Wenn das Leben Loopings dreht - Theresia Graw - E-Book
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Wenn das Leben Loopings dreht E-Book

Theresia Graw

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Beschreibung

Das Leben ist eine Achterbahnfahrt … Der romantische Feelgood-Roman »Wenn das Leben Loopings dreht« von Theresia Graw jetzt als eBook bei dotbooks. Eigentlich hat Franzi rein gar nichts an ihrem Leben mit Mann und Kindern in einem schönen Haus mit Garten auszusetzen. Wenn da nur das kleine Wörtchen »eigentlich« nicht wäre: Denn insgeheim ahnt Franzi, dass zwischen ihr und ihrem Gatten schon seit Längerem keine Funken mehr sprühen. Da flattern plötzlich mysteriöse Briefe von einem Alex in ihren Briefkasten, der sie mit einer alten Liebe zu verwechseln scheint. Die leidenschaftlichen Worte des unbekannten Verehrers fegen wie ein Wirbelwind durch Franzis Herz, das dringend einmal einen Hausputz braucht. Kurzerhand fasst sie den Entschluss: Sie wird einmal in ihrem Leben etwas Verrücktes tun … und sich auf die Suche nach Alex machen! Was soll dabei denn auch schon groß schiefgehen? »Für Romantiker ist dieses Buch ein absolutes Must Have!« Blog BooksWillTurnYouOn Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der schwungvolle Liebesroman »Wenn das Leben Loopings dreht« von Theresia Graw ist ein Lesevergnügen für alle Fans von Hera Lind und Ildikó von Kürthy! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Eigentlich hat Franzi rein gar nichts an ihrem Leben mit Mann und Kindern in einem schönen Haus mit Garten auszusetzen. Wenn da nur das kleine Wörtchen »eigentlich« nicht wäre: Denn insgeheim ahnt Franzi, dass zwischen ihr und ihrem Gatten schon seit Längerem keine Funken mehr sprühen. Da flattern plötzlich mysteriöse Briefe von einem Alex in ihren Briefkasten, der sie mit einer alten Liebe zu verwechseln scheint. Die leidenschaftlichen Worte des unbekannten Verehrers fegen wie ein Wirbelwind durch Franzis Herz, das dringend einmal einen Hausputz braucht. Kurzerhand fasst sie den Entschluss: Sie wird einmal in ihrem Leben etwas Verrücktes tun … und sich auf die Suche nach Alex machen! Was soll dabei denn auch schon groß schiefgehen?

»Für Romantiker ist dieses Buch ein absolutes Must Have!« Blog BooksWillTurnYouOn

Über die Autorin:

Theresia Graw, geboren 1964 in Oberhausen, lebt in München. Sie hat sich schon als Kind gern Geschichten ausgedacht. Nach einem Studium der Germanistik und Kommunikationswissenschaften arbeitete sie zunächst als Journalistin, bevor sie sich immer mehr auch dem Schreiben von Romanen zuwandte. »Anders als in der Nachrichtenredaktion kann ich als Romanautorin meine Phantasie spielen lassen und selbst entscheiden, ob die Geschichten ein gutes Ende nehmen.«

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre turbulenten Liebesromane »Glück ist nichts für schwache Nerven« und »Liebe ist wie Salsa tanzen«.

Die Website der Autorin: www.theresiagraw.de

Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/theresia.graw/

Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/theresiagraw/

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eBook-Neuausgabe August 2023

Copyright © der Originalausgabe 2016 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com (derplan13, Arlenta Apostrophe)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-772-3

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Theresia Graw

Wenn das Leben Loopings dreht

Roman

dotbooks.

»Gib deinem Leben ruhig mal wieder einen kleinen Schubs. Aber wundere dich nicht, wenn es auf einmal Loopings dreht.«

Kapitel 1

»Ich möchte offen mit Ihnen reden«, sagte Frau Scholler-Borstig und verschränkte die Hände auf dem Tisch, als wolle sie beten. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig und dachte: die Arme, so jung – und schon Lateinlehrerin ...

Frau Scholler-Borstig (sie hieß wirklich so!) trug eine braune Cordhose, einen weißen Baumwollpulli mit Lochmuster und auf der Nase eine schmale, rechteckige rote Brille. Ihre Haare waren ohrläppchenkurz, glatt und in einer Farbe, von der man zumindest sicher sein konnte, dass es das Original war: mausgrauschlammbeigeblond. Sie war eine von den Frauen, bei denen man sich einfach nicht vorstellen kann, wie sie aussehen, wenn sie lachen.

Gestern hatte sie mich angerufen und hergebeten.

»Könnten Sie es vielleicht einrichten, morgen um 10:30 Uhr zu meiner Sprechstunde in den Klassenraum E 05 zu kommen?«, hatte sie gefragt. »Ich muss dringend mit ihnen über die schulischen Leistungen Ihrer Tochter Isabel reden.«

Da ahnte ich schon, was auf mich zukommen würde: dramatisch abgesackte Noten, gehäuftes unentschuldigtes Fehlen, Versetzung gefährdet, das ganze Programm ... Ich wusste das alles schon von Isabels Mathe- und Physiklehrer, der mich in der vorigen Woche herbestellt hatte.

Nun war ich also wieder da.

Wir saßen einander gegenüber an einem Pult in einem Klassenzimmer im Erdgeschoss. An der Tafel hinter Frau Scholler-Borstig stand »De finibus bonorum et malorum«. Der Rest war weggewischt.

»Das ist Cicero«, sagte Frau Scholler-Borstig, die meinem Blick gefolgt war, ohne sich umzudrehen. »Die Maßstäbe des Guten und Bösen. Eine seiner philosophischen Schriften. Isabel hat es heute nicht geschafft, auch nur einen Satz daraus fehlerfrei zu übersetzen.«

Ich fand es beeindruckend, dass meine Tochter auch nur ein einziges Wort davon hatte übersetzen können, wollte das der Lehrerin aber so direkt nicht sagen.

»Mir wäre es ja auch lieber, wenn meine Tochter ein Latein-Mathe-Physik-Genie wäre«, erklärte ich stattdessen und hoffte, dass ich recht zerknirscht dabei aussah. »Aber sie ist fünfzehn. Da kommt es doch gelegentlich schon mal vor, dass sich ein Mädchen mehr für Klamotten, Schminke und Musik interessiert als für den Ablativus absolutus oder die binomischen Formeln.«

»Das ist mir durchaus bekannt, Frau Herold. Trotzdem sollten Sie und Ihr Mann die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich befürchte, dass Isabel das Klassenziel verfehlt, wenn sie sich nicht bald auf den Hosenboden setzt und lernt. Wie wäre es zum Beispiel mit Nachhilfe?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Ein heikles Thema. Wenn ich Isabel gelegentlich mal ganz dezent auf ihre schulischen Probleme anspreche, dann endet das regelmäßig mit unerfreulichem Geschrei und zugeschlagenen Türen. Ich setze einfach darauf, dass sie im nächsten Schuljahr vernünftiger sein und es dann schaffen wird.«

Mit ihrem Bruder Bastian war es in diesem Alter nämlich auch nicht viel besser gewesen (abgesehen davon, dass seine Interessen etwas anders gelagert waren: mehr Fußball, weniger Schminke), und jetzt studierte er seit vier Semestern Betriebswirtschaft in Berlin. Ganz fleißig, soweit ich das beurteilen konnte. Er hatte sich allein um seinen Studienplatz gekümmert und sich ein Zimmer in einer WG gesucht. Mehr als 600 Kilometer entfernt von unserem Zuhause in München. Ging doch. Seit ein paar Monaten war er außerdem mit Anne zusammen, einer Jurastudentin, die den WhatsApp-Fotos nach, die er uns geschickt hatte, einen sehr netten Eindruck machte. Also alles bestens.

»Unser Großer ist auch ein anständiger Junge geworden«, erklärte ich. »Ich bin sicher, Isabel wird ihren pubertären Dauerflash bald überwinden.«

Vielleicht gelang es mir ja doch noch irgendwie, Isabel zum Lernen zu bewegen, damit sie die Versetzung schaffte. Vielleicht, wenn ich ihr sagte, dass sie sich zur Belohnung dann bei Germanys Next Topmodel bewerben durfte. (Andererseits: Vielleicht war Sitzenbleiben doch gar nicht so schlimm ...)

»Isabels Mitarbeit im Unterricht lässt allerdings mehr als zu wünschen übrig«, riss Frau Scholler-Borstig mich aus meinen Gedanken. »Sie ist mir viel zu still.«

»Na ja, Latein ist schließlich auch eine tote Sprache.« Ich biss mir auf die Lippen, aber da war es mir schon rausgerutscht. Frau Scholler-Borstig runzelte ihre junge Stirn.

»Ich lasse das Lateinische in meinem Unterricht durchaus lebendig werden«, erklärte sie würdevoll.

Dann hielt sie mir einen Vortrag über die Bedeutung der lateinischen Sprache im Hinblick auf die kulturelle Entwicklung Europas und dass sie im Übrigen unbedingte Voraussetzung für viele interessante Studiengänge sei. Isabel dürfe sich durch reine Faulheit nicht ihre Zukunft ruinieren und so weiter, und so weiter. Schon vom Zuhören wurde mir ganz schwindelig.

Während sie redete, gab mein Handy in der Tasche zweimal hintereinander einen Piepston von sich. Ich hätte jetzt gerne nachgesehen, wer mir da geschrieben hatte. Aber Frau Scholler-Borstig sah mich so streng an, dass ich nicht wagte, das Telefon hervorzuholen. Wahrscheinlich hätte sie mich ohne mit der Wimper zu zucken zum Nachsitzen verdonnert.

»Ich müsste dann allmählich mal gehen«, sagte ich, als sie endlich eine Pause machte, um Luft zu holen. »Mr. Spock wartet auf mich.«

»Mr. Spock?« Für einen Moment verlor Frau Scholler-Borstig beinahe die Fassung. »Oh. Haben wir etwa einen neuen Kollegen im Fachbereich Englisch bekommen?«

»Nein, nein.« Ich unterdrückte ein Grinsen. »Und übrigens auch keinen neuen Kollegen für den Fachbereich Klingonisch oder wie immer das heißt. Mr. Spock ist unser Hund. Er sitzt unten im Schulhof neben den Fahrradständern, und ich befürchte, es wird ihm ein bisschen zu viel, wenn gleich die große Pause losgeht und die Kinder um ihn herumtoben. Er ist nicht mehr der Jüngste.«

Frau Scholler-Borstig nickte mit schmalen Lippen und entließ mich gnädig.

Ich versprach ihr, gleich heute Abend ein ernstes Wort mit Isabel zu reden, und war froh, als ich das Klassenzimmer wieder verlassen konnte. Lieber zwei Stunden mit einem alten arthritischen Hund spazieren gehen, als mir weiter von Frau Scholler-Borstig ein schlechtes Gewissen machen zu lassen.

»Komm, Spock!«

Vor der Schultür band ich die Leine los, worauf der Hund erst mal seine großen spitzen Ohren aufrichtete, sich dann erhob und ganz allmählich in Bewegung setzte. Wahrscheinlich war er nicht nur arthritisch, sondern auch taub.

Mr. Spock war ein Relikt aus alten Zeiten, aus der Frühphase unserer Familie, als Isabel und Bastian noch kleine Kinder waren und ich in einem schwachen Moment ihrem monatelangen Gequengel nachgegeben hatte. (»Mama, alle haben einen Hund! Wir wollen unbedingt auch einen! Bitte, bitte! Wir gehen auch jeden Tag ganz oft mit ihm Gassi!«) Wir waren ins Tierheim gefahren und zwei Stunden später mit dem niedlichsten aller schwarz-braun-weiß gescheckten Mischlingswelpen, die da auf uns zugetapst waren, wieder nach Hause gekommen. Er war schätzungsweise halb Pudel, halb Schäferhund. Und vielleicht auch noch ein bisschen Eichhörnchen. Keine Ahnung, welche edle Rasse ihm seine erstaunlichen Ohren vererbt hatte. Aber wenigstens stand damit sofort fest, wie er heißen würde. (Auch wenn Daniel den Kindern damals erst mal ein bisschen was über Star Trek erzählen musste.)

Dabei war eigentlich von Anfang an klar gewesen, dass am Ende alles an mir hängen bleiben würde. Die täglichen Spaziergänge mit einem Satz schwarzer Bello-Beutel in der Jackentasche (und vor allem der Gebrauch der kleinen Plastiktüten). Die Suche nach den Flip-Flops und Gummistiefeln, die Mr. Spock (zumindest in seinen ersten Lebensjahren) regelmäßig von den Terrassen der Nachbarhäuser klaute und irgendwo gut versteckt in unserem Garten deponierte. Das Verabreichen von hinterlistig in drei Salamischeiben eingewickelten, weil vermutlich übel schmeckenden Anti-Arthritis-Tabletten seit einigen Jahren ... All das eben, was das lange Leben mit einem Hund ausmacht.

Ich mochte Mr. Spock und ging gern mit ihm spazieren. Nicht nur, wenn es so schön sonnig war wie heute. Auf diese Weise konnte ich mir jeden Tag einreden, ausreichend Sport gemacht zu haben. Wenngleich eher in Zeitlupe.

Mr. Spock war ruhig, er bellte nicht (selten), biss nicht (wirklich nie!) und hörte (manchmal), wenn man seinen Namen rief. Aber vor allem fand ich es schön, jemanden an meiner Seite zu haben, jetzt, wo die Kinder groß waren und Daniel mit seiner Uni-Karriere schwerst beschäftigt war.

Ich war die Gattin des Münchner Biologieprofessors Prof. Dr. Daniel Herold, international gefragter Experte für Amöbenforschung. Ich hatte allen Anlass, stolz auf ihn zu sein. Wenn er nicht im Labor mit seinen Petrischalen und Pipetten herumhantierte oder im Hörsaal die Studenten mit seinen unverständlichen Vorlesungen verwirrte, dann schrieb er entweder an einer weiteren Enzyklopädie über die Fortpflanzung von Mikroorganismen, oder er nahm irgendwo in der Welt an einem wissenschaftlichen Symposium teil und hielt dort einen Vortrag vor Fachleuten aus der Amöbenszene oder solchen, die es werden wollen. Ich fand es wunderbar, die Frau eines Experten für Liebesdinge zu sein. Auch wenn sich sein Spezialgebiet weniger auf das Wesen der Frau als auf einen Einzeller bezog, der über keine feste Körperform verfügt. (Was Letzteres betraf, wurde ich einer Amöbe immer ähnlicher, wenn ich es mir recht überlegte. Ich war mir nicht sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.)

Während ich mit dem Hund nach Hause schlenderte, las ich die beiden Nachrichten auf meinem Handy.

Die erste hatte Isabel geschrieben: »Und? Was sagt FSB? Dass ich ’ne Fünf in Latein kriege? Ist mir doch egal. Latein ist was für Idioten. Ich bin heute Abend übrigens nicht zum Essen da. Ciao.«

FSB? Frau Scholler-Borstig? Ich seufzte. Dann las ich die zweite Nachricht. Sie war von Daniel:

»Wartet nicht mit dem Abendessen auf mich. Heut wieder Biologenstammtisch. Wird spät. Bussi.«

Gut, dass Mr. Spock wenigstens kein Handy hatte.

Kapitel 2

Wir bogen in den Akazienweg ein, ein so vertrauter Anblick schon seit fast vierzehn Jahren: Die Straße säumten hübsche kleine Jugendstilvillen in Weiß, Gelb, Hellblau und Rosa, mit blumengeschmückten Balkonen, Erkern und Säulen. Die Vorgärten waren dekoriert mit kugelig gestutzten Buchsbäumchen, bunt bepflanzten Trögen – oder aber mit kaputten Fußbällen, Skateboards und schnell hingeworfenen Kinderfahrrädern, je nachdem, wer im Haus wohnte.

Die Linden auf dem schmalen Grünstreifen rechts und links am Fahrbahnrand hatten vor ein paar Tagen angefangen zu blühen und zu duften, was ein Traum war. (Sofern man eine Garage hatte und nicht an der Straße parken musste, weil einem dann ständig dieses klebrige Zeug vom Baum aufs Auto tropfte.) Weshalb unsere Straße Akazienweg hieß, obwohl dort Linden wuchsen, war mir seit jeher schleierhaft.

Erst war ich skeptisch gewesen, als Daniel damals vorschlug, unsere gemütliche Schwabinger Dachwohnung aufzugeben und hierher nach Nymphenburg zu ziehen. Aber als ich dann diese entzückende kleine Gründerzeitvilla mit den grünen Fensterläden und dem winzigen Zwiebelturm auf dem Dach vor mir sah, war ich sofort Feuer und Flamme. Wir mussten zwar noch eine Menge renovieren, aber jetzt sah unser Zuhause wunderschön aus. Daniel hatte es von seiner verstorbenen Großtante Irmi geerbt. Trotz seines anständigen Professorengehalts hätten wir uns so ein Häuschen in einer der feinsten Gegenden Münchens vermutlich selbst niemals leisten können, zumal mein finanzieller Beitrag zur Haushaltskasse eher gering war.

Weil es früher mal mein Traum gewesen war, Schriftstellerin zu werden, hatte ich Literatur- und Kommunikationswissenschaften studiert. Anschließend hatte ich eine Zeit lang in der Marketingabteilung einer großen Versicherung gearbeitet, danach bei einer Bank, mich dann aber bald den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zugewandt: Ich gab den Job auf, um mich voll und ganz Mann, Kindern, Hund, Haus, Garten und Goldfischteich zu widmen. Damit hatte ich genug zu tun, jedenfalls solange die Kinder klein waren.

Seit ein paar Jahren arbeitete ich ab und zu als freiberufliche Texterin für eine kleine Werbeagentur. Für eine sehr kleine Werbeagentur. Ehrlich gesagt war es ein Ein-Mann-Betrieb. Zu unseren Kunden gehörten in erster Linie bescheidene Unternehmen im Viertel, die den ganz großen Geschäftserfolg noch vor sich hatten. Von mir stammten der hübsche Name für die neue Änderungsschneiderei »Verflixt und zugeknöpft« oder der vielsagende Slogan, der seit einem halben Jahr auf den Einkaufstüten der örtlichen Bio-Bäckerei zu lesen war: »Bestes Brot von Rosenegger – Nymphenburgs beliebter Bäcker«. Das mochte zwar nicht besonders anspruchsvoll klingen, aber mir machte es Spaß und gab mir das angenehme Gefühl, mein Studium nicht völlig umsonst gemacht zu haben, nachdem es mit der Karriere als Autorin von historischen Liebesromanen schon nicht geklappt hatte. Dabei hatte ich es vor einem Jahr noch einmal ernsthaft versucht. Anstatt die Abende vor dem Fernseher zu verbringen, hatte ich mich mit meinem Laptop in Bastians verwaistes Jungenzimmer zurückgezogen und einen 856 Seiten starken Schmöker mit dem Titel »Das Vermächtnis der katalanischen Henkerstochter« in die Tasten getippt, eine wildromantische Geschichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in der es um jede Menge Liebe, Leidenschaft, Verrat und Versöhnung ging. Ich schickte mein Manuskript an zehn Verlage und bekam postwendend zehn Absagen. Immerhin war der eine Verlag so aufmerksam und empfahl mir, mich bei meinem nächsten Romanprojekt doch bitte intensiver mit den historischen Hintergründen auseinanderzusetzen. Aber für eine intensive Auseinandersetzung mit historischen Hintergründen hatte ich nun mal keine Zeit. Deshalb beschloss ich, von Romanprojekten aller Art erst mal Abstand zu nehmen und meine gesamte Kreativität dem Verfassen von Werbetexten zu widmen. Darin war ich etwas besser.

Unser Gartentor gab das vertraute Quietschen von sich, als ich es öffnete und hinter dem Hund eintrat. Mr. Spock stürzte sich sofort auf die flache marmorne Vogeltränke, die neben der Treppe zur Haustür stand, und schlabberte geräuschvoll eine Ladung Wasser. Ich fragte mich, ob er möglicherweise an Diabetes litt. Der Tierarzt hatte neulich so etwas angedeutet.

Noch während ich darüber nachdachte, zuckte ich erschrocken zusammen: Wo – zum Henker! – waren meine Pfingstrosen?

Vor dem Haus stand mein ganzer gärtnerischer Stolz. Jedenfalls das, was bis vorhin mein ganzer gärtnerischer Stolz gewesen war: ein prächtiger Busch Pfingstrosen, der sich von Jahr zu Jahr üppiger entwickelte, aus dessen Blättern jetzt allerdings nur noch etliche leere Stängel ragten. Vier kümmerliche rosa Blüten konnte ich entdecken, der Rest war weg.

Ich starrte auf den geplünderten Busch. Gestern Abend waren es noch neunzehn Stück gewesen. Ich hatte sie nachgezählt, weil ich gerade sonst nichts zu tun gehabt hatte, vor allem aber weil ich meine Pfingstrosen liebte und mich so gefreut hatte, dass in diesem Jahr so viele Blüten gekommen waren. Und jetzt das. Fünfzehn Blüten futsch. Der Strauch praktisch nackt. Ein Pfingstrosenmassaker direkt vor meiner Haustür!

Es musste eben erst passiert sein, während ich bei Frau Scholler-Borstig gewesen war.

»Ach, Spock«, seufzte ich in Ermangelung eines anderen Gesprächspartners. »Isa ist doch heute später zur Schule gegangen, da hätte sie ja ruhig mal ein bisschen aufpassen können, wenn sie schon kein Latein lernt.«

Der Hund sah kurz zu mir und meinem botanischen Elend herüber, machte aber nicht den Eindruck, als wolle er umgehend die Fährte des Blumendiebs aufnehmen. Ich holte die Post aus dem Briefkasten und schloss die Haustür auf, worauf Spock schwerfällig die drei Stufen hinaufhopste.

Während ich in der Diele die Schuhe von den Füßen streifte, sah ich kurz die Briefe durch. Die Telefonrechnung, drei Werbesendungen, irgendwas von unserer Krankenversicherung und ein handbeschriebener Briefumschlag.

Welch eine unglaublich schöne Schrift, dachte ich – dunkelgrüne Tinte! –, aber da stellte ich fest, dass dieser Brief gar nicht an uns addressiert war.

Laura Caspari, stand in hübsch geschwungenen Buchstaben auf dem Kuvert. Die Adresse darunter war allerdings die unsere: Akazienweg 23 in München. Auch die Postleitzahl stimmte. Komisch. Wer war Laura Caspari?

Wie ich feststellte, war dieser Brief weit gereist. Die Briefmarke sah exotisch aus: ein pinkfarbener Schmetterling auf gelbem Grund mit irgendwelchen asiatischen Schriftzeichen drumherum. Ich schaute mir den Poststempel genauer an und las: Hongkong. Vor fünf Tagen abgeschickt und schon angekommen.

Allerdings im falschen Briefkasten.

Ich drehte den Brief um, damit ich sehen konnte, an wen ich den Irrläufer zurückschicken musste. Aber es stand kein Absender darauf. Das Einzige, was ich las, waren vier verschnörkelte grüne Buchstaben: Alex.

Vielleicht, dachte ich, hatte sich dieser Alex einfach bei der Hausnummer geirrt.

»Komm, Spock, wir drehen noch eine kleine Runde.«

Gemächlich ging ich mit dem Hund den Akazienweg einmal auf und ab. Wie es der Name nahelegt, handelte es sich bei der unseren um keine allzu große Straße. Hausnummer eins bis 33 auf der einen Seite, zwei bis 34 auf der anderen. Ich überprüfte sämtliche Haustüren und Gartentore, aber auf keinem Klingelschild stand der Name Caspari.

Zu Hause legte ich den Brief schulterzuckend zu der anderen Post auf die Kommode.

Kapitel 3

Isabel kam am Abend um zwanzig nach neun nach Hause und schleuderte ihre Schultasche in die Ecke. Die Sneakers flogen gleich hinterher. Sie hatte gerade ihre schwarze Phase und sah fast so aus, als käme sie von einer Beerdigung: schwarze Strumpfhose (mit demonstrativ dicker Laufmasche vom Knie bis zum Knöchel), schwarzes T-Shirt, schwarzer Rock, wobei man dieses ultrakurze Stück Stoff über ihren Hüften eigentlich nicht wirklich als Rock bezeichnen konnte. Aber mich über ihre Garderobe aufzuregen, das hatte ich längst aufgegeben.

Nicht aber über ihren mangelnden Ordnungssinn.

»Räum deine Klamotten ordentlich weg. Und wieso kommst du so spät?«

»Jetzt chill mal, Mama. Die Sachen brauche ich morgen sowieso gleich wieder, und ich hab dir doch geschrieben, dass ich nicht zum Abendessen hier bin.«

Sie holte sich ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank und trank gleich aus der Flasche. Meine Aufforderung, »Nimm dir doch bitte ein Glas«, überhörte sie geflissentlich.

»Hast du mal auf die Uhr gesehen, Isa? Es ist gleich halb zehn, und so wie ich dich kenne, hast du noch nicht einen Strich Hausaufgaben gemacht.«

»Ich hab keine auf.«

»Dann geh die Lateinvokabeln der vergangenen drei Monate durch. Frau Scholler-Borstig hat gesagt, dass du da eine Menge nachzuholen hast.«

»Die kann mich mal, die olle Scholle.«

»Isabel!«

»Ist doch wahr!«

»Wenn du nicht allmählich in die Puschen kommst, bleibst du in diesem Jahr sitzen.«

»Na und? Flo und Vicky und Luisa bleiben auch sitzen. Wir wollen sowieso zusammenbleiben.«

So kam ich irgendwie nicht weiter.

»Wo warst du überhaupt den ganzen Abend?«

»Auf der Schlosskanalbrücke. Mit Flo und Vicky und Luisa und den anderen. Wir haben Vickys Geburtstag gefeiert. War ein cooler Sonnenuntergang.«

Kein Wunder, dass Isabels Freunde die Klasse nicht schafften, wenn sie den ganzen Tag draußen herumhingen. Andererseits waren sie da wenigstens an der frischen Luft. Die alte steinerne Fußgängerbrücke über den Nymphenburger Schlosskanal hatte sich in letzter Zeit – zum Leidwesen der näheren Anwohner – zu einem weiteren Freizeit-Hotspot in München entwickelt. Scharen von zumeist jungen Leuten trafen sich dort bei schönem Wetter regelmäßig abends zu spontanen Straßenpartys. Die Brücke hatte eine breite Brüstung, auf der man prima sitzen und in der Ferne den Sonnenuntergang am Schloss Nymphenburg bestaunen konnte.

»Und was habt ihr da gemacht?«

»Flo hat Gitarre gespielt. Mir hat er auch ein paar Griffe beigebracht.«

»Gitarre? Es wäre schön, wenn du mal wieder ein bisschen Klavier spielen würdest. Wofür haben wir dir eigentlich jahrelang Klavierunterricht bezahlt? Das Ding steht nur noch im Wohnzimmer herum und verstaubt ...«

»Klavier ist doch voll dämlich, Mama. So ein Tastengeklimper braucht kein Mensch. Du spielst doch auch nicht mehr, obwohl du es früher mal gelernt hast. Gitarre ist cool. Ich will Gitarre lernen. Und zwar E-Gitarre!«

Vielleicht war das ein Ansatzpunkt.

»Meinetwegen können wir darüber reden, wenn du dieses Schuljahr geschafft hast. Aber dafür musst du erst mal vernünftig Latein lernen.«

»Lernen, lernen«, äffte Isabel mich nach. »Kannst du mir mal erklären, wofür ich dieses bekloppte Latein irgendwann mal gebrauchen kann?«

Ich erwog kurz, meiner Tochter die Sache mit der europäischen Kultur zu erläutern, aber ich hatte das sichere Gefühl, dass das bei ihr keinen großen Eindruck machen würde.

»Es gibt ein paar Dinge, die muss man einfach lernen, Isa. Da merkt man dann erst später, wofür sie gut sind.« Ich befürchtete, das klang in den Ohren einer Fünfzehnjährigen nicht besonders überzeugend. Es klang nicht mal in meinen eigenen Ohren überzeugend.

»Ich will sowieso nicht studieren. Ich will Musik machen. Wir gründen eine Band, Vicky, Luisa und ich. Wir wissen auch schon, wie wir uns nennen. The Stitching Bitches. Klingt krass, oder?«

»Die stickenden Schlampen? Ähm. Okay. Wenn’s euch gefällt ...«

Immerhin schienen ein paar Vokabeln vom Englischunterricht hängen geblieben zu sein.

»Die Idee mit dem Namen hatte Vicky.«

Na ja. Immerhin schienen bei einer ihrer Freundinnen ein paar Vokabeln vom Englischunterricht hängen geblieben zu sein.

»Und ich werde die Leadsängerin der Stitching Bitches!«

»Tatsächlich? Donnerwetter! Und was singt ihr?«

»Ach, Punk und so, alles Mögliche. Aber davon hast du doch sowieso keine Ahnung, Mama. Es ist nicht Abba!«

»Aha.«

Ich nutzte die halbwegs friedliche Stimmung in der Küche, um sie vielleicht doch noch davon zu überzeugen, etwas zu essen.

»Magst du ein paar Spaghetti?«

»Welche Soße?«

»Bolognese.«

»Igitt. Ich hasse Hackfleisch. Ich bin jetzt Vegetarierin. Warum machst du nicht einfach was mit Tomate?«

Offenbar konnten sich die geschmacklichen Vorlieben eines pubertierenden Mädchens innerhalb von vierundzwanzig Stunden grundlegend ändern. Gestern Abend hatte sich Isabel noch darüber beschwert, dass ich immer nur so ein »ekliges Gemüsezeug« und nicht »mal wieder was richtig Tolles wie Spaghetti bolognese oder so« kochen würde.

Wahrscheinlich hatte einer aus der Flo-Vicky-Luisa-Clique im Laufe des Tages irgendetwas Ablehnendes über Hackfleisch verlauten lassen. Und das wusste man ja, dass die Meinungen der Freunde für eine Fünfzehnjährige etwa den Stellenwert haben wie die Zehn Gebote für den Papst.

»Ich geh jetzt duschen«, erklärte Isabel, schnappte sich einen Apfel aus der Obstschale und rauschte aus der Küche. Übersetzt hieß das: »Rechne bitte nicht damit, innerhalb der nächsten eineinhalb Stunden das Badezimmer benutzen zu können.«

Ich spannte eine Zellophanfolie über die Soßenschüssel und schob sie in den Kühlschrank. Vielleicht hatte Daniel ja noch ein bisschen Appetit, wenn er von seinem Stammtisch nach Hause kam.

Mr. Spock schlich in die Küche und blickte mich mit seinem sehr speziellen Ich-bin-ein-alter-kranker-Hund-und-habe-Hunger-Blick an, worauf ich ihm ein paar Spaghetti in seinen Napf gab, die er begeistert auffraß. Ich ärgerte mich, dass ich nicht daran gedacht hatte, wenigstens seine Arthritistablette unter die Nudeln zu schmuggeln, wenn ich schon seine vom Tierarzt verordnete Diät ignorierte.

Kapitel 4

»Na, wie war dein Tag?«

Daniel steckte den Kopf ins Badezimmer, als ich schon dabei war, mir die Zähne zu putzen. Es war nach Mitternacht.

»Alles okay«, grunzte ich mit Schaum im Mund. Es war gerade nicht der richtige Zeitpunkt, um ihm von Isabels Schulproblemen und den geklauten Pfingstrosen zu erzählen.

Daniel gab mir im Vorbeigehen einen schnellen Kuss auf die Wange, der schwach nach Bier und Knoblauch roch. Dann klappte er den Klodeckel auf. Immerhin war er so anständig, mit aufgeklappter Klobrille zu pinkeln.

»Professor Jaspers war heute beim Stammtisch«, erzählte er, während er die Spülung zog und sich die Jeans wieder zuknöpfte. »Erinnerst du dich an ihn? Der Kollege, der vor drei Jahren einen Ruf nach Berkeley bekommen und seitdem in Kalifornien gearbeitet hat. Er ist jetzt wieder in München.«

Ich trat einen Schritt zur Seite, damit Daniel Platz hatte, um sich die Hände zu waschen. Ich war mit dem Zähneputzen fertig und konzentrierte mich darauf, die frisch erworbene Revitalizing Supreme Globale Anti-Aging Creme Q10 plus in meine Gesichtshaut einzuarbeiten. Hoffentlich war der Name dieses Produktes nicht länger als seine Wirkungszeit. Ich hatte das Zeug erst gestern gekauft, und es war irrsinnig teuer gewesen. Aber wenn man auf die fünfzig zuging, musste man etwas in seine Optik investieren, koste es, was es wolle, damit man nicht am Ende aussah wie eine überdimensionale Rosine. Nach dem, was auf dem Beipackzettel stand, sollte ich morgen früh frisch, glatt und strahlend schön aussehen wie Schneewittchen. Also irgendwie ganz anders als sonst. Hoffentlich erkannte Daniel mich dann noch wieder.

»Die arbeiten da in Berkeley gerade an einer Weiterentwicklung ihres Fluoreszenzmikroskops«, erzählte er und drückte sich einen Streifen Zahnpasta auf seine Zahnbürste. »Super Sache. Vielleicht wäre das auch was für unser Institut.«

»Hmm«, machte ich, während ich noch intensiv mit Cremetupfen beschäftigt war. Serum Idealist Pore Minimizing Skin Refinisher diesmal. Ich wollte antifaltentechnisch auf Nummer sicher gehen, deshalb benutzte ich gleich zwei Cremes.

»Unsere neue Doktorandin hat voriges Jahr zwei Semester bei ihm gearbeitet und meint auch, diese Anschaffung würde sich lohnen. Mal sehen, was unser Etat für dieses Jahr noch hergibt.«

Daniel war ein seltener Fall von multitaskingfähigen Männern. Er konnte sich die Zähne putzen und gleichzeitig halbwegs verständlich mit mir reden. »Und was gab’s bei dir heute?«

»Isa macht gerade ziemlichen Stress. Weißt du, dass sie dieses Schuljahr wahrscheinlich sitzen bleibt? Ich war heute bei ihrer Lateinlehrerin. Sieht schlecht aus.«

»So schlimm? Und Mathe?«

»Genauso schlimm. Und Physik auch.«

»Echt? Mist.«

»Sie hat einfach keine Lust auf Schule. Kannst du mal mir ihr reden?«

»Klar. Am Wochenende habe ich ein bisschen Zeit. Dann rede ich mit ihr. Das muss doch zu schaffen sein. Es sind noch fast drei Monate bis zu den Zeugnissen, und sie ist doch nicht blöd.«

»Sie hat gerade ganz was anderes im Kopf. Wusstest du, dass sie Gitarre spielen lernen möchte?«

Statt einer Antwort spuckte Daniel den Zahnpastaschaum ins Waschbecken und spülte sich den Mund aus.

Als er zehn Minuten nach mir ins Schlafzimmer kam, lag ich schon im Bett, drehte mich aber noch mal zu ihm um.

»Hast du das mit den Pfingstrosen gesehen?«

»Nein, wieso? Welche Pfingstrosen?«

Er zog sich die Socken von den Füßen.

»Die im Vorgarten. Irgendwelche Idioten haben die Blüten geklaut, fast alle.«

»Wer?«

»Keine Ahnung.«

»Das ist Pech. Aber im nächsten Jahr blühen sie wieder.«

Mit einem wohligen Seufzen streckte er sich neben mir aus. Ich streichelte seinen Oberarm.

»Aber ich hatte mich dieses Jahr so sehr auf die Pfingstrosen gefreut. So viele hatten wir noch nie.«

»Wird schon«, murmelte Daniel nur und rollte sich zur Seite. Das war sein sehr diplomatischer Hinweis darauf, dass er einen langen, anstrengenden Tag hinter sich hatte, morgen früh raus musste und deshalb jetzt gerne auf Kommunikation jeder Art verzichten und lieber schlafen würde.

Aber ich war noch nicht ganz fertig mit meiner abendlichen Lagebesprechung.

»Kennst du eine Laura Caspari?«

Daniel überlegte eine Sekunde, dann brummte er in sein Kopfkissen: »Caspari? Nie gehört. Warum?«

»Nur so. Heute kam ein Brief bei uns an. Da stand dieser Name drauf. Und als Absender nur Alex, ohne irgendeine Adresse.«

»Einen Alex kenne ich auch nicht.«

»Vielleicht wohnte diese Laura früher mal hier? Könnte das eine Verwandte von Tante Irmi sein?«

»Tante Irmi hatte keine weiteren Verwandten, Schatz, sonst hätten wir dieses Haus nicht geerbt. Vielleicht weiß Tim von nebenan was, der wohnt schließlich schon länger hier als wir. Oder bring den Brief zur Post, sollen die sich doch darum kümmern. Oder noch besser: Wirf ihn einfach in den Müll. Wer seine eigene Adresse nicht auf den Umschlag schreibt, ist selbst schuld.«

Kurz darauf hörte ich ein leises, regelmäßiges Pfeifgeräusch. Sehr beneidenswert, dass Männer in einen Tiefschlaf fielen, sobald sie ein paar Sekunden lang in der Horizontalen lagen.

Nicht dass ich damit gerechnet hätte, es könnte an diesem Abend noch zu einem intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten zwischen uns kommen. Wir waren schon so lange verheiratet, da verabreichte man sich derlei Vergnügungen eher übers Jahr verteilt in homöopathischen Dosen. Und wir hatten erst neulich wieder Sex gehabt. Also relativ neulich. An Fasching, genauer gesagt. Nach dieser bemerkenswerten Faschingsdienstagsballnacht im Deutschen Theater, zu der mich Daniel nach wochenlangem Zureden freundlicherweise begleitet hatte. Und davor? Weihnachten, glaubte ich. Aber welches Weihnachten? Im vorigen oder vorvorigen Jahr? Ich wusste es wirklich nicht mehr. Aber immerhin hatten wir noch ein- oder zweimal im Jahr etwas miteinander, Daniel und ich. Das konnten nicht alle Paare, die schon seit fast einem Vierteljahrhundert zusammen waren, von sich behaupten.

Kapitel 5

Am nächsten Tag fuhr ich extra zur nächsten Poststelle und gab den Brief dort ab.

»Der ist nicht an uns. Aber es steht auch kein Absender darauf.«

Der Mann hinter dem Schalter sah kurz auf den Umschlag und warf den Brief dann neben sich in eine Kiste.

»Darum sollen sich die Experten von der Briefermittlungsstelle kümmern.«

»Ah. Und was tun die, damit er richtig zugestellt wird?«

»Ich schätze, die werden ihn aufmachen und nachsehen, ob es im Brief einen Hinweis auf eine Adresse gibt. Manchmal findet man da was.«

Irgendwie hatte das mit der Ermittlungsstelle bei der Post nicht geklappt. Einen Tag später lag der Brief an Laura schon wieder in unserem Briefkasten. Na, das war dann eben wirklich Pech, dachte ich, legte ihn auf den Stapel mit den alten Zeitungen und ging in den Garten, um nach den Goldfischen zu sehen. Dabei stellte ich fest, dass der Rasen schon wieder knöchelhoch stand und dringend gemäht werden müsste. Ich hatte den Eindruck, dass das Gras besonders schnell wuchs, seit Bastian in Berlin wohnte. Bis dahin nämlich hatte sich unser Sohn mehr oder weniger regelmäßig um das Rasenmähen gekümmert. (Das war unser einvernehmlicher Kompromiss nach langwierigen Taschengeld-Erhöhungsverhandlungen gewesen: Mehr Geld gegen mehr gärtnerische Tätigkeiten.) Jetzt hing alles wieder an Daniel und mir. Eigentlich nur an mir, weil Daniel so wenig Zeit hatte und ich sowieso meistens zu Hause war.

Mr. Spock trabte ein paar Schritte neben mir her, dann legte er sich in den Schatten unseres Pflaumenbaums, um ausgiebig zu dösen.

»Hallo, Tim!«

Auf der anderen Seite des Zauns stand unser Nachbar in seinem Garten und vollführte eine Mischung aus Box- und Tanzbewegungen in Zeitlupe. Das war seine tägliche Einheit Tai-Chi, die er bei schönem Wetter stets im Freien und in aller Ernsthaftigkeit absolvierte. Als ich ihn zum ersten Mal dabei beobachtet hatte, war ich irritiert gewesen. Aber inzwischen hatte ich mich an diesen Anblick gewöhnt.

Tim war ein paar Jahre jünger als Daniel und ich, neununddreißig genau genommen. Ein schlanker, durchtrainierter Typ, der sein Kinn mit einem wöchentlich wechselnden, raffiniert ausrasierten Bartmuster schmückte und seinen wohlgeformten Körper stets so picobello kleidete, wie aus einem Werbeprospekt für Männermode ausgeschnitten. Ein sehr schöner Mensch, der aber leider für die Frauenwelt verloren war.

Tim war die eine Hälfte von Tim und Struppi, einem schwulen Pärchen, das schon im Haus nebenan gewohnt hatte, als wir Tante Irmis Zwiebelturmvilla erbten. Genauer gesagt war Tim bis vor Kurzem die eine Hälfte dieses Paares gewesen, wobei er und sein Partner nicht wirklich wie die Comicfiguren hießen, sondern Timotheus Hollenberg und Wolfgang Strupinski. Aber da die beiden (normalerweise) sehr viel Sinn für Humor besaßen und (normalerweise) unzertrennlich waren, nannte niemand sie bei ihren richtigen Namen.

Tim, ein umtriebiger Typ, der seine Freizeit größtenteils schwitzend auf Laufband und Rudermaschine verbrachte, und Struppi, ein eher gemütlicher Mensch mit spärlichem blondem Haarkranz und umfangreicher Kenntnis US-amerikanischer TV-Serien, waren jahrelang schwer ineinander verliebt gewesen. Doch vor ein paar Tagen hatte Struppi plötzlich seine Sachen gepackt. Er holte seine Jamie-Oliver-Kochbücher, seinen stufenlos verstellbaren Relax-Fernsehsessel und seine X-Box aus dem Haus, räumte sie in seinen grasgrünen VW-Bus und zog aus. Keine Ahnung, was passiert war. Aber ich hatte den Eindruck, dass Tim seitdem noch öfter in den Fitnessclub ging und abends noch länger im Büro saß.

Unsere Nachbarn (ich konnte mich noch nicht ganz daran gewöhnen, dass Struppi nicht mehr dazugehörte) waren äußerst liebenswürdige Menschen. Sie kümmerten sich immer um unseren Garten, wenn wir in den Urlaub fuhren – und auch gelegentlich um den Hund, wenn wir mal länger irgendwohin unterwegs waren, wo man Hunde nicht mitnehmen konnte.

Gleichzeitig war Tim mein Arbeitgeber. Er betrieb in seinem Haus die kleine Werbeagentur, von der ich ab und zu meine Jobs als Texterin bekam.

»Sag mal, Tim, wo ich dich gerade treffe: Weißt du, ob hier in der Nachbarschaft irgendwo eine Laura Caspari wohnt? Oder ob die hier mal irgendwo gelebt hat?«

»Laura Caspari?« Tim verharrte für einen Moment im Ausfallschritt, die Arme weit ausgebreitet, und überlegte, dann schüttelte er den Kopf.

»Der Name sagt mir leider nichts. Wieso fragst du?«

Ich erklärte ihm die Sache mit dem ominösen Brief. Aber Tim konnte mir auch nicht weiterhelfen. Stattdessen meinte er, dass er wieder einen kleinen Auftrag für mich habe, wenn ich interessiert sei.

Natürlich war ich interessiert. Sehr sogar. Da weder der Hund noch die Goldfische einen besonders kommunikativen Eindruck machten, freute ich mich, dass wenigstens der Nachbar mit mir reden wollte.

»Wenn du Zeit hast, komm doch gleich mal rüber.«

»Mach ich.«

Tim hatte einen runden weißen Tisch und zwei Stühle mitten auf den Rasen gestellt, als ich zu ihm in den Garten kam.

»Das ist der Vorteil, wenn man sein Büro zu Hause hat«, erklärte er und bat mich mit einer einladenden Geste, Platz zu nehmen. »Man kann bei schönem Wetter auch im Freien arbeiten.« Er goss uns zwei Gläser Mineralwasser ein, dann fuhr er fort: »Es geht um eine kleine Werbekampagne für einen Friseurladen. Wobei der Begriff ›Kampagne‹ etwas übertrieben ist. Im Grunde geht es nur darum, einen Flyer zu entwerfen, der demnächst hier in der Gegend in sämtlichen Haushalten verteilt werden soll.«

Tim klappte den Laptop auf, der auf dem Tisch stand. Sogleich erschien ein bildschirmfüllendes Foto, das ihn und Struppi, bekleidet nur mit Badeshorts und mit Sonnenbrille im Gesicht, breit grinsend vor makellos blauem Himmel zeigte.

»Ich glaube, ich muss dringend meinen Bildschirmhintergrund ändern«, murmelte er, während er eine Textdatei aufrief. »Das war im Urlaub voriges Jahr in Positano. Als die Welt noch in Ordnung war.«

»Sag mal, Tim, was ist denn eigentlich los mit dir und Struppi? Ist er tatsächlich ausgezogen?«

Tim zuckte mit den Schultern. Er sah bekümmert aus.

»Wir haben uns gestritten. Er wohnt vorübergehend bei seiner Schwester. Er meinte, ich würde ihn nicht mehr genügend wertschätzen. Ich sei unsensibel.«

»Wieso sagt er das auf einmal? Ihr seid doch schon ewig zusammen!«

»Siebzehn Jahre, vier Monate und zwölfeinhalb Tage.«

Trotz seiner trübseligen Stimmung musste ich lächeln.

»Tim, wer in der Lage ist, die Dauer einer Beziehung auf Anhieb so exakt anzugeben, der kann nicht unsensibel sein!«

»Danke, meine Liebe. Aber du kennst ja Struppi. Er ist manchmal sehr empfindlich. Ich habe neulich bloß kurz angemerkt, dass ich mich freuen würde, wenn er ab und zu auch mal ein kleines bisschen für ... na ja, wenn schon nicht für seine Figur, dann doch wenigstens für seine Gesundheit tun könnte. Ich meine, ich tue doch auch was für mich – oder?«

Tim strich sich ein wenig kokett mit beiden Händen über die Brust. Er trug ein helles, eng anliegendes Seidenshirt, unter dem sich jede einzelne Muskelfaser seines beeindruckenden Oberkörpers abzeichnete.

»Ja, Tim. Das sieht man. Aber er ist halt nicht der Typ, der jede freie Minute im Fitnessstudio schuftet.«

»Natürlich nicht jede freie Minute, Schätzchen. Doch für ein bisschen mehr als das Fernsehprogramm und das Abendessen sollte er sich doch interessieren! – Aber weißt du was?« Tim beugte sich zu mir vor. »Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass er wieder zurückkommt.«

»Wieso?«

Tim begann zu lächeln. »Er hat seine Best-of-Marianne-Rosenberg-CD-Sammlung nicht mitgenommen. Das ist ein gutes Zeichen. Ich glaube, er würde nicht wirklich weggehen ohne die CDs. Er liebt Marianne Rosenberg!«

»Oh, ja. Ich weiß.«

Jeder in der Nachbarschaft wusste, wie sehr die beiden auf Marianne Rosenberg standen. An wie vielen heißen Sommerabenden hatten wir genervt das Schlafzimmerfenster geschlossen, um nicht die ganze Nacht lang von »Er gehört zu mir« und »Marleen, eine von uns beiden muss nun gehn« beschallt zu werden.

»Ich drück dir die Daumen, dass er wiederkommt«, sagte ich.

»Danke. Das ist lieb von dir. Aber jetzt sorgen wir erst mal dafür, dass Wiebke Wiesbecks neuer Friseursalon durchstarten kann.«

Kapitel 6

In den Tagen danach vergaß ich den Brief aus Hongkong. Ich hatte genug zu tun und konnte mich nicht auch noch um die Korrespondenz fremder Leute kümmern: Ich machte mir erste Gedanken über einen Slogan für Wiebke Wiesbeck, fuhr mit Mr. Spock zu seinem jährlichen Impftermin beim Tierarzt, diskutierte mit meiner Tochter über den Zusammenhang von Schlafmangel und Konzentrationsstörungen im Hinblick auf die philosophischen Schriften Ciceros, beriet meinen Sohn telefonisch über den Unterschied zwischen Buntwäsche und Feinwäsche, brachte Daniels etwas zu eng gewordene Lieblingsjeans aus der Änderungsschneiderei (»Mehr als einen Zentimeter werde ich da aber leider nicht herausholen können!«), pflanzte die Petersilien-, Schnittlauch- und Basilikumbüsche aus den Blumentöpfen in der Küche in das Kräuterbeet im Garten, vereinbarte mit meinen Freundinnen Helen und Mona unseren nächsten Weiberabend (»Donnerstag ist Frauentag im Isarbad, Prosecco inklusive, wir besetzen ab 18 Uhr den Whirlpool, o.k.?«) – und war zutiefst verblüfft, als nach drei Tagen schon wieder ein Brief an Laura Caspari in unserem Briefkasten lag.

Erst dachte ich, es wäre derselbe wie neulich, der eine weitere Ehrenrunde gemacht hatte, nachdem Daniel ihn unbemerkt von mir noch mal zur Post gebracht hätte. Aber diesmal klebte eine andere Briefmarke darauf: eine orangefarbene Orchidee auf grünem Grund. Ansonsten alles wie beim ersten Brief: Poststempel: Hongkong, Absender: Alex, Empfänger: Laura Caspari, Akazienweg 23.

Ich kramte im Altpapierstapel und fischte zwischen den Zeitungen der vergangenen Tage den anderen Brief heraus. Dann hielt ich die beiden nebeneinander: Wie dämlich war dieser Alex eigentlich? Wenn es ihm so wichtig war, seiner Laura zu schreiben, warum, um alles in der Welt, kannte er nicht ihre richtige Adresse und warum, um alles in der Welt zum Zweiten, schrieb er keinen vernünftigen Absender darauf?

Unschlüssig wedelte ich mit den Umschlägen, als müsste ich mir erst mal frische Luft zukommen lassen, um dann zu entscheiden: Wegschmeißen? Oder Alex und Laura eine Chance geben?

Was hatte der Postmann neulich gesagt: Die öffnen den Brief, um einen Hinweis auf den Absender zu suchen? Na, das konnte ich auch.

Ich setzte mich mit meiner Kaffeetasse an den Küchentisch, zog ein Messer aus der Schublade und schlitzte vorsichtig den ersten Umschlag auf. Ich wollte nicht viel kaputt machen, schließlich gehörte der Brief ja eigentlich jemand anderem. Dann hielt ich inne. Hoffentlich war es kein Drohbrief, durchfuhr es mich. Vielleicht stand deshalb kein richtiger Absender darauf. Oder, noch schlimmer: ein Anschlag! Was, wenn da jetzt ein giftiges weißes Pulver drin war? Anthrax oder so was? In einer Fernsehserie war es neulich um solch einen Fall gegangen. Ich würde tot vom Stuhl kippen, wenn ich auch nur einen einzigen Atemzug nahm. Andererseits hätte ich dieser Laura dann das Leben gerettet.

Quatsch. Wir waren doch hier nicht bei der CIA. Ich öffnete den Umschlag. Kein Pulver, keine Briefbombe, sondern drei schlichte weiße Din-A4-Blätter lagen darin, auf Vorder- und Rückseiten eng beschrieben mit dunkelgrüner Tinte. Dieselbe schöne Schrift wie auf dem Umschlag. Reihenweise klare, gleichmäßige Schlaufen und Schlingen. Liebe Laura, stand da, Du wirst dich sicher wundern, nach all den Jahren plötzlich Post von mir zu bekommen ...

Tja, vor allem wird sie sich darüber wundern, dass er ihr keine E-Mail schreibt, dachte ich und trank einen Schluck Kaffee. Wer schickte denn in Zeiten von Internet, SMS und Facebook noch so ellenlange, umständliche Briefe? Mit Tinte! Ich las weiter:

Ich hoffe, dass Du Dich noch an mich erinnerst. Aber ja, eigentlich bin ich mir ganz sicher. Wir zwei, damals in diesem Sommer in München. Ich kann nicht sagen, ob es der schönste oder der schrecklichste Sommer meines Lebens war.

Seit ein paar Tagen sind meine Erinnerungen wieder hellwach. Ich habe Dich gesehen, Laura. Ich habe hier in meinem Hotelzimmer neulich planlos durch die Fernsehkanäle gezappt – und auf einmal zeigten sie ein Bild von Dir. Von Dir und Marco. Das glückliche Ehepaar Caspari. Du hast tatsächlich seinen Namen angenommen ...

Es war eine Wirtschaftssendung. Sie haben darüber berichtet, dass Marco jetzt richtig große Geschäfte mit einer chinesischen Firma macht. Nicht schlecht. Er ist ja ein millionenschwerer Global Player geworden. So schwer immerhin, dass sie hier einen Beitrag über ihn bringen. Ich habe den Anfang nicht mitbekommen. Ich sah nur Euch beide, wie Ihr da vor Eurem Haus in München standet. Ihr wohnt jetzt also in Deinem Elternhaus, das habe ich gleich wiedererkannt, obwohl Ihr die Fassade neu gemacht habt. Vor allem aber habe ich Dich wiedererkannt, Laura. Weißt Du, dass es jetzt bald 25 Jahre her ist? Natürlich weißt Du es; Du weißt ja, wie alt Euer Kind ist. Erwachsen ist es inzwischen. Unvorstellbar. Ob Du noch mehr Kinder bekommen hast? Die Familie war Dir doch immer so wichtig.

Ach Laura, ein Vierteljahrhundert. Das ist mein halbes Leben. Ein halbes Leben, bei dem ich so oft an Dich gedacht habe: Was mag sie gerade tun? Wie geht es ihr? Ist sie glücklich geworden mit Marco? Denkt sie noch manchmal an mich? Oder war ich nur eine kleine Episode in ihrem Leben, die sie am liebsten ungeschehen machen würde?

Ich sehe Dich noch genau vor mir, wie Du mich angelächelt hast, damals an diesem letzten Sommertag in München, obwohl es ja eigentlich schon Herbst war. Der 23. September. Das Datum werde ich nie vergessen. Wie wir beide in der Sonne saßen, oben auf dem Monopteros im Englischen Garten, und an einer der Säulen des Tempelchens lehnten. Unten auf der Wiese spielten die Leute Fußball oder Frisbee oder lagen da und schauten einfach nur in den Himmel, der so unglaublich blau war an diesem Nachmittag, als wollte der Sommer noch mal alles geben, bevor es endgültig Herbst würde. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Wir hatten eigentlich mit Freunden aufs Oktoberfest gehen wollen, es uns dann aber anders überlegt. Ich war so glücklich, als ich da an Deiner Seite saß. Ich hätte die ganze Welt umarmen mögen an diesem Tag. Vor allem aber Dich. Jedenfalls bis zu diesem einen Moment.

Wie schön Du immer noch bist, Laura. Ich glaube, Du bist eine von den Frauen, bei denen das nie vergeht. Du warst die schönste Frau, der ich je begegnet bin. Wirklich! Ich liebte die winzigen Sommersprossen auf Deiner Nase, die man nur sah, wenn man ganz genau hinschaute. Und Deine Locken. Ich habe immer gedacht, in der Sonne leuchten sie wie glühender Kupferdraht. Sie sind noch immer so rotblond und wunderbar wie damals. Und natürlich liebte ich Deine Augen. Dieser helle Blick, nicht grün, nicht blau, irgendwas Geheimnisvolles dazwischen. Ach, und Dein Lachen! Dieses mitreißende Lachen, das dem traurigsten Menschen der Welt ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hätte. Und den ganzen Rest von Dir ... aber daran will ich besser nicht mehr denken.

Ach, Laura. Ich hatte den Brief hier für ein paar Tage in meine Schublade gelegt. Ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, ob ich Dir das wirklich alles schreiben sollte. Aber jetzt tu ich’s einfach. Was habe ich denn zu verlieren? Du sollst wissen, dass Du meine große Liebe warst. Nicht nur damals, nicht nur in den paar Wochen. So wie damals ist es nie wieder geworden. Stell Dir das vor: Nie mehr bin ich einer Frau begegnet, die ich so sehr geliebt habe wie Dich. Dabei bin ich ziemlich viel herumgekommen. Ich war überall, Laura, ich habe die Welt gesehen. Ich habe sogar einmal geheiratet, aber es hat nicht geklappt. Kinder habe ich keine. Das hat sich nie ergeben.

Ich denke über mein Leben nach. Ich frage mich, ob ich glücklicher geworden wäre, wenn ich Dir nie begegnet wäre.

Versteh mich nicht falsch, Laura. Ich will Dir keine Vorwürfe machen. Ich erwarte nichts von Dir. Nicht einmal eine Antwort auf diesen Brief. Deshalb schreibe ich keinen Absender darauf. Sonst mache ich mir nur wieder irgendwelche Hoffnungen und bin enttäuscht, wenn Du nicht zurückschreibst. Oder ich lese etwas von Dir und stelle fest, dass Du eine andere geworden bist. Oder dieselbe geblieben bist. Ich weiß nicht, was ich schrecklicher fände.

Zu wissen, dass Du jetzt, gerade in dieser Sekunde, in der Du diese Worte liest, an mich denkst – das macht mich glücklich genug.

Dein Alex

Ich ließ die Blätter auf den Küchentisch sinken und starrte lang auf die grünen Buchstaben, bis sie vor meinen Augen verschwammen. Wie konnte der Mann nur solch einen Brief an die falsche Adresse schicken! Da saß er jetzt, dieser Alex, irgendwo in einem Hongkonger Hotelzimmer und stellte sich vor, was Laura nach diesem Geständnis wohl von ihm denken mochte. Sie aber hatte nicht die geringste Ahnung davon, wie sehr er sie noch immer liebte, und lebte fröhlich an der Seite ihres Marco-Millionärs. Denn nicht sie sondern ich hatte alles gelesen und fühlte mich wie jemand, der aus Versehen einem intimen Geflüster aus dem Nachbarzimmer zugehört hatte.

Vielleicht hatte Alex es sich in seinem zweiten Brief ja anders überlegt und vernünftigerweise eine Adresse angegeben? Schnell öffnete ich den nächsten Umschlag.

Diesmal lagen vier Blätter darin, beschrieben mit derselben grünen Tinte. Aber die Buchstaben waren schwungvoller, ungleichmäßiger, breiter, als hätte Alex die Zeilen in großer Eile verfasst.

Liebe Laura!

Ich bin noch nicht fertig mit dem Schreiben. Seit ich Dich wiedergesehen habe, muss ich die ganze Zeit an Dich denken. In den letzten Tagen habe ich mich durch sämtliche Zeitungskioske von Hongkong gewühlt, bis ich endlich etwas gefunden habe: eine Wirtschaftszeitung, in der etwas über Marcos Firma und seine Chinageschäfte stand. Nur ein kleiner Bericht, aber mit einem Foto von Euch beiden. Wundert mich gar nicht, dass sie Dich wieder mit aufs Bild nehmen: Du bist immer noch ein echter Hingucker. Auch mit 49 noch. Wogegen Marco ... Kann es sein, dass mit seinem Vermögen auch sein Leibesumfang dramatisch angewachsen ist? Aber das kann mir ja eigentlich völlig egal sein ...

Weißt Du was: Ich habe das Foto ausgeschnitten, jedenfalls die Hälfte, auf der Du zu sehen bist, und habe es eingerahmt. Jetzt stehst Du auf dem Tisch neben meinem Bett und lächelst mich die ganze Zeit an. Hältst Du mich für verrückt? Vielleicht bin ich das. Aber ich kann es nicht ändern.

Ach, Laura. Alles so verdammt lang her! Wie gerne wäre ich damals mit Dir zusammen weggegangen. Weg von allem. Von München, von der Uni, von Deiner Familie, von allen, die gegen uns waren. Aber Du wolltest ja nicht. Du wolltest nichts riskieren und hast Dich für Sicherheit und Wohlstand entschieden. Na ja, ein bisschen kann ich es verstehen. Es war ja irgendwie auch der Wahnsinn damals.

Wahrscheinlich war Deine Mutter heilfroh, nachdem Du endlich mit mir Schluss gemacht hattest und wieder zu Marco zurückgekehrt bist. Sie hat mich ja nie wirklich gemocht. Dieser komische Musikstudent, der sich sein Geld als Straßenmusikant verdient – das war natürlich nichts für Eure noble Familie. Dann schon lieber Marco, dieser BWL-Heini, dieser Golf-GTI-Schnösel. Und einen Enkel gab es auch gleich dazu. Super. Ich hoffe, Marco ist nett zu dir. Aber wahrscheinlich geht es Euch gut miteinander, sonst wäret Ihr ja nicht mehr zusammen.

Ich hab an unserem letzten Tag damals übrigens genau das gemacht, was ich Dir vorgeschlagen hatte: Ich habe mein Konto geplündert, bin zum Flughafen gefahren und habe den nächstbesten Flug gebucht, möglichst weit weg. So bin ich in Hongkong gelandet. Ich habe hier ein Jahr lang als Nachtportier in einem Hotel gearbeitet, dann haben sie irgendwann mal entdeckt, dass ich Klavier spielen kann. Seitdem arbeite ich als Barpianist, bin jahrelang um die Welt gezogen, habe in allen möglichen Städten gespielt, auf allen Kontinenten, sogar eine Zeit lang auf einem Kreuzfahrtschiff. Seit ein paar Monaten habe ich wieder ein Engagement in einem Hotel hier in Hongkong, wo alles anfing. Ich spiele jede Nacht, und ich glaube, ich bin ziemlich gut.

Jedenfalls sagen das die Leute, die da unten an der Bar sitzen und die sonst niemanden zum Reden haben. Neulich war eine Frau da, eine Geschäftsfrau aus New York, ich habe ihren Namen vergessen. Sie hatte so feuerrote Locken wie Du, Laura. Als sie reinkam, habe ich für eine Sekunde sogar gedacht, Du wärest das. Wir haben miteinander geredet, sie hat mir ein paar Gin Tonics ausgegeben. Sie war auch ganz allein in der Stadt, und dann bin ich mit ihr mitgegangen. Aber es war nicht so wie bei Dir, Laura. Nie mehr ist es so wie bei Dir.

Du ahnst nicht, wie oft ich an Dich denke, seit ich Dich wiedergesehen habe. Und ich träume neuerdings auch wieder von Dir, Laura. Frag nicht, was ich von Dir träume. Ich träume, es wäre so wie früher. Ich erinnere mich noch an alles, an den Geruch Deiner Haut, an Deinen Atem, Deine Zunge, Deine Brüste ... Wirst Du rot, wenn Du das hier liest? Du kannst dich ruhig wieder an alles erinnern, was wir miteinander hatten. Ja, das sollst Du. Du sollst es wieder spüren, so wie ich es spüre. Die Wärme, die Laken, die Sonne, die durch das Fenster auf uns fiel, wenn wir wieder die Vorlesung geschwänzt hatten. In meiner Vorstellung bist Du noch immer vierundzwanzig. Ich male mir aus, wie es wäre, wenn Du jetzt hier neben mir auf dem Bett liegen würdest. Ich stelle mir vor, wie Du mich anschauen würdest. Wie Du mich küssen würdest. Weißt Du, was ich mit Dir machen würde?! Ja, meine Liebe, genau das!!! Aber Du bist nicht da. Warum bist Du bloß nicht da?! Jetzt. Sofort will ich, dass Du da bist!

Ich bin betrunken, Laura. Entschuldige. Es ist fünf Uhr morgens, und ich habe mir aus der Bar eine Flasche Gin mit hochgenommen. Ich sehe mir Dein Bild an, und ich kann nicht mehr aufhören, an Dich zu denken. Von Dir zu träumen ... Weißt Du was? Irgendwann komme ich zurück nach München, jawohl, und dann ...

Verzeih, ich bin ein Idiot. Vergiss das.

Dein Dich immer noch wahnsinnig über alles liebender Alex

Ich schob die Blätter zurück in den Umschlag. Eine Adresse stand immer noch nicht dabei.

Kapitel 7

»Ich fühle mich wie eine Nudel, kurz bevor sie al dente ist!«

Mona legte zufrieden seufzend den Kopf in den Nacken und ließ sich in dem heißen, sprudelnden Wasser treiben. Wir saßen im Whirlpool, meine Freundinnen Mona, Helen und ich. Unser wöchentlicher Weiberabend fand diesmal wie geplant im Wellnessbereich des Isarbads statt. Hinter unseren Köpfen standen die halb geleerten Proseccogläser auf den Fliesen. Aus den Lautsprechern über uns dudelte leise Entspannungsmusik. Das Leben hatte sich schon mal schlechter angefühlt.

»Du redest jetzt aber nicht von einem Spaghetto, oder?«, merkte Helen an und ließ ihre Blicke missbilligend über Monas üppige Rundungen wandern, die nur von den winzigen Dreiecken ihres türkis geblümten Bikinis bedeckt wurden. Helen war wirklich manchmal erschreckend direkt, aber Mona nahm ihr das glücklicherweise nicht übel.

»Nee.« Mona grinste. »Wenn ich es mir recht überlege, fühle ich mich eigentlich eher wie ein Kartoffelknödel. Rund, heiß und saftig!« Sie lachte laut und schüttelte ihre schwarzen Locken, die sich nass und zerzaust um ihren Kopf kringelten. Dann griff sie hinter sich nach ihrem Proseccoglas, prostete uns zu und trank einen Schluck. Sie war das, was man einen Pfundskerl nennt. Und zwar in jeder Hinsicht. »Warum soll ich mich mit Diäten quälen, wenn ich die Kilos zwei Wochen später eh wieder drauf habe«, sagte sie immer.

Mona verstand es, das Leben zu genießen. Und wenn mal was danebenging, dann regte sie sich nicht lange darüber auf. Sie hatte nach der Schule ein paar Studiengänge ausprobiert (jeweils ein bis zwei Semester Jura, Völkerkunde, Ägyptologie und Kunstpädagogik), das war ihr aber alles zu theoretisch gewesen, deshalb hatte sie ein kleines Café aufgemacht. Als gebürtige Österreicherin nannte sie ihren Laden »Strudelstube«. Es war mit Abstand das gemütlichste Lokal in München. Bei ihr gab es nicht nur den besten Apfelstrudel der Welt, sondern auch die besten Schokomuffins und die beste Melange, und jedes Mal wenn ich ihr Café besuchte, war ich froh, dass aus ihr keine Anwältin und keine Beamtin geworden war oder sonst was Unkreatives.

Ich hatte sie und auch Helen bei einem Yoga-Schnupperkurs in der Volkshochschule kennengelernt, von dem sich Mona aber schon nach dem ersten Abend wieder verabschiedete, weil ihr der Sonnengruß auf Dauer zu anstrengend war. Mona hatte zwei inzwischen erwachsene Töchter von zwei verschiedenen Männern (von denen die eine als Au-pair in Frankreich und die andere auf einer Seehundstation an der Nordsee arbeitete) und war gerade frisch liiert mit einem Polizisten. Den hatte sie kennengelernt, als sie ihren gerade erst zum Ex gewordenen Lover anzeigte, der nicht nur sehr kurzfristig nach Thailand ausgewandert war, sondern sein One-Way-Ticket nach Pattaya auch noch aus den Wocheneinnahmen der Strudelstube finanziert hatte.

Dank ihres neuen Freundes war sie darüber hinweg.

»Manche mögen’s eben mollig«, pflegte sie zu sagen, und wie es aussah, hatte sie damit recht.

So füllig wie Mona ausgestattet war, so mager war Helen. Ich kannte keine Frau, die so sehr auf ihr Äußeres achtete wie sie. Selbst hier im Whirlpool war sie leicht geschminkt, und ihre kurzen blonden Haare lagen perfekt. Jeden Morgen um sechs ging sie eine Stunde lang joggen, bevor sie ins Büro fuhr. Helen war für mich der Inbegriff von Disziplin, Ordnung und Vernunft. Eigenschaften, mit denen sie es in ihrer beruflichen Karriere weit gebracht hatte. Sie war Immobilienmaklerin, hatte seit zehn Jahren eine eigene Firma, und ihre Geschäfte liefen bestens. Dass dabei kaum Zeit für die eigene Familie blieb, war die andere Seite ihres Erfolgs. Seit vierzehn oder fünfzehn Jahren war sie verheiratet mit Arno, ihrem zweiten Ehemann, und soweit ich das beurteilen konnte, war sie glücklich in ihrem Leben. Und mir tat es gut, eine Freundin zu haben, die mich bei dem ein oder anderen Problem klug und sachlich beraten konnte. Auch wenn es um irrtümlich zugestellte Liebesbekenntnisse ging.

Ich hatte den beiden gerade in groben Zügen von den merkwürdigen Briefen erzählt, die bei uns gelandet waren.

»Du kannst diese Laura doch mal googeln«, schlug Helen vor.

»Das hab ich schon«, antwortete ich. »Scheint die Gattin eines ziemlich erfolgreichen Münchener Unternehmers zu sein, Maschinen- oder Anlagenbau, so was in der Art. Die expandieren gerade mächtig in Asien. Aber es steht natürlich keine Privatadresse im Internet, und ich kann diese Briefe ja schlecht im Büro ihres Mannes abgeben. Oder?«

»Würde das Liebesleben der beiden Herrschaften vielleicht ein bisschen aufmischen«, kicherte Mona.

»Komischer Typ, dieser Alex«, sinnierte Helen. »Nach allem, was du von den Briefen erzählt hast, wirkt er auf mich wie ein verantwortungsloser Träumer. Ein Mensch, der sein Leben nicht im Griff hat. Ich habe keine Ahnung, weshalb er eine falsche Adresse auf den Umschlag geschrieben haben könnte.«

»Kein Wunder, wenn er dauernd betrunken ist.« Mona prustete. »Mit einer Flasche Gin intus könnte ich auch keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen.«

»Seinen ersten Brief hat er ganz nüchtern geschrieben«, erklärte ich. »Und trotzdem stand unsere Adresse drauf. Es ist wirklich eine tragische Geschichte. Er muss diese Laura sehr geliebt haben.«

»Wie kann man sich nur sein ganzes Leben ruinieren, bloß weil man als junger Mensch mal ein paar Wochen in jemanden verliebt war!« Helen schüttelte den Kopf. »Das ist doch ...« Sie brach ab und zuckte mit den Schultern, als gebe es nicht einmal ein Wort für ein derart absurdes Verhalten.

»Das ist eben die ganz große Liebe«, erklärte Mona theatralisch und schwenkte ihr Proseccoglas. »Ein Sommer lang – und dann für immer in seinem Herzen. Romantik pur. So etwas Märchenhaftes erlebt nicht jeder. Da können wir Normalsterblichen wahrscheinlich gar nicht mitreden. Alex und Laura – so eine gigantische Liebe hat es womöglich seit Romeo und Julia nicht mehr gegeben.«

»Bloß mit dem Unterschied, dass Julia ihren Romeo so sehr geliebt hat, dass sie bereit war, mit ihm zu sterben, während diese Laura ihren Lover eiskalt abserviert hat, nachdem sie feststellte, dass sie von ihrem Ex schwanger war«, gab Helen zu bedenken und nippte an ihrem Glas.

»Mir wäre es wohler, ich hätte die Briefe nicht gelesen.« Ich seufzte. »So was Intimes! Wenn ich doch wüsste, was ich tun könnte, um sie dieser Laura zukommen zu lassen oder wenigstens an Alex zurückzuschicken.«

»Du könntest sämtliche Hotels in Hongkong anrufen«, überlegte Helen. »Und fragen, ob es dort einen Barpianisten namens Alex gibt.«

»Ich kann kein Chinesisch.«

»Die sprechen doch alle Englisch in Hongkong, das war jahrzehntelang eine britische Kronkolonie.«