ, war es nicht geeignet für ihre wütenden Hände. Vor einigen Wochen hatte sie einen Artikel aus dem New York Magazin ins Deutsche übersetzt, um die Arbeit an einem Pitch zu minimieren. Er handelte von Rage Rooms. Eine einzigartige Form der Aggressions- und Stressbewältigung. Großstadtmenschen waren offenbar dazu bereit, viel Geld zu bezahlen, um in geschützter Atmosphäre ihre geballte Zerstörungswut freizulassen. Ausgestattet mit Sicherheitskleidung, Hammer und Baseballschläger darf dabei der Raum samt Inventar in seine Einzelteile zerlegt werden. Möbel können demoliert, Fernseher zerstört, Geschirr zertrümmert werden: »Worauf wartet ihr noch?! Schnappt euch Baseballschläger und werdet zu menschlichen Abrissbirnen!« Es handelte sich dabei um normale Zimmer, eingerichtet in einem Kellergewölbe, oder aber um ganze Flugzeughangars und Industriehallen, die zu Legebatterien voller Rage Rooms umfunktioniert wurden. Die Nachfrage stieg rasant, seit vor einigen Jahren der erste Rage Room in